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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin war im Sekretariat der Ambulanz der Anästhesieabteilung des F. -L1. F1. tätig. Die Klägerin legte ihrer Arbeitgeberin bis zum 00.00.0000 keinen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Infektionsschutzgesetz in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (IfSG) vor. Nachdem sie von der Arbeitgeberin hierüber informiert worden war, forderte die Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung auf, dem Gesundheitsamt einen solchen Nachweis vorzulegen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach.
3Daraufhin hörte die Beklagte die Klägerin und deren Arbeitgeberin zum Erlass eines Betretungs- und/oder Tätigkeitsverbots an. Während die Klägerin sich gegenüber der Beklagten nicht zur beabsichtigten Ordnungsverfügung äußerte, teilte die Arbeitgeberin mit, eine Abwesenheit der Klägerin werde schwer zu kompensieren sein, von einer Unabkömmlichkeit im Sinne des maßgeblichen Erlasses des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen sei jedoch nicht auszugehen.
4Mit Bescheid vom 00.00.0000 untersagte die Beklagte der Klägerin, in der Einrichtung F. -L. F1. tätig zu werden und diese Einrichtung zum Zweck der Verrichtung ihrer Tätigkeit zu betreten. Beide Verbote wurden für die Zeit bis zur Vorlage eines Nachweises nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG, längstens jedoch bis zum 00.00.0000 angeordnet. Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 250 Euro angedroht. Zur Begründung führte die Beklagte aus, sie sei unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu dem Schluss gekommen, dass ein Tätigkeits- und Betretungsverbot angemessen sei, weil die Klägerin während ihrer beruflichen Tätigkeit Kontakt zu vulnerablen Gruppen habe. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel sei nicht ersichtlich. Insbesondere könne die Klägerin ihre Tätigkeit nicht aus dem Home-Office heraus ausüben, und eine tägliche Testung könne nicht in gleicher Weise vor einer Übertragung des Coronavirus SARS-CoV-2 schützen.
5Am 00.00.0000 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, der angefochtene Bescheid habe sich mit dem Ende des Jahres 2022 nicht erledigt. Sie müsse weiterhin befürchten, dass wegen eventueller Verstöße gegen das Tätigkeits-/ Betretungsverbot ein Bußgeld gegen sie verhängt werde. Zudem sei sie auf eine rückwirkende Aufhebung des Bescheids vom 00.00.0000 angewiesen, um von ihrer Arbeitgeberin Annahmeverzugslohn geltend machen zu können. Jedenfalls habe sie aber ein schützenswertes Interesse daran, dass die Rechtswidrigkeit des Bescheids festgestellt werde. § 20a IfSG sei von Anfang an verfassungswidrig gewesen, jedenfalls sei er mit Blick auf die neuen Virusvarianten sowie neue Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit der Impfstoffe und deren Nebenwirkungen vor seinem Außerkrafttreten verfassungswidrig geworden.
6Die Klägerin beantragt,
7den Bescheid der Beklagten vom 00.00.0000 aufzuheben,
8hilfsweise,
9festzustellen, dass der Bescheid vom 00.00.0000 rechtswidrig gewesen ist.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie macht geltend, die Verfassungsmäßigkeit von § 20a IfSG sei durch das Bundesverfassungsgericht geklärt und die Vorschrift im Einzelfall rechtsfehlerfrei angewandt worden.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage hat keinen Erfolg.
16Sie ist mit dem auf rückwirkende Aufhebung des Bescheids gerichteten Hauptantrag unzulässig. Der Klageantrag, einen Dauerverwaltungsakt auch für vergangene Zeiträume aufzuheben, setzt voraus, dass der jeweilige Kläger von ihm auch insoweit noch beschwert ist. Ein Dauerverwaltungsakt wird sich häufig bei fortschreitender Zeit für die jeweils vergangenen Zeiträume – gewissermaßen fortlaufend – erledigen, auch wenn für die Annahme seiner Erledigung der bloße Zeitablauf nicht genügt, vielmehr erforderlich ist, dass von ihm auch für diese Vergangenheit keine dem Kläger nachteiligen Rechtswirkungen mehr ausgehen.
17Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2012 - 8 B 62.11 -, juris Rn. 14.
18Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klägerin nicht (mehr) durch den bis zum 00.00.0000 befristeten Bescheid beschwert. Der originäre Regelungsgehalt des Bescheids, namentlich das Betretungs- und Tätigkeitsverbot, ist mit Ablauf der Befristung entfallen. Auch für den zurückliegenden Zeitraum vor dem 00.00.0000 gehen von dem Bescheid keine nachteiligen Rechtswirkungen mehr aus.
19Solche ergeben sich zunächst nicht aus der Tatsache, dass ein Verstoß gegen das behördliche Betretungs- und Tätigkeitsverbot grundsätzlich nach der gesetzlichen Regelung bußgeldbewehrt gewesen ist. Dass derzeit ein entsprechendes Verfahren gegen die Klägerin eingeleitet worden wäre oder ein solches noch drohen würde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch das Verhältnis zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin vermag keine nachteiligen Rechtswirkungen des Bescheids zu begründen. Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass ihr bei rückwirkender Aufhebung des Bescheids ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn gegen ihre Arbeitgeberin zustünde, ist dies allenfalls als Rechtsreflex zu betrachten. Eine unmittelbare Rechtswirkung des Bescheids dahingehend, dass der Lohnanspruch der Klägerin gegenüber ihrer Arbeitgeberin entfällt, ging schon ursprünglich nicht von dem Bescheid aus. Eine nachteilige Rechtswirkung des Bescheids aufgrund einer Kostenfolge scheidet mangels Kostenregelung im hier angegriffenen Bescheid aus.
20Der Hauptantrag wäre jedenfalls aus den nachstehenden Gründen zum Hilfsantrag auch unbegründet.
21Der Hilfsantrag ist zulässig. Der Antrag ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, denn der bis zum 00.00.0000 befristete Bescheid hat sich – wie oben ausgeführt – erledigt. Es liegt auch ein besonderes Feststellungsinteresse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann auch bei einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen sein. Dies setzt allerdings voraus, dass die begehrte Feststellung die Position des Klägers verbessern kann oder dass Eingriffe dieser Art sich typischer Weise so kurzfristig endgültig erledigen, dass sie sonst nicht gerichtlich in einem Hauptsacheverfahren überprüft werden könnten.
22Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 ‑ 1 BvR 461/03 -, juris, m. w. N.
23Gemessen daran ist der mit dem angegriffenen Bescheid einhergehende Grund-rechtseingriff geeignet, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu begründen. Denn die Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar. Es war nicht möglich, spätestens bis zum Außerkrafttreten der Reglung am 31. Dezember 2022 gerichtlichen Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren zu erlangen.
24Der Hilfsantrag ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig gewesen und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
25Rechtsgrundlage für das von der Beklagten ausgesprochene Betretungs- und Tätigkeitsverbot war § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG. Danach konnte das Gesundheitsamt einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegte oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistete, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betrat oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wurde. Diese Ermächtigungsgrundlage war im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses und auch bis zum Auslaufen ihrer Geltungsdauer mit dem 31. Dezember 2022 verfassungsgemäß.
26Das Bundesverfassungsgericht sah in seiner zur einrichtungsbezogenen Impflicht des § 20a IfSG ergangenen Entscheidung die Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlich gerechtfertigt an.
27Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris.
28Dabei ging es davon aus, dass die in § 20a IfSG angeordnete einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht sowohl im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses im Dezember 2021 als auch im gerichtlichen Entscheidungszeitpunkt dem legitimen Zweck diente, in einer gefährlichen pandemischen Lage vulnerable Menschen in besonderem Maße vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen und dass sie zur Erreichung dieses Zwecks auch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig war. Dieser rechtlichen Würdigung schließt sich die Kammer in vollem Umfang an. Auch nach dem Zeitpunkt der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung bis zum Außerkrafttreten des § 20a IfSG, also von Mai bis Dezember 2022, war die Rechtslage nicht anders zu bewerten.
29Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung ist dabei, dass dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zusteht, der nur begrenzt der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Er reicht nicht stets gleich weit, sondern kann von einer bloßen Evidenz- über eine Vertretbarkeits- bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Dies hängt einzelfallbezogen von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und den Möglichkeiten des Gesetzgebers ab, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden. Geht es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, dürfen Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen grundsätzlich nicht ohne weiteres zu Lasten der Grundrechtsträger gehen. Jedoch kann sich auch die Schutzpflicht des Staates auf dringende verfassungsrechtliche Schutzbedarfe beziehen. Sind wegen Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, genügt es daher, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiert. Dieser Spielraum gründet auf der durch das Grundgesetz dem demokratisch in besonderer Weise legitimierten Gesetzgeber zugewiesenen Verantwortung dafür, Konflikte zwischen hoch- und höchstrangigen Interessen trotz ungewisser Lage zu entscheiden.
30Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 152, 166, 187, 203.
31Liegen der gesetzlichen Regelung prognostische Entscheidungen zugrunde, kann die Rechtmäßigkeit nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern lediglich danach beurteilt werden, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, dass seine Prognose zutrifft. Erweist sich eine Prognose nachträglich als unrichtig, stellt dies jedenfalls die ursprüngliche Vertretbarkeit nicht in Frage. Eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann allerdings später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn die ursprünglichen Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr tragen.
32Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 167.
33In Anwendung dieser Grundsätze bestand hier für den Gesetzgeber ein weiter Spielraum, der nur der gerichtlichen Vertretbarkeitskontrolle unterliegt. Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich gesicherte Rechtsposition der Nachweisverpflichteten stand der Schutz von Leben und vor schweren körperlichen Beeinträchtigungen vulnerabler Personen gegenüber. Hinzu trat, dass die Situation der Pandemie durch eine schwer vorhersehbare Dynamik geprägt und die Sachlage komplex war. Es fehlten im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über Einzelheiten der weiteren Verbreitung von COVID-19 und über die konkrete Wirksamkeit der einzelnen Impfstoffe. Es liegt auch kein Grund für eine nachträgliche Beschränkung des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums vor, weil bis zum Ablauf der Geltungsdauer der angegriffenen Regelung weder besser gesicherte gegenteilige Erkenntnisse ersichtlich waren, noch der Gesetzgeber es versäumt hatte, für eine Verbesserung der Erkenntnislage zu sorgen.
34Vgl. für den Zeitraum bis Ende April 2022 schon BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 170.
35Der Gesetzgeber selbst hatte schon eine Vorkehrung zur Berücksichtigung sich verändernder tatsächlicher Umstände und neu gewonnener wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen, indem er die angegriffene Regelung befristet hatte.
36Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 236.
37Nach diesen Maßgaben war die Nachweispflicht im verfassungsrechtlichen Sinn geeignet, den Gesetzeszweck zu erreichen. Es genügt für die Eignung bereits die Möglichkeit, durch die gesetzliche Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen. Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt. Der dem Gesetzgeber hierbei zustehende Spielraum erstreckt sich auf die Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse, auf die erforderliche Prognose und auf die Wahl der Mittel.
38Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 166.
39Der Gesetzgeber durfte hier davon ausgehen, dass die Pflicht zum Nachweis einer Impfung aller Personen, die in bestimmten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit vulnerabler Menschen beitragen konnte. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes ging eine deutliche fachwissenschaftliche Mehrheit davon aus, dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten und auch das Virus seltener übertragen konnten als nicht geimpfte oder nicht genesene Personen. Angenommen wurde auch, dass dann, wenn sich Geimpfte infizierten, sie weniger oder nur für einen kürzeren Zeitraum als nicht Geimpfte infektiös waren. Dies galt auch noch mit Auftreten der Omikron-Variante, die Anfang Dezember 2021 noch neuartig und nicht vorherrschend war.
40Vgl. zur Lage bei Gesetzeserlass: BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 174.
41Auch nachdem die Omikron-Variante vorherrschend geworden war, blieb es bei der Vertretbarkeit der Eignungsprognose. Insbesondere war in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits die Geeignetheit der Regelung mit Blick auf die sich zu diesem Zeitpunkt verbreitende Omikron-Variante des Virus überprüft worden. Das Bundesverfassungsgericht ging dabei davon aus, dass der Gesetzgeber seine Eignungsprognose nicht durch die Annahme verletzt habe, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikron-Variante des Virus eine noch relevante Schutzwirkung entfalten. Die der Entscheidung zugrundeliegenden Stellungnahmen der als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften bezifferten eine Impfstoffwirksamkeit gegenüber „der Omikron-Variante“ des Coronavirus SARS-CoV-2 – vorbehaltlich wissenschaftlicher Bewertungsunsicherheiten – bei dreifach Geimpften auf 40 bzw. 50 bis 70 %; bei einer Grundimmunisierung sei die Schutzrate (teils mit 42,8 % beziffert) zwar reduziert, aber nicht bzw. erst nach Ablauf von 15 Wochen nach der Grundimmunisierung aufgehoben. Zudem bestand eine im Allgemeinen niedrigere Wahrscheinlichkeit einer Übertragung durch eine geimpfte Person nach Infektion mit der Omikron-Variante.
42Vgl. zur Lage im April 2022: BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 184.
43Auch vor dem Hintergrund der neueren Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 und den Ausführungen der Klägerin zu einem weiteren Anstieg eines Immun-Escapes bestand keine Veranlassung für eine grundlegende verfassungsrechtliche Neubewertung.
44Vgl. für den Zeitraum bis Mitte September 2022: OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 ‑ 13 B 859/22 -, juris Rn. 14 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. September 2022 - 6 B 10723/22 -, juris Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2022 - 14 ME 297/22 -, juris Rn. 14 ff.
45Denn nach den Erkenntnissen des Robert Koch-Instituts (RKI) boten die Covid-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) sowie der Vektor-Impfstoff JCOVDEN (Johnson & Johnson) vor der Omikron-Variante weniger Schutz als vor der Delta-Variante, die das Infektionsgeschehen in Deutschland zuvor dominiert hatte. Die Studienergebnisse zeigten, dass die Wirksamkeit nach zwei Impfdosen (Grundimmunisierung) gegenüber jeglicher oder symptomatischer Erkrankung durch die Omikron-Variante insgesamt gering war und mit der Zeit deutlich nachließ. Durch eine Auffrischimpfung konnte die Schutzwirkung verbessert werden. Gegen schwere Erkrankungen bot die Impfung weiterhin einen guten Schutz. Die Datenlage deutete nach Angabe des RKI darauf hin, dass auch hier die Schutzwirkung nach der Grundimmunisierung abfalle, jedoch weniger stark als im Vergleich zu jeglichen bzw. symptomatischen Erkrankungen. Nach einer Auffrischimpfung sei die Wirksamkeit gegenüber schweren Erkrankungen erneut hoch. Daten wiesen auch nach Auffrischimpfung auf einen nachlassenden Schutz vor (symptomatischer) Infektion über die Zeit hin. Die hohe Schutzwirkung gegenüber schweren Infektionen bleibe aber mindestens über sechs bis neune Monate nach der Auffrischimpfung bestehen. Über die Transmission, d. h. die Virusübertragung, unter Omikron gebe es bisher keine ausreichenden Daten; sie scheine bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt sei. Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark zeigten, dass eine Impfung auch unter vorherrschender Zirkulation der Omikron-Variante die Übertragbarkeit um ca. 6 bis 21 % nach Grundimmunisierung und nach Auffrischimpfung um weitere 5 bis 20 % reduziere.
46Vgl. RKI, Wie wirksam sind die COVID-19 Impfstoffe, Stand: 18. August 2022, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/ FAQ_Liste_Wirksamkeit.html.
47Auch die Ständige Impfkommission ging in ihrer Impfempfehlung vom 18. August 2022 davon aus, dass die COVID-19 Impfung nach wie vor dem Ziel diente, insbesondere in Umgebungen mit einem hohen Anteil vulnerabler Personen und/oder einem hohen Ausbruchspotenzial die Virustransmission zu vermindern, um so einen zusätzlichen Schutz zu bewirken.
48Vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 33/2022, S. 4, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/ EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/33_22pdf?_blob= publicationFile.
49Bestanden danach weiterhin Anhaltspunkte für eine nicht nur unwesentliche Reduzierung des Transmissionsrisikos, wurden die bisherigen Annahmen des Gesetzgebers zu einer relevanten Schutzwirkung der Impfung auch später nicht erschüttert. Die Erkenntnislage hatte sich auch nach September 2022 bis zum Außerkrafttreten der Regelung im Dezember 2022 nicht grundlegend geändert. Soweit Forschungsergebnisse darauf hindeuten konnten, dass die Untervariante BQ.1.1 der BA.5-Sublinie noch stärker der Immunantwort entging, war dies bis zum Außerkrafttreten der angegriffenen Regelung nicht maßgeblich, weil der Anteil dieser Variante lediglich bei 21 % lag.
50Vgl. für den Zeitraum bis Mitte Dezember 2022: OVG NRW, Beschluss vom 23. Dezember 2022 ‑ 13 B 1256/22 -, juris Rn. 45 ff. unter Bezugnahme auf RKI-Berichte.
51Soweit die Klägerseite demgegenüber vorträgt, dass die Impfstoffe spätestens seit April 2022 keinerlei fremdschützende Wirkung gehabt hätten, sondern dass sich das Infektionsrisiko vielmehr sogar mit der Anzahl der Impfdosen bzw. höherer Impfquote noch erhöht habe, gibt es hierfür keine hinreichenden, den Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers einschränkenden Erkenntnisse.
52Insbesondere durfte der Gesetzgeber auf die Belastbarkeit des vom RKI erhobenen und bewerteten Datenmaterials vertrauen. Es ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 IfSG zur Beurteilung der epidemiologischen Lage berufen und verfügt hierfür über die notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen, ist in seinen Beurteilungen unabhängig und international vernetzt.
53Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 138, 160; BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WV 2/22 -, juris Rn. 137.
54Die Behauptung der Klägerin, dass die Annahmen des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichts nicht auf einer tragfähigen Grundlage beruhten, weil das RKI – bewusst – falsche Informationen über die Wirksamkeit der Impfungen veröffentlicht habe, ist unsubstantiiert. Es sind keine Tatsachen dargelegt oder sonst ersichtlich, aufgrund derer man diese Behauptung für möglich halten könnte. Soweit die Klägerseite zum einen darauf abstellt, dass das RKI in seinem Bericht vom 7. Juli 2022 eine Studie von Hansen et al. dahingehend wiedergegeben habe, dass der Wert für die Impfwirkung im Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach der Grundimmunisierung nicht wie in der Studie ermittelt negativ war, sondern mit Null angegeben wurde, legt das keine Falschinformation dar. Vielmehr hatte das RKI auf Seite 16 des Berichts gerade erläutert, warum es negative Werte mit Null angab, nämlich, weil es diese als statistische Verzerrung ansah. Damit hatte es die Studie von Hansen detailliert wahrgenommen und in fachlicher Hinsicht bewertet. Dass die Klägerseite eine andere Wertung vornimmt, lässt die Einschätzung des RKI nicht als unvertretbar erscheinen. Es ist insbesondere nicht zwingend, dass der Bericht vom 7. Juli 2022 für zweifach Geimpfte im Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach der Zweitimpfung eine durchschnittlich negative Impfwirksamkeit hätte ausweisen müssen. Das RKI hatte seine Bewertung auf vier Studien für den Zeitraum von drei bis sechs Monaten nach der Impfung gestützt. Davon kam eine Studie zu einer negativen Wirksamkeit, zwei andere als die Hansen-Studie zu einer Wirksamkeit von Null. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass, wenn die Hansen-Studie mit negativer Wirkung ausgewiesen worden wäre, nur die Gesamtbewertung gerechtfertigt wäre, die Impfung habe negative Wirkung gehabt.
55Unerheblich ist vor diesem Hintergrund damit auch die Behauptung, dass RKI hätte die Studie von Hansen et al. bereits in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ausdrücklich benennen müssen.
56Eine unzureichende Arbeitsweise des RKI ergibt sich auch nicht aus der behaupteten Tatsache, dass es seine Datenveröffentlichung mit Wirkung zum 5. Mai 2022 eingestellt habe. Hierfür gibt es keine Anhaltspunkte, da die Klägerin selbst Bezug auf nach dem 5. Mai 2022 veröffentlichte Daten des RKI nimmt. Soweit von Wochen- auf Monatsberichte umgestellt wurde und die Inhalte durch andere Graphiken visualisiert wurden, legt dies ebenfalls kein unwissenschaftliches Arbeiten nah.
57Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Klägerseite vorgetragenen Umstand, dass die Impfquote bei der Bundeswehr besonders hoch gewesen sei und trotzdem eine überdurchschnittliche Coronainzidenz bei Bundeswehrangehörigen bestanden habe. Dies kann als wahr unterstellt werden, ohne dass deshalb Zweifel an der wissenschaftlichen Vertretbarkeit der Auskünfte des RKI bestehen. Denn ein kausaler Zusammenhang ist angesichts der deutlich erhöhten Gefährdung der Bundeswehrangehörigen durch die gemeinschaftliche Unterbringung in Kasernen und die fehlende Möglichkeit, bei Einsätzen und Übungen Kontakte auf engstem Raum zu vermeiden, nicht einmal naheliegend, geschweige denn erwiesen.
58Vgl. zur besonderen Gefährdung der Soldaten: BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WV 2/22 -, juris Rn. 137.
59Kommt mithin eine Vielzahl von Faktoren in Betracht, die zur Inzidenz unter Bundeswehrangehörigen beigetragen haben kann, ist erst recht der von der Klägerin gezogene Schluss nicht naheliegend, dass eine Erhöhung von Impfquoten oder Impfdosen zu einer höheren Infektionsrate führte.
60Der Umstand, dass die Wirksamkeit der Impfung bei der Omikron-Variante BA.5 im Vergleich zu BA.1 und BA.2 deutlich verringert war, ist unstreitig. Dies bedeutet aber wie zuvor dargelegt nicht, dass die Annahme eines noch relevanten Fremdschutzes wissenschaftlich unvertretbar wäre.
61Soweit die Klägerin beanstandet, dass bei zweifach Geimpften, deren Impfung drei bis sechs Monate zurücklag, kein relevanter Impfschutz mehr bestanden hätte, übersieht sie, dass seit dem 1. Oktober 2022 für einen vollständigen Impfschutz grundsätzlich drei Einzelimpfungen erfolgt sein mussten, § 22a Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Satz 3 IfSG. Soweit die Klägerin behauptet, dass das RKI in den Wochenberichten von April 2022 die Impfeffektivität gegenüber symptomatischer SARS-CoV-2-Infektion bei dreifach Geimpften mit Null angeben habe, kann das als wahr unterstellt werden, ohne dass das die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Einschätzung in Frage stellen würde. Die Annahme, dass, wenn die Impfeffektivität nach dem RKI-Wochenbericht für dreifach Geimpfte auf Null abgesunken sei und zunächst eine positive Wirksamkeit bestanden habe, daraus mathematisch zwingend folge, dass im Zeitverlauf eine negative Impfeffektivität bestanden haben müsse, ist unzutreffend. Es gibt keine Anhaltspunkte für den behaupteten Zusammenhang, weil es sich bei der Impfeffektivität von Null nicht um einen Durchschnittswert handelt, in den die zunächst positive Impfeffektivität eingeflossen wäre.
62Soweit die Klägerin schließlich unter Bezugnahme auf Studienergebnisse der Cleveland Clinic Ohio behauptet, dass sich mit der Zahl der Impfungen die Infektionsrate noch erhöhe, konnte diese Studie bereits aufgrund ihres Veröffentlichungsdatums am 19. Dezember 2022 vom Gesetzgeber nicht im Rahmen seiner Prognoseentscheidung zur Kenntnis genommen werden. Aus dem gleichen Grund musste auch die im Januar 2023 veröffentlichte Mutmaßung, dass Veränderungen im IGG-Antikörperprofil bei mRNA-Geimpften zu einer Erhöhung von Infektionen beitragen, vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt werden. Soweit die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, dass es ähnliche Ergebnisse zur negativen Impfeffektivität bereits im März 2022 gegeben habe, würde allein das Vorhandensein einer Studie, die zu einem solchen Ergebnis kommt, ebenfalls weder eine unwissenschaftliche Arbeit des RKI noch die Unvertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose nahelegen.
63Für eine weitere Aufklärung von Amts wegen besteht keine Veranlassung. Es handelt sich bei den – auch von der Klägerin im Verfahren in Bezug genommenen – Auskünften des RKI um amtliche Auskünfte über fachwissenschaftliche Informationen, die an die Stelle von Sachverständigengutachten treten. Die durch sie geklärten Fragen bedürfen im Allgemeinen keiner Klärung durch Einholung zusätzlicher Sachverständigengutachten, auch nicht, wenn ein Beteiligter die Auskunft als Erkenntnisquelle für unzureichend hält.
64Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WV 2/22 -, juris Rn. 137 ff. m. w. N.
65Dies wäre vielmehr nur geboten, wenn das Gericht die amtliche sachverständige Auskunft für ungenügend hält, insbesondere dann, wenn das Ergebnis durch substantiierten Vortrag eines Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird. Dies ist wie zuvor dargelegt nicht der Fall.
66Neben der wie ausgeführt fortbestehenden Eignung war ferner nicht erkennbar, dass die Erforderlichkeit der Nachweispflicht deshalb entfallen wäre, weil Testungen im zweiten Halbjahr 2022 ein milderes und gleich effektives Mittel dargestellt hätten. Soweit die Klägerin dies damit begründet, dass Tests Zulassungsanforderungen erfüllen mussten und deshalb weniger fehleranfällig waren als eine Impfung, die nur noch geringe bis gar keine Wirkung mehr gehabt habe, überzeugt das nicht. Zum einen überzeugt es nicht, weil – wie zuvor dargelegt – die Annahme eines Transmissionsschutzes nach der Datenlage noch vertretbar war und gerade nicht von (nahezu) fehlender Impfwirksamkeit ausgegangen werden musste. Zum anderen überzeugt es nicht, weil sich die nur begrenzte Eignung von Tests nicht verbessert hatte. Schnelltests bargen weiterhin das Risiko fehlerhafter Anwendung und schlossen auch bei negativem Antigentestergebnis gerade im frühen Infektionsstadium eine Kontagiosität nicht aus. Dies galt – wenn auch in geringerem Maße – auch für PCR-Tests, für die darüber hinaus Testkapazitäten nicht in hinreichendem Umfang bestanden.
67Vgl. für die Zeit bis Ende April 2022 schon BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 193 ff.; für die Zeit bis Mitte September 2022: OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 ‑ 13 B 859/22 -, juris Rn. 47 ff.
68Letztlich sind auch geringere Anforderungen als die, die der Gesetzgeber in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 22a Abs. 1 und 2 IfSG an einen Impf- oder Genesenennachweis und damit an einen ausreichenden Immunschutz stellt, nicht sicher gleich geeignet, vulnerable Personen zu schützen.
69Vgl. für die Zeit bis Ende April 2022 schon BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 200 ff.
70Die Nachweispflicht war schließlich verhältnismäßig im engeren Sinne. Der Gesetzgeber hatte in der Abwägung einen angemessenen Ausgleich zwischen dem dringlichen Schutz der Rechtsgüter Dritter von überragender Bedeutung einerseits und der erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigung der zum Nachweis Verpflichteten andererseits getroffen. Diese Abwägung hatte auch unter Berücksichtigung der späteren tatsächlichen Entwicklungen Bestand.
71Eine Impfung stellte einen nicht unerheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Gemildert wurde der Eingriff u. a. durch den Umstand, dass kein Impfzwang eingeführt worden war und dass Kontraindikationen berücksichtigt wurden. Außerdem wurde kein gesetzliches absolutes Tätigkeitsverbot normiert, sondern eine behördliche Ermessensentscheidung vorgesehen, die etwa auch bloße Betretungsverbote (mit der Option des Home-Office) ermöglichte.
72Vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris.
73Soweit sich die Eingriffstiefe in erster Linie durch Art, Ausmaß und Wahrscheinlichkeit der Impfrisiken beurteilt, lag § 20a IfSG eine vertretbare, auf belastbare Tatsachen gestützte gesetzgeberische Entscheidung zur Impfsicherheit zugrunde. Diese stützte sich insbesondere auf die validen Feststellungen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), das als die in Deutschland federführend für Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen zuständige Bundesbehörde über eine besondere Expertise verfügt. Auch fortlaufend unterlag die Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe der Überprüfung durch das PEI. Sobald ein – selbst nur geringes – Impfrisiko festgestellt wurde, nahm die Ständige Impfkommission dies zum Anlass für angepasste Impfempfehlungen, wodurch eine beständige Evaluation der Impfstoffe durch zwei Institutionen gewährleistet war.
74Vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 222 ff.
75Nach den Erkenntnissen des PEI häufig zu beobachtende Impfreaktionen, die sich als Immunantwort auf die Verabreichung des Impfstoffes erklären ließen, wie Kopf- und Gliederschmerzen auch über mehrere Tage, begründeten weder in ihrem Gewicht noch in ihrer zeitlichen Dauer absolut unzumutbare Beeinträchtigungen.
76Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 207, 223.
77Soweit die Klägerin diesbezüglich einwendet, dass in Deutschland von höheren als bisher angenommenen Werten hinsichtlich der weniger schwerwiegenden Nebenwirkungen ausgegangen werden müsse, nämlich von ähnlichen Werten wie in den USA, wo 7,7 % der Geimpften medizinische Hilfe in Anspruch hätten nehmen müssen und 25 % in den Tagen nach der Impfung schul- oder arbeitsunfähig gewesen wären, ist das unerheblich. Denn diese Art der Nebenwirkungen war – ungeachtet ihrer exakten Häufigkeit – als hinnehmbar in Abwägung mit den zu schützenden Belangen zu bewerten.
78Auch die gesetzgeberische Entscheidung, darüber hinausgehende Impfkomplikationen und Nebenwirkungen als kein durchgreifendes Argument gegen die Nachweispflicht zu bewerten, war vertretbar. Solche Nebenwirkungen waren nach Einschätzung des PEI bei Erlass des Gesetzes und auch in der Folgezeit sehr selten. Es ging in seinen Sicherheitsberichten so vor, dass alle eingegangenen Meldungen, unabhängig vom ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung erfasst wurden. Es handelte sich mithin um bloße Verdachtsmeldungen. Dabei war die Meldeschwelle im Sinn einer frühzeitigen Erkennung von möglicherweise neuen Risikosignalen bewusst niedrig angesetzt, da insoweit auch Meldungen in rein zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung bedeutsam waren. Nicht jede gemeldete Reaktion stellte daher tatsächlich auch eine Nebenwirkung dar.
79Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 225.
80Vor diesem Hintergrund überzeugt die Bewertung der Klägerseite nicht, dass es auch schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen inakzeptabel hohen Wert darstellte, wenn ausweislich des PEI-Berichts vom 23. Dezember 2021 0,39 % der über SafeVac mitgeteilten Fälle schwere Nebenwirkungen verzeichneten. Denn es handelte sich gerade nicht um Fälle schwerer Nebenwirkungen, sondern um bloße Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, zudem auch nur um diejenigen Verdachtsfälle, die über die Befragung von Nutzern der App SafeVac erhoben worden waren. Soweit die Klägerin sich gegen die vom Bundesverfassungsgericht benutzte Formulierung wendet, es handele sich um „sehr seltene“ Nebenwirkungen, überzeugt auch dieser Einwand nicht. Denn es ist nicht ersichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht den Begriff „selten“ im Sinne der einheitlich festgelegten Terminologie für Medikamenten-Nebenwirkungen verwenden wollte.
81Es ist ferner nicht erkennbar, dass die Verhältnismäßigkeit der Nachweispflicht deshalb entfallen wäre, weil im weiteren Verlauf des Jahres 2022 aus verfassungsrechtlicher Sicht unzumutbare Gesundheitsrisiken für die betroffenen Normadressaten bestanden hätten, die selbst bei einer akuten Gefährdungslage zu Lasten vulnerabler Personen nicht mehr zu rechtfertigen wären. Bis zum Ablauf der Geltungsdauer des Gesetzes gab es keine neuen tatsächlichen Entwicklungen oder besseren wissenschaftlichen Erkenntnisse, die geeignet wären, die ursprünglichen Annahmen des Gesetzgebers durchgreifend zu erschüttern.
82Die in die Abwägung einzustellenden Impfrisiken hatten sich nicht relevant verändert.
83Vgl. für die Zeit bis Ende April 2022 schon BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 237 ff.; für die Zeit bis Mitte September 2022: OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 ‑ 13 B 859/22 -, juris Rn. 50 ff.
84Die Melderate für Verdachtsfälle schwerwiegender Reaktionen betrug zuletzt für alle Impfstoffe 0,29 Verdachtsmeldungen pro 1.000 Impfdosen ausweislich des PEI-Sicherheitsberichts von Dezember 2022 für den Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis zum 31. Oktober 2022. Dies ließ weiterhin die Schlussfolgerung zu, dass schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten waren (wobei der Begriff „selten“ hier wiederum nicht im Sinne der einheitlich festgelegten Terminologie für Medikamenten-Nebenwirkungen benutzt wird).
85Soweit die Klägerin hiergegen vorträgt, dass die Annahme des Gesetzgebers nicht (mehr) auf einer tragfähigen Grundlage beruhte, weil das PEI – bewusst – Sicherheitssignale übersehen und seinen Auftrag zur Pharmakovigilanz nicht wahrgenommen habe, ist das unsubstantiiert. Es sind keine Tatsachen dargelegt oder sonst ersichtlich, aufgrund derer man diese Annahme für möglich halten könnte. Erkennbar nicht ausreichend hierfür ist die Behauptung, dass die zuständigen Mitarbeiter des PEI nicht „die“ Daten der Krankenkassen abgerufen hätten und dass sich hieraus Anstiege bei verschiedenen Krankheitsbildern ergeben hätten, weil dies unsubstantiiert ist und insbesondere keinen Kausalzusammenhang darlegt. Falls die Klägerseite darauf abstellen möchte, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen ihrer Pflicht aus § 13 Abs. 5 IfSG zur Übermittlung bestimmter pseudonymisierter Patienten- und Versorgungsdaten an das PEI nicht nachgekommen waren, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Die Validität und Aussagekraft der Berichte des PEI wurde dadurch nicht in Frage gestellt, weil die übrigen Wege der Datenermittlung ausreichend waren.
86Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WV 2/22 -, juris Rn. 184 ff.
87Dass der von der Klägerseite ins Blaue hinein unterstellte allgemeine Anstieg von Krankheitsbildern zu einem Rückruf unterschiedslos aller SARS-CoV-2 Impfstoffe hätte führen müssen, entbehrt schon eines tatsächlichen Hintergrunds, ebenso wie die von der Klägerseite aufgestellte Vermutung, „die“ SARS-CoV-2-Impfstoffe wiesen gegenüber „den herkömmlichen“ Impfstoffen ein um den Faktor 40 bis 60 erhöhtes Nebenwirkungsrisiko auf. Im Übrigen wäre ein solcher Quervergleich ungeeignet, einen entscheidenden Erkenntnisgewinn für die Abwägung von Pro und Contra einer Covid-19-Impfung zu vermitteln. Denn bei der Bewertung des Nutzens und der Risiken von Covid-19-Impfstoffen muss allein das Risiko dieser Erkrankung einschließlich schwerer Verläufe und der Effekt der Covid-19-Impfung und deren Risiken abgewogen werden.
88Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2022 - 1 WV 2/22 -, juris Rn. 198.
89Soweit die Klägerseite der Auffassung ist, dass Studienergebnisse, denen zufolge die Grundimmunisierung nach mehr als drei Monaten in den negativen Bereich übergehen konnte, ein ernstes Sicherheitssignal in Bezug auf unbekannte Langfristwirkungen der mRNA-Impfstoffe darstellten, überzeugt das – wie oben bereits zur Geeignetheit dargelegt – nicht. Unabhängig hiervon dürfte es sich nicht um eine Frage von Impfkomplikationen, sondern der Impfeffektivität handeln.
90Soweit die Klägerseite mit Blick auf die Studie von Irrgang et al. über einen IGG4-Antikörper-Shift ein mittel- bis langfristiges Sicherheitssignal für mRNA-Impfstoffe behauptet, musste und konnte der Gesetzgeber dies schon deshalb nicht im Rahmen seiner Prognoseentscheidung berücksichtigen, weil die Studie erst Anfang 2023 veröffentlicht wurde.
91Schließlich ändert die Mutmaßung der Klägerin, dass sich in den nächsten Monaten zahlreiche medizinische Erkenntnisse noch dahingehend verdichten würden, dass die Impfrisiken nicht vertretbar gewesen seien, nichts an der allein maßgeblichen Erkenntnislage bis zum 31. Dezember 2022.
92Der demnach verfassungskonforme § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG wurde von der Beklagten im angefochtenen Bescheid auch im Einzelfall rechtsfehlerfrei angewandt.
93Der Bescheid war formell rechtmäßig. Die Beklagte war für den Erlass des Betretungs- und Tätigkeitsverbots zuständig. Nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG war das Gesundheitsamt zuständig. Gemäß § 2 Nr. 14 IfSG ist das Gesundheitsamt die nach Landesrecht für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte und mit einem Amtsarzt besetzte Behörde. Aus § 4 Abs. 1 Infektionsschutz- und Befugnisgesetz (IfSBG-NRW) ergibt sich, dass Gesundheitsämter im Sinne des § 2 Nr. 14 IfSG die Kreise und kreisfreien Städte als untere Gesundheitsbehörden sind. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten ergab sich aus § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG. Danach war das Gesundheitsamt zuständig, in dessen Bezirk sich die Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befand. Dementsprechend war die Beklagte auch örtlich zuständig, denn die Klägerin war im F. -L. F1. tätig.
94Der Bescheid der Beklagten war auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen. Die Klägerin wurde insbesondere vor Erlass des Verwaltungsaktes ordnungsgemäß angehört im Sinne des § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW). Die Beklagte hatte der Klägerin mit Schreiben vom 00.00.0000 Gelegenheit gegeben, sich zum beabsichtigten Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots zu äußern. Ebenso war die Arbeitgeberin der Klägerin zum beabsichtigten Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots angehört worden. Die Anhörung war auch nicht deswegen mangelhaft, weil die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben keine konkreten Fragen zu der Art der Tätigkeit der Klägerin oder zu ihrem Patientenkontakt gestellt hatte. Ebenso wenig führen fehlende Ausführungen zur Annahme der Impfwirksamkeit und zur Versorgungssicherheit durch die Beklagte zu einem Anhörungsmangel. Die Klägerin wurde durch die Anhörung in die Lage versetzt, erkennen zu können, dass die Beklagte ihr gegenüber aufgrund ihrer Tätigkeit für eine in § 20a Abs. 1 IfSG genannte Einrichtung und aufgrund unzureichender Nachweise ein Betretungs- und Tätigkeitsverbot erlassen will. Der Klägerin wäre es vor diesem Hintergrund möglich gewesen, sich zu aus ihrer Sicht entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern.
95Der Bescheid war auch materiell rechtmäßig. Der Anwendungsbereich des § 20a IfSG war eröffnet. Die Klägerin war in einer Einrichtung im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG tätig. Bei dem F. -L. F1. handelt es sich um ein L. im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a IfSG. Die Klägerin war als Sekretärin in der Anästhesieabteilung dort auch im Sinne des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG tätig.
96Eine Tätigkeit im Sinne des § 20a IfSG ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Person nach ihrem typischen Arbeitsablauf keinen oder nur geringen Kontakt zu den in einer Einrichtung versorgten Patienten hat. Bereits der Wortlaut der Norm setzt einen solchen, planmäßigen Kontakt zu Patienten nicht voraus. Im Gegenteil entspricht es gerade dem Willen des Gesetzgebers, dass auch Personen in den Einrichtungen erfasst werden, die typischerweise keinen beabsichtigten Patientenkontakt haben.
97Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 20/188 vom 6. Dezember 2021, S. 38: „Erfasst werden nicht nur zeitlich ganz vorübergehend (nicht nur jeweils wenige Minuten, sondern über einen längeren Zeitraum) in den Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen. Die Art der Beschäftigung (Arbeitsvertrag, Leiharbeitsverhältnis, Praktikum, Beamtenverhältnis etc.) ist ohne Bedeutung. Bei den erfassten Personen handelt es sich beispielsweise um medizinisches bzw. Pflege- und Betreuungspersonal einschließlich zusätzlicher Betreuungskräfte nach § 53b SGB XI, aber auch andere dort tätige Personen wie zum Beispiel Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal. Erfasst sind auch Auszubildende, Personen, welche ihren Freiwilligendienst (nach dem BFDG oder JFDG) ableisten, ehrenamtlich Tätige, Praktikanten sowie Zeitarbeitskräfte“.
98Die Klägerin wurde als Sekretärin daher in der genannten Einrichtung tätig im Sinne des § 20a IfSG. Auch wenn sie nur gelegentlich persönlichen Kontakt zu den Patienten haben sollte, ist sie doch im Gebäude der Einrichtung tätig und begegnet auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz und – wohl – auch zumindest zuweilen an ihrem Arbeitsplatz Patienten. Der Umfang des Patientenkontaktes der Klägerin ist daher mit den in der Gesetzesbegründung erwähnten Berufsgruppen wie Hausmeister oder Transport-, Küchen- oder Reinigungspersonal vergleichbar.
99Die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Betretungs- und Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG lagen vor. Voraussetzung war danach, dass eine Person trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegte oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistete. Die Beklagte hatte die Klägerin mit Schreiben vom 00.00.0000 zur Vorlage eines Nachweises aufgefordert. Nachdem die Klägerin hierauf keinen Nachweis einreichte, wurde ihr von der Beklagten mit Anhörungsschreiben vom 00.00.0000 Gelegenheit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Erlass eines Betretungs- und Tätigkeitsverbots gegeben.
100Die Anordnung der Beklagten, nach der die Klägerin die Einrichtung bis zum 00.00.0000 nicht mehr betreten und dort nicht tätig werden durfte, war von der Rechtsfolge des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gedeckt. Danach konnte das Gesundheitsamt untersagen, dass die Person die dem Betrieb einer Einrichtung oder eines Unternehmens dienenden Räume betritt oder dort tätig wird.
101Soweit die Verwaltungsbehörde – wie hier – ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig war, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Die Verwaltungsbehörde konnte ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.
102Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen in der Regel nahe lag und vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle für das Gesundheitsamt kein relevanter Spielraum bestand.
103Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 85.
104Gemessen daran war die hier getroffene Ermessensentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Sie hatte zunächst das ihr zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt („Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (…)“).
105Die Beklagte hatte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht dadurch überschritten, dass sie der Klägerin das Betreten der Räumlichkeiten des F. -L1. F1. untersagt hatte. Das Betretungsverbot war ausdrücklich in § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG als Rechtsfolge vorgesehen. Eine solche Anordnung erfasste nicht den Fall, dass die betroffene Person die Räumlichkeiten lediglich zu dem Zweck betrat, dort Besuche durchzuführen oder die dortigen Leistungen für sich in Anspruch zu nehmen.
106Vgl. Aligbe, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg.), BeckOK, Infektionsschutzrecht, Stand 01.04.2022, § 20a IfSG Rn. 188.
107Dies hat die Beklagte im angegriffenen Bescheid ausdrücklich klargestellt.
108Dass die Beklagte über das bloße Betretungsverbot hinaus auch ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen hatte, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts diente die Möglichkeit, allein ein Betretungsverbot auszusprechen, dem milderen Mittel, ungenesenen oder ungeimpften Mitarbeitern – soweit dies in Betracht kam – eine weitere berufliche Tätigkeit etwa im Home-Office zu ermöglichen.
109Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 ‑ 1 BvR 2649/21 ‑, juris Rn. 215.
110Anhaltspunkte dafür, dass es der Klägerin als Sekretärin möglich gewesen wäre, ihre Tätigkeit beispielsweise aus dem Home-Office heraus zu erbringen, sind weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
111Die Ermessensentscheidung der Beklagten war auch nicht vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit zu beanstanden. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das der Klägerin gegenüber verhängte Betretungs- und Tätigkeitsverbot zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit geführt hatte, sind nicht ersichtlich. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Arbeitgeberin der Beklagten mitgeteilt hatte, eine Abwesenheit der Klägerin werde schwer zu kompensieren sein, von einer Unabkömmlichkeit im Sinne des maßgeblichen Erlasses des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen sei jedoch nicht auszugehen. Legt ein Arbeitgeber keine Unabkömmlichkeit dar, ist davon auszugehen, dass die Versorgungssicherheit auch ohne den Nachweispflichtigen gewährleistet ist.
112Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 - 13 B 859/22 -, juris Rn. 64; VG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Oktober 2022 - 24 L 2054/22 -, juris Rn. 77; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 20. Juli 2022 - 5 L 585/22 -, juris Rn. 61.
113Der Bescheid erwies sich auch nicht deswegen als ermessensfehlerhaft, weil die Beklagte die Möglichkeit der Testung und sonstiger Schutzmaßnahmen der in der Einrichtung Beschäftigten als milderes Mittel erwogen und verworfen hatte. Dass diese Maßnahme – entgegen der wie oben ausgeführt verfassungskonformen Annahme des Gesetzgebers – im Vergleich ebenso geeignet war und daher im Ermessen von der Beklagten hätte erwogen werden müssen oder nicht hätte verneint werden dürfen, ist nicht ersichtlich.
114Auch die Befristung des Bescheids bis zum 00.00.0000, die sich an der gesetzlichen Regelung orientierte, war nicht zu beanstanden. Für den Fall, dass die Klägerin Nachweise im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG erbracht hätte, war der Bescheid bis zu diesem Zeitpunkt befristet. Die Klägerin trägt keine Sachgründe vor, die einen anderen Zeitraum als sachgerecht hätten erscheinen lassen.
115Auch die durch Ziffer 3 des Bescheids erfolgte Androhung eines Zwangsgeldes begegnete keinen durchgreifenden Bedenken. Rechtsgrundlage für die Zwangsgeldandrohung im Bescheid waren §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 Abs. 1 und 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 250 Euro je Zuwiderhandlung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Höhe des Zwangsgeldes war verhältnismäßig im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW.
116Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
117Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
118Rechtsmittelbelehrung:
119Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1201. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1212. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1223. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1234. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1245. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
125Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
126Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
127Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.