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Eine erstmalige Entscheidung der Verwaltungsgerichte bzw. des Oberverwaltungsgerichts stellt keine Änderung der Rechtslage dar.
Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne besteht nur ausnahmweise, wenn das behördliche Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn nach der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung eine Vielzahl inhaltlich gleichlautender Bescheide rechtswidrig ist.
Ein Verwaltungsakt ist nicht schon dann offensichtlich rechtswidrig und dessen Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich, wenn sich dessen Rechtswidrigkeit nach Abschluss eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens herausstellt.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Beklagte nicht vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger beantragte beim Beklagten am 27. März 2020 die Gewährung einer Corona-Soforthilfe gemäß dem Programm „NRW-Soforthilfe 2020“. Am selben Tag bewilligte der Beklagte dem Kläger die beantragte Soforthilfe in Form eines Pauschalbetrages in Höhe von 9.000,- Euro und zahlte diesen Betrag an ihn aus.
3Im Rahmen eines sogenannten Rückmeldeverfahrens forderte der Beklagte den Kläger mit E-Mail vom 15. Juni 2021 auf, Angaben zu seinen Einnahmen und Ausgaben im Förderzeitraum zu machen. Dem kam der Kläger fristgerecht nach. Auf dieser Grundlage ermittelte der Beklagte den aus seiner Sicht für die abschließende Bemessung der Soforthilfe maßgeblichen sogenannten Liquiditätsengpass des Klägers.
4Am 17. Dezember 2021 erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger einen Schlussbescheid, in welchem er den ermittelten Liquiditätsengpass des Klägers in Höhe von 2.222,- Euro feststellte und dementsprechend die Soforthilfe neu festsetzte. Er forderte ihn zudem dazu auf, den überzahlten Betrag in Höhe von 6.778,- Euro bis zum 31. Oktober 2022 zurückzuzahlen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger innerhalb der Klagefrist keine Klage.
5Mitte 2022 stellten sowohl die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Köln als auch die erkennende Kammer in Klageverfahren die Rechtswidrigkeit entsprechender Schlussbescheide fest und hoben diese auf. Der Beklagte ging gegen die vorgenannten Entscheidungen jeweils in die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung.
6Mit Schreiben vom 15. November 2022 beantragte der Kläger beim Beklagten, das seinen Schlussbescheid betreffende Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen und den gegen ihn ergangen Schlussbescheid aufzuheben. Hierzu stützte er sich auf die angeführten erstinstanzlichen Entscheidungen, nach denen die Schlussbescheide rechtswidrig seien.
7Mit Bescheid vom 3. März 2023 lehnte der Beklagte den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab. Zur Begründung führte er Folgendes an: Für ein Wideraufgreifen nach § 51 Abs. 1 VwVfG NRW fehle es an einem Wiederaufgreifensgrund, da die ergangenen erstinstanzlichen Urteile keine Änderung der Sach- oder Rechtslage darstellten. Sie verkörperten eine rein rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung. Eine weitergehende Wirkung auf das materielle Recht entfalteten die Urteile gerade nicht. Zudem komme den Urteilen noch keine Rechtskraft zu. Doch selbst eine Bestätigung der Urteile in zweiter Instanz stelle keine Änderung der Sach- oder Rechtslage dar. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen folge auch nicht aus § 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 VwVfG NRW. Vielmehr räume diese Norm dem Beklagten Ermessen ein. Dieses habe er dahingehend ausgeübt, die Aufhebung des Schlussbescheides abzulehnen. Das öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung des Schlussbescheides überwiege das private Interesses des Klägers an einer materiell gerechten Entscheidung. Dafür sprächen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie der sparsame Umgang mit öffentlichen Mitteln. Die in dem Schlussbescheid enthaltene Rückforderung stelle keine unbillige Härte im Einzelfall dar, da die Fristen für eine Rückzahlung bis Ende Juni 2023 verlängert worden seien und die gewährten Mittel den Empfängern bis dahin zinslos verblieben, sodass bestehende finanzielle Engpässe weiterhin überbrückt werden könnten. Sein Ermessen sei auch nicht ausnahmsweise „auf Null“ reduziert. Die Aufrechterhaltung der Schlussbescheide sei nicht schlechthin unerträglich. Weder liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot, noch gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben vor. Für den Kläger sei es ebenso wie für alle anderen Soforthilfeempfänger möglich gewesen, Klage gegen den Schlussbescheid zu erheben. Der Kläger habe von der Anfechtung des Schlussbescheids keinen Gebrauch gemacht, sodass ihm die Entscheidung sowie die damit verbundenen negativen Folgen zuzurechnen seien. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Schlussbescheids, die sich bereits im Zeitpunkt des Erlasses aufgedrängt haben müsse, könne in Anbetracht der Komplexität des Bewilligungsverfahrens und der Vielzahl der zu klärenden Rechtsfragen nicht angenommen werden.
8Mit Urteilen vom 17. März 2023 - 4 A 1986/22; 4 A 1987/22; 4 A 1988/22 - wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung des Beklagten gegen die erstinstanzlichen Urteile zurück.
9Der Kläger hat am 28. März 2023 Klage gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten erhoben.
10Zur Begründung der Klage führt er unter Verweis auf die Urteile des Oberverwaltungsgerichts an, dass sich zwischenzeitlich die Rechtswidrigkeit der ergangenen Schlussbescheide herausgestellt habe. Entgegen der Auffassung der Bezirksregierung sei davon auszugehen, dass sich das Ermessen des Beklagten im Hinblick auf die Entscheidung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens bei der zugrundeliegenden Sachlage „auf Null“ reduziert habe. Denn es stelle sich als schlechthin unerträglich dar, wenn es bei den – gerichtlich festgestellt – rechtswidrigen Rückforderungsbescheiden bleibe. Die Grundsätze des rechtmäßigen Behördenhandelns überwiegten die Grundsätze der Rechtssicherheit. Er habe in die Rechtmäßigkeit deutschen Behördenhandelns vertraut und allein aus diesem Grund seinerzeit von einer Rechtsverfolgung Abstand genommen. Aus demselben Grund würden auch die Ausführungen des Beklagten hinsichtlich des Gleichbehandlungsgebotes nicht verfangen.
11Der Kläger beantragt,
12den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 3. März 2023 zu verpflichten, dass Soforthilfeverfahren (AktZ: 34.Soforthilfe2020- 95574) wiederaufzugreifen und den Schlussbescheid vom 17. Dezember 2021 aufzuheben.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung wiederholt er die in seinem Ablehnungsbescheid dargestellten Erwägungen. Ergänzend führt er an, dass die bloße Rechtswidrigkeit der Schlussbescheide kein Grund für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sei, andernfalls liefe die Regelung zur Klagefrist ins Leere. § 51 VwVfG NRW beschränke die Wiederaufgreifensgründe auf drei Fallgruppen, dessen Vorliegen bisher nicht erkennbar sei. Zwar erlaube § 51 Abs. 5 VwVfG den Rückgriff auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW, jedoch vermittle diese Vorschrift dem Adressaten eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Aufhebung. Für einen solchen Anspruch bedürfe es einer Reduzierung des Ermessens „auf Null“, welche nach der Rechtsprechung nur dann vorliege, wenn die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes „schlechthin unerträglich“ sei. Der Kläger habe jedoch bisher keine Tatsachen vorgetragen, aus denen geschlossen werden könne, dass die Rückforderung der Corona-Soforthilfe durch den Schlussbescheid schlechthin unerträgliche Folgen für ihn habe.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs verwiesen.
17Entscheidungsgründe:
18Die Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Kläger begehrt in Gestalt des Wiederaufgreifens seines Soforthilfeverfahrens und der Aufhebung des Schlussbescheides durch den Beklagten den Erlass eines begünstigen Verwaltungsaktes.
19Die Klage ist aber unbegründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 3. März 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Aufhebung des Schlussbescheids.
20Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 51 Abs. 1 VwVfG NRW und die hier alleine in Betracht kommende Nummer 1 der genannten Vorschrift. Hiernach hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat. Eine Änderung der Sachlage steht nicht in Rede und wird von den Beteiligten auch nicht behauptet. Auch eine nachträgliche Änderung der Rechtslage liegt nicht vor. Eine solche ist nur dann anzunehmen, wenn das maßgebliche Recht geändert wird, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt. Eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung einer Rechtsnorm – gleich in welchem Rechtszug – führt eine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW nicht herbei.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 1 C 15.08 –, BVerwGE 135, 121-137, zitiert nach juris Rn. 21 sowie Beschlüsse vom 1. Juli 2013 – 8 B 7.13 –, juris Rn. 6 und vom 16. Februar 1993 – 9 B 241.92 –, juris Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 4. August 2010 – 12 A 1840/09 –, juris Rn. 3.
22Eine nach diesem Maßstab erfolgte Änderung der Rechtslage hat der Kläger nicht geltend gemacht. Die für den Erlass der Schlussbescheide maßgeblichen Rechtsnormen haben sich nicht geändert. Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bzw. des Oberverwaltungsgerichts führen nach den vorstehenden Maßgaben gerade keine Änderung der Rechtslage herbei.
23Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne nach § 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG bleibt die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW unberührt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Entscheidung, ob die Behörde einen rechtswidrigen, aber bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakt zurücknimmt, steht folglich in ihrem Ermessen. Hiermit korrespondiert für den Betroffenen des belastenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über dessen Aufhebung. Die zu treffende Ermessenentscheidung hat sich am Zweck der Ermächtigung zu orientieren. Dass nach den §§ 51, 48 VwVfG NRW eröffnete Ermessen verlangt eine Abwägung zwischen der durch den Vorrang des Gesetzes gekennzeichneten materiellen Gerechtigkeit auf der einen und dem durch die Bestandskraft eingetretenen Rechtsfrieden auf der anderen Seite. Dabei räumt der Gesetzgeber weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2008 – 1 C 33.07 –, juris Rn. 12.
25Hiervon ausgehend ist die ablehnende Ermessensentscheidung des Beklagten, die das Verwaltungsgericht alleine nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO überprüft, nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Bestandskraft des in Rede stehenden Schlussbescheides und das Interesse des Klägers an einer materiell gerechten Entscheidung im Einzelfall in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise gegeneinander abgewogen. Dass er im konkreten Fall dem Gebot der Rechtssicherheit sowie dem Gebot des sparsamen Umgangs mit Haushaltsmitteln den Vorrang eingeräumt hat, ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat von der nach der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Möglichkeit, den Schlussbescheid innerhalb der in § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgesehenen Frist anzufechten, keinen Gebrauch gemacht. Hieran muss er sich festhalten lassen.
26Die Ablehnungsentscheidung des Beklagten wahrt auch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens. Umstände, die ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung „auf Null“ und damit eine Überschreitung der Grenzen des Ermessens begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist. Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründet keinen Anspruch auf Rücknahme, da der Rechtsverstoß lediglich die Voraussetzung einer Ermessensentscheidung der Behörde ist. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann „schlechthin unerträglich“, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 – 6 C 32.06 –, juris Rn. 13; OVG NRW, Urteil vom 24. März 2009 – 9 A 397/08 –, juris Rn. 43 und Beschluss vom 9. September 2009 – 15 A 1881/09 –, juris Rn. 4.
28Ausgehend von diesen Maßstäben war das Rücknahmeermessen des Beklagten nicht „auf Null“ reduziert.
29Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte seine eröffnete Rücknahmebefugnis unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes generell unterschiedlich ausgeübt hätte, bestehen nicht. Vielmehr belegt sein Hinweis darauf, dass landesweit mehrere tausend Anträge auf Wiederaufgreifen des Verfahrens eingegangen seien, auf die er mit gleichartigen Ablehnungsbescheiden reagiert habe, eine einheitliche Ablehnungspraxis. Anzeichen für eine gegenteilige Praxis sind auch nicht ersichtlich. Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes ist auch nicht darin zu sehen, dass der Kläger sich gegenüber Empfängern von Schlussbescheiden, die gegen diese mit Erfolg geklagt haben, benachteiligt sieht. Der Einwand führt nach dem zuvor dargestellten Maßstab nicht zu einem Anspruch auf Aufhebung des ihn betreffenden Schlussbescheides. Eine unterschiedliche Ausübung des behördlichen Rücknahmeermessens behauptet er gerade nicht. Dass der Beklagte sich im Übrigen nicht veranlasst sah, gegenüber sämtlichen Empfängern von Schlussbescheiden gleiche Verhältnisse herbeizuführen, beruht auf der – wie zuvor bereits dargestellten – sachlichen Unterscheidung, in Fällen bestandskräftig gewordener Schlussbescheide dem Interesse der Rechtssicherheit den Vorrang einzuräumen.
30Die Annahme, der Beklagte verstieße, indem er sich auf die Bestandskraft des Schlussbescheids beruft, gegen die guten Sitten, also das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, ist fernliegend. Auch ist nicht erkennbar, dass der Beklagte, indem er sich auf die Bestandskraft des Schlussbescheids beruft, gegen Treu und Glauben verstößt. Ein solcher Fall kann gegeben sein, wenn die Behörde einen nunmehr bestandskräftigen Bescheid bereits in sicherer Kenntnis seiner Rechtswidrigkeit erlassen hat. In einem solchen Fall wäre die Berufung auf die Bestandskraft offensichtlich rechtsmissbräuchlich.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. September 2009 – 15 A 1881/09 –, juris Rn. 6.
32Ebenfalls mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar wäre es, wenn die Behörde an der Bestandskraft eines Verwaltungsaktes festhält, an dessen Rechtswidrigkeit schon zum Zeitpunkt des Erlasses vernünftigerweise keine Zweifel bestanden und der Behörde sich dies hätte geradezu aufdrängen müssen. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass sich die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erst zu einem späteren Zeitpunkt zeigt.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 – 6 C 32.06 –, juris Rn. 15.
34Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte die Rechtswidrigkeit der Schlussbescheide bereits bei deren Erlass erkannt hatte, bestehen nicht. Auch kann nicht festgestellt werden, dass die Rechtswidrigkeit der Schlussbescheide bereits zum Zeitpunkt ihres Erlasses derart offensichtlich war, dass der Beklagte hieran vernünftigerweise keine Zweifel hätten haben können. Hieran ändert nichts, dass entsprechende Schlussbescheide von den hiermit befassten Gerichten als rechtswidrig eingestuft worden sind. Die auch von der erkennenden Kammer getroffene Einschätzung beruht nicht auf der Annahme, die Bescheide verstießen offenkundig gegen den Inhalt einer Rechtsnorm. Vielmehr erfolgte die Entscheidung vor dem Hintergrund einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Bewilligungspraxis des Beklagten und dem Inhalt der Bewilligungsbescheide. Im Übrigen belegt der Umstand, dass sowohl die Verwaltungsgerichte als auch das Oberverwaltungsgericht ihre Entscheidungen teils unterschiedlich, das Oberverwaltungsgericht sogar grundlegend anders begründet haben, dass die Rechtslage bezüglich der Schlussbescheide keineswegs eindeutig war.
35Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
36Rechtsmittelbelehrung:
37Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
381. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
392. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
403. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
414. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
425. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
43Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
44Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
45Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.