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1. Der Antrag wird abgelehnt.Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin (Az. 6 K 641/21) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2022 (Az. 3659-21-12) wiederherzustellen bzw. (hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung) anzuordnen,
4ist zulässig, aber nicht begründet.
5Die auf der Grundlage von § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem angegriffenen Bescheid begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Sie erfüllt insbesondere die Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Dies ist vorliegend in hinreichender Weise geschehen. Die Antragsgegnerin hat im Übrigen das Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht ausschließlich mit der Vorbeugung einer „augenscheinlich rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme“ des Rechtsinstituts der aufschiebenden Wirkung begründet, sondern dies nur ergänzend („auch insofern“) zu den ebenfalls in Bezug genommenen Erlassgründen der Verfügung angeführt.
6Hat die Verwaltungsbehörde die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes angeordnet, so kann das Gericht der Hauptsache allerdings gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des gegen den Verwaltungsakt gerichteten Rechtsbehelfs wiederherstellen. Dabei hat es in dem wegen der Eilbedürftigkeit nur summarischen Verfahren nicht unmittelbar und nicht ausschließlich die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu überprüfen, sondern zu untersuchen, ob das – in der Regel öffentliche – Interesse an dessen sofortiger Vollziehung das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage überwiegt. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Stellt sich heraus, dass die Klage aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird und ist überdies ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung erkennbar, so kommt diesem Interesse regelmäßig der Vorrang zu.
7Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung das Interesse der Antragstellerin, durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage von dem Vollzug der Verfügung verschont zu bleiben. Denn die angegriffene Ordnungsverfügung (Nutzungsuntersagung) vom 5. Januar 2022 begegnet aller Voraussicht nach keinen rechtlichen Bedenken, die zu ihrer Aufhebung führen könnten.
8Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Ordnungsverfügung ist § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 82 Satz 2 Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der zum 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Neufassung (BauO NRW 2018).
9In formeller Hinsicht begegnet die angegriffene Ordnungsverfügung keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere wurde die Antragstellerin vor Erlass der Ordnungsverfügung – wie in § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) vorgeschrieben – angehört, nämlich mit Schreiben vom 19. Oktober 2021.
10Die angegriffene Ordnungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 58 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW 2018 haben die Bauaufsichtsbehörden im Rahmen ihrer Aufgabe, die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften bei der Errichtung, der Änderung, der Nutzungsänderung und der Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen zu überwachen, nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. § 82 Satz 2 BauO NRW 2018 sieht insoweit vor, dass die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung untersagen kann, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften in diesem Sinne gehören unter anderem die §§ 60 ff. BauO NRW 2018, denen zufolge bestimmte Vorhaben der Einholung einer Baugenehmigung bedürfen. Wird ein solches genehmigungsbedürftiges Vorhaben ohne die erforderliche Genehmigung durchgeführt, hat die Behörde ein Einschreiten zu erwägen.
11Die Voraussetzungen für ein solches Einschreiten liegen hier vor. Die Antragstellerin nutzt die von der Ordnungsverfügung erfassten Räumlichkeiten ohne die erforderliche Baugenehmigung. Zwar sind der Wiederaufbau des Wohngebäudes nach dessen Zerstörung im zweiten Weltkrieg und die Nutzung der betreffenden Räumlichkeiten im Dachgeschoss als Wohnung durch eine Baugenehmigung aus dem Jahr 1950 genehmigt worden. Geht man zugunsten der Antragstellerin davon aus, dass diese Baugenehmigung zunächst ausgenutzt und nicht von vornherein abweichend gebaut worden ist, ist durch die Änderung des Eingangsbereichs der Wohnungen jedoch wohl eine genehmigungspflichtige Änderung erfolgt, da dies die Frage nach der Genehmigungsfähigkeit der Rettungswege mit Blick auf die Brandschutzqualität der Türen und Wände zum Treppenhaus neu aufwerfen dürfte. Einer abschließenden Entscheidung bedarf diese Frage indes nicht. Denn die Baugenehmigung aus dem Jahr 1950 ist hinsichtlich der Dachgeschosswohnung aufgrund des Ablaufs ihrer Geltungsdauer ohnehin nicht mehr wirksam. Nach einer als „Besondere Bedingung d.)“ bezeichneten Nebenbestimmung der Baugenehmigung war die Benutzung der Räume im Dachgeschoss als selbständige Wohnungen längstens bis zum 30. September 1960 zugelassen. Dass die Antragstellerin diese Nebenbestimmung nach ihren Angaben nicht kannte, vermag hieran nichts zu ändern.
12Ob die durch die Antragstellerin ausgeübte Nutzung materiell rechtmäßig, also genehmigungsfähig ist, spielt für das vorliegende Verfahren entgegen der Ansicht der Antragstellerin keine Rolle. Denn die Antragsgegnerin hat sich in ermessensfehlerfreier Weise auf die Prüfung der formellen Baurechtswidrigkeit beschränkt. Die Nutzungsuntersagung dient insbesondere dem Zweck, die Einhaltung der baurechtlichen Verfahrensvorschriften und somit die Ordnungsfunktion des Baurechts zu sichern. Die Prüfung, ob eine Nutzung in materieller Hinsicht gesetzeskonform und damit genehmigungsfähig ist, muss regelmäßig allein dem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten bleiben. Denn andernfalls würde sich der die Nutzung ohne Baugenehmigung Aufnehmende in unzulässiger Weise über das Erfordernis der Baugenehmigungserteilung hinwegsetzen und sich so einen Vorteil verschaffen.
13Die Nutzungsuntersagung ist auch nicht inhaltlich unbestimmt. Der Antragstellerin wird in dem angefochtenen Bescheid untersagt, sofort nach Zustellung der Verfügung, die Räumlichkeiten nach Räumung durch die derzeitige Mieterin von anderen Dritten zu Wohn- und Aufenthaltszwecken nutzen zu lassen oder selbst zu nutzen. Damit hat die Antragsgegnerin den Zeitpunkt, ab dem die Verpflichtung gilt, hinreichend klar bestimmt. Sie gilt erst nach der Räumung der Räumlichkeiten durch die derzeitige Mieterin, der die Antragsgegnerin nach ihren Angaben die Nutzung der Wohnung untersagt hat. Dass die Wirksamkeit der Verpflichtung nicht vor der Zustellung der Verfügung begonnen hat, versteht sich von selbst.
14Das Nutzungsverbot ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat durch das Erfordernis der Baugenehmigung dem öffentlichen Interesse an einer vor Aufnahme der Nutzung erfolgenden Überprüfung des Vorhabens den Vorrang vor dem Interesse des Bauherrn an der sofortigen Aufnahme einer genehmigungsbedürftigen Nutzung gegeben. Durch die Untersagung einer formell illegalen Nutzung wird lediglich dieser Wertung des Gesetzgebers Rechnung getragen, ohne dass dem Antragsteller für den Fall, dass sich in einem Genehmigungsverfahren die materielle Rechtmäßigkeit der Nutzung ergeben sollte, unbeabsichtigte Nachteile entstehen. Der Nachteil, der dadurch entsteht, dass das Genehmigungsverfahren abgewartet werden muss, ist durch die gesetzliche Regelung vorgegeben und regelmäßig in Kauf zu nehmen.
15Eine Nutzungsuntersagung ist allerdings ausnahmsweise dann unverhältnismäßig und kommt nicht in Betracht, wenn der entsprechende Bauantrag bereits gestellt und auch nach Auffassung der Baugenehmigungsbehörde genehmigungsfähig ist und der Baugenehmigung keine sonstigen Hindernisse entgegenstehen. Denn dann könnte die Baugenehmigungsbehörde die Störung durch die formelle Illegalität sofort beseitigen, indem sie die fehlende Baugenehmigung erteilt.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Februar 2014 - 2 A 1181/13 -; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. August 2018 - 6 L 1403/18 -, jeweils juris.
17Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor. Im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung war ein Bauantrag noch nicht einmal gestellt. Auf Nachfrage des Gerichts teilte die Antragstellerin zudem mit, dass sie noch keine Entscheidung darüber getroffen habe, ob sie einen Bauantrag stellen werde.
18Die Antragsgegnerin war an dem Erlass der angegriffenen Ordnungsverfügung auch nicht deswegen gehindert, weil sie nicht bereits früher bauordnungsrechtlich eingeschritten ist. Einen auf diesem Umstand basierenden Vertrauensschutz kann die Antragstellerin nicht für sich in Anspruch nehmen. Die Annahme eines Vertrauensschutzes würde voraussetzen, dass die Antragsgegnerin den baurechtswidrigen Zustand „aktiv geduldet“ hat, etwa durch eine – in Kenntnis der Umstände – ausdrücklich abgegebene Erklärung, ob und inwieweit sie den baurechtswidrigen Zustand hinzunehmen bereit ist, oder durch eine vorbehaltlose Zusicherung, nicht einzuschreiten. Es spricht zudem vieles dafür, dass eine länger andauernde Duldung oder Duldungszusage, soll sie Vertrauensschutz vermitteln, schriftlich erfolgen muss. Ein bloßes Nichttätigwerden führt hingegen nicht dazu, dass die Behörde die Berechtigung zum Einschreiten verliert.
19Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Januar 2015 - 2 B 1447/14 - und vom 28. August 2014 - 7 B 940/14 -, beide juris; Wenzel, in: Gädtke/Johlen/Wenzel u.a., BauO NRW, Kommentar, 13. Auflage 2019, § 58 Rn. 50 f., mit weiteren Nachweisen; Schönenbroicher/Kamp, BauO Kommentar, 2012, § 61 (a.F.) Rn. 27.
20Eine solche aktive Duldung durch die Antragsgegnerin liegt hier erkennbar nicht vor. Dass die Geltungsdauer der im Jahr 1950 erteilten Baugenehmigung bereits seit einigen Jahrzehnten abgelaufen ist, vermag ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen Vertrauensschutz zu begründen. Auch die Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung besagt in diesem Zusammenhang nichts, weil die formelle Legalität der Nutzung dort nicht zum Prüfungsumfang gehört.
21Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14. März 2007 – 10 K 4946/03 –, juris (Rn. 40 f.).
22Sonstige Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung bestehen nicht. Insbesondere ist die Antragstellerin als Eigentümerin der Wohnung in rechtmäßiger Weise zur Adressatin der Nutzungsuntersagung gemacht worden.
23An der sofortigen Vollziehung der nach alledem rechtmäßigen Ordnungsverfügung besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse. In aller Regel rechtfertigt aus den oben angeführten Gründen bereits die formelle Illegalität die sofortige Vollziehung des Nutzungsverbots.
24Näher auch dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Mai 2011 - 7 B 329/11 -, Juris, und vom 12. Juli 2007 - 7 E 664/07 -, BauR 2007, 1870, mit weiteren Nachweisen.
25Gründe, warum dies im vorliegenden Fall anders sein sollte, sind nicht erkennbar.
26Die Androhung des Zwangsgeldes findet ihre Grundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW und ist nach Lage der Dinge nicht zu beanstanden.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
28Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
29Rechtsmittelbelehrung:
30Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.
31Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Sie ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
32Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
33Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss zu 1. muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
34Gegen den Beschluss zu 2. findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
35Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
36Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.