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§ 7 Abs. 4 S. 2, 2. HS der Verordnung zur Bewältigung der durch die Coronavirus SARS-CoV-2-Epidemie an den Hochschulbetrieb gestellten Herausforderungen (Corona-Epidemie-Hochschulverordnung - CoronaVHSchulV NW) regelt für den Fall der unentschuldigten Säumnis einer Prüfung, dass diese für den weiteren Studienverlauf als „unschädlich“ ansehen ist.
Der Bescheid der Beklagten vom 25.11.2021 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
T a t b e s t a n d :
2Die im Jahr XXX geborene Klägerin ist seit Oktober 2019 bei der Beklagten im Bachelor-Studiengang Bauingenieurwesen immatrikuliert.
3Die Klägerin hat am 29.01.2020 im Rahmen ihres Bachelorstudiums an der Klausur-Prüfung „Umwelttechnik 1“ teilgenommen und am 21.02.2020 erfahren, dass sie diese Prüfung nicht bestanden hat.
4Danach hat sich die Klägerin sowohl für den zweiten als auch den dritten Versuch der Prüfung im Fach „Umwelttechnik 1“ angemeldet. Die genauen Zeitpunkte der Anmeldungen sind zwischen den Beteiligten streitig.
5In der Folgezeit versuchte die Klägerin sodann erfolglos, sich ein weiteres Mal zur Prüfung im Fach „Umwelttechnik 1“ anzumelden.
6Mit Bescheid der Beklagten vom 25.11.2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihre Prüfung „Umwelttechnik 1“ im Studiengang Bauingenieurwesen im dritten Versuch mit „nicht erschienen“ (5,0) bewertet worden sei. Sie habe damit gemäß § 12 Abs. 9 der Bachelor-Rahmenprüfungsordnung der Hochschule Bochum vom 16.03.2015 die Bachelorprüfung im Studiengang Bauingenieurwesen endgültig nicht bestanden.
7Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin bei dem Verwaltungsgericht am 23.12.2021 Klage erhoben.
8Die Klägerin behauptet, dass sie sich nach der erfolglosen ersten Prüfung im Fach „Umwelttechnik 1“, die am 29.01.2020 stattgefunden habe, in der Folgezeit sowohl für den zweiten als auch für den dritten Versuch angemeldet habe. Da es damals ihrer Mutter gesundheitlich sehr schlecht gegangen sei, habe sie sich jedoch sowohl von dem zweiten als auch dem dritten Versuch wieder abgemeldet. Die Klägerin behauptet ferner, dass nach den jeweiligen Abmeldungen auf ihrem Monitor die Mitteilung erschienen sei, dass sie sich erfolgreich von der Klausur im Fach „Umwelttechnik 1“ abgemeldet habe. Die Klägerin ist der Ansicht, dass vor dem Hintergrund der von ihr erfolgten Abmeldungen vom Zweit- bzw. Drittversuch der Klausurprüfung im Fach „Umwelttechnik 2“ der Bescheid der Beklagten vom 25.11.2021 rechtswidrig sei. Die Klägerin habe lediglich einmal an der streitgegenständlichen Prüfung teilgenommen, so dass ihr noch zwei weitere Versuche zustehen würden. Im Übrigen hätte die Klägerin aufgrund ihrer sonstigen Verfassung an einer weiteren Prüfung nicht teilnehmen können. Sie sei aufgrund der familiären Situation, insbesondere der andauernden Krebserkrankung ihrer Mutter, seinerzeit selbst gesundheitlich nicht in der Lage gewesen, erfolgreiche Studienleistungen zu erbringen.
9Die Klägerin ist ferner der Ansicht, dass ihr nach der „Ausnahmeregelung aufgrund der SARS-CoV-2-Epidemie für das Lehrangebot in den Bachelor- und Masterstudiengängen der Hochschule XXX und für die Durchführung von Prüfungen (Corona-Ausnahmeregelung) vom 16.12.2020 – in der Fassung der 4. Änderungsordnung vom 17. Mai 2021 – ein weiterer Versuch zur Verfügung stehe. Nach § 7 Abs. 4 S. 1 Corona-Ausnahmeregelung würden die Prüfungen als nicht unternommen gelten, die dem Wintersemester 2020/21 zugeordnet und die bis zum 31.03.2021 abgelegt und nicht bestanden worden seien. Ferner würden nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift auch Prüfungen, die dem Sommersemester 2021 zugeordnet seien und die bis zum 30.09.2021 abgelegt und endgültig nicht bestanden worden seien, als nicht unternommen gelten. Die Prüfung zum dritten Versuch im Fach „Umwelttechnik 1“, wofür sich die Klägerin am 08.07.2021 angemeldet habe, falle unter § 7 Abs. 2 S. 1 der Corona-Ausnahmeregelung. Da die Klägerin sich nach dem Vortrag der Beklagten von der Prüfung nicht abgemeldet und somit endgültig nicht bestanden habe, gelte dieser Versuch nach § 7 Abs. 2 S. 1 der Corona-Ausnahmeregelung als nicht unternommen. Die Klägerin dürfe daher ihren dritten Versuch erneut antreten und an der Prüfung „Umwelttechnik 1“ nach wie vor teilnehmen. Vor diesem Hintergrund könne auch die Bachelorprüfung im Studiengang Bauingenieurwesen nicht als „endgültig nicht bestanden“ bewertet werden.
10Die Klägerin beantragt,
11den Bescheid der Beklagten vom 25.11.2021 aufzuheben.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin sich von ihrem Zweit- und Drittversuch jeweils wieder abgemeldet habe. Sie sei zu beiden Terminen unentschuldigt nicht erschienen. Die Klägerin habe auch nicht angeben können, wann genau sie sich von den jeweiligen Prüfungen abgemeldet haben wolle. Der zweite Prüfungsversuch der Klägerin sei sodann gemäß 10 Abs. 1 der zugrunde liegenden Rahmenprüfungsordnung wegen fehlender Teilnahme der Klägerin mit der Note nicht bestanden (Note 5,0) bewertet worden. Gleiches gelte für die von der Klägerin nicht abgelegte dritte Prüfung im Fach „Umwelttechnik 1“. Auch insoweit sei die Prüfung wegen Nichterscheinens der Klägerin als nicht bestanden und mit der Note 5,0 bewertet worden. Folgerichtig sei sodann mit Bescheid vom 25.11.2021 nach § 12 Abs. 9 der Bachelor-Rahmenprüfungsordnung der Beklagten vom 16.03.2015 die Prüfung „Umwelttechnik 1“ als endgültig nicht bestanden bewertet worden.
15Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin auch nach der Corona-Ausnahmeregelung der Hochschule XXX vom 16.12.2020 in der Fassung der 4. Änderungsverordnung vom 17.05.2021 kein weiterer Prüfungsversuch zur Verfügung stehe. Denn dies würde nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 1 bzw. § 7 Abs. 2 S. 1 der Corona-Ausnahmeregelungen voraussetzen, dass die Klägerin eine Prüfung „abgelegt“ und nicht bestanden habe. Nur dann gelte diese Prüfung als nicht unternommen. § 7 der Corona-Ausnahmeregelung setze nach dessen eindeutigen Wortlaut ein „Ablegen“ der Prüfung und somit einen Prüfungsteilnahme des Prüflings voraus. Die Klägerin sei jedoch zu beiden Prüfungsversuch ohne ordnungsgemäße Abmeldung nicht erschienen und habe die Prüfungen somit auch nicht abgelegt. Die Corona-Ausnahmeregelung des § 7 ziele auch ausschließlich auf das Nichtbestehen von Prüfungen infolge eines etwaigen pandemiebedingten Ausbildungsdefizites ab. Die Klägerin habe die beiden Prüfung nicht aufgrund eines solchen Defizits sondern allein aufgrund ihres unentschuldigten Nichterscheinens nicht bestanden. Die Beklagte habe überhaupt keine inhaltliche Leistungsbewertung vornehmen können, so dass das Nichtbestehen der Klägerin auch nicht auf die erschwerten Lernbedingungen infolge der Corona-Pandemie zurückgeführt werden könnte. Die von der Klägerin geschilderten persönlichen Härten seien von den Corona--Ausnahmeregelungen nicht erfasst. Insoweit hätte für die Klägerin die Möglichkeit bestanden, sich vom Studium beurlauben zu machen. Davon habe die Klägerin jedoch keinen Gebrauch gemacht.
16Mit Beschluss vom 29.08.2022 ist der Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen worden.
17Mit weiteren Beschluss vom 31.08.2022 ist der Klägerin die begehrte Prozesskostenhilfe bewilligt worden.
18Am 26.09.2022 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Klägerin persönlich angehört worden ist. Insoweit wird auf das in der Gerichtsakte befindliche Protokoll Bezug verwiesen.
19Im Übrigen wird hinsichtlich des weiteren Beteiligtenvorbringens auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen. Das Verwaltungsgericht hat zudem die Verwaltungsvorgänge der Beklagten beigezogen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet.
22Der Bescheid der Beklagten vom 25.11.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägern in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
231. Die Beklagte kann ihre Entscheidung nicht auf § 12 Abs. 9 der Bachelor-Rahmenprüfungsordnung der Beklagten vom 16.03.2015 stützen. Denn dies setzt nach S. 3 der Vorschrift voraus, dass eine Prüfung nach drei Versuchen endgültig nicht bestanden worden ist.
24Die Klägerin hat indes die gegenständliche Prüfung „Umwelttechnik 1“ im Rahmen ihres Bachelorstudiengangs Bauingenieurwesen lediglich zweimal nicht bestanden. Ihr steht danach ein weiterer Prüfungsversuch zu.
25a) Zwar hat die Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen können, dass sie sich von der gegenständlichen zweiten und der gegenständlichen dritten Prüfung im Fach „Umwelttechnik 1“ nach unstreitig erfolgter Anmeldung auch jeweils wieder abgemeldet hat. Insoweit war die Klägerin weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung am 26.09.2022 in der Lage, substantiiert zu den Prüfungsdaten, dem Zeitpunkt der Anmeldung und den zwei jeweiligen Zeitpunkten der Abmeldung vorzutragen.
26aa) Die Klägerin hat schriftsätzlich das Datum des zweiten Prüfungsversuchs mit dem 08.08.2020 bezeichnet (siehe Bl. 60 der Akte). Tatsächlich hat der zweite Prüfungstermin jedoch nach dem insoweit relevanten EDV-Ausdruck aus dem Datenbestand der Beklagten (siehe dazu Bl. 31 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge) am 15.09.2020 stattgefunden. Die Klägerin hat zudem neben ihrer Behauptung, dieser Termin habe am 08.08.2020 stattgefunden, zugleich schriftsätzlich vorgetragen, sie habe sich zu diesem Termin am 08.08.2020 angemeldet (siehe dazu Bl. 4 der Akte) und im weiteren Verlauf wiederum vortragen lassen, sie habe sich von dem Termin, der nach ihrer Erinnerung am 08.08.2020 stattgefunden habe, am 01.08.2020 abgemeldet. Insoweit ist festzustellen, dass sowohl die Benennung des tatsächlichen Klausurdatums durch die Klägern falsch gewesen ist, als auch ihre insoweit genannten An- und Abmeldedaten noch nicht einmal mit dem von ihr bezeichneten Termin (08.08.2020) übereinstimmen können, da sie sich zu diesem Termin ebenfalls noch am 08.08.2020 angemeldet haben will. Überdies hat die Klägerin zu dem zweiten Prüfungstermin vorgetragen, dass sie sich zu diesem Klausurtermin am 08.08.2020 angemeldet und am 01.08.2020 abgemeldet habe (siehe dazu Bl. 60 d. A.), mithin nach ihrem Vortrag das Abmeldedatum vor dem Anmeldedatum gelegen haben soll. Dass dies nicht zutreffend sein kann, hat auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt.
27bb) Sodann hat die Klägerin bezüglich des dritten Prüfungsversuchs im Fach „Umwelttechnik 1“ vortragen lassen, dieser habe am 08.07.2021 stattgefunden. (Siehe dazu Bl. 60 der Akte.) Tatsächlich hat dieser Termin nach dem relevanten EDV-Ausdruck der Beklagten (Bl. 31 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge) am 15.07.2021 stattgefunden. Die Klägerin will sich wiederum zu dem aus ihrer Sicht am 08.07.2021 stattgefunden Versuch gleichfalls am 08.07.2021 angemeldet haben. Teilweise spricht sie insoweit auch von dem 07.08.2021. (Siehe dazu die Angaben der Klägerin in der Klageschrift vom 09.12.2021.) Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat die Klägerin wiederum schriftsätzlich vorgetragen (siehe dazu Bl. 40 und Bl. 60 der Akte), sie habe sich von dem Klausurtermin, der am 08.07.2021 stattgefunden habe, bereits am 01.07.2021 abgemeldet. Darüber hinaus bezeichnet die Klägerin im weiteren Verlauf des Verfahrens das Datum des dritten Versuchs mit dem 23.08.2021 (wie auch die Beklagte in gleicher Weise), was jedoch ausweislich des vorliegenden EDV-Ausdrucks (Bl. 31 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge) nicht zutreffend ist.
28cc) Daneben vermögen auch die Ausführungen der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung in dem Termin am 26.09.2022 nicht die Überzeugung des Gerichts zu begründen, dass sie sich tatsächlich von dem zweiten und dritten Prüfungsversuch jeweils ordnungsgemäß abgemeldet hat. Die Klägerin hat im Termin lediglich pauschal ausgeführt, dass sie sich jeweils eine Woche vorher abgemeldet habe. Eine Erinnerung an ein genaues Datum habe sie jedoch nicht.
29dd) Danach hat die Klägerin ihre Behauptung, sie habe sich von dem zweiten und dritten Klausurtermin jeweils ordnungsgemäß abgemeldet, nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen können. Gegen die von der Beklagten vorgenommene Wertung, dass die Klägerin zu den jeweiligen Klausurterminen unentschuldigt nicht erschienen sei, lässt sich folglich nichts erinnern.
30b) Allerdings war es der Beklagten aufgrund der sowohl zum Zeitpunkt des zweiten Klausurversuchs (15.09.2020) als auch des dritten Klausurversuchs (15.07.2021) geltenden Prüfungsregelungen verwehrt, die von der Klägerin jeweils unentschuldigt nicht wahrgenommenen Klausurtermin mit der Note nicht bestanden (5,0) zu bewerten. Vielmehr hätte die Beklagte diese Prüfungen nach dem jeweils geltenden Inhalt des § 7 Abs. 4 S. 2, 2. HS der Verordnung zur Bewältigung der durch die Coronavirus SARS-CoV-2-Epidemie an den Hochschulbetrieb gestellten Herausforderungen (Corona-Epidemie-Hochschulverordnung - CoronaVHSchulV NW) als für den weiteren Studienverlauf „unschädlich“ ansehen müssen.
31aa) Bezüglich der von der Klägerin am 15.09.2020 versäumten Prüfung bestimmt § 7 Abs. 4 S. 1 CoronaVHSchulV NW in der seinerzeit geltenden Fassung vom 15.05.2020, dass Prüfungen, die im Sommersemester 2020 abgelegt und nicht bestanden werden, als nicht unternommen gelten. Weiterhin gilt nach S. 2 der genannten Vorschrift, dass der Rücktritt von einer Prüfung bis zu ihrem Beginn zulässig ist; das Versäumnis einer Prüfung ist unschädlich. Nach dem klaren Wortlaut des § 7 Abs. 4 S. 2, 2. HS CoronaVHSchulV NW konnte die Beklagte trotz der unentschuldigten Säumnis der Klägerin keine negativen Sanktionen festsetzen. Dem entspricht auch die insoweit amtliche Begründung,
32siehe dazu die Amtliche Begründung zur Ersten Verordnung zur Änderung der Corona-Epidemie-Hochschulverordnung vom 15.04.2020, dort Seite 7, abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-3428.pdf,
33wonach der neue Satz 2 Halbsatz 2 regele, dass auch der bloße Nichtantritt zu einer angemeldeten Prüfung für die angemeldete Studierende oder den angemeldeten Studierenden unschädlich sei. Die Abgabe eine Rücktrittserklärung sei mithin nicht erforderlich.
34Weiterhin bestimmt zwar § 7 Abs. 4 S. 5 CoronaVHSchulV NW, dass die Sätze 1 bis 3 (nur) vorbehaltlich anderer Regelungen des Rektorats gelten sollen. Die Beklagte hat im vorliegenden Verfahren insoweit auf die seinerzeit geltenden Vorschriften ihrer Corona-Ausnahmeregelungen verwiesen, insbesondere den darin enthaltenen § 7, der Vorschriften über die abgelegten Prüfungen beinhalte sowie § 5, der wiederum die Abmeldung von einer Prüfung und die Rücktrittsmodalitäten regele. Nach § 7 der Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten würden Prüfungen, die dem Sommersemester 2021 zugeordnet seien und die bis zum 30.09.2021 abgelegt und endgültig nicht bestanden worden seien, als nicht unternommen gelten. Nach S. 2 der genannten Vorschrift gelte S. 1 nicht für aufgrund von Täuschungsversuchen nicht bestandene Prüfungen.
35Die von der Beklagten (und auch der Klägerin) in Bezug genommene Vorschrift entstammt indes den Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten in der Fassung der 4. Änderungsordnung vom 17. Mai 2021. Diese Fassung bezieht sich nicht auf die am 15.09.2020 stattgefundene Klausur (2. Versuch), zu der die Klägerin unentschuldigt nicht erschienen ist. Vielmehr gilt insoweit § 8 Abs. 1 der Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten in der Fassung ihrer ersten Änderung vom 10. Juni 2020.
36Danach gelten Prüfungen, die dem Sommersemester 2020 zugeordnet sind und die im Jahr 2020 abgelegt und nicht bestanden werden, als nicht unternommen. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt Satz 1 nicht für aufgrund von Täuschungsversuchen nicht bestandene Prüfungen.
37Den Vorschriften der Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten ist indes keine Regelung zu versäumten Prüfungen zu entnehmen. Eine abweichende Regelung zu § 7 Abs. 4 S. 2, 2. HS der Corona-Epidemie-Hochschulverordnung enthält § 8 der Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten in der seinerzeit geltenden Fassung gerade nicht. Eine diesbezügliche Regelung kann auch nicht den Bestimmungen des seinerzeit geltenden § 5 der Corona-Ausnahmeregelungen entnommen werden. Zwar galt nach § 5 Abs. 1 der Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten, dass sich die Studierenden abweichend von § 12 Abs. 4 der Rahmenprüfungsordnung bis einen Tag vor dem Termin der Prüfungsleistung von der Prüfung abmelden konnten. Diese weitere moderate Regelung betreffend die Abmeldefrist von Prüfungen stellt jedoch keine abweichende Regelung zu § 7 Abs. 4 S. 2, 2. HS der Corona-Epidemie-Hochschulverordnung dar. Denn § 5 Abs. 1 der Corona-Ausnahmeregelungen trifft keine Regelung betreffend die unentschuldigte Säumnis des Studierenden bei einer Prüfung. Daneben ist in § 5 Abs. 2 der Corona-Ausnahmeregelungen allein der Fall des Rücktritts speziell geregelt.
38bb) Inhaltlich gleiche Bestimmungen gelten auch für den dritten Klausurprüfungsversuch der Klägerin, der am 15.07.2021 stattgefunden hat. § 7 Absatz 4 S. 2, 2. HS der Corona-Epidemie Hochschulverordnung ist zum Zeitpunkt des dritten Versuchs (15.07.2021) unverändert. Nach den Corona-Ausnahmeregelungen der Beklagten in der Fassung der vierten Änderung vom 17. Mai 2021 bestimmt § 7 Abs. 2 Satz 1, dass Prüfungen, die dem Sommersemester 2021 zugeordnet sind und die bis zum 30.09.2021 abgelegt und endgültig nicht bestanden werden, als nicht unternommen gelten. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt Satz 1 nicht für aufgrund von Täuschungsversuchen nicht bestandene Prüfungen. Ebenfalls bestimmt § 5 der Corona-Ausnahmeregelungen, dass sich Studierende abweichend von § 12 Abs. 4 der RPO bis einen Tag vor dem Termin der Prüfungsleistung von dieser Prüfung abmelden können.
39Der gleiche Regelungsinhalt der genannten Bestimmungen hat auch im Fall des zweiten Wiederholungsversuchs (dritter Versuch) der Klägerin vom 15.07.2021, den die Klägerin ohne Angabe von Gründen schlichtweg versäumt hat, zur Folge, dass dieser Versuch ebenfalls für die Klägerin unschädlich ist. Das Versäumen dieser Prüfung kann für die Klägerin daher ebenfalls keine negativen Folgen nach sich ziehen.
40c) Die Klägerin kann indes die Entscheidung der Beklagten, den ersten Wiederholungsversuch zur Prüfung am 15.09.2020 mit „nicht bestanden“ zu bewerten, nicht mehr mit Erfolg anfechten, da die Frist zur Einlegung des Widerspruchs (siehe dazu § 110 Abs. 2 Nr. 2 JustG NRW) bzw. zur Erhebung der Anfechtungsklage, die in jedem Fall mangels Rechtsbehelfsbelehrung ein Jahr betragen hat (siehe dazu § 58 Abs. 2 VwGO), von der Klägerin versäumt worden ist.
41Ausweislich des relevanten EDV-Ausdrucks der Beklagten (siehe Bl. 31 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge) ist das Ergebnis („NB“ = nicht bestanden) über die erste Wiederholungsprüfung, die am 15.09.2020 stattgefunden hat, am 10. November 2020 in das Online-Studierendenportal der Beklagten eingestellt worden. Diese Mitteilung über das Nichtbestehen des ersten Wiederholungsversuchs der Klausur im Fach „Umwelttechnik 1“ stellt auch einen Verwaltungsakt dar. Denn die Feststellung des Nichtbestehens einer Prüfung stellt jedenfalls dann eine Regelung und damit einen – entsprechend angreifbaren – Verwaltungsakt dar, sofern ihr Bestehen Voraussetzung für den erfolgreichen (Studien-)Abschluss ist. Dies ist anders als die Verwaltungsaktqualität der Bewertung bestandener Prüfungen nicht umstritten und gilt unabhängig davon, ob noch eine Wiederholungsmöglichkeit besteht.
42Vgl. Fischer/Jeremias/Dieterich PrüfungsR, 8. Auflage 2022, Rn. 818, beck-online, mwN.
43Gemäß § 12 Abs. 9 S. 1 der Bachelor-Rahmenprüfungsordnung (BRPO) für die Bachelorstudiengänge der Hochschule XXX vom 16. März 2015 kann eine Prüfung bei Nichtbestehen zweimal wiederholt werden. Nach § 12 Abs. 9 S. 3 der Vorschrift ist die Bachelorprüfung dann endgültig nicht bestanden, wenn eine Prüfung nach drei fehlgeschlagenen Versuchen endgültig nicht bestanden worden ist. Die Mitteilung der Beklagten vom 10. November 2020 über das Nichtbestehen der ersten Wiederholungsprüfung vom 15.09.2020 hatte damit eine Regelungswirkung dergestalt, dass der Klägerin aufgrund des erneuten Nichtbestehens der Modulprüfung im Fach „Umwelttechnik 1“ nunmehr nach § 12 Abs. 9 S. 1 der BRPO nur noch ein einziger Wiederholungsversuch zustand.
44Gegen die Mitteilung der Beklagten vom 10. November 2020 über das Nichtbestehen der ersten Widerholungsprüfung am 15.09.2020, der eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigefügt war, hat die Klägerin sodann nicht innerhalb der Jahresfrist (§ 58 Abs. 2 VwGO) den statthaften Rechtsbehelf eingelegt. Die Mitteilung über das Nichtbestehen ist am 10. November 2020 um 09:20 Uhr in das Studierendenportal der Beklagten eingestellt worden. (Siehe dazu Bl. 31 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge.) Die Klägerin hatte damit seit dem 10. November 2020 die Möglichkeit zur Kenntnisnahme über das Ergebnis des ersten Wiederholungsversuchs vom 15.09.2020. Denn nach § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekanntgegeben wird. „Bekanntgabe“ bedeutet, dass der Verwaltungsakt dem Adressaten tatsächlich zugegangen ist, der Verwaltungsakt also derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat.
45Vgl. Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 41, Rn. 6; zur elektronischen Kommunikation im Zivilrecht: Einsele, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 1, 6. Aufl., § 130, Rn. 18 f.
46Es kommt für den Zugang allein auf die Möglichkeit zur Kenntnisnahme des Verwaltungsakts unter den genannten Bedingungen an, nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme.
47Vgl. Leisner-Egensperger in: Mann/Sennenkamp/Uechtritz, VwVfG, § 43, Rn. 46.
48Das gilt jedenfalls für solche Verwaltungsakte, die nicht in der besonders flüchtigen Form der Mündlichkeit erlassen werden, sondern schriftlichen Erklärungen näher stehen.
49Vgl. U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 41, Rn. 101; zu allem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. März 2017 – 14 A 1689/16 –, Rn. 49 - 54, juris.
50Die Klägerin konnte in der Zeit nach dem 10. November 2020 auch ohne bekannte Einschränkungen auf den Mitteilungsbereich in ihrem persönlichen Konto zum Studierendenportal der Beklagten zugreifen. Das Konto der Klägerin gehört ebenso wie der zu ihrer Wohnung gehörende Briefkasten zu ihrem Machtbereich. Sie hat hierzu über ihre Matrikelnummer und ihr Passwort - neben der Beklagten - ausschließlichen Zugang. Da das Portal nicht nur der Anmeldung zu Prüfungen dient, sondern auch der Einsichtnahme in den Notenspiegel, hatte die Klägerin die Möglichkeit, hierüber Kenntnis von der Bewertung der Klausur der ersten Wiederholungsprüfung zu nehmen. Dass die Beklagte die Eintragung der Bewertung nachträglich hätte ändern können und dies auch gegenwärtig noch könnte, steht einer Bekanntgabe an die Klägerin nicht entgegen. Denn bei einem „in anderer Weise“ erlassenen Verwaltungsakt existiert keine Verkörperung des Verwaltungsakts, über die der Adressat ausschließliche Verfügungsgewalt erlangen könnte.
51Vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. März 2017 – 14 A 1689/16 –, Rn. 56, juris.
52Danach lief die Jahresfrist zur Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs am 10. November 2021 ab. Innerhalb dieser Frist hat die Klägerin jedoch keine nach außen gerichteten Rechtshandlungen entfaltet. Nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen hat sich die Klägerin erstmals am 21.11.2021 (telefonisch) und sodann am 22.11.2021 per E-Mail an die Beklagte gewandt und um „Freischaltung“ zur Anmeldung zu den relevanten Klausuren gebeten. (Siehe dazu Bl. 9R unten und Bl. 13 oben der beigezogenen Verwaltungsvorgänge.) Allenfalls diese erste „Äußerung“ der Klägerin könnte als „Widerspruch“ iSd § 68 VwGO gegen die erfolgte Benotung des ersten Wiederholungsversuchs vom 15.09.2020 gewertet werden. Die von der Klägerin darin ausgedrückte Bitte um Überprüfung der in das Studierendenportal eingestellten Ergebnisse geschah indes nicht mehr innerhalb der bereits am 10. November 2021 abgelaufenen Jahresfrist zur Anfechtung. Dass die Klägerin ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Jahresfrist bis zum Ablauf des 10. November 2021 einzuhalten, ist von ihr auch nicht glaubhaft gemacht worden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestehen damit nicht, vgl. § 60 Abs. 2 S. 4 VwGO.
53d) Die Klägerin kann jedoch die Entscheidung der Beklagten, den zweiten Wiederholungsversuch zur Prüfung am 15.07.2021 mit „nicht bestanden“ zu bewerten, noch mit Erfolg anfechten, da insoweit die Frist zur Einlegung des statthaften Rechtsbehelfes gewahrt worden ist. Die Bewertung des dritten Versuchs wurde der Klägerin ausweislich Bl. 31 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (erstmals) am 23.08.2021 durch Einstellung einer formlosen Nachricht in das Studierendenportal der Beklagten und sodann durch schriftlichen Bescheid vom 25.11.2021 bekanntgegeben. Die am 23.12.2021 erhobene Anfechtungsklage wahrt in jedem Fall die in Bezug auf den mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen schriftlichen Bescheid vom 25.11.2021 einschlägige Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO.
542. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25.11.2021, der das dreimalige und damit endgültige Nichtbestehen der Modulprüfung „Umwelttechnik 1“ feststellt, ist nach allem rechtswidrig und verletzt die Klägerin zudem in ihren Rechten, da in dem Bescheid überdies in nicht zutreffender Weise festgestellt wird, dass die Klägerin aufgrund des endgültigen Nichtbestehens dieser Prüfung auch die Bachelor-Prüfung endgültig nicht bestanden hat, sie mithin an der Fortsetzung und einem möglichen Abschluss ihres Studiums gehindert ist.
553. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung.
56Rechtsmittelbelehrung:
57Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
581. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
592. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
603. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
614. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
625. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
63Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen. Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.