Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
In Zeiten bestandskräftiger Suspendierung eines Beamten entstehen keine Ansprüche auf Erholungsurlaub, die nach Eintritt in den Ruhestand finanziell abzugelten sind.
Ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung von nicht realisierten Erholungsurlaubsansprüchen nach § 19a Abs. 1 Satz 1 FrUrlV NRW besteht ohne weitere Voraussetzungen für den Zeitraum zwischen einer rechtswidrigen Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Dienstherrn und der Wiederaufnahme des Dienstes.Bei der Frage, ob der Anspruch auf Mindesturlaub im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung realisiert wurde, ist auf den Bezugs- sowie Übertragungszeitraum, d.h. bis zu dem nach den nationalen Vorschrift eintretenden Verfall, abzustellen. Ein in einem Jahr über den Mindesturlaub hinausgehender, tatsächlich genommener Urlaub kann daher auch unter Wahrung der Zwecke des Erholungsurlaubes entsprechende Defizite beim Mindesturlaub aus den Vorjahren ausgleichen.
Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung N. vom 14. Januar 2019 verpflichtet, dem Kläger insgesamt 60 Tage Erholungsurlaub für die Jahre 2013 bis 2016 finanziell abzugelten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 80 % und der Beklagte zu 20 %.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die finanzielle Abgeltung nicht genommenen Erholungsurlaubs aus den Jahren 2001 bis 2016.
3Der Kläger, der zuletzt als Gewerbehauptsekretär (Besoldungsgruppe A 8 gemäß LBesO NRW) mit Stammdienststelle bei der Bezirksregierung N. seinen Dienst verrichtete, trat mit Ablauf des 31. Dezember 2018 wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand ein.
4Mit Verfügung vom 21. Januar 2001 wurde der Kläger im Wege eines Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes enthoben. Die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts N. entfernte den Kläger auf eine Anschuldigungsschrift des Beklagten hin mit Urteil vom 26. Januar 2009 aus dem Dienst (Az. : 13 K 1684/06. O). Die vom Kläger hiergegen gerichtete Berufung wurde vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 11. September 2013 verworfen (Az. : 3d A 722/09. O). Auf die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hob das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 12. August 2015 (Az. : 2 BvR 2646/13) die Urteile des Verwaltungsgerichts N. sowie des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen auf und verwies die Sache an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurück. Mit Urteil vom 13. Dezember 2016 änderte dieses das Urteil des Verwaltungsgerichts N. insoweit ab, als lediglich das Gehalt des Klägers gekürzt wurde, er aber nicht mehr aus dem Dienst entfernt wurde. Der Kläger sollte daraufhin ab dem 14. Dezember 2016 seinen Dienst bei der Bezirksregierung N. versehen.
5Der Kläger war seit dem 14. Dezember 2016 bis zum Eintritt in den Ruhestand am 1. Januar 2019 dienstunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2016 bat der Kläger den Beklagten, den ihm noch zustehenden Erholungsurlaub, soweit er noch nicht verjährt sei, in das Urlaubsjahr 2017 zu übertragen. Mit Schreiben vom 10. Januar 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dieser habe aus dem Jahr 2015 noch Anspruch auf 30 Urlaubstage, die aber zum 1. April 2017 verfielen. Zudem habe er auch noch Anspruch auf Erholungsurlaub in gleicher Höhe jeweils für die Jahre 2016 und 2017. Der Kläger nahm daraufhin vom 25. Februar 2017 bis zum 31. März 2017 Erholungsurlaub in Anspruch, der als Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015 verbucht wurde.
6Mit Bescheid vom 14. Januar 2019 setzte die Bezirksregierung N. die finanzielle Abgeltung von krankheitsbedingt nicht in Anspruch genommenem Erholungsurlaub für die Jahre 2017 und 2018 auf insgesamt 40 Urlaubstage fest. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die Urlaubsansprüche für die Jahre vor 2017 seien verfallen. Für die Jahre 2017 und 2018 sei jeweils nur der Mindesturlaub, mithin 20 Tage, finanziell abzugelten. Der Bescheid wurde dem Kläger am 19. Januar 2019 zugestellt.
7Der Kläger hat am 18. Februar 2019 Klage vor dem Verwaltungsgericht N. erhoben. Mit Beschluss vom 25. Februar 2019 hat sich dieses für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen. Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus, er habe auch Anspruch auf finanzielle Abgeltung seines Urlaubsanspruches für die gesamte Zeit der Suspendierung, also für die Jahre 2001 bis 2016. In dieser Zeit sei es ihm nicht möglich gewesen, seinen Erholungsanspruch zu realisieren. Der Anspruch sei auch nicht verfallen, da es an dem erforderlichen Hinweis seines Dienstherrn fehle, der nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes aber Voraussetzung für den Verfall sei.
8Der Kläger beantragt – schriftsätzlich und sinngemäß –,
9den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung N. vom 14. Januar 2019 zu verpflichten, ihm Erholungsurlaub im Umfang von weiteren 320 Arbeitstagen für die Jahre 2001 bis 2016 finanziell abzugelten.
10Der Beklagte beantragt – schriftsätzlich –,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Urlaubsansprüche aus den Jahren vor 2017 seien verfallen. Für das Jahr 2015 bestehe zudem ohnehin kein Anspruch, weil der Kläger den aus diesem Jahr stammenden Erholungsurlaub zwischen dem 25. Februar und 31. März 2016 realisiert habe. Für die Zeit der Suspendierung mangele es überdies bereits an einem Antrag auf finanzielle Abgeltung. Im Übrigen unterliege der Urlaubsanspruch dem Verfall. Daran ändere auch die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nichts. Soweit diese für den Verfall von Erholungsurlaub einen entsprechenden Hinweis des Dienstherrn verlange, sei dieser erfolgt. Eine Information zum Verfall sei in dem für alle Beschäftigten zugänglichen Intranet hinterlegt, zudem sei im Nachgang zu dem entsprechenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes eine ergänzende Veröffentlichung im Hausintranet eingestellt worden. Mit Schreiben vom 10. Februar 2017 sei der Kläger überdies über den Verfall aufgeklärt worden. Schließlich sei dem Kläger die Inanspruchnahme des Erholungsurlaubes stets ermöglicht worden. Die Nichtrealisierung liege beim Kläger vielmehr an dessen langandauernden Erkrankung. Dass der Kläger suspendiert worden sei, ändere nichts daran, dass der Urlaubsanspruch dem Verfall zugänglich sei.
13Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 27. Januar 2022 und vom 3. Februar 2022 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
14Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
15Entscheidungsgründe:
16Über die Sache entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich die Beteiligten hiermit wirksam einverstanden erklärt haben (vgl. § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
17Die zulässige Klage hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Die mit Bescheid der Bezirksregierung N. vom 14. Januar 2019 erfolgte Ablehnung der finanziellen Abgeltung des Urlaubsanspruches aus den Jahren 2001 und 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), soweit sie den Zeitraum vom 12. September 2013 bis zum 31. Dezember 2016 umfasst. Im Übrigen ist gegen die Ablehnung aber rechtlich nichts zu erinnern.
18Ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung von nicht genommenen Erholungsurlaub ergibt sich im Allgemeinen aus § 19a Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Freistellung wegen Mutterschutz für Beamtinnen und Richterinnen, Eltern- und Pflegezeit, Erholungs- und Sonderurlaub der Beamtinnen und Beamten und Richterinnen und Richter im Land Nordrhein-Westfalen in der hier zum Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand maßgeblichen Fassung vom 1. Januar 2019 (FrUrlV NRW).
19Nach dieser Vorschrift ist Erholungsurlaub bis zu einer Dauer von 20 Arbeitstagen im Urlaubsjahr (Mindesturlaub), der zum Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses krankheitsbedingt ganz oder teilweise nicht in Anspruch genommen und zu diesem Zeitpunkt nach § 19 Absatz 2 FrUrlV NRW nicht verfallen ist, von Amts wegen finanziell abzugelten. Gleiches gilt für nicht beanspruchten Zusatzurlaub nach § 208 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX).
20Die Voraussetzungen der Norm liegen nur für einen Teil des geltend gemachten Zeitraums vor, nämlich für die Zeit der rechtswidrigen Entfernung aus dem Dienstverhältnis.
211.
22Für die Jahre 2001 und 2002 scheidet der Anspruch bereits deshalb aus, weil der jeweilige Urlaubsanspruch verfallen ist. Bei der Frage, ob ein Anspruch besteht, der sich – wie hier – auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, ist auf die im betroffenen Zeitraum geltende Rechtslage abzustellen. Ob der Kläger mithin für die Jahre 2001 und 2002 überhaupt noch einen abgeltungsfähigen Urlaubsanspruch hat, ist damit anhand des für diesen Zeitraum geltenden Rechts zu beurteilen.
23Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10. März 2014 - 6 A 2680/12 -, juris, Rn. 10 ff.
24Demgemäß ist das Bestehen der aus den Jahren 2001 und 2002 stammenden Urlaubsansprüche zu verneinen. Nach der damals maßgeblichen Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 1 der Erholungsurlaubsverordnung Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 14. September 1993 (EUV NRW) verfiel Erholungsurlaub, der nicht innerhalb von neun Monaten nach dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres in Anspruch genommen worden ist. Demnach sind der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2001 am 1. Oktober 2002 und der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2002 am 1. Oktober 2003 verfallen.
25Dem kann auch nicht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes über zum Teil hiervon abweichende Grundsätze des Verfalls und der finanziellen Abgeltung von Erholungsurlaub entgegengehalten werden. Denn diese Judikatur bezieht sich auf Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG). Diese ist aber erst am 2. August 2004 in Kraft getreten, einem Zeitpunkt, in dem die Urlaubsansprüche des Klägers aus den Jahren 2001 und 2002 bereits verfallen waren.
262.
27Für den jeweiligen Urlaubsanspruch aus den Jahren 2003 bis zum 11. September 2013, für den die europarechtlichen Vorgaben mithin gelten, scheidet ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung jedenfalls daran, dass der Kläger nicht – wie § 19a Abs. 1 Satz 1 FrUrlV NRW fordert – aus Krankheitsgründen den Erholungsurlaub nicht in Anspruch nehmen konnte, sondern weil er rechtmäßig vorläufig des Dienstes enthoben war.
28Die Vorschrift des § 19a Abs. 1 FrUrlV NRW ist auch nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 7 RL 2003/88/EG auf den Fall wegen Suspendierung nicht genommenen Erholungsurlaubs zu erweitern. Der Anspruch auf Erholungsurlaub und dessen finanzielle Abgeltung werden – wie bereits angedeutet – unionsrechtlich durch Art. 7 RL 2003/88/EG überformt. Nach dessen Absatz 1 haben die Mitgliedsstaaten dafür Sorge zu tragen, dass ein Arbeitnehmer bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält. Eine finanzielle Abgeltung kommt nach dem Absatz 2 nur im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.
29Die Vorschrift des Art. 7 RL 2003/88/EG ist dabei auch auf Beamte anwendbar.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 2 C 10. 12 -, juris, Rn. 9 ff. mit weiteren Nachweisen.
31Dabei hat der Europäische Gerichtshof zunächst überwiegend nur über Fälle entschieden, in denen der betroffene Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Erholungsurlaub wegen einer langandauernden Erkrankung nicht realisieren konnte.
32Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 22. November 2011 - C-214/10 (KHS) -, juris.
33In jüngerer Zeit hat er aber klargestellt, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub bzw. finanzielle Abgeltung von Erholungsurlaub generell nicht entfallen bzw. ausgeschlossen werden darf, wenn es dem betroffenen Arbeitnehmer nicht möglich war, den gesamten bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, der ihm zustand. Die langandauernde Erkrankung ist demnach nur ein – wenn auch wichtiges – Beispiel. Dieselben Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ausdrücklich auch für den Fall, in dem der Arbeitnehmer rechtswidrig entlassen worden ist und dann – wegen der Aufhebung der rechtswidrigen Entlassung – weiter beschäftigt wird. Denn im Falle der rechtswidrigen Entlassung kann der Arbeitnehmer gerade keinen Erholungsurlaub (mehr) geltend machen, weil das Arbeitsverhältnis beendet worden ist.
34Vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - C-762/18 u. a. (Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria) -, juris, Rn. 78, 85.
35Insoweit hat der Anspruch auf finanzielle Abgeltung des Erholungsurlaubes nach Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG lediglich die beiden Voraussetzungen, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und zum anderen der Arbeitnehmer nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte.
36Vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juni 2020 - C-762/18 u. a. (Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria) -, juris, Rn. 84, und vom 6. November 2018 - C-619/16 (Kreuziger) -, juris, Rn. 31.
37So liegt die Sache hier aber nicht. Denn der Kläger hatte im benannten Zeitraum gar keinen Anspruch auf Erholungsurlaub. Die vorläufige Enthebung des Dienstes führt nämlich dazu, dass der Betroffene in dem Jahr, in dem er durchgängig des Dienstes enthoben worden war, keinen Anspruch auf Erholungsurlaub hatte.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2018 - 6 B 1147/17 -, juris, Rn. 6; Bayerischer VGH, Beschluss vom 18. November 2015 - 6 ZB 15. 1856 -, juris, Rn. 8.
39Die Gewährung von Erholungsurlaub kommt hierbei bereits deshalb nicht in Betracht, weil eine Dienstleistungspflicht, von der der Beamte freizustellen wäre, mit der Suspendierung nicht mehr besteht. Die Freistellung von der Dienstleistungspflicht für einen Zeitraum, in dem nach dem jeweiligen Arbeitszeitrecht Dienst zu leisten wäre, ist aber maßgebender Inhalt der Urlaubsgewährung. Wird ein Beamter vorläufig des Dienstes enthoben, so ist er von seiner Pflicht zur Dienstleistung in vollem Umfang entbunden,
40vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 1980 - II C 26. 77 -, juris, Rn. 25,
41so dass für die Gewährung von Erholungsurlaub zum Zweck der Entbindung von der Pflicht zur Dienstleistung in demselben Zeitraum denknotwendig kein Raum mehr eröffnet ist.
42Dies gilt demnach für die Jahre 2002 bis zum 11. September 2013, in dem der Kläger vorläufig des Dienstes enthoben war. Anders als in dem zitierten, vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall einer rechtswidrigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erweist sich hier die Suspendierung auch nicht als rechtswidrig. Ansatzpunkt für den Europäischen Gerichtshof war, dass ein Arbeitnehmer, der in rechtswidriger Weise entlassen worden ist, für den Zeitraum, in dem die Entlassung tatsächlich Wirkung entfaltete, wegen der Rechtswidrigkeit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Erholungsurlaub hatte. Vorliegend erwies sich die vorläufige Enthebung des Dienstes aber nicht als rechtswidrig. Vielmehr war nur die im Rahmen des Disziplinarverfahrens vom Beklagten angestrengte, vom Verwaltungsgericht N. angeordnete und vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen bestätigte Disziplinarmaßnahme selbst (Entfernung aus dem Dienst) rechts- bzw. verfassungswidrig. Gegenstand des bis zum Bundesverfassungsgericht angestrengten Disziplinarklageverfahrens war indes gerade nicht die Suspendierung, die insoweit bestandskräftig geworden ist. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass diese rechtswidrig gewesen ist. Nach dem zum Zeitpunkt der vorläufigen Dienstenthebung geltenden § 91 der Disziplinarordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (DO NRW) konnte die Einleitungsbehörde (hier: die Bezirksregierung N. ) einen Beamten vorläufig des Dienstes entheben, wenn ein dienstliches Bedürfnis vorliegt und das förmliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden ist. Gegen diese vorläufige Enthebung hat sich der Kläger nicht gewandt. Von daher wäre selbst in dem Fall, in dem die Bezirksregierung N. von Beginn an unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Disziplinarmaßnahme erstritten hätte, der Kläger suspendiert gewesen und hätte keinen Anspruch auf Erholungsurlaub gehabt. Die Rechtswidrigkeit der Disziplinarmaßnahme hatte insoweit keine inhaltlichen Auswirkungen auf die bestandskräftige Suspendierung des Klägers.
43Vor diesem Hintergrund gibt es auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes keinen Anlass, § 19a FrUrlV NRW dahingehend zu erweitern, dass er auch in den Fällen greift, in denen der betroffene Beamte – bestandskräftig – suspendiert wird und insoweit ohnehin keinen Anspruch auf Erholungsurlaub erhält, der abgeltungsfähig ist.
443.
45Etwas Anderes gilt aber für den Zeitraum vom 12. September 2013 bis zum 13. Dezember 2016. Denn die (bestandskräftige) Suspendierung endete mit der rechtskräftigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2013, mit der der Kläger aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden ist (vgl. § 95 Abs. 3 DO NRW). Dass der Kläger daraufhin Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, ändert nichts an der Rechtskraft der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Die Verfassungsbeschwerde ist kein Rechtsmittel, das Bundesverfassungsgericht kein im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug eingebundenes Fachgericht. Eine Verfassungsbeschwerde hat damit auf den Eintritt der Rechtskraft einer fachgerichtlichen Entscheidung keinen Einfluss.
46Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 -, juris, Rn. 60; OVG NRW, Beschluss vom 16. Juli 2014 - 18 B 697/14 -, juris, Rn. 2.
47Bis zur Aufhebung der Urteile des Verwaltungsgerichts N. sowie des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. August 2015 war die angeordnete Entlassung des Klägers aus dem Dienst mit Verkündung des Urteils vom 11. September 2013 (vgl. § 90 DO NRW) demnach rechtskräftig. Weil diese aber rechtswidrig war, gilt für den Zeitraum der Entfernung aus dem Dienstverhältnis bis zur Wiederaufnahme des Dienstes, d. h. zwischen dem 11. September 2013 und dem 13. Dezember 2016, die oben genannte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Zwar war der Kläger entgegen § 19a Abs. 1 Satz 1 FrUrlV NRW nicht dienstunfähig an der Inanspruchnahme seines Erholungsurlaubes gehindert. Er konnte den Erholungsanspruch in diesem Zeitraum aber deshalb nicht realisieren, weil er rechtswidrig aus dem Dienst entfernt war. Wegen der Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme ist ihm auch ein Erholungsurlaubsanspruch entstanden, den zu nehmen er gehindert war.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juni 2020 - C-762/18 u. a. (Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria) -, juris, Rn. 78.
49Dagegen kann nicht angeführt werden, für den Zeitraum ab der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bis zur Wiederaufnahme des Dienstes, d. h. von dem 13. August 2015 bis einschließlich dem 13. Dezember 2016, sei – so wohl die Überlegung des Beklagten (vgl. Bl. 34 der Beiakte – Heft 5) – die Suspendierung wieder zu Leben erweckt worden. Denn nach dem vom Europäischen Gerichtshof formulierten Grundgedanken des Anspruches auf finanzielle Abgeltung bei rechtswidriger Beendigung des Arbeitsverhältnisses kommt es entscheidend darauf an, wann der Betroffene tatsächlich wieder seinen Dienst aufnimmt – oder wie in diesem Fall, wann er seinen Dienst wieder aufzunehmen hat –, nicht aber, wann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für unwirksam erklärt wird. Denn der Betroffene hätte in der gesamten Zeit bis zu seiner Wiederaufnahme des Dienstes einen Anspruch auf Erholungsurlaub erworben, den es nunmehr abzugelten gilt. So liegt die Sache auch hier. Hätte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen bereits am 11. September 2013 unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben entschieden, wäre der Kläger nicht aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden, d. h. hätte ab dem 12. September 2013 seinen Dienst wieder aufnehmen können. Dass dies erst am 14. Dezember 2016 erfolgen konnte, liegt darin, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen aufgrund der Verfassungswidrigkeit seines Urteils vom 11. September 2013 erneut über die Sache hat entscheiden müssen. Dies kann aber nicht dem Kläger angelastet werden.
50Aus der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ergibt sich zudem, dass der Anspruch auf finanzielle Abgeltung unabhängig von den Verfallsregelungen gilt. Denn der Gerichtshof formuliert ausdrücklich, dass der Anspruch auf finanzielle Abgeltung für den Zeitraum zwischen dem Tag der rechtswidrigen Entlassung und dem Tag der aufgrund der Nichtigkeitserklärung erfolgten Wiederaufnahme seiner Beschäftigung erworben hat, nicht ausgeschlossen werden darf. Weitere Voraussetzungen für den Abgeltungsanspruch oder etwaige Einschränkungen desselben werden gerade nicht formuliert. Demnach steht dem Betroffenen nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit nach Aufhebung einer rechtswidrigen Entlassung der Anspruch auf finanzielle Abgeltung unbedingt zu.
51Vgl. aber VG Freiburg, Urteil vom 9. Oktober 2020 - 5 K 303/19 -, juris, Rn. 49, das von „Hemmung“ der Verfallslaufzeiten spricht.
52Hierfür spricht auch die Betrachtung der übrigen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entwickelten Grundsätze zum Verfall von Erholungsurlaubsansprüchen. Nach diesen ist in den Fällen, in denen der Beamte seinen Erholungsurlaubsanspruch nicht realisieren konnte, ein Verfall des Anspruches grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahme wird nur bei besonderen Umständen bejaht, etwa wenn der Beamte durchgängig dienstunfähig erkrankt ist oder aber der Dienstherr den Beamten durch den Hinweis auf den Verfall tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen.
53Vgl. EuGH, Urteile vom 22. November 2011 - C-214/10 (KHS) -, juris (durchgängige Erkrankung), und vom 6. November 2018 - C-619/16 (Kreuziger) -, juris (Hinweis des Dienstherrn).
54Solche, den Verfall von Erholungsurlaubsansprüchen ausnahmsweise legitimierenden besonderen Umstände sind hier aber gerade nicht ersichtlich. Durch sein rechtswidriges Verhalten ist der Dienstherr auch nicht schutzwürdig.
55Vor diesem Hintergrund ist § 19 Abs. 2 FrUrlV NRW auch dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass das Institut des Verfalles für solche Erholungsurlaubsansprüche keine Beachtung findet, die in einem Zeitraum rechtswidriger Beendigung des Dienstverhältnisses entstanden sind.
564.
57Auch für den Zeitraum vom 14. bis 31. Dezember 2016 steht dem Kläger ein finanzieller Abgeltungsanspruch zu – und damit unter Berücksichtigung des Vorgenannten für das gesamte Jahr 2016. Denn in diesem Zeitraum war der Kläger dienstunfähig erkrankt und konnte auch deshalb den Erholungsurlaub nicht in Anspruch nehmen.
58Zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses am 31. Dezember 2018 war dieser Anspruch entgegen § 19 Abs. 2 FrUrlV NRW auch nicht verfallen. Das Institut des Verfalles findet hier Anwendung, weil es nicht um Erholungsurlaub im Zusammenhang mit einer rechtswidrigen Beendigung des Dienstverhältnisses geht. Nach der Vorschrift wäre der Urlaub aus 2016 auch an sich zum 31. März 2018 verfallen. Es ist vorliegend auch nicht die vom Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegte Frage betroffen, ob und unter welchen Bedingungen Urlaubsansprüche verfallen, die aus einem Jahr stammen, in dem der Betroffene teilweise dienstfähig und teilweise dienstunfähig war.
59Vgl. dazu BAG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 -, juris.
60Denn der Kläger war im Jahr 2016 zwar nur teilweise krankheitsbedingt dienstunfähig, im Übrigen aber nicht dienstfähig, sondern (rechtswidrig) aus dem Dienstverhältnis entfernt. Er war daher das gesamte Jahr 2016 nicht in der Lage, Erholungsurlaub zu nehmen. Diese Fallgestaltung bedarf aus den nachfolgenden Gründen auch keiner weiteren Klärung durch den Europäischen Gerichtshof.
61Einem Verfall steht vorliegend zunächst nicht die Regelung des § 19 Abs. 6 FrUrlV NRW in der Fassung der Verordnung vom 6. Oktober 2020, in Kraft getreten am 22. Oktober 2020, entgegen. Danach setzt der Verfall des Urlaubsanspruches voraus, dass der Dienstherr zu Beginn eines Kalenderjahres über den ersatzlosen Verfall noch vorhandenen Urlaubsanspruches belehrt. Zwar ist diese Vorschrift ohnehin erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens eines möglichen Abgeltungsanspruchs in Kraft getreten und daher auf den vorliegenden Fall bereits deshalb nicht anwendbar. Denn die Regelung ist erst zum 22. Oktober 2020 in Kraft getreten und damit nach dem Zeitpunkt des Entstehens eines möglichen Abgeltungsanspruchs mit Eintritt des Klägers in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Dezember 2018.
62Allerdings stellt sie die Umsetzung einer Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dar, die unabhängig von der nationalen Regelungssituation gilt und damit bei richtlinienkonformer Auslegung des § 19 Abs. 2 FrUrlV NRW auch uneingeschränkt in Gestalt einer unionsrechtskonformen Anwendung bei früheren Rechtslagen zu berücksichtigen ist.
63Vgl. zu dieser Rechtsprechung EuGH, Urteile vom 6. November 2018 - C-619/16 (Kreuziger) -, juris, Rn. 24 ff. , 52; und C-684/16 (Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften) -, juris, Rn. 18 ff. , 45.
64Nach dieser Judikatur kann ein Verfall des Urlaubsanspruches nur dann eintreten, wenn die dienstvorgesetzte Stelle von Amts wegen dem Beamten zu Beginn eines jeden Kalenderjahres den vorhandenen Urlaubsanspruch nach der Freistellungs- und Urlaubsverordnung in Textform mitteilt und zur rechtzeitigen Beantragung und Inanspruchnahme des Urlaubs auffordert, sowie für den Fall der Nichtinanspruchnahme über den ersatzlosen Verfall nach Absatz 2 belehrt. Wird die Mitteilungspflicht nicht oder unvollständig erfüllt, tritt nicht beanspruchter Mindesturlaub nach § 19a Abs. 1 Satz 1 FrUrlV NRW entsprechend dieser Rechtsprechung am Ende des Übertragungszeitraums nach Absatz 2 Satz 1 zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu beziehungsweise wird zum Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses entsprechend dem Verfahren nach § 19a finanziell abgegolten. Die Sätze 1 bis 3 gelten entsprechend für den Zusatzurlaubsanspruch nach § 208 Absatz 1 Satz 1 SGB IX.
65Von daher ist § 19 Abs. 2 FrUrlV NRW in den Fällen wie hier, in denen § 19 Abs. 6 FrUrlV NRW noch keine Anwendung findet, grundsätzlich richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass dieser nur dann Wirkung entfaltet, wenn der insoweit beweisbelastete Dienstherr den Nachweis erbringt, dass er vorab dafür gesorgt hat, dass der Beamte als Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm, damit sichergestellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Beamtenverhältnisses, wenn dies in einen solchen Zeitraum fällt, verfallen wird.
66Vgl. EuGH, Urteile vom 6. November 2018 - C-619/16 (Kreuziger) -, juris, Rn. 52, und C-648/16 (Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften) -, juris, Rn. 45.
67In den Fällen, in denen eine solche Belehrung nicht erfolgt ist, liegen in der Regel die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geforderten besonderen Umstände, die zum Entfallen des Urlaubsanspruchs in Fällen fortdauernder Dienst- bzw. Arbeitsunfähigkeit führen können, auch nach Ablauf der vorstehend dargestellten zulässigen Übertragungszeit von 15 Monaten nicht vor.
68Vgl. BAG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 -, juris, Rn. 17; Urteil vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 541/15 -, juris, Rn. 21 ff; Urteil vom 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 -, juris.
69Danach bestehen die Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Dienstherrn regelmäßig auch, wenn und solange der Beamte dienstunfähig ist. Sie können ihren Zweck grundsätzlich erfüllen, weil sich die Dauer der Erkrankung nicht von vornherein absehen lässt. Dem Dienstherrn ist es regelmäßig möglich, den dienstunfähigen Beamten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben rechtzeitig und zutreffend über den Umfang und die Befristung des Urlaubsanspruchs unter Berücksichtigung des bei einer langandauernden Erkrankung geltenden Übertragungszeitraums zu unterrichten. Der Dienstherr ist in den Fällen einer Erkrankung in der Regel nicht gehindert, den Beamten rechtzeitig aufzufordern, den Urlaub bei Wiedergenesung vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zur Vermeidung des Verfalls so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums gewährt und genommen werden kann, so dass der Beamte ab dem ersten Arbeitstag nach seiner Wiedergenesung Urlaub in Anspruch nehmen kann.
70Vgl. BAG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 -, juris, Rn. 21.
71Dabei ist auch eine Ausnahme von der Hinweisobliegenheit des Dienstherrn, den die erkennende Kammer in Übereinstimmung mit dem Bundesarbeitsgericht in den Fällen durchgängiger, d. h. während des Bezugs- sowie Übertragungszeitraums andauernder Dienstunfähigkeit bejaht, weil ein Hinweis auf den Verfall dann nicht mehr seinen Zweck erfüllt,
72vgl. VG Gelsenkirchen, Urteile vom 25. Mai 2022 - 1 K 4003/20 sowie 1 K 2881/21 -; BAG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 -, juris, Rn. 17,
73hier nicht angezeigt. Denn der Kläger war im Hinblick auf das Urlaubsjahr 2016 nicht durchgängig dienstunfähig erkrankt. Bis einschließlich 13. Dezember 2016 ist er aus den benannten Gründen so zu behandeln, als wäre er im Dienst gewesen und der Anspruch auf Erholungsurlaub entstanden. Überdies war er im Übertragungszeitraum teilweise, genauer zwischen dem 25. Februar und 31. März 2017, nicht dienstunfähig erkrankt. Dass in diesem Fall der Hinweis auf den Verfall seinen Zweck zu erfüllen vermochte, zeigt sich auch gerade daran, dass der Kläger in dem Zeitraum bestehender Dienstfähigkeit nach entsprechender Auskunft seines Dienstherrn seinen noch bestehenden Erholungsurlaub in Anspruch genommen hat. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer keinen Anlass, für die hiesige Konstellation eine Ausnahme von der bestehenden Hinweisobliegenheit des Dienstherrn anzunehmen.
74Danach bestand grundsätzlich auch im vorliegenden Fall eine Pflicht des Dienstherrn, den Kläger über den anstehenden Verfall seines – krankheitsbedingt nicht genommenen Urlaubs – zu informieren. Dabei obliegt es dem Beklagten nachzuweisen, dass er seine Informations- und Belehrungsobliegenheiten erfüllt hat.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2018 - C-619/16 (Kreuziger) -, juris, Rn. 53.
76Dem ist der Beklagte hier indes nicht hinreichend nachgekommen. Soweit er darauf verweist, es habe im Hausintranet entsprechende Informationen zur Verfügung gestellt, genügt dies nicht. Nicht nur, dass es an einer zum Zwecke der Substantiierung erfolgten Vorlage eines maßgeblichen Exemplars der zur Verfügung gestellten Informationen mangelt, ergibt sich bereits aus dem Vortrag des Beklagten selbst, dass es sich hier nur um allgemeine und nicht auf den konkreten Beamten und das konkrete Urlaubsjahr bezogene Informationen gehandelt hat. Der Dienstherr hat aber den konkreten Beamten in die Lage zu versetzen, seinen – insoweit konkret zu beziffernden – noch offenstehenden Anspruch auf Erholungsurlaub zu realisieren.
77Auch die schriftliche Information des Beklagten vom 10. Januar 2017 (Bl. 35 der Beiakte – Heft 4) genügt nicht. Zwar wird auf einen Verfall hingewiesen. Dieser betrifft aber ausdrücklich nur den aus dem Jahr 2015 stammenden Urlaub. Im Hinblick auf das Urlaubsjahr 2016 wird lediglich darüber informiert, dass ein Anspruch noch auf 30 Tage bestehe. Der Verfall wird weder allgemein noch in Bezug auf ein konkretes Eintrittsdatum dargelegt. Demnach ist der Beklagte seiner Hinweisobliegenheit nicht nachgekommen, mit der Folge, dass der Urlaub aus dem Dezember 2016 nicht verfallen ist.
785.
79Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger in der Zeit vom 12. September 2013 bis zum 31. Dezember 2016 Anspruch auf Erholungsurlaub entstanden, den es vom Beklagten finanziell abzugelten gilt.
80Hinsichtlich der Höhe ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich sowohl § 19a FrUrlV NRW als auch Art. 7 RL 2003/88/EG ausschließlich auf einen Mindesturlaub in Höhe von vier Wochen bzw. 20 Tagen beziehen. Der Europäische Gerichtshof hat hervorgehoben, dass Art. 7 RL 2003/88/EG sich auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz beschränkt. Es sei Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie den Beamten weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren. Deshalb sind Urlaubstage, die über den nach Art. 7 RL 2003/88/EG unionsrechtlich gewährleisten Mindesturlaub hinausgehen, nicht vom unionsrechtlichen Urlaubsanspruch umfasst, sondern unterliegen ausschließlich den nationalen Regelungen.
81Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Mai 2012 - C-337/10 (Neidel) -, juris, Rn. 35 ff. ; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 2 C 10. 12 -, juris, Rn. 18.
82Der nationale Gesetzgeber hat sich dabei aber – wie § 19a FrUrlV NRW zeigt – auf den Mindesturlaub beschränkt und einen weitergehenden Abgeltungsanspruch nicht eröffnet.
83a) Für das Jahr 2013 bedarf es dabei einer anteiligen Berechnung nach § 18 Abs. 3 FrUrlV. Danach besteht ein Urlaubsanspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat der Dienstzugehörigkeit, wobei von einem vollen Monat auszugehen ist, wenn das Beamtenverhältnis am ersten regelmäßigen Werktag eines Monats beginnt beziehungsweise am letzten regelmäßigen Werktag eines Monats endet. Demnach besteht für das Jahr 2013 ein Urlaubs- und damit Abgeltungsanspruch nur für die Monate Oktober bis Dezember, mithin in Höhe von (20 : 12 x 3 =) 5 Tagen.
84b) Für die Jahre 2014, 2015 und 2016 ist dem Kläger der Anspruch auf Mindesturlaub jeweils in voller Höhe entstanden, mithin insgesamt 60 Tagen.
85Einschränkend ist aber zu berücksichtigen, dass der Kläger vom 25. Februar bis zum 31. März 2017, mithin 25 Tage, Erholungsurlaub in Anspruch genommen hat. Soweit dies den für 2017 zustehenden Mindesturlaub übersteigt (fünf Tage), ist dieser „Überschuss“ auf den Mindesturlaub der Vorjahre anzurechnen, so dass dem Kläger für die Jahre 2014, 2015 und 2016 nur ein Abgeltungsanspruch in Höhe von 55 Tagen zusteht.
86Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Berechnung der dem Beschäftigten zustehenden Urlaubstage im Rahmen der Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG nach dem Zweck dieser Norm zunächst nur darauf ankommt, ob und wie viel Urlaub der Betreffende im konkreten Jahr genommen hat. Unerheblich ist, ob es sich dabei um neuen oder um alten, also aus dem vorangegangenen Urlaubsjahr übertragenen Urlaub gehandelt hat. Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG möchte allein sicherstellen, dass der betroffene Arbeitnehmer im betroffenen Jahr den erforderlichen Mindesturlaub nimmt. Auf den Rechtsgrund des genommenen Urlaubs kommt es dabei nicht an.
87Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 2 C 10. 12 -, juris, Rn. 23; OVG NRW, Urteil vom 3. Juni 2015 - 6 A 2326/12 -, juris, Rn. 67 ff; VG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2021 - 2 K 3079/19 -, juris, Rn. 51 ff.
88Dies bedeutete für den vorliegenden Fall, dass der Kläger, da er nur im Jahr 2017 Urlaub genommen hat, für die früheren Jahre noch den vollen Anspruch auf Mindesturlaub hätte. Dass der im Jahr 2017 in Anspruch genommene Urlaub offiziell als aus dem im Jahr 2015 entstandenen Urlaubsanspruch gewertet wurde, spielt nach Besagtem keine Rolle.
89Einschränkend wird allerdings in der Rechtsprechung angenommen, dass Mindesturlaub des laufenden Jahres nicht die Urlaubstage sein können, die Mindesturlaub des vorangegangenen Jahres sind. Ohne dass es einer genauen Zuordnung zum laufenden oder vorangegangenen Urlaubsjahr bedarf, sollen Urlaubstage daher noch dem Vorjahr zugeordnet werden können, wenn der Mindesturlaub des Vorjahres noch nicht eingebracht wurde. Von daher kann nicht genommener Mindesturlaub aus dem Vorjahr durch über den Mindesturlaub hinausgehenden Urlaub im Folgejahr als ausgeglichen betrachtet werden.
90Vgl. VG Regensburg, Urteil vom 10. Oktober 2014 - RN 1 K 13. 1973 - juris Rn. 52; VG München, Urteil vom 24. März 2021 - M 21a K 19. 532 -, juris, Rn. 31; VG Bayreuth, Urteil vom 14. Juli 2020 - B 5 K 19. 285 -, juris, Rn. 28.
91Dem schließt sich das erkennende Gericht an. Denn in den Fällen, in denen – wie hier – in einem Jahr (2016) weniger (kein), im Folgejahr (2017) aber deutlich mehr als der dem Betroffenen zustehenden Mindesturlaub genommen wird, besteht kein Anlass, den Beamten zu schützen, weil er bei Gesamtbetrachtung den ihm zustehenden und unionsrechtlich vermittelten (Mindest-)Urlaub erhalten hat. Andernfalls könnte ein Arbeitnehmer bzw. Beamter seinen Anspruch auf Mindesturlaub regelmäßig beinahe verdoppeln, indem er in einem Jahr nahezu gar keinen Urlaub nimmt, diesen im Folgejahr aber nachholt, aber gleichwohl weiterhin Anspruch auf die Differenz aus dem Mindesturlaub und dem tatsächlich genommenen Urlaub aus dem Vorjahr erhält. Zweck der RL 2003/88/EG ist es letztlich „nur“, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden Mindesterholungsurlaub in Anspruch zu nehmen, und ihn vor einem voraussetzungslosen Verlust seines Urlaubsanspruches zu bewahren. Wie der Arbeitnehmer bzw. Beamte den ihm zustehenden Mindesturlaub aber einsetzt, kann ihm dabei selbst überlassen bleiben. Von daher stellt der Europäische Gerichtshof auch tatsächlich darauf ab, ob der betroffene Beamte seinen Erholungsurlaub nicht zwangsweise im selben Urlaubsjahr, sondern unter anderem während des gesamten Übertragungszeitraumes, d. h. bis zu dem nach nationaler Regelung eintretenden Verfall, in Anspruch genommen hat.
92Vgl. etwa EuGH, Urteile vom 22. November 2011 - C-214/10 (KHS) -, juris, Rn. 25 ff. , und vom 20. Januar 2009 - C-350/06 u. a. (Schultz-Hoff) -, juris, Rn. 41 ff.
93Dies steht auch mit dem Zweck des Erholungsurlaubs im Einklang. Erholungsurlaub soll einerseits der Erholung von verrichteter Arbeitsleistung, anderseits der Gewährleistung eines Zeitraumes für Entspannung und Freizeit dienen.
94Vgl. EuGH, Urteile vom 22. November 2011 - C-214/10 (KHS) -, juris, Rn. 31, und vom 20. Januar 2009 - C-350/06 u. a. (Schultz-Hoff) -, juris, Rn. 25.
95Diese beiden Zwecke werden aber auch dann erreicht, wenn der betroffene Beamte seinen Mindesturlaubsanspruch jedenfalls innerhalb des gesamten Bezugs- und Übertragungszeitraumes realisiert. Ein in einem Jahr über den Mindesturlaub hinausgehender, tatsächlich genommener Urlaub kann demnach auch unter Wahrung der Zwecke des Erholungsurlaubes entsprechende Defizite beim Mindesturlaub aus den Vorjahren ausgleichen können. Der Beamte ist nicht verpflichtet, seinen gesamten Mindesturlaub gleich in demselben Urlaubsjahr zu nehmen. Es kommt vielmehr darauf an, ob er seinen Erholungsurlaub während des gesamten Zeitraumes, d. h. im Urlaubsjahr und im Übertragungszeitraum, in Anspruch genommen hat.
96Vgl. die gleiche Wertung des OVG NRW, Urteil vom 3. Juni 2015 - 6 A 2326/12 -, juris, Rn. 84.
97Dies widerspricht auch nicht der vom Bundesverwaltungsgericht angenommenen jahresspezifischen und rechtsgrundlosen Betrachtung des Erholungsurlaubes. Denn ob die Anzahl der in einem Jahr genommenen Tage an Erholungsurlaub frühere Defizite ausgleicht, ist keine Frage nach dem Rechtsgrund genommenen Erholungsurlaubes, sondern allein nach dessen Höhe. Insoweit wird in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht weiterhin nicht gefragt, ob der Anspruch auf den genommenen Urlaub letztlich im Vor- oder gar Vorvorjahr entstanden ist. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob der unionsrechtlich garantierte Mindesturlaub vor seinem Verfall gewährt wurde oder nicht.
98Angesichts dessen sind für das Jahr 2016 fünf Tage als genommen zu werten. Es sind demnach für den gesamten Zeitraum (2013 bis 2016) 60 Tage abzugelten.
996.
100Ein hierüber hinausgehender Anspruch steht dem Kläger auch nicht auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG zu.
101Aus dieser Vorschrift ergibt sich über das nationale Recht hinaus unmittelbar ein Abgeltungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer bzw. Beamte nicht die Möglichkeit hatte, den ihm zustehenden Mindesturlaub in Anspruch zu nehmen.
102Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. April 2017 - 6 A 1084/15 -, juris, Rn. 16.
103Im Streitfall gewährt Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG jedoch keine über die nationalen Bestimmungen hinausgehenden Ansprüche, da dessen Voraussetzungen in den entscheidungserheblichen Punkten identisch sind. Dies zugrunde gelegt kann der Kläger aus Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG im Streitfalle keine weitergehenden Rechte ableiten, als aus § 19a FrUrlV NRW. Zur weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die bereits zu § 19a FrUrlV NRW erfolgten Ausführungen verwiesen.
104Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Zugunsten des Klägers unterstellt, die von ihm begehrte Abgeltung umfasse nur jeweils den Mindesturlaub, für den Zeitraum zwischen 2001 und 2016 insgesamt mithin 320 Tage, unterliegt der Kläger im Hinblick auf knapp 80 %.
105Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf den Verfall von Erholungsurlaubsansprüchen in Zeiten einer Suspendierung grundsätzliche Bedeutung hat.
106Rechtsmittelbelehrung:
107Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1081. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1092. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1103. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1114. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1125. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
113Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
114Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
115Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.