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1. Der Anwendungsbereich des § 52 BHKG ist von vorne herein nur eröffnet, wenn der Einsatz der Feuerwehr im konkreten Fall im Rahmen der ihr nach § 1 Abs. 1 BHKG obliegenden Aufgaben erfolgt ist. Dient das Tätigwerden der Feuerwehr der Durchsetzung von Maßnahmen auf Grundlage der Landesbauordnung, liegt hierhin kein Einsatz nach dem BHKG.
Der Anwendungsbereich des Kostentatbestandes in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKGist nochmals enger gefasst und bezieht sich ausschließlich auf Einsätze der Feuerwehr zum abwehrenden, nicht vorbeugenden Brandschutz.
3. Eine Gefahrenlage im Sinne des BHKG liegt nur vor, wenn eine konkrete Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch eines Schadfeuers besteht. Gefahrenlagen, die alleine aus Widersprüchen baulicher Anlagen gegen Vorgaben der Landesbauordnung hervorgehen, begründen wegen der unterschiedlichen Zweckrichtung beider Gesetze keine Gefahrenlage im Sinne des BHKG.4. Zur Annahnme eines grob fahrlässigen Handelns nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BHKG bedarf es konkreter Feststellungen zur subjektiven Seite des konkret in Betracht gezogenen Gefahrenverursachers. Die bloße Feststellung eines objektiv pflichtwidrigen Verhaltens genügt hingegen nicht. Richtet sich der Anspruch gegen eine juristische Person, ist auf deren vertretungsbefugte Organe, im Fall einer GmbH auf deren Geschäftsführer abzustellen.
Der Kostenbescheid der Beklagten vom 10. Januar 2019 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen einen Kostenbescheid der Beklagten, mit dem diese Kosten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer Feuerwehr zur Räumung des sogenannten I. -II-Komplexes am 21. September 2017 in E. -E1. geltend macht.
3Die Klägerin war ab 2012 bis zum Mai 2021 Eigentümerin des Grundstücks W. - 12 bis 26 in E. -E1. , das mit dem vorgenannten I. -II-Komplex bebaut ist. Das Eigentum hatte sie zuvor im Wege der Zwangsversteigerung erworben. Das Grundstück ist mit acht in den 1970er Jahren erbauten, aneinandergereihten und für sich selbstständigen Terrassenwohnhäusern mit 11 bis 17 Geschossen bebaut. Zuletzt verfügte der Komplex über etwa 410 Wohnungen und war (Stand September 2017) von ca. 800 dort gemeldeten Personen bewohnt. Die einzelnen Wohnhäuser sind durch eine gemeinsame Tiefgarage miteinander verbunden.
4Zuvor letztmals am 7. Dezember 2013 hatte eine Brandschau in dem Komplex stattgefunden. Im Rahmen einer Nachschau am 19. Mai 2015 bestätigte die Feuerwehr der Klägerin nachfolgend „Mängelfreiheit“. Am 29. August 2017 fand infolge einer Anwohnerbeschwerde eine erneute Brandverhütungsschau durch die Feuerwehr der Beklagten statt. Diese betraf sowohl die Hochhäuser als auch deren gemeinsame Tiefgarage. Hierbei stellten die Bediensteten der Feuerwehr ausweislich zwei an das Bauordnungsamt der Beklagten gerichteten Aktenvermerken vom 29. und 30. August 2017 zahlreiche bauordnungsrechtliche brandschutztechnische Mängel und Brandlasten fest. Wegen der näheren Einzelheiten hierzu wird auf die im beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bauordnungsamtes befindlichen Vermerke Bezug genommen. Insoweit ging die Feuerwehr aus brandschutztechnischer Sicht davon aus, dass von diesen Mängeln eine erhebliche Gefahr ausginge. Man bat daher das Bauordnungsamt, die Mängel „im Rahmen seiner Zuständigkeit“ zu bearbeiten.
5Nach einer zunächst innerhalb des Bauordnungsamtes erfolgten baurechtlichen Überprüfung der Anlage fand am 19. September 2017 eine Begehung der Örtlichkeiten durch Mitarbeiter des Bauordnungsamtes unter Beteiligung der Feuerwehr, der Wohnungsaufsicht und eines Mitarbeiters der von der Klägerin mit der Hausverwaltung betrauten J. Q. Management GmbH statt. Ausweislich weiterer hierzu angefertigter Aktenvermerke bestätigten sich aus Sicht des Bauordnungsamtes im Rahmen der Begehung zahlreiche der bereits zuvor festgestellten baurechtlichen Verstöße. Hieraus ergäben sich auch starke Zweifel am Bestandschutz der Wohnhäuser.
6In einem Vermerk vom 20. September 2017 hielt das Bauordnungsamt hierzu u.a. Folgendes fest: Bereits am 29. August 2017 habe die Feuerwehr eine Brandverhütungsschau für das Wohnhochhaus einschließlich der Tiefgarage durchgeführt. In dem hierzu gefertigten Bericht seien zahlreiche wesentliche Mängel beschrieben worden, die nach Einschätzung der Feuerwehr eine erhebliche Gefahr darstellten. Die dort beschriebenen Mängel seien nachfolgend von der Bauaufsicht am 19. September 2017 nachvollzogen worden. Lediglich die Brandlasten in den Rettungswegen seien weitestgehend entfernt worden. Über die bestätigten Mängel hinaus seien noch weitere Mängel festgestellt worden. So seien notwendige Flure formell illegal verändert worden. Aus ehemaligen Flurerweiterungen seien Räume wie z.B. Waschmaschinenräume gebildet worden. In jedem Geschoss seien neue Technikräume hergestellt worden. Durch die veränderte Ausführung der Flure habe sich die Brandgefahr erhöht. Es werde so die natürliche Entrauchung verhindert. Diese können nur mit maschineller Unterstützung durch die Feuerwehr erfolgen, wobei davon auszugehen sei, dass keine wirksamen Maßnahmen zum Einsatz kommen könnten. Für die Tiefgarage fehlten die mechanische Abluftanlage und die erforderliche Brandmeldeanlage. Diese seien mit Auflage der Baugenehmigung gefordert worden. Sämtliche Stellplätze in der Tiefgarage seien formell und materiell illegal mit einzelnen Garagenboxen durch Lochwände abgetrennt. Innerhalb dieser Boxen befänden sich nicht unerhebliche Brandlasten. Daneben wurden in den Bericht noch zahlreiche weitere als gravierend eingestufte Mängel festgehalten. Aufgrund dieser Mängel und aufgrund der ohne Sachkenntnis ausgeführten Bauarbeiten bestünden Gefahren für Leib und Leben aller Bewohner des Wohnkomplexes. Der Bestandsschutz für die gesamte bauliche Anlage sei untergegangen. Es bestünden zudem drei mögliche Brandszenarien, die die Tiefgarage, den Keller, sowie die Wohnungen des Komplexes beträfen. Eine Weiternutzung des Wohnkomplexes mit Tiefgarage sei daher aufgrund der festgestellten Sach- und Rechtslage nicht mehr hinnehmbar.
7Dem nachfolgend entschied das Bauordnungsamt, dass als einzige Maßnahme zur Abwendung von Gefahren für Leib und Leben der Bewohner die sofortige Räumung des Gebäudes unumgänglich sei. Hierzu wurde am 21. September 2017 um 8:00 Uhr von Seiten der Beklagten unter Führung des Bauordnungsamtes ein Krisenstab eingerichtet. Im entsprechenden Einsatztagebuch der Feuerwehr ist hierzu u.a. Folgendes festgehalten:
821.09.2017
912:29:59
10Ausgangslage:
11Gravierende brandschutzrechtliche Mängel nach Brandschau. Bauordnungsamt hat die Räumung des Gebäudes angeordnet.
12[…]
1312:52:24
14[…]
15Struktureller Aufbau?
16Antwort von Herrn B.
17– allgemeine Führung liegt beim Bauamt
18- Unterbringung liegt die Führung beim Sozialamt
19– 37 unterstützt
20- Ämter in Krisenstab
21- Feuerwehrstab nur Unterstützung
22[…]
23Was soll durch die Feuerwehr geleitet werden
24- Logistik, Transport (Presse) Betreuung zur Abklärung
25[…]
2613:55:46
27[…]
28Auftrag vom Krisenstab:
29- Zentrale Anlaufstelle mit Übernachtungsmöglichkeit und Verpflegung
30- Installation eines Informationspunkt
31- PSNV mit 2-4 Personen
32- Betreuungseinheit
33- 24 h-Ansprechpartner von der Abteilung VB
34- 50-70 Kräfte der Feuerwehr zur Unterstützung der Räumung
35Daneben sind in dem Einsatztagebuch zahlreiche weitere Einträge zur Vorbereitung und Logistik der bevorstehenden Räumung des Gebäudekomplexes vermerkt.
36Um 14:00 Uhr desselben Tages fand ein Gespräch zwischen insbesondere Vertretern des Bauordnungsamtes und der J. Q. Management GmbH statt. Ausweislich eines hierüber gefertigten Vermerkes stellte der zuständige Baudezernent X. gegenüber dem Regionalleiter der Hausverwaltung Herrn T. zwischenzeitlich klar, dass es im Lichte der getroffenen Entscheidung müßig sei, über das „Ob“ zu diskutieren. Es gehe nur noch um das „Wie“ einer Räumung. Die Sicherheitskräfte der Polizei, der Feuerwehr und des Ordnungsamtes und andere Behörden seien bereits aktiviert worden und könnten in die Ersatzvornahme eintreten. Eine eigene Räumung durch die Eigentümerin werde nicht angeboten. Im Rahmen des Gespräches wurde Herrn T. auch ein u. a. an die Klägerin adressiertes Schreiben vom selben Tag überreicht, wonach die Sach- und Rechtslage eine sofortige Räumung der baulichen Anlage „in der Ersatzvornahme in Sofortvollzug“ erfordere. Es sei nämlich festgestellt worden, dass eine Weiternutzung der baulichen Anlage aufgrund der Brandschutzmängel (Verstoß gegen § 17 BauO NRW und entsprechende Vorschriften in den Sonderbauvorschriften) nicht mehr möglich und die bauliche Anlage u. a. aufgrund von illegal durchgeführten Eingriffen in Rettungswege nicht mehr im Bestand geschützt sei.
37Nachdem sich Herr T. bis 17:00 Uhr nicht mehr gemeldet hatte, entschloss sich die Beklagte dazu, die Räumung des Wohnkomplexes einzuleiten. Nachfolgend wurde das Wohngebäude von der Beklagten vollständig geräumt. Die Bewohner wurden, soweit sie angetroffen wurden, mündlich über „die Nutzungsuntersagung“ informiert und dazu veranlasst, das Gebäude zu verlassen. Des Weiteren wurde veranlasst, dass Bewohner des Komplexes diesen nur noch nach vorheriger Anmeldung und in Begleitung eines Sicherheitsdienstes betreten durften. Zugleich richtete die Feuerwehr bis einschließlich 23. Oktober 2017 Brandsicherheitswachen in der Nähe des Gebäudekomplexes ein und war vor Ort sowohl mit Personal als auch Einsatzfahrzeugen präsent. Wegen des Umfangs an Materialeinsatzes wird auf entsprechende Aufstellungen im Verwaltungsvorgang Bezug genommen. Einige der evakuierten Anwohner wurden zudem zwischenzeitlich in der I1. -Halle, die die Beklagte für drei Tage angemietet hatte, untergebracht und entsprechend versorgt.
38Mit Bescheid vom 11. Oktober 2017 bestätigte die Beklagte ihre auf § 61 Abs. 2 Satz 2 BauO NRW gestützte Nutzungsuntersagung gegenüber der Klägerin schriftlich unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Zur Begründung verwies sie im Kern auf zahlreiche Verstöße gegen namentlich brandschutzrechtliche Vorgaben der Landesbauordnung. Die baurechtliche Nutzungsuntersagung war zuletzt Gegenstand im Verfahren 10 K 10512/17 vor dem erkennenden Gericht bzw. ist derzeit Gegenstand im entsprechenden Berufungszulassungsverfahren am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
39Am 23. Oktober 2017 übertrug die Beklagte der Klägerin die Sachherrschaft über den Komplex mit der Maßgabe zurück, dass die am 21. September 2017 mündlich ausgesprochene und mit Bescheid vom 11. Oktober 2017 schriftlich bestätigte Nutzungsuntersagung weiterhin gelte.
40Im nachfolgenden Zeitraum wandte sich die Beklagte mit der Bitte um Prüfung möglicher Kostenerstattungsansprüche an ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten. In einer rechtlichen Stellungnahme vom 23. Januar 2018 hielt dieser hierzu im Wesentlichen Folgendes fest:Im Zuge der Geltendmachung der Kosten des Verwaltungszwangs griffen gebührenrechtliche Tatbestände nicht ein. Das Verschließen und Versiegeln einer baulichen Anlage werde als Anwendung unmittelbaren Zwangs eingeordnet und stelle folglich keine gebührenträchtige Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustandes dar. Auch ließe sich der Vorgang nicht als „Zwangsräumung“ i. S. d. Verwaltungsvollstreckungsgesetzes einordnen. Auch eine Geltendmachung „eigener Personalkosten über den Auslagenersatz“ gestalte sich als sehr schwierig. Im Ausgangspunkt scheide eine Kostenerstattung aus, weil der allgemeine Verwaltungsaufwand im Grundsatz durch die Gebührentatbestände des § 77 Abs. 2 VwVG NRW abgedeckt werde. Möglicherweise könnten die eigenen Personalkosten im Wege des Auslagenersatzes aber in solchen Fällen in Betracht kommen, in denen die Behörde selbst über das normale Maß hinaus tätig werden müsse. Hierbei handle es sich indes um eine offene Rechtsfrage.
41Ein Kostenersatz ließe sich indes im Hinblick auf den Einsatz der Feuerwehr nach dem BHKG annehmen. Insoweit komme eine Kostenerhebung nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BHKG in Betracht. Es habe sich nämlich um eine Maßnahme im Brandschutz gehandelt, wozu nach hier vertretener Auffassung auch ein Tätigwerden in einer konkreten, akuten und erheblichen Gefahrenlage zähle, das nicht in der Bekämpfung eines Schadfeuers bestehe. Dieses Tätigwerden könne auch eine bloße Anwesenheit der Feuerwehr umfassen, wenn dies nötig sei, um im Brandfall schnell eingreifen zu können. Der Begriff des Einsatzes im Sinne des § 52 BHKG sei weit auszulegen, ohne dass zwischen vorbeugendem und abwehrendem Brandschutz zu unterscheiden sei. Hierfür spreche, dass ein enges Verständnis in der gesetzlichen Vorschrift nicht zum Ausdruck komme. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber im Zuge der Neufassung des BHKG nunmehr den Passus „vorbeugende und abwehrende Maßnahmen bei Brandgefahren (Brandschutz)“ verwende, während im früheren FSHG noch der Begriff der „Bekämpfung von Schadfeuern“ beschrieben worden sei. Schließlich entspreche eine weite Auslegung auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Andernfalls müsse „die Feuerwehr, sofern es um den Kostenersatz geh(e), erst abwarten, bis sich eine erkannte Brandgefahr realisiert (habe), weil erst die Bekämpfung des Schadfeuers unter den weiteren Voraussetzungen des § 52 BHKG einen Kostenersatzanspruch auslösen (könne), die vorherige Entschärfung der Gefahr jedoch nicht“.
42Mit Schreiben vom 28. Juni 2018 hörte die Beklagte die Klägerin zum beabsichtigten Erlass eines Bescheides über den Kostenersatz für den Einsatz der Feuerwehr in der Zeit vom 21. September bis zum 23. Oktober 2017 an. Hierzu führte sie aus, dass die Klägerin die im Rahmen des Einsatzes entstandenen Kosten gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 der Satzung über die Erhebung von Kostenersatz und die Erhebung von Gebühren der Feuerwehr der Stadt E. (nachfolgend: Feuerwehrkostensatzung) zu erstatten habe. Aufgrund der gravierenden Verstöße gegen brandschutzrechtliche Vorschriften sei von dem Gebäude eine konkrete, akute und erhebliche Gefahrenlage ausgegangen. Es habe die Gefahr bestanden, dass sich ein ausbrechendes Feuer und die damit verbundene Rauchentwicklung schnell im Gebäude verbreiteten. In dem Gebäude habe sich, auch nach der Nutzungsuntersagung, eine Vielzahl von Menschen aufgehalten. Damit habe sich die Brandgefahr und ferner das Risiko, dass durch die bestehenden Mängel Rettungswege erschwert würden, erhöht. Diese Gefahrenlage habe das Tätigwerden der Feuerwehr erfordert. Die eklatanten Baumängel im betroffenen Gebäudekomplex seien der Klägerin bekannt gewesen. Diese seien von ihr nicht mit der erforderlichen Sorgfalt beseitigt worden. Damit habe sie grob fahrlässig gehandelt. Es sei daher beabsichtigt, der Klägerin die Kosten des Einsatzes in Höhe von insgesamt 327.406,78 € in Rechnung zu stellen.
43Diese Kosten teilten sich wie folgt auf:
44– Kostenansatz Personal: 187.883,40 €
45– Kosten Fahrzeuggestellung: 105.390,50 €
46– Leistung an Dritte: 34.132,88 €
47Die Leistungen an Dritte beinhalteten die Kosten für die Anmietung der I1. -Halle inklusive Sicherheitsdienste. Des Weiteren würden die Kosten für Verpflegung, Reinigung, Türschlösser, Feldbetten sowie Zahlung von Verdienstausfall für das eingesetzte Personal der Hilfsorganisation als Kostenersatz geltend gemacht.
48Mit Schreiben vom selben Tag hörte die Beklagte die Klägerin auch zum beabsichtigten Erlass eines Kostenbescheides über die Kosten der Vollstreckung der Nutzungsuntersagung an.
49Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 17. August 2018 nahm die Klägerin zu dem Anhörungsschreiben der Beklagten im Wesentlichen wie folgt Stellung:
50Die Beauftragung von Leistungen Dritter sei keine Maßnahme zur Erfüllung der ordnungspolizeilichen Aufgaben der Feuerwehr. Die Feuerwehr sei aufgrund der ihr zustehenden ordnungs- und polizeirechtlichen Befugnisse nicht zum Ergreifen solcher Maßnahmen ermächtigt.
51Sowohl § 3 Abs. 2 Satz 3 der Feuerwehrkostensatzung der Beklagten als auch die in Anlage 2 festgesetzten Kostentarife seien wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nichtig. Zudem lägen die satzungsrechtlichen Vorgaben auch nicht vor, weil keine einen Feuerwehreinsatz sowie die Hinzuziehung Dritter rechtfertigende Gefahr dargelegt sei. Es werde bestritten, dass von dem in Rede stehenden Gebäudekomplex eine konkrete, akute und erhebliche Gefahrenlage ausgegangen sei. Sie sei zudem die falsche Adressatin für den Bescheid, da sie nicht Verursacherin der in dem Anhörungsschreiben beschriebenen Umstände sei. Ihr könne auch kein Verhalten anderer im Wege einer Störerhaftung zugerechnet werden. Die maßgebliche Satzung nenne ausdrücklich und ausschließlich den Verursacher als potentiellen Kostenschuldner, nicht aber den Eigentümer als bloßen Zustandsstörer. Darüber hinaus treffe sie auch kein Verschulden, erst recht keine grobe Fahrlässigkeit. Auch seien weder der Einsatz der Feuerwehr noch die Hinzuziehung Dritter erforderlich gewesen. Schließlich könne der Bescheid bereits auch formell nicht rechtmäßig ergehen. Das Anhörungsschreiben lasse mangels hinreichender Konkretisierung nicht erkennen, wozu sie sich überhaupt äußern solle.
52Zunächst mit - hier nicht streitbefangenem - Leistungsbescheid vom 8. Januar 2019 setzte die Beklagte einen Betrag von 453.456,94 € gegenüber der Klägerin fest und forderte sie zur Zahlung auf. Diese Forderung stützte sie auf § 77 VwVG NRW und verwies im Kern darauf, dass es sich insoweit um Kosten der Vollstreckung der Nutzungsuntersagung handle. Die Kostenforderung umfasste dabei ganz überwiegend die Kosten für die Bereitstellung eines privaten Sicherheitsdienstes im Zeitraum bis zur Rückgabe des Komplexes an die Klägerin sowie daneben Personal- und Verpflegungskosten für die Mitarbeiter des Ordnungsamtes.
53Unter dem 10. Januar 2019 erließ die Beklagte den hier streitbefangenen Kostenbescheid und setzte die Kosten des Feuerwehreinsatzes auf 327.406,78 € fest. Zugleich forderte sie die Klägerin auf, den Betrag an sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheids zu zahlen.
54Zur Begründung verwies sie unter Wiederholung des zuvor bereits dargestellten Sachverhaltes im Wesentlichen auf Folgendes: Der Bescheid finde seine Ermächtigungsgrundlage in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG und § 2 Abs. 2 Nr. 1 der Feuerwehrkostensatzung. Bei dem in Rede stehenden Einsatz der Feuerwehr habe es sich um einen Einsatz nach § 1 BHKG gehandelt. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 BHKG habe die Feuerwehr zum Schutz der Bevölkerung vorbeugende und abwehrende Maßnahmen bei Brandgefahren zu gewährleisten. Es sei Aufgabe der Feuerwehr gewesen, vorbeugende Maßnahmen des Brandschutzes zu gewährleisten. Denn es habe eine akute brandrechtliche Gefahrenlage bestanden, die vom baulichen Gesamtzustand des Gebäudes, insbesondere der Tiefgarage, den Schächten und den Wohnungstüren sowie dem Zusammenwirken dieser Mängel ausgegangen sei und zu deren Abwehr und Beherrschung die Feuerwehr einzutreten habe. Dies entspreche der Auffassung der Rechtsprechung, wonach mit der Entstehung eines Brandes praktisch jederzeit gerechnet werden müsse. Die Gefahrenlage sei durch das Unternehmen der Klägerin und dessen zuständige Mitarbeiter zumindest grob fahrlässig herbeigeführt worden. Es sei allein schon der Sachverhaltsdarstellung zu entnehmen, dass die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden sei und dabei Überlegungen unterlassen und Verhaltenspflichten missachtet worden seien, die ganz naheliegend gewesen seien. Bereits beim Erwerb des Objektes im Wege der Zwangsversteigerung habe ein umfassendes Sachverständigengutachten vorgelegen, aus dem sich der bauliche Zustand des Gebäudes ergeben habe. Bis zur Räumung des Gebäudes habe die Klägerin es unterlassen, Abhilfe zu schaffen. Die Höhe der Kostenforderung ergebe sich aus den Kosten für das Einsatzpersonal, die Fahrzeuggestellung und die Leistungen an Dritte. Hinsichtlich des Einsatzpersonals sei flankierend zu der Räumung des Gebäudekomplexes der Einsatz der Feuerwehr erforderlich geworden. Eine Vielzahl von Einsatzkräften sei je nach Gefahrenlage vor Ort gewesen. Mit der Möglichkeit der Mieter, kurzfristig die Wohnung aufzusuchen, habe eine besondere Gefahr bestanden. Um bei der Vielzahl der evakuierten Personen einem Aufenthalt in der Einsatzstelle und daraus resultierenden Gefahren vorzubeugen, sei es erforderlich gewesen, über einen kurzfristigen Zeitraum von insgesamt drei Tagen eine Unterbringung für diese Personen zu ermöglichen. Hierzu sei die I1. -Halle angemietet worden.
55Im Rahmen des ihr zukommenden Ermessens sei sie, die Beklagte, durch die allgemeinen Haushaltsgrundsätze des Kommunalrechts im Grundsatz verpflichtet, ihr durch ein Spezialgesetz eingeräumte Kostenersatzansprüche geltend zu machen. Gründe, aus denen zur Vermeidung unbilliger Härten oder aufgrund gemeindlicher Interessen von einer Kostenerhebung abzusehen sei, lägen nicht vor.
56Die Klägerin hat gegen den ihr am 28. Februar 2019 zugestellten Kostenbescheid am 27. März 2019 Klage erhoben.
57Zur Begründung ihrer Klage wiederholt und ergänzt sie im Wesentlichen ihr bereits im Verwaltungsverfahren geäußertes Vorbringen. Ergänzend führt sie noch folgendes an: Der Kostenbescheid sei bereits mangels ordnungsgemäß durchgeführter Anhörung formell rechtswidrig. Die Beklagte habe unzutreffend eine dauerhaft bestehende latente Brandgefahr behauptet. Schließlich sei die Kostenerhebung auch unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft. Der maßgebliche Sachverhalt sei nicht erschöpfend aufgeklärt worden und beruhe auf „ins Blaue hinein“ angestellten Mutmaßungen. Ermessensfehlerhaft sei die Kostenerhebung zudem auch deshalb, weil diese unberücksichtigt lasse, dass mehrere Kostenschuldner als Kostenpflichtige in Betracht kämen. Sie, die Klägerin, habe zudem erstmals im September 2017 überhaupt von den etwaigen Beanstandungen erfahren. In der Vorzeit sei ihr fortwährend die brandschutzrechtliche Mängelfreiheit des Gebäudes bescheinigt worden, obwohl die September 2017 erstmals bemängelten Umstände bereits in der Vergangenheit unverändert vorhanden gewesen seien.
58Die Klägerin beantragt,
59den Kostenbescheid der Beklagten vom 10. Januar 2019 aufzuheben.
60Die Beklagte beantragt,
61die Klage abzuweisen.
62Sie verweist darauf, dass die Klägerin vor Erlass des Kostenbescheides ordnungsgemäß angehört worden sei. Die der Kostenforderung zugrunde liegende Kostensatzung stehe mit höherrangigem Recht in Einklang. Des Weiteren liege der Kostenforderung ein Einsatz im Sinne von § 52 Abs. 2, Abs. 1 und § 1 Abs. 1 BHKG zugrunde. Der Begriff eines Einsatzes sei in einem weiten Sinne zu verstehen. Danach könne ein kostenrechtlich relevanter Einsatz der Feuerwehr schon dann vorliegen, wenn aus der maßgeblichen Ex ante-Sicht der Feuerwehr die vorsorgliche Anwesenheit von Einsatzkräften erforderlich erscheine. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn zwar die eigentliche Gefahrenbehebung bereits durch andere Sicherheitsbehörden oder durch private Fachkräfte erfolge, während dieses Vorgangs aber mit technischen Fehlschlägen oder mit Störungen von außen gerechnet werden müsse, die ein sofortiges Eingreifen der Feuerwehr verlangten. Unstreitig sei im Zeitpunkt des verfahrensgegenständlichen Feuerwehreinsatzes kein Schadfeuer im Gebäude ausgebrochen. Andererseits hätten die gravierenden Verstöße gegen brandschutzrechtliche Vorschriften erhebliche Risiken ausgelöst. Vor diesem Hintergrund habe die Feuerwehr am 21. September 2017 erklärt, sie könne mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und Kräften keine Sorge dafür tragen, die Bewohner des Wohnkomplexes in angemessener Zeit zu retten. Hinter den Brandschutzvorschriften stehe das Ziel der Vermeidung von Schäden an Leib und Leben einer unbestimmten Vielzahl von Menschen, die jederzeit eintreten könnten. Aufgrund der vorhandenen Mietstruktur und der Unübersichtlichkeit der Wohnanlage habe sie zudem damit rechnen müssen, dass sich Personen nach der Räumung über die Tiefgarage oder einzelne der zahlreichen Eingänge Zutritt zum Gebäude verschaffen würden. Ohne Bewachung des Komplexes hätte sie die Wiederaufnahme einer Wohnnutzung nicht verhindern können. Die brandschutzrechtliche Gefahrenlage habe daher auch nach dem Auszug der Mieter aus dem Komplex fortbestanden. Die Gefahrenlage habe die Klägerin jedenfalls grob fahrlässig verursacht. In dem Verkehrswertgutachten für die Zwangsversteigerung sei der bauliche Zustand des Gebäudes systematisch herausgearbeitet und auf die Vielzahl an Gefahrenlagen hingewiesen worden. Die Klägerin habe aufgrund ihres Eigentums in der Pflicht gestanden, das Gebäude so zu erhalten, dass Gefahren für die Sicherheit und Ordnung ausgeschlossen seien. Dieser Pflicht sei die Klägerin als bundesweit tätiges Immobilienunternehmen trotz Kenntnis der brandschutzrechtlichen Gefahrenlage nicht nachgekommen.
63Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf deren wechselseitig im gerichtlichen Verfahren übermittelten Schriftsätze Bezug genommen. Die Kammer hat zudem ergänzend die Verwaltungsvorgänge des Bauordnungsamtes zu dem Räumungseinsatz bzgl. des I. -II-Komplexes beigezogen.
64E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
65Die zulässige Klage ist begründet. Der streitbefangene Kostenbescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
66Die Beklagte kann ihre Kostenforderung nicht auf die von ihr angeführte Ermächtigungsgrundlage in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 der Feuerwehrkostensatzung stützen. Hiernach können die Gemeinden von dem Verursacher, wenn dieser die Gefahr oder den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, Ersatz der ihnen durch Einsätze entstandenen Kosten verlangen. Der Gesetzgeber geht dabei im Grundsatz von der Kostenfreiheit von Feuerwehreinsätzen aus. In § 52 Abs. 1 BHKG ist bestimmt, dass die Gemeinden und Kreise die ihnen nach dem BHKG zugewiesenen Pflichtaufgaben unentgeltlich wahrnehmen, sofern nicht ausnahmsweise einer der in Absatz 2 Satz 1 enumerativ aufgezählten Tatbestände erfüllt ist.
67Die Voraussetzungen der vorgenannten Ermächtigungsgrundlage liegen nicht vor. Das Tätigwerden der Feuerwehr im Zusammenhang mit der Räumung des I. -II-Komplexes zwischen dem 21. September und 23. Oktober 2017 stellt keinen Feuerwehreinsatz im Sinne des § 52 BHKG dar, im maßgeblichen Zeitraum bestand auch keine Brandgefahr (dazu unter I). Zudem lässt sich auch ein grob fahrlässiges Handeln der Klägerin nicht annehmen (dazu unter II.).
68I.
69Die Feuerwehr ist im Zuge des Räumungsvorgangs des I. -II-Komplexes bis einschließlich zu dessen Rückgabe an die Klägerin nicht im Rahmen eines Einsatzes i. S. d. § 52 BHKG tätig geworden.
701.
71Aus § 52 Abs. 1 BHKG folgt im Hinblick auf den Kostenerstattungstatbestand in Absatz 2, dass dessen Anwendungsbereich von vorne herein nur eröffnet ist, wenn der Einsatz der Feuerwehr im konkreten Fall im Rahmen der ihr nach dem BHKG obliegenden Aufgaben erfolgt ist. Kosten für Maßnahmen nach anderen Gesetzen, die durch Angehörige der Feuerwehr, etwa im Rahmen der Amtshilfe oder zur Unterstützung anderer intern zuständiger Aufgabenträger derselben Behörde, getroffen werden, unterliegen hingegen nicht dem Anwendungsbereich der Vorschrift.
72Vgl. Tellenbröker in: FeuerSchR NRW, 4. Aufl., 47. Aktualisierung, August 2021, § 52 Rn. 12,13.
73Diese kann der betroffene Rechtsträger der Feuerwehr allenfalls auf Grundlage anderer Erstattungsnormen wie z.B. § 77 Abs. 1 VwVG NRW unter den dort näher geregelten Voraussetzungen geltend machen.
74Der Feuerwehr einer - wie vorliegend - kreisfreien Stadt obliegt als Pflichtaufgabe gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 BHKG neben der Hilfeleistung bei Unglücksfällen bzw. öffentlichen Notständen und dem Katastrophenschutz der Brandschutz. Dieser verpflichtet die Gemeinden und Kreise gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 BHKG zur Gewährleistung vorbeugender oder abwehrender Maßnahmen bei Brandgefahren. Abwehrender und vorbeugender Brandschutz sind dabei zu unterscheiden. Ersterer meint die Brandbekämpfung als spezielle Form der Gefahrenabwehr in Bezug auf Brände, allen voran durch Löschmaßnahmen. Letzterer meinte Maßnahmen zur Brandverhütung bzw. Gewährleistung einer schnellen Einsatzbereitschaft im Brandfall.
75Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Januar 1994 - 2 L 10/93 -, juris Rn. 8; VG Magdeburg, Urteil vom 10. August 2017 - 7 A 192/16 -, juris Rn. 28.ff. zur vergleichbaren Rechtslage in Sachen-Anhalt.
76Zum vorbeugenden Brandschutz in diesem Sinne zählen namentlich die in Teil 4 (Einrichtungen, vorbeugende und vorbereitende Maßnahmen) Kapitel 1 (Vorbeugender Brandschutz) des BHKG angeführten Maßnahmen, wie die Einrichtung von Brandschutzdienststellen (§ 25), die Durchführung von Brandverhütungsschauen (§ 26) und die Bereitstellung von Brandsicherheitswachen (§ 27).
77Ob die Feuerwehr im konkreten Fall im Rahmen ihrer Aufgaben nach dem BHKG oder zur Unterstützung anderer Aufgabenträger in deren Aufgabenfeld tätig geworden ist, unterliegt der Würdigung des jeweiligen Einzelfalles. Hierbei ist insbesondere maßgeblich, ob sie im Hinblick auf eine Gefahrenlage, auf deren Bekämpfung das BHKG abzielt, oder aus Anlass von Gefahrenlagen, die ein behördliches Eingreifen nach anderen Rechtsgrundlagen rechtfertigen, tätig geworden ist. Ebenso kommt der Frage, ob der Einsatz auf eigene Initiative der Feuerwehr oder auf Initiative und unter Leitung einer anderen Behörde oder behördenintern zuständigen Stelle erfolgt ist, Bedeutung zu. Ist das Tätigwerden der Feuerwehr lediglich in Maßnahmen nach anderen Rechtsgrundlagen, namentlich solchen der Landesbauordnung und hinsichtlich der Durchsetzung des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW, eingebettet, handelt es sich nicht um einen Einsatz der ihr im Rahmen des BHKG obliegenden Aufgaben.
78Der von der Beklagten geltend gemachte Kostentatbestand in § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG ist in seinem Anwendungsbereich gegenüber dem von der Beklagten angeführten Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 BHKG deutlich enger gefasst. Der genannte Kostentatbestand bezieht sich nur auf ein Tätigwerden der Feuerwehr im abwehrenden, nicht im vorbeugenden Brandschutz. Denn er setzt eine bereits verursachte bzw. herbeigeführte Gefahr voraus, der vorbeugende Brandschutz soll aber gerade einem solchen konkreten Gefahreintritt vorbeugen bzw. bei deren späterem Eintritt die Bekämpfung der Gefahr erleichtern.
79Vgl. Dietlein in: Öffentliches Recht in Nordrhein-Westfalen, 6. Aufl. 2016, S. 319 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2002 - 6 CN 1.02 -, abrufbar unter juris; Graulich in: Lisken/Denninger PolR-HdB, E. Das Handeln von Polizei- und Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr Rn. 170, beck-online.
80Die allgemeine ordnungsrechtliche Definition des Gefahrenbegriffs als einer Sachlage, bei der bei ungehinderten Fortgang der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist, ist dabei im vorliegenden Kontext des § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG allein auf brandspezifische Gefahrenlagen im Sinne des BHKG zu beziehen. In Abgrenzung zur Gefahrenabwehr nach der Landesbauordnung ist eine konkrete und nicht nur latente Wahrscheinlichkeit der Entstehung oder Verbreitung eines sogenannten Schadfeuers zu fordern. Unter einem Schadfeuer ist ein selbstständig fortschreitendes unkontrolliertes Feuer außerhalb einer Feuerstätte zu verstehen, dass nicht zum Verbrennen bestimmte oder nicht wertlose Gegenstände vernichtet. Eine offene Flamme ist nicht erforderlich, wohl aber ein Glühen oder Glimmen (Schwelbrand).
81OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 2008 - 9 A 3961/06 -, juris Rn. 28; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Novem-ber 2008 – 1 S 656/08 –, juris Rn. 20, jeweils m.w.N.
82Nicht im Rahmen eines Einsatzes nach § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG wird die Feuerwehr daher auch tätig, wenn sie Maßnahmen im Hinblick auf eine rein baurechtliche Gefahrenlage ergreift. Resultiert nämlich die Sachlage, die die Feuerwehr zum Eingreifen veranlasst, alleine daraus, dass bauliche Anlagen im Widerspruch zu Vorschriften der Landesbauordnung stehen, ohne dass hiermit zugleich bereits die konkrete Gefahr eines Schadfeuers herbeigeführt wurde, fehlt es an einem Bezug ihrer Tätigkeit zur Brandbekämpfung nach dem BHKG. Das gilt auch, wenn die anlassgebenden bauordnungsrechtlichen Verstöße brandschutzmotivierte Regelungen der Landesbauordnung wie – aktuell – die §§ 14, 26 ff. BauO NRW betreffen. Diese Vorschriften regeln, wie bauliche Anlagen im Hinblick auf den Brandschutz anzuordnen und zu errichten bzw. zu ändern und instand zu halten sind. Hierdurch soll bereits die Entstehung von Bränden bzw. deren Ausbreitung verhindert sowie die Möglichkeit zur Rettung von Menschen und die Löschung eines bestehenden Brandes gewährleistet werden. Es handelt sich mithin um der Gefahrenvorsorge dienende Vorgaben. Die Überwachung, ob bauliche Anlagen diese Vorgaben einhalten, obliegt den Bauaufsichtsbehörden (vgl. § 61 BauO NRW) und damit behördenintern dem Bauordnungsamt. Als sogenannte Brandschutzdienststelle (§ 25 BHKG) kommt der Feuerwehr daneben in baurechtlichen Fragen nur eine beratende Funktion gegenüber der für die Bauaufsicht zuständigen Stelle zu. Eine eigenverantwortliche Zuständigkeit der Feuerwehr zur Brandabwehr entsteht hingegen erst im Falle einer tatsächlich herbeigeführten Brandgefahr.
83Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. September 2012 - 2 A 182/11 -, juris Rn. 63; ebenso Radeisen in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 62. Update, Dezember 2021, § 14 Rn. 2, 15 zur aktuellen LBauO NRW sowie Schöneborn / Deckers in: FeuerSchR NRW, 4. Aufl. September 2020, § 25 Rn. 4; Schneider in: BHKG NRW, 9. Aufl. 2016, § 25 Rn. 5 zur Bedeutung sog. Brandschutzdienststellen.
84Nichts anderes folgt aus der von der Beklagten angeführten und in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten brandschutzrechtlichen Erkenntnis, dass mit einem „Brandereignis praktisch jederzeit gerechnet werden müsse“ bzw. „dessen Ausbleiben aus sich heraus keinen Dauerzustand darstelle“.
85Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 20. Februar 2013 - 2 A 239/12 -, juris Rn. 34ff. m.w.N..
86Diese Erkenntnis hat mit einer im Wege des abwehrenden Brandschutzes zu bekämpfenden konkreten Brandgefahr im Sinne des BHKG nichts gemein. Vielmehr ist damit nur die Dringlichkeit des gefahrenvorsorgenden Anliegens der Landesbauordnung zum Ausdruck gebracht. Diese befugt die Bauaufsichtsbehörden regelmäßig bereits bei einem bloßen Widerspruch baulicher Anlagen gegen brandschutzrechtliche Vorschriften gemäß § 61 Abs. 1 BauO NRW a.F. bzw. § 82 Abs. 1 BauO NRW n. F. dazu, bauordnungsrechtlich ggf. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung oder im Sofortvollzug einzuschreiten, ohne dass es eines weitergehenden Nachweises einer konkreten Brandgefahr bedarf.
87Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Februar 2008 – 7 B 107/08 –, juris Rn. 29 und vom 9. Dezember 2011 - 2 A 408/11 -, n.v., Seite 3 des Beschlussabdrucks.
88Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 12. Januar 2016 - 4 ZB 15.2030 -, zitiert nach juris) gibt keinen Anlass, von diesen Maßstäben Abstand zu nehmen. Sie bezieht sich auf ein anderes Gesetz und enthält keine entgegenstehenden Obersätze.
892.
90Gemessen an den vorstehenden Maßgaben fällt das Tätigwerden der Feuerwehr im Zusammenhang mit der eigentlichen Räumung des I. -II-Komplexes bereits nicht in den Anwendungsbereich des § 52 BHKG (dazu unter a). Auch unabhängig davon unterfällt der Einsatz der Feuerwehr mangels einer Brandgefahr nicht dem nochmals enger gefassten Anwendungsbereich des von der Beklagten herangezogenen § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG (dazu unter b). Die noch bis zum 23. Oktober 2017 fortdauernde Feuerwehrpräsenz am I. -II-Komplex nach Abschluss des Räumungsvorgangs unterfällt diesem Anwendungsbereich erst recht nicht (dazu unter c).
91a)
92Der Einsatz der Feuerwehr im Zuge der Räumung des I. -II-Komplexes erfolgte nicht im Rahmen der ihr nach dem BHKG obliegenden Aufgaben.
93Dieser diente nämlich lediglich der Unterstützung des behördenintern für den Vollzug der Landesbauordnung zuständigen Bauordnungsamtes bei der Durchsetzung der von diesem veranlassten bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung. Die vorliegenden Verwaltungsvorgänge des Bauordnungsamtes sowie die Einsatztagebücher der Feuerwehr vom 21. September 2017 belegen eindeutig, dass der gesamte Räumungsvorgang des I. -II-Komplexes auf Veranlassung des Bauordnungsamtes erfolgte. Grund hierfür waren von diesem angenommene formelle und materielle Verstöße des I. -II-Komplexes gegen baurechtliche Vorschriften. Darauf, ob diese Verstöße letzten Endes vorlagen, kommt es nicht entscheidungserheblich an.
94Auslöser des gesamten Einsatzes waren die am 29. August 2017 bei der Brandverhütungsschau im I. -II-Komplex durch die Feuerwehr festgestellten bauordnungsrechtlichen Brandschutzmängel, die die Beklagte bei der Begehung des Komplexes am 19. September 2017 durch ihr Bauordnungsamt bestätigt sah. Vor dem Hintergrund wurde am Morgen des 21. September 2017 unter Einsatzleitung des Bauordnungsamtes ein Krisenstab einberufen, auf dessen Initiative der gesamte Räumungsvorgang erfolgte.
95Die nachfolgend auszugsweise wiederholten, bereits im Tatbestand hervorgehobenen Einträge im Einsatztagebuch des Führungsstabs der Feuerwehr belegen eindrücklich den bauordnungsrechtlichen Kern des Vorgangs:
96Um 12:34 Uhr ist festgehalten:
97„Gravierende brandschutzrechtliche Mängel nach Brandschau. Bauordnungsamt hat die Räumung des Gebäudes angeordnet“
98Um 12:45 Uhr ist ferner festgehalten, dass die
99„Allgemeine Führung beim Bauamt läge“ und der „Feuerwehrstab nur unterstütze“,
100und um 13:55 Uhr ist schließlich mit dem Vermerk „Auftrag vom Krisenstab“ festgehalten:
101„50-70 Kräfte der Feuerwehr zur Unterstützung der Räumung.
102Bestätigt wird die Annahme eines bauordnungsrechtlichen Vorgangs ebenso durch einen Aktenvermerk zu dem um 14:00 Uhr mit Herrn T. geführten Krisengespräche. Im Zuge dieses Gespräches äußerte der Leiter des Krisenstabs, Baudezernent X. insbesondere, dass es
103„müßig sei, über das „ob“ zu diskutieren. Es gehe nur noch um das „wie“ einer Räumung. Die Sicherheitskräfte der Polizei, der Feuerwehr und des Ordnungsamtes u.a Behörden der Stadt E. seien bereits aktiviert worden und könnten in die Ersatzvornahme eintreten.“
104Namentlich der Hinweis darauf, dass u. a. die Feuerwehr „bereits aktiviert“ worden sei, und in die „Ersatzvornahme eintreten“ könnte, untermauert, dass der Feuerwehr im Zuge der - rechtlich unzutreffend zunächst als Ersatzvornahme bezeichneten – Durchsetzung der Nutzungsuntersagung im Wege des unmittelbaren Zwangs im Sofortvollzug eine das Bauordnungsamt unterstützende Funktion zukam.
105Die Beklagte selbst hat die kostenauslösende Maßnahme mit dem Bescheid vom 11. Oktober 2017 verbindlich als baurechtliche Nutzungsuntersagung auf Grundlage von § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW a.F. eingestuft und die Räumung damit eindeutig als Sofortvollzug einer bauordnungsrechtlichen Verfügung im Wege des unmittelbaren Zwangs (§ 55 Abs. 2 VwVG NRW). Dass die Feuerwehr daneben während des Vorgangs brandbekämpfende Maßnahmen ergriffen hätte, ist nicht ersichtlich. Das gesamte Tätigwerden der Feuerwehr stellt sich damit ausschließlich als unselbständige Unterstützung der bauordnungsrechtlichen Maßnahme dar.
106Dies bestätigt sich beim Blick auf die einzelnen von der Feuerwehr ergriffenen Aktivitäten. Die Feuerwehr mietete etwa die I1. -Halle für drei Tage als Notunterkunft für die evakuierten Bewohner des I. -II-Komplexes an und sorgte insbesondere für deren nötige Verpflegung. Dass es sich hierbei, wie von der Beklagten geltend gemacht, um eine Maßnahme der Abwehr von Brandgefahren gehandelt habe, ist fernliegend. Vielmehr ist offensichtlich, dass die Halle vor dem Hintergrund der durch die Nutzungsuntersagung verursachten Obdachlosigkeit von Bewohner angemietet wurde. Auch die der Feuerwehr durch den Krisenstab zugewiesene logistische Unterstützung bei der Räumung zeigt, dass ihre Aufgabe primär darin bestand, bei der Durchsetzung der Nutzungsuntersagung des Komplexes mitzuwirken.
107b)
108Die Feuerwehr ist auch nicht zur abwehrenden Bekämpfung einer bereits verursachten bzw. herbeigeführten Brandgefahr tätig geworden. Eine bereits hinreichend konkretisierte Gefahrenlage, in der in absehbarer Zeit mit dem Ausbruch eines Feuers zu rechnen gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Aus den Verwaltungsvorgängen ergeben sich keine Anhaltspunkte für den (drohenden) Ausbruch eines Schadfeuers. Dass irgendwelche brennbaren Baustoffe innerhalb des I. -II-Komplexes konkret im Begriff standen, Feuer zu fangen, ist nicht erkennbar. Auch die Beklagte selbst nimmt eine solche Gefahrenlage nicht an. Vielmehr lässt ihre Darstellung im streitbefangenen Bescheid, dass „es Aufgabe der Feuerwehr (sei), vorbeugende Maßnahmen des Brandschutzes zu gewährleisten“ und dass die Bereitstellung von Einsatzfahrzeugen dazu gedient habe, eine „schnellstmögliche Einsatzbereitschaft im Falles eines Brandes sicherzustellen“, erkennen, dass sie nicht von einer bereits herbeigeführten Gefahr ausging, sondern der Feuerwehreinsatz neben der Unterstützung des Bauordnungsamtes bei der Räumung des Komplexes dem Zweck diente, Einsatzpräsenz für den Fall eines Brandes lediglich vorsorglich bereit zu halten.
109Allein auf die zur Begründung des gesamten Räumungsvorgangs angeführten bauordnungsrechtlichen Mängel lässt sich die Annahme einer bereits verursachten Brandgefahr aus den dargelegten Gründen nicht stützen. Anzeichen dafür, dass die Mängel in absehbarer Zeit zum Ausbruch eines Schadfeuers geführt hätten, sind nicht erkennbar. Hierzu hat die Beklagte auch nichts Entsprechendes dargetan.
110Der von der Beklagten verwendete Topos der „latenten Brandgefahr“ gibt für eine konkrete Brandgefahr nach den dargelegten Maßstäben nichts her. Unter einer „latenten Gefahr“ wird die Möglichkeit eines Schadenseintritts zu irgendeinem, noch in der Ferne liegenden späteren Zeitpunkt verstanden.
111Vgl. generell skeptisch zur Rechtsfigur einer „latenten Gefahr“ Graulich in: Lisken/Denninger PolR-HdB, E. Das Handeln von Polizei- und Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr Rn. 156, beck-online.
112In einer solchen Sachlage ist gerade keine bereits verursachte bzw. herbeigeführte Brandgefahr zu sehen.
113c)
114Die von der Feuerwehr nach Abschluss des Räumungsvorgangs bis zur Rückgabe des Komplexes an die Klägerin eingerichtete „Brandsicherheitswache“ stellt erst recht keinen Einsatz der Feuerwehr i. S. d. § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BHKG dar. Das ergibt sich bereits aus den vorstehenden Gründen. Unbeschadet dessen dient eine Brandsicherheitswache im Sinne des BHKG generell der Überwachung besonders brandgefährdeter Veranstaltungen und soll ein sofortiges Einschreiten von Einsatzkräften im Brandfall ermöglichen. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme des vorbeugenden und nicht des abwehrenden Brandschutzes. Im BHKG findet sich hierzu in § 27 (Abschnitt Vorbeugender Brandschutz) eine entsprechende Regelung. Die Brandsicherheitswache ist dabei von einer sogenannten „Brandwache“ zu unterscheiden. Letztere ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nach Beendigung von Löscharbeiten eingesetzt wird, weil die Gefahr eines Wiederaufflammens nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Eine solche knüpft folglich unmittelbar an eine noch bestehende Brandgefahr an und ist damit dem abwehrenden Brandschutz zuzuordnen.
115Vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 10. August 2018 - 7 A 192/16 -, juris Rn. 29.
116Vorliegend impliziert die Bezeichnung als „Brandsicherheitswache“, obwohl sie nicht, wie § 27 Abs. 1 BHKG es voraussetzt, dem Schutz einer „Veranstaltung“ diente, deren gefahrenvorbeugenden Zweck. Hierzu passt es auch, dass die entsprechende zuletzt von der Beklagten vorgelegte „Dienstanweisung für die Brandsicherheitswache und die Koordinierungsstelle“ vom „Bereichsleiter Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz“ der Feuerwehr unterzeichnet ist (Hervorhebung durch die Kammer). Das aus der Begründung des streitigen Bescheides und ihrer Dienstanweisung für die Feuerwehr hervorgehende Anliegen der Beklagten, im Falle eines Brandereignisses schnellstmöglich Einsatzbereitschaft der Feuerwehr herzustellen und so dessen Bekämpfung zu erleichtern, untermauert die Zielrichtung der Gefahrenvorsorge.
117Daneben belegen die Klageerwiderung vom 10. Mai 2019 und die besagte Dienstanweisung, dass die Feuerwehr im Rahmen der Brandsicherheitswache weiterhin im bauordnungsrechtlichen Kontext tätig wurde. Unter „1. Allgemeines“ der Dienstanweisung ist ausdrücklich festgehalten, dass der Krisenstab angeordnet habe, eine Brandsicherheitswache einzurichten, „um den Bewohner(n) einen geordneten Zugang“ zu ihren Wohnungen zu gewähren. Diese Aufgabenzuweisung ist unmittelbare Folge der baurechtlichen Nutzungsuntersagung und Räumung des Komplexes. Erst hierdurch wurde nämlich eine zumindest zeitweise Rückkehr der vormaligen Bewohner überhaupt erforderlich. Dass es sich hingegen um eine Maßnahme des – gar abwehrenden – Brandschutzes gehandelt habe, hat die Beklagte nicht schlüssig aufgezeigt. Ihr Hinweis, dass mit einer zeitweisen Rückkehr von Bewohnern wiederum eine Brandgefahr bestanden habe, erschließt sich nicht. Es ist nicht erkennbar, warum von einzelnen Rückkehrern, die zudem nur zeitweise und in Begleitung eines Sicherheitsdienstes den Komplex betreten durften, die Gefahr ausgegangen sein soll, einen Brand zu verursachen.
118II.
119Daneben vermag die Kammer auch ein grob fahrlässiges Handeln der Klägerin nicht festzustellen. Ungeachtet dessen, dass es mangels einer bereits herbeigeführten Gefahrenlage schon an dem Bezugspunkt für einen Verschuldensvorwurf fehlt, genügen die von der Beklagten getroffenen Feststellungen auch für sich betrachtet nicht, um den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu begründen.
120Grobe Fahrlässigkeit setzt wie in anderen rechtlichen Zusammenhängen einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtverstoß rechtfertigt für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr erscheint ein solcher Vorwurf nur dann als gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das Maß einer einfachen Sorgfaltspflichtverletzung erheblich überschreitet. Hiernach ist es in aller Regel erforderlich, nicht nur zur objektiven Schwere der Pflichtwidrigkeit, sondern auch zur subjektiven Seite konkrete Feststellungen zu treffen. Die subjektiven Voraussetzungen können nicht im Wege des Anscheinsbeweises nachgewiesen werden.
121Vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2011 – VI ZR 196/10 –, VersR 2011, 916; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Dezember 2019 – I-10 U 88/09, 10 U 88/09 – NJW-RR 2010, 695.
122Die Feststellung einer groben Fahrlässigkeit entzieht sich nach diesem Maßstab einer typisierenden Betrachtungsweise und bedarf stets einer Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Die entsprechende Darlegungs- und Feststellungslast trifft die den Kostenersatz beanspruchende Gemeinde.
123An diese Feststellungslast sind auch keine geringeren Anforderungen zu stellen, wenn die Gemeinden ihren Anspruch gegenüber großen (ggf. deutschlandweit tätigen) juristischen Personen als Gefahrenverursacher verfolgen. Zur Feststellung eines Verschuldens haben sie analog § 31 BGB regelmäßig auf deren vertretungsbefugte Organe, im Fall einer GmbH auf deren Geschäftsführer, abzustellen. Hieran ändern ggf. in der Praxis bestehende Schwierigkeiten, die verantwortlichen Personen solcher Körperschaften überhaupt zu ermitteln bzw. Feststellungen zu deren subjektivem Verschulden und ggf. dessen Grad zu treffen, nichts.
124Hieran gemessen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Annahme eines grob fahrlässigen Verhaltens der Klägerin. Die von der Beklagten hierzu getroffenen Annahmen erschöpfen sich nämlich im Wesentlichen in der Annahme einer ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit und allenfalls noch eines aus ihrer Sicht objektiv gesteigert sorgfaltspflichtwidrigen Verhaltens. Ob sich mit dem sehr pauschalen Verweis auf das für die Zwangsversteigerung des I. II-Komplexes erstellte Verkehrswertgutachten überhaupt ein objektiv sorgfaltspflichtwidriges Verhalten der Klägerin begründen lässt, bedarf dabei keiner weiteren Vertiefung. Denn zu den subjektiven Voraussetzungen für die Annahme grober Fahrlässigkeit fehlt es an jeder Tatsachengrundlage.
125Aus dem Bescheid der Beklagten wird zunächst deutlich, dass diese ihren Verschuldensvorwurf nicht einmal ansatzweise auf eine bestimmte Person bezogen hat. Vielmehr stellt sie pauschal auf ein Verschulden der „Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter“ der Klägerin ab. Damit fehlt es für die subjektive Seite grober Fahrlässigkeit an jeglichem Ansatz. Namentlich zu der Frage, wer im Unternehmen der Klägerin zu welcher Zeit welche Kenntnisse über mögliche Brandschutzmängel hatte bzw. hätte haben müssen, trifft die Beklagte keine konkreten Tatsachenfeststellungen. Dementsprechend wird auch nicht deutlich, welche Schlüsse ein Verantwortlicher der Klägerin hieraus konkret hätte ziehen müssen und wie sehr sich solche hätten aufdrängen müssen.
126Unabhängig davon stellt der bloße pauschale Verweis auf das Verkehrswertgutachten keine belastbare Grundlage für die Annahme eines subjektiv schlechthin unentschuldbaren Fehlverhaltens in einer bestimmten Person dar. Dies gilt umso mehr, als die Feuerwehr der Klägerin im Rahmen der Brandschau im Jahr 2013 bzw. der Nachschau im Mai 2015, also zu einem Zeitpunkt nach Erstellung des besagten Gutachtens, noch Mangelfreiheit bescheinigt hatte. Schließlich hat die Beklagte auch keine weiteren Feststellungen dazu getroffen, inwieweit die mit der Verwaltung des I. -II-Komplexes von der Klägerin betraute J. Q. Management GmbH mit der Gewährleistung eines rechtskonformen Gebäudezustands befasst war. Wenn nämlich die Klägerin die Instandhaltung des Komplexes auf die J. Q. Management GmbH delegiert hat, bedürfte es substanzieller Feststellungen dazu, warum ein subjektiv unentschuldbares Verhalten gerade bei ihr zu verorten sein soll. Der in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten erhobene Einwand, die Klägerin könne ihre Verantwortlichkeit nicht so weitgehend delegieren, bezieht sich auf die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit und geht an dem dargelegten Erfordernis eines subjektiv unentschuldbaren Fehlverhaltens vorbei.
127III.
128Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 ZPO.
129Rechtsmittelbelehrung:
130Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1311. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1322. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1333. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1344. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1355. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
136Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
137Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
138Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
139B e s c h l u s s
140Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes auf
141327.406,78 €
142festgesetzt.
143Rechtsmittelbelehrung:
144Gegen diesen Beschluss findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
145Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
146Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.