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Zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse in versammlungsrechtlichen Streitigkeiten.
2. Eine versammlungsrechtliche Beschränkung ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz unvereinbar, soweit durch sie neben konkret benannten Parolen auch "alle inhaltlich gleichbedeutenen Umgehungsformulierungen" verboten werden.
Es wird festgestellt, dass der Auflagenbescheid des Beklagten vom 19. September 2019 rechtswidrig war, soweit verboten wurde, jegliche zu den genannten Parolen inhaltlich gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen (z.B. „E. ist unser Kiez“, „Nazi Kiez“ statt „E1. -E. Nazi-Kiez“, „Nationalen … erkämpfen“ statt „National befreit“) auf Transparenten, Plakaten, Fahnen oder anderen Gegenständen zu zeigen, zu skandieren oder in jeder anderen Weise sprachlich zu verwenden.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Feststellung der teilweisen Rechtswidrigkeit einer beschränkenden Auflage, die jeweils inhaltsgleich gegen mehrere Versammlungen der Klägerin in E1. ergangen ist.
3Am Donnerstag, den 12. September 2019 führte die Klägerin eine Versammlung in der E1. Innenstadt zu dem Thema „Für mehr Sicherheit in E1. “ durch. In der diesbezüglichen Versammlungsbestätigung des Beklagten vom 11. September 2019 wurde unter anderem die folgende bereits in der Vergangenheit standardmäßig gegen zahlreiche Versammlungen der Klägerin ergangene Auflage unter Nr. 3 des Bescheides erlassen:
4„Das Mitführen von Transparenten, Plakaten, Fahnen oder anderen Gegenständen mit der Aufschrift ‚E1. -E. Nazi-Kiez‘ und ‚National befreite Zone‘ sowie das Skandieren der Parolen ‚E1. -E. Nazi-Kiez‘ und ‚National befreite Zone‘ ist untersagt und daher zu unterlassen.“
5Die Klägerin hatte außerdem für den folgenden Abend am Freitag, den 13. September 2019 eine weitere Versammlung auf dem E1. O.-markt bei dem Polizeipräsidium E1. angemeldet. Diese Versammlung bestätigte der Beklagte am 12. September 2019 schriftlich gegenüber der Klägerin. Die Versammlungsbestätigung enthielt elf Auflagen, darunter ebenfalls unter Nr. 3 das Verbot der genannten Transparentaufschriften sowie Parolen und war insofern identisch mit der Versammlungsbestätigung vom 11. September 2019 für die vorherige Versammlung.
6Bei der Versammlung am Abend des 12. September 2019 wurden von den Versammlungsteilnehmern unter anderem zwei Banner gezeigt mit der Aufschrift „Gegen Polizeigewalt! E. ist unser Kiez“ sowie „Nationalen Sozialismus erkämpfen – Uns eine Zukunft!“. Während der Versammlung sprachen die eingesetzten Kommunikationsbeamten der Polizei den Versammlungsleiter der Klägerin, C. an und teilten ihm mit, dass der Einsatzleiter der Polizei in der Banneraufschrift „E. ist unser Kiez“ einen Verstoß gegen die genannte Auflage sehe und die Transparente deshalb nicht weiter gezeigt werden dürften. Der Versammlungsleiter der Klägerin erklärte, diese Auffassung nicht zu teilen, da allenfalls der Ausdruck „Nazi-Kiez“, nicht aber „unser Kiez“ durch die Auflage verboten sei. Zudem seien die Transparente bereits in der Vergangenheit mehrfach bei Kundgebungen und Demonstrationen der Klägerin gezeigt worden, ohne dass es zur Beanstandung durch die Polizei gekommen wäre. Er gab an, der Aufforderung der Beamten deshalb nur dann folge zu leisten, wenn die Polizei eine Auflage erließe, welche konkret die Aufschrift „unser Kiez“ verbiete. Eine solche Auflage wurde gegen die ohnehin nur wenige Minuten später endende Versammlung nicht mehr erlassen.
7Am Mittag des darauffolgenden Freitags, den 13. September 2019 erhielt die Klägerin daraufhin eine weitere Versammlungsbestätigung des Beklagten für die Kundgebung am Abend desselben Tages. Durch diese wurde der ursprüngliche Bescheid vom Vortag aufgehoben. Die neue Versammlungsbestätigung enthielt ebenfalls elf Auflagen, die weitestgehend identisch mit den bereits durch den aufgehobenen Bescheid erlassenen Beschränkungen waren. Einzig die Auflage Nr. 3 wurde erweitert und lautete nunmehr:
8„Das Mitführen von Transparenten, Plakaten, Fahnen oder anderen Gegenständen mit der Aufschrift ‚E1. -E. Nazi-Kiez‘ und ‚National befreite Zone‘ sowie das Skandieren und jede andere sprachliche Verwendung der Parolen ‚E1. -E. Nazi-Kiez‘ und ‚National befreite Zone‘ ist untersagt und daher zu unterlassen. Verboten sind ferner alle inhaltlich gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen (z.B. ‚E. ist unser Kiez‘, ‚Nazi-Kiez‘ statt ‚E1. -E. Nazi-Kiez‘, ‚Nationalen … erkämpfen‘ statt ‚National befreit‘)“.
9Bei der Durchführung der Versammlung am Abend des 13. September 2019 sah die Klägerin aufgrund der genannten Auflage von der Verwendung des Transparentes mit der Aufschrift „E. ist unser Kiez“ von vornherein ab. Das andere Banner mit der Aufschrift „Nationalen Sozialismus erkämpfen – uns eine Zukunft!“ wurde hingegen auf der Versammlung zunächst gezeigt. Bereits zu Beginn der Versammlung wiesen die polizeilichen Kommunikationsbeamten den Versammlungsleiter der Klägerin jedoch darauf hin, dass auch diese Aufschrift mit der erweiterten Auflage nunmehr verboten sei.
10Mit E-Mail vom 15. September 2019 meldete die Klägerin eine weitere Versammlung bei dem Beklagten an, die am 20. September 2019 zu dem Thema „Sicherheit, RECHT und Ordnung - Grundrechte sind unverhaltbar: Gegen den offenen Rechtsbruch und die Ignoranz verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung durch die Polizei, Versammlungen müssen auch in der O. möglich sein!“ in E1. stattfinden sollte. Mit Bescheid vom 19. September 2019 bestätigte der Beklagte die Versammlung und erließ dieselben Beschränkungen wie bereits gegen die vorherige Versammlung der Klägerin, insbesondere auch unter Nr. 3 das Verbot bestimmter Transparentaufschriften und Parolen sowie inhaltlich gleichbedeutender Umgehungsformulierungen.
11Zur Begründung dieser Auflage führte der Beklagte in der Versammlungsbestätigung aus, dass die Auflage erforderlich sei, um die von der Versammlung der Klägerin ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung zu verhindern. Eine solche gehe dann von einer Versammlung aus, wenn durch ein aggressives und provokatives, die Bürger einschüchterndes Verhalten der Versammlungsteilnehmer ein Klima potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt werde. Ein solches Verhalten sei vorliegend mit dem Zeigen von Transparenten, Fahnen, Plakaten oder anderen Gegenständen mit entsprechenden Aufschriften oder dem Skandieren der genannten Parolen gegeben. Dies folge aus der besonderen Entwicklung, die im Stadtteil E1. -E. seit längerer Zeit zu beobachten sei und die infolge entsprechender Berichterstattung mit großer Sorge der Bevölkerung in allen Stadtteilen E. beobachtet würde: In dem Stadtteil sei eine rechtsextremistische Minderheit besonders präsent, die dort zum Teil wohne und den Stadtteil für vielerlei Treffen nutze. Insbesondere der zentrale Dorfplatz, der X.-platz, werde von Personen aus der rechten Szene öffentlich wahrnehmbar für sich beansprucht. So würde dieser Platz von den Rechten demonstrativ betreten, sobald sich dort erkennbar politisch Andersdenkende oder Personen mit Migrationshintergrund aufhielten. Es ginge sogar so weit, dass Andersdenkende gezielt und ungefragt gefilmt würden. Dieses Verhalten habe einschüchternde Wirkung und vermittle den Eindruck, als hätten die Rechten das Sagen darüber, wer sich in dem Stadtteil aufhalten dürfe. Die rechtsextremistische Szene setze sich insofern über jegliche Anstandsregeln hinweg. Die Einschüchterung ausländischer bzw. politisch anders denkender Menschen führe zur Verunsicherung und Empörung in der Wohnbevölkerung. Insofern lägen der Polizei E1. vielfache Beschwerden vor. In dem Stadtteil sei deshalb ein polizeiliches Präsenzkonzept erforderlich geworden, um dort wieder einen gefahrfreien Allgemeingebrauch zu gewährleisten.
12Die Verwendung der untersagten Parolen durch die Versammlungsteilnehmer diene vor diesem Hintergrund der gezielten Schaffung eines Angstraumes mit dem Ziel, dort die „nationale“ Kontrolle zu gewinnen. Mit den Begriffen „Nazi-Kiez“ und „National befreite Zone“ würde der Anspruch erhoben, Andersdenkende aus dem Stadtteil E. zu vertreiben und einzuschüchtern. Insbesondere werde mit dem Begriff „Nazi“ eine unmittelbare Verbindung zum Nationalsozialismus hergestellt. Der Begriff „Kiez“ mache deutlich, dass eine Vorherrschaft der Nazis in E. angestrebt werde und Andersdenkende sich besser von dort fernhalten sollten. Mit der Parole „National befreite Zone“ werde zur Schaffung eines durch rechtsextremistische Gewalt geprägten Straßenbildes aufgerufen. Diese Parole enthalte insbesondere auch die Forderung, staatliche Maßnahmen zurückzudrängen und einen Freiraum zu schaffen, in dem gegen Ausländer und Andersdenkende gewaltsam vorgegangen werden könne. Die untersagten Parolen machten deutlich, dass rechtsstaatliche Mittel, die in diesem Stadtteil das Ziel eines geordneten demokratischen Zusammenlebens nach den Regeln des Grundgesetzes verfolgen und für jedermann die Meinungsfreiheit und die persönliche, angstfreie Bewegungsfreiheit schützen sollen, von den Rechten nicht akzeptiert und als unberechtigte Schikane angeprangert würden.
13Zur Begründung der Auflage führte der Beklagte weiterhin aus, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die genannten Aufschriften bzw. Parolen auch bei der Versammlung am 20. September 2019 mitgeführt bzw. skandiert würden, weil diese schon bei früheren Versammlungen der Klägerin mehrfach verwendet worden seien. Durch die Verwendung der Parolen und ein insgesamt aggressives Auftreten hätten die rechten Versammlungsteilnehmer bereits in der Vergangenheit einen Gebietsanspruch auf den E1. Stadtteil geltend gemacht und die Bürger verunsichert. Ferner seien in den vergangenen Jahren im E. Westen Gegenstände wie Hauswände, Bürgersteigkanten, Brücken und Stromkästen in den Farben Schwarz, Weiß, Rot angemalt oder mit Graffiti wie „NAZI KIEZ“, „NAZI“, „NS“, „NS Area“ etc. beschmiert worden. Hierin manifestiere sich ein „Kampf um den Raum“. Darüber hinaus seien die genannten Parolen von der Klägerin als Werbeslogans im Wahlkampf für die Landtagswahlen 2017 auf den Plakaten ihrer Partei im gesamten Stadtgebiet benutzt worden.
14Die Auflage sei auch verhältnismäßig. Sie sei geeignet, den Eintritt der Gefahr für die öffentliche Ordnung zu verhindern. Zudem sei die Auflage auch erforderlich. Denn es bestehe die Gefahr, dass diese Parolen ohne die Auflage bei der Versammlung am 13. September 2019 in der E. O. skandiert würden. Ein milderes Mittel, insbesondere ein polizeiliches Einschreiten während der Versammlung erst nach der Verwendung dieser Parolen sei nicht gleichermaßen zur Abwehr der Gefahr geeignet. Die Maßnahme sei schließlich zum Zwecke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angemessen. Hierbei müsse das Interesse unbeteiligter Dritter, insbesondere von Menschen mit Migrationshintergrund sowie andere Minderheiten berücksichtigt und in die Abwägung mit einbezogen werden. Eine Einschüchterung der Wohnbevölkerung und Ausgrenzung von Minderheiten sei dabei nicht hinnehmbar. Ferner sei der durch die Parolen zum Ausdruck kommende offene Bezug zum Nationalsozialismus mit dem Standort der Versammlung nicht vereinbar. Demgegenüber hätten die Interessen der Klägerin an der Verwendung der Aufschriften bzw. Parolen zurückzutreten.
15Die Klägerin hat am 19. September 2019 Klage gegen den Auflagenbescheid vom selben Tag erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt (14 L 1456/19). Dabei wendet sie sich ausschließlich gegen die Erweiterung der Auflage Nr. 3, soweit hierdurch jede sprachliche Verwendung inhaltlich gleichbedeutender Umgehungsformulierungen zu den genannten Parolen verboten wird.
16Zur Begründung führt sie aus, dass die Erweiterung des Verbots auf gleichbedeutende Umgehungsformulierungen rechtswidrig gewesen sei. Dies folge insbesondere daraus, dass das Verbot zu unbestimmt sei. Es sei kaum erkennbar, wo die Grenzen verliefen und was eine „Umgehungsformulierung“ sein solle. Auch aus den in der Auflage genannten Beispielen ergebe sich keine hinreichende Klarheit.
17So sei bereits fraglich, ob die Bezeichnung „unser Kiez“ gleichbedeutend mit „Nazi-Kiez“ sein könne. Dabei sei zu beachten dass die betroffenen Demonstrationen gar nicht in dem in Rede stehenden Stadtteil E. , sondern in der O. E. stattgefunden hätten. Hierbei handele es sich um ein Stadtteil, den beispielsweise auch linke Aktivisten als „ihren Kiez“ und „Antifa-Kiez“ bezeichneten. Wenn nun rechte Demonstranten riefen, es wäre „unser Kiez“ dann sei dies vielfältig auszulegen und könne etwa auch als Absage an die Machtansprüche der Linken verstanden werden. Genauso könne es betonen, dass die Demonstranten dort leben und deshalb politische Mitspracherechte haben möchten. Ziel des Verbotes der Parole „Nazi-Kiez“ sei offenkundig, die Einforderung des Stadtviertels als Hoheitsraum von Neonazis zu unterbinden. Die Wortfolge „unser Kiez“ beinhalte jedoch nicht einmal das entsprechende Schlagwort und sei deshalb wesentlich harmloser als die eigentlich verbotene Parole.
18Zu unbestimmt sei insbesondere auch die beispielhaft genannte Formulierung „Nationalen … erkämpfen“. Dies zeige sich gerade auch daran, dass nicht nachvollziehbar sei, dass die Polizei das von der Klägerin verwendete Banner mit der Aufschrift „Nationalen Sozialismus erkämpfen – uns eine Zukunft!“ als verbotene Umgehungsformulierung erachtet habe. Denn diese Aufschrift habe keinerlei Bezug zu dem eigentlichen Zweck der Auflage, der darin bestehe, einem rechten „Raumkampf“ entgegenzuwirken. Die Formulierung „uns eine Zukunft“ zeige, dass sich die Aufschrift auf eine anzustrebende politische Ideologie und damit gerade nicht auf die Herrschaft über einen bestimmten Raum bzw. eine Zone beziehe. Der Begriff des „Kämpfens“ werde im politischen Diskurs ganz verbreitet genutzt und beinhalte dabei typischerweise keinen territorialen Herrschaftsanspruch.
19Die angegriffene Erweiterung der Auflage sei zudem unverhältnismäßig. Sie verletze zum einen die Meinungsfreiheit der Klägerin. Die pauschale Untersagung einer unbestimmten Zahl an Ersatzbegriffen und womöglich auch jeglicher Forderungen nach „rechten Freiräumen“ schränke die Klägerin unangemessen ein. Es sei nicht verboten, Stadtteile zu fordern, die von Nationalisten bewohnt werden und in denen diese sich wohl fühlten. Gerade wenn dies mit Begriffen geschehe, die im Vergleich zu den ausdrücklich verbotenen Formulierungen „Nazi-Kiez“ und „National befreite Zone“ minderschwer seien, müsse dies im Sinne der Meinungsfreiheit von der Polizei hingenommen werden. Zudem werde der Klägerin dadurch, dass die Auflage nicht nur das Skandieren, sondern auch „jede andere sprachliche Verwendung“ der Begriffe und Umgehungsformulierungen verbiete, jegliche Auseinandersetzung beispielsweise mit dem Begriff „Nazi-Kiez“ unmöglich. So führe das Verbot dazu, dass der Begriff in entsprechenden Redebeiträgen bei Versammlungen der Klägerin nicht einmal mehr aus den Medien zitiert werden dürfte. Hieran bestehe aber vor dem Hintergrund der konkreten politischen Situation in E. ein besonderes Interesse. Auch mache es einen Unterschied, ob ein Redner sachlich erkläre, weshalb ein nationaler Sozialismus politisch erkämpft werden solle, oder ob Demonstranten die entsprechende Forderung als Sprechchor laut und geschrien propagierten.
20Die Klägerin macht zudem geltend, in ihrer Versammlungsfreiheit verletzt zu sein. Die beiden nach Ansicht der Polizei nunmehr verbotenen Banner seien in der Vergangenheit bereits auf zahlreichen Veranstaltungen der Klägerin verwendet worden. Das Verbot stelle insofern einen schweren Eingriff in die planmäßige Durchführung der klägerischen Versammlungen dar.
21Im Übrigen sei die Darstellung der Situation in E. durch den Beklagten unzutreffend. Es handle sich um einen gewöhnlichen Stadtteil, in dem auch ausländische Menschen sich ungestört aufhalten könnten.
22Die Klägerin beantragt,
23festzustellen, dass der Auflagenbescheid des Beklagten vom 19. September 2019 rechtswidrig war, soweit durch die Auflage Nr. 3 untersagt wurde, jegliche zu den genannten Parolen inhaltlich gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen (z.B. „E. ist unser Kiez“, „Nazi Kiez“ statt „E1. -E. Nazi-Kiez“, „Nationalen … erkämpfen“ statt „National befreit“) auf Plakaten etc. oder anderen Gegenständen zu zeigen, zu skandieren oder in jeder anderen Weise sprachlich zu verwenden.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Zur Begründung führt er aus, dass die Klage bereits unzulässig sei. Die Klägerin habe kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit. Eine Wiederholungsgefahr sei nicht gegeben, weil der Beklagte seit dem Inkrafttreten des Versammlungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht mehr auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung stützen könne und der Erlass des streitgegenständlichen Verbots in Zukunft demnach nicht mehr zu erwarten sei. Auch ein schwerwiegender Grundrechtseingriff liege nicht vor.
27Die Klage sei außerdem unbegründet. Die angegriffene Beschränkung sei nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) hinreichend bestimmt gewesen. Die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes erfordere nicht, dass sich dessen Inhalt allein aus dem Anordnungssatz präzise ergebe. Vielmehr genüge es, wenn sich der Inhalt der getroffenen Regelung durch Auslegung unter Berücksichtigung der weiteren Umstände, insbesondere der Begründung der Maßnahme erkennen lasse. Nach diesen Maßstäben sei für die Klägerin der Regelungsinhalt der angegriffenen Auflage vollständig, klar und unzweideutig erkennbar gewesen.
28Insbesondere sei die Bezeichnung „gleichbedeutend“ der Interpretation nicht zugänglich. Denn hiermit seien solche Formulierungen gemeint, die Synonyme der in der Auflage ausdrücklich aufgeführten Parolen darstellten. Dies sei in der angegriffenen Auflage auch durch die weiteren Beispiele im Klammerzusatz hinreichend klargestellt worden. So sei die Parole „E. ist unser Kiez“ gleichbedeutend mit „E1. -E. Nazi-Kiez“, weil die Teilnehmer der Versammlungen der Klägerin der rechten Szene angehörten.
29Auch die beispielhaft aufgeführte Formulierung „Nationalen … erkämpfen“ sei vor dem Hintergrund der politischen Situation in E1. E. erkennbar gleichbedeutend mit der ausdrücklich untersagten Formulierung „National befreiten Zone“. Insofern sei zu berücksichtigen dass in E. seit geraumer Zeit ein Ringen der rechtsextremistischen Szene um die räumliche Vorherrschaft stattfinde. Ziel dieses Kampfes sei die Schaffung einer „national befreiten Zone“. Hierbei handele es sich um ein selbst bezeichnetes Strategiekonzept des deutschen Rechtsextremismus, dessen Ziel die Etablierung eines bestimmten Milieus sei, das Einstellungen und Ideen nur innerhalb bestimmter Grenzen als normal vorschreibe. Die Implementierung dieses rechtsextremen Strategiekonzepts äußere sich in E. vor allem durch die Präsenz der Graffitis „Nazi-Kiez“, in der Schaffung einer Drohkulisse gegenüber Passanten und Journalisten sowie in respektlosem und übergriffigem Verhalten gegenüber der Polizei, deren Autorität gänzlich missachtet werde. Dadurch solle ein Angstraum geschaffen werden, in dem die Öffentlichkeit und insbesondere politisch Andersdenkende und Minderheiten nicht erwünscht seien.
30Auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsnorm des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz des Bundes (VersG) seien erfüllt gewesen. Der Beklagte führt aus, dass die in der Auflage genannten Parolen eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Ordnung begründeten. Eine solche könne sich aus der Art und Weise einer Meinungskundgabe ergeben, etwa bei einem aggressiven, die Grundlagen eines verträglichen Zusammenlebens der Bürger beeinträchtigenden und andere Bürger einschüchternden Auftretens von Versammlungsteilnehmern. Hierunter fielen auch die durch die streitgegenständliche Auflage verbotenen Parolen. Denn diese nähmen überwiegend unmittelbar auf die Ideologie und Herrschaft des Nationalsozialismus Bezug und seien demnach dazu geeignet gewesen, den seit Jahren im Stadtteil E. durch die rechte Szene etablierten Angstraum aufrechtzuerhalten und auch auf das Umfeld auszubreiten. Unter diesen Bedingungen sei in E. ein gedeihliches Zusammenleben schlechterdings nicht möglich. Die untersagten Parolen hätten der Versammlung der Klägerin im Gesamtkontext ein Gepräge gegeben, das darauf ausgerichtet und geeignet gewesen sei, von anderen Bürgern als Herrschaftsanspruch der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer Normen in E. verstanden zu werden. Der territoriale Dominanzanspruch der Klägerin verbunden mit der Negation des staatlichen Gewaltmonopols sei insbesondere auch in der Klagebegründung nochmals zum Ausdruck gebracht worden.
31Der Beklagte führt weiter aus, dass die Behörde auch das ihr zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt worden. Das Verbot der Parolen habe den Zweck verfolgt, den durch die rechte Szene etablierten Angstraum einzudämmen. Die streitgegenständliche Auflage sei hierzu geeignet erforderlich und auch angemessen gewesen. Im konkreten Fall habe das öffentliche Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung gegenüber der Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Klägerin sowie der einzelnen Versammlungsteilnehmer überwogen. Die Verwendung der verbotenen Parolen bei Versammlungen der Klägerin würde dazu führen, dass sich das Unsicherheitsgefühl der Bürger sowie die Entstehung sogenannter „No Go“-Areas verschlimmerten und auch auf weitere Stadtteile ausweiteten. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien Redebeiträge zu den entsprechenden Themen bei ihren Versammlungen auch unter Einhaltung der Auflage weiterhin möglich. So könne etwa ohne weiteres auf die politischen Themen in E. Bezug genommen werden, ohne dabei Parolen wie „Nazi-Kiez“ zu skandieren. Im Übrigen bestehe ein Unterschied darin, ob Medien im Rahmen einer neutralen Berichterstattung die in Rede stehenden Formulierungen verwendeten oder ob rechte Gruppierungen sich durch diese Parolen einen Raum schaffen würden, in dem Minderheiten, Andersdenkende und Ausländer unerwünscht seien.
32Die Kammer hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 20.09.2019 - 14 L 1456/19 - abgelehnt.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten, auch des Verfahrens 14 L 1456/19, einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
34Entscheidungsgründe:
35Die Klage hat Erfolg.
36Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig.
37Die hier angegriffene versammlungsrechtliche Auflage hat sich gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG NRW nach Erhebung der Klage erledigt. Denn mit dem Abschluss der Versammlung am 20. September 2019, auf die sich der Auflagenbescheid des Beklagten bezog, ist die angegriffene Regelung gegenstandslos geworden.
38Die Klägerin ist auch klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO, weil eine Beeinträchtigung ihrer aus Art. 8 Grundgesetz (GG) folgenden Versammlungsfreiheit durch die streitgegenständliche Beschränkung möglich erscheint. Die Klägerin ist insofern als Landesverband einer politischen Partei über Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsberechtigt.
39Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Einstweilige Anordnung vom 17.02.2009 - 1 BvR 2492/08, juris Rn. 101; Peter/Janz, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2021, Kap. B Rn. 45.
40Als Veranstalterin der Versammlung kann sich die Klägerin darauf berufen, durch die streitgegenständliche Beschränkung möglicherweise in ihrer durch Art. 8 GG geschützten Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Durchführung und des Inhalts der Versammlung betroffen zu sein.
41Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der streitgegenständlichen Auflage. Ein solches folgt vorliegend unabhängig von einer möglichen Wiederholungsgefahr daraus, dass mit der streitgegenständlichen Auflage ein sich kurzfristig erledigender gewichtiger Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Klägerin gegeben ist.
42Die Beurteilung, ob die Klägerin sich auf ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines in tatsächlicher Hinsicht bereits überholten Grundrechtseingriffs berufen kann, erfolgt im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG. Diese Norm enthält ein Grundrecht auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. An das für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Rechtsschutzinteresse dürfen deshalb keine aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Anforderungen gestellt werden.
43Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06, juris Rn. 20; Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77, juris Rn. 25 f.
44In versammlungsrechtlichen Verfahren sind bei der Beurteilung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses die Besonderheiten des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Auch hier begründet nicht jeder Eingriff ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit. Ein solches Interesse besteht aber insbesondere dann, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt.
45Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77, juris Rn. 36.
46Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gerade auch in den Fällen gewichtiger Grundrechtseingriffe, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass ein vorheriger Rechtsschutz in der Hauptsache regelmäßig nicht erreichbar ist, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung gebietet.
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77, juris Rn. 36; Beschluss vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99, BVerfGE 104, 220, juris Rn. 36; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 20/12, juris Rn. 23.
48Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist ein Forstsetzungsfeststellungsinteresse jedenfalls immer dann gegeben, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wurde, weil es sich hierbei um die gravierendsten Eingriffe in die Versammlungsfreiheit handelt. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, aber infolge von versammlungsbehördlichen Auflagen gemäß § 15 Abs. 1 VersG nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Demgegenüber ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht begründet, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben.
49Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77, juris Rn. 37 f.
50Durch das streitgegenständliche Verbot jeglicher sprachlichen Verwendung inhaltlich gleichbedeutender Umgehungsformulierungen zu den konkret untersagten Parolen „E1. -E. Nazi-Kiez“ und „National befreite Zone“ wurde die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Klägerin bei ihrer Versammlung wesentlich erschwert. Dieses Anliegen sollte ausweislich des angemeldeten Versammlungsthemas darin bestehen, die eigenen Versammlungsrechte gegenüber der Polizei zu behaupten. Weil aber die Reichweite des streitgegenständlichen Verbots nicht konkret festgelegt war, ließ sich für die Klägerin jedenfalls nicht ohne weiteres überblicken, welche Gestaltungsmittel – gerade auch mit Bezug auf das Versammlungsthema – unter Beachtung des Verbots bei der Versammlung verwendet werden durften. Denn durch das streitgegenständliche Verbot wurde nicht bloß eine bestimmte Verwendung konkret festgelegter Formulierungen untersagt. Vielmehr erfasste das generalisierende Verbot nach seinem Wortlaut eine Vielzahl denkbarer (Umgehungs-)Formulierungen, ohne diese jedoch abschließend zu benennen, und war damit besonders weitreichend. Das Verbot schränkte die Klägerin auch deshalb wesentlich in ihrer Versammlungsfreiheit ein, weil dadurch nicht bloß bestimmte Äußerungsweisen, wie etwa das Skandieren oder die Verwendung entsprechender Plakataufschriften, sondern darüber hinaus jede andere sprachliche Verwendung der erfassten Formulierungen untersagt wurde.
51Ein nachträglicher Rechtsschutz im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage ist zudem auch deshalb geboten, weil sich die streitgegenständliche Beschränkung, die der Klägerin mit der Versammlungsbestätigung vom 19. September 2019 bekanntgegeben wurde, bereits mit Ablauf der Versammlung am darauffolgenden Tag erledigte und ein vorheriger Rechtsschutz in der Hauptsache damit nicht erreichbar war.
52Die Klage ist auch begründet. Soweit die angegriffene Versammlungsbeschränkung streitgegenständlich ist, war sie rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und 4 VwGO).
53Rechtsgrundlage für die angegriffene Auflage war § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes (VersG), das bis zum Inkrafttreten des nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes am 18. Dezember 2021 und damit im Erlasszeitpunkt der Maßnahme gültig war. Nach der Vorschrift kann die zuständige Behörde die Durchführung einer Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
54Vorliegend war das Verbot der Verwendung inhaltlich gleichbedeutender Umgehungsformulierungen zu den konkret benannten Parolen schon deshalb rechtswidrig, weil es dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügte. Ob von derartigen Äußerungen bei der klägerischen Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausging oder ob das Verbot jeglicher sprachlichen Verwendung der entsprechenden Formulierungen noch verhältnismäßig war, bedarf deshalb vorliegend keiner Entscheidung.
55Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Das wiederum setzt voraus, dass sowohl der Regelungsadressat als auch die mit ihrem Vollzug befassten Organe ersehen können, welche Handlung von dem Regelungsadressaten gefordert wird oder zu unterlassen ist und behördlicherseits gegebenenfalls zu vollstrecken, bzw. hier zu unterbinden ist. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.04.2005 - 4 C 18/03, juris Rn. 53; Kopp/Ramsauer, VwVfG Kommentar, 22. Aufl. 2021, § 37 Rn. 5 ff.; Stelkens/Bonks/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 27 ff.
57Wenn Rechtspositionen Dritter rechtserheblich betroffen sind, muss der Inhalt dabei auch für den Drittbetroffenen hinreichende Bestimmtheit aufweisen.
58Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 4 und 7.
59Je nach Grundrechtsrelevanz oder bei einer Strafbewehrung sind erhöhte Anforderungen zu stellen.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 3 C 26/11, juris Rn. 25; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.01.2013 - 11 S 1581/12, juris Rn. 25.
61Die Verwendung generalisierender Begriffe ist grundsätzlich möglich, wenn sie eine Bestimmbarkeit im konkreten Fall gestatten, z.B. durch die Beifügung von Beispielen in Fällen, in denen ein engerer Oberbegriff nicht mehr vorhanden ist. Insofern kommt es darauf an, welches Maß an Bestimmtheit der Behörde zur Regelung des fraglichen Sachverhalts möglich ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit dürfen nur so hoch gesteckt werden, dass sie bei normalem, dem Sachverhalt angemessenem Verwaltungsaufwand noch erfüllbar bleiben. Keinesfalls dürfen sie den Erlass eines Verwaltungsakts auf Grundlage bestimmter Ermächtigungen praktisch ausschließen.
62Vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 5.
63Wird dem Adressaten ein Handeln, Dulden oder Unterlassen aufgegeben, muss das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein, dass sie nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Die Konkretisierung dessen, was ge- oder verboten ist, muss in der Verfügung selbst erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben. Dem Bestimmtheitsgebot wird deshalb nicht genügt, wenn und soweit nur die Wiederholung des Inhalts einer Gesetzesvorschrift mit gleichen oder anderen Worten erfolgt, ohne dass eine Konkretisierung auf den Einzelfall vorgenommen wird und so die Wertung dem Adressaten überlassen bleibt.
64Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1993 - 3 C 42/91, BVerwGE 94, 341, juris Rn. 48 f.; Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2021, Kap. G Rn. 145.
65Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist entsprechend §§ 153, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der erklärte Wille maßgebend, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. Bei Ermittlung dieses objektiven Erklärungswerts sind alle dem Empfänger bekannten oder erkennbaren Umstände heranzuziehen, insbesondere auch die Begründung des Verwaltungsakts. Die Begründung hat einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Regelungsgehalt. Sie ist die Erläuterung der Behörde, warum sie den verfügenden Teil ihres Verwaltungsakts so und nicht anders erlassen hat. Die Begründung bestimmt den Inhalt der getroffenen Regelung mit, so dass sie in aller Regel unverzichtbares Auslegungskriterium ist.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.10.2013 - 8 C 21/12; Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 19. November 2021 ‑ 14 K 1638/15, juris Rn. 14 m. w. N.
67Diesen Anforderungen genügt das angegriffene Verbot inhaltlich gleichbedeutender Umgehungsformulierungen nicht. Weder für die Klägerin einschließlich ihrer Versammlungsteilnehmer noch für die Vollzugsbeamten der Beklagten wurde mit dieser Regelung hinreichend deutlich, welche Parolen bzw. Transparentaufschriften im Einzelnen verboten waren.
68Dem generalisierenden Verbot inhaltlich gleichbedeutender Umgehungsformulierungen ist zu entnehmen, dass neben den konkret benannten Parolen „E1. -E. Nazi-Kiez“ und „National befreite Zone“ auch alle anderen Formulierungen, die inhaltlich denselben Gehalt aufweisen, bei der klägerischen Versammlung verboten sind. Zwar lässt sich durch Auslegung ermitteln, worin der verbotene inhaltliche Gehalt im Allgemeinen bestehen soll. Denn durch die Bezugnahme auf die konkret untersagten Parolen, die Benennung weiterer Beispiele („E. ist unser Kiez“, „Nazi-Kiez“, „Nationalen … erkämpfen“) sowie vor dem Hintergrund der in der Versammlungsbestätigung enthaltenen Begründung wird deutlich, dass mit der Auflage jegliche Äußerung eines territorialen Dominanzanspruchs der rechten Demonstranten hinsichtlich des Stadtteils E1. -E. aufgrund der damit verbundenen Einschüchterungswirkung unterbunden werden soll.
69Unbestimmt bleibt jedoch, welche Formulierungen im Einzelnen als Geltendmachung eines solchen territorialen Dominanzanspruchs zu verstehen und damit als unter das generalisierende Verbot zu subsumierende Umgehungsformulierung zu bewerten sind.
70Die in der Versammlungsbestätigung enthaltene Begründung der Auflage liefert hierzu keine weiteren Anhaltspunkte, sondern verhält sich ausschließlich zu dem Verbot der konkret benannten Parolen „E1. -E. Nazi-Kiez“ und „National befreite Zone“, ohne dabei auf die Erweiterung des Verbots auf inhaltsgleiche Umgehungsformulierungen einzugehen.
71Auch die in dem Klammerzusatz der angegriffenen Regelung beispielhaft benannten Umgehungsformulierungen „E. ist unser Kiez“, „Nazi-Kiez“ und „Nationalen … erkämpfen“ vermögen diesbezüglich schon deshalb keine weitere Klarheit zu schaffen, weil sie nicht abschließend sind. Zudem zeigt das Beispiel „Nationalen … erkämpfen“, dass unter den gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen gerade nicht bloß solche Formulierungen zu verstehen sind, bei denen einzelne Worte der konkret verbotenen Parolen eher geringfügig variiert werden – wie etwa bei „unser Kiez“ statt „Nazi-Kiez“. Vielmehr wird deutlich, dass sich vor dem spezifischen Hintergrund der rechtsextremistischen Szene in E1. -E. auch einer in erster Linie politisch-ideologischen Forderung aufgrund der weiteren Umstände, wie der Beklagte selbst ausführt, ein räumlicher Bezug beimessen lässt. Das Feld an Formulierungen und Parolen, in denen sich in diesem Zusammenhang bei den Versammlungen der Klägerin in E1. zumindest implizit auch ein territorialer Dominanzanspruch erblicken ließe, lässt sich insofern kaum überblicken und es sind vielerlei Grenzfälle denkbar. Welche Formulierungen dabei im Einzelnen unter den Begriff der Umgehungsformulierungen zu subsumieren sind, wird durch die streitgegenständliche Regelung jedoch nicht konkretisiert, sondern bleibt einer subjektiven Bewertung des Adressaten bzw. der Vollzugsbeamten überlassen, die durchaus unterschiedlich ausfallen kann.
72Diese Unklarheit lässt sich mit dem Bestimmtheitsgebot nicht vereinbaren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Skandieren von Parolen und der Verwendung von Transparenten um versammlungstypische Formen gemeinsamer Meinungskundgabe handelt,
73vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 - 1 BvR 2793/04, juris Rn. 38; Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 19.11.2021 - 14 K 6634/18 -, juris Rn. 126,
74und an die Bestimmtheit eines entsprechenden Verbots aufgrund seiner Grundrechtsrelevanz strenge Maßstäbe anzulegen sind.
75Aufgrund seiner Unbestimmtheit ist eine rechtssichere Umsetzung des Verbots vorliegend nicht möglich. Dies betrifft zuvorderst die Klägerin als Adressatin der Regelung. Denn sie ist nur dann in der Lage, die Verwendung entsprechender Formulierungen effektiv zu unterbinden, wenn diese im Einzelnen konkret festgelegt sind und insofern bereits zu Beginn der Versammlung durch den Versammlungsleiter gegenüber den Teilnehmern mitgeteilt werden können. Das generalisierende Verbot inhaltsgleicher Umgehungsformulierungen ist dem jedoch nicht zugänglich und bietet damit jedenfalls abstrakt die Gefahr, dass bei der klägerischen Versammlung zur Vermeidung unklarer Zweifelsfälle von dem Gebrauch der Versammlungs- und Meinungsfreiheit über Gebühr abgesehen wird. Denn soweit eine Parole bzw. Transparentaufschrift durch die Polizei als Umgehungsformulierung bewertet würde, könnte dies schwerwiegendere Maßnahmen gegen die Versammlung, namentlich eine Auflösung nach § 15 Abs. 3 VersG und unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen für den Versammlungsleiter nach § 25 Nr. 2 VersG nach sich ziehen. Spiegelbildlich dazu wird auch für die eingesetzten Vollzugsbeamten des Beklagten mit dem streitgegenständlichen Verbot von Umgehungsformulierungen nicht hinreichend deutlich, gegen welche Parolen, Aufschriften sowie sonstige Äußerungen im Einzelnen einzuschreiten ist.
76Durch ein solches Verständnis werden auch nicht zu hohe Anforderungen an das Vorgehen der Polizeibehörde gestellt. Die Kammer verkennt dabei insbesondere nicht das in dem zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung anzuwendenden § 15 VersG normierte öffentliche Interesse, nicht hinnehmen zu müssen, dass die öffentliche Ordnung durch die Verwendung – unter Umständen vielfältiger – Abwandlungen und Umgehungsformulierungen zu den konkret verbotenen Parolen gefährdet wird. Einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kann jedoch nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 VersG gegebenenfalls mit nachträglichen Beschränkungen bis zu – als ultima ratio – einer Versammlungsauflösung auf der Grundlage einer aktuellen Bewertung der konkret stattfindenden Versammlung begegnet werden.
77Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 19. November 2021 - 14 K 6634/18, juris Rn. 81.
78Eine solche Vorgehensweise ist zur Gefahrenabwehr unter dem Gesichtspunkt der pflichtgemäßen Ermessensausübung und insbesondere der Verhältnismäßigkeit auch nicht weniger geeignet, als das hier streitgegenständliche präventive Verbot aller Umgehungsformulierungen. Dies zeigt sich bereits daran, dass beispielsweise bei der vorhergehenden Versammlung der Klägerin am 13. September 2019 die dort gleichlautend zum hier streitigen Verbot erlassene Auflage gerade nicht ausschließen konnte, dass bei Durchführung der Versammlung Formulierungen verwendet wurden, die zwar von dem Beklagten als Verstoß gewertet wurden, nach Einschätzung der Klägerin aber noch nicht unter den Begriff der inhaltlich gleichbedeutenden Umgehungsformulierungen fielen, sodass ohnehin vor Ort eingeschritten und unter Hinweis auf die Einschätzung der anwesenden Beamten, bzw. der Einsatzleitung zum Unterlassen der weiteren Verwendung aufgefordert werden musste. Darin zeigt sich, dass ein vorab erlassenes generalisierendes und zu seiner Umsetzung auslegungsbedürftiges Verbot selbst dann, wenn es dem Bestimmtheitsgebot noch genügen würde, jedenfalls nicht besser zur effektiven Gefahrenabwehr geeignet ist als der Erlass konkreter und hinreichend bestimmter Verfügungen vor Ort während der Durchführung der Versammlung.
79Nach alledem war die Kammer nach abschließender Prüfung in der Hauptsache daran gehindert, an dem Eilbeschlusses vom 20. September 2019 (14 L 1456/19), der sich auf eine vorläufige Interessenabwägung beschränkte, festzuhalten.
80Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
81Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
82Rechtsmittelbelehrung:
83Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
841. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
852. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
863. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
874. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
885. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
89Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
90Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
91Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
92Beschluss
93Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
94Gründe:
95Die Entscheidung beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes.
96Rechtsmittelbelehrung:
97Gegen diesen Beschluss findet Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
98Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Über die Beschwerde entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
99Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.