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1. Die Auflage, aus Gründen des Infektionsschutzes eine Liste der Versammlungsteilnehmer anzufertigen und diese bereits vor Beginn der Versammlung an die Polizei bzw. die Ordnungsbehörde auszuhändigen, ist rechtswirdig.
2. Dem Versammlungsleiter kann aber im Rahmen einer Genehmiung nach § 11 Abs. 3 CoronaSchVO NRW aufgegeben werden, eine anzufertigende Teilnehmerliste drei Wochen lang aufzubewahren und im Falle eines nachträglich festgestellten Infektionsfalls unter den Teilnehmern an die Gesundheitsbehörde weiterzugeben.
1. Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Ziffer 2 Satz 2 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 27. April 2020 wird mit der Maßgabe angeordnet, dass die anzufertigende Teilnehmerliste von der Antragstellerin als Versammlungsleiterin drei Wochen lang aufzubewahren und nur im Falle eines durch die Gesundheitsbehörden festgestellten Infektionsfalles bei einem der Versammlungsteilnehmer an diese unverzüglich herauszugeben ist.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
3. Der Tenor des Beschlusses ist den Beteiligten vorab telefonisch bekanntzugeben.
Gründe:
2Der am 30. April 2020 gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen Ziffer 2 Satz 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 27. April 2020 anzuordnen,
4hat unter der im Tenor des Beschlusses formulierten Auflage Erfolg.
5Nach § 11 Abs. 1 der für das Begehren der Antragstellerin maßgeblichen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. April 2020 in der ab 27. April 2020 gültigen Fassung sind Versammlungen untersagt, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO können die nach dem Landesrecht für Schutzmaßnahmen nach § 28 Absatz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) zuständigen Behörden für Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz Ausnahmen zulassen, wenn die Veranstalter die Einhaltung der für den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen erforderlichen Maßnahmen (insbesondere Mindestabstände) sichergestellt haben. Die Kammer lässt es im vorliegenden Verfahren dahingestellt, ob diese Vorschriften mit Blick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 des Grundgesetzes (GG) verfassungsgemäß sind. Eine Klärung dieser Rechtsfrage muss einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
6Vgl. in diesem Sinne auch BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 17. April 2020 – 1 BvQ 37/20 –, juris, Rdnr. 23.
7Für das vorliegende Verfahren geht die Kammer unter Berücksichtigung der kollidierenden Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (Gesundheit der Bevölkerung) und Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) sowie Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (informationelles Selbstbestimmungsrecht) im Sinne der Herstellung einer praktischen Konkordanz davon aus, dass die Auflage, die anzufertigende Teilnehmerliste vor Versammlungsbeginn und ohne konkreten infektionsschutzrechtlichen Anlass der Polizei als Versammlungsbehörde oder der Antragsgegnerin als Ordnungsbehörde auszuhändigen, rechtswidrig ist.
8Der durch die Auflage der Antragsgegnerin insoweit vorgenommene Eingriff in die Versammlungsfreiheit sowie das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist auch unter Berücksichtigung des mit der Auflage legitimer Weise bezweckten Schutzes der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus unverhältnismäßig.
9Die Auflage zur Versammlung am 1. Mai 2020, die anzufertigende Teilnehmerliste vor Versammlungsbeginn an die Versammlungsbehörde bzw. die Ordnungsbehörde zu übergeben, ist zwar geeignet den Schutz der Bevölkerung vor Infektionen mit dem Coronavirus zu erreichen, da auf diese Weise die Rückverfolgung von Infektionsketten ermöglicht wird. Sie könnte darüber hinaus sogar erforderlich sein, da andere mildere Mittel, die den Zweck in ebenso effektiver Weise verfolgen, nicht zur Verfügung stehen. Insbesondere das Vorhalten einer Teilnehmerliste durch den Versammlungsveranstalter könnte nicht in ebenso effektiver Weise geeignet sein, die Infektionsketten zurückzuverfolgen, da eine Überprüfung der angegebenen Personalien auf Plausibilität durch die Ordnungsbehörden nicht ermöglicht würde.
10Jedoch geht die Kammer davon aus, dass diese Maßnahme unverhältnismäßig ist und die von dem Eingriff betroffenen Grundrechte nicht ausreichend berücksichtigt werden. Soweit die Antragsgegnerin eine Teilnehmerliste bereits vor Versammlungsbeginn bekommen möchte, um zu überprüfen, ob die Personalien plausibel sind, ist diese Auflage nur sinnvoll zu verwirklichen, wenn die Versammlungsbehörde oder die Ordnungsbehörde vor Versammlungsbeginn insbesondere auch den Personalausweis eines Versammlungsteilnehmers einsehen kann, um auf diese Weise die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen. Dieser Eingriff berücksichtigt jedoch nicht hinreichend die aus Art. 8 Abs. 1 GG resultierende Versammlungsfreiheit. Insbesondere bei Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit geht es um die öffentliche Kundgabe einer Meinung, die typischerweise auf Kritik gegenüber staatlichen Einrichtungen, anderen Organisationen oder sonstigen öffentlichen Ereignissen gerichtet ist. Dabei ist nicht hinzunehmen, dass die öffentliche Kundgabe einer Meinung von der vorherigen Feststellung der Personalien durch die staatlichen Behörden abhängig gemacht wird. Dieser Eingriff wäre geeignet, eine Vielzahl von Versammlungsteilnehmern davon abzuhalten, ihr in Art. 8 Abs. 1 GG verbürgtes Grundrecht wahrzunehmen. Insbesondere im sensiblen Bereich der kritischen Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Geschehen wäre die Auflage einer durch staatliche Stellen vorab zu kontrollierenden Teilnehmerliste nicht angemessen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass eine allgemeine, präventive Kontrolle potentiell infizierter Kontakte derzeit auch in keinen anderen Lebensbereichen (im ÖPNV oder in Geschäften usw.) durch die staatlichen Stellen stattfindet.
11Gleichwohl erachtet es die Kammer als milderes und noch verhältnismäßiges Mittel, wenn die Antragstellerin eine Teilnehmerliste erstellt bzw. von den Teilnehmern erstellen lässt, diese drei Wochen lang aufbewahrt und nur dann an eine Gesundheitsbehörde aushändigt, wenn diese einen konkreten Infektionsfall bei einem der Versammlungsteilnehmer positiv festgestellt hat. Im Übrigen bewertet auch die Antragstellerin selbst dies so, zumal sie sich nur gegen Satz 2 und nicht gegen die übrigen Sätze 1 sowie 3 und 4 der Ziffer 2 der Auflagen zur Wehr setzt. Ausweislich ihrer Antragsschrift hat sie selbst keine Bedenken, die Liste zu erstellen und selbst vorzuhalten.
12Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
13Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und berücksichtigt die mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrte Vorwegnahme der Hauptsache.