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Erfolglose Klage eines Kurden, aus Syrien stammenden Staatenlosen auf Flüchtlingsanerkennung
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der nach eigenen Angaben am 1. März 1966 in B. in Syrien geborene Kläger, kurdischer Volkszugehörigkeit, lebte dort eigenen Angaben zufolge bis zum 27. März 2015, reiste dann nach einem längeren Aufenthalt in Bulgarien im Dezember 2015 nach Deutschland ein. Auf seinen Asylantrag vom 27. April 2016 wurde er am gleichen Tage zur Vorbereitung der Anhörung vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) befragt und am Folgetag gemäß § 25 des Asylgesetzes (AsylG) angehört. Er gab hierbei an, dass ihm in Syrien vor der Ausreise persönlich nichts passiert sei. Er habe keine Personalpapiere besessen, nur ein Identitätsdokument und eine Heiratsurkunde über die Eheschließung mit der syrischen Staatsangehörigen Z. B1. , die Klägerin im Verfahren 11a K 4349/16.A sei. Er habe Syrien, wo er keinen Wehrdienst geleistet habe, aufgrund des Krieges und wegen der fehlenden Sicherheit verlassen. Im Übrigen habe er, nur weil er Kurde gewesen sei, nicht zur Schule gehen und keine Immobilien auf seinen Namen anmelden dürfen.
3Mit Bescheid des Bundesamtes vom 10. Mai 2016 wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Im Übrigen wurde der Asylantrag abgelehnt. Zur Begründung der Ablehnung wurde ausgeführt, dass der Kläger keine Verfolgung innerhalb Syriens geltend gemacht habe. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass er aufgrund eines asyl- und flüchtlingsrelevanten Merkmals von staatlichen Stellen oder nichtstaatlichen Dritten in Syrien verfolgt werde. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass für ihn bei der Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr bestehe, Opfer einer solchen Verfolgung zu werden. Der Kläger habe insoweit angegeben, dass er Syrien lediglich aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage und der kriegerischen Auseinandersetzungen verlassen habe.
4Am 24. Mai 2016 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, dass er als Staatenloser Probleme bei Reisen innerhalb Syriens gehabt habe. Er befürchte, dass er bei der Rückkehr zur Wehrpflicht herangezogen werde, da man nunmehr insoweit als Syrer behandelt werde.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Mai 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 des Asylgesetzes zuzuerkennen.
7Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
8die Klage abzuweisen.
9Mit Beschluss vom 15. Februar 2018 hat die Kammer den Rechtstreit auf den Vorsitzenden als Einzelrichter übertragen.
10Zur mündlichen Verhandlung ist kein Vertreter der Beklagten erschienen. Dem Kläger ist dort Gelegenheit gegeben worden, ergänzend zu seinen Asylgründen vorzutragen. Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten der mündlichen Verhandlung auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 11a K 4349/16.A und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Stadt Essen Bezug genommen.
11Entscheidungsgründe:
12Das Gericht konnte trotz der Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten gemäß § 102 Abs. 2 VwGO zuvor darauf hingewiesen worden sind, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
13Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im angegriffenen Bescheid des Bundesamtes vom 10. Mai 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
14Dem Kläger steht der begehrte Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) nicht zu. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
15Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u.a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
16Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
17Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen,
18vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Februar 2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, Entscheidungen des BVerwG (BVerwGE) 146, 67, Rn. 19.
19Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit,
20vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 ‑ 10 C 7.11 ‑, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 402.25 § 73 AsylVfG, Nr. 43, Rn. 12, zur Vorgängerrichtlinie.
21Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 ‑ 10 C 25.10 ‑, BVerwGE 140, 22, Rn. 21 f.
23Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann,
24vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, BVerwGE 146, 67, Rn. 32.
25Ob sich der Ausländer im Einzelfall auf eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung, frühere Handlungen und Bedrohungen wiederholten sich bei einer Rückkehr in das Herkunftsland, berufen kann bzw. die Vermutung widerlegt ist, ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen,
26vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 -, juris Rn 23; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 17. August 2010 - 8 A 4063/06.A -, juris Rn 39.
27Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht des Klägers vor politischer Verfolgung in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) unbegründet. Es kann zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) weder festgestellt werden, dass der Kläger aufgrund bereits erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung aus Syrien ausgereist ist, noch, dass ihm aufgrund von zwischenzeitlich eingetretenen (Nachflucht-) Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische oder sonstige flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung droht.
281.
29Eine bereits erlittene oder unmittelbar drohende Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG ist in der Person des Klägers nicht glaubhaft gemacht worden.
30Die allgemeine Kriegssituation in Syrien und deren Auswirkungen auf die Sicherheits- und Wirtschaftslage, auf die sich der Kläger bei der Anhörung gegenüber dem Bundesamt vornehmlich berufen hat, stellen ersichtlich keine politische Verfolgung dar. Vielmehr beruft er sich damit auf eine Gefahrenlage, der die Bevölkerung im bewaffneten, innerstaatlichen Konflikt in Syrien allgemein ausgesetzt ist und die gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus‘ rechtfertigt. Einen Bezug zu den Verfolgungsmerkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG lässt dieser Lebenssachverhalt nicht erkennen.
31Dass der Kläger individuellen Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit ausgesetzt gewesen wäre, ist nicht glaubhaft dargetan worden.
32Der Kläger ist auch nicht allein aufgrund seiner kurdischen Volkszugehörigkeit einer allgemeinen Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Kammer folgt insoweit der vom OVG NRW vertretenen Auffassung,
33vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2018 – 14 A 618/18.A -,
34die in Übereinstimmung mit der Erkenntnislage steht, wonach politisch nicht aktive Kurden nicht per-se aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit Übergriffen ausgesetzt sind, sondern nur in Verbindung mit einer tatsächlichen oder zugeschriebenen Oppositionsnähe zu der jeweils herrschenden Gruppierung,
35vgl. Auswärtiges Amt (AA), Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, Az.: 508-9-516.80/48840, Deutsche Botschaft in Beirut, Auskunft an das Bundesamt vom 3. Februar 2016; Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Auskunft an das VG Gelsenkirchen vom 29. März 2017.
36Der Kläger ist auch nicht dadurch politisch verfolgt, dass er als Staatenloser beim Grundbesitzerwerb beschränkt ist, nicht über einen syrischen Reisepass verfügt, keine staatlichen Arbeitsplätze in Anspruch nehmen kann und Probleme beim Reisen innerhalb Syriens hat. Hierbei ist die Schlechterstellung der Staatenlosen als solche nach Auffassung der Kammer nicht als ethnisch oder religiös motivierte politische Verfolgung zu klassifizieren. Vielmehr ist die Ursache für die Schlechterstellung darin begründet, dass sie von ihrem Status her keine syrischen Staatsbürger sind und sich in Syrien illegal aufhalten bzw. dort nur geduldet sind bzw. ihnen der Aufenthalt gestattet ist. Dies hat zur Folge, dass sie – wie dies regelmäßig auch in anderen Staaten der Fall ist – weniger Rechte besitzen und eben auch in ihren Möglichkeiten beschränkt sind, sich wirtschaftlich und in sonstiger Weise zu betätigen,
37so auch OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Mai 2011 – 3 L 374/09 -, juris.
38Der Kläger ist auch nicht dadurch politisch verfolgt, dass viele kurdische Volkszugehörige in Syrien im Jahre 1962 ausgebürgert worden sind und der Kläger- wovon zu seinen Gunsten ausgegangen wird – aufgrund dieser Maßnahme staatenlos ist – und damit keine Rechte als syrischer Staatsbürger hat.
39Selbst dann, wenn die 1962 erfolgte "Ausbürgerung" kurdischer Volkszugehöriger von ca. 10 – 15 % der in Syrien lebenden Kurden ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein sollte, rechtfertigt allein der Umstand, dass auch die Nachkommen dieser Personengruppen von den Folgen dieser Maßnahme (noch) betroffen sind, nicht schon die Annahme einer auch hinsichtlich der Abkömmlinge (fort-) bestehenden politischen Verfolgung. Zwar knüpft der Status der Nachkommen daran an, dass der Vater des Klägers bzw. dessen Eltern 1962 ihre Staatsbürgerschaft verloren haben. Damit wirkt die staatliche Maßnahme hinsichtlich der damit einhergehenden Rechtsfolgen in Bezug auf den Verlust der Staatsangehörigkeitsrechte fort, so dass es für den jeweiligen Abkömmling hinsichtlich der Art und Intensität der Rechtsgutbeeinträchtigung nicht an den für eine asylrelevante Verfolgungsmaßnahme erforderlichen Voraussetzungen fehlt,
40vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Mai 2011 – 3 L 374/09 -, juris.
41Gleichwohl lässt sich nicht feststellen, dass es sich hinsichtlich der für die Nachkommen der 1962 „ausgebürgerten“ Personen fortwirkenden Rechtsgutbeeinträchtigung um eine staatliche Maßnahme handelt, die – wie es für eine asylrelevante politische Verfolgung erforderlich wäre – hinsichtlich ihrer Zielgerichtetheit an ihre kurdische Volkszugehörigkeit anknüpft. Es ist auch unter Berücksichtigung der für den genannten Personenkreis und ihre Abkömmlinge fortbestehenden Beeinträchtigung nicht davon ausgehen, dass es dem syrischen Staat auch heute noch darum geht, die von der Volkszählung selbst oder infolge ihrer Abstammung (mittelbar) betroffenen Kurden in Syrien wegen ihrer Ethnie auszugrenzen. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung ist die kurdische Bevölkerung keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt. Ebenso lässt sich nicht feststellen, dass eine programmatische Politik der Vertreibung, Ausbürgerung oder Ausgrenzung von Kurden wegen ihrer Volkszugehörigkeit betrieben wird, selbst wenn gegenüber den 1962 ausgebürgerten bzw. unregistrierten Kurden Vorbehalte verblieben und sie aufgrund ihres Status erheblich benachteiligt sind. Dies gilt umso mehr, als die syrische Regierung 1976 von der Zwangsansiedlungs- und Umsiedlungspolitik offiziell Abstand genommen und diese aufgegeben hat. Dass sich in Syrien die Einstellung zu den staatenlosen Kurden - und speziell auch hinsichtlich der Staatsangehörigkeitsfrage - gegenüber den 60iger Jahren geändert hat, belegt im Übrigen auch der Umstand, dass im öffentlichen Raum über die (Wieder-) Einbürgerung der von der Volkszählung 1962 Betroffenen diskutiert wird,
42vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. August 2007 – 15 A 1450/04.A -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 24. März 2009 – 2 LB 643/07 -.
43Ferner enthebt auch das Rechtsinstitut der „Sippenhaft“ nicht der Notwendigkeit, dass sich die staatlichen Maßnahmen – wenn auch anknüpfend an asylrelevante Persönlichkeitsmerkmale Dritter – ihrer objektiven Zielgerichtetheit nach zugleich gegen die Angehörigen richten müssen und dass ein entsprechender Verfolgungswille auch gegenwärtig noch besteht. Dies kann hier aber aus den dargelegten Gründen nicht festgestellt werden,
44vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Mai 2011 – 3 L 374/09 -, juris.
45Der Kläger ist auch nicht dadurch politisch verfolgt worden, dass der syrische Staat dem Kläger bislang noch nicht die Möglichkeit gegeben hat, sich wieder einbürgern zu lassen.
46Zur Vorenthaltung der syrischen Staatsangehörigkeit hat das OVG NRW in seinem Urteil vom 15. August 2007 - 15 A 1450/04.A - ausgeführt:
47„Soweit Art. 3 des Gesetzes Nr. 276 vom 24. November 1969 zur Regelung der (syrischen) Staatsangehörigkeit normiert, dass "von Amts wegen als syrischer Araber gilt, (a) wer innerhalb oder außerhalb der arabischen Provinz Syrien (Art. 1 lit. a) a. a. O.) als Kind eines arabisch-syrischen Vaters geboren ist; (b) wer innerhalb der arabischen Provinz Syrien als Kind einer arabisch-syrischen Mutter geboren und wessen väterliche Abstammung nicht gesetzlich festgestellt worden ist; (c) wer in der Provinz als Kind von Eltern geboren ist, die ... unbekannter Staatsangehörigkeit oder staatenlos sind ...", ist zunächst festzustellen, dass das geltende syrische Staatsangehörigkeitsrecht nicht ansatzweise einen Anhaltspunkt dafür liefert, welcher auf eine Benachteiligung bzw. Diskriminierung kurdischer Volkszugehöriger schließen lässt. Maßgeblich wird nach der Gesetzeslage vielmehr auf die syrische Staatsangehörigkeit des Vaters (bzw. der Mutter) abgestellt und darauf, dass - soweit der Betroffene in Syrien geboren ist - die Eltern nachweislich keine Ausländer sind, mithin keine andere Staatsangehörigkeit besitzen, sondern Staatenlose bzw. Personen mit unbekannter Staatsangehörigkeit. Eine Ausgrenzung kurdischer Volkszugehöriger lassen die gesetzlichen Regelungen nach allem nicht erkennen. Fraglich erscheint somit allenfalls, ob die in Syrien bestehende Rechtspraxis in Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts zu der Annahme berechtigt, dass sie aufgrund ihrer objektiven Gerichtetheit auf eine Ausgrenzung bzw. Aussperrung kurdischer Volkszugehöriger abzielt. Hierfür könnte zunächst der Umstand sprechen, dass viele kurdische Volkszugehörige, die Abkömmlinge der 1962 "ausgebürgerten" Kurden sind, nach wie vor staatenlos sind, obwohl bei ihnen nach dem syrischen Staatsangehörigkeitsgesetz die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung bzw. Erwerb der syrischen Staatsangehörigkeit erfüllt sein mögen. Indessen vermag der Senat nicht festzustellen, dass die vom syrischen Staat geübte (restriktive) Rechtspraxis in der Anwendung und Handhabung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts an die Ethnie der kurdischen Volkszugehörigen anknüpft. Dabei ist zur Überzeugung des Senats von Folgendem auszugehen:
48Der Senat vermag aufgrund des vorliegenden Erkenntnismaterials schon nicht festzustellen, dass die Verwaltungspraxis syrischer Behörden bei der Anerkennung einer syrischen Staatsangehörigkeit Kurden ausnahmslos die staatsbürgerlichen Rechte verweigert. Vielen Kurden, die von der Ausbürgerung 1962 betroffen waren, ist es gelungen, ihre syrische Staatsbürgerschaft zurückzuerlangen, entweder indem sie die lokalen Amtswalter bestachen oder sich im Hinblick auf ihre beweisbaren Geburtsdaten oder Hausurkunden oder sonstige Dokumente (z.B. Steuererklärung) auf das Gesetz beriefen. So soll es zwischen 15.000 und 40.000 Kurden der 1962 Ausgebürgerten in der Zeit von Mitte der 1960er bis Mitte der 1980er Jahre gelungen sein, die syrische Staatsbürgerschaft, wenngleich vorwiegend durch gute Beziehungen und Bestechung, zurückzuerlangen.
49vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. März 2006, a.a.O.
50Dies lässt nicht darauf schließen, dass das Handeln der zuständigen Stellen und der für sie handelnden Amtswalter von dem Willen getragen ist, Kurden wegen ihrer Ethnie (generell) die syrische Staatsangehörigkeit zu verweigern.
51Ferner ist, soweit es die Rechtspraxis syrischer Behörden bei der Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts betrifft, in Rechnung zu stellen, dass die aufgrund der Volkszählung von 1962 staatenlosen und nicht registrierten Kurden sowie ihre Abkömmlinge nicht über die erforderlichen Personaldokumente und Beweismittel verfügen, um den Nachweis zu führen, dass sie im Zeitpunkt ihrer Ausbürgerung die syrische Staatsangehörigkeit besaßen bzw. in Syrien geborene Abkömmlinge von Kurden sind, die staatenlos sind oder deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist. Dies gilt insbesondere für die unregistriert gebliebenen Kurden, die in keinem Personenstandsregister erfasst sind und auch keine Personaldokumente besitzen. Bei dieser Sachlage erscheint es nahe liegend, dass viele Kurden nicht den erforderlichen Beweis zu erbringen vermögen, dass sie die gesetzlichen Voraussetzungen nach dem syrischen Staatsangehörigkeitsgesetz erfüllen. Dass es hingegen eines solchen Beweises bedarf, folgt bereits unmittelbar aus dem syrischen Staatsangehörigkeitsgesetz, wonach derjenige, der die syrische Staatsangehörigkeit für sich reklamiert, den erforderlichen Nachweis hierfür führen muss. Art. 29 des syrischen Staatsangehörigkeitsgesetzes schreibt insoweit ausdrücklich vor, das die Beweislast auf dem Gebiet des Staatsangehörigkeitsgesetzes bei demjenigen liegt, der den Besitz der Staatsangehörigkeit behauptet. Dabei dürfte es auch keinen Unterschied machen, ob bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine syrische Staatsangehörigkeit die Staatsbürgerschaft "automatisch" erworben wird oder ob es insoweit eines zusätzlichen Verfahrens zwecks Erwerb des begehrten Status bedarf. Denn jedenfalls kann bei dem betroffenen Personenkreis keineswegs ausnahmslos vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen gem. Art. 3 des syrischen Staatsangehörigkeitsgesetzes ausgegangen werden, da zur Gruppe der vom Zensus im Jahre 1962 betroffenen Kurden eben auch Personen gehörten, die - zumal aus der Sicht des syrischen Stellen - (im Einzelfall) auch eine andere (türkische oder irakische) Staatsangehörigkeit besaßen.
52Nach Auffassung des Senats kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass die (restriktive) Rechtspraxis syrischer Behörden bei der Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts als Fortsetzung der vormals vom syrischen Staat betriebenen sog. Arabisierungspolitik zu begreifen ist, soweit diese einer asylerheblichen programmatischen politischen Verfolgung gleichgesetzt wird. Die gegenwärtige Rechtspraxis bei der Anwendung des syrischen Staatsangehörigkeitsrechts lässt sich nicht als Fortsetzung einer Arabisierungspolitik in dem Sinne verstehen, dass sie etwa unverändert auf eine systematische bzw. programmatische Ausgrenzung der Kurden abzielen würde. Hierfür fehlt es zur Überzeugung des Senats aufgrund des vorliegenden Erkenntnismaterials an hinreichenden Anhaltspunkten, zumal wenn man berücksichtigt, dass viele staatenlose bzw. nicht registrierte Kurden zwischenzeitlich die syrische Staatsangehörigkeit (wieder) erworben haben und man in der Öffentlichkeit über die Frage einer (Wieder-) Einbürgerung jener Kurden diskutiert wird, die im Jahre 1962 vom Zensus betroffen waren. So soll auch die syrische Regierung eingestanden haben, dass es bei der Volkszählung zu Fehlern gekommen sei; es habe deshalb in der Folgezeit die Möglichkeit bestanden, geeignete Unterlagen nachzureichen, um den Aufenthalt in Syrien vor 1945 zu beweisen und so die Staatsangehörigkeit wieder zu erlangen. Dies alles lässt darauf schließen, dass - selbst wenn man verbliebene Vorbehalte gegenüber den 1962 ausgebürgerten bzw. unregistrierten Kurden in Rechnung stellt und das Verwaltungshandeln nicht selten von Willkür und Korruption gekennzeichnet ist - eine programmatische Politik der Vertreibung, Ausbürgerung oder Ausgrenzung von Kurden aufgrund ihrer Ethnie von Amts wegen nicht (mehr) betrieben wird.“
53so auch Niedersächsisches OVG, Urteil vom 24. März 2009 – 2 LB 643/07 -; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Mai 2011 – 3 L 374/09 -, juris.
54Dem schließt sich die Kammer an. Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass für eine fehlende Ausgrenzung der Kurden spricht, dass einem großen Teil der Kurden inzwischen die Möglichkeit gegeben wird, sich wieder einbürgern zu lassen.
55Zu Beginn der Aufstände in Syrien hat das Assad-Regime im April 2011 bekannt gegeben (Dekret Nr. 49 vom 7. April 2011), dass diejenigen Kurden innerhalb Syriens, welche über keinerlei Staatsbürgerschaft verfügen, die syrische Staatsangehörigkeit erhalten sollen. Dies betrifft die Gruppe der registrierten staatenlosen sog. Adschanib, wohingegen die unregistrierten staatenlosen Maktumin weiterhin nicht berücksichtigt werden,
56vgl. AA, Auskunft vom 2. Januar 2017 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Gz.: 508-9-516.80/48974).
57Nach alledem ist davon auszugehen, dass dem Kläger vor seiner Ausreise weder etwas für eine politische Verfolgung Relevantes persönlich passiert ist noch er in den Blick der Sicherheitskräfte geraten ist, noch einer Gruppenverfolgung ausgesetzt gewesen ist.
582.
59Unverfolgt ausgereiste syrische Staatsangehörige werden bei ihrer (hypothetischen) Rückkehr auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an eine vermutete oder ihnen sicher zugeschriebene oppositionelle Haltung allein aufgrund ihrer (illegalen) Ausreise aus Syrien, ihres Auslandsaufenthaltes und einer Asylantragstellung politisch verfolgt. Diese Auffassung wird von zahlreichen mit dieser Frage befassten Obergerichten geteilt,
60vgl. OVG NRW, Urteile vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A – und 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A –; Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom 9. August 2017 – A 11 S 710/17 –; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 –; OVG Saarland, Urteil vom 18. Mai 2017 – 2 A 176/17 –; Bayerischer VGH, Urteil vom 12. Dezember 2017 – 21 B 16.30364 –; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 –, OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23. November 2016 – 3 LB 17/16 –, jeweils zitiert nach juris.
61In Betracht kommt lediglich eine Verfolgung durch den syrischen Staat, da eine – hypothetische – Abschiebung nur über eine Flugverbindung denkbar ist. Die allein geöffneten Zivilflughäfen in Damaskus und Qamishly werden von der syrischen Regierung kontrolliert,
62vgl. AA, Auskunft vom 12.Oktober 2016 an das VG Trier, S. 2; Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse: „Präsenz des syrischen Regimes in Al-Qahtania, Rekrutierung durch die syrische Regierung in den von der PYD verwalteten Gebieten, insbesondere in der Provinz Al-Hasaka“, 26. Februar 2016, S. 2.
63Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die syrischen Machthaber um des Erhalts ihrer infolge der militärischen Auseinandersetzung bedrohten Herrschaft mit äußerster Härte gegen tatsächliche oder vermeintliche Oppositionelle vorgehen, ist es zur Überzeugung der Kammer nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ein Rückkehrer ohne Hinzutreten weiterer gefahrerhöhender Umstände allein wegen seiner (illegalen) Ausreise aus Syrien, seines Asylantrags und wegen seines Aufenthalts in Deutschland in Anknüpfung an einen gesetzlichen Verfolgungsgrund Verfolgung zu befürchten hat. Dies gilt auch für Staatenlose, die dauerhaft in Syrien gelebt haben. Es ist ebenso wenig beachtlich wahrscheinlich, dass dauerhaft in Syrien lebende Staatenlose ohne Hinzutreten weiterer gefahrerhöhender Umstände allein wegen der illegalen Ausreise aus Syrien, des Asylantrages und des Aufenthalts im westlichen Ausland in Anknüpfung an einen gesetzlichen Verfolgungsgrund Verfolgung zu befürchten haben.
64a) Hierbei geht die Kammer nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass Rückkehrer seit Jahren am Flughafen Damaskus einer Einreisekontrolle unterzogen werden,
65vgl. u.a. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 21, Auskunft vom 12. Oktober 2016 an das VG Trier.
66Dabei wird mit Hilfe der Datenbanken der syrischen Sicherheitsdienste auch überprüft, ob die jeweilige Person im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen gesucht wird. Solche umfassen aus Sicht der syrischen Behörden nicht nur Erkenntnisse zu Straftaten, sondern auch, ob die Person von den Geheimdiensten wegen oppositioneller Tätigkeiten, Journalismus oder aufgrund der Mitarbeit in einer Nichtregierungsorganisation registriert ist,
67vgl. SFH, Auskunft: „Syrien: Rückkehr“ vom 21. März 2017, Seite 7 f.; United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien – „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, Februar 2017 (deutsche Fassung April 2017), Seite 5.
68Es gibt auch mehrere Erkenntnisse, nach denen Rückkehrer nicht nur befragt, sondern teilweise auch zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind,
69vgl. u.a. Botschaft Beirut, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016; SFH, Bericht zur Rückkehr vom 21. März 2017, S. 8,11; U.S. Department of State, Human Rights Report 2016, S. 36.
70Im Weiteren setzt das syrische Regime im Kampf gegen die syrische Opposition die Armee und Sicherheitskräfte gezielt gegen zivile Siedlungsgebiete ein. Es gibt vier große Sicherheitsdienste, die unabhängig voneinander alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens kontrollieren. Vieles deutet darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten haben. Es kommt seit Beginn der Unruhen regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen durch die Sicherheitsdienste, Rechtsmittel dagegen existieren nicht. Vor allem im Gewahrsam der außerhalb jeder Kontrolle agierenden Geheimdienste kommt es zu Drohungen und körperlichen Misshandlungen sowie zu ungeklärten Todesfällen. Die Fälle des Verschwindenlassens haben seit März 2011 erheblich zugenommen. Zu den Betroffenen werden hauptsächlich männliche Syrer im Alter teils ab 14 Jahren gezählt. Zum Risikoprofil der Betroffenen wird nach Untersuchung der bekannt gewordenen Fälle ausgeführt, jeder, der in irgendeiner Form als oppositionell wahrgenommen werde, sei gefährdet, willkürlich festgenommen, verschleppt und gegebenenfalls bis zum Tode gefoltert zu werden. Nach einer Schätzung der Human Rights Data Analysis Group aus August 2016 sind zwischen März 2011 und Dezember 2015 mindestens 17.723 Personen aufgrund von Folter und anderen Misshandlungen im Gewahrsam syrischer Sicherheitskräfte gestorben, was durchschnittlich 300 Todesfälle im Monat bedeutet. Zwischen September 2011 und Dezember 2015 hat es nach einer Schätzung von Amnesty International zwischen 5.000 und 13.000 Fälle willkürlicher Hinrichtungen allein in der Hafteinrichtung in Sadnaya gegeben,
71vgl. AA, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungs-relevante Lage in der Arabischen Republik Syrien, 17. Februar 2012, S. 5-8; Deutsche Botschaft in Beirut, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016, Antwort auf Frage IV; UN-Menschenrechtsrat (UNHCR), Human rights abuses and international humanitarian law violations in the Syrian Arab Republic, 21.7.2016 – 28.2.2017; Human Rights Watch, World Report 2016; Amnesty International, Amnesty Report 2017, Syrien, Berichtszeitraum 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2016, S. 1; Amnesty International, „It breaks the Human“, 17. August 2016, S. 7, 16-17; Amnesty International, Ein Schlachthaus für Menschen, 2016; U.S. Department of State, Human Rights Reports 2015 und 2016; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact finding mission report Syrien, August 2016.
72b) Es kann offen bleiben, ob unter Auswertung der Auskunftslage die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungshandlung durch den syrischen Staat festgestellt werden kann,
73verneinend: OVG NRW, Urteil vom 21. Februar 2017 – 14 A 2316/16.A –, juris Rn. 29 ff.; offen lassend: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 –, juris Rn.47 ff.
74Denn es mangelt jedenfalls mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlichen Verknüpfung zwischen einer Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund.
75Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass syrische Sicherheitsbehörden Rückkehrer, die Syrien illegal verlassen, einen Asylantrag gestellt und sich längere Zeit im Ausland aufgehalten haben, ohne weitere Anhaltspunkte pauschal der Opposition zurechnen.
76Insbesondere spricht der Umstand, dass nunmehr ca. 5 Millionen zuvor in Syrien lebende Menschen – mithin knapp ein Viertel der gesamten Bevölkerung – aus dem Land geflohen sind,
77vgl. UNHCR, „Global Trends – Forced Displacement in 2015”, AA, Länderinformation Syrien, August 2016; U.S. Commission on international religious freedom, Annual Report 2017, Syria,
78gegen eine solche Annahme. In Anbetracht dieser Dimensionen drängt es sich geradezu auf, dass der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck politischer Gegnerschaft zum Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen hat,
79vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2016 – 14 A 1852/16.A –.
80Auch den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen lässt sich im Rahmen einer Gesamtbewertung nicht entnehmen, dass einem syrischen Staatsangehörigen sowie einem dauerhaft in Syrien lebenden Staatenlosen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit allein wegen seiner illegalen Ausreise, seines Aufenthalts im westlichen Ausland und seiner Asylantragstellung eine oppositionelle Handlung unterstellt wird und ihm deshalb Verfolgung droht. Vielmehr ist diesen zu entnehmen, dass es insoweit weiterer Umstände bedarf, um - mit überwiegender Wahrscheinlichkeit - eine Verfolgungsgefahr wegen unterstellter oppositioneller Tätigkeit zu begründen.
81Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes und der Deutschen Botschaft in Beirut gibt es keine Erkenntnisse dazu, dass schon eine illegale Ausreise, Asylantragstellung und der Aufenthalt im Ausland Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen,
82vgl. AA, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017 (Az.: 508-9-516.80/48840); Deutsche Botschaft Beirut, Auskunft an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2016, S.1.
83Das Europäische Zentrum für kurdische Studien bestätigt, dass das syrische Regime nicht jede Flucht als Akt der Gegnerschaft zum Regime versteht. Die Flucht von Millionen syrischer Bürger wird hiernach nicht in erster Linie als Flucht vor dem Regime gewertet, sondern als Flucht vor dem von Terroristen ausgelösten Krieg. Ein längerer Auslandsaufenthalt zusammen mit einer Asylantragstellung wird hiernach nicht automatisch als politische Kritik gewertet,
84vgl. Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Auskunft an das VG Gelsenkirchen vom 29. März 2017 zu dem Verfahren 11a K 4176/16.A.
85In zahlreichen Auskünften wird ausdrücklich angegeben, dass nicht jeder Rückkehrer verfolgt werde. Abgesehen von der immer möglichen Willkür komme es bei der Behandlung von Rückkehrern auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an. Maßgeblich sei, ob weitere Umstände vorlägen, aufgrund derer eine oppositionelle oder oppositionsnahe Einstellung angenommen oder zumindest vermutet wird,
86vgl. AA, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, a.a.O.; Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, a.a.O.; Dt. Orient-Institut, Auskunft an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof (HessVGH) vom 1. Februar 2017 zum dortigen Az. 3 A 3040/16.A; SFH, Syrien: Rückkehr, Auskunft vom 21. März 2017 unter Bezugnahme auf das Immigration and Refugee Board of Canada, wonach bestimmte Personengruppen besonders gefährdet sind,
87woraus zu schließen ist, dass allein die illegale Ausreise und die Asylantragstellung im westlichen Ausland isoliert gesehen noch nicht als oppositionell bewertet werden.
88Auch der UNHCR stellt hinsichtlich des Risikoprofils von „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“ wesentlich auf spezifische risikoerhöhende Umstände ab,
89vgl. UNHCR, „Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfa-dens für Syrien“, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, Februar 2017 (dt. Fassung April 2017) S. 14 ff.; UNHCR, „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, S. 25 ff,
90und geht damit in der Sache auch nicht davon aus, dass jeder Rückkehrer nach Syrien allein aufgrund einer illegalen Ausreise und einer Asylantragstellung als tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung angesehen wird.
91Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der Festnahme einzelner Personen im Zusammenhang mit Abschiebungen aus Deutschland aus der Zeit bis 2011 anzunehmen. Die Kammer folgt insoweit den Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs,
92vgl. Urteil vom 12. Dezember 2016 – 21 B 16.30338 –,
93der im Einzelnen dargelegt hat, dass bei den von Amnesty International und vom kurdischen Informationsdienst KURDWATCH dokumentierten Fällen neben der Asylantragstellung weitere besondere Umstände vorgelegen haben.
94Im Weiteren ist auch nicht aufgrund von Berichten über die Behandlung von Rückkehrern aus nichteuropäischen Ländern eine Verfolgung als Oppositioneller aufgrund der illegalen Ausreise und einer Asylantragstellung anzunehmen. Die Kammer verweist insoweit zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz,
95vgl. Urteil vom 16. Dezember 2016 – 1 A 10922/16 –, juris Rn 80 ff.
96Auch der Umstand, dass der Generalmajor der Republikanischen Garden, Issam Zahreddine, in einem Interview bezogen auf Kriegsflüchtlinge gedroht hat, dass diese niemals zurückkehren sollten, da selbst wenn der syrische Staat ihnen vergebe, „wir“ niemals vergessen und verzeihen würden,
97vgl. Spiegel-Online vom 11. September 2017, „Assads Top-General droht Flüchtlingen, 11. September 2017, http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-krieg-top-general-issam-zahredidine-droht-fluechtlingen-a-1167093.html”,
98begründet keinen Anhalt für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass vom syrischen Staat rückkehrenden Asylbewerbern Verfolgungshandlungen in Anknüpfung an eine unterstellte regimefeindliche Gesinnung drohen,
99vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2017 – 14 A 2823/17.A.
100Denn der lediglich im Kampfeseifer, nämlich im Anschluss an die Eroberung der jahrelang von der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) gehaltenen Großstadt Deir al-Sor gefallenen Äußerung eines einzelnen militärischen Befehlshabers, der im Übrigen inzwischen schon tot ist, kommt kein entscheidendes Gewicht für die Prognose längerfristiger Entwicklungen zu, zumal dieser, der mit „wir“ allenfalls Teile des von ihm befehligten Militärs gemeint haben kann, nicht repräsentativ für das Regime gesprochen hat,
101vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 12. September 2017 – 2 LB 750/17 -.
102Hierfür spricht auch, dass die maßgebliche letzte Entscheidungsgewalt in Syrien stark zentralisiert ist, d.h. sie liegt bei Baschar al-Assad bzw. seiner Familie und deren direktem Umfeld – und damit nicht bei einem General, auch wenn dieser angesehen sein mag; von den maßgeblichen offiziellen syrischen staatlichen Stellen ist die Drohung des Generals, die nicht durch das offizielle „Sprachrohr“ der syrischen Regierung, die Syrian Arab News Agency SANA, verbreitet wurde, indessen nicht bestätigt worden; hierzu ist nicht einmal Stellung genommen worden,
103vgl. Dt. Orient-Institut, Auskunft vom 29. November 2017 an das VG Freiburg – Az. A 3 K 3579/16 -.
104Im Übrigen hat der General sich bereits am Folgetag für seine Äußerung entschuldigt und von Fehlinterpretationen seiner unter dem Eindruck von zerstückelten Leichen syrischer Soldaten getroffenen Äußerung gesprochen. Die Drohung habe sich nur auf die Anhänger des IS bezogen, der die entsprechenden Verbrechen begangen hätte, nicht hingegen auf die übrigen Kriegsflüchtlinge,
105vgl. Middle East Eye vom 12. September 2017, Syrian general apologises after apparently warning refugees against return, zit., in: Seite “Issam Zahreddine”, in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 21. November 2017, 02:18 UTC,https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Issam_Zahreddine&oldid=171213907.
106Schließlich vermag, auch wenn die weite Verbreitung von Gewalttätigkeiten und Misshandlungen durch die im rechtsfreien Raum agierenden Sicherheitskräfte ein Indiz für das Vorliegen einer Anknüpfung an eine unterstellte politisch gegnerische Gesinnung darstellt,
107vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 2 BvR 2954/09 –, juris Rn. 33; BVerfG, Beschluss vom 29. April 2009 – 2 BvR 78/08 –, juris Rn. 18; BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 2 BvR 2141/06 –, juris Rn. 29,
108die indizielle Wirkung bei der an dieser Stelle in Rede stehenden Fallgestaltung nicht den Schluss auf die tatbestandlich erforderliche Verknüpfung zu tragen, weil es an weiteren, über bloße Willkür hinausgehenden, hinreichenden Anhaltspunkten fehlt.
1093.
110Dem Kläger droht im Falle einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung. Denn der Kläger hat sich nicht dem Wehrdienst entzogen. Der staatlichen Wehrpflicht – ohne die Möglichkeit einer Kriegsdienstverweigerung - unterliegen in Syrien nach dem dortigen Recht Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren mit syrischer Staatsangehörigkeit,
111vgl. SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertation, Auskunft vom 23.3.2017,
112zu denen der staatenlose Kläger bereits aufgrund seiner fehlenden Staatsangehörigkeit nicht gehört. Dementsprechend ist der Kläger nach seiner eigenen Angabe bis zu seiner Ausreise im Alter von 49 Jahren auch nicht zum Wehrdienst herangezogen worden.
113Dafür dass der Kläger – wie von ihm in der mündlichen Verhandlung erstmals behauptet – bei der Rückkehr nach Syrien als Syrer behandelt würde und nunmehr automatisch der Wehrpflicht durch den syrischen Staat ausgesetzt würde, ist nichts ersichtlich. Seit 2011 gibt es in Syrien lediglich die Möglichkeit, dass staatenlosen Kurden die syrische Staatsangehörigkeit angeboten wird, welche dann mit der grundsätzlichen Pflicht zur Ableistung des Militärdienstes verbunden sein würde,
114vgl. Deutsche Botschaft Beirut, Auskunft an das Bundesamt vom 3. Februar 2016.
115Es kann offen bleiben, ob dem Kläger, der nach eigenen Angaben von 2011 bis 2015 nicht die syrische Staatsangehörigkeit beantragen durfte, nunmehr diese Möglichkeit gegeben würde. Selbst wenn man davon ausginge, dass dem Kläger bei seiner hypothetischen Rückkehr die syrische Staatsangehörigkeit verliehen würde und er trotz seines Alters und der Überschreitung des gesetzlichen Rekrutierungsalters um 10 Jahre nunmehr zur Ableistung des Militärdienstes verpflichtet würde, ist es fernliegend, dass der syrische Staat dem inzwischen 52 Jahre alten Kläger, der über das gesetzliche Rekrutierungsalter weit hinaus bis zum 49. Lebensjahr in Syrien nicht zum Wehrdienst herangezogen worden ist, bei einer Rückkehr als Staatenloser Wehrdienstentziehung vorwerfen würde.
116Aber auch ungeachtet dessen droht dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung wegen einer Wehrdienstentziehung.
117Die Art und die Dauer der Bestrafung von Wehrdienstentziehung oder Desertion sind im Military Penal Code von 1950, geändert 1973, festgelegt. Danach werden Personen, die sich der Einberufung entziehen, in Friedenszeiten zwischen ein bis sechs Monaten und in Kriegszeiten bis zu fünf Jahren inhaftiert. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Besonders hart ist die Strafdrohung, wenn der Betroffene bereits Soldat ist und desertiert. Dann drohen fünf Jahre Haft,
118vgl. SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, Auskunft vom 23.3.2017.
119Auch eine Wehrdienstentziehung durch eine illegale Ausreise von noch nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen kann bestraft werden,
120vgl. AA, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, Az.: 508-9-516.80/48808.
121Nach den vorliegenden Erkenntnissen erfolgt die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung nicht immer nach den Regelungen des syrischen Wehrstrafrechts. Die Quellen sprechen von mehreren möglichen – letztlich willkürlichen – Konsequenzen, je nach Profil des Einzelnen und dem Bedarf an der Front, die von einer bloßen Ermahnung über eine unmittelbar nach der Festnahme verordnete Einberufung in den Wehrdienst, einem Einsatz an vorderster Front bis hin zu Haft und Folter reichen,
122vgl. SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, Auskunft vom 23.3.2017, S. 10 ff; UNHCR, Auskunft an den HessVGH vom 30. Mai 2017, S. 4, Fn. 15 unter Bezugnahme auf weitere Quellen.
123Selbst wenn dem Kläger bei seiner Rückkehr wegen der Wehrdienstentziehung eine entsprechende Bestrafung drohen und er hierbei einer gem. § 3a Abs. 1 AsylG relevanten Verfolgungshandlung ausgesetzt würde, vermag die Kammer nach Auswertung der vorliegenden Erkenntnisse keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die zu erwartenden Sanktionen an einen Verfolgungsgrund des § 3 Abs. 1 AsylG (hier: eine aufgrund der Wehrdienstentziehung vermutete oppositionelle Haltung) anknüpfen,
124so im Ergebnis auch: OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A –, juris.
125Auch die an die Wehrdienstentziehung oder -verweigerung anknüpfenden Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, führen für sich allein nicht zu einer flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgung. Das ist nur dann anders, wenn die Strafe nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen eines asylerheblichen Merkmals, insbesondere seiner politischen Meinung, treffen soll,
126vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2017 – 1 B 78.17 –, juris Rn. 14.
127Der totalitäre Charakter eines Regimes als solcher lässt noch nicht den Rückschluss auf eine automatisch gegen die Überzeugung Andersdenkender gerichtete Motivation bei Maßnahmen zur Durchsetzung staatlicher Ziele, insbesondere zur zwangsweisen Durchsetzung eines Wehrdienstes zu, weil derartige Maßnahmen zu den Belastungen aller Herrschaftsunterworfenen gehören, vor denen das Asylrecht nicht bewahren kann. Ebenso wenig lässt sich die politische Motivation allein aus der in einer erlittenen Misshandlung liegenden Menschenrechtsverletzung herleiten,
128vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1986 – 9 C 322/85 –, juris Rn. 15.
129Eine entsprechende Gerichtetheit des Handelns syrischer Sicherheitskräfte lässt sich nach den vorliegenden Erkenntnissen hier nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit feststellen.
130Dem Militärstrafrecht in Syrien als solchem sind Anhaltspunkte für eine Differenzierung anhand der in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Kriterien nicht zu entnehmen. Diesen Regeln unterliegen alle männlichen syrischen Staatsangehörigen gleichermaßen.
131Es kann dahinstehen, ob Wehrdienstentziehern in tatsächlicher Hinsicht eine härtere Bestrafung unter Anknüpfung an eine vermeintliche oppositionelle Haltung drohen kann,
132vgl. hierzu (dies bejahend): AA, Auskunft vom 2. Januar 2017 an das VG Düsseldorf (Az.: 508-9-516/80/48808),
133denn vorliegend begründen – wie dargelegt – die illegale Ausreise, der Aufenthalt im westlichen Ausland und die Asylantragstellung keine vermeintliche oppositionelle Haltung. Es gibt auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass diese Umstände im Übrigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine stärkere Bestrafung beim Wehrdienstentzug befürchten lassen.
134Dem Kläger droht auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine politische Verfolgung pauschal wegen der Wehrdienstentziehung in Verbindung mit der illegalen Ausreise, des Aufenthalts im westlichen Ausland und der Asylantragstellung. Es fehlt insoweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ebenfalls an der Verknüpfung der Verfolgungshandlung mit dem Verfolgungsgrund. Eine solche Anknüpfung wäre dann zu bejahen, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür geben würde, dass der syrische Staat aufgrund der Wehrdienstentziehung grundsätzlich eine oppositionelle bzw. oppositionsnahe Einstellung annehmen bzw. unterstellen würde. Für eine solche Vermutung bzw. Unterstellung - auch in Kombination mit den anderen Umständen – fehlen die hinreichenden konkreten Anhaltspunkte.
135Soweit nach Auffassung des UNHCR,
136vgl. Auskunft an den HessVGH vom 30. Mai 2017; Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien, Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien – „illegale Ausreise“ aus Syrien und verwandte Themen, Februar 2017 (deutsche Fassung April 2017), S. 22 ff.,
137Wehrdienstentziehung vom syrischen Staat „wahrscheinlich“ als Ausdruck politischen Dissenses betrachtet wird, vermag dies nicht zu überzeugen. Der UNHCR bezieht sich für seine Annahme in der Auskunft vom 30. Mai 2017 (Seite 6/7) auf im Einzelnen wiedergegebene Stellungnahmen von – vier – Auskunftspersonen, deren Äußerungen sich in bloßen, nicht weiter konkretisierten Behauptungen erschöpfen. Belastbare konkrete Erkenntnisse, aus denen sie ihre Bewertung ableiten, werden nicht benannt. Zudem stellt der UNHCR seine diesbezügliche Bewertung wieder in Frage, wenn er (Seite 3 der Auskunft) ausführt: „Ob die gegen die Betroffenen angewandten Sanktionen als Antwort auf die Straftat der Wehrdienstentziehung oder auf die unterstellten oppositionellen Überzeugungen erfolgen, ist oft nicht zu unterscheiden und festzustellen. Das Motiv mag von den handelnden Regierungskräften bei der Bestrafung zum Ausdruck gebracht werden ...“. Damit geht auch der UNHCR von einer entsprechenden Motivation der handelnden Sicherheitskraft im Einzelfall aus und gerade nicht von einer dem syrischen Regime zuzurechnenden Bewertung der Personengruppe der wehrflüchtigen Personen.
138Hiergegen lässt sich auch nicht einwenden, der Kläger könne die einer eventuell drohenden Misshandlung durch Sicherheitskräfte zu Grunde liegende Intention – als innere Tatsache – letztlich nicht darlegen. Den Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten von asylsuchenden Personen (in der Rechtsprechung häufig als „sachtypischer Beweisnotstand der Asylsuchenden“ bezeichnet) ist zwar im Rahmen der Überzeugungsbildung des Gerichts wohlwollend Rechnung zu tragen. Die humanitäre Schutzrichtung des Asyl- und Flüchtlingsrechts gebietet aber weder eine Beweislastumkehr noch eine Folgeabwägung im Sinne einer größtmöglichen Schutzgewährung. Vielmehr muss das Gericht aufgrund tragfähiger Anhaltspunkte die Überzeugung gewinnen, dass die Voraussetzungen für den jeweiligen Schutzstatus, hier die entsprechende Verknüpfung der Verfolgungshandlung syrischer Sicherheitskräfte mit den spezifischen Verfolgungsgründen des § 3 Abs. 1 AsylG, gegeben sind. Andernfalls würde die gesetzliche Unterscheidung zwischen dem Flüchtlingsstatus und dem subsidiärem Schutz – contra legem – aufgehoben.
139Eine entsprechende Gerichtetheit des Handelns syrischer Sicherheitskräfte folgt nach Auffassung der erkennenden Kammer auch nicht „aus dem Charakter des um seine Existenz kämpfenden Staates und den von seinen Machthabern mit größter Härte und unter Einsatz menschenrechtswidriger Mittel verfolgten Zielen“,
140so aber Bayerischer VGH, Urteil vom 14. Februar 2017 – 21 B 16.31001 –, juris, Rn.83; im Ergebnis auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2. Mai 2017 – A 11 S 562/17-, juris.
141Diese Zielsetzung lässt ein entsprechend motiviertes Verhalten immer dann erwarten, wenn das Ziel der Machterhaltung gefährdet erscheint, mithin bei einer tatsächlichen oder auch nur vermuteten Regimegegnerschaft. Das konsequente Vorgehen gegen jede Art von tatsächlicher oder vermeintlicher Opposition ist den vorliegenden Erkenntnissen auch übereinstimmend zu entnehmen. Eine solche Gerichtetheit in Bezug auch auf die große Anzahl männlicher – gänzlich unpolitischer – Flüchtlinge, die das Land aufgrund der Bürgerkriegswirren verlassen haben und damit gleichsam zwangsläufig den Tatbestand der Wehrdienstentziehung verwirklicht haben, erscheint vor diesem Hintergrund aber nicht als plausibel. Weitergehende tatsächliche Anhaltspunkte für die von diesen Gerichten angenommene politische Gerichtetheit der Sanktionen sind auch den vorgenannten Entscheidungen nicht zu entnehmen.
142Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass auch den weiteren ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnissen keine Gerichtetheit einer Verfolgung wegen Wehrdienstentziehung an eine unterstellte oppositionelle Handlung zu entnehmen ist. Eine solche ist zwar nicht auszuschließen,
143vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Fact finding mission report Syrien, August 2017: „Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen terroristische Bestrebungen zu schützen,“ wobei als einzige mögliche Quelle der UNHCR genannt ist,
144jedoch besteht hierfür keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die vorliegenden Erkenntnisse beschränken sich im Wesentlichen lediglich auf die Auskunft, dass Wehrdienstentzieher bestraft werden. Hierbei sind die Strafen unterschiedlich: von dem sofortigen Einzug in den Militärdienst über Haft und Folter bis zum Verschwindenlassen – was vielfach mit illegalen Exekutionen verbunden sein dürfte. Abgesehen von der verbreiteten Willkür bei diesen Maßnahmen hängen diese Maßnahmen nach den vorliegenden Erkenntnissen vom Profil der betroffenen Person ab, also letztlich davon, ob dem Betreffenden aus anderen Gründen eine oppositionelle Einstellung unterstellt wird,
145vgl. SFH, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23.3.2017, S. 10; Danish Immigration Service, Danish Refugee Council, Syria, Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG, September 2015, S. 18 - nach einem neueren Bericht des Danish Immigration Service, Danish Refugee Council (Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria) vom August 2017 droht den Wehrdienstentziehern hingegen lediglich die Einziehung zum Militärdienst; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt vom 5. Januar 2017.
1464.
147Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger ist auch nicht wegen einer Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gerechtfertigt. Als Verfolgungshandlung kommt danach in Betracht die „Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des§ 3 Abs. 2 fallen“.
148Ob eine an diese Voraussetzungen anknüpfende Verfolgungshandlung vorliegen kann, mag dahinstehen, denn jedenfalls müsste diese, um asylrelevant zu sein, ebenfalls eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund des § 3 Abs. 1 AsylG aufweisen,
149vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. Mai 2017 – 14 A 2023/16.A –, juris.
150an der es – wie dargelegt – fehlt.
1515.
152Bei dem Kläger liegen auch keine weiteren, das Risiko einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung erhöhende Umstände vor. Solche Umstände folgen namentlich nicht aus seiner kurdischen Volkszugehörigkeit.
153Nach der Erkenntnislage ist eine Verfolgung unpolitischer Personen kurdischer Volkszugehörigkeit nicht beachtlich wahrscheinlich, sondern nur in Verbindung mit einer tatsächlichen oder zugeschriebenen Oppositionsnähe zu der jeweils herrschenden Gruppierung – hier den syrischen Machthabern –,
154vgl. AA, Auskunft an das VG Düsseldorf vom 2. Januar 2017, Az.: 508-9-516.80/48840, Deutsche Botschaft in Beirut, Auskunft an das Bundesamt vom 3. Februar 2016, Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Auskunft an das VG Gelsenkirchen vom 29. März 2017.
155Eine solche Verbindung ist vom Kläger nicht substantiiert behauptet worden und hierfür ist beim Kläger, der nach seinen eigenen Angaben weder Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierung noch einer sonstigen politischen Organisation gewesen ist, nichts ersichtlich.
156In einer derartigen Konstellation stellt die kurdische Volkszugehörigkeit keinen besonderen Umstand dar, der zusammen mit der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des Lebens im westlichen Ausland und der Wehrdienstentziehung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer politischen Verfolgung des Klägers begründet.
157Es kann offen bleiben, ob weitere, das Risiko einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung erhöhende Umstände dann vorlägen, wenn die Kinder des Klägers oder seine Ehefrau in Syrien politisch verfolgt würden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Insoweit wird auf das klageabweisende Urteil vom heutigen Tage im Verfahren 11a K 4349/16.A Bezug genommen.
158Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger bei dessen hypothetischer Rückkehr durch die kurdische (Kampf-)Gruppe YPG bzw. YPJ politische Verfolgung durch eine Rekrutierung droht. Ungeachtet der Frage, ob die von der kurdischen Partei PYD beherrschten Gebiete noch als ein wesentlicher Teil des syrischen Staatsgebiets angesehen werden können, steht einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Rekrutierung des Klägers jedenfalls entgegen, dass nach den vorliegenden Erkenntnissen in dem von der kurdischen Partei PYD beherrschten Gebiet Syriens ein Gesetz zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für Personen zwischen 18 und 30 Jahren erlassen worden ist und jeder Mann unter 30 Jahren, der in die kurdischen Gebiete zurückkehrt, mit einer Zwangsrekrutierung rechnen muss,
159vgl. Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Auskunft vom 29. März 2017 an das VG Gelsenkirchen (Az.: 11a K 4176/16.A); SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 7. Juli 2015 zu Syrien: Rekrutierung in B. ,
160der Kläger indes mit 52 Jahren das Rekrutierungsalter seit mehr als 20 Jahren überschritten hat. Auch wenn nach den vorliegenden Erkenntnissen,
161vgl. Europäisches Zentrum für Kurdische Studien, Auskunft vom 29. März 2017 an das VG Gelsenkirchen (Az.: 11a K 4176/16.A),
162auch Fälle aktenkundig geworden sind, in denen ältere Männer von der YPG zwangsrekrutiert worden sind, ist es jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger mit einer Zwangsrekrutierung rechnen muss, obwohl er das Rekrutierungsalter seit mehr als 20 Jahren überschritten hat. Hiergegen spricht überdies, dass der Kläger nicht zwangsrekrutiert worden ist, als er dort bis zu einem Alter von 49 Jahren gelebt hat. Es ist auch nicht vorgetragen worden, dass es insoweit jemals Rekrutierungsversuche des Klägers seitens der YPG gegeben hat. Einer politischen Verfolgung durch eine Zwangsrekrutierung steht des Weiteren entgegen, dass nicht ersichtlich ist, dass diese an einen Verfolgungsgrund anknüpft. Es gibt auch keine Erkenntnisse dafür, dass die kurdischen Herrscher von der PYD eine Flucht aus Syrien als gegen sich gerichtete politische Tätigkeit bewerten und verfolgen,
163vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2018 – 14 A 528/18.A.
164Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.