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Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 9.12.2015 - 10 C 6.15 -) entwickelten Maßstäbe für die Zulässigkeit der Bildung von Rücklagen bei der Haushaltsplanung einer Industrie- und Handelskammer finden auch bei der Aufstellung eines Wirtschaftsplanes nach den Grundsätzen der doppischen Haushaltsführung Anwendung (wie VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2.11.2016 - 6 S 1261/14 -).
Bei der Bildung bzw. Beibehaltung einer Ausgleichsrücklage muss die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer grundsätzlich eine nachvollziehbare Prognose dahingehend aufstellen, dass ergebniswirksame Schwankungen in einer Höhe drohen, die die konkrete Höhe der Ausgleichsrücklage rechtfertigen. Eine Ausnahme kommt allenfalls in Betracht, wenn eine vorgegebene Mindesthöhe für die Ausgleichsrücklage nicht überschritten wird.
Das Bedürfnis für die Bildung bzw. Beibehaltung einer Liquiditätsrücklage in ihrer konkreten Höhe muss in jedem Fall nachvollziehbar anhand einer Prognose der Risiken vorübergehender Liquiditätsengpässe begründet werden.
Die Vollversammlung muss die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage und über deren Höhe bei jedem Wirtschaftsplan erneut und unabhängig davon treffen, ob die Rücklage gebildet oder, wenn auch in reduziertem Umfang, beibehalten wird.
Für die Rechtmäßigkeit der Rücklagenbildung kommt es allein darauf an, ob die Vollversammlung den ihr bei Aufstellung des Wirtschaftsplans zustehenden Gestaltungsspielraum rechtsfehlerfrei ausgefüllt hat, nicht darauf, ob sie hypothetisch einen Plan mit gleichem Inhalt oder sogar einem höheren Finanzierungsbedarf rechtsfehlerfrei hätte beschließen können.
Der Beitragsbescheid der Beklagten vom 8. März 2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags
Tatbestand:
2Die Klägerin ist im Bereich der gewerblichen und industriellen Wasserbehandlung und –aufbereitung gewerblich tätig. Sie wendet sich gegen die Erhebung von IHK-Beiträgen für die Jahre 2013 und 2016 durch die Beklagte.
3Die Vollversammlung der Beklagten beschloss am 15. November 2011 für die fünf folgenden Jahre eine „6-Punkte-Strategie“ zur mittelfristigen Beitragsgestaltung. Danach sollten u.a. zukünftige Wirtschaftspläne ohne Überschüsse geplant und die Ausgleichs- und Liquiditätsrücklage schrittweise deutlich reduziert werden. In den nächsten Jahren sollte es Beitragsstabilität, also möglichst keine Beitragssatzerhöhungen geben und sollten unplanmäßige Beitragsmehreinnahmen kurzfristig erstattet werden. Hintergrund war nach der Beschlussvorlage, dass sich die Finanzen der Beklagten in den vorangegangenen 5 Jahren „besser als erwartet“ entwickelt hatten und „unplanmäßige Beitragsmehreinnahmen“ erzielt worden waren.
4Ab dem Jahr 2012 plante die Beklagte entsprechend dieser Finanzstrategie negative Jahresergebnisse. Dabei kam es in den Jahren 2012 und 2014 zu unplanmäßigen Beitragsmehreinnahmen. Für diese Geschäftsjahre wurden Beitragserstattungen beschlossen.
5In ihrer Sitzung am 13. November 2012 beschloss die Vollversammlung der Beklagten die Verwendung des im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2011 ausgewiesenen Ergebnisses von 4.888.264,99 Euro zur Bildung einer Vorsorgerücklage für das Bauvorhaben eines Weiterbildungszentrums in Höhe von 2.500.000 Euro und zu einem Ergebnisvortrag in Höhe von 2.388.264,99 Euro. Nach der Beschlussvorlage sollte der Großteil des Ergebnisvortrags genutzt werden, um die Beitragserstattung für das Wirtschaftsjahr 2012 vornehmen zu können. In dem Jahresergebnis war ein Ergebnisvortrag aus 2010 in Höhe von 1,8 Millionen Euro enthalten. Ausgewiesen waren im Jahresabschluss 2011 eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 12.400.000 Euro, eine Liquiditätsrücklage in Höhe von 12.529.222 Euro und eine Baurücklage in Höhe von 12.743.000 Euro.
6Die Vollversammlung beschloss ferner die Wirtschaftssatzung für das Jahr 2013, mit der u.a. der Wirtschaftsplan festgestellt und die im Jahr 2013 auf der Grundlage der Beitragsordnung der Beklagten vom 14. Juli 2011 (BeitrO 2011) zu erhebenden Beiträge festgelegt wurden. Der Wirtschaftsplan sah im Erfolgsplan eine Entnahme aus der Baurücklage in Höhe von 5.983.000 Euro vor, von denen 4.276.400 Euro zum Ausgleich des geplanten Jahresfehlbetrags vorgesehen waren und 1.706.600 Euro in die Liquiditätsrücklage umgeschichtet werden sollten. Geplant wurde ein Betriebsaufwand in Höhe von 27.632.000 Euro.
7In der Sitzung am 11. Juli 2013 beschloss die Vollversammlung der Beklagten orientiert an einer von der DIHK-Vollversammlung am 15. November 2012 empfohlenen Mustersatzung ein neues Finanzstatut mit der Vorgabe in § 24 Satz 4, die Liquiditätsrücklage bis spätestens zum 31. Dezember 2018 zu verwenden. Wegen des weiteren Inhalts, insbesondere des § 15a, wird auf das Finanzstatut Bezug genommen.
8Am 24. November 2015 beschloss die Vollversammlung der Beklagten folgende neue mittelfristige Finanzstrategie: Spätestens ab dem Jahr 2018 müssten die Erträge wieder zur Deckung der Aufwendungen ausreichen. Bis diese Deckung erreicht sei, würden unplanmäßige Beitragsmehreinnahmen nicht mehr erstattet. Nach Fertigstellung des Weiterbildungszentrums solle die Nettoposition mindestens 30 % des Sachanlagevermögens betragen. Im Jahr 2016 erfolge eine entsprechende Zuführung zur Nettoposition. Über eine eventuelle weitere Erhöhung müsse im Jahr 2017 oder 2018 entschieden werden.
9Die Vollversammlung der Beklagten stellte zugleich den Jahresabschluss für das Jahr 2014 fest, der eine Ausgleichsrücklage in Höhe von 12.400.000 Euro, eine Liquiditätsrücklage in Höhe von 4.973.524 Euro und eine Baurücklage in Höhe von 18.704.252 Euro auswies. Das Jahresergebnis 2014 betrug bedingt durch die Reduzierung der Liquiditätsrücklage von im Vorjahr noch 12.529.222 Euro 0 Euro.
10In derselben Sitzung beschloss die Vollversammlung die Wirtschaftssatzung für das Jahr 2016. Im darin festgestellten Wirtschaftsplan waren Entnahmen aus Rücklagen von insgesamt 15.218.100 Euro geplant, von denen 10.000.000 Euro auf die Baurücklage, 3.027.000 Euro auf die Liquiditätsrücklage und 2.191.100 Euro auf die Ausgleichrücklage entfielen. Vorgesehen war ein negatives Jahresergebnis in Höhe von -5.178.900 Euro. Bzgl. der auf der Grundlage der Beitragsordnung der Beklagten vom 24. Juni 2014 (BeitrO 2014) bestimmten Beiträge wird auf die Wirtschaftssatzung Beiakte Heft 3 verwiesen. Die Vollversammlung rechnete mit einem Betriebsaufwand in Höhe von 28.488.900 Euro für das Jahr 2016.
11Mit Bescheid vom 9. Februar 2016 zog die Beklagte die Klägerin zu einem endgültigen IHK-Beitrag für das Jahr 2013 in Höhe von 181,80 Euro und zu einem vorläufigen IHK-Beitrag für das Jahr 2016 in Höhe von 160,90 Euro heran.
12Die Klägerin hat am 25. Februar 2016 Klage erhoben.
13Sie macht unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2015 – 10 C 6.15 – geltend, der Beklagten stünden in Gestalt überhöhter Rücklagen anderweitige Mittel zur Deckung ihrer Kosten zur Verfügung. Der in § 15a des Finanzstatuts der Beklagten vorgesehene Rahmen für die Ausgleichsrücklage sei mit Blick auf die Vorgaben des genannten Urteils schon dem Grunde nach unzulässig, jedenfalls mangels Beachtung des Gebots der Schätzgenauigkeit sachlich nicht begründet. Die durch die Vollversammlung beschlossene Dotierung innerhalb dieses Rahmens sei für beide streitbetroffenen Jahre ohne die erforderliche Risikoabschätzung erfolgt. Das zeige sich schon daran, dass sie über die Jahre statisch in Höhe von 12.400.000 Euro vorgehalten werde. Mit 42,94 % der für 2013 geplanten Aufwendungen und 39,65 % der für 2016 geplanten Aufwendungen übersteige sie den notwendigen Bedarf. Auch das Vorhalten der Liquiditätsrücklage missachte das Gebot der Schätzgenauigkeit. Die bayerische Landesregierung habe im März 2012 unter dem Eindruck eines Prüfungsberichts des Obersten Bayerischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2011 festgestellt, dass die Liquiditätsrücklage nach der Entwicklung der letzten Jahre zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Industrie- und Handelskammern nicht erforderlich sei. Die Beklagte sei vor diesem Hintergrund gefordert, nachzuweisen, warum eine solche Rücklage zur Absicherung entsprechender Risiken für die streitbefangenen Haushaltsjahre habe vorgehalten werden müssen. Dies gelte umso mehr, als sie selbst davon ausgehe, ab 2019 keine Liquiditätsrücklage mehr zu benötigen. Sie müsse dann darlegen, welche sachlichen Gründe diese Rücklage in den Jahren 2013 und 2016 im Gegensatz zu den Haushaltsjahren ab 2019 noch erforderlich gemacht hätten. Mit ihrem Vortrag im gerichtlichen Verfahren räume die Beklagte selbst ein, dass die erforderlichen Prognosen zur Ausgleichs- und Liquiditätsrücklage nicht vorgenommen worden seien und jedenfalls im Jahr 2013 eine unzulässige Vermögensbildung stattgefunden habe. Welche weiteren Rücklagen aus welchen Gründen gebildet worden seien, könne sie, die Klägerin nicht nachvollziehen. Mit Nichtwissen bestritten werde ferner, dass der Jahresüberschuss des Jahres 2011 dem Haushalt des Jahres 2013 wie vorgeschrieben zugeführt worden sei.
14Die Klägerin beantragt,
15den Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 2016 aufzuheben.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie trägt vor, hinsichtlich der Frage, ob eine Industrie- und Handelskammer über freies Vermögen zur Deckung ihrer Kosten verfüge, dürfe seit der Umstellung von der kameralen auf die doppische Haushaltsführung nicht auf die Rücklagen abgestellt werden, sondern es sei zwingend die Aktivseite der Bilanz in den Blick zu nehmen. Danach seien im Haushaltsjahr 2016 anders als im Haushaltsjahr 2013 keine freien Finanzmittel vorhanden gewesen, die an Stelle von Beiträgen zur Deckung der Aufwendungen hätten genutzt werden müssen. Finanzmitteln in Höhe von ca. 49,4 Millionen Euro hätten an finanzmittelrelevanten Positionen rund 18,7 Millionen Euro Baurücklage für die Finanzierung des neuen Weiterbildungszentrums, ca. 24,6 Millionen Euro für Rückstellungen und ca. 8,7 Millionen Euro für unvorhersehbare Baukostenüberschreitungen gegenüber gestanden. Konkrete Prognosen zur Höhe der Ausgleichs- und Liquiditätsrücklage habe die Vollversammlung bei den Beschlussfassungen der Wirtschaftspläne für die Geschäftsjahre 2013 und 2016 nicht angestellt. Dies sei unbeachtlich, weil sie seit 2012 ununterbrochen negative Jahresergebnisse geplant, Ergebnisvorträge abgebaut und schrittweise die in den Jahren zuvor ebenso schrittweise aufgebauten Rücklagen reduziert habe. Mit dieser auf der Grundlage der am 15. November 2011 beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung betriebenen schrittweisen Reduzierung der Rücklagen halte sie sich innerhalb des ihr bei der Haushaltsplanung zustehenden weiten Gestaltungsspielraums. Prognosen zum Rücklagenbedarf seien erst dann erforderlich, wenn der schrittweise Abbau der Rücklagen beendet sei. Dass der Verwendungszweck und der Umfang der abgedeckten Risiken hinreichend zu konkretisieren seien, sei im Finanzstatut nur für die zweckbestimmten Rücklagen, nicht aber für die Ausgleichs- und die Liquiditätsrücklage vorgesehen. Für die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung könne es ohnehin nicht darauf ankommen, ob ihr, der Beklagten, bei der Wirtschaftsplanung mit dem Unterlassen einer Prognose ein „Verfahrensfehler“ unterlaufen sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Rücklagen angemessen dotiert gewesen seien. Dies sei aus den genannten Gründen zu bejahen. Die Rücklagen dienten der Absicherung verschiedener, teils ausdrücklich als hypothetisch gekennzeichneter Risiken im Zusammenhang mit dem Bau des Weiterbildungszentrums, der Instandsetzung von bisherigen Weiterbildungsräumlichkeiten, der Berechnung von Pensionsverpflichtungen, anhängigen Rechtsstreitigkeiten, einem evtl. Austritt aus dem DIHK, möglichen Schwankungen bei den Beitragseinnahmen, unerwarteten Einbußen bei Erträgen aus Entgelten und einem regelmäßig ab Herbst bestehenden Liquiditätsbedarf. Außer der Baurücklage weise die Beklagte keine anderen zweckgebundenen Rücklagen aus, obwohl die Bildung solcher Rücklagen möglich wäre.
19Die Beklagte führt ferner aus, in den Entwürfen ihres Nachtragswirtschaftsplans für das Geschäftsjahr 2017 und des Wirtschaftsplans für das Geschäftsjahr 2018 sei jeweils eine Ausgleichsrücklage von weniger als 3 % der geplanten Aufwendungen vorgesehen, die auf Basis einer Risikoanalyse und –bewertung dotiert worden sei. Alle Rücklagen zusammen lägen dann etwas oberhalb von 30 % bzw. unterhalb von 25 % der geplanten Aufwendungen. Hieraus gehe hervor, dass keine freien Mittel vorhanden seien, die sie vorrangig vor der Erhebung von Beiträgen hätte verwenden müssen. Spätestens mit dem Nachtragswirtschaftsplan 2017 erfülle sie auch die von der Rechtsprechung aufgestellten formalen Anforderungen für die Ausweisung von Rücklagen.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Unterlagen der Beklagten Bezug genommen.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22Die zulässige Klage ist begründet. Der Beitragsbescheid der Beklagten vom 8. März 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
23Die Erhebung eines endgültigen IHK-Beitrags in Höhe von 181,80 Euro für das Jahr 2013 und die vorläufige Veranlagung zu einem IHK-Beitrag in Höhe von 160,90 Euro für das Jahr 2016 genügt nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 2 IHKG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Wirtschaftsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Die Beiträge dürfen also nur insoweit erhoben werden, als die besagten Kosten nicht anderweitig gedeckt sind.
24Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG ist der Wirtschaftsplan jährlich nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen.
25Mit Blick auf die Beitragserhebung legt das Gesetz damit eine zweistufige Willensbildung der Kammer zugrunde. Auf einer ersten Stufe stellt die Kammer den Wirtschaftsplan auf. Dieser gilt für ein Wirtschaftsjahr und ist – als Plan – im Voraus aufzustellen; vor dem Hintergrund der in diesem Jahr beabsichtigten Tätigkeiten der Kammer prognostiziert er unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den voraussichtlichen Bedarf, den es durch Beiträge zu decken gilt. Auf einer zweiten Stufe wird dieser voraussichtliche Bedarf alsdann gemäß einer Beitragsordnung im Wege der Beitragserhebung auf die Kammerzugehörigen umgelegt.
26Bei der hier nur in Streit stehenden Willensbildung auf der ersten Stufe ist im Beitragsrechtsstreit inzident zu prüfen, ob die Festsetzung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den insoweit zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt. Bei dieser Prüfung ist zu beachten, dass die Kammer hinsichtlich der Aufstellung des Wirtschaftsplans einen weiten Gestaltungsspielraum hat und der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nur unterliegt, ob dieser Rahmen gewahrt ist. Dieser in den jeweils zu beachtenden Rechtsnormen angelegte Rahmen wird gebildet durch die genannten Maßgaben des § 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG, die Grundsätze kaufmännischer Rechnungslegung und Buchführung (§ 3 Abs. 7a IHKG), die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts sowie durch ergänzende Satzungsbestimmungen. Zu den Grundsätzen des staatlichen Haushaltsrechts zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem in Ansehung von Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Diese bedeutet, dass Prognosen aus der Sicht ex ante sachgerecht und vertretbar ausfallen müssen. Ist dies der Fall, ist es unschädlich, wenn sich eine Prognose im Nachhinein als unrichtig erweist.
27Im Hinblick auf die von der Klägerin beanstandete Rücklagenbildung bedeutet dies, dass das Verbot der Bildung von Vermögen nicht die Bildung von Rücklagen ausschließt, sie aber an einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit bindet. Zudem muss auch die Höhe der Rücklage von diesem sachlichen Zweck gedeckt sein. Eine hierdurch in ihrer Höhe nicht mehr gedeckte Rücklage wäre nicht mehr angemessen und würde einer unzulässigen Vermögensbildung gleichkommen. Hieraus folgt nicht nur, dass die Kammer eine überhöhte Rücklage nicht bilden darf, sondern auch, dass sie eine überhöhte Rücklage baldmöglichst wieder auf ein zulässiges Maß zurückführen muss. Die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage und über deren Höhe muss die Kammer bei jedem Wirtschaftsplan – und damit jährlich – erneut treffen. Deshalb ist ein Wirtschaftsplan nicht nur dann rechtswidrig, wenn er eine überhöhte Rücklagenbildung vorsieht, sondern auch dann, wenn er eine überhöhte Rücklage beibehält.
28BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2015 – 10 C 6.15 –, BVerwGE 153, 315 = GewArch 2016, 148.
29Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese für die Zulässigkeit der Rücklagenbildung geltenden Maßstäbe nicht nur bei einer nach den Grundsätzen der Kameralistik aufgestellten IHK-Haushaltsplanung zu berücksichtigen, sondern finden auch bei der Aufstellung eines Wirtschaftsplans Anwendung, bei der – wie hier – die Beklagte die Grundsätze der doppischen Haushaltsführung mit der damit verbundenen Orientierung an der kaufmännischen Buchführung zu beachten hat. Die Bildung von angemessenen Rücklagen ist auch nach Einführung der Verwaltungsdoppik für die Industrie- und Handelskammern als nicht gewinnorientierte öffentlich-rechtliche Körperschaften weiterhin notwendig und gehört zu einer geordneten Haushaltsführung.
30Vgl. BVerwG, a.a.O.
31Die bloße – buchungstechnische – Darstellung der Rücklagen als Passivposten einer Vermögensrechnung (Bilanz) im Rahmen der auf Grundlage der Doppik erstellten Haushalte ändert an der rechtlichen Bewertung der Zulässigkeit von Rücklagen nichts. Anders als im kameralen System handelt es sich bei Passivposten einer Vermögensrechnung zwar nicht um bei Bedarf verwendbare liquide Mittel, da diese Funktion im doppischen Haushaltssystem das Umlaufvermögen übernimmt. Doppische Rücklagen dienen zusammen mit den restlichen Passivposten der Deckung der Aktivseite der Vermögensrechnung. Um ihren jeweils zugeschriebenen Zweck erfüllen zu können, sind die auf der Passivseite der Vermögensrechnung aufgeführten Rücklagen jedoch durch entsprechende Aktiva zu unterlegen, die gegebenenfalls kurzfristig aufgelöst werden können. Dem entspricht es hier, dass die Beklagte auch nach Einführung der doppischen Haushaltsführung Entnahmen aus den jeweils gebildeten Rücklagen vorgenommen hat.
32Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 2. November 2016 – 6 S 1261/14 –; VG Köln, Urteil vom 15. Februar 2017 – 1 K 1473/16 –, jeweils juris.
33Gemessen an diesen Maßstäben ist die Rücklagenbildung der Beklagten in den Wirtschaftsplänen für die Jahre 2013 und 2016 und damit auch die Festsetzung der Mitgliedsbeiträge für die Klägerin für diese Jahre rechtswidrig.
34Dies folgt bereits daraus, dass die Vollversammlung der Beklagten nach deren eigenen Angaben keine konkreten Prognosen zur Höhe der Ausgleichsrücklage für diese Jahre angestellt hat.
35Das Gebot der Schätzgenauigkeit fordert jedenfalls im Grundsatz, dass die Beklagte eine nachvollziehbare Prognose dahingehend aufstellt, dass ergebniswirksame Schwankungen im Rahmen einer geordneten Haushaltsführung in einer Höhe drohen, die die konkrete Höhe der Ausgleichsrücklage rechtfertigen, um sie verantwortungsbewusst abzusichern.
36Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 30. März 2017 – 20 K 3225/15 –, juris.
37Dabei bedarf keiner Klärung, ob die Industrie- und Handelskammern stets gehalten sind, das Bedürfnis für die Ausgleichsrücklage in ihrer konkreten Höhe nachvollziehbar zu begründen und die voraussichtlich zu erwartenden ergebniswirksamen Schwankungen möglichst zutreffend zu prognostizieren,
38so im Ausgangspunkt VG Düsseldorf, a.a.O.,
39oder ob Ausgleichsrücklagen in Höhe von bis zu 30 % der geplanten Aufwendungen als der insbesondere in § 15 Abs. 3 Satz 1 des Finanzstatuts der Beklagten vom 8. Juni 2005 vorgesehenen Untergrenze ohne weitere Darlegungen als notwendig und angemessen anzusehen sind.
40Vgl. VG Köln, Urteil vom 15. Februar 2017 – 1 K 1473/16 –, juris.
41Denn auch nach der letztgenannten Auffassung musste das Bedürfnis für eine Ausgleichsrücklage in der jeweiligen Höhe in den streitbetroffenen Jahren mittels einer konkreten Prognose nachvollziehbar begründet werden, weil die genannte Untergrenze von 30 % der geplanten Aufwendungen jeweils überschritten wurde. Die Beklagte hat die Ausgleichsrücklage für das Jahr 2013 in Höhe von fast 45 % der geplanten Aufwendungen festgelegt. Die Ausgleichsrücklage für das Jahr 2016 bestimmte sie auf ungefähr 43,5 % der geplanten Aufwendungen, unter mindernder Berücksichtigung einer für dieses Jahr geplanten Entnahme aus der Ausgleichsrücklage,
42vgl. zu diesem Ansatz VG Köln, a.a.O.
43immer noch auf fast 36 % der geplanten Aufwendungen.
44Eine Ausdehnung des letztgenannten, die Begründungsanforderungen einschränkenden Ansatzes auf alle Ausgleichsrücklagen, die sich innerhalb des im Finanzstatut vorgesehenen Korridors von 30 % bis 50 % der geplanten Aufwendungen bzw. innerhalb des dort vorgegebenen Rahmens von bis zu 50 % der geplanten Aufwendungen halten, ist hingegen nicht gerechtfertigt. Sie widerspräche dem Gebot der Schätzgenauigkeit. Denn mit der Vorgabe eines Korridors bzw. Rahmens für die Bildung einer Rücklage wird der Vollversammlung ein Spielraum eingeräumt, den sie nach den genannten Maßgaben und damit unter Anstellung von Prognosen auszufüllen hat. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, als die Vollversammlung der Beklagten in ihrer Sitzung am 15. November 2011 beschlossen hatte, u.a. die Ausgleichsrücklage schrittweise deutlich zu reduzieren. Sie hatte damit selbst zum Ausdruck gebracht, dass sie die Ausgleichsrücklage in der hier in Rede stehenden und bis zum zweiten streitbetroffenen Jahr 2016 gleichwohl vorgehaltenen Höhe von 12.400.000 Euro für deutlich höher als erforderlich hielt. Vor diesem Hintergrund musste sie erst recht die Entscheidung prognostisch begründen, entgegen der eigenen Einschätzung vom 15. November 2011 an einer Ausgleichsrücklage in dieser Höhe in den streitbetroffenen Jahren festzuhalten.
45Der Einwand der Beklagten, erst nach Abschluss des geplanten schrittweisen Abbaus der Rücklagen seien wieder Prognosen zum Rücklagenbedarf erforderlich, widerspricht den oben dargestellten Maßstäben. Wie ausgeführt, muss die Kammer die Entscheidung über das Vorhalten einer Rücklage und über deren Höhe bei jedem Wirtschaftsplan erneut und gerade unabhängig davon treffen, ob die Rücklage gebildet oder, wenn auch in reduziertem Umfang, beibehalten wird. Unerheblich ist im vorliegenden Zusammenhang auch, dass die Beklagte seit 2012 negative Jahresergebnisse geplant und Ergebnisvorträge abgebaut hat. Das Prognoseerfordernis bezieht sich auf die jeweilige Rücklage. Dieser Ansatz schließt es aus, das Prognoseerfordernis von einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen Wirtschaftsplans abhängig zu machen.
46Die Entscheidung über Art, Zweckbindung und Höhe geplanter Rücklagen muss entsprechend § 4 Abs. 3 IHK-G die Vollversammlung der Beklagten treffen. Dies erfordert, dass die Mitglieder der Vollversammlung jedenfalls in Grundzügen nachvollziehbar und in transparenter Art und Weise über die Gründe für den Bedarf einer Ausgleichsrücklage in der geplanten Höhe informiert werden. Hierfür bedarf es nicht einer konkreten Bezifferung finanzieller Risiken. Erforderlich ist aber, dass die zuständigen Gremien den Mitgliedern der Vollversammlung allgemein beschreiben, welche finanziellen Risiken im kommenden Haushaltsjahr durch die Ausgleichsrücklage abgedeckt werden sollen. Ohne diese Kenntnis können die Mitglieder der Vollversammlung nicht schätzgenau beurteilen, welche Beitragsmittel der Kammerzugehörigen sie noch für erforderlich halten, um die Aufgabenerledigung zu finanzieren.
47Vgl. VG Düsseldorf, a.a.O.
48All dies ist vorliegend nicht erfolgt. Ausweislich der Protokolle der Sitzungen der Vollversammlung der Beklagten vom 13. November 2012 und vom 24. November 2015 hat sich diese bei dem Beschluss der Wirtschaftspläne für die Jahre 2013 und 2016 nicht konkret mit den Gründen für den Bedarf einer Ausgleichsrücklage in der geplanten Höhe befasst. Ihre Mitglieder wurden über die damit abzudeckenden finanziellen Risiken nicht informiert. Diesbezüglich fehlen in den Protokollen jegliche Angaben und Erwägungen. Die Beklagte räumt selbst ein, dass im Rahmen der Beschlussfassungen der Wirtschaftspläne für die Geschäftsjahre 2013 und 2016 keine konkreten Prognosen zur Höhe der Ausgleichsrücklage aufgestellt wurden.
49Entgegen ihrer Auffassung handelt es sich bei diesen Versäumnissen nicht um einen rein formalen Mangel bzw. einen „Verfahrensfehler“, der mittels einer materiellen Betrachtung, ob die Rücklagen im Ergebnis angemessen dotiert sind, überwindbar wäre. Das Gebot der Schätzgenauigkeit und das daraus folgende Prognoseerfordernis ist vielmehr ebenso wie der normative Ausgangspunkt des § 3 Abs. 2 IHK-G materiell-rechtlicher Natur. Danach ist maßgeblicher Bezugspunkt der Wirtschaftsplan. Dieser konkret von der Vollversammlung beschlossene Plan muss den genannten rechtlichen Anforderungen genügen. Mit anderen Worten kommt es allein darauf an, ob die Vollversammlung der Kammer den ihr bei Aufstellung dieses Plans zustehenden Gestaltungsspielraum rechtsfehlerfrei ausgefüllt hat und nicht darauf, ob sie hypothetisch einen Plan mit gleichem Inhalt oder gar anderen Rücklagen rechtsfehlerfrei hätte beschließen können.
50Vgl. VG Köln, Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 K 1188/15 –, juris.
51Die in diesem Zusammenhang von der Beklagten angeführten Risiken sind aus diesem Grund ohne Belang, weil sie den Beschlussfassungen der Vollversammlung nicht zugrunde lagen. Sie sind im Übrigen teils spekulativer Natur und stehen teils in keinem Zusammenhang zum Zweck einer Ausgleichsrücklage. Die Risiken im Zusammenhang mit dem Bau des Weiterbildungszentrums, der Instandsetzung von bestehenden Weiterbildungsräumlichkeiten, der Berechnung von Pensionsverpflichtungen, anhängigen Rechtsstreitigkeiten und einem evtl. Austritt aus dem DIHK haben mit dem Ziel einer Ausgleichsrücklage, ergebniswirksame Schwankungen aufzufangen, nichts zu tun. Vorsorge für einen etwaigen Liquiditätsbedarf ab Herbst zu treffen, ist Gegenstand der Liquiditäts-, nicht der Ausgleichsrücklage.
52Unabhängig hiervon kann auch mit Blick auf die von der Beklagten angeführten (Nachtrags-)Wirtschaftsplanungen für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 keine Rede davon sein, dass die strittigen Ausgleichsrücklagen für die Geschäftsjahre 2013 und 2016 im Ergebnis evident erforderlich und angemessen dotiert wären. Die Beklagte hat nach ihren Angaben für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 eine Risikoanalyse und -bewertung vorgenommen und sieht auf dieser Grundlage eine Ausgleichsrücklage in Höhe von nur noch weniger als 3 % der geplanten Aufwendungen vor. Von daher drängt sich auf, dass die Vollversammlung der Beklagten auf der Basis einer den vorstehenden Anforderungen entsprechenden Risikobewertung zu einer ähnlichen, deutlich geringeren Dotierung der Ausgleichsrücklage gekommen wäre.
53Aus im Wesentlichen den gleichen Gründen ist auch die für die Geschäftsjahre 2013 und 2016 beschlossene Liquiditätsrücklage rechtswidrig. Insoweit gelten die gleichen Anforderungen wie hinsichtlich der Ausgleichsrücklage mit der Maßgabe, dass das Erfordernis, das Bedürfnis für die Liquiditätsrücklage in ihrer konkreten Höhe nachvollziehbar zu begründen und die Risiken vorübergehender Liquiditätsengpässe möglichst zutreffend zu prognostizieren, in jedem Fall, d.h. unabhängig von der Höhe der Rücklage besteht. Schon das Finanzstatut der Beklagten vom 8. Juni 2005 gab nämlich die Bildung einer Liquiditätsrücklage nicht zwingend vor, sondern stellte diese in § 15 Abs. 3 Satz 2 in das Ermessen der Beklagten. Eine Untergrenze wie für die Bildung der Ausgleichsrücklage war nicht vorgesehen. Das Finanzstatut der Beklagten vom 11. Juli 2013 brachte sodann zum Ausdruck, dass eine Liquiditätsrücklage ab dem Jahr 2019 für obsolet erachtet wurde. Denn nach § 24 Satz 4 dieses Finanzstatuts war die Liquiditätsrücklage bis spätestens zum 31. Dezember 2018 zu verwenden. Vor diesem Hintergrund war die Vollversammlung der Beklagten gehalten, prognostisch zu begründen, aus welchen Gründen bzw. zur Vermeidung welcher Liquiditätsengpässe eine Liquiditätsrücklage in den Jahren 2013 und 2016 nach Art und der jeweiligen Höhe (noch) für erforderlich erachtet wurde. Diese Pflicht traf die Beklagte mithin nicht nur für das Geschäftsjahr 2013, sondern ungeachtet der zwischenzeitlichen Reduzierung der Liquiditätsrücklage auf nur noch 1.946.524 Euro bzw. knapp 7 % der geplanten Aufwendungen auch für das Geschäftsjahr 2016. Das rechtfertigt sich auch aus der Erwägung, dass die mit der Ausgleichs- und der Liquiditätsrücklage abgedeckten Risiken des vorübergehenden und endgültigen Beitragsausfalls eng miteinander verbunden sind,
54vgl. BVerwG, a.a.O.,
55und Ausgleichs- und Liquiditätsrücklage für das Geschäftsjahr 2016 kumuliert eine beträchtliche Höhe von über 50 % der geplanten Aufwendungen bzw. unter mindernder Berücksichtigung der für dieses Jahr geplanten Entnahme aus der Ausgleichsrücklage immer noch rund 43 % der geplanten Aufwendungen erreichten.
56Den vorstehenden Anforderungen an die Beschlussfassung zur Liquiditätsrücklage in den streitbetroffenen Jahren hat die Beklagte aus den gleichen Gründen nicht genügt, aus denen auch die Beschlussfassung zur Ausgleichsrücklage unzureichend war. Auf die dortigen Ausführungen wird entsprechend zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
57Hinzu kommt, dass die Liquiditätsrücklage für das Geschäftsjahr 2013 selbst die Obergrenze gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 des Finanzstatuts der Beklagten vom 8. Juni 2005 nicht gewahrt hat. Denn in die bereits bestehende Liquiditätsrücklage in Höhe von 12.529.222 Euro wurden noch zusätzlich 1.706.600,- Euro umgeschichtet. Die Summe von 14.235.822 Euro machte rund 51,5 % und damit mehr als 50 % der für das Geschäftsjahr 2013 geplanten Aufwendungen aus.
58Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO