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1. Einer kalkulatorischen Abwälzbarkeit der Vergnügungssteuer auf den eigentlichen Steuerträger steht nicht entgegen, dass an einem einzelnen Veranstaltungstag die Höhe der Vergnügungssteuer die Einnahmen einer Person des Prostitutionsgewerbes übersteigen kann. Die Abwälzung muss nicht in jedem Einzelfall gelingen, sondern nur grundsätzlich möglich sein.
2. a) Eine kommunale Vergnügungssteuersatzung darf sowohl das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt (personenbezogener Steuergegenstand) als auch die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in dafür bestimmten Einrichtungen (einrichtungsbezogener Steuergegenstand) besteuern.
b) Es begegnet keinen Bedenken, dass eine Besteuerung nach beiden Steuertatbeständen stattfindet, wenn eine Person des Prostitutionsgewerbes ihre Dienstleistung nicht isoliert anbietet, sondern für die Ausübung ihres Gewerbes Infrastrukturleistungen eines auf die Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen spezialisierten Betriebes nutzt. Besteuert wird der Aufwand des sich Vergnügenden, welcher höher ist, wenn bezogen auf die sexuelle Vergnügung mehr Leistungen in Anspruch genommen werden.
3. Bei einem Abgabemaßstab, welcher für das Angebot sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt eine Pauschale pro Veranstaltungstag beträgt, liegt der erforderliche lockere Bezug zum Vergnügungsaufwand des Kunden vor. Bei der Entscheidung, mit welchem Steuermaßstab der Vergnügungsaufwand erfasst wird, hat der gemeindliche Satzungsgeber einen weitreichenden Spielraum. Insbesondere bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen. Eine Besteuerung des tatsächlichen individuellen Vergnügungsaufwands ist praktisch nicht möglich, weil die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen auch unter den heutigen sozialen Gegebenheiten häufig auf Heimlichkeit angelegt ist.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin geht der gewerblichen Prostitution nach. Sie bietet ihre Dienstleistungen in dem Klub „G. C. “, L.------weg , in E. an. Die Beklagte erhebt auf der Grundlage der Satzung der Stadt E. für die Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen und das Angebot sexueller Handlungen u.a. für das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt eine Vergnügungssteuer von 6,00 Euro für jede Prostituierte oder Prostituierten pro Veranstaltungstag.
3Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 3. Januar 2013 reichte die Klägerin eine von ihr nicht selbst unterschriebene „Steuererklärung für den Monat Dezember 2012“ bei der Beklagten ein, in welcher sie ausgehend von 15 Veranstaltungstagen eine Vergnügungssteuer von 90 Euro für diesen Monat errechnete. Im Namen der Klägerin versicherte ihr Prozessbevollmächtigter, dass die Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden seien. Mit Schreiben vom 13. Februar 2013 beanstandete die Beklagte die Steuererklärung wegen der fehlenden Unterschrift der Klägerin. Unter dem 15. März 2013 wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beanstandung zurück. Mit Aktenverfügung vom 6. Dezember 2013 stellte die Beklagte klar, dass sie ungeachtet der fehlenden Unterschrift von einer wirksamen Steuererklärung ausgehe.
4Bereits am 8. Januar 2013 hat die Klägerin Klage erhoben.
5Sie trägt vor, dass in formeller Hinsicht eine ordnungsgemäße Erklärung vorliege. In materieller Hinsicht sei die Heranziehung zu einer Vergnügungssteuer rechtswidrig, weil die Vergnügungssteuersatzung mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sei. Die Steuer erweise sich als verkappte Berufssteuer und sei mit Art. 12 GG unvereinbar. Sie - die Klägerin - müsse mit anderen Dienstleistern gleichgestellt werden. § 4 der Vergnügungssteuersatzung sei nicht wirksam. Denn nach dieser Vorschrift falle auch dann eine Vergnügungssteuer an, wenn es nicht zu einer Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen komme, also kein besteuerbarer Aufwand entstehe. Zudem fehle bei einer Pauschale von 6,00 Euro pro Veranstaltungstag ein lockerer Bezug zum Vergnügungsaufwand. Ferner habe sie - die Klägerin - nicht die Möglichkeit, ihre Belastung mit der Sexsteuer an ihre Kunden weiter zu geben.
6Die Klägerin beantragt,
7die Vergnügungssteuerfestsetzung für den Monat Dezember 2012 aufzuheben.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie trägt vor, auch sie gehe nunmehr davon aus, dass aufgrund der eingereichten Steuererklärung das Besteuerungsverfahren habe in Gang gesetzt werden können. Die Vergnügungssteuersatzung sei rechtmäßig, und Fehler in der Steuerveranlagung lägen nicht vor.
11Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
13Die als Anfechtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 VwGO zulässige Klage ist unbegründet. Die Vergnügungssteuerfestsetzung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
14Rechtsgrundlage der Vergnügungssteuerfestsetzung ist die Vergnügungssteuersatzung der Stadt E. für die Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen und das Angebot sexueller Handlungen vom 2. September 2010 in der Form der Satzung zur Änderung der Vergnügungssteuersatzung vom 21. November 2012 (Vergnügungssteuersatzung - VStS -). Nach § 1 Nr. 2 VStS unterliegt das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt in den in Nr. 1 genannten Einrichtungen (Bordelle, Bars, Sauna-, G. - und Swingerclubs sowie ähnliche Einrichtungen) sowie in Beherbergungsbetrieben, Privatwohnungen, Wohnwagen und Kraftfahrzeugen oder an sonstigen Orten der Besteuerung. Die Steuer beträgt nach § 4 VStS unabhängig von der tatsächlichen zeitlichen Inanspruchnahme und der Anzahl der sexuellen Handlungen für jede/n Prostituierte/n 6,00 Euro pro Veranstaltungstag; Steuerschuldner ist nach § 2 Abs. 1 VStS der/die Prostituierte als Unternehmer der Veranstaltung (Veranstalter).
15Diese Satzungsbestimmungen sind wirksam. Bedenken ergeben sich nicht daraus, dass die Vergnügungssteuersatzung vom 2. September 2010 im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung durch den Oberbürgermeister und ein Ratsmitglied nach § 60 Abs. 1 Satz 2 GO NRW erlassen worden ist. Ob die engen Voraussetzungen für diese Dringlichkeitsentscheidung vorlagen, kann offen bleiben. Denn der Rat der Beklagten hat in seiner Sitzung vom 30. September 2010 die Satzung genehmigt. In einem solchen Fall erfolgt keine Prüfung der Voraussetzungen des § 60 S. 1 und 2 GO NRW mehr.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. März 2011 - 15 A 1643/10 - Rn. 38 m.w.N., juris.
17Die Bestimmungen der Satzung verstoßen weder gegen Verfassungsrecht noch gegen sonstiges höherrangiges Recht.
18I. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich nicht. Die Satzungsbestimmungen sind mit dem Gleichartigkeitsverbot aus Art. 105 Abs. 2 a GG, dem Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar.
191. Die von der Beklagten erhobene Vergnügungssteuer verstößt nicht gegen das in Art. 105 Abs. 2a GG verankerte Gleichartigkeitsverbot. Nach dieser Verfassungsvorschrift haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Diese Befugnis hat das Land Nordrhein-Westfalen gem. § 3 KAG NRW auf die Kommunen übertragen. Die von der Beklagten normierte Steuererhebung ist nach ihrer Ausgestaltung eine Steuer mit örtlich begrenztem Wirkungskreis, die nicht einer bundesgesetzlich geregelten Steuer gleichartig ist. Das Verbot der Gleichartigkeit der Steuern wird seit jeher dahin ausgelegt, dass es sich nicht auf die herkömmlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern erstreckt, zu denen auch die Vergnügungssteuer zählt.
20BVerfG, Beschlüsse vom 4. Juni 1975 – 2 BvL 16/73- , BVerfGE 40, 52 (55); vom 26. Februar 1985 – 2 BvL 14/84 -, BVerfGE 69, 174 (183); und vom 4. Februar 2009 – 1 BvL 8/05 -, Rn. 45 f., juris.
21Die Vergnügungssteuer beruht auf dem allgemeinen Gedanken, dass demjenigen, der sich ein Vergnügen leistet, auch eine zusätzliche Abgabe für die Allgemeinheit zugemutet werden kann. Sie ist eine Aufwandsteuer, die den finanziellen Aufwand, den ein Vergnügungssuchender tätigt, besteuert. Gegenstand der Vergnügungssteuer können dabei Vergnügungen jeglicher Art sein, die geeignet sind, das Bedürfnis nach Zerstreuung und Entspannung zu befriedigen. Dazu gehören auch sexuelle Vergnügungen, solange sie nicht unentgeltlich erfolgen.
22VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2011 - 2 S 196/10 - Rn. 51 f., juris.
23Das ist hier der Fall. § 1 Nr. 2 VS erfasst nämlich nur das Angebot sexueller Handlungen „gegen Entgelt“.
24Es verstößt ferner nicht gegen Art. 105 Abs. 2 a GG, dass die Steuer nicht unmittelbar von den Vergnügungssuchenden, also den Kunden oder Freiern, erhoben wird, sondern vom Veranstalter, also der oder dem Prostituierten. Wird eine Steuer nicht bei dem Vergnügungssuchenden erhoben, den sie eigentlich treffen soll, sondern indirekt bei einem Dritten, muss sie grundsätzlich von diesem Steuerentrichtungspflichtigen auf den eigentlich zu Belastenden abwälzbar sein. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu entwickelten Grundsätzen genügt die Möglichkeit einer kalkulatorischen Abwälzung, d.h. der Steuerpflichtige kann den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen treffen. Dabei ist es unschädlich, wenn die Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt.
25BVerfG, Urteil vom 10. Mai 1962 – 1 BvL 31/58 -, BVerfGE 14, S. 76 ff.; Beschluss vom 4. Februar 2009 – 1 BvL 8/05 -, Rn. 93, juris.
26Die Abwälzbarkeit setzt nicht voraus, dass der Unternehmer die Steuer im Voraus exakt berechnen kann. Entscheidend ist vielmehr, dass er die abzuführende Steuer einigermaßen verlässlich kalkulieren kann. Dies ist hier möglich, weil die Prostituierten die Steuer, die sogar im Voraus pro Veranstaltungstag exakt berechnet werden kann, in den für ihre Dienstleistung verlangten Preis einkalkulieren können. Sie können die Steuer etwa durch eine Preiserhöhung auf den Steuerträger, den Kunden, abwälzen, oder, wenn die Preise stabil gehalten werden sollen, individuelle kostensenkende Maßnahmen ergreifen.
27Einer kalkulatorischen Abwälzbarkeit steht nicht entgegen, dass an einem einzelnen Veranstaltungstag die Höhe der Vergnügungssteuer die Einnahmen der Prostituierten übersteigen kann, etwa wenn die Prostituierte keinen einzigen Kunden gewinnt. Dies macht die Steuererhebung nicht rechtswidrig, weil die Abwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingen, sondern nur grundsätzlich möglich sein muss. Eine solche grundsätzliche Möglichkeit ist bei der Betrachtung eines längeren Zeitraums als ein Tag gegeben, weil etwaige Verluste ausgeglichen werden können. Im Übrigen ist es dem Vergnügungssteuerrecht nicht fremd, dass die Erhebung einer Vergnügungssteuer bei der Betrachtung eines bestimmten Zeitraums im Einzelfall zu einem finanziellen Verlust für den Veranstalter führen kann. So werden Geldspielgeräte ohne Gewinnmöglichkeit, welche kein manipulationssicheres Zählwerk aufweisen, regelmäßig nach dem Stückzahlmaßstab besteuert, ohne dass es darauf ankommt, ob die Einnahmen aus einem solchen Gerät in einem einzelnen Monat die zu entrichtende Vergnügungssteuer übersteigen. Eine faktische Unmöglichkeit der kalkulatorischen Abwälzbarkeit ist erst dann anzunehmen, wenn die Vergnügungssteuer erdrosselnd wirkt.
28OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 - NRWE, Rn. 122 ff.
292. Für eine derartige mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbare erdrosselnde Wirkung des Steuersatzes ist nichts ersichtlich. Eine solche Wirkung wird angenommen, wenn eine steuergesetzliche Regelung derart in die freie wirtschaftliche Betätigung eingreift, dass es den Betroffenen unmöglich gemacht wird, den gewählten Beruf zur Grundlage ihrer Lebensführung zu machen. Dabei ist nicht das im konkreten Einzelfall betroffene Unternehmen, sondern ein durchschnittlicher Betreiber im Gemeindegebiet zum Maßstab zu nehmen, da Art. 12 GG keinen Bestandsschutz für die Fortsetzung einer unwirtschaftlichen Betriebsführung gewährleistet.
30BVerwG, Urteile vom 10. Dezember 2009 - 9 C 12.08 -, juris, und vom 13. April 2005 - 10 C 5.04 -, BVerwGE 123, 218; OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 2010 – 14 A 597/09 - a.a.O.
31Konkrete und substantiierte Anhaltspunkte dafür, dass das hier zu beurteilende Gewerbe bei dem angesetzten Steuersatz generell nicht mehr wirtschaftlich im Stadtgebiet der Beklagten betrieben werden kann, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Insbesondere behauptet sie nicht, dass das Prostitutionsgewerbe aufgrund der zu zahlenden Vergnügungssteuer generell keinen Gewinn mehr abwerfen könne. Ein solcher Gedanke ist bei einer Vergnügungssteuer von nur 6,00 Euro pro Veranstaltungstag auch fernliegend. Unter Berücksichtigung des im Satzungsgebiet florierenden Prostitutionsgewerbes ist nicht zu erkennen, dass dieses Gewerbe durch die Steuererhebung soweit erschwert wird, dass eine durchschnittliche Prostituierte nicht mehr gewinnbringend tätig sein kann.
32Es verstößt auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG, dass mit der hier in Rede stehenden Steuer eine „verkappte Berufssteuer“ eingeführt würde. Ansatzpunkt für die Vergnügungssteuer ist der Aufwand des sich Vergnügenden, an den die Steuer im Ergebnis weitergegeben werden kann. Dass Berufstätige, die ein vergnügungssteuerpflichtiges Gewerbe ausüben (neben den Prostituierten sind dies etwa auch Spielhallenbetreiben, Veranstalter von Tanzveranstaltungen etc.), Steuerschuldner sind, ändert nichts daran, dass die Steuer auf eine Abwälzung angelegt ist. Im Übrigen treffen auch sonstige Steuern (etwa die Tabaksteuer, die Brannt- und Schaumweinsteuer oder die Mineralölsteuer) nur einzelne Berufe.
333. Es liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG dadurch vor, dass andere Berufe nicht mit einer Vergnügungssteuer belegt werden. Andere Berufe unterscheiden sich so wesentlich von den im Bereich des menschlichen Vergnügens angesiedelten Dienstleistungsberufen, dass schon nicht von wesentlich Gleichem gesprochen werden kann. Jedenfalls ist eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von unterschiedlichen Dienstleistungen gerechtfertigt. Es ist anerkannt, dass eine Vergnügungssteuer im Hinblick auf einzelne, im Bereich des menschlichen Vergnügens angesiedelte Gewerbe erhoben werden darf. Dahinter steht der Gedanke, dass demjenigen, der sich ein Vergnügen leistet, auch eine zusätzliche Abgabe für die Allgemeinheit zugemutet werden kann.
34BVerfG, Beschlüsse vom 3. September 2009 - 1 BvR 2384/08 -, juris, und vom 4. Februar 2009 - 1 BvL 8/05 -, BVerfGE 123, 1.
354. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu einer Vergnügungssteuer ergeben sich nicht daraus, dass die Vergnügungssteuersatzung Rückwirkung entfaltet. Die Satzung vom 2. September 2010 und die Änderungssatzung vom 21. November 2012 traten zum 1. August 2010 in Kraft. Für den streitgegenständlichen Erhebungszeitraum (Dezember 2012) kommt ein Verstoß gegen das aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitende rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot schon deshalb nicht in Betracht, weil die Satzung für diesen Zeitraum keine rückwirkende Geltung beansprucht. Im Übrigen konnte kein schützenswertes Vertrauen gebildet werden, weil die Betroffenen mit der Regelung rechnen mussten. Es ist nämlich durch Erlass der Vergnügungssteuersatzung der Beklagten vom 15. Juli 2010 mit Wirkung zum 1. August 2010 ein entsprechender Regelungsversuch des Normgebers vorausgegangen.
36II. Die hier einschlägigen Vorschriften der Vergnügungssteuersatzung sind ferner mit einfachem Recht vereinbar. Sie verstoßen insbesondere nicht gegen die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen.
371. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW können Gemeinden Steuern erheben. Dies muss aufgrund einer Satzung geschehen, § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG NRW. Das ist hier der Fall. Die Satzung der Beklagten verstößt auch nicht gegen § 2 Abs. 2 KAG NRW, weil die hiernach erforderliche Genehmigung vorliegt. Nach dieser Vorschrift bedarf eine Satzung, mit der eine im Land bisher nicht erhobene Steuer erstmalig oder erneut eingeführt werden soll, zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des Innen- und des Finanzministeriums. Eine solche Steuer für sexuelle Vergnügungen wurde durch die vom Innenministerium und vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen am 10. Mai 2010 genehmigten Satzung über die Vergnügungssteuer in der Stadt Dorsten vom 18. Mai 2010 im Land Nordrhein-Westfalen eingeführt.
38Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012 - 14 B 1520/11 -, juris; Urteil vom 18. Juni 2009 - 14 A 1577/07 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 10. Oktober 2011 - 25 K 6960/10 -, juris.
392. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG NRW sind ebenfalls erfüllt, denn die Satzung normiert den Kreis der Abgabeschuldner, den Zeitpunkt der Fälligkeit, den die Abgabe begründenden Tatbestand sowie den Maßstab und den Satz der Abgabe.
40a) Der Kreis der Abgabenschuldner wird in § 2 Abs. 1 VStS bestimmt, wonach der Unternehmer der Veranstaltung Steuerschulder ist. Der Zeitpunkt der Fälligkeit ergibt sich aus § 6 Abs. 2 und 3 VStS.
41b) Der Steuertatbestand ist in § 1 Nr. 2 VStS geregelt. Danach unterliegt das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt der Besteuerung. § 1 Nr. 2 VStS schafft damit einen personenbezogenen Steuergegenstand. Die Norm erfasst den Aufwand des sich sexuell Vergnügenden, soweit das sexuelle Vergnügen auf einem Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt beruht. Demgegenüber schafft § 1 Nr. 1 VStS einen einrichtungsbezogenen Steuergegenstand. Diese Norm erfasst den Aufwand des sich sexuell Vergnügenden, soweit das sexuelle Vergnügen in dafür bestimmten Einrichtungen stattfindet. Diese Steuertatbestände schließen sich nicht aus; § 1 Satz 2 VStS regelt ausdrücklich, dass eine Besteuerung auch stattfindet, wenn die sexuelle Handlung entgeltlich „in den in Nr. 1 genannten Einrichtungen“ angeboten wird. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn eine Prostituierte ihre Dienstleistung nicht isoliert anbietet (etwa auf der Straße, in einem Wohnwagen, in Kraftfahrzeugen, in Privatwohnungen, in einem „klassischen“ Beherbergungsbetrieb etc.), sondern für die Ausübung ihres Gewerbes Infrastrukturleistungen eines auf die Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen spezialisierten Betriebes (etwa eines Bordells, eines Sauna- oder G. -Clubs etc.) nutzt.
42Es ist nicht zu beanstanden, dass in Fällen dieser Art eine Besteuerung sowohl nach § 1 Nr. 1 VStS als auch nach § 1 Nr. 2 VStS erfolgt. Insbesondere handelt es sich nicht um eine unzulässige „Doppelbesteuerung“. Besteuert wird der Vergnügungsaufwand des sich Vergnügenden. Dieser Aufwand ist höher, wenn bezogen auf die sexuelle Vergnügung mehr Leistungen in Anspruch genommen werden. Dass damit in der Gesamtbetrachtung bezogen auf den einzelnen Vergnügungssuchenden eine höhere Vergnügungssteuer anfällt, liegt in der Natur der Sache. Ein sich in einer Einrichtung im Sinne der Nr. 1 sexuell Vergnügender nimmt nicht nur das Angebot entgeltlicher sexueller Dienstleistungen in Anspruch, sondern nutzt darüber hinaus auch die sonstigen, vom Betreiber der Einrichtung bereitgestellten Annehmlichkeiten und Leistungen. Aufgrund dieses höheren Vergnügungsaufwandes rechtfertigt dies eine Besteuerung sowohl nach § 1 Nr. 1 VStS (im Hinblick auf die sexuellen Infrastrukturleistungen) als auch nach § 1 Abs. 2 VStS (im Hinblick auf das Angebot entgeltlicher sexueller Handlungen).
43c) Der Abgabemaßstab ist in § 4 VStS geregelt. Danach beträgt die Steuer für das Angebot sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt pauschal 6,00 Euro pro Veranstaltungstag unabhängig davon, ob und wie viele Kunden der oder die Prostituierte an einem Veranstaltungstag hatte. Diese Regelung ist nicht zu beanstanden. Bei der Ausgestaltung des Abgabemaßstabs ist vom eigentlichen Steuergut, dem Vergnügungsaufwand des einzelnen Kunden, auszugehen. Bei der Entscheidung, wie und mit welchem Steuermaßstab dieser Vergnügungsaufwand am besten erfasst wird, hat der gemeindliche Satzungsgeber einen weitreichenden Spielraum zur Ausgestaltung, Veränderung oder auch Fortentwicklung der Steuer.
44BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 2001 – 1 BvR 624/00 –, Rn. 10, juris.
45Der Satzungsgeber ist nicht auf einen Wirklichkeitsmaßstab beschränkt, der den tatsächlichen individuellen Vergnügungsaufwand genau erfasst; zulässig ist auch ein Ersatz- oder Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Art. 3 Abs. 1 GG setzt erst dort eine Grenze, wo ein sachlicher Grund für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre. Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung hat das Gericht nur die Einhaltung der äußersten Grenzen nachzuprüfen, nicht aber, ob der Gesetzgeber im Einzelfall die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.
46BVerfG, Beschluss vom 1. April 1971 – 1 BvL 22/67 -, BVerfGE 31, 8 (25 f).
47Der Gestaltungsspielraum entbindet aber nicht von der Notwendigkeit, dass der Steuermaßstab grundsätzlich geeignet sein muss, den zu besteuernden Vergnügungsaufwand zumindest entfernt abzubilden. Der Maßstab muss zumindest einen lockeren Bezug zum eigentlich Steuergut, dem Vergnügungsaufwand des einzelnen Besuchers, aufweisen.
48BVerwG, Urteil vom 13. April 2005 – 10 C 8.04 -, Rn. 13, juris; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009 – 1 BvL 8/05 -, Rn. 59, juris.
49In Anwendung dieser Grundsätze bestehen keine Bedenken gegen die Ausgestaltung des Steuermaßstabs im Einzelnen. Der in § 4 VStS gewählte Maßstab weist den erforderlichen lockeren Bezug auf. Diese Vorschrift bestimmt unabhängig vom wirklichen Aufwand der Freier zur Erlangung sexueller Handlungen eine einheitliche Steuer pro Veranstaltungstag und Prostituierter. Eine Besteuerung des tatsächlichen individuellen Vergnügungsaufwands (etwa auf der Basis der Zahl der Kunden pro Veranstaltungstag unter Berücksichtigung der jeweils erhaltenen Dienstleistungen oder anhand des ggf. individuell ausgehandelten Entgelts) ist praktisch nicht möglich und könnte gar zu einem Vollzugsdefizit führen, weil die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen auch unter den heutigen sozialen Gegebenheiten häufig auf Heimlichkeit angelegt. Andere Kontrollmöglichkeiten stehen nicht zur Verfügung. In solchen Fällen ist es nicht zu beanstanden, die Steuer bei dem Veranstalter des Vergnügens pauschal zu erheben.
50OVG NRW, Urteil vom 11. Dezember 2013 - 14 A 1948/13 -, juris.
51Im Übrigen ist der Normgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt. Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen.
52OVG NRW, Beschluss vom 21. August 2012 - 14 B 835/12 -, juris.
53Auch aus diesem Grund ist es unbedenklich, das in Rede stehende Steuergut, nämlich den Aufwand der sich vergnügenden Kunden, pauschal zu besteuern. Wenn der wirkliche Vergnügungsaufwand auch je nach den näheren Umständen differieren dürfte, wird durch die steuerliche Betrachtung jedes einzelnen Veranstaltungstages genügend differenziert, um unterschiedliche Vergnügungsaufwände auch steuerlich unterschiedlich zu behandeln, weil davon auszugehen ist, dass bei vielen Veranstaltungstagen mehr Vergnügungsaufwand anfällt als bei wenigen.
54Der Steuermaßstab erweist sich auch nicht in dem Fall als rechtswidrig, wenn an einem einzelnen Veranstaltungstag die Prostituierte keinen Kunden gewinnt und daher die Vergnügungssteuer in Höhe von 6,00 Euro für diesen Veranstaltungstag die Einnahmen der Prostituierten übersteigt. Dies gehört zu den oben erwähnten, mit Pauschalierungen unvermeidlich verbundenen Härten. Es gleicht sich dadurch aus, dass an anderen Veranstaltungstagen möglicherweise mehr Kunden als üblich bedient werden können. Dass dieser Umstand auch der Möglichkeit einer kalkulatorischen Abwälzung nicht entgegensteht, wurde bereits oben ausgeführt.
553. Die Höhe der festgesetzten Vergnügungssteuer ist nicht zu beanstanden. Sie ergibt sich ohne weiteres aus der Multiplikation der angemeldeten Veranstaltungstage mit dem Steuersatz von 6,00 Euro.
564. Die Heranziehung im Übrigen ist ebenfalls rechtmäßig erfolgt. Dass die Steuererklärung nicht unterschrieben ist, steht der Wirksamkeit der Anmeldung nicht entgegen. Nach § 150 Abs. 2 Satz 2 AO ist, wenn der Vordruck dies vorsieht, schriftlich zu versichern, dass die Angaben in der Steuererklärung wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht wurden. Nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO ist, wenn die Steuergesetze eine eigenhändige Unterschrift anordnen, die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten nur dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige an der Unterschrift gehindert ist. Hier ordnet die Satzung keine eigenhändige Unterschrift an, so dass die Unterschrift des Bevollmächtigten ausreichend ist. Eine solche geschah zwar nicht unter der Steuererklärung selbst, aber in dem zugehörigen Begleitschreiben des Prozessbevollmächtigten unter Versicherung der Richtigkeit der gemachten Angaben. Dies reicht aus, um hinreichend sicher die Urheberschaft der Steuererklärung feststellen zu können. Davon gehen auch die Beteiligten nunmehr aus.
57Bei dem vom Beklagten in § 6 Abs. 2 VStS gewählten Modell handelt es sich um ein Anmeldungsmodell im Sinne des § 167 AO mit der Folge, dass es zur Heranziehung keines gesonderten Steuerbescheides bedarf. Der Steuerschuldner hat nach dieser Satzungsvorschrift seine Steuer für den Vormonat binnen 10 Tagen anzumelden und die errechnete Steuer zu entrichten. Dass in der Satzung nicht der Begriff „Anmeldung“, sondern der Begriff „Steuererklärung“ erwähnt ist, ist unschädlich. Es handelt sich noch nicht einmal eine Falschbezeichnung, weil eine Steueranmeldung nur ein Sonderfall einer Steuererklärung ist, wie sich aus § 150 Abs. 1 Satz 3 AO ergibt. Dass die Steuer nicht noch mit einem gesonderten Steuerbescheid festgesetzt werden soll, ergibt sich aus dem Normzusammenhang, wonach die steuerpflichtige Person selbständig die Steuer zu errechnen und an die Stadtkasse abzuführen hat. Dies entspricht dem typischen Vorgehen bei einem Steueranmeldeverfahren. Der Ausnahmefall, dass ein gesonderter Steuerbescheid ergeht (etwa wenn eine Nachprüfung eine von der Anmeldung abweichende Steuerhöhe ergibt), ist in Absatz 3 der Norm gesondert geregelt und hier nicht einschlägig.
58Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.