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1. Der Anspruch des Insolvenzverwalters nach § 1 Abs. 1 des Informationsfreiheitsgesetzes de Bundes besteht gegenüber einem Sozialversicherungsträger auch dann, wenn die Information der Vorbereitung einer Insolvenzanfechtung dient.
2. Dem Anspruch auf Informationszugang kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, die Informationspflicht stelle eine Ungleichbehandlung gegenüber konkurrierenden Sozialversicherungsträgern dar, die keiner Informationspflicht unterliegen.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger vollständige Kontoauszüge über das bei der Beklagten geführte Beitragskonto der Frau C. T. , F.-----weg 18, 33*** I. für den Zeitraum 1. September 2007 bis 31. Dezember 2008 zugänglich zu machen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts C1. vom 2. September 2008 (Az: 43 IN 000/08) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Frau C. T. , F.-----weg 18, 33*** I. (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) ernannt worden, unter deren Namen ihr Vater ein Unternehmen zum Vertrieb von Bauelementen betrieb. Arbeitnehmer dieses Betriebes waren bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert.
3Mit Schreiben vom 10. November 2009 forderte der Kläger vor dem Hintergrund der Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen die Rechtsvorgängerin der Beklagten (T1. J. IKK) auf der Grundlage des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz - IFG) auf, ihm Kontoauszüge zum Beitragskonto der Insolvenzschuldnerin für den Zeitraum 1. September 2007 bis 31. Dezember 2008 zu übersenden.
4Mit anwaltlichem Schreiben vom 3. Dezember 2009 verwies die Rechtsvorgängerin der Beklagten auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach gegenüber dem Insolvenzverwalter keine materielle Auskunftspflicht des (künftigen) Anfechtungsgegners im Insolvenzverfahren bestehe.
5Der Kläger hat am 24. März 2010 (Untätigkeits-)Klage erhoben, mit der er sein Begehren aus dem Schreiben vom 10. November 2009 weiter verfolgt. Die Beklagte sei ihm als Insolvenzverwalter gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG zur Auskunft verpflichtet und zwar ungeachtet der Zwecke, für die die fragliche Information benötigt würde. Ein Missbrauch der Rechte aus dem IFG sei damit ebenso wenig verbunden wie eine Umgehung von zivilrechtlichen Darlegungs- bzw. Beweislastregelungen. Er sei als Insolvenzverwalter verpflichtet, die vollständige Buchhaltung der Insolvenzschuldnerin aufzuarbeiten und ggf. auch Anfechtungsrechte geltend zu machen. Die Beklagte unterliege als Behörde weitergehenden Verpflichtungen als die Privatwirtschaft. Der Kläger könne sich die Information nicht aus eigenen oder allgemein zugänglichen Quellen verschaffen. Die Insolvenzschuldnerin sei in den Geschäftsbetrieb des Unternehmens nicht involviert gewesen und könne dazu keine Angaben machen. Vielmehr habe ihr Vater den Betrieb geführt. Der Kläger habe bei Übernahme seiner Tätigkeit praktisch keinerlei Buchhaltung vorgefunden. Der Vater der Insolvenzschuldnerin behaupte, keine Unterlagen zu besitzen und sei zu keiner Auskunft bereit. Aus den spärlich vorhandenen Unterlagen ergebe sich, dass möglicherweise Zahlungen an die Beklagte geleistet worden seien, die der Insolvenzanfechtung unterliegen würden. Diese Zahlungen könnten aber nur teilweise nachvollzogen werden. Die Kenntnis darüber beruhe teilweise auf dem lückenhaften Erinnerungsvermögen der Insolvenzschuldnerin. Allein über die im Wege der Vollstreckung getätigten Zahlungen würden teilweise Belege vorliegen. Über den Verlauf des Kontos im fraglichen Zeitraum habe der Kläger keine Kenntnis. Unterlagen von Vollstreckungsbehörden seien keine allgemein zugänglichen Quellen im Sinne des IFG. Ausschlussgründe nach dem IFG seien nicht gegeben. Weder beeinträchtige die begehrte Auskunftserteilung die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten i.S.d. § 3 Nr. 6 IFG, noch handele es sich um personenbezogene Daten nach § 5 IFG.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte zu verpflichten, ihm vollständige Kontoauszüge über das bei der Beklagten geführte Beitragskonto der Frau C. T. , F.-----weg 18, 33*** I. für den Zeitraum 1. September 2007 bis 31. Dezember 2008 zugänglich zu machen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Klage sei mangels Rechtsschutzinteresses bereits unzulässig, jedenfalls gemäß § 9 Abs. 3 IFG unbegründet, da dem Kläger ausweislich seiner Schreiben vom 19. Juni 2008 und 25. September 2008, mit der er gegen die Beklagte Zahlungsansprüche im Rahmen der Insolvenzanfechtung geltend gemacht habe, die begehrten Informationen bereits vorliegen würden; darüber hinaus könne er sich diese in zumutbarer Weise selbst beschaffen. Insoweit sei das Urteil des BGH vom 10. Dezember 2009 (Az: IX ZR 128/08) zu berücksichtigen, wonach sich der Insolvenzverwalter über die kontoführende Bank Aufschluss über die Entwicklung eines Girokontos verschaffen könne und bare Zahlungen im Rahmen von Pfändungen aus dem Protokoll des Gerichtsvollziehers ersichtlich seien. Mit seiner Klage umgehe der Kläger in missbräuchlicher Weise den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz und die Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Anfechtungsschuldner dem Anfechtungsgläubiger im Anfechtungsprozess nicht auskunftspflichtig sei. Die Behördeneigenschaft der Beklagten begründe keine besondere Pflichtenstellung, die sie zur Informationsgewährung verpflichte. Auch die mit dem IFG verfolgten Zwecke würden den geltend gemachten Informationsanspruch, der im Widerspruch zu wesentlichen Prinzipien der ZPO stünde, nicht rechtfertigen. Er diene allein der Verfolgung ungerechtfertigter Zahlungsansprüche. Schließlich sei der Anspruch gemäß § 3 Nr. 6 IFG ausgeschlossen, da er wirtschaftliche Interessen der Beklagten beeinträchtige. Es sei nicht hinzunehmen, dass die Beklagte - anders als Sozialversicherungsträger, die keine Bundesbehörden seien - Auskunftsansprüchen und daraus folgend Zahlungsforderungen ausgesetzt sei, die letztlich zu einer Beitragserhöhung und damit zu Wettbewerbsnachteilen führen würden. Die Beklagte könne nicht verpflichtet werden, Informationen zu erteilen, die andere Marktteilnehmer nicht preisgeben müssten. Letztlich folge aus dem Anspruch der Beklagten auf ein faires Verfahren und aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern im Insolvenzverfahren, dass sie nicht verpflichtet sein könne, einem potentiellen Prozessgegner zur schlüssigen Begründung seiner Klage zu verhelfen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
12Entscheidungsgründe:
13Die nach der zum 1. Juli 2010 erfolgten Fusion der IKK O. mit der früheren Beklagten T1. J. IKK nunmehr gegen die W. IKK als deren Rechtsnachfolgerin (vgl. § 1 Abs. 1 der Satzung der Beklagten) gerichtete Verpflichtungsklage hat Erfolg.
14Die Klage ist zulässig. Die gemäß § 52 Nr. 2 Sätze 1 und 2 VwGO gegebene und an den Sitz der früheren Beklagten (E. ) anknüpfende örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts bleibt von dem Umstand, dass die jetzige Beklagte ihren Sitz in E1. (vgl. § 1 Abs. 1 der Satzung der Beklagten) und damit außerhalb des Gerichtssprengels hat, unberührt (§ 17 Abs. 1 Satz 1 GVG analog).
15Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO auch ohne Durchführung des grundsätzlich gemäß § 9 Abs. 4 IFG, § 6 Abs. 2 Nr. 1 AG VwGO NRW erforderlichen Vorverfahrens zulässig. Die Beklagte hat über den mit Schreiben des Klägers vom 10. November 2009 gestellten Auskunftsantrag bisher sachlich nicht entschieden. Das formlose Schreiben der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 3. Dezember 2009 kann nicht als hoheitliche Regelung im Sinne einer verbindlichen Zurückweisung des Auskunftsbegehrens des Klägers und damit als Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG NRW qualifiziert werden. Ungeachtet dessen, dass es schon seiner äußeren Form nach ohne förmliche Kennzeichnung als "Bescheid" und ohne Entscheidungstenor und Rechtsmittelbelehrung Merkmale eines Verwaltungsakts vermissen lässt und auch nach seinem Inhalt nicht auf eine abschließende und bindende Regelung gerichtet sein dürfte, stammt es vom anwaltlichen Bevollmächtigten der Rechtsvorgängerin der Beklagten und damit nicht von dieser als allein mit einseitiger Regelungsbefugnis ausgestatteter Behörde.
16Die Klage ist auch begründet.
17Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zugang zu den begehrten Informationen.
18Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch des Klägers ist § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Nach dieser Vorschrift hat jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch aus Zugang zu amtlichen Informationen.
19Der Kläger fällt auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Er nimmt als Insolvenzverwalter Aufgaben als Partei kraft Amtes wahr und handelt im eigenen Namen für fremdes Vermögen. Er wird damit als natürliche Person tätig und ist damit Anspruchsberechtigter im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 - , NWVBl. 2008, 59; vgl. ferner OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 -, DÖV 2005, 832 und Beschluss vom 20. April 2010 - 8 A 2513/09 -; VG Hamburg, Urteil vom 1. Oktober 2009 - 9 K 2474/08 - juris, VG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2007 - 26 K 5324/05 -, juris; OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, juris.
21Die für alle Bundesländer geöffnete beklagte Krankenkasse (vgl. § 1 Abs. 3 der Satzung der Beklagten) nimmt als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art. 87 Abs. 2 Satz 1 GG, § 4 Abs. 1 SGB V) Aufgaben öffentlicher Verwaltung wahr und ist damit auskunftspflichtige Behörde des Bundes i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 IFG.
22Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ist auf amtliche Informationen gerichtet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 1 IFG). Bei den heraus verlangten Kontoauszügen betreffend das bei der Beklagten geführte Beitragskonto der Insolvenzschuldnerin handelt es sich um Aufzeichnungen, die die Beklagte im Rahmen ihrer ihr als Sozialversicherungsträger übertragenen Verwaltungsaufgaben und damit zu amtlichen Zwecken gespeichert hat.
23Der hiernach grundsätzlich eröffnete Anspruch auf Informationszugang scheitert nicht am Einwand der Beklagten, der Zweck des IFG rechtfertige nicht die mit der Klage letztlich verfolgte Absicht, ungerechtfertigte Zahlungsansprüche gegen die Beklagte vorzubereiten. § 1 Abs. 1 IFG normiert nach der Gesetzesbegründung ein Recht auf freien und voraussetzungslosen Informationszugang.
24Vgl. BT-Drs. 15/4493, Seite 7 (zu § 1 Abs. 1).
25Das jeweils verfolgte Interesse ist nach dem Willen des Gesetzgebers für den Informationszugangsanspruch ohne rechtliche Bedeutung. Die im Gesetz geregelten Ausschlussgründe (§§ 3 bis 6 IFG) bestimmen die Ablehnungsgründe abschließend und lassen keinen Raum für weitere Eingrenzungen des Informationsrechts.
26Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 1156/09 -, a.a.O.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, juris.
27Im Übrigen gibt die allgemeine Zweckrichtung des IFG keinen Anlass für die von der Beklagten angesprochene Beschränkung des Informationszugangs. Die mit dem IFG u.a. angestrebte effektive Kontrolle staatlichen Handelns,
28vgl. BT-Drs. 15/4493, S. 6,
29rechtfertigt ohne Weiteres die Offenlegung nach dem Insolvenzrecht anfechtbarer Vermögensverschiebungen.
30Vgl. VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, a.a.O.; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1111/09 -, juris.
31§ 1 Abs. 3 IFG schließt den Zugangsanspruch des Klägers nicht aus. Danach gehen Regelungen in anderen Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen mit Ausnahme der § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und des § 25 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vor.
32Konkurrenzfragen sind in jedem konkreten Einzelfall durch eine systematische, an Sinn und Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung der jeweiligen Informationszugangsrechte zu klären. Um die Bestimmung des Verhältnisses verschiedener Informationszugangsrechte untereinander vornehmen zu können, müssen vor allem deren jeweilige Regelungsmaterien berücksichtigt werden. Eine Vorrangigkeit im Sinne einer Ausschließlichkeit ist nur dort anzunehmen, wo die jeweiligen Rechte die gleichen Anliegen verfolgen und / oder identische Zielgruppen erfassen. Eine besondere Rechtsvorschrift im Sinne von § 1 Abs.3 IFG liegt daher nur dann vor, wenn ihr Anwendungsbereich in sachlicher Hinsicht wegen spezifischer Anforderungen an die Information, die der Rechtsvorschrift unterfallen, und / oder in persönlicher Hinsicht die spezifische Anforderung an die Personen, auf welche die Rechtsvorschrift Anwendung findet, beschränkt ist. Wenn spezialgesetzliche Regelungen für einen gesonderten Sachbereich oder für bestimmte Personengruppen einen begrenzten Informationsanspruch vorsehen, ist deshalb im Einzelfall zu untersuchen, ob diese Grenzen auch für den Anspruch aus § 1 Abs. 1 IFG bindend sind. Das ist anzunehmen, wenn ein umfassender Informationsanspruch dem Schutzzweck des Spezialgesetzes zuwider laufen würde. Lässt sich Derartiges nicht feststellen, gelangt der Anspruch aus § 1 Abs. 1 IFG zur Anwendung.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2005 - 21 E 1487/04 - (zum IFG NRW), a.a.O.; Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, a.a.O. und vom 20. April 2010 - 8 A 2513/09 -; OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O.
34Das Insolvenzrecht schließt Ansprüche des Klägers aus dem IFG nicht aus. Der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis der Beklagten auf die Rechtsprechung des BGH zu (fehlenden) Auskunftsansprüchen des Insolvenzverwalters verfängt nicht. Der BGH,
35vgl. etwa Urteil vom 13. August 2009 - IX ZR 58/06 -, juris, Beschluss vom 7. Februar 2008 - IX ZB 138/07 -, juris; Urteile vom 6. Juni 1979 - VIII ZR 255/78 -, BGHZ 74, 379 und vom 15. Januar 1987 - IX ZR 4/86 -, NJW 1987, 1812,
36befasst sich in seiner Rechtsprechung mit Auskunftsansprüchen des Insolvenzverwalters auf der Grundlage des § 242 BGB. Diese Norm stellt aber keine abschließende fachgesetzliche Regelung dar, die allgemeine Auskunftsansprüche für "jedermann" ausschließt.
37Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, a. a. O.; OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O.; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, a.a.O.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, a.a.O.
38Hinzu kommt, dass der nach der zitierten Rechtsprechung des BGH geltende Ausschluss zivilrechtlicher Auskunftsansprüche auf öffentlich-rechtlicher Grundlage geregelte Informationszugangsansprüche nicht berührt, wie sich ausdrücklich aus dem zitierten Urteil des BGH vom 13. August 2009 - IX ZR 58/06 - ergibt, in dem dieser einen Anspruch aus dem Informationszugangsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt deshalb geprüft und verneint hat, weil das landesrechtlich vorgeschriebene Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt worden war.
39Auch die §§ 97, 101 der Insolvenzordnung - InsO - scheiden als vorrangige Vorschriften im Sinne von § 1 Abs. 3 IFG aus.
40Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a. a. O.; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, a. a. O.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, a. a. O.
41Nach alledem kann keine Rede davon sein, dass das Klagebegehren - wie die Beklagte meint - zu einer missbräuchlichen Umgehung der zivilrechtlichen Regelungen über die Darlegungs- und Beweislast bzw. der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung des BGH zu Auskunftspflichten potentieller Anfechtungsschuldner im Insolvenzprozess führt.
42Ein informationsrechtlicher Auskunftsanspruch widerspricht auch nicht dem die Insolvenzordnung beherrschenden Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung, weil dieser Grundsatz es nicht ausschließt, dass Sozialversicherungsträger, die nach der grundgesetzlichen Regelung als Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden, als solche weitergehenden besonderen öffentlich-rechtlichen Informationspflichten unterliegen.
43Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a.a.O.; VG Hamburg, Urteil vom 1. Oktober 2009 - 9 K 2474/08 -, juris.
44Als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts besteht für die Beklagte die im öffentlichen Recht begründete Verpflichtung, jedem auf einen entsprechenden Antrag hin Zugang zu dem bei ihr vorhandenen amtlichen Informationen zu gewähren.
45Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, a.a.O.; OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a.a.O., m.w.N.
46§ 9 Abs. 3 IFG steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Danach kann der Antrag abgelehnt werden, wenn der Antragsteller bereits über die begehrten Informationen verfügt oder sich diese in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann.
47Der Kläger hat schriftsätzlich plausibel dargelegt, dass ihm die begehrten Informationen nicht - jedenfalls nicht vollständig - zur Verfügung stehen. Die Kenntnis des Klägers von einzelnen Zahlungen im hier maßgeblichen Zeitraum kann seinem Anspruch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, solange ihm wie hier- Abweichendes behauptet auch die Beklagte nicht - keine gesicherten Erkenntnisse über sämtliche Zahlungen vorliegen. Das Gericht sieht im Übrigen keinen Anlass, an diesem Vorbingen des Klägers zu zweifeln, zumal Anhaltspunkte dafür, dass die Klage - weil der Kläger tatsächlich bereits über die begehrten Auskünfte verfügt - missbräuchlich erhoben worden ist, nicht einmal ansatzweise zu erkennen sind. Der Kläger kann sich die fraglichen Informationen auch nicht in zumutbarer Weise aus allgemein zugänglichen Quellen verschaffen.
48Vgl. dazu: Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, Kommentar, § 9 Rdnr. 43.
49Die vom Beklagten in Bezug genommenen Kontoauszüge der kontoführenden Bank bzw. Gerichtsvollzieherprotokolle,
50Vgl. zur Möglichkeit des Insolvenzverwalters, sich Informationen im Rahmen seiner Darlegungslast in Anfechtungsprozessen zu beschaffen: BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - IX ZR 128/08 -, juris,
51sind ersichtlich weder dazu technisch geeignet noch dazu bestimmt, einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis Informationen zu beschaffen. Dass sich der Kläger möglicherweise auch über die kontoführende Bank bzw. über Protokolle des Gerichtsvollziehers die streitigen Informationen verschaffen kann, schließt demnach den Anspruch gegen die Beklagte aus § 1 Abs. 1 S. 1 IFG nicht aus. Es bleibt mithin dem Kläger überlassen, auf welche Weise er sich Zugang zu den benötigten Informationen verschaffen will.
52Das von der Beklagten angesprochene Recht auf ein faires Verfahren (§ 3 Nr. 1 g) IFG), welches zum Ergebnis führen müsse, dass potentielle Anfechtungsgegner im Insolvenzprozess nicht dazu verpflichtet sein könnten, dem künftigen Prozessgegner zur schlüssigen Begründung seiner Klage zu verhelfen, führt hier zu keinem abweichenden Ergebnis. Nachteilige Auswirkungen im Sinne des § 3 Nr. 1 g) IFG können nicht festgestellt werden. Das vom Beklagten mit seinem Vortrag umrissene Recht auf prozessuale Chancengleichheit wird durch außerhalb des Prozessrechts begründete materielle Ansprüche - hier das Recht des Klägers aus § 1 Abs. 1 IFG - nicht in Frage gestellt. Einen prozessualen Grundsatz, wonach ein materiell-rechtlich Verpflichteter allein aufgrund seiner Stellung als Partei eines Zivilprozesses die Erfüllung eines berechtigten Anspruchs verweigern könnte, gibt es nicht.
53Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juni 2002 - 21 B 589/02 -, juris; vgl. auch Schoch, a.a.O., § 3 Rdnr. 87 ff.
54Auch § 3 Nr. 6 2. Alt. IFG steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift besteht der Informationszugangsanspruch nicht, wenn das Bekanntwerden der Information geeignet wäre, wirtschaftliche Interessen der Sozialversicherungen zu beeinträchtigen. Nach der Gesetzesbegründung,
55vgl. BT-Drs. 15/5606, S. 6 (zu Nr. 4),
56schützt die Vorschrift die Träger der Sozialversicherung im Wettbewerb der Krankenkassen untereinander und zu privaten Krankenversicherungsunternehmen vor Kenntniserlangung von wettbewerbsrelevanten Daten (z. B. Vertragsinhalte; Finanz-, Mitgliederstruktur; Leistungsdaten), die geeignet sind, die wirtschaftliche Leistungserbringung der Krankenkassen zu beeinträchtigen. Um solche Daten geht es hier nicht. Der Kläger verlangt den Zugang zum Verlauf eines bestimmten Beitragskontos für einen bestimmten eingeschränkten Zeitraum. Daraus sind keine Rückschlüsse auf wettbewerbserhebliche Daten im dargestellten Sinne möglich.
57Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/09 -, a.a.O.; VG Hamburg, Urteil vom 23. April 2009 - 19 K 4199/07 -, a.a.O. und vom 1. Oktober 2009 - 9 K 2474/08 -,.a.O.; VG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2007 - 26 K 5324/06 -, a.a.O.; Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, a.a.O.
58Soweit die Beklagte auf Wettbewerbsnachteile wegen zu befürchtender Beitragserhöhungen als Folge von Auskunftspflichten und nachfolgenden (erfolgreichen) Insolvenzanfechtungen verweist, fehlt es bereits an der notwendigen Darlegung der konkreten Möglichkeit einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Beklagten.
59Vgl. dazu Schoch, a.a.O., § 3 Rdnr. 178.
60Der bloße Hinweis auf mögliche indirekte nachteilige Wirkungen der Gewährung des Zugangs zu den hier streitigen Informationen genügt nicht, wobei bereits zweifelhaft erscheint, ob mit der Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Informationszugang hinsichtlich Zahlungen auf Beitragskonten der bei ihr Versicherten tatsächlich finanzielle Folgen in einer Größenordnung verbunden sein können, die Beitragserhöhungen zur Folge haben.
61Die von der Beklagten im gegebenen Prüfungszusammenhang der Sache nach gerügte Ungleichbehandlung gegenüber konkurrierenden gesetzlichen Krankenkassen, die keiner Auskunftsverpflichtung aus Bundes- bzw. Landesinformationsfreiheitsgesetzen unterliegen, greift schon aus den soeben dargelegten Gründen ebenfalls nicht durch. Die konkrete Möglichkeit der Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen ist damit nicht dargetan. Darüber hinaus gilt Folgendes: Unbeschadet der Frage, ob die Beklagte sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts überhaupt mit Erfolg auf den grundrechtlichen Schutz aus Art. 3 Abs. 1 GG berufen kann, besteht ein Anspruch auf Gleichbehandlung nur gegenüber dem nach der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt.
62BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 (u.a.) -, BVerfGE 76, 1 (73);
63Da die Verpflichtung aus § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG alle Krankenkassen trifft, die als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts geführt werden (vgl. Art. 87 Abs. 2 GG), ist dem Gleichheitsgebot insoweit Genüge getan. Dass die Beklagte damit weitergehende Pflichten in Bezug auf Informationszugangsrechte treffen als konkurrierende gesetzliche Krankenkassen, die als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts fungieren und keinen landesrechtlichen Informationszugangspflichten unterliegen, ist damit rechtlich ohne Belang. Ungleichbehandlungen als Folge der Ausübung eigener Kompetenz durch verschiedene Hoheitsträger sind grundsätzlich zulässig.
64Vgl. auch Gubelt, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage, Art. 3 Rdnr. 60; Schoch, DVBl. 1988, 863 (870).
65Auch eine Benachteiligung der Beklagten gegenüber privaten Krankenkassen bedeutet keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der lediglich gebietet, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln. Der rechtfertigende Grund für die Ungleichbehandlung ist hier die nach dem IFG normierte besondere Pflichtenstellung der öffentlichen Hand in Bezug auf Informationszugangsrechte. Diese hat zur Folge, dass etwaige Ersatzansprüche im Insolvenzverfahren gegen die öffentliche Hand unter erleichterten Bedingungen geltend gemacht werden können.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Juli 2008 - 8 A 1548/07 -, a.a.O.; OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 11156/09 -, a.a.O.; OVG Hamburg, Urteil vom 1. Oktober 2009 - 9 K 2474/08 -, a.a.O.; VG Stuttgart, Urteil vom 18. August 2009 - 8 K 1011/09 -, a.a.O.
67Der Informationsanspruch des Klägers ist nicht gemäß § 6 Satz 2 IFG ausgeschlossen. Insoweit fehlt es an einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse der Beklagten. Sie ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden mit der Folge, dass sie sich berechtigten Rückzahlungsforderungen nicht durch Berufung auf Betriebs- bzw. Geschäftsgeheimnisse entziehen kann. Ihr Interesse an der Geheimhaltung der fraglichen Information ist damit nicht schutzwürdig.
68Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11156/99 -, a.a.O. zur entsprechenden Vorschrift im rheinland-pfälzischen IFG.
69Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit personenbezogene Daten im Sinne von § 5 IFG vom Auskunftsbegehren des Klägers betroffen sein sollten. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 S. 1 InsO), mithin auch über alle Umstände, die für die Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können. Muss der Schuldner also dem Insolvenzverwalter die ihm möglichen Auskünfte über die von ihm gezahlten Sozialversicherungsbeiträge für seine Arbeitnehmer erteilen, sind diese Informationen dem Insolvenzverwalter gegenüber von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig.
70Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 12. Februar 2010 - 10 A 11154/09 -, a.a.O.
71Andere Gründe, die dem Informationsbegehren des Klägers entgegenstehen, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht geltend gemacht worden, so dass sich weitere Ausführungen erübrigen.
72Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
73Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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