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1. Zur zweifelhaften Vereinbarkeit eines geschützten Radfahrstreifens ("Protected Bike Lane") mit der StVO.2. Zum Fehlen der für die Anordnung eines Radfahrstreifens innerorts nach § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 9 S. 1 StVO erforderlichen Gefahr aufgrund besonderer örtlicher Umstände.3. Klebebordsteine auf der Fahrbahn sind keine von § 43 StVO zugelassenen Verkehrseinrichtungen.4. Verpflichtung zum Entfernen der Protected Bike Lane.
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (6 K 11166/24) gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2024 zur Errichtung eines Fahrradwegs in Form einer sogenannten Protected Bike Lane auf der B.-straße in W. im Abschnitt zwischen der C.-straße- und der U.-straße wird angeordnet.
2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, innerhalb von drei Wochen die Vollziehung der in der Hauptsache angefochtenen Allgemeinverfügung aufzuheben und hierzu die bereits angebrachten Klebebordsteine und Markierungen zu entfernen bzw. unwirksam zu machen.
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
2I.
3Der Antragsteller wehrt sich gegen die Anordnung und Einrichtung einer sogenannten „Protected Bike Lane“ auf der B.-straße in W..
4Die B.-straße verläuft in der Innenstadt von W.. Die Antragsgegnerin hat die Ortsdurchfahrt der Bundesstraße B 00 als Hauptverkehrsstraße eingestuft. Ihr südwestlicher Anfang liegt rund 630 m vom Hauptbahnhof entfernt. Sie erstreckt sich in nordöstlicher Richtung ungefähr 1.600 m und geht dann in den Nordring über. Über eine Teilstrecke von etwa 1.000 m, nämlich zwischen den Einmündungen C.-straße- und U.-straße, ist die B.-straße baulich durch einen etwa 5-8 m breiten baumbestandenen Mittelstreifen unterbrochen, der überwiegend zum Parken benutzt wird. Bislang waren in jeder der beiden Fahrtrichtungen zwei Fahrstreifen nebeneinander eingerichtet (vierspurige Straße). Die B.-straße ist insgesamt zwischen 30 m und 36 m breit.
5Auf der B.-straße existieren seit Jahrzehnten baulich durch Hochborde von den Fahrstreifen getrennte Radwege im Straßenseitenraum. Fotos in Google Maps (StreetView) bzw. Apple Karten (LookAround), die jeweils aus dem Jahr 2022 stammen, zeigen die Radwege in ordentlichem baulichen Zustand. Die detailreichen Fotos lassen fast keine Oberflächenunebenheiten oder andere Schäden erkennen. Auf rund 300 m zwischen den Einmündungen M.-straße und V.-straße stehen neben den Radwegen keine Bäume. Auf der übrigen Strecke säumt alter Baumbestand die Radwege und trennt sie von den breiten separaten Fußgängerwegen. Die Radwege haben eine Breite von 1 m bis 1,25 m. Die Antragsgegnerin hob die auf sie bezogene Radwegbenutzungspflicht im Jahr 2017 auf.
6Der Ausschuss für Umwelt und Mobilität des Rates der Antragsgegnerin beschloss am 19. Mai 2022 (Beschlussvorlage Nr. 849/X), jeweils eine der bisherigen zwei Fahrspuren in jede Richtung als „Protected Bike Lane“ einzurichten. Danach sollte in jeder Fahrtrichtung ein Fahrstreifen von ca. 3,25 m Breite für den motorisierten Verkehr sowie ein ca. 2 m breiter Radfahrstreifen markiert werden. Der am jeweils rechten Straßenrand gelegene Radfahrstreifen sollte mit einer im Breitstrich ausgeführten Doppellinie (jeweils 25 cm breit und 20 cm Zwischenraum) abgegrenzt werden. In dem Zwischenraum sollten bauliche Trennelemente eingefügt werden, die es dem motorisierten Verkehr physisch unmöglich machen, den Radfahrstreifen zu befahren. Die Antragsgegnerin vertrat die Auffassung, mangels rechtlicher Regelung von solchen Protected Bike Lanes könne sie nach eigenem Ermessen festlegen, welche Trennelemente eingesetzt werden.
7Als maßgebliche Erwägungen sind dem Beschluss des Ausschusses zu entnehmen, dass die bauliche Trennung von Rad- und Kfz-Verkehr zu einer verkehrssicheren Teilnahme von Kindern und Familien im Radverkehr beitragen solle. Außerdem sollten aus Klimaschutzgründen emissionsfreie Verkehre und zur Gesundheitsvorsorge bewegungsintensive Fortbewegungsarten gefördert werden. Die B.-straße sei gemäß dem Masterplan Nahmobilität eine Hauptverkehrsverbindung im Alltagsnetz des Radverkehrs. Nach dem Lärmaktionsplan sei die Maßnahme als „Vermeidung von Schallemissionen“ einzuordnen, weil der Abstand zwischen den innen fahrenden Kfz und den angrenzenden Immissionsorten vergrößert werde.
8Der Ausschuss hat zwischen vier bzw. fünf Möglichkeiten der Radverkehrsführung abgewogen. Die bisherigen baulich getrennt angelegten Radwege neben den Fahrbahnen könnten nicht auf die heute erforderliche Breite gebracht werden, weil dann Bäume gefällt werden müssten. Außerdem verursache ein neuer Radweg großen Planungsaufwand und hohe Kosten. Diese Kosten müssten als Straßenbaubeiträge von den Anliegern bezahlt werden. Eine Einbahnstraßenregelung scheide bei der Vorrangstraße aus. Abmarkierte Radfahrstreifen auf jeweils einer der bisherigen Fahrbahnen erreichten das Planungsziel einer verkehrssicheren Radverkehrsanlage am schnellsten und ohne hohen baulichen Aufwand. Diese seien bloßen Schutzstreifen, die von Kfz überfahren werden dürfen, vorzuziehen.
9Für die Verkehrsmengen sei auf der B.-straße eine einstreifige Verkehrsführung ausreichend, weil der Verkehr vor und nach dem betroffenen Abschnitt ebenfalls einspurig geführt werde.
10Die Antragsgegnerin erteilte die „Anordnung gemäß § 45 StVO“ durch eMail vom 23. März 2023 und übersandte dazu sechs Pläne über die Anlage der Protected Bike Lane. Aus diesen ging hervor, wo die Verkehrszeichen 237 aufgestellt, die doppelte Markierungslinie Zeichen 295 angebracht und wo die baulichen Trennelemente eingefügt werden sollten. Auf den Plänen ist zudem eingetragen: „Stadt W., Der Oberbürgermeister, Ordnungsamt. Anordnung gemäß § 45 StVO wird hiermit erteilt. Im Auftrag ... 23/03/2023“. Eine Begründung des Ordnungsamts findet sich in den dem Gericht vorgelegten Akten nicht. Verschiedentlich lässt sich der Akte entnehmen, dass das Ordnungsamt auf die Begründung des Ratsausschusses verweist und zum Ausdruck bringt, es vollziehe das von dort Vorgegebene.
11Den dem Gericht vorgelegten Akten lässt sich nicht entnehmen, dass die Antragsgegnerin die Polizei zu den Planungen der Protected Bike Lane hinzugezogen hat. Als die die Polizei im Zuge der später erfolgten Anordnung von Tempo 30 beteiligt wurde, wurde ebenfalls nicht erörtert, ob es auf der B.-straße in der Vergangenheit, d.h. als lediglich die baulich angelegten Radwege im Straßenseitenraum existierten, zu Unfällen oder anderen gefährlichen Vorkommnissen mit Fahrradbeteiligung gekommen war.
12Die Protected Bike Lane wurde bis zum 10. Juli 2023 eingerichtet und wie geplant markiert und beschildert; nach einigen Unfällen, bei denen Kraftfahrer mit den Klebebordsteinen kollidiert waren und es zu teils erheblichen Schäden gekommen war, senkte die Antragsgegnerin die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Bereich der Protected Bike Lane auf 30 km/h ab.
13Der Antragsteller hat hiergegen, sowie gegen die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in diesem Bereich auf 30 km/h, am 3. Mai 2024 Klage erhoben, über die bislang nicht entschieden ist (6 K 3256/24). Zugleich hat er die Gewährung von Eilrechtsschutz gegen die Protected Bike Lane beantragt.
14Klage und Eilrechtsschutzantrag hat der Antragsteller im Wesentlichen damit begründet, dass die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen der verkehrsrechtlichen Anordnung bei der Protected Bike Lane nicht erfüllt seien. Die Antragsgegnerin habe außerdem ihr Ermessen nicht, zumindest nicht fehlerfrei ausgeübt. Der Kläger hat schwerpunktmäßig darauf verwiesen, dass die Reduzierung auf einen Fahrstreifen und die Abtrennung mit den Klebebordsteinen für den motorisierten Verkehr ein Sicherheitsrisiko für Rettungsfahrzeuge (Notarzt, Krankenwagen, Feuerwehr) sowie die Polizei sei. Bei einem Stau auf der B.-straße im Bereich der Protected Bike Lane verhindere die Betonbarriere, den Stau zu umfahren. Das sei bei der B.-straße relevant, weil zwei Krankenhäuser und auch Rettungswachen nahebei lägen. Es handele sich um eine Bundes- und Hauptverkehrsstraße, der nicht zwei der vier Fahrspuren genommen werden dürften. Die vorhandenen Radwege habe die Antragsgegnerin nicht ausreichend in ihre Entscheidung einbezogen.
15Der Antragsteller hatte bereits Anfang des Jahres 2024 Eilrechtsschutz gegen die Anordnung der Protected Bike Lane beantragt. Diesen Antrag hat die Kammer mit Beschluss vom 18. März 2024 (6 L 596/24) als unzulässig abgelehnt, weil zum Entscheidungszeitpunkt kein Hauptsacherechtsbehelf (Klage) erhoben war.
16Im Zuge eines erneuten Eilrechtsschutzantrags des Antragstellers (6 L 1183/24) hob die Antragsgegnerin die Anordnung der Protected Bike Lane am 25. Oktober 2024 auf. Zugleich erließ sie am gleichen Tag eine neue verkehrsrechtliche Anordnung zur Einrichtung einer Protected Bike Lane auf der B.-straße zwischen C.-straße- und U.-straße und stützte sich dazu auf § 45 Abs. 1b Nr. 5, Abs. 9 Satz 4 Nr. 3 StVO. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war der Anordnung nicht beigegeben.
17Sie begründete diese neuerliche Anordnung im Wesentlichen wie folgt. Die baulich angelegten Radwege seien nach den Richtlinien für die Anlagen von Stadtstraßen (RASt) und den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) zu schmal. Außerdem seien sie teilweise durchwurzelt. Die vorhandenen Radwege könnten nicht verbreitert werden, weil es nicht vertretbar sei, dafür den alten Baumbestand zu fällen. Darin lägen zwingende Gründe im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, um die Protected Bike Lane anzuordnen. Eine Verkehrszählung habe ergeben, dass für den motorisierten Verkehr keine zwei Fahrstreifen pro Fahrtrichtung nötig seien, sondern eine einstreifige Führung pro Richtung genüge. Ein bloßer Schutzstreifen biete nicht die nötige Schutzwirkung.
18Ihr Ermessen habe die Antragsgegnerin zugunsten der Einrichtung der Protected Bike Lane auch aufgrund einer Radverkehrszählung betätigt, die sie vom 27. August bis 1. September 2024 (Donnerstag bis Sonntag) vorgenommen habe. In 24 Stunden seien 499, 475, 431 und 339 Fahrräder auf beiden Seiten der Straße gezählt worden. Das sei eine erhebliche Zunahme, denn am 6. und 11. Juni 2024 seien nur 398 bzw. 304 Fahrräder gezählt worden. Hieraus sei prognostisch eine weitere Zunahme des Radverkehrs abzuleiten.
19Die Interessen des motorisierten Verkehrs müssten dahinter zurückstehen. Die im Spätsommer 2024 gezählten 17.000 Kfz in 24 Stunden wochentags seien nach den RASt mit einer einstreifigen Verkehrsführung zu bewältigen. Es seien seit der Anlage der Protected Bike Lane auch keine Rückstauungen zu verzeichnen gewesen.
20Gegen die verkehrsrechtliche Anordnung hat der Antragsteller am 23. Dezember 2024 Klage erhoben (6 K 11166/24), über die bislang nicht entschieden ist. Er stützt die neuerliche Klage im Wesentlichen auf die bisher von ihm gegen die Protected Bike Lane vorgetragenen Gründe.
21Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
221. die aufschiebende Wirkung der am 23. Dezember 2024 erhobenen Klage (6 K 11166/24) gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2024 zur Errichtung eines Fahrradwegs in Form einer sogenannten Protected Bike Lane auf der B.-straße in W. anzuordnen.
2. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Vollziehung der in der Hauptsache angefochtenen Allgemeinverfügung aufzuheben und hierzu die bereits angebrachten Trennelemente (Klebebordsteine) und Markierungen zu entfernen bzw. unwirksam zu machen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
27den Antrag abzulehnen.
28Sie wiederholt und vertieft die im Verwaltungsverfahren und v.a. in der Anordnung vom 25. Oktober 2024 angeführten Gründe.
29II.
30Der Antrag hat Erfolg.
311. Der Antrag ist zulässig.
32a) Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft. Bei der angegriffenen verkehrsrechtlichen Anordnung handelt es sich um eine benutzungsregelnde Allgemeinverfügung im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG NRW. Hiergegen hat der Antragsteller fristgemäß und auch im Übrigen zulässig Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) erhoben, die keine aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die verkehrsregelnde Anordnung in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO gesetzlich sofort vollziehbar ist.
33Der Antragsteller ist antragsbefugt. Verkehrsteilnehmer, die von beschränkenden Verkehrszeichen betroffen sind, können das Fehlen der rechtssatzmäßigen Voraussetzungen der angeordneten Beschränkung gerichtlich geltend machen. Was das bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eröffnete behördliche Ermessen betrifft, können sie indessen nur verlangen, dass ihre eigenen Interessen ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen. Abwägungserheblich sind dabei nur sog. qualifizierte Interessen, die über das Interesse jedes Verkehrsteilnehmers hinausgehen, in seiner Freiheit möglichst wenig beschränkt zu werden.
34vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1993 – 11 C 35.92, BVerwGE 92, 32, und vom 23. September 2010 – 3 C 32.09, DAR 2011, 39; Manssen, NZV 1992, 465/469 f.
35Der Antragsteller kann damit zumindest rügen, dass er in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verletzt ist, weil er den jeweils rechten Fahrstreifen der B.-straße in beiden Fahrtrichtungen nicht mehr als Führer eines Kraftfahrzeuges nutzen kann. Er trägt zutreffend vor, dass er die Protected Bike Lane nicht be- bzw. überfahren dürfte und – wegen der Klebebordsteine – auch physisch an einer Benutzung des bisherigen rechten Fahrstreifens gehindert sei.
36b) Das Gericht musste den Antrag des nicht anwaltlich vertretenen Antragstellers nicht als Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO auffassen, obwohl der Antragsteller mit einem früheren, auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichteten Antrag bereits unterlegen war (Beschluss vom 18. März 2024 – 6 L 596/24). Denn die beschließende Kammer hat seinen damaligen Antrag lediglich als unzulässig abgelehnt. Sie hat nicht über die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die verkehrsrechtliche Anordnung entschieden. Die Bindungswirkung (vgl. §§ 122, 121 VwGO) des vorhergehenden Beschlusses, dessen Durchbrechung das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient, erstreckt sich nur darauf, dass dem prozessualen Anspruch ein prozessuales Hindernis, nämlich der damals fehlende Hauptsacherechtsbehelf, entgegenstand.
37Dasselbe gilt für den Kammerbeschluss vom 31. Oktober 2024 im nachfolgenden Eilrechtsschutzverfahren (6 L 1183/24), der ebenfalls zur Unzulässigkeit des Eilrechtsschutzantrages gelangt und im Übrigen nach beiderseitiger Erledigungserklärung inzwischen wirkungslos ist.
382. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begründet.
39Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung unter anderem in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der das Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche Rechtmäßigkeitszweifel sind erst dann anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Danach überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers derzeit das von der Antragsgegnerin vertretene öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der der angeordneten und bereits eingerichteten Protected Bike Lane bestehen.
40a) Es spricht bereits Überwiegendes dafür, dass die Anordnung einer Protected Bike Lane in der hier ausgeführten Gestaltung mit den maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar ist.
41Vgl. zum Folgenden: OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2021 – 8 B 188/21, NWVBl 2022, 37.
42Mit Zeichen 237 der Anlage 2 zu § 41 StVO gekennzeichnete baulich angelegte Radwege und Radfahrstreifen zählen zu den benutzungspflichtigen Radwegen. Hinsichtlich der Gestaltung von Radverkehrsanlagen verweist die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) auf die von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen – Arbeitsgruppe Straßenentwurf – erarbeiteten „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, Ausgabe 2010“ (ERA 2010).
43Vgl. VwV-StVO, zu § 2 Abs. 4 Satz 2, Rn. 8 und 13.
44Radfahrstreifen sind durch Zeichen 237 der Anlage 2 zu § 41 StVO gekennzeichnete und durch Zeichen 295 der Anlage 2 zu § 41 StVO (in der Regel in Breitstrich = 0,25 m) abgetrennte Sonderwege auf der Fahrbahn.
45Vgl. VwV-StVO, zu § 2 Abs. 4 Satz 2, Rn. 10; ERA 2010, S. 23 f.
46Baulich angelegte Radwege befinden sich im Seitenraum und sind durch Borde, Park- oder Grünstreifen von der Fahrbahn räumlich getrennt. Zwischen dem Radweg und benachbarten Flächen müssen Sicherheitsräume gewährleistet sein. Die Breite des Sicherheitstrennstreifens beträgt 0,75 m vom Fahrbahnrand mit festen Einbauten im Sicherheitstrennstreifen und 0,5 m vom Fahrbahnrand in sonstigen Fällen.
47Vgl. ERA 2010, S. 24 f.
48Über die nach den vorstehenden Bestimmungen vorgesehenen Führungen des Radverkehrs geht die von der Antragsgegnerin errichtete Protected Bike Lane insoweit hinaus, als sie zusätzlich zu der Abtrennung eines Sonderweges durch das Zeichen 295 der Anlage 2 zu § 41 StVO eine weitere Trennlinie (Zeichen 295 der Anlage 2 zu § 41 StVO) in geringem Abstand aufgebracht hat. Eine Doppellinie ist nach der Erläuterung Nr. 1 zu Zeichen 295 (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO lfd. Nr. 68) nur zur Abtrennung des Gegenverkehrs, nicht aber – wie hier – hinsichtlich des gleichgerichteten Verkehrs vorgesehen.
49Mittig der beiden Begrenzungslinien sind zudem unterbrochene bauliche Trennelemente aus Beton („Klebebordsteine“) vorgesehen und bereits aufgebracht. Bei den Trennelementen handelt es sich nach vorläufiger Einschätzung nicht um Verkehrseinrichtungen im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 StVO i. V. m. Anlage 4.
50Vgl. König, in: Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Auflage (2025), § 43 StVO Rn. 17.
51Der Katalog der StVO für Verkehrseinrichtungen ist abschließend.
52Vgl. BayVGH, Beschluss vom 4. September 2019 – 11 ZB 19.1685; Heidorn, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, Kap. 43 Rn. 15.
53Wie die zahlreichen Unfälle zeigen, die sich an den baulichen Trennelementen ereignet haben, liegt es nahe, dass die „Klebebordsteine“ Hindernisse auf der Fahrbahn i.S.v. § 32 StVO darstellen und daher rechtswidrig sind. Hierfür spricht auch, dass die Antragsgegnerin selbst in den „Klebebordsteinen“ eine Gefahr für den fließenden Verkehr erkannte und die innerörtliche Regelhöchstgeschwindigkeit im Bereich der Protected Bike Lane von 50 km/h auf nunmehr 30 km/h absenkte.
54Führen nicht von der StVO zugelassene und damit rechtswidrige Verkehrseinrichtungen zu Unfällen und damit zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, ist nicht fernliegend, dass einem Verkehrsteilnehmer, der diese Straße befährt und damit potenziell über das unumgängliche Maß hinaus gefährdet ist, ein Folgenbeseitigungsanspruch auf Entfernung dieser Gegenstände zustehen kann.
55Vgl. OVG RP, Urteil vom 26. Februar 2014 – 7 A 11038/13, NVwZ-RR 2014, 582; BayVGH, Beschluss vom 4. September 2019 – 11 ZB 19.1685; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 8 E 563/20, juris.
56Auch hinsichtlich der Aufstellung von Verkehrseinrichtungen können Verkehrsteilnehmer – wie zu verkehrsregelnden Maßnahmen vorstehend erläutert – als eine Verletzung ihrer Rechte geltend machen, deren rechtssatzmäßige Voraussetzungen seien nicht gegeben.
57Vgl. OVG RP, Urteil vom 26. Februar 2014 – 7 A 11038/13, NVwZ-RR 2014, 582.
58b) Ebenfalls ist die Anordnung der Protected Bike Lane wahrscheinlich rechtswidrig, wenn man sie nicht als Ganzes betrachtet, sondern aus zwei Teilen bestehend auffasst. Die Protected Bike Lane wäre danach zusammengesetzt aus einem Radfahrstreifen im vorgenannten Sinne sowie aus einer zusätzlichen Trennlinie und den baulichen Trennelementen („Klebebordsteine“).
59Es bestehen – unabhängig von den Klebebordsteinen – bereits gegen die verkehrsrechtliche Anordnung eines Radfahrstreifens auf jeder Richtungsfahrbahn rechtliche Bedenken, weil bereits funktionsfähige beiderseitige Radwege in den Straßenseitenräumen vorhanden sind. Rechtsgrundlage für die Anordnung von Radfahrstreifen ist § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 StVO. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt demnach eine konkrete Gefahr für das geschützte Gut voraus. Dafür bedarf es nicht des Nachweises, dass jederzeit mit einem Schadenseintritt zu rechnen ist; sondern es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass – möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände – die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 46.78, BVerwGE 59, 221.
61Erforderlich ist eine Prognose, die an für die Vergangenheit festgestellte Tatsachen anknüpft.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 37.09, BVerwGE 138, 21 Rn. 28.
63Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Das ist dann der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichen. Mangels Erforderlichkeit im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO scheidet die Anordnung dort aus, wo die damit bezweckten Wirkungen aufgrund der allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Verordnung ohnehin erreicht werden.
64Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. September 2017 – 3 B 50.16, NVwZ-RR 2018, 12 Rn. 7.
65Die Vorschrift soll somit einem Trend zur „übermäßigen Beschilderung“ entgegenwirken und im Sinne einer „Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung“ die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr aufwerten.
66Vgl. BR-Drs. 374/1/97, S. 6 f., 10 f. = Vkbl 1997, S. 686 Nr. 7, S. 687 Nr. 13, S. 689 Nr. 9, S. 690 Nr. 22; BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – 11 ZB 22.157, BayVBl. 2023, 18.
67Eine qualifizierte Gefahr gemäß § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO in dem Sinne, dass auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko erheblich übersteigt, setzt die Anordnung von Radfahrstreifen innerhalb geschlossener Ortschaften hingegen nicht voraus, wie aus Satz 4 Nr. 3 dieser Norm folgt.
68Zum Beleg einer Gefahr im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 1 StVO bedarf es einer Tatsachengrundlage, aus der sich das Verkehrsaufkommen, die Zahl der jeweiligen Verkehrsteilnehmer, etwaige Verkehrsverstöße oder Unfallzahlen ergeben. Die entsprechenden Umstände und Beobachtungen können etwa durch Verkehrszählungen, Ordnungswidrigkeiten- oder Unfallstatistiken aufgezeigt werden. Hierbei können auch Umstände berücksichtigt werden, die erst nach Erlass der verkehrsregelnden Anordnung eingetreten sind, da es für die rechtliche Beurteilung von Verkehrszeichen als Dauerverwaltungsakte – abweichend von dem Grundsatz, dass bei Anfechtungsklagen regelmäßig auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen ist – maßgebend auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt.
69Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2010 – 3 C 42.09, juris Rn. 14 m.w.N.
70Ob die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 StVO erfüllt sind, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung zahlreicher Faktoren festzustellen. Das bestätigt die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung – VwV-StVO. Danach kommt die Anlage von Radwegen im Allgemeinen dort in Betracht, wo es die Verkehrssicherheit, die Verkehrsbelastung und der Verkehrsablauf erfordern (vgl. VwV-StVO, Rn. 17 zu § 2 StVO). Zwingend erforderlich ist mithin eine Anordnung von Radverkehrsanlagen nur dort, wo diese Aspekte konkret auf eine Gefahrenlage hinweisen.
71Die sachverständige Sicht der Dinge, die sich aus den von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen herausgegebenen „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (Ausgabe 2010; „ERA 2010“) ergibt, bestätigt das. Die ERA 2010 sind vom damaligen Ministerium Wirtschaft, Energie, Wohnen, Bauen und Verkehr des Landes NRW durch Erlass
72vom 10. Juni 2011 – VII A 4 – 86.19-51 (https://www.bra.nrw.de/system/files/media/document/file/ era2010.pdf)
73u.a. für Bundesstraßen in der Baulast des Bundes eingeführt worden und entfalten somit als Verwaltungsvorschriften gesetzesauslegende bzw. ermessenslenkende Wirkung. Sie gelten zwar unmittelbar nur für den Neubau und die wesentliche Änderung von Straßen. Ihre Anwendung wird aber nach ihrer Ziffer 0 auch für bestehende Straßen empfohlen.
74Vgl. BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – 11 ZB 22.157, BayVBl. 2023, 18; VG Köln, Urteil vom 8. Mai 2015 – 18 K 189/14, juris Rn. 46.
75Nach der ERA 2010 ist primärer Parameter für die Einführung von Radverkehrsanlagen die Gefahrenlage für Radfahrer, die sich nach diesen Empfehlungen in erster Linie aus der Kraftfahrzeugbelastung sowie der Unfallträchtigkeit eines bestimmten Straßenabschnitts aufgrund besonderer baulicher oder verkehrlicher Gegebenheiten der Straße und eventuell bestehender Schwerverkehrsbelastung ergibt (vgl. ebenda S. 18 f.).
76Vgl. BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 2022 – 11 ZB 22.157, BayVBl. 2023, 18.
77Diese Voraussetzungen sind nach Aktenlage, die im hiesigen Eilrechtsschutzverfahren allein Entscheidungsgrundlage sein kann, nicht erfüllt.
78Die ERA-Klassifikation nach Verkehrsstärke umfasst vier Belastungsbereiche (I-IV), und zwar differenziert nach zwei- und vierstreifigen Straßen (S. 18 f.). Bei rund 17.000 Kfz/h an Werktagen im Straßenquerschnitt (= in beiden Fahrtrichtungen zusammengenommen), die die Antragsgegnerin in ihrer Berichtsvorlage NR. 3572/X vom 30. Oktober 2024 an den Ausschuss für Mobilität und Umwelt mitgeteilt hat,
79vgl. Gerichtsakte im Verfahren OVG NRW 8 B 1046/24 Bl. 69 ff.,
80liegt die Verkehrsbelastung der B.-straße im Belastungsbereich III. Da es sich vor der Anlegung der Protected Bike Line, um deren Rechtmäßigkeit gestritten wird, um eine vierstreifige Straße handelte, sind die Verkehrszahlen für solche Straßen zugrunde zu legen, nicht für zweistreifige. Die ERA 2010 bemisst die Kfz-Verkehrsstärke nach der Belastung in der werktäglichen Spitzenstunde (ERA 2010 S. 19, Anhang 1 Formblatt A3). Setzt man nach einer fachlich gebräuchlichen Formel den Spitzenstundenwert auf 13 Prozent des gesamten Tagesverkehrs an, ergeben sich Werte von rund 2.200 Fahrzeugen in der werktäglichen Spitzenstunde.
81Es liegt allerdings nahe, dass bei der B.-straße – wie es auch die ERA 2010 vorsehen (S. 19, oben rechts) – von der schematischen Zuordnung zu den Belastungsbereichen abzuweichen ist. Hierfür spricht vor allem, dass die Richtungsfahrbahnen auf der B.-straße durch einen 5 m bis 8 m breiten, baumbestandenen und zum Parken genutzten Mittelstreifen getrennt voneinander verlaufen. Die Richtungsfahrbahnen wirken nicht wie eine vierstreifige Straße, sondern eher wie zwei parallele zweistreifige Einbahnstraßen. Bei der Einstufung wäre demnach ein erheblicher Abschlag bei der Verkehrsbelastung vorzunehmen, so dass die B.-straße dann in einen niedrigeren Belastungsbereich einzustufen wäre.
82Selbst wenn man die B.-straße dem Belastungsbereich III zuordnet, sehen die ERA 2010 in Tabelle 8 (S. 18) lediglich vor, dass Radfahrstreifen oder Radwege zur Radverkehrsführung eingesetzt werden. Das entspricht in etwa auch den Empfehlungen der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen – RASt 06, dort S. 83. Solche baulich getrennten Radwege waren aber bereits auf B.-straße vorhanden, bevor die Protected Bike Lane eingerichtet wurde.
83Soweit die Antragsgegnerin in ihrer verkehrsrechtlichen Anordnung vom 25. Oktober 2025 vom Belastungsbereich III/IV ausgeht, dürfte das nicht zutreffen. Sie legt unrichtig die einstreifige Verkehrsführung zugrunde, die aber erst durch die Einrichtung der Protected Bike Lane herbeigeführt worden ist. Vor deren Einrichtung, und das ist maßgeblich, lag eine vierstreifige Verkehrsführung vor. Diese Fehlannahme führt auch dazu, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen bei der Anordnung der Protected Bike Lane auf einer unrichtigen Tatsachengrundlage ausgeübt hat, und zwar in einem für die Entscheidung ausschlaggebenden Umstand.
84Auch von den verkehrsplanerischen Empfehlungen und Richtlinien abgesehen geht aus den Akten nicht hervor, dass ohne die Protected Bike Lane eine Gefahr für Radfahrer vorläge. Denn die insgesamt zwischen 30 m und 36 m breite B.-straße weist in dem hier interessierenden Bereich eine nahezu musterhafte Trennung der Verkehrsarten auf: Fußweg – Baumreihe – Radweg – Hochbord – zwei Fahrstreifen – 5 m bis 8 m breiter Mittelstreifen mit Baubestand und Parkplätzen – zwei Fahrstreifen – Hochbord – Baumreihe – Fußweg.
85Gegen eine Gefahr für den Radverkehr spricht weiter durchgreifend, dass auf der B.-straße bereits seit Jahrzehnten auf beiden Seiten baulich getrennte Radwege im Straßenseitenraum angelegt sind. Diese Radwege sind zwar nicht benutzungspflichtig, dürfen aber vom Radverkehr aber als rechte Radwege nach § 2 Abs. 4 Satz 3 StVO benutzt werden. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass es in der Vergangenheit zu Verkehrsunfällen mit der Beteiligung von Radfahrern gekommen wäre, weil oder obwohl sie die Radwege benutzt haben. Polizeiliche Erkenntnisse hat die Antragsgegnerin dazu ebenfalls nicht vorgelegt.
86Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, die Radwege seien zu schmal und von den nebenstehenden Bäumen durchwurzelt, findet die Kammer das mit den ihr im Eilrechtsschutzverfahren zu Gebote stehenden Erkenntnismitteln nicht bestätigt. Es trifft zwar zu, dass die Mindestbreite von Fahrradwegen nach den ERA 2010 1,60 m beträgt. Die RASt 06 (dort S. 28, Bild 19) legen als Grundmaße für Verkehrsräume des Radverkehrs lediglich 1,00 m und bei beengten Verhältnissen 0,80 m zugrunde. Diesen Mindestanforderungen genügen die seit langem vorhandenen baulich getrennten Radwege, die nach Angaben der Antragsgegnerin 1 m bis 1,25 m breit sind. Falls die Unterschreitung der ERA 2010-Mindestbreite im Einzelfall der B.-straße zu Gefahren für den Radverkehr geführt hätte, wären Unfälle mit Radfahrerbeteiligung oder zumindest Hinweise und Bürgereingaben zu erwarten gewesen. Solche finden sich in den Akten allerdings nicht.
87Die weitere Behauptung der Antragsgegnerin, die vorhandenen Radwege im Straßenseitenraum seien faktisch nicht oder nur mit Schwierigkeiten zu benutzen, findet die Kammer im Tatsächlichen nicht bestätigt. Dazu hat sie die B.-straße anhand der im Internet frei verfügbaren Aufnahmen bei Google-Maps (StreetView) und Apple Karten (LookAround), jeweils Stand 2022, in Augenschein genommen. Die mit hoher Auflösung (zoombaren) Bilder zeigen, dass die vorhandenen Radwege im Seitenbereich in gutem Zustand sind. Es mag hier und da flache Wölbungen durch Baumwurzeln geben, diese stellen aber keine ernstlichen Benutzungshindernisse dar. Die Antragsgegnerin hat im Übrigen trotz der sie treffenden Verkehrssicherungspflichten die durchwurzelten Stellen weder gesperrt noch Warnhinweise aufgestellt, was bei gravierenden Schäden aber zu erwarten wäre.
88Soweit die vorhandenen Radwege die Mindestbreiten der ERA 2010 unterschreiten, lässt sich ohne weitere Darlegungen der Antragsgegnerin daraus keine Gefahr für den Radverkehr im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO ableiten. Denn eine Breite von weniger als 1,60 m verhindert nach den ERA 2010 lediglich, dass sich Radfahrer gegenseitig überholen können. Dass es häufiger zu solchen Überholvorgängen auf der gleichen Seite kommt, lässt sich den Akten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit entnehmen. Die Antragsgegnerin hat dazu keine Feststellung getroffen. Gegen gefährliche Überholvorgänge spricht, dass der Radverkehr auf der B.-straße so gering ausfällt, dass Überholvorgänge bereits unter quantitativen Gesichtspunkten selten vorkommen dürften. Legt man mit der Antragsgegnerin großzügig insgesamt (beide Fahrtrichtungen) 500 Fahrradfahrer pro 24 Stunden an Werktagen im Sommer zugrunde, ergeben sich daraus 250 Fahrradfahrten pro Fahrtrichtung an Werktagen im Hochsommer. Bei angenommenen 16 Tagesstunden (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr) ergeben sich im arithmetischen Mittel etwa 16 Fahrradfahrer pro Stunde. Selbst wenn man einen Spitzenstundenwert von 32 Fahrradfahrern zugrunde legt, fährt während der Spitzenstunde eines Hochsommertages nur alle zwei Minuten ein Fahrradfahrer in eine Richtung auf der B.-straße. Legt man eine Radfahrgeschwindigkeit von 20 km/h zugrunde, werden in vier Minuten etwa 1,3 km zurückgelegt. Die Protected Bike Lane ist aber nur rund 1 km lang. Demzufolge sind statistisch kaum Überholvorgänge auf den bereits vorhandenen Radwegen zu erwarten. Hinzu tritt, dass sich der Radverkehr nach den Feststellungen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur aus Mai 2019 im Winter etwa halbiert,
89vgl. Mobilität in Deutschland – Analysen zum Radverkehr und Fußverkehr – https://www.mobilitaet-in-deutschland.de/archive/ pdf/MiD2017_Analyse_zum_Rad_und_Fussverkehr.pdf,
90so dass das Problem allenfalls kurz im Hochsommer auftreten kann. Sollte es doch zu Überholvorgängen kommen, steht dem schneller Fahrenden die Benutzung des rechten der beiden Fahrstreifen zur Verfügung, weil der baulich getrennte Radweg keiner Benutzungspflicht unterliegt.
91Soweit die Antragsgegnerin anführt, der Radverkehr habe sich bei der Messung Ende August 2024 im Vergleich zur Messung im Juni 2024 erhöht, überzeugt das die Kammer nicht. Denn es liegt nahe, dass die Zunahme zu einem erheblichen Teil witterungsbedingt erfolgte und daher nicht hochgerechnet werden kann. Nach der Analyse des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur liegt der Höhepunkt der Fahrradnutzung witterungsbedingt in den Sommermonaten. Überdies sind die Messungen der Antragsgegnerin mit zwei Tagen zu kurz ausgefallen, um belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Antragsgegnerin lässt zudem die unterschiedlichen Wetterverhältnisse an den Messtagen im Juni und im August/September 2024 außer Acht. Das Gericht hat durch Einsicht in historische Wetterdaten, die im Internet frei verfügbar sind, feststellt, dass es an den Zähltagen im August 2024 zwischen 12°C und 32°C warm war und an keinem Tag Regen (Niederschlag) fiel. Im Juni lagen die Temperaturen an den Zähltagen dagegen bei 5°C bis 20°C bzw. 4°C bis 16°C, außerdem fiel am zweiten Zähltag Regen.
92Fehlen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 Satz 1 StVO kommt es auf die Frage, ob die Antragsgegnerin die u.a. vom Antragsteller in den Vordergrund gerückten Belange wie die Behinderung von Rettungsfahrzeugen, die Erreichbarkeit von Kliniken und den Autobahnen A00/A00, die Halbierung der Fahrstreifen für den Kfz-Verkehr sowie die Verdrängung von Verkehr in Nebenstraßen, usw., die im Ermessen abzuwägen sind, nicht mehr an.
93Ebenso kann offen bleiben, ob es der Verkehrssicherheit dienlich und damit ermessensgerecht ist, die Radfahrer durch die Verkehrszeichen 237 zu zwingen, ausschließlich die Protected Bike Lanes zu benutzen und ihnen damit zugleich zu verbieten, die vorhandenen baulich angelegten Radwege im Straßenseitenbereich zu nutzen, die durch Hochborde von den Fahrbahnen getrennt sind.
943. Auch der Antrag auf Anordnung der Aufhebung der Vollziehung der in der Hauptsache angefochtenen verkehrsregelnden Anordnung hat Erfolg.
95Vgl. zum Nachfolgenden OVG NRW, Beschluss vom 29. September 2021 – 8 B 188/21, NWVBl. 2022, 37.
96Nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kann das Gericht, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Dabei kann hier offen bleiben, ob die Anordnung der Vollziehungsaufhebung im Ermessen des Gerichts steht und eine Abwägung des öffentlichen Interesses am Fortbestand des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an seiner Aufhebung voraussetzt, oder ob die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung eine gebundene Entscheidung des Gerichts ist.
97Nach derzeitigem Erkenntnisstand verletzt die angefochtene Allgemeinverfügung den Antragsteller in seinem rechtlich geschützten Interesse. Relevante Gefährdungen von Radfahrern ohne diese Protected Bike Lane, die angesichts der seit vielen Jahren existierenden baulich getrennten Radwege keinem aktuell festgestellten Bedarf entspricht, sondern nach den Angaben der Antragsgegnerin (auch) eine Angebotsplanung darstellen soll, lassen sich den Akten nicht plausibel entnehmen. Auch hat die Antragsgegnerin weder geltend gemacht noch ist sonst ersichtlich, dass der Aufwand für die Aufhebung der Vollziehung unverhältnismäßig sein könnte. Die Trennelemente sind lediglich aufgeklebt und können durch Ablösen entfernt werden. Die weißen Markierungen können schwarz überdeckt oder mit gelber Farbe ausgekreuzt werden.
98Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2022 – 8 E 120/22, VkBl 2022, 400.
99Für diese Arbeiten hält die Kammer eine Frist von drei Wochen für ausreichend und angemessen.
100Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert richtet sich nach §§ 53, 52 GKG und ist wegen der Vorläufigkeit der erstrebten Entscheidung zu halbieren.
101Rechtsmittelbelehrung
1021. Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Ver¬waltungs¬gericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist ein¬geht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegi¬dii¬kirch¬platz 5, 48143 Münster. Die Be¬schwerde ist in¬nerhalb eines Mo¬nats nach Be¬kanntgabe der Ent¬scheidung zu be¬gründen.
1032. Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nach¬-dem diese Ent¬scheidung Rechtskraft erlangt oder das Ver¬fahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf) Beschwerde ein¬gelegt wer¬den.