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1. § 44a VwGO steht der Zulässigkeit eines Antrages, der auf die (vorläufige) Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde zur Erteilung eines Prüfauftrages im Sinne von § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV gerichtet ist, nicht entgegen (Anschluss an BayVGH, Beschluss vom 1. Februar 2019 - 11 C 18.1631 -, juris).
2. Ob der Bewerber um die Fahrerlaubnisklasse D oder D1 gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV die Gewähr dafür bietet, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird, richtet sich nach einer umfassenden Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit.
a. Bestehende Zweifel hat der Bewerber um die Fahrerlaubnis auszuräumen. Gelingt ihm das nicht, geht das zu seinen Lasten.
b. Es können auch Erkenntnisse berücksichtigt werden, die nicht in einem gemäß § 11 Abs. 1 Satz 5 FeV vorgelegten Führungszeugnisses enthalten sind (keine Sperrwirkung).
c. Bei der Beurteilung können insbesondere auch noch nicht rechtskräftige Verurteilungen bzw. sonstige Sachverhalte, die entweder nicht zu einer Strafverfolgung geführt haben oder deren Aburteilung noch aussteht, berücksichtigt werden.
3. Die Fahrerlaubnisbehörde kann unter Umständen - als milderes Mittel im Vergleich zur Ablehnung - berechtigt sein, von einer Entscheidung über die Erteilung des Prüfauftrages abzusehen und das Verfahren auszusetzen, solange noch gegen den Bewerber gerichtete und für die Ausübung der Fahrgastbeförderung ggf. relevante Strafverfahren anhängig sind.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
2Das Gericht versteht das Begehren des Antragstellers, ihm die Ablegung der theoretischen und praktischen Prüfungen zur Fahrerlaubnisklasse D, D1 „zu ermöglichen“, im Sinne einer rechtsschutzfreundlichen Auslegung dahingehend, dass er beantragt,
3den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache (6 K 6014/24) für den Antragsteller einen Prüfauftrag der Klassen D, D1 zu erteilen.
4Denn der Zulässigkeit dieses Antrages steht nicht die Vorschrift des § 44a VwGO entgegen. Bei der Verweigerung der Erteilung des Prüfauftrages handelt es sich nicht um eine bloße Verfahrenshandlung im Sinne dieser Regelung, die mit Rechtsbehelfen nicht selbstständig angegriffen werden könnte. Nach dem in §§ 21 f. FeV geregelten Verfahren zum Erwerb der Fahrerlaubnis folgen nämlich sämtliche von Seiten der Fahrerlaubnisbehörde durchzuführenden Verfahrenshandlungen regelmäßig vor Erteilung des Prüfauftrages. Die Fahrprüfung selbst wird dagegen außerhalb ihres Bereichs und ihrer Mitwirkung durchgeführt. Nach dem Bestehen der Prüfung händigt der Prüfer den mit dem Prüfdatum versehenen Führerschein aus und die Fahrerlaubnis gilt als erteilt, vgl. § 11 Abs. 4 Satz 7 FeV. Bei dem so ausgestalteten –zweigeteilten – Verfahren kann daher die Erteilung des Prüfauftrags, die das Verwaltungsverfahren bei der Fahrerlaubnisbehörde abschließt, als Sachentscheidung im Sinne des § 44a VwGO angesehen werden.
5Vgl. BayVGH, Beschluss vom 1. Februar 2019 - 11 C 18.1631 -, juris, Rn. 17; siehe ferner: Trésoret in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 1. Februar 2024, § 15 FeV Rn. 61 ff.
6Der so verstandene Antrag hat gleichwohl keinen Erfolg.
7Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der einstweiligen Anordnung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
8Die einstweilige Anordnung dient damit lediglich der Sicherung von Rechten des Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann geboten, wenn ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist und dies für den Antragsteller zu unzumutbaren Folgen führen würde. Letzteres setzt allerdings voraus, dass ein Erfolg in der Hauptsache ganz überwiegend wahrscheinlich ist.
9Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
10Dabei kann dahinstehen, ob eine Eilbedürftigkeit vorliegend gegeben ist. Denn der Antragsteller hat jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht mit dem für eine – auch teilweise – Vorwegnahme der Hauptsache zu fordernden hohen Grad an Gewissheit glaubhaft gemacht. Nach der im Eilverfahren allein möglichen überschlägigen Prüfung steht dem Antragsteller derzeit kein Anspruch auf Zulassung zur Prüfung der Fahrerlaubnisklassen D und D1 zu, weil er nicht glaubhaft gemacht hat, der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht zu werden.
111. Nach § 2 Abs. 2 StVG ist die Fahrerlaubnis unter den dort genannten Voraussetzungen zu erteilen. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 StVG i.V.m. hat der Bewerber um eine Fahrerlaubnis seine Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung nachzuweisen. Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die zuständige Technische Prüfstelle für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung zu beauftragen und ihr den vorbereiteten Führerschein ohne Angabe des Datums der Erteilung der beantragten Klasse unmittelbar zu übersenden, wenn der Bewerber noch die erforderliche Prüfung ablegen muss.
12Aus dem Wortlaut der Norm („noch“) und dem systematischen Zusammenhang (vgl. § 22 Abs. 3 FeV) ergibt sich, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Bewerber nur dann durch Erteilung eines Prüfauftrags zuzulassen hat, wenn die übrigen Erteilungsvoraussetzungen (vgl. § 2 Abs. 2 StVG, §§ 7 - 19 FeV) bereits vorliegen.
13Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 18. November 2013 - 9 L 1432/13 -, juris, Rn. 15.
14Bewerber müssen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Sie dürfen nach Satz 3 der Vorschrift nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, sodass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird. Bewerber, die sich – wie der Antragsteller – um die Fahrerlaubnis der Klassen D oder D1 oder eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß § 48 bewerben, müssen nach Satz 4 darüber hinaus die Gewähr dafür bieten, dass sie der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht werden. Der Bewerber hat diese nach Satz 5 durch die Vorlage des Führungszeugnisses nach § 30 Abs. 5 Satz 1 des Bundeszentralregistergesetzes nachzuweisen. Das vorzulegende Führungszeugnis nach § 30 Abs. 5 Satz 1 BRZG hat dabei einen – im Vergleich zum Führungszeugnis nach § 30 Abs. 1 BZRG – erweiterten Inhalt, vgl. § 30 Abs. 3, 4 BZRG.
15Mit der Formulierung in § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV soll zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht die allgemeine Zuverlässigkeit im Sinne des Gewerberechts gemeint ist, sondern der Bezug zur Beförderung der Fahrgäste hergestellt wird.
16Vgl. Hentschel/König/Dauer/Dauer, 47. Aufl. 2023, FeV § 11 Rn. 3.
17Das „Gewährbieten“ in diesem Sinne umfasst neben der ordnungsgemäßen Beförderung der Fahrgäste und deren Bewahrung vor Verkehrsunfällen auch den korrekten Umgang mit diesen Personen und deren Eigentum, das dem Fahrer für die Zeit der Beförderung anvertraut ist.
18Vgl. Hentschel/König/Dauer/Dauer, 47. Aufl. 2023, FeV § 11 Rn. 22.
19Der Bewerber bietet nicht die Gewähr dafür, dass er der besonderen Verantwortung bei der Fahrgastbeförderung gerecht wird, wenn nach der umfassenden Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit anhand aller Umstände des Einzelfalls ernsthaft zu befürchten ist, dass er die besonderen Sorgfaltspflichten, die ihm bei der Beförderung von Fahrgästen obliegen, zukünftig missachten wird. Die Gesamtpersönlichkeit ist dabei anhand aller bekannten verwertbaren Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verkehrsrechtlicher und nichtverkehrsrechtlicher Art sowie sonstiger aktenkundiger Vorkommnisse zu beurteilen.
20Vgl. Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 48 FeV (Stand: 01.02.2024), Rn. 131.
21Weil sich die Fahrgäste in besonderem Maße dem Fahrzeugführer anvertrauen, müssen sie sich sicher sein, dass dessen Zuverlässigkeit keinen Zweifeln begegnet. Es bedarf daher keines positiven Nachweises, dass der Bewerber die ihm obliegenden besonderen Sorgfaltspflichten künftig missachten wird. Eine Fahrerlaubnis der Klasse D oder D1 darf vielmehr ebenso wie eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung schon dann nicht erteilt werden, wenn Tatsachen die Prognose rechtfertigen, dass von dem Bewerber gesteigerte Gefahren für schützenswerte Rechtsgüter der Fahrgäste ausgehen. Etwaige bestehende Zweifel hat der Bewerber um die Fahrerlaubnis auszuräumen. Geling ihm das nicht, geht das zu seinen Lasten.
22Vgl. Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 48 FeV (Stand: 01.02.2024), Rn. 132 f.
23Dabei müssen strafrechtliche Verfehlungen des Bewerbers keinen unmittelbaren Bezug zu der angestrebten Tätigkeit haben bzw. nicht im Zusammenhang mit der Ausübung der Tätigkeit stehen. Ausreichend ist, wenn Art und Weise der Tatausführung, die Schwere oder ggfs. die Häufigkeit der begangenen Straftaten Charaktereigenschaften erkennen lassen, die sich im Falle der Fahrgastbeförderung zum Schaden der Allgemeinheit oder der Fahrgäste auswirken können. Bereits ein einmaliges Fehlverhalten kann die Unzuverlässigkeit begründen, wenn es schwer wiegt und ein sicheres Symptom für eine Gesinnung oder Lebenseinstellung ist, die eine ordnungsgemäße Ausübung der Fahrgastbeförderung nicht erwarten lässt. Ferner fällt die zu treffende Prognoseentscheidung auch dann zu Lasten des Bewerbers aus, wenn die begangenen Straftaten/Zuwiderhandlungen sowie das gesamte bisherige Verhalten einen gewissen Hang zur Missachtung von Rechtsvorschriften erkennen lassen und deshalb Pflichtverstöße gegenüber Fahrgästen nicht auszuschließen sind.
24Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. März 2004 - 19 A 832/04 -, Rn. 6, juris; VG Köln, Beschluss vom 28. November 2022 - 23 L 1780/22 -, juris, Rn. 13 f.
25Zu strafrechtlichen Verurteilungen, die nicht mehr im Führungszeugnis aufgenommen sind, hat das OVG NRW im – ebenfalls den hiesigen Antragsteller betreffenden – Verfahren mit dem Aktenzeichen 16 E 1138/15 ausgeführt:
26„Es spricht aber einiges dafür, bei Verurteilungen nur die (noch) in einem Führungszeugnis für Behörden aufgenommenen als verwertbar anzusehen und damit nicht alle im Zentralregister eingetragenen Verurteilungen. Denn § 11 Abs. 1 Satz 5 FeV sieht nach seinem Wortlaut nur die Vorlage des Führungszeugnisses für Behörden vor. Auch nach den Vorschriften des Bundeszentralregisterauszuges erhält die Fahrerlaubnisbehörde lediglich ein solches Führungszeugnis (§ 2 Abs. 7 Satz 3 StVG). Sie zählt nicht zu den in § 41 Abs. 1 BZRG aufgezählten Behörden, denen auch von Eintragungen Kenntnis gegeben wird, die in ein Führungszeugnis nicht aufgenommen werden. Dem darin zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers, wonach die Fahrerlaubnisbehörden im Hinblick auf Verurteilungen nur von den in ein Führungszeugnis für Behörden aufgenommenen erfahren, dürfte es widersprechen, wenn die Fahrerlaubnisbehörden – etwa mit dem Argument, die handelten im Bereich der Gefahrenabwehr – zum Zweck der Prüfung des Gewährbietens i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV auch ihnen zufällig bekannte, nicht (mehr) im Führungszeugnis enthaltene Verurteilungen heranzögen.“
27OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2017 - 16 E 1138/15 -, juris, Rn. 10 ff.
28Das OVG NRW hatte auf dieser Grundlage in jenem Verfahren angenommen, dass die weiter zurückliegenden strafrechtlichen Verurteilungen des Antragstellers (voraussichtlich) nicht berücksichtigt werden könnten, weil sie im Führungszeugnis inzwischen nicht mehr enthalten waren.
29Auch wenn man dem folgt, kann hieraus nicht gefolgert werden, dass die Inhalte eines Führungszeugnisses eine Sperrwirkung gegenüber sämtlichen anderen Erkenntnissen entfalten würden. Denn die Vorlage des Führungszeugnisses dient in erster Linie dazu, auf einfache und verlässliche Art und Weise das Gewährbieten besonderer Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen nachzuweisen.
30Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. November 2014 - OVG 1 N 2.14 -, juris, Rn. 7; Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 48 FeV (Stand: 01.02.2024), Rn. 17, 160.
31Der Wortlaut der seit dem 30. Juni 2012 geltenden Ergänzung des § 11 Abs. 1 um Satz 5 bzw. des § 48 Abs. 4 um Nr. 2a FeV („der Bewerber hat diese durch die Vorlage eines Führungszeugnisses nachzuweisen“) erscheint insofern missverständlich. Dasselbe gilt, soweit die Vorschrift des § 48 Abs. 4 Nr. 2a FeV mit Änderungsverordnung vom 21. Dezember 2016 weiterhin dahingehend ergänzt worden ist, dass der Bewerber den Nachweis außerdem durch eine aktuelle Auskunft aus dem Fahreignungsregister erbringt. Es bestehen jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber mit diesen Ergänzungen die (bis dahin) einhellige Rechtsprechung in Frage stellen wollte, nach der es bei der Beurteilung des Gewährbietens auf eine Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen anhand aller bekannten Tatsachen ankommt.
32Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 5. März 2004 - 19 A 832/04 -, juris, Rn. 5 m.w.N. bzw. Beschlüsse vom 23. April 2013 - 16 B 1408/12 -, juris, Rn. 7 und vom 21. März 2014 - 16 A 730/13 -, juris; vgl. auch Hentschel/König/Dauer/Dauer, 47. Aufl. 2023, FeV § 48 Rn. 17.
33Auch nach den Verordnungsmaterialien sollte hierdurch lediglich der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen „konkretisiert“ werden.
34Vgl. BR-Drs. 245/12, S. 27, 30.
35Vor diesem Hintergrund können jedenfalls auch noch nicht rechtskräftige Verurteilungen einer Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen D oder D1 oder zur Fahrgastbeförderung unter Umständen entgegenstehen. Auch sonstige Sachverhalte, die entweder gar nicht zu einer Strafverfolgung geführt haben oder deren strafgerichtliche Aburteilung noch aussteht, können herangezogen werden, wenn sie einen Straftatbestand mit Relevanz für die Gewähr der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgäste verwirklicht haben könnten.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss v. 21.03.2014 - 16 A 730.13 - juris, Rn. 22; VG Mainz, Beschluss vom 5. Januar 2016 - 3 L 1528/15.MZ -, juris, Rn. 8 f.; BayVGH, Beschluss v. 7. September 2020 - 11 CS 20.1436 – juris, Rn. 28.; Trésoret in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 48 FeV (Stand: 01.02.2024), Rn. 163,
37So können etwa Polizei- und Ermittlungsberichte der jüngeren Vergangenheit – wenn auch mit einem geringeren Gewicht als eine aktenkundige strafrechtliche Verurteilung – Berücksichtigung bei der behördlichen Prognoseentscheidung finden. Auch polizeiliche Mitteilungen nach § 2 Abs. 12 StVG (i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 5 StVG) über Tatsachen, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, können unter Umständen berücksichtigt werden.
38Vgl. VG Augsburg, Beschluss v. 07.12.2012 - Au 3 S 12.1335 - juris, Rn. 36.
39In einem solchen Fall muss die Behörde weitere Ermittlungsmaßnahmen einleiten. Während laufender Verfahren kann die Fahrerlaubnisbehörde jedoch im Rahmen ihres weiten Verfahrensermessens, das §§ 24, 26 VwVfG NRW eröffnet, berechtigt sein, das Verfahren zur Erteilung der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung auszusetzen.
40Vgl. VG München, Beschluss vom 29. Juni 2015 - M 6b E 15.1967 – juris, Rn. 21; BayVGH vom 26. November 2010 - 11 CE 10.2452 - juris, Rn. 3.
41Da § 11 Abs. 1 Satz 5 bzw. § 48 Abs. 4 Nr. 2a FeV materiell-rechtlich vorgeben, dass Zweifel zu Lasten des Bewerbers gehen, müsste die Behörde anderenfalls den Antrag ablehnen. Die bloße Verfahrensaussetzung belastet im Vergleich weniger.
422. Gemessen daran bestehen vorliegend zumindest Zweifel daran, dass der Antragsteller die Gewähr dafür bietet, dass er der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird.
43Allein der wiederholte Hinweis des Antragstellers, dass sein Führungszeugnis keine Einträge aufweise, genügt insofern nicht. Dieses ist zwar ausweislich der sich im Verwaltungsakte befindlichen Führungszeugnisse vom 10. Mai 2022, 13. März 2023, 30. Januar 2024, 6. Juni 2024,12. August 2024 und 6. September 2024 (Bl. 157, 183-185, 238 der Beiakte sowie Bl. 3 der Gerichtsakte) zutreffend. Berechtigte Zweifel an der Gewähr der besonderen Verantwortung, deren weitere Aufklärung nicht im Rahmen des hiesigen Eilverfahrens erfolgen kann, ergeben sich jedoch aus den weiteren vorliegenden Erkenntnissen:
44Das Polizeipräsidium I. übersandte dem Antragsgegner eine Mitteilung zur „Überprüfung der Eignung oder Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 Abs. 12 StVG“ vom 26. November 2021, aus der sich eine Auseinandersetzung des Antragstellers mit weiteren Personen im Straßenverkehr ergab. Nach dem Bericht wurde dem Antragsteller u.a. vorgeworfen worden, mehrere Fahrzeuge mit stark überhöhter Geschwindigkeit überholt zu haben. Ein Zeuge habe angegeben, man habe „nur vom Glück sprechen“ können, dass es keinen Gegenverkehr gegeben habe und niemand verletzt worden sei. Der Antragsteller habe den Zeugen sodann überholt, ihn nach rechts abgedrängt und eine Vollbremsung eingeleitet, sodass dieser nur durch eine ruckartige Ausweichbewegung und eine Vollbremsung einen Zusammenstoß habe verhindern können. Weitere Zeugen hätten die Aussagen bestätigt. Der Antragsteller habe keine Angaben zum Tatvorwurf gemacht, sondern mitgeteilt, rassistisch beleidigt worden zu sein.
45Durch das dieser Mitteilung des Polizeipräsidiums I. beigefügte „Personagramm als Anlage gemäß § 2 XII StVG“ erlangte der Antragsgegner Kenntnis von insgesamt 51 gegen den Antragsteller gerichteten Strafverfahren, betreffend Tatzeitpunkte von Dezember 2014 bis November 2021, u.a. wegen Nötigung (auch im Straßenverkehr), räuberischer Erpressung, Nachstellung (Stalkings), vorsätzlicher Körperverletzung, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, schweren Raubes, Bedrohung, Betrugs, Beleidigung, Erpressung, Diebstahls, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (vgl. Bl. 120 ff. der Verwaltungsakte). Zwar stellte sich bei den nachfolgenden Ermittlungen des Antragsgegners heraus, dass eine Vielzahl dieser Verfahren bereits – zum Zeitpunkt der Mitteilung – nach § 170 Abs. 2 StPO bzw. nach § 154 StPO eingestellt war (vgl. Bl. 137 ff. der Beiakte). Auch wurden in der Folgezeit weitere Strafverfahren nach diesen Vorschriften eingestellt oder auf den Privatklageweg verwiesen (vgl. etwa Einstellungsbeschluss des Amtsgerichts I. vom 7. September 2023 (00 Ds-000 Js 000/21-000/21, Bl. 179 f. der Beiakte)).
46Hinzu kamen indes weitere von der Polizei NRW übermittelte Erkenntnisse, nach denen seit November 2022 bis November 2023 elf weitere Strafverfahren gegen den Antragsteller (u.a. wegen Nötigung, Beleidigung, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung etc.) eingeleitet worden sind. Wenngleich auch diese ausweislich des Verwaltungsvorgangs jedenfalls weit überwiegend zwischenzeitlich nach §§ 154, 170 Abs. 2 StPO eingestellt bzw. durch Verweisung auf den Privatklageweg beendet worden sind, erscheint bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Überprüfung der Ausgang zumindest einiger Verfahren zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung noch ungewiss bzw. steht noch aus.
47So hat die Staatsanwaltschaft X. dem Gericht auf telefonische Nachfrage vom 12. Dezember 2024 mitgeteilt, dass dort jedenfalls noch die Verfahren 00 Js 0000/21, 00 Js 000/24 und 00 Js 00000/24 (betreffend u.a. die Straftatbestände Beleidigung und vorsätzliche Körperverletzung) anhängig seien. Der Antragsteller, der mit Verfügung vom 19. Dezember 2024 hierüber informiert worden ist, hat nichts Gegenteiliges vorgetragen. Er beruft sich vielmehr allein auf sein Führungszeugnis, welches weiterhin keine Einträge enthalte und trägt zu laufenden Strafverfahren nichts weiter vor.
48Besondere Umstände, aufgrund derer die oben genannten Erkenntnisse keine hinreichend aussagekräftigen Anzeichen für Eignungsbedenken begründen würden, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, noch sind diese sonst ersichtlich. Auch hat der Antragsteller sich nicht dazu verhalten, wie es – nach der Aufstellung des Antragsgegners, welche dieser anhand der polizeilichen Mitteilungen erstellt hat (Bl. 16 der Gerichtsakte) – zu insgesamt 62 Strafverfahren gegen ihn gekommen ist.
49Der Antragsgegner hat aus den vorstehenden Gründen noch nicht über den Antrag des Antragstellers auf Erteilung des Prüfauftrages bzw. auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klassen D/DE – vorbehaltlich des Bestehens der Prüfung – entschieden. Er wird nach erfolgter ihm obliegender Sachaufklärung nach Abschluss der von ihm eingeleiteten Ermittlungen zu beurteilen haben, ob nach seiner Überzeugung die Eignung des Antragstellers im Hinblick auf § 11 Abs. 1 Satz 4 FeV gegeben ist, ob dessen Nichteignung nach § 11 Abs. 7 FeV feststeht oder ob verbleibende Eignungszweifel noch durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 FeV ausgeräumt werden können.
50Vgl. VG Köln, Beschluss vom 28. November 2022 - 23 L 1780/22 -, juris, Rn. 22.
51Der Vortrag des Antragstellers, er sei bis zu einer Verurteilung bzw. entsprechender Eintragung in das Führungszeugnis als unschuldig zu behandeln, greift nicht durch. Auf die (strafrechtliche) Unschuldsvermutung kommt es im Fahrerlaubnisrecht als Gefahrenabwehrrecht nicht an. Die Berücksichtigung und Bewertung von Verdachtsgründen im Zusammenhang mit der Abwehr künftiger Gefahren stellt keine durch die im Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht geltende Unschuldsvermutung verbotene Schuldfeststellung bzw. -zuweisung dar. Mit dem Einwand, durch die vorläufige Nichterteilung der Fahrerlaubnis bis zum Abschluss der laufenden Strafverfahren werde die Unschuldsvermutung verletzt, verkennt der Antragsteller insoweit den vom Antragsgegner verfolgten Zweck des Schutzes potentieller Fahrgäste.
52Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
53Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Zwar ist in Verfahren wegen der Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis von dem doppelten Auffangwert (10.000,- Euro) auszugehen, wenn eine qualifizierte berufliche Nutzung der Fahrerlaubnis in Rede steht. Wird aber – wie hier – lediglich die Erweiterung der Fahrerlaubnis für die Klassen D und D1 begehrt, ohne dass die Fahrerlaubnis im Übrigen berührt wird, ist der Streitwert im Hauptsacheverfahren lediglich mit dem einfachen Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG (5.000,- Euro) zu bewerten.
54Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Juni 2022 – 16 B 1237/21 –, juris, Rn. 24 ff.
55Im Eilverfahren war nach Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Hälfte dieses Betrages in Ansatz zu bringen.
56Rechtsmittelbelehrung
57Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
58Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
59Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
60Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.