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Die durch die Bezirksregierung O. mit Verfügung vom 31. Januar 2025 angeordnete Einbehaltung von Dienstbezügen des Antragstellers wird ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
2I.
3Der im Jahr 1963 geborene Antragsteller ist seit dem Jahr 1999 Landrat des Kreises Q..
4Er hat angekündigt, sich bei der im September 2025 anstehenden nächsten nordrhein-westfälischen Kommunalwahl nicht mehr als Landrat zur Wahl zu stellen; zum 1. November 2025 werde er in den Ruhestand eintreten.
5Anfang des Jahres 2024 leitete die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ein – derzeit noch laufendes – Ermittlungsverfahren ein (Az: 52 Js 9/20). Diesem liegt der Verdacht zugrunde, dass ein Netzwerk insbesondere aus Rechtsanwälten und in der öffentlichen Verwaltung beschäftigten Personen ausländischen Staatsbürgern – insbesondere Personen mit chinesischer Staatsangehörigkeit oder arabischer Volkszugehörigkeit – gegen Entgelt zur Erlangung von Aufenthaltstiteln in der Bundesrepublik Deutschland verholfen hat, ohne dass die rechtlichen Voraussetzungen für deren Erteilung vorlagen (sogenannte „Schleuseraffäre“).
6Im Mai 2024 erfuhr der Antragsteller, dass die Staatsanwaltschaft Düsseldorf auch gegen ihn wegen des Anfangsverdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern sowie der Bestechlichkeit als Beschuldigten ermittelt. Daraufhin beantragte er gegenüber der Bezirksregierung O. mit Schreiben vom 27. Mai 2024 die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen seine Person gemäß § 18 Abs. 1 LDG NRW.
7Mit Verfügung vom 7. Juni 2024 leitete die Bezirksregierung O. gemäß § 17 Abs. 1 LDG NRW ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein. Der Antragsteller sei hinreichend verdächtig, durch Verletzung seiner aus §§ 34 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3, 36 Abs. 1, 42 Abs. 1 BeamtStG folgenden beamtenrechtlichen Verpflichtungen (Pflicht zur Uneigennützigkeit, Wohlverhaltenspflicht, Verantwortung für die Rechtmäßigkeit dienstlicher Handlungen, Verbot der Vorteilsannahme) ein Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen zu haben. Zugleich setzte die Bezirksregierung O. das Disziplinarverfahren gemäß § 22 Abs. 2 LDG NRW unter Hinweis auf das laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren aus.
8Mit Verfügung vom 8. November 2024, auf deren Inhalt Bezug genommen wird, enthob die Bezirksregierung O. den Antragsteller gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 sowie Satz 2 LDG NRW vorläufig des Dienstes und hörte ihn zu ihrer Absicht an, gemäß § 38 Abs. 2 LDG NRW die Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge anzuordnen. In diesem Zuge forderte sie den Antragsteller zur Darlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse auf.
9Der Antragsteller stellte am 22. November 2024 einen Antrag auf Aussetzung seiner vorläufigen Dienstenthebung, den die Disziplinarkammer mit Beschluss vom 2. April 2025, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, ablehnte (Az.: 35 L 3442/24.O, juris). Das Beschwerdeverfahren ist beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängig (Az.: 31 B 355/25.O).
10Mit Verfügung vom 3. Dezember 2024 teilte die Bezirksregierung O. dem Antragsteller mit, dass sie das Disziplinarverfahren am 29. November 2024 gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW ausgedehnt habe. Es bestehe der Verdacht, dass der Antragsteller im Rahmen der Ausübung von Gremientätigkeiten inner- sowie außerhalb des öffentlichen Dienstes gegen die Vorschriften des Nebentätigkeitsrechts sowie seine aus §§ 34 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3, 36 Abs. 1 sowie 42 BeamtStG folgenden beamtenrechtlichen Verpflichtungen verstoßen habe. Vor diesem Hintergrund werde das Disziplinarverfahren nunmehr fortgesetzt.
11Mit Verfügung vom 31. Januar 2025, auf deren Inhalt wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, ordnete die Bezirksregierung O. gemäß § 38 Abs. 2 LDG NRW die Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers in Höhe von 40 Prozent an. Zur Begründung führte sie unter Bezugnahme auf ihre vorbezeichnete Verfügung vom 8. November 2024 sowie ihren Vortrag im Verfahren 35 L 3442/24.O aus, das gegen den Antragsteller geführte Disziplinarverfahren werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu dessen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen. Der Umstand, dass der Antragsteller angesichts seines bevorstehenden Eintritts in den Ruhestand im Disziplinarverfahren möglicherweise nicht mehr aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden könne, stehe der Einbehaltung seiner Dienstbezüge nicht entgegen. Der angeordnete Kürzungssatz sei unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des Antragstellers verhältnismäßig; besondere Belastungen seien bereits deshalb nicht berücksichtigt worden, weil dieser keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht habe.
12Der Antragsteller hat am 10. März 2025 den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der angeordneten Einbehaltung seiner Dienstbezüge gestellt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Zum einen komme seine – von § 38 Abs. 2 LDG NRW vorausgesetzte – Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht in Betracht, weil die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe in der Sache nicht zuträfen. Zum anderen stehe sein zeitnaher Eintritt in den Ruhestand der Anwendbarkeit von § 38 Abs. 2 LDG NRW entgegen.
13Der Antragsteller beantragt,
14die durch die Bezirksregierung O. mit Verfügung vom 31. Januar 2025 angeordnete Einbehaltung seiner Dienstbezüge auszusetzen.
15Der Antragsgegner beantragt unter Wiederholung und Vertiefung seines vorangegangenen Vortrags sinngemäß,
16den Antrag abzulehnen.
17Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des Verfahrens 35 L 3442/24.O und des beigezogenen Disziplinarvorgangs Bezug genommen.
18II.
19Der Antrag hat Erfolg.
20Auf den Antragsteller, der in einem Beamtenverhältnis auf Zeit steht, finden die Vorschriften des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen gemäß § 1 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 10 LBG NRW Anwendung. Aus seinem Amt als kommunaler Wahlbeamter ergeben sich keine Besonderheiten, die den Antragsteller von einem Berufsbeamten unterscheiden. Bei kommunalen Wahlbeamten handelt es sich um Beamte im statusrechtlichen Sinne; sie stehen ebenso wie die Berufsbeamten in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis.
21Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. August 2017 – 2 BvR 1745/17 –, juris Rn. 24; OVG Thüringen, Beschluss vom 29. April 2024 – 8 DO 415/23 –, juris Rn. 136.
22Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist er gemäß § 63 Abs. 1 Halbsatz 1 Alternative 2 LDG NRW statthaft. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte die Aussetzung der Einbehaltung von Dienst- oder Anwärterbezügen beim Gericht der Hauptsache beantragen.
23Der Antrag ist auch begründet.
24Gemäß § 63 Abs. 2 LDG NRW ist die Einbehaltung von Bezügen auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Vorschrift sind anzunehmen, wenn bei der summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht vielmehr aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg.
25Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. August 2021 – 2 VR 6.21 –, juris Rn. 10, und vom 28. November 2019 – 2 VR 3.19 –, juris Rn. 22; OVG Thüringen, Beschluss vom 29. April 2024 – 8 DO 415/23 –, juris Rn. 129 m.w.N.
26Dies ist vorliegend der Fall.
27Die Verfügung der Bezirksregierung O. vom 31. Januar 2025, mit welcher die Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers in Höhe von 40 Prozent angeordnet wurde, ist zwar formell rechtmäßig. Insbesondere war die Bezirksregierung O. für die Anordnung zuständig (s. §§ 38 Abs. 2, 32 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1, 79 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 KrO NRW) und der Antragsteller wurde vor ihrem Erlass gemäß § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört.
28Allerdings begegnet die Anordnung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag,
29vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 28. November 2019 – 2 VR 3.19 –, juris Rn. 19; OVG Thüringen, Beschluss vom 29. April 2024 – 8 DO 415/23 –, juris Rn. 130; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 25. März 2013 – 19 ZD 4/13 –, juris Rn. 5,
30im Hinblick auf ihre materielle Rechtmäßigkeit ernstlichen Zweifeln.
31Rechtsgrundlage für die Einbehaltung von Dienstbezügen ist § 38 Abs. 2 LDG NRW. Nach dieser Vorschrift kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der – hier durch die Bezirksregierung O. mit Verfügung vom 8. November 2024 ausgesprochenen – vorläufigen Dienstenthebung eines Beamten anordnen, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
32Im vorliegenden Fall ist die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis – ungeachtet der Schwere der ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe sowie des aktuellen Ermittlungsstands – bereits deshalb nicht überwiegend wahrscheinlich im vorgenannten Sinne, weil dieser nach unstreitigem Sachvortrag zeitnah – nämlich zum 1. November 2025 – in den Ruhestand eintreten wird. Dass das gegen den Antragsteller geführte Disziplinarverfahren bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein wird, erscheint angesichts der Komplexität der derzeit im Zusammenhang mit der „Schleuseraffäre“ geführten straf- sowie disziplinarrechtlichen Ermittlungen ausgeschlossen. Auch der Antragsgegner scheint hiervon nicht auszugehen; hierfür spricht etwa seine Angabe in der Antragserwiderung vom 2. April 2025, „[…] gezielte() Ermittlungen hinsichtlich der Sachbearbeitung der Ausländerbehörde des Kreises [Q.]“ durch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf sowie die Bezirksregierung O. hätten „gerade erst begonnen“. Vor diesem Hintergrund würde im gegen den Antragsteller geführten Disziplinarverfahren selbst bei Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme aller Voraussicht nach nicht auf dessen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sondern – nach seinem Eintritt in den Ruhestand – auf Aberkennung seines Ruhegehaltes erkannt werden.
33Für Konstellationen wie die Vorliegende, in denen eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht in Betracht kommt, weil der sich momentan noch im aktiven Dienst befindliche Beamte vor Abschluss des Disziplinarverfahrens voraussichtlich in den Ruhestand eingetreten sein wird, existiert im LDG NRW keine Ermächtigungsgrundlage für die Einbehaltung von Dienstbezügen. Eine solche enthält insbesondere nicht § 38 Abs. 2 LDG NRW (hierzu unter 1.). Auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Vorschrift liegen nicht vor (hierzu unter 2.).
341. Eine Einbehaltung von Dienstbezügen gemäß § 38 Abs. 2 LDG NRW scheidet aus, wenn angesichts des voraussichtlichen Eintritts des Beamten in den Ruhestand vor Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht mehr auf dessen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sondern allenfalls auf die Aberkennung seines Ruhegehalts erkannt werden könnte.
35Hierfür spricht zunächst der eindeutige Wortlaut des § 38 Abs. 2 LDG NRW, welcher im Hinblick auf Beamte im aktiven Dienst (für Ruhestandsbeamte siehe § 38 Abs. 3 LDG NRW) die Einbehaltung von Dienstbezügen ausschließlich für den Fall einer voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis vorsieht. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Norm maßgeblich von der entsprechenden bundesrechtlichen Regelung des § 38 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDG, nach welcher eine Einbehaltung von Dienstbezügen auch dann angeordnet werden kann, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich die Aberkennung des Ruhegehalts erfolgen wird. Mit der bundesrechtlichen Norm vergleichbare Regelungen finden sich in einem Großteil der Disziplinargesetze der Bundesländer (siehe etwa § 22 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDG Baden-Württemberg, § 38 Abs. 2 DiszG Berlin, § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 LDG Mecklenburg-Vorpommern, § 45 Abs. 2 Satz 1 LDG Rheinland-Pfalz), während § 38 Abs. 1 Hamburgisches Disziplinargesetz (HmbDG) sowie § 38 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 Niedersächsisches Disziplinargesetz (NDiszG) dem nordrhein-westfälischen Landesrecht entsprechende Bestimmungen enthalten, also eine Einbehaltung von Dienstbezügen lediglich bei prognostizierter Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis vorsehen.
36Neben dem klaren Wortlaut von § 38 Abs. 2 LDG NRW ergibt sich auch aus der historischen Auslegung, dass Sachverhaltskonstellationen wie die Vorliegende vom Anwendungsbereich der Vorschrift nicht erfasst sind. So lautete die Vorgängernorm, der bis zum 31. Dezember 2004 geltende § 92 Abs. 1 DO NRW: „Die Einleitungsbehörde kann gleichzeitig mit der vorläufigen Dienstenthebung oder später anordnen, dass dem Beamten ein Teil, höchstens die Hälfte, der jeweiligen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten wird, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst oder Aberkennung des Ruhegehaltes erkannt werden wird.“ (Hervorhebung durch das Gericht). Die in besagter Bestimmung somit noch enthaltene Befugnis, die Einbehaltung von Dienstbezügen auch bei voraussichtlicher Aberkennung des Ruhegehalts anzuordnen, wurde weder in die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene unmittelbare Nachfolgerregelung des § 38 Abs. 2 LDG NRW a.F. übernommen noch ist sie in der seit dem 1. Januar 2010 geltenden aktuellen Normfassung verankert. Die Disziplinarkammer geht davon aus, dass diese – den Anwendungsbereich der Norm eingrenzende – Modifikation nicht auf ein bloßes Redaktionsversehen, sondern auf eine bewusste Entscheidung des nordrhein-westfälischen Gesetzgebers zurückgeht. Hierfür sprechen mehrere Anhaltspunkte.
37Zu diesen zählt, dass § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW eine entsprechende inhaltliche Begrenzung enthält, denn auch im Rahmen der vorläufigen Dienstenthebung wird allein auf die Prognose einer voraussichtlichen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis – und nicht einer voraussichtlichen Aberkennung seines Ruhegehalts – abgestellt. Abgesehen hiervon hat die Modifizierung im nordrhein-westfälischen Landesrecht trotz ihres Abweichens sowohl von der bundesrechtlichen Regelung als auch von zahlreichen Bestimmungen anderer Bundesländer seit nunmehr über 20 Jahren Bestand.
38Besonderes Gewicht hat in diesem Zusammenhang ein Beschluss des Richterdienstgerichts Düsseldorf vom 13. November 2019 (Az. DG-3/2019, juris). Zentraler Gegenstand dieses Beschlusses ist die Frage, ob ein Richter auf Lebenszeit gemäß (§§ 81 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 LRiStaG NRW i.V.m.) § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW auch dann vorläufig des Dienstes enthoben werden kann, wenn im Disziplinarverfahren angesichts seiner zeitnah zu erwartenden Zurruhesetzung voraussichtlich nicht auf Entfernung aus dem Richterdienstverhältnis, sondern allenfalls auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden könnte. Besagte Frage hat das Richterdienstgericht Düsseldorf mit ausführlicher Begründung verneint und hierbei ausgeführt, derartige Sachverhaltskonstellationen seien vom Anwendungsbereich des § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW nach seinem klaren Wortlaut sowie seiner Entstehungsgeschichte nicht erfasst; auch eine analoge Anwendung der Vorschrift komme nicht in Betracht.
39Vgl. Richterdienstgericht Düsseldorf, Beschluss vom 13. November 2019 – DG-3/2019 –, juris Rn. 44 ff.
40Der Umstand, dass der Landesgesetzgeber trotz dieser Entscheidung, welche in einschlägiger Kommentarliteratur Zustimmung erfahren hat,
41vgl. Gansen, in: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: Februar 2024, § 38 BDG, Rn. 113b,
42an der derzeitigen Gesetzesfassung – sowohl im Hinblick auf die vorläufige Dienstenthebung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW) als auch die Einbehaltung von Dienstbezügen (§ 38 Abs. 2 LDG NRW) – nach wie vor festhält, untermauert den Eindruck, dass besagte Vorschriften nach dem gesetzgeberischen Willen nur dann zur Anwendung kommen sollen, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
43Die Einwendungen des Antragsgegners betreffend die Auslegung von § 38 Abs. 2 LDG NRW führen zu keinem abweichenden Ergebnis. Insbesondere verfängt sein Vortrag, der Landesgesetzgeber habe in § 38 Abs. 2 LDG NRW – wie auch in § 38 Abs. 3 LDG NRW – „[…] ausschließlich auf den jeweiligen Status des Beamten abgestellt, den dieser zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme [innehabe]“, nicht. Für ein derartiges Normverständnis gibt weder der klare Wortlaut des § 38 Abs. 2 LDG NRW etwas her noch ist dieses mit den vorangehenden Ausführungen zur Gesetzeshistorie vereinbar.
44Der Antragsgegner kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Begründung des Gesetzesentwurfs der Landesregierung zum „Gesetz zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts (LDiszNOG)“ vom 29. März 2004 (LT-Drucks. 13/5220, S. 93 f.) berufen. Anders als er meint, lässt sich dieser im Hinblick auf § 38 Abs. 2 LDG NRW die Intention, „[…] keine von der Vorgängerregelung des § 92 Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (DO NRW) abweichende Regelung [zu] schaffen“, nicht entnehmen. Ein derartiges Verständnis wird weder begründet durch die in der Entwurfsbegründung enthaltene Formulierung, „Inhaltlich hat sich gegenüber dem geltenden Recht wenig geändert“ noch durch die vom Antragsgegner in der Antragserwiderung (S. 20) in Fettdruck hervorgehobene Passage „Die Abs. 2 und 3 korrespondieren inhaltlich mit § 92 Abs. 1 und 3 DO NW“. Da der Begriff „korrespondieren“ – laut Duden (online-Version) – nicht nur „(mit etwas) übereinstimmen“, sondern auch „in Beziehung stehen“ sowie „entsprechen“ bedeutet, kann allein aus seiner Verwendung – insbesondere unter Berücksichtigung der vorangehenden Ausführungen – nicht darauf geschlossen werden, dass der Anwendungsbereich von § 38 Abs. 2 LDG NRW nach dem Willen der damaligen Landesregierung mit demjenigen seiner Vorgängerregelung (§ 92 Abs. 1 DO NRW) deckungsgleich sein sollte.
452. Auch scheidet eine analoge Anwendung von § 38 Abs. 2 LDG NRW in Konstellationen aus, in denen der Beamte – wie vorliegend der Antragsteller – voraussichtlich noch während des Disziplinarverfahrens in den Ruhestand eintreten wird.
46Mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung sowie angesichts der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG) steht die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift den Gerichten nur begrenzt zu. Sie setzt unabhängig von dem in Betracht kommenden methodischen Mittel der richterlichen Rechtsfortbildung (teleologische Reduktion oder – wie hier – Analogie) eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Hat der Gesetzgeber hingegen eine eindeutige Entscheidung getroffen, dürfen die Gerichte diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern oder durch eine judikative Lösung ersetzen. Ob eine planwidrige Gesetzeslücke im vorbezeichneten Sinne vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein. Die Gerichte überschreiten somit die zulässigen Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändern oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schaffen.
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2016 – 1 BvR 2230/15 –, juris Rn. 49; BVerwG, Urteile vom 15. Januar 2019 – 1 C 15.18 –, juris Rn. 17, und vom 16. Mai 2013 – 5 C 28.12 –, juris Rn. 9 – jeweils m.w.N.; Richterdienstgericht Düsseldorf, Beschluss vom 13. November 2019 – DG-3/2019 –, juris Rn. 53.
48So wäre es aber hier. Die für eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 LDG NRW erforderliche planwidrige Regelungslücke lässt sich nicht feststellen. Vielmehr ist nach den vorangehenden Ausführungen unter Gliederungspunkt II.1. davon auszugehen, dass die alleinige Anknüpfung der Vorschrift an die Prognose einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (und nicht einer Aberkennung des Ruhegehalts) auf einer bewussten Entscheidung des Landesgesetzgebers beruht.
49So i.E. auch Richterdienstgericht Düsseldorf, Beschluss vom 13. November 2019 – DG-3/2019 –, juris Rn. 55 ff.
50Welche – weder aus den Gesetzesmaterialien noch im Übrigen ersichtliche – Intention der nordrhein-westfälische Gesetzgeber mit der Schaffung einer sowohl von der bundesrechtlichen Regelung (§ 38 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDG) als auch von zahlreichen landesrechtlichen Bestimmungen abweichenden Vorschrift verfolgte, ist angesichts der Bindung der Disziplinarkammer an Recht und Gesetz für die Entscheidung ebenso unerheblich wie die Frage, ob § 38 Abs. 2 LDG NRW in seiner aktuellen Fassung den Einbehalt von Dienstbezügen sachgerecht regelt. Soweit der Antragsgegner in der Antragserwiderung (S. 19 f.) diesbezüglich rechtspolitische Bedenken äußert,
51vgl. auch Gansen, in: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: Februar 2024, § 38 BDG, Rn. 113a,
52geht sein Vortrag somit ins Leere.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
54Rechtsmittelbelehrung:
55Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts in Münster entscheidet.
56Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts eingeht.
57Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
58Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts prüft nur die dargelegten Gründe.
59Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
60Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.