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Die durch Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt T. vom 29. August 2024 angeordnete vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers wird ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
2I.
3Der am 00. Mai 0000 geborene Antragsteller trat mit Wirkung zum 1. Juli 2023 in den Dienst des Antragsgegners. Er wurde unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Justizvollzugsobersekretäranwärter ernannt.
4Mit Verfügung vom 30. Juli 2024 leitete die Leiterin der Justizvollzugsanstalt T. (im Folgenden: JVA T.) ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein. Ihm wurde vorgeworfen, eine Dienstpflichtverletzung begangen zu haben, indem er im Rahmen seiner Ausbildung im Juni 2024 Methylphenidat (Ritalin) außerhalb und innerhalb der Justizvollzugsschule NRW konsumiert, besessen sowie an Dritte weitergegeben habe. Da seitens der Leiterin der Justizvollzugsschule NRW bereits Strafanzeige erstattet worden war, wurde das behördliche Disziplinarverfahren gemäß § 22 Abs. 2 LDG NRW ausgesetzt.
5Mit Verfügung vom 19. August 2024 entließ die Leiterin der JVA T. den Antragsteller gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG mit Ablauf des 31. August 2024 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Die Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung wurde dem Antragsteller nicht gegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe den Vorwurf, dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende Substanzen unerlaubterweise konsumiert und auch an Dritte weitergegeben zu haben, nicht hinreichend widerlegen können. Angesichts dieser Tatsache bestünden erhebliche Zweifel an seiner charakterlichen Eignung.
6Der Antragsteller erhob am 9. September 2024 beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage gegen die Entlassungsverfügung (13 K 7474/24) und stellte gleichzeitig einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (13 L 2548/24). Unter dem 16. September 2024 ordnete die Leiterin der JVA T. die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung an.
7Mit Verfügung vom 29. August 2024 enthob die Leitern der JVA T. den Antragsteller zudem gemäß § 38 Abs. 1 LDG NRW vorläufig des Dienstes und ordnete gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung sei erforderlich, weil aufgrund des gegen den Antragsteller eingeleiteten Ermittlungsverfahrens und des sich daran anschließenden Strafverfahrens eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG nicht ausgeschlossen werden könne.
8Die vorläufige Dienstenthebung sei ferner aus zwingenden dienstlichen Gründen erforderlich, da zum jetzigen Zeitpunkt eine weitere Ausübung der Dienstgeschäfte durch den Antragsteller dienstlich nicht vertretbar sei, da schwerwiegende Nachteile insbesondere für die Justizvollzugsanstalt T. und den Justizvollzug in NRW zu befürchten seien. Diese könnten nicht anders abgewendet werden als durch die vorläufige Dienstenthebung. Durch den Verbleib des Antragstellers im Dienst sei zu besorgen, dass der Dienstbetrieb nachhaltig beeinträchtigt und das Ansehen des Berufsbeamtentums erheblich geschädigt werde. Es sei mit den Berufspflichten nicht in Einklang zu bringen, dass ein Beamter des Justizvollzuges, der durch sein Vorbild straffällig gewordene Menschen in die Gesellschaft wiedereingliedern solle und zu dessen Dienstobliegenheiten es auch gehöre, Sicherheitsbelange und dabei gegebenenfalls das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen, weiterhin seinen Dienst verrichte, obwohl hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten und erhebliche Dienstpflichtverletzungen des Antragstellers bestünden. Das Vertrauensverhältnis zwischen der JVA T. und dem Antragsteller sei angesichts dieser Verdachtsmomente derzeit erschüttert. Die vorläufige Dienstenthebung sei auch bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt, vor Abschluss eines gesetzlich geordneten Verfahrens und einer damit verbundenen abschließenden Überprüfung des Sachverhaltes und deren dienstrechtlicher Konsequenzen zwingend geboten.
9Ein milderes Mittel, insbesondere die Abordnung an eine andere Justizvollzugsanstalt, habe aus den dargelegten Gründen als nicht ausreichend erachtet werden können. Die drohende Beschädigung des Ansehens einer gesamten Berufsgruppe aufgrund des sich aus den vorliegenden Informationen ergebenden Verdachts von schwerwiegenden Verfehlungen des Antragstellers könne im vorliegenden Fall nicht durch die Tätigkeit in einer anderen Behörde abgewendet oder auch nur abgemildert werden. Dieses – vorläufige – Verbot der Führung der Dienstgeschäfte stehe auch nicht außer Verhältnis zu dem sonst drohenden Schaden für den Justizvollzug und dessen Bedienstete.
10Die sofortige Vollziehbarkeit sei geboten, weil bei einer weiteren Führung der Dienstgeschäfte schwerwiegende Nachteile für den Dienstherrn, die Öffentlichkeit oder für Dritte zu befürchten seien. Der Eintritt der aufschiebenden Wirkung im Falle der Klageerhebung habe die Rückkehr in den Dienst zur Folge. Dies sei im Hinblick auf die Schwere der dem Antragsteller zur Last gelegten Vorwürfe und die Auswirkung auf den geordneten Dienstbetrieb nicht zu vermitteln.
11Der Antragsteller hat am 20. September 2024 den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung nach § 63 Abs. 1 LDG NRW gestellt, den er nicht weiter begründet hat.
12Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
13die mit Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt T. vom 29. August 2024 angeordnete vorläufige Dienstenthebung auszusetzen.
14Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
15den Antrag abzulehnen.
16Dem Antragsteller sei mit Einleitungsverfügung vom 30. Juli 2024 zur Last gelegt worden, dass er eine Dienstpflichtverletzung begangen habe, indem er im Rahmen seiner Ausbildung im Juni 2024 Methylphenidat (Ritalin) außerhalb und innerhalb der Justizvollzugsschule NRW konsumiert, besessen und weitergegeben haben solle. Darin sei der Verdacht des Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltens- und Gesunderhaltungspflicht gemäß § 34 Abs. 1 BeamtStG gesehen worden. Da seitens der Leiterin der Justizvollzugsschule NRW bereits Strafanzeige erstattet worden sei, sei das Verfahren gemäß § 22 Abs. 2 LDG NRW ausgesetzt worden.
17Sollte sich der staatsanwaltschaftliche Verdacht erhärten, aber auch wenn eine charakterliche Nichteignung festgestellt werde, könnten Beamte auf Widerruf jederzeit gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG entlassen werden. Die Gründe für eine Entlassung seien vorliegend gegeben. Insofern werde auf die Stellungnahme zum Verfahren 13 L 2548/24 verwiesen. Seinerzeit sei folgende Stellungnahme abgegeben worden:
18Der Entlassungsbescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt T. vom 19. August 2024 sei rechtmäßig ergangen. Der Antragsteller habe sich im Status des Beamten auf Widerruf befunden. Diese könnten gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG jederzeit entlassen werden. Sinn und Zweck der Vorschrift sei es, dass sich in diesem Fall das Land Nordrhein- Westfalen zügig von Bediensteten trennen könne, die es für ungeeignet für den angestrebten Beruf ansehe. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Das Verhalten des Antragstellers sei geeignet gewesen, eine charakterliche Ungeeignetheit anzunehmen. Konkret gehe es um den Konsum und die Weitergabe von „Ritalin". Die Leiterin der JVA T. habe im Benehmen mit der Leiterin der JVS Nordrhein-Westfalen den Sachverhalt entsprechend ermittelt.
19Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 7474/24 gegen die Entlassungsverfügung vom 19. August 2024 wiederherzustellen, mit Beschluss vom 30. September 2024 in dem Verfahren 13 L 2548/24 abgelehnt. Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) eingelegt, die mit Beschluss vom 14. März 2025 zurückgewiesen worden ist (Az.: 6 B 982/24).
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakten 13 L 2548/24 und 13 K 7474/24 sowie der beigezogenen Disziplinar- und Personalakten ergänzend Bezug genommen.
21II.
22Der am 20. September 2024 gestellte Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung hat Erfolg.
23Der Antrag ist gemäß § 63 Abs. 1 Halbsatz 1 LDG NRW statthaft. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte die Aussetzung einer gemäß § 38 Abs. 1 LDG NRW verfügten vorläufigen Dienstenthebung beim Gericht der Hauptsache beantragen. Der nicht an eine Frist gebundene Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
24Der Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung ist auch in der Sache begründet.
25Bei dem Verfahren gemäß § 63 LDG NRW handelt es sich um ein disziplinarrechtliches Sonderverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dessen Rahmen das Gericht die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung nur summarisch prüft. Der Prüfungsrahmen ist dem Gericht dabei durch § 63 Abs. 2 LDG NRW vorgegeben. Danach ist die vorläufige Dienstenthebung auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Im vorliegenden Fall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Verfügung vom 29. August 2024 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers.
26Rechtsgrundlage für die vorläufige Dienstenthebung ist § 38 Abs. 1 LDG NRW. Danach kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird oder wenn bei einer Person im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 LDG NRW i.V.m. § 23 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 BeamtStG erfolgen wird (§ 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW). Sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht (§ 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW).
27Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt T. hat die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers sowohl auf § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW als auch auf § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW gestützt. Dies ergibt sich aus dem Tenor unter Ziffer 1. der Verfügung vom 29. August 2024 und aus der Begründung auf Seite 2 f., wonach die vorläufige Dienstenthebung auch aus zwingenden dienstlichen Gründen erforderlich sei.
28„Ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit im Sinne von § 63 Abs. 2 LDG NRW sind anzunehmen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der angegriffenen Anordnung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Es ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit der Anordnung nach § 38 Abs. 1 LDG NRW sprechenden Gründe überwiegen; der Erfolg des Antrags muss nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg. Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg.
29Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. November 2019 – 2 VR 3/19 -, juris, Rn. 21 f.; Hessischer VGH, Beschluss vom 24. März 2016 – 28 A 2764/15.D -, juris, Rn. 32; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 13. Mai 2005 – 3 ZD 1/05 -, juris, Rn. 4; VG Wiesbaden, Beschluss vom 10. November 2023 – 28 L 1210/23.WI.D -, juris, Rn. 80 m.w.N.
30Da im gerichtlichen Verfahren nach § 63 LDG NRW für eigene Beweiserhebungen im Regelfall kein Raum ist, ist die Entscheidung über die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2002 – 2 WDB 1/02 -, juris, Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 22. September 2009 – 83 DB 1.09 -, juris, Rn. 10, und vom 18. August 2005 – 80 SN 1.05 -, juris, Rn. 13; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. April 2012 – 16b DC 11.985 -, juris, Rn 24.
32Für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung muss zudem maßgeblich auf die vom Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – eventuell auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 63 LDG NRW hinzutretende – Erkenntnisse untermauert werden, um so die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen.
33Vgl. VG Magdeburg, Beschlüsse vom 9. Mai 2023 – 15 B 23/23 MD -, juris, Rn. 57, und vom 12. Juni 2012 – 8 B 5/12 -, juris.
34Es ist dem Disziplinargericht hingegen verwehrt, die behördliche Entscheidung durch eine eigene Ermessens- und Prognoseentscheidung zu ersetzen.
35Vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 6 B 211/11 -, juris, Rn. 23; VG Magdeburg, Beschluss vom 9. Mai 2023 – 15 B 23/23 MD -, juris, Rn. 57.
36Prüfungsmaßstab ist vielmehr die Frage, ob die Prognoseentscheidung der Behörde den rechtlich zwingenden Vorgaben für die Ermessensentscheidung genügt und eine danach nachvollziehbare und tragfähige Entscheidung getroffen wurde.
37Diesen Maßgaben wird die Verfügung der Leiterin der JVA T. vom 29. August 2024, mit der sie den Antragsteller vorläufig des Dienstes enthoben hat, nicht gerecht.
38Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass die Verfügung vom 29. August 2024 keinerlei Darlegung der dem Antragsteller als Dienstpflichtverletzung vorgeworfenen Handlungen enthält.
39Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an eine Disziplinarklageschrift gehört es zwar grundsätzlich zum notwendigen Inhalt eines Bescheides über eine vorläufige Dienstenthebung, dass die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Es muss klar erkennbar sein, aus welchen Tatsachen dem Beamten Vorwürfe gemacht werden. Hierzu gehört eine so hinreichende Substantiierung, dass dem Beamten eine sachgerechte Verteidigung möglich ist und das Disziplinargericht in die Lage versetzt wird, den in bestimmter Hinsicht erhobenen und dem Umfang nach klar abgegrenzten Vorwürfen nachzugehen.
40Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 3. April 2019 – 35 L 148/19.O -, juris, Rn. 16; VG Magdeburg, Beschluss vom 24. September 2018 - 15 B 23/18 -, juris, Rn. 10 m.w.N.
41Dies muss allerdings nicht zwingend in der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung selbst dargelegt werden.
42Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. August 2005 – 80 SN 1/05 -, juris, Rn. 10.
43Im Übrigen bedarf es nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG, der gemäß § 3 Abs. 1 LDG NRW ergänzend Anwendung findet, einer Begründung nicht, soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist.
44So liegt der Fall hier. Dabei kann offen bleiben, ob die Ausführungen zum Tatvorwurf in dem Schreiben der Leiterin der JVA T. vom 27. August 2024, mit dem der Antragsteller über die Einleitung disziplinarrechtlicher Ermittlungen unterrichtet worden ist, ausreichen, er habe eine Dienstpflichtverletzung begangen, indem er im Rahmen seiner Ausbildung im Juni diesen Jahres Methylphenidat (Ritalin) außerhalb und innerhalb der Justizvollzugsschule NRW konsumiert, besessen sowie an Dritte weitergegeben habe. Die maßgebliche Tatsachengrundlage für die vorläufige Dienstenthebung kann jedenfalls auch deshalb als bekannt vorausgesetzt werden, weil parallel zu dem behördlichen Disziplinarverfahren beamtenrechtliche Schritte gegen den Antragsteller eingeleitet worden sind, die auf denselben Vorwürfen beruhen. Die Leiterin der JVA T. hat dem Antragsteller im Rahmen jenes Verfahrens mit Schreiben vom 1. Juli 2024 die beabsichtigte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf sowie die maßgebliche Tatsachengrundlage für die beabsichtigte Entlassung eröffnet und ihn hierzu angehört. Mit Verfügung vom 19. August 2024 hat sie den Antragsteller gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG mit Ablauf des 31. August 2024 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen und darin den maßgeblichen Sachverhalt noch einmal dargelegt. Vor diesem Hintergrund wäre es reine Förmelei, die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers schon mangels Bestimmtheit der Verfügung vom 29. August 2024 auszusetzen.
45Die Disziplinarkammer weist in diesem Zusammenhang lediglich ergänzend darauf hin, dass die Antragserwiderung vom 8. Oktober 2024 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme in dem Verfahren 13 L 2548/24 zwar den Gang des Verfahrens nach § 23 Abs. 4 BeamtStG chronologisch wiedergibt, es fehlt hingegen an einer geordneten Darstellung der Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird.
46Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung vom 29. August 2024 ergeben sich indes daraus, dass die Entscheidung des Antragsgegners, den Antragsteller gemäß § 38 Abs. 1 LDG NRW vorläufig des Dienstes zu entheben, ermessensfehlerhaft ist.
47Ein Ermessensfehler liegt vor, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Ermessensfehlerhaft sind demnach insbesondere auch solche Verwaltungsakte, bei deren Erlass die Behörde von in Wahrheit nicht vorliegenden Tatsachen oder rechtlichen Voraussetzungen ausgeht, denn für den Ermessensfehlgebrauch macht es keinen Unterschied, ob ein Irrtum der Behörde sich auf die tatsächlichen Grundlagen oder den rechtlichen Rahmen der von ihr zu treffenden Entscheidung bezieht.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2016 – 6 C 24/15 -, juris, Rn. 33 m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2024 – 31 L 1787/24.O -, S. 9.
49Solche Ermessensfehler liegen hier vor. Die Leiterin der JVA T. hat in der Verfügung vom 29. August 2024 – bezogen auf die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW – lediglich ausgeführt, die Maßnahme sei erforderlich, weil aufgrund des gegen den Antragsteller eingeleiteten Ermittlungsverfahrens und des sich daran anschließenden Strafverfahrens eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG nicht ausgeschlossen werden könne.
50Gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG können Beamtinnen und Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden. Das Gesetz räumt dem Dienstherrn damit einen weiten Ermessensspielraum ein, wobei die Entlassung allerdings nicht willkürlich erfolgen darf, sondern von sachlichen Erwägungen getragen sein muss. Ausreichend sind insoweit aber bereits begründete Zweifel an der persönlichen – damit u.a. auch: charakterlichen – oder fachlichen Eignung der Beamtin auf Widerruf oder des Beamten auf Widerruf für das angestrebte Amt oder die angestrebte Laufbahn, weshalb die Entlassung auch nicht von dem Nachweis eines konkreten Dienstvergehens abhängig ist.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1981 – 2 C 48.78 -, juris, Rn. 20 m.w.N., sowie Beschluss vom 4. Juli 2022 – 2 B 5.22 -, juris, Rn. 9; OVG NRW, Beschlüsse vom 24. April 2024 – 1 E 274/24 -, juris, Rn. 14 m.w.N., und vom 27. September 2023 – 1 B 742/23 -, juris, Rn. 22.
52Bei der vorläufigen Dienstenthebung eines Beamten auf Widerruf – wie hier bei dem Antragsteller – müssen gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW indes weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Nach dieser Vorschrift ist nicht nur § 23 Abs. 4 BeamtStG in den Blick zu nehmen, sondern auch § 5 Abs. 3 LDG NRW. Danach können Personen im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf nur Verweise erteilt und Geldbußen auferlegt werden. Für ihre Entlassung wegen eines Dienstvergehens gelten § 23 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 BeamtStG.
53Hieraus folgt für die vorläufige Dienstenthebung eines Beamten auf Widerruf, dass insbesondere dargelegt werden muss, welche Dienstpflichten der Beamte verletzt haben soll, wie schwer das Dienstvergehen wiegt und welche Disziplinarmaßnahme voraussichtlich zu erwarten ist. Die Verfügung vom 29. August 2024 enthält hierzu keinerlei Ausführungen und lässt damit nicht erkennen, dass und wie die Leiterin der JVA T. das ihr durch § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW eingeräumte Ermessen ausgeübt hat. Dieser Ermessensfehler ist durch die Antragserwiderung vom 8. Oktober 2024 nicht geheilt worden. Auch dort wird § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW zwar erwähnt, in der Begründung aber wiederum nur auf § 23 Abs. 4 BeamtStG abgestellt: „Sollte sich der staatsanwaltschaftliche Verdacht erhärten, aber auch wenn eine charakterliche Nichteignung festgestellt wird, können Beamte auf Widerruf jederzeit gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG entlassen werden. Die Gründe für eine Entlassung sind vorliegend gegeben.“ Ausführungen dazu, dass der Antragsteller voraussichtlich wegen eines Dienstvergehens gemäß § 23 Abs. 4 BeamtStG entlassen werden wird, fehlen hingegen vollständig. Vielmehr wird auf die Stellungnahme in dem Verfahren 13 L 2548/24 vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf verwiesen, worin im Ergebnis lediglich festgestellt wird, das Verhalten des Antragstellers sei geeignet, eine charakterliche Ungeeignetheit anzunehmen.
54Als ermessensfehlerhaft erweist sich die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers auch im Hinblick auf § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW.
55Die Vorschrift ermöglicht die vorläufige Dienstenthebung auch dann, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Damit knüpft die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW normativ an das Schicksal des Disziplinarverfahrens an und verlangt dementsprechend eine qualifizierte Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.
56Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 6 B 238/20 -, juris, Rn. 11; VG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2024 – 31 L 1787/24.O -, S. 10 des Abdrucks; Gansen, in: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar (Stand: Februar 2024), § 38 BDG, juris, Rn. 29.
57Hierfür muss der Dienstherr die entscheidungserheblichen Ermessenserwägungen konkret und nachvollziehbar darlegen. Ist dies nicht der Fall, kann nicht festgestellt werden ob die Behörde von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
58Vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 25. März 2013 – 19 ZD 4/13 -, juris, Rn. 6; Gansen, in: Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar (Stand: Februar 2024), § 38 BDG, juris, Rn. 30.
59So liegt der Fall hier: Die Verfügung vom 29. August 2024 enthält weder Ausführungen zum Vorliegen eines Dienstvergehens (s.o.), noch dazu, warum die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Eine entsprechende Ermessensausübung auf Seiten des Antragsgegners ist nicht zu erkennen.
60Soweit in der Verfügung vom 29. August 2024 ausgeführt wird, die vorläufige Dienstenthebung sei auch aus zwingenden dienstlichen Gründen erforderlich, da zum jetzigen Zeitpunkt ein weitere Ausübung der Dienstgeschäfte durch den Antragsteller dienstlich nicht vertretbar sei, da schwerwiegende Nachteile insbesondere für die JVA T. und den Justizvollzug in NRW zu befürchten seien, legt dies vielmehr nahe, dass sich die Leiterin der JVA T. hierbei an den Voraussetzungen für ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte nach § 39 Satz 1 BeamtStG orientiert hat. Hierfür spricht auch, dass auf Seite 3 der Verfügung ausgeführt wird, das – vorläufige – Verbot der Führung der Dienstgeschäfte stehe auch nicht außer Verhältnis zu dem sonst drohenden Schaden für den Justizvollzug und dessen Bedienstete. Die sofortige Vollziehbarkeit sei geboten, weil bei einer weiteren Führung der Dienstgeschäfte schwerwiegende Nachteile für den Dienstherrn, die Öffentlichkeit oder für Dritte zu befürchten seien.
61Das beamtenrechtliche Verbot der Führung der Dienstgeschäfte gemäß § 39 Satz 1 BeamtStG und die disziplinarrechtliche vorläufige Dienstenthebung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW stellen trotz ihrer inhaltlichen Nähe aber eigenständige Instrumente zur Abwehr von Gefahren dar, die der Verwaltung durch eine weitere Amtsausübung des Beamten drohen. Die Maßnahmen unterscheiden sich in Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Rechtsschutz.
62Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 6 B 238/20 -, juris, Rn. 4.
63Anders als bei der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW wird im Rahmen von § 39 Satz 1 BeamtStG auch nicht auf ein vorwerfbares Fehlverhalten des Beamten im Sinne eines Dienstvergehens abgestellt, sondern auf eine objektive Gefährdung des Dienstes, da die Vorschrift allein der dienstrechtlichen Gefahrenabwehr dient.
64Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Mai 2016 – 13 L 832/16 -, juris, Rn. 28, 40.
65Die fehlende Ermessensausübung (auch) in Bezug auf eine vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW ist durch die Antragserwiderung vom 8. Oktober 2024 ebenfalls nicht geheilt worden, denn diese verhält sich ausschließlich zur vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers nach § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
67Rechtsmittelbelehrung:
68Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts in Münster entscheidet.
69Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts eingeht.
70Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
71Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts prüft nur die dargelegten Gründe.
72Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
73Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.