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Der Beklagte wird aus dem Beamtenverhältnis entfernt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der im Jahr 1960 geborene Beklagte studierte Z. sowie G. […] Am 00. Oktober 2007 wurde er zum Universitätsprofessor (W2) im Fach „R." berufen. […] Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
3Er ist straf- und disziplinarrechtlich nicht vorbelastet.
4Am 22. November 2021 reichten fünf Beschwerdeführerinnen per Mail eine von insgesamt 18 Personen unterzeichnete Beschwerde u.a. wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung mehrerer weiblicher Studierender und Beschäftigter am A.-Institut für Z., T. der Universität bei der „Verwaltungsstelle Diskriminierungsschutz" (nachfolgend: AGG-Beschwerdestelle) der Universität ein. Die in der Beschwerde erhobenen Vorwürfe richteten sich gegen den Beklagten.
5Der Rektor der Universität (nachfolgend: Rektor) gab dem Beklagten mit dienstlicher Weisung vom 10. Dezember 2021 auf, im Homeoffice zu arbeiten, Lehrveranstaltungen nur online abzuhalten und dienstliche Gespräche sowie Beratungsgespräche mit weiblichen Studierenden oder Beschäftigten nur noch digital durchzuführen. Eine Anwesenheit in den Räumen der Universität aus dienstlichen Gründen sei nur unter der Prämisse gestattet, dass eine Anwesenheit alleine mit weiblichen Studierenden oder Beschäftigten ausgeschlossen war. Der Dekan der Q. Fakultät konkretisierte diese Weisung am 30. März und am 19. April 2022 und untersagte dem Beklagten, einen Laborkurs in Präsenz abzuhalten und an zwei im Juni und im September vorgesehenen Exkursionen persönlich teilzunehmen. Auf Antrag des Beklagten stellte das Verwaltungsgericht Köln mit Beschluss vom 27. Mai 2022 (Verfahren 6 L 687/22) vorläufig fest, dass er nicht verpflichtet sei, der Weisung des Dekans Folge zu leisten, da die Vorschrift aus dem Hochschulgesetz NRW, auf welche die Weisung gestützt wurde, keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage sei.
6Der Beklagte nahm unter dem 20. Dezember 2021 gegenüber der AGG-Beschwerdestelle ausführlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen schriftlich Stellung:
7Seine Arbeitsgruppe sei sehr international, und es seien immer zwischen 5 und 10 Nationen vertreten. Der Anteil von Frauen und Männern sei statistisch gesehen gleich. Englisch sei die primäre Arbeitssprache in der Kommunikation bei allen gemeinsamen Sitzungen, bei den Abschlussarbeiten und mit allen nicht-deutschen Mitgliedern.
8Er versuche, die Arbeitsgruppe über flache Hierarchien als ein Team gleichberechtigter Akteure zu führen. Die Ansprache sei meistens per Vorname, was sich auch durch das Englische als Arbeitssprache ergebe. Es gebe wöchentliche Treffen der Arbeitsgruppe (auch außerhalb der Vorlesungszeiten) und eine gemeinsame Betreuung von Abschlussarbeiten. Mit den Studierenden und Mitarbeiten führe er regelmäßig, oft einmal pro Woche, fachliche Arbeitsgespräche, zu zweit oder zu dritt, und oft auch an den Forschungsmikroskopen in seinem Dienstzimmer. Teil seines Führungsstils sei es auch, sich mit privaten Belangen der Studierenden und Mitarbeitern (auch Visa- oder Wohnungsproblemen) zu beschäftigen, was vor allem für die ausländischen und oft nichteuropäischen Mitglieder relevant sei.
9Er versuche, neue Mitglieder durch soziale Veranstaltungen wie gemeinsam Essen gehen zu integrieren. Vor allem internationale aber auch deutsche Arbeitsgruppenmitglieder, insbesondere Postdocs, lade er auch an Feiertagen zu seiner Familie nach Hause ein. Diese Kultur, die er für extrem wichtig halte, habe in der Pandemie nur schwierig oder gar nicht aufrechterhalten werden können. Als im Sommer 2021 die Home Office-Pflicht aufgehoben gewesen sei, habe er die Arbeitsgruppenmitglieder nachdrücklich gebeten, in ihrem eigenen Interesse wieder vermehrt an der Universität zu erscheinen. Dies mit begrenztem Erfolg, obwohl viele AG-Mitglieder angegeben hätten, Probleme mit der Produktivität im Home Office zu haben. Er habe versucht, den persönlichen Austausch vermehrt über digitale Kanäle wie WhatsApp und Email abzuwickeln. Im wissenschaftlichen Bereich und in der Arbeitsgruppe sei es durchaus üblich, Emails und Textnachrichten auch nach Dienstschluss und spät abends zu empfangen und zu versenden. WhatsApp habe sich dabei zu einem wichtigen und akzeptierten Kommunikationskanal im dienstlichen Bereich entwickelt.
10Die enge Zusammenarbeit in seiner Arbeitsgruppe werde auch dadurch gefördert, dass die Büros alle im 2. OG des O. lägen, die Labore und das M. aber in zwei anderen Gebäuden untergebracht seien.
11Ein besonderes Anliegen sei ihm immer die Gleichstellung und Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses gewesen, weswegen ihn die vorliegenden Anschuldigungen besonders schmerzten. Er habe bisher über 20 Doktorierende zum Abschluss geführt, die Mehrheit von ihnen Frauen. Auch auf der Ebene der Postdocs habe er Gleichstellung wo immer möglich unterstützt, und derzeit seien sämtliche seiner Postdocs weiblich. Drei von ihnen, unter ihnen eine der Beschwerdeführerinnen, habe er geholfen, eigene Stellen bei der DFG einzuwerben. Auch unter seinen ausländischen Postdocs, vor allem gefördert durch die Alexander von Humboldt-Stiftung (ein männlicher Fellow, vier weibliche Fellows, unter ihnen wiederum eine der Beschwerdeführerinnen) überwögen Frauen. Auch auf ihrem weiteren Karriereweg habe er weibliche Mitglieder der Arbeitsgruppe besonders gefördert, und ein hoher Anteil habe Professuren oder wissenschaftliche Dauerstellen erlangen können. Dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass in den Geowissenschaften Frauen traditionell stark unterrepräsentiert seien.
12In der Lehre sei er während der Pandemie und auch schon vorher besonders bei mehrtägigen Exkursionen engagiert gewesen. Sie seien ein unbedingt notwendiger Teil der […] Ausbildung. Das Institut werde oft wegen der H.-Ausbildung als bundesweites Vorbild gesehen. Zudem habe er auch unter Pandemie-Bedingungen mit enormem Aufwand drei Exkursionen organisiert […]. Es seien in dieser Zeit sonst kaum – in den Studiengängen verpflichtende – Exkursionen angeboten worden.
13Allerdings habe wohl in allen Fällen seine Freundlichkeit, Begeisterung für seine Arbeit in Lehre und Forschung und der Versuch einer flachen Hierarchie auch und gerade unter Pandemie-Bedingungen zu gravierenden Missverständnissen geführt, auch durch den notwendigen vermehrten Gebrauch von Zoom und Nachrichtenapps. Er sei von den Anschuldigungen der sexuellen Belästigung tief getroffen, weil er glaube, nur im besten Interesse der Beschwerdeführerinnen und seiner ganzen Arbeitsgruppe gehandelt zu haben. Es mache ihn auch sehr traurig, dass er die Beschwerdeführerinnen unabsichtlich und unwissentlich Stress ausgesetzt habe und entschuldige sich bei allen aufrichtig. Seine gut gemeinten Bemühungen hätten so in der Pandemie leider das Gegenteil bewirkt. Im Lockdown habe er es für sinnvoll erachtet, auf WhatsApp persönlicher als sonst zu sein. Er habe natürlich inzwischen auch gelernt, dass das Kommentieren von Profilbildern als sexuelle Belästigung angesehen werden könne, und er entschuldige sich aufrichtig für jeden unerwünschten Kommentar.
14Darüber hinaus nahm der Beklagte zu den einzelnen Vorwürfen ausführlich Stellung. Der Beklagte äußerte sich zudem am 20. Januar 2022 im Beisein seines (damaligen) Prozessbevollmächtigten persönlich mittels Zoom-Meeting. Die AGG-Beschwerdestelle fasste ihre Ergebnisse in einem Abschlussbericht vom 17. Februar 2022 zusammen und legte sie dem Rektor der Universität vor.
15Der Rektor der Universität leitete auf dieser Grundlage mit Verfügung vom 10. März 2022 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Er bestellte den Justitiar, Herrn AS., sowie die stellvertretende Leiterin der Personalabteilung, Frau FM., zu Ermittlungsführern.
16Nach einer Stellungnahme des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 13. Mai 2022 wurden in der Zeit vom 19. Mai bis 20. Juni 2022 insgesamt neun Personen durch die Ermittlungsführer als Zeugen vernommen, darunter die fünf Beschwerdeführerinnen, nämlich die Zeuginnen Z1., Z2., Z3., Z4. und Z5. Der Beklagte wurde von der Vernehmung der fünf Beschwerdeführerinnen ausgeschlossen. Abschriften aller Vernehmungsprotokolle wurden dem (damaligen) Prozessbevollmächtigten des Beklagten zugeleitet. Der Beklagte versah die Protokolle jeweils mit umfangreichen Kommentaren.
17Die Klägerin stellte den Ermittlungsbericht vom 17. August 2022 dem (damaligen) Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 18. August 2022 zu.
18Der Beklagte hob in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 1. September 2022 hervor, dass die Beschwerdeschrift, die Grundlage und Auslöser des gesamten Verfahrens geworden sei, in organisierter und abgestimmter Weise zustande gekommen sei. Jeder der Beschwerdeführer habe Zugriff auf den im Entstehen begriffenen Text gehabt, auch wenn die Betroffenen jeweils ihre eigenen Eindrücke authentisch selbst geschrieben und eingestellt haben dürften. Bemerkenswert sei immerhin, dass insgesamt 13 Personen, die gar keine Vorwürfe gegen ihn erhoben hätten, an dem Bericht mitgeschrieben hätten. Dieser Prozess des Zustandekommens der Beschwerdeschrift habe jedoch zwangsläufig eine gegenseitige Unterstützung, Bestätigung und Vergewisserung zur Folge gehabt. Die einzelnen Eindrucks-Schilderungen hätten durch das Zusammenwirken im Entstehungsprozess der Beschwerdeschrift zwangsläufig eine Affirmation erfahren.
19Die Klägerin hörte den Beklagten am 12. Oktober 2022 auch persönlich zum Ergebnis der Ermittlungen an.
20Der Rektor der Klägerin enthob den Beklagten mit Bescheid vom 31. Oktober 2022 gemäß § 38 Abs. 1 LDG NRW vorläufig des Dienstes und sah dabei von einer Einbehaltung der Dienstbezüge zunächst ab. Er führte zur Begründung im Wesentlichen aus:
21Er habe mit Einleitungsverfügung vom 10. März 2022 gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil dieser in dem hinreichenden Verdacht stehe, seine beamtenrechtlichen Pflichten gemäß §§ 33, 34 BeamtStG verletzt und damit ein vorsätzliches innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen zu haben.
22Der Ermittlungsbericht habe folgende Dienstpflichtverletzungen ergeben:
23„1) Sie haben am 21.12.2020 Frau Z1. in Ihrem Büro auf den Mund geküsst und dabei Ihre Zunge in den Mund von Frau Z1. bis zu ihren Zähnen eingeführt.
24→ sexuelle Belästigung
252) Sie haben Frau Z1. bei einem Treffen im Mai/Juni 2021 die Hand auf den Oberschenkel gelegt und mit der Hand eine reibende Bewegung gemacht.
26→ Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 S. 3 BeamtStG)
273) Sie haben am 20.12.2020, 21.12.2020 und 14.02.2021 Frau Z1. per WhatsApp Herzchen-Kuss-Emojis gesendet.
28→ Verletzung des Distanzgebotes
294) Sie haben Frau Z1. am 21.12.2020 per WhatsApp einen Gute-Nacht-Gruß geschickt.
30→ Verletzung des Distanzgebotes
315) Sie haben Frau Z2. am 29.01.2021 bei einem Treffen zum gemeinsamen Mikroskopieren mit beiden Händen fest an die Oberschenkel gegriffen.
32→ sexuelle Belästigung
336) Sie sind mit Ihrem Bürostuhl in unzulässiger Weise auf Frau Z2. zugerollt.
34→ Verletzung des Distanzgebotes
357) Sie haben Frau Z3. zwischen dem 09.02. und 23.02.2021 im Kellergeschoss des Instituts zwischen sich und dem Labortisch fixiert und sie mit Ihrem Körper an Po und Rücken berührt.
36→ sexuelle Belästigung
378) Sie haben Frau Z3. am 23.02.2021 umarmt und sie dabei an sich gepresst, so dass die Zeugin Ihre Genitalien spüren konnte.
38→ sexuelle Belästigung
399) Sie haben Frau Z4. im Oktober oder November 2020 in die Bar KL. eingeladen.
40→ Verletzung des Distanzgebotes
4110) Sie haben Frau Z4. im Zeitraum zwischen Ende 2020 und August 2021 wiederholt bei Zusammenkünften gegen ihren Willen mit der Hand an Oberarm, Schulter und Beinen berührt.
42→ sexuelle Belästigung
4311) Sie haben am 24.06.2021 Ihre Beine anlässlich einer Zusammenkunft in Ihrem Büro zum Mikroskopieren so in Richtung von Frau Z4. ausgestreckt, dass es zu einem Kontakt mit den Beinen der Zeugin kam.
44→ Verletzung des Distanzgebotes
4512) Sie haben sich im Juni oder Juli 2021 in Anwesenheit von Frau Z4. mit der Hand in Ihrer Hose in den Genitalbereich gegriffen.
46→ Verletzung des Distanzgebotes
4713) Sie haben Frau Z4. am 14.02.2021 per WhatsApp Grüße zum Valentinstag mit einem Eisblümchen geschickt.
48→ Verletzung des Distanzgebotes
4914) Sie haben Frau Z5. im Juli 2021 anlässlich eines Treffens in Ihrem Büro zur Vorbereitung des U.-Aufenthaltes von Frau Z5. wiederholt mit Ihrem wippenden Fuß am Bein berührt und ihr die Hand auf das Bein gelegt.
50→ sexuelle Belästigung
5115) Sie haben am 31.08.2021 anlässlich eines Besuchs einer Bar in N. dazu angesetzt, Frau Z5. beim Ausziehen eines Pullovers zu helfen, wobei Sie die Zeugin berührt haben.
52→ Verletzung des Distanzgebotes
5316) Sie haben am 16.09.2021 auf der Exkursion in den WL. ein unzulässiges Foto von einer Gruppe weiblicher Studierender aufgenommen, die sich gerade beim Mittagessen befanden.
54→ Verstoß gegen § 22 KUG“
55Die vorläufige Dienstenthebung werde gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 und 2 LDG NRW angeordnet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
56Dem Beklagten werde sexuelle Belästigung in sechs Fällen zum Nachteil von fünf weiblichen Studierenden bzw. Mitarbeiterinnen zur Last gelegt. Darüber hinaus würden ihm in neun Fällen grenzüberschreitende Verhaltensweisen vorgeworfen, durch die er die von einem Hochschullehrer gegenüber seinen Beschäftigten und Studierenden zu wahrende Distanz missachtet habe. Es habe sich insgesamt nicht um „Ausrutscher“ gehandelt. Sein Verhalten stelle objektiv betrachtet einen groben Verstoß gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zum Wohlverhalten gemäß §§ 33, 34 BeamtStG dar und begründe ein vorsätzliches schweres Dienstvergehen.
57Die vorläufige Dienstenthebung sei zum Schutz der weiblichen Studierenden und Beschäftigten erforderlich. Zudem solle die Anordnung auch den Beklagten schützen und einen geordneten Dienstbetrieb am A. bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss sicherstellen. Dieser werde erheblich beeinträchtigt, weil eine zunehmend unangenehme Arbeitsatmosphäre entstanden sei.
58Die seitens des Beklagten aufgeführten Konsequenzen für die Arbeitsgruppe und für Postdocs, Doktoranden und Studierende sowie nachteilige Auswirkungen auf DFG-Projekte und die Forschungsgruppe rechtfertigten nicht das Absehen von der vorläufigen Dienstenthebung.
59Die Klägerin hat am 19. Dezember 2022 die vorliegende Disziplinarklage erhoben mit dem Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Sie trägt vor: Die Ermittlungen im Laufe des Disziplinarverfahrens hätten ergeben, dass der Beklagte ein vorsätzliches und schuldhaftes, einheitlich zu bewertendes schweres Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen habe, das sich zusammensetze aus
60- sechs Fällen sexueller Belästigung zum Nachteil von fünf weiblichen Studierenden bzw. Beschäftigten,
61- neun Fällen der Missachtung des von einem Hochschullehrer gegenüber seinen Beschäftigten und Studierenden zu wahrenden Distanzgebots und
62- einem Verstoß gegen § 22 Kunst-Urheber-Gesetz (KUG) durch die unzulässige Aufnahme eines Fotos einer Gruppe weiblicher Exkursionsteilnehmerinnen.
63Im Einzelnen:
641. Dienstpflichtwidrige Handlungen gegenüber Frau Z1.
65a) Kuss am 21. Dezember 2020
66Am 21. Dezember 2020 habe ein Treffen zwischen dem Beklagten und Frau Z1. in seinem Büro im Institutsgebäude auf der AD. in U. stattgefunden. Der Beklagte habe per WhatsApp-Chat angekündigt, dass er Frau Z1. bei dem Treffen ein paar kleine Weihnachtsgeschenke wie Marmelade und Kekse schenken wolle. Frau Z1., geboren 0000, war zu diesem Zeitpunkt Master-Studentin und wissenschaftliche Hilfskraft in der Arbeitsgruppe des Beklagten. Am Ende der Zusammenkunft habe der Beklagte Frau Z1. gefragt, ob er ihr „Frohe Weihnachten" wünsche dürfe. Nachdem sie dies bejaht habe, hätten der Beklagte und Frau Z1. eine freundschaftliche Umarmung zum Abschied ausgetauscht. Dabei habe der Beklagte Frau Z1. plötzlich und unvermittelt an sich gezogen und sie für mehrere Sekunden auf die Lippen geküsst. Er habe dabei auch versucht, seine Zunge in den Mund von Frau Z1. einzuführen. Da sie die Zähne geschlossen gehalten habe, sei es ihm nur gelungen, die Zunge bis zu ihren Zähnen vorzuschieben.
67Frau Z1. habe im Anschluss daran verstört und in emotional aufgelöstem Zustand das Büro verlassen. Im Verlauf des Abends habe sie sich mit zwei Freundinnen getroffen, denen sie sich nach einigem Zögern offenbart habe.
68Der Kuss erfülle den Tatbestand einer sexuellen Belästigung im Sinne von § 184 i StGB und von § 3 Abs. 4 AGG.
69b) Berührung am Bein im Mai/Juni 2021
70Im Zeitraum Mai/Juni 2021 habe ein weiteres Treffen des Beklagten mit Frau Z1. stattgefunden, in dem es um einen wegen der Kuss-Situation im Dezember 2020 beabsichtigten Wechsel in der Betreuung ihrer Masterarbeit ging. Im Verlauf des Gesprächs habe der Beklagte seine rechte Hand auf den linken Oberschenkel der Frau Z1. gelegt und leicht reibende Handbewegungen von oben nach unten gemacht. Dabei habe er gefragt, ob zwischen ihnen alles in Ordnung sei.
71Die Berührung stelle einen Verstoß gegen das Distanzgebot und damit eine Verletzung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar.
72c) Versendung unangemessener WhatsApp-Nachrichten
73Der Beklagte verfügte über die privaten Handy-Nummern zahlreicher Studierender und Mitarbeiter am A.. Hintergrund sei die Einrichtung der so genannten „Schlüssel-Gruppe": Um während der Corona-Pandemie den Zutritt zum Institutsgebäude zu regeln, habe sich der Beklagte die Nummern geben lassen, so dass sich alle untereinander unkompliziert austauschen und die Türöffnung bei Bedarf kurzfristig organisieren konnten. Später habe der Beklagte die Nummern aber häufig zweckwidrig dazu genutzt, sich mit Studierenden und Beschäftigten über rein private Themen auszutauschen.
74Es sei bereits grundsätzlich mit der Pflicht eines verbeamteten Hochschullehrers, jederzeit eine professionelle Distanz zu den ihm unterstellten Studierenden und Beschäftigten zu wahren, nicht vereinbar, eine ihm allein für dienstliche Zwecke überlassene Telefonnummer für rein privat veranlasste Kontaktaufnahmen und Anfragen zu nutzen.
75Im Fall der Frau Z1. sei dem Beklagten konkret als Distanzverletzung zur Last zu legen, dass er Frau Z1. am 20. und am 21. Dezember 2020 sowie am 14. Februar 2021 Nachrichten verbunden mit Herzchen-Kuss-Emojis geschickt habe.
76Die Versendung sei unangemessen, grenzüberschreitend und mit der Wohlverhaltenspflicht eines Hochschullehrers nicht vereinbar. Es habe weder ein Freundschaftsverhältnis noch eine vom Beklagten behauptete romantische Beziehung zur Zeugin Z1. gegeben. Der Empfang der Nachrichten habe nicht dem Willen der Zeugin Z1. entsprochen und sei für sie mehr als unangenehm gewesen.
77Die Versendung unangemessener WhatsApp-Nachrichten stelle einen Verstoß gegen das Distanzgebot und damit eine Verletzung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar.
782. Dienstpflichtwidrige Handlungen gegenüber Frau Z2.
79a) Beidhändiger Griff auf die Oberschenkel beim Treffen am 29. Januar 2021
80Der Beklagte habe sich am 29. Januar 2021 in seinem Büro mit seiner Mitarbeiterin Z2. getroffen, um gemeinsam Probenmaterial unter dem Mikroskop zu untersuchen. Die im Jahr 0000 geborene Frau Z2. war zu dem Zeitpunkt als wissenschaftliche Mitarbeiterin Mitglied der Arbeitsgruppe des Beklagten. Frau Z2. und der Beklagte hätten beide diagonal vor dem Mikroskopiertisch gesessen. Sie habe sich gerade einige Notizen gemacht, als der Beklagte ihr unvermittelt mit beiden Händen für mehrere Sekunden fest an beide Oberschenkel gegriffen habe. Dabei habe er sich in ihre Richtung vorgebeugt und sei ihr so auch mit seinem Gesicht sehr nahe gekommen. Er habe im Moment der Berührung geäußert, dass die gewonnenen Forschungsdaten von guter Qualität seien. Frau Z2. sei von der Berührung geschockt und wie gelähmt gewesen. Er habe nach der Berührung weitergeredet, als sei nichts geschehen.
81Der beidhändige feste Griff auf die Oberschenkel erfülle den Tatbestand einer sexuellen Belästigung im Sinne von § 184 i StGB und von § 3 Abs. 4 AGG.
82b) Zurollen mit einem Bürostuhl
83Am 1. oder 2. Februar 2021 habe sich der Beklagte erneut mit Frau Z2. in seinem Büro getroffen, um die Diskussion und Sichtung der Datenproben fortzusetzen. Sie sei wegen des Vorfalls vom 29. Januar 2021 sehr nervös und darauf bedacht gewesen, Abstand vom Beklagten zu halten. Im Verlauf des Treffens sei der Beklagte unvermittelt mit seinem Stuhl auf sie zugerollt. Sie habe umgehend reagiert und begonnen, mit ihrem Stuhl vom Beklagten weg nach hinten zu rollen, um Abstand zu halten. Der Beklagte habe daraufhin gelacht, sei weiterhin auf sie zugerollt und habe gesagt: „Don't be shy". Erst als sie weiter zurückgerollt und fast gegen die rückseitige Wand gestoßen sei, habe er angehalten.
84Es handele sich um eine Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
853. Dienstpflichtverletzende Handlungen gegenüber Frau Z3.
86a) Einklemmen mit einer Metallstange
87Der Beklagte habe sich an einem Tag im Zeitraum vom 9. bis zum 23. Februar 2021 im Keller des Instituts mit Frau Z3. getroffen. Frau Z3., geboren 0000 und zum fraglichen Zeitpunkt Studierende am A., wollte dem Beklagten eine Metallstange präsentieren, die zur Befestigung eines V. dienen sollte. Frau Z3. habe sich dabei vor den im Raum befindlichen Arbeitstisch gestellt. Dabei habe sie die Stange mit beiden Händen vor ihrer Brust gehalten. Der Beklagte habe sich dicht hinter sie gestellt und habe um sie herum mit beiden Händen ebenfalls die Stange ergriffen. Dabei sei er so dicht an sie herangetreten, dass er mit der Vorderseite seines Körpers den Rücken sowie den Gesäßbereich der Frau Z3. berührt habe. Frau Z3. sei durch das Herumgreifen des Beklagten mit seinen Armen zwischen ihm und dem Tisch fixiert und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt gewesen. Sie habe zu ihm gesagt „Lass mich erst mal raus." Schließlich sei es ihr nach zehn bis fünfzehn Sekunden gelungen, sich unter seinen Armen hinweg zu ducken und sich so aus der Situation zu befreien.
88Die Herstellung eines intimen, körperlichen Kontakts zwischen seinem Oberkörper und dem Rücken und Po der Zeugin Z3. für die Dauer von zehn bis fünfzehn Sekunden sei als sexuell bestimmt einzustufen. Das Verhalten erfülle den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 184 i StGB und § 3 Abs. 4 AGG.
89b) Umarmung im Kellergeschoss
90Der Beklagte habe Frau Z3. am 23. Februar 2021 im Kellergeschoss des A. getroffen, um mit ihr über den Fortgang eines Projekts zu sprechen. Zum Ende des Treffens wollte er sich von ihr verabschieden. Er habe seine Arme gehoben, um ihr zu signalisieren, dass er sie gern zum Abschied umarmen wolle. Sie habe sich angesichts dieses Ansinnens zwar nicht wohlgefühlt, aus Höflichkeit den Wunsch aber auch nicht zurückweisen wollen. In Erwartung eines freundschaftlich-leichten Drückens habe sie daher eine Umarmung zugelassen. Entgegen ihrer Erwartung habe der Beklagte sie dann jedoch auf eine von ihr nicht erwartete intime Weise umarmt. Er habe sie so fest an sich gepresst, dass sie seine Genitalien spüren konnte. Zusätzlich habe er sie hin und her gewiegt. Sie habe versucht, sich nach hinten zu beugen, um Distanz zwischen sich und ihn zu bringen. Ihr sei es schließlich gelungen, ihre Arme zwischen sich und ihn zu bringen. Dabei habe sie gesagt, „Es reicht jetzt", habe sich von ihm weggedrückt und sich so aus dessen Umarmung befreit.
91Die intime Umarmung erfülle ebenfalls den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 184 i StGB und § 3 Abs. 4 AGG.
924. Dienstpflichtverletzende Handlungen gegenüber Frau Z4.
93a) Einladung in die Bar „KL."
94In der vom Beklagten eingerichteten und geleiteten Arbeitsgruppe habe sich die Tradition des „Feierabendbiers" etabliert. Regelmäßig hätten sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe Freitagabends im Büro des Beklagten getroffen, um mit mitgebrachten Getränken die Arbeitswoche ausklingen zu lassen. Frau Z4., geboren 0000, hatte im Oktober 2020 zum Wintersemester ihr Masterstudium an der Universität U. aufgenommen. Seit dem 10. April 2021 war sie zudem als wissenschaftliche Hilfskraft angestellt und der Arbeitsgruppe des Beklagten zugeordnet.
95Frau Z4. sei an einem Freitagabend im Oktober oder November 2020 zum „Feierabendbier" im Büro des Beklagten erschienen. Sie war an diesem Abend die einzig erschienene Teilnehmerin. Da sie sich in dieser Situation allein mit dem Beklagten unwohl gefühlt habe, habe sie zu ihm gesagt „Ich gehe dann wieder". Er habe allerdings vorgeschlagen, dass sie gemeinsam in die Bar „KL." in U. gehen könnten und er sie einladen würde. Sie habe sich zwar unwohl gefühlt, sei jedoch aus Höflichkeit auf den Vorschlag eingegangen. Sie seien anschließend gemeinsam in die Bar „KL." gegangen und hätten dort gemeinsam etwas getrunken, wobei er die Kosten übernommen habe.
96Durch die Einladung der Frau Z4. habe der Beklagte die vom ihm als Hochschullehrer zu beachtende professionelle Distanz nicht gewahrt. Es handele sich um eine Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
97b) Berührungen
98Der Beklagte habe Frau Z4. im Zeitraum zwischen Ende 2020 und August 2021 bei mehreren Besprechungen im A. wiederholt mit der Hand am Oberarm, an der Schulter und am Bein berührt.
99Das Verhalten erfülle den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 184 i StGB und § 3 Abs. 4 AGG.
100c) Berührung beim Mikroskopieren
101Anlässlich eines gemeinsamen Termins zum Mikroskopieren hätten der Beklagte und Frau Z4. am 24. Juni 2021 in seinem Büro vor dem Mikroskop gesessen. Als Frau Z4. durch das Mikroskop schauen wollte und dazu näher an das Gerät herangerollt sei, habe der Beklagte bewusst seine Beine schräg so in den Bereich unter dem Tisch gestreckt, dass es zu einem Kontakt mit den Beinen der Frau Z4. gekommen sei.
102Es handele sich um eine Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
103d) Griff in die Hose
104Der Beklagte habe sich bei einer Zusammenkunft mit Frau Z4. in seinem Büro im Juni oder Juli 2021 für mehrere Sekunden mit der Hand in seine Hose in den Genitalbereich gegriffen.
105Es handele sich um eine Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
106e) Unangemessene WhatsApp-Nachricht
107Der Beklagte habe Frau Z4. am 14. Februar 2021 per WhatsApp Grüße zum Valentinstag mit einem Eisblümchen geschickt mit folgendem Text: „Hab ein Eisblümchen für dich, an meinem Werkstattfenster im Gegenlicht :)“.
108Es handele sich um eine Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
1095. Dienstpflichtverletzende Handlungen gegenüber der Frau Z5.
110a) Treffen vor dem U.-Urlaub
111Der Beklagte und Frau Z5. trafen sich im Juli 2021 in seinem Büro. Anlass war eine bevorstehende U.-Reise der Frau Z5. Der Beklagte hatte angekündigt, dass er ihr wissenschaftliche Literatur zu U. geben wolle. Frau Z5., geboren 0000, war im Zeitpunkt des Gesprächs Studierende. Ab dem 1. August 2021 war sie außerdem als studentische Hilfskraft in der Arbeitsgruppe des Beklagten tätig. Während des Treffens betrachteten der Beklagte und Frau Z4. Satellitenbilder auf seinem Computer, der auf seinem Büroschreibtisch stand.
112Der Beklagte habe Frau Z4. gebeten, näher zu rutschen, da sie den Bildschirm von ihrem Sitzplatz nicht gut einsehen konnte. Während beide sodann die Bilder angesehen hätten, habe der Beklagte mit seinem linken Fuß gewippt und dabei mit der Fußspitze die rechte Wade der Frau Z5. berührt.
113Dann habe er ihr, die eine kurze Hose getragen habe, unvermittelt seine rechte Hand fest auf das linke Bein gelegt, etwa im unteren Bereich des Oberschenkels. Der Beklagte habe zunächst fest zugegriffen, dann die Hand gehoben und ein weiteres Mal zugegriffen. Sie sei von der Berührung entsetzt gewesen und zurückgezuckt. Der Beklagte habe daraufhin gelacht und gesagt „Oh, Entschuldigung".
114Das Verhalten erfülle den Tatbestand der sexuellen Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 AGG.
115b) Bar in N.
116Der Beklagte hatte im Zeitraum vom 30. August bis zum 4. September 2021 mit einigen Studierenden und Beschäftigten seiner Arbeitsgruppe, darunter Frau Z5., eine Exkursion nach V. durchgeführt. Am Abend des zweiten Tages, also am 31. August 2021, kehrte die Gruppe abends in einer Bar in N. ein, um dort zu Abend zu essen.
117Der Beklagte habe an einem Tisch der Frau Z5. gegenüber gesessen. Da es in der Bar sehr warm gewesen sei, habe Frau Z5. dazu angesetzt, sich den Pullover auszuziehen. Der Beklagte habe dies gesehen und gefragt, ob er ihr helfen könne. Noch während er die Frage gestellt habe, habe er über den Tisch nach dem Pullover gegriffen, den Frau Z5. bereits ein Stück nach oben genestelt hatte, um ihn sich über den Kopf zu ziehen. Dabei habe er sie zumindest am Pullover-Stoff berührt. Frau Z5. habe laut vernehmlich „Nein" gesagt. Der Beklagte habe daraufhin von ihr abgelassen.
118Es handele sich um eine Verletzung des Distanzgebotes (als Ausprägung der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).
1196. Fotoaufnahme bei Exkursion
120Am 16. September 2021 befand sich der Beklagte mit Studierenden und Beschäftigten seiner Arbeitsgruppe auf einer Exkursion in den WL. Während einer Mittagspause setzten sich mehrere Exkursionsteilnehmerinnen an den Straßenrand, um dort etwas zu essen.
121Der Beklagte habe auf der anderen Straßenseite gestanden und unvermittelt „Hey Girls" gerufen. Er habe von der Gruppe eine Fotoaufnahme angefertigt, die später in einen Ordner hochgeladen worden sei, in dem sie von Exkursionsteilnehmern betrachtet werden konnte.
122Es handele sich um einen Verstoß gegen § 22 KUG.
123Die Klägerin beantragt,
124den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.
125Der Beklagte beantragt,
126auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erkennen.
127Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor: Er habe kein Dienstvergehen begangen, das seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertige. Er müsse sich vorwerfen lassen, dass seine bisherige informelle Art des Umgangs, die des öfteren auch mit flüchtigen, nicht zielgerichteten Berührungen einhergegangen sei, nicht von allen Mitmenschen, insbesondere von Studierenden, als angenehm oder auch nur angemessen empfunden worden sei. Er müsse sich weiterhin vorwerfen lassen, dass er dies bislang übersehen habe. Seit Beginn des Verfahrens habe er ausreichend Gelegenheit gehabt, dieses Verhalten zu reflektieren, einzustellen und werde es in Zukunft unterlassen.
128In einem Teil der sechzehn gegen ihn erhobenen Vorwürfe sei bereits die Grenze zu einem dienstpflichtwidrigen Verhalten nicht überschritten. Die verbleibenden Vorwürfe, soweit sie sich als wahr erwiesen, erreichten kein derartiges disziplinarisches Gewicht, dass er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen wäre.
129Es bestehe weder ein grundsätzliches Verbot von Beziehungen zwischen Professoren und Studierenden noch ein Verbot des Versuchs der Anbahnung einer solchen Beziehung. Es könne zu Situationen kommen, in denen der Adressat einer Ablehnung die Signale missdeute, auch wenn er gewillt und bestrebt sei, persönliche Grenzen nicht zu verletzen. Er habe in der Vergangenheit dazu geneigt, für ablehnendes Verhalten unempfänglich zu sein, soweit es für ihn überhaupt erkennbar gewesen sei. Es sei niemals seine Absicht gewesen, an Studierenden gegen deren Willen sexuelle Handlungen vorzunehmen oder die Studierenden durch Druck zu von ihnen unerwünschtem Verhalten zu motivieren. Er bedauere im höchsten Maße, die in der Klageschrift benannten fünf Zeuginnen in eine Situation gebracht zu haben, in der sie sich einem solchen Druck ausgesetzt sahen.
130Der Beklagte hat am 13. März 2023 einen Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung gestellt. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend: Die vorläufige Diensthebung sei auszusetzen, da er kein Dienstvergehen begangen habe, das seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertige. Die vorläufige Dienstenthebung sei außerdem auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden. Die Ermittlungen seien abgeschlossen. Ein Aufeinandertreffen mit den Zeuginnen sei auch dann vermeidbar, wenn er den Dienst wieder aufnehme, zumal einige der Zeuginnen möglicherweise schon gar nicht mehr an der Universität studierten. Außerdem arbeite er in einem anderen Gebäude als die Zeuginnen.
131Die Disziplinarkammer hat mit Beschluss vom 24. August 2023 die durch Bescheid des Rektors der Klägerin vom 31. Oktober 2022 angeordnete vorläufige Dienstenthebung ausgesetzt (Verfahren 35 L 653/23). Auf die Beschwerde der Klägerin hat das OVG NRW mit Beschluss vom 16. Mai 2024 den angefochtenen Beschluss geändert und den Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung abgelehnt (31 B 999/23.O).
132Die Disziplinarkammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Frau Z1., der Frau Z2., der Frau Z3., der Frau Z4., der Frau Z5. und der Frau Z6. als Zeuginnen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
133Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte 35 L 653/23 sowie der beigezogenen Personal- und Disziplinarakten ergänzend Bezug genommen.
134Entscheidungsgründe:
135Die Disziplinarklage hat Erfolg.
136A. Die Disziplinarklage ist zulässig.
137Mängel der Klageschrift oder des behördlichen Disziplinarverfahrens, die einer Entscheidung der Disziplinarkammer in der Sache entgegenstehen würden, liegen nicht vor.
138I. Die Klageschrift entspricht den Vorgaben des § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW, denn sie stellt den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet dar. Den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts,
139vgl. etwa Beschlüsse vom 2. Mai 2024 – 2 B 24/23 –, juris, Rn. 9, und vom 9. Februar 2023 – 2 B 12.22 –, juris Rn. 8,
140an die inhaltliche Bestimmtheit der Klageschrift hat die Klägerin Rechnung getragen, denn diese schildert die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich, wodurch Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt werden und dem Beklagten ermöglicht wurde, sich gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht zu verteidigen.
141II. Das behördliche Disziplinarverfahren leidet nicht an die gerichtliche Entscheidung hindernden wesentlichen Mängeln im Sinne von § 54 LDG NRW.
142Die Disziplinarkammer lässt offen, ob der Beklagte im behördlichen Disziplinarverfahren nach § 24 Abs. 4 Satz 3 LDG NRW von der Teilnahme an der Vernehmung der Zeuginnen Z1., Z2., Z3., Z4. und Z5. ausgeschlossen werden durfte. Denn ein – unterstellter – Verfahrensmangel wäre unbeachtlich, da er im gerichtlichen Disziplinarverfahren geheilt werden kann.
143Vgl. Thüringer OVG, Urteil vom 21. März 2023 – 8 DO 837/20 –, juris, Rn. 91; VG Göttingen, Urteil vom 11. Oktober 2023 – 5 A 2/18 –, juris, Rn. 109; VG Magdeburg, Urteil vom 11. Mai 2023 - 15 A 3/23 MD -, juris, Rn. 21.
144Verstöße gegen das Recht auf Beweisteilhabe ziehen keine prozessualen Konsequenzen nach sich, wenn die Beweiserhebung vom Gericht im gerichtlichen Disziplinarverfahren durchgeführt worden ist. Dies ergibt sich aus der Pflicht der Gerichte zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung, die unabhängig von der Tätigkeit der Behörden besteht. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Es hat selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind.
145Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 2019 – 2 B 52/18 –, juris, Rn. 15; Beschluss vom 16. Februar 2010 – 2 B 62/09 –, juris, Rn. 11 (zu § 58 BDG).
146Der – etwaige – Verfahrensmangel wurde vorliegend geheilt, weil die Beweiserhebung vom Gericht durch Vernehmung der Zeuginnen in Anwesenheit des Beklagten und seiner Prozessbevollmächtigten durchgeführt worden ist und diese Gelegenheit hatten, Fragen an die Zeuginnen zu richten.
147Ein Verfahrensmangel liegt entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht darin begründet, dass sich die „AGG-Ermittlungen“ von Februar 2021 über 10 Monate bis zu seiner Anhörung im Dezember 2021 hingezogen hätten. Die Beschwerdeschrift wurde erst am 22. November 2021 eingereicht. Bereits ab dem 26. November 2021 erfolgten Webkonferenz-Gespräche der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten mit den Beschwerdeführerinnen. In der Folge erhielt der Beklagte Gelegenheit zur Stellungnahme. Nachdem die AGG-Beschwerdestelle die Ergebnisse in ihrem Abschlussbericht vom 17. Februar 2022 zusammengefasst und dem Rektor zugeleitet hatte, leitete dieser unmittelbar mit Verfügung vom 10. März 2022 das Disziplinarverfahren ein.
148B. Die Disziplinarklage ist begründet.
149I. Die Disziplinarkammer legt der disziplinarrechtlichen Beurteilung nach dem Inhalt der Akten und der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme die folgenden tatsächlichen Feststellungen zu Grunde:
1501. Dienstpflichtwidrige Handlungen gegenüber der Zeugin Z1.
151a) Kuss am 21. Dezember 2020
152Am 21. Dezember 2020 fand ein Treffen zwischen dem Beklagten und der Zeugin Z1. in seinem Büro im Institutsgebäude auf der AD. in U. statt. Der Beklagte hatte per WhatsApp-Chat angekündigt, dass er der Zeugin Z1. bei dem Treffen ein paar kleine Weihnachtsgeschenke wie Marmelade und Kekse schenken wolle. Die Zeugin Z1., geboren 0000, war zu diesem Zeitpunkt Master-Studentin und wissenschaftliche Hilfskraft in der Arbeitsgruppe des Beklagten. Am Ende der Zusammenkunft fragte der Beklagte die Zeugin Z1., ob er ihr „Frohe Weihnachten" wünsche dürfe. Nachdem sie dies in Erwartung einer „freundschaftlichen Umarmung“ bejaht hatte, zog der Beklagte die Zeugin Z1. unvermittelt fest an sich heran. Dabei drehte er den Kopf, küsste sie auf die Lippen und versuchte, seine Zunge in ihren Mund einzuführen. Da sie die Zähne geschlossen gehalten hatte, gelang es ihm nur, die Zunge bis zu ihren Zähnen vorzuschieben.
153Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Er ergibt sich zunächst aus der gerichtlichen Zeugenvernehmung der Zeugin Z1.. Sie hat den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Ihr glaubhafter Vortrag steht in Übereinstimmung mit ihrer ausführlichen Zeugenaussage im behördlichen Disziplinarverfahren am 30. Mai 2022 sowie im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 26. November 2021. Die Zeugin hat den Kern des Geschehens konsistent geschildert. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht auch, dass die Zeugin Z1. bei der gerichtlichen Zeugenvernehmung und im behördlichen Verfahren berichtet hat, sie habe sich im Verlauf des Abends mit zwei Freundinnen getroffen und sich ihnen offenbart. Die beiden Freundinnen, die Zeugin T. und die Zeugin G., haben dies in ihren jeweiligen Zeugenvernehmungen am 20. Juni 2022 bestätigt.
154Eine Belastungstendenz zu Lasten des Beklagten konnte das Gericht nicht feststellen.
155Die Disziplinarkammer hat zunächst wegen des seitens des Beklagten erhobenen Vorwurfs einer „Absprache“ der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer in den Blick genommen, dass die Zeugin Z1. die Beschwerdeschrift gemeinsam mit zahlreichen weiteren Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern in einem längeren Arbeitsprozess erstellt hat. Sie hat aber – ebenso wie die weiteren gehörten Zeuginnen – glaubhaft berichtet, dass jede Person nur die sie betreffenden Sachverhalte in die Beschwerdeschrift aufgenommen hat. Die Zusammenarbeit betraf lediglich die Gliederung und inhaltliche Darstellung.
156Es ist indes nicht zu verkennen, dass es der Zeugin Z1. weder im behördlichen noch im gerichtlichen Disziplinarverfahren gelungen ist, nachvollziehbar zu erklären, weshalb sie in der Beschwerdeschrift den (unzutreffenden) Vorwurf „he grabbed my face“ erhoben hat. Denn sie hat ausgesagt, dass jede betroffene Person aufgeschrieben hat, was sie persönlich erlebt hat. Zudem hat sie die Beschwerdeschrift eigenhändig unterschrieben und sich so den Inhalt und insbesondere den sie persönlich betreffenden Inhalt zu eigen gemacht.
157Die Disziplinarkammer ist auch der Frage nachgegangen, weshalb sich die Zeuginnen wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung i.S.d. § 184 i StGB nicht an die zuständige Polizei gewandt haben, sondern vielmehr in der Beschwerdeschrift ausdrücklich darum gebeten haben, dass die Universität selbst die Vorwürfe untersucht. Die Zeuginnen haben eindrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich hierzu nicht überwinden konnten. Dem standen bei den Zeuginnen Z1. und Z2. bereits die Sprachbarriere sowie fehlende Kenntnisse der Situation in Deutschland entgegen. Darüber hinaus haben die Zeuginnen der Disziplinarkammer überzeugend vermittelt, dass ihnen bereits das Offenbaren gegenüber der AGG-Beschwerdestelle als einer spezialisierten Beratungsstelle sehr schwer gefallen sei. Sie haben immer wieder auf das mehrfache Abhängigkeitsverhältnis zum Beklagten hingewiesen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es nur wenige Hochschulen in Deutschland mit dieser Studienausbildung gibt.
158Das Gericht hat darüber hinaus in den Blick genommen, dass die Zeugin Z1. in gewisser Weise zu Pauschalierungen und Übertreibungen zu neigen schien, was sich in der gerichtlichen Zeugenvernehmung etwa in ihren (pauschalen) Aussagen zeigte, der Beklagte habe sie „in den sozialen Medien“ gestalkt, wobei lediglich WhatsApp gemeint war, der Beklagte habe „eine Strategie, eine Beziehung vorzugeben, um andere berühren zu dürfen“, und die „ganze Universität“ habe über die Beziehung des Beklagten zu einer Studentin geredet. Auf Nachfragen des Gerichts hat sie diese Aussagen relativiert, jedoch den Kern der Vorwürfe glaubhaft dargelegt. Gewisse Ungereimtheiten im Randgeschehen dürften – jedenfalls zum Teil – der Sprachbarriere geschuldet gewesen sein.
159Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass der Vorfall mittlerweile bereits über vier Jahre zurückliegt, so dass gewisse Erinnerungsschwierigkeiten zu Detailfragen erklärbar sind.
160Die Disziplinarkammer hat schließlich auch in den Blick genommen, dass Frau Z6. in einem Bericht der Zeugin Z1. im Rahmen des Moduls „NV. II“ im Wintersemester 2020/21 ein Plagiat entdeckt hatte. Sie hat die Zeugin allerdings erstmalig am 20. Januar 2021 mit dem Vorwurf konfrontiert und damit deutlich nach dem Vorfall im Büro des Beklagten kurz vor Weihnachten 2020. Die Entscheidung über den Umgang mit dem Plagiatsvorwurf hat Frau Z6. im Abstimmung mit dem für das Modul verantwortlichen Professor getroffen. Der Beklagte war in diesen Vorgang nicht involviert und wurde erst am 14. Januar 2021 informiert. Dies konnte in der mündlichen Verhandlung geklärt werden und ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Eine Belastungstendenz der Zeugin Z1. gegenüber dem Beklagten kann vor diesem Hintergrund ebenfalls ausgeschlossen werden.
161Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin Z1. bestehen nicht.
162Nicht zuletzt hat der Beklagte den ihm vorgeworfenen Kuss zugegeben und sich in der mündlichen Verhandlung bei der Zeugin hierfür entschuldigt.
163(1) Der Beklagte hat die Zeugin Z1. durch die unvermittelte feste Umarmung und den (Zungen-)Kuss sexuell belästigt. Nach § 184i Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt […].
164Eine Berührung in sexuell bestimmter Weise ist zu bejahen, wenn sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt. Darüber hinaus können auch ambivalente Berührungen, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Dabei ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt; hierbei ist auch zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war.
165Vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 570/17 -, juris, Rn. 35 m.w.N.
166Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die unvermittelte feste Umarmung und der (Zungen-) Kuss stellen hiernach eine Berührung in sexuell bestimmter Weise dar, weil es einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lässt.
167Die Beklagte hat die Zeugin Z1. dadurch auch im Sinne von § 184i Abs. 1 StGB belästigt. Im Rahmen dieser Vorschrift reicht nicht jede Form von subjektiv empfundener Beeinträchtigung als tatbestandsrelevante Belästigung aus. Angesichts des Schutzguts der im 13. Abschnitt verorteten Strafnorm und ihrer amtlichen Überschrift muss es sich vielmehr gerade um eine „sexuelle Belästigung“ handeln, bei welcher die sexuelle Selbstbestimmung des Opfers tangiert ist.
168Vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2018 - 4 StR 570/17 -, juris, Rn. 39 m.w.N.
169Eine solche „sexuelle Belästigung“ liegt vor, da durch die unvermittelte feste Umarmung und den (Zungen-)Kuss die sexuelle Selbstbestimmung der Zeugin berührt und sie – wie sie dem Gericht eindrücklich berichtet hat – stark verstört und belastet war. Dies führte in der Folgezeit dazu, dass sie ab September 2021 für mehrere Monate nach N. gegangen ist, um Abstand vom Beklagten und der Universität U. zu gewinnen.
170(2) Das Verhalten stellt zugleich eine Dienstpflichtverletzung durch Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß §§ 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AGG dar, das gemäß § 24 Nr. 1 AGG auch auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse Anwendung findet.
171Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG -, juris, Rn. 52.
172Eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG – u. a. in Bezug auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG – liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
173Schutzgut des § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gewährleistet es, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden.
174Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG -, juris, Rn. 53 f.
175Eine Sexualbezogenheit von Handlungen kann sich aufgrund der mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben. Ob eine Handlung sexuell bestimmt ist, hängt damit nicht allein vom subjektiv erstrebten Ziel des Handelnden ab. Erforderlich ist auch nicht notwendig eine sexuelle Motivation des Täters. Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist vielmehr häufig Ausdruck von Hierarchien und Machtausübung und weniger von sexuell bestimmter Lust.
176Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2022 – 2 WD 14/21 –, juris, Rn. 48 ff. m.w.N.; BAG, Urteile vom 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20 –, juris, Rn. 24 m.w.N., und vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 –, juris, Rn. 19; OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG -, juris, Rn. 53 f.
177Gemessen an diesen Maßstäben liegen in der unvermittelten festen Umarmung und dem (Zungen-)Kuss ein sexuell bestimmtes Verhalten im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG vor. Eine intime Umarmung und ein (Zungen-)Kuss sind sexuell bestimmte körperliche Berührungen, weil sie einen Sexualbezug bereits objektiv, also allein gemessen an dem äußeren Erscheinungsbild, erkennen lassen. Sie haben wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung auch eine Verletzung der Würde der Zeugin bewirkt.
178(3) Nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG muss das Verhalten eines Beamten innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert (sog. Wohlverhaltenspflicht).
179Die Verpflichtung zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten ist amtsbezogen, wird also durch die Anforderungen des dem Beamten verliehenen Statusamts geprägt. Beamte in Führungsämtern haben ihr Verhalten an der mit dem ihnen verliehenen Amt verbundenen Vorbildfunktion und der Vertrauensstellung als Vorgesetzte auszurichten. Gegenüber den ihnen unterstellten Mitarbeitern sind sie zu einem respektvollen Umgang und zur Achtung der Privat- und Intimsphäre verpflichtet. Sexuelle Belästigungen durch Vorgesetzte unter Ausnutzung ihrer überlegenen beruflichen Stellung sind regelmäßig ein schweres Dienstvergehen.
180Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2024 – 2 A 7/23 –, juris, Rn. 24 mit Anmerkung von der Weiden, jurisPR-BVerwG 17/2024 Anm. 4; Urteil vom 28. September 2022 - 2 A 17.21 -, juris, Rn. 101 m.w.N.; Urteil vom 26. Juni 2014 – 2 A 1/12 –, juris, Rn. 42; OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG -, juris, Rn. 49.
181Nach diesen Maßgaben stellen die unvermittelte feste Umarmung und der (Zungen-)Kuss eine Dienstpflichtverletzung wegen Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar. Der Beklagte als Hochschullehrer hat im Verhältnis zu der in seiner Arbeitsgruppe als Wissenschaftliche Hilfskraft beschäftigten Zeugin die erforderliche Distanz vermissen lassen und sie in ihrer Privat- bzw. Intimsphäre verletzt.
182Der Beklagte handelte vorsätzlich und schuldhaft, insbesondere bestand zur Überzeugung des Gerichts zwischen dem Beklagten und der Zeugin Z1. keine Beziehung, die ein solches Verhalten rechtfertigen könnte.
183Die Disziplinarkammer hat dabei in den Blick genommen, dass es die Ermittlungsführer im Ermittlungsbericht durchaus für denkbar hielten, dass die Zusammenkunft am 21. Dezember 2020 einen „flirtiven Charakter“ gehabt habe, etwa durch die bewundernden Bemerkungen des Beklagten zur Kleidung der Zeugin oder durch die Verabredung zu dem Treffen, das offensichtlich keinen direkten dienstlichen Bezug hatte, sondern zum Kaffeetrinken und zur Übergabe kleiner Weihnachtspräsente genutzt werden sollte. Auch das Verhalten der Zeugin im Vorfeld möge – so die Ermittlungsführer – dazu beigetragen haben, dass bei dem Beklagten der Eindruck entstanden sei, dass die Zeugin einem Treffen mit „flirtivem Charakter“ nicht abgeneigt war. Sie habe selbst bekundet, dass sie keinen bestimmten Grund gehabt habe, zu dem Treffen zu gehen. Ihr sei zudem bewusst gewesen, dass der Beklagte ihr Marmelade und Kekse schenken wollte. Der Tonfall im vorangegangenen WhatsApp-Chat sei vertraut gewesen, und die Initiative wiederholt von der Zeugin ausgegangen, etwa durch die Nachrichten „I will come visiting you again for chatting when you are not too busy.“ oder „Have a good Sunday, professor! [smiley].“
184Es ist aber auch vor diesem Hintergrund unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich, dass der Beklagte davon ausgehen durfte, dass die Zeugin in dieser Situation mit einer unvermittelten intimen Umarmung und einem (Zungen-)Kuss einverstanden sein könnte. Es bedarf im beruflichen Umgang besonderer Sensibilität und Rücksichtnahme im Hinblick auf die erforderliche Distanz. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das zwischen einem Hochschullehrer und einer Wissenschaftlichen Hilfskraft bestehende Abhängigkeitsverhältnis, das eine besondere Zurückhaltung erfordert.
185Vgl. zur Vorbildfunktion von Beamten in Führungsämtern und ihrer (besonderen) Vertrauensstellung BVerwG, Urteil vom 28. September 2022 – 2 A 17/21 –, juris; Rn. 99 ff.; OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG -, juris, Rn. 49.
186Der Beklagte hat seinen Vortrag, er habe mit der Zeugin Z1. eine über das zwischen Hochschullehrer und Wissenschaftlicher Hilfskraft bestehende Arbeitsverhältnis hinaus eine „romantische Beziehung“ im Sinne einer näheren (privaten) Bekanntschaft geführt, in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht mehr aufrechterhalten.
187Die Disziplinarkammer hat schließlich auch in den Blick genommen, dass der Beklagte am Abend des 21. Dezember 2020 folgende WhatsApp-Nachricht an die Zeugin schickte: „Dear N., now I have a bit of peace. It was so nice with you today, thank you and you were and looked lovely. When is your flight leaving tomorrow? Cheers, Z.". Der Beklagte konnte auf Nachfrage nicht erläutern, was er mit der - sinngemäßen - Aussage, nun habe er „ein wenig Frieden“ gefunden, zum Ausdruck bringen wollte.
188Die intime Umarmung und der (Zungen-)Kuss stellen hiernach eine sexuelle Belästigung gemäß § 184i Abs. 1 StGB und einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß §§ 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AGG sowie einen vorsätzlichen und schuldhaften Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG dar.
189b) Berührung am Bein im Mai/Juni 2021
190Im Zeitraum Mai/Juni 2021 fand ein weiteres Treffen des Beklagten mit der Zeugin Z1. statt, in dem es um einen wegen der Kuss-Situation im Dezember 2020 beabsichtigten Wechsel in der Betreuung ihrer Masterarbeit ging. Im Verlauf des Gesprächs legte der Beklagte seine rechte Hand fest auf den linken Oberschenkel der Zeugin Z1.. Dabei fragte er, ob zwischen ihnen „alles in Ordnung“ sei.
191Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts fest. Er ergibt sich zunächst aus der gerichtlichen Zeugenvernehmung der Zeugin Z1.. Sie hat anschaulich und nachvollziehbar berichtet, dass der Beklagte seine Hand fest auf ihren Oberschenkel gelegt hat. Ihr Vortrag steht auch in Übereinstimmung mit ihrer ausführlichen Zeugenaussage im behördlichen Disziplinarverfahren am 30. Mai 2022. Soweit im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle am 26. November 2021 die Rede davon ist, das Gespräch habe „ungefähr einen Monat nach diesem Vorfall“ stattgefunden, dürfte es sich um eine Verwechslung der beiden Gespräche handeln. Die Zeugin hat auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts angegeben, es sei das Gespräch im Mai/Juni 2021 gewesen. Der Beklagte hat dies auch nicht in Abrede gestellt.
192Der Beklagte hat eine „Berührung“ am Bein der Zeugin eingeräumt. Soweit er anmerkt, die Art und Weise sei nicht genau nachgewiesen, denn es habe sich aus seiner Sicht um ein freundschaftliches „Tätscheln" ohne sexuelle Konnotation gehandelt, eben verbunden mit der Frage, ob alles in Ordnung sei, ist dies durch die Beweisaufnahme in gegenteiliger Hinsicht geklärt.
193Dass der Beklagte dabei eine ihm mit der Disziplinarklage vorgeworfene „reibende Handbewegung“ gemacht hat, die mit der Frage, ob zwischen ihnen alles in Ordnung sei, zu vereinbaren wäre, konnte das Gericht nicht feststellen. Vor diesem Hintergrund geht die Disziplinarkammer nach dem unmittelbaren Eindruck der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) davon aus, dass ein objektiver Betrachter die dargestellte Berührung auch als vertrauliche, tröstliche Geste – ohne sexuellen Bezug – hätte auffassen können. Zwar hat die Zeugin nach dem Kuss am 21. Dezember 2020 am folgenden Tag nicht mehr auf die Nachrichten des Beklagten geantwortet, was ihn zu der Frage veranlasst hatte: „Hi, how are you? Did I offend you or are you just too busy to see my messages? [smiley]. Auch hierauf antwortete die Zeugin indes nicht. Erst am Neujahrstag wünschte sie dem Beklagten und seiner Familie ein gutes Neues Jahr, ohne allerdings dessen Frage zu beantworten. Dies lag jedoch zum Zeitpunkt des Treffens bereits ein halbes Jahr zurück. Zwischenzeitlich hatte die Zeugin mit dem Beklagten wegen der Vertragsverlängerung auch telefoniert.
194Es stellt eine sexuelle Belästigung (§ 184i Abs. 1 StGB) durch einen unzulässigen Eingriff in die Privat- und Intimsphäre der Zeugin Z1. dar, dass der Beklagte seine Hand fest auf den Oberschenkel der Zeugin Z1. gelegt hat. Ein derartiger Zugriff auf eine Körperregion in unmittelbarer Nähe der erogenen Zonen einer Frau weist bei objektiver Betrachtung einen Bezug auf das Geschlechtliche auf. Dieser wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Handelnde dabei fragt, ob zwischen ihnen „alles in Ordnung“ sei. Der Griff bewirkte einen nachhaltigen Eingriff in die körperliche Sphäre und Würde der Zeugin.
195Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 18.
196Dies galt bei der Zeugin insbesondere auch deshalb, weil der Beklagte zu diesem Zeitpunkt durch das Gespräch mit der Zeugin bereits wusste, dass der Kuss sie verstört hatte und sie aus diesem Grund einen Betreuerwechsel anstrebte.
197Zugleich liegt – aus den oben dargelegten Gründen – eine Dienstpflichtverletzung durch Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß §§ 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AGG vor.
198Ein Hochschullehrer hat jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren. Ein vorsätzlicher und damit schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt ebenfalls vor.
199c) Versendung unangemessener WhatsApp-Nachrichten
200Der Beklagte verfügte über die privaten Handy-Nummern zahlreicher Studierender und Mitarbeiter am A.. Hintergrund war die Einrichtung der so genannten „Schlüssel-Gruppe": Um während der Corona-Pandemie den Zutritt zum Institutsgebäude zu regeln, hatte sich der Beklagte die Nummern geben lassen, so dass sich alle untereinander unkompliziert austauschen und die Türöffnung bei Bedarf kurzfristig organisieren konnten. Dem Beklagten wird vorgeworfen, er habe die Nummern „häufig zweckwidrig dazu genutzt, sich mit Studierenden und Beschäftigten über rein private Themen auszutauschen“.
201Die Disziplinarkammer lässt ausdrücklich offen, ob es – wie die Klägerin meint – bereits grundsätzlich mit der Pflicht eines verbeamteten Hochschullehrers, jederzeit eine professionelle Distanz zu den ihm unterstellten Studierenden und Beschäftigten zu wahren, nicht vereinbar ist, eine ihm (zunächst) für dienstliche Zwecke überlassene Telefonnummer „für rein privat veranlasste Kontaktaufnahmen und Anfragen“ zu nutzen.
202Es ist für die Disziplinarkammer im Ansatz durchaus nachvollziehbar, dass der Beklagte als Arbeitsgruppenleiter und Vorgesetzter in der Corona-Pandemie über WhatsApp den (niedrigschwelligen) Kontakt zu Studierenden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über WhatsApp aufrecht zu erhalten versuchte. Es bedurfte in dieser Zeit vermehrt digitaler Kommunikation, um berufliche Kontakte zu pflegen und den beruflichen Ablauf zu organisieren.
203Zudem ist vorliegend jedenfalls auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte einige der Beschwerdeführerinnen bereits über einen längeren Zeitraum kannte und mit ihnen privaten Kontakt – auch über WhatsApp – pflegte. So kannte der Beklagte etwa die Zeugin Z2. bereits seit Sommer 2017. Sie war zum Jahresabschluss. 2019 privat zu Gast in der Familie des Beklagten und seit Mai 2019 im Rahmen eines […]-Fellowships in der Arbeitsgruppe des Beklagten tätig. Des Weiteren kannte der Beklagte auch die Zeugin Z1. bereits seit ihrer Immatrikulation im Herbst 2018, die dann ab April 2020 als Wissenschaftliche Hilfskraft beschäftigt war.
204Die Ermittlungsführer weisen im Ermittlungsbericht in diesem Zusammenhang selbst zutreffend darauf hin, dass die Zeugin Z1. anfangs auf den vertrauten, freundschaftlich wirkenden Umgangston in den Nachrichten eingegangen sei, so etwa bei der Nachricht „Gute Nacht, Herr Professor“. Sie habe hier durch den Gruß das getan, was dem Beklagten als Pflichtverletzung vorgeworfen werde. Sie habe zum Austausch über private Themen beigetragen und auf diese Weise Reaktionen des Beklagten hervorgerufen. Es sei jedenfalls in der Zeit vor dem 21. Dezember 2020 nicht aus dem Chat ersichtlich, dass der Zeugin die Nachrichten des Beklagten unangenehm gewesen seien.
205Dem Beklagten wird als Dienstpflichtverletzung konkret zur Last gelegt, dass er der Zeugin Z1. am 20. und am 21. Dezember 2020 sowie am 14. Februar 2021 Nachrichten verbunden mit Herzchen-Kuss-Emojis sowie einen Gute-Nacht-Gruß geschickt habe.
206(1) Nachricht vom 20. Dezember 2021 mit Herzchen-Kuss-Emoji
207Dem Beklagten wird vorgeworfen, am 20. Dezember 2021 folgende Nachricht an die Zeugin Z1. geschickt zu haben: „Thank you [Herzchen--Emoji] for the professor;).
208Diese Nachricht ist nicht als Dienstpflichtverletzung wegen Verletzung der Wohlverhaltenspflicht zu werten. Denn diese Nachricht ist im Kontext der zuvor von der Zeugin verfassten Nachricht zu sehen: Nach umfangreichen Chats am 18. und 19. Dezember 2021 schrieb die Zeugin am 20. Dezember 2021: „Ohhhh thank you And sorry I felt asleep yesterday night.“ „Have a good Sunday, Professor!“ [smiley]. Daraufhin schrieb der Beklagte: „Thank you [Herzchen-Kuss-Emoji] for the professor ;) […]
209In diesem „vertrauten“ privaten Chat ist die Nachricht mit dem Emoji als ironische Antwort zu verstehen, nicht hingegen in einem sexuellen oder sonst unangemessenen Kontext.
210(2) Nachricht vom 21. Dezember 2021 mit Herzchen-Kuss-Emoji und Gute-Nacht-Gruß
211Dem Beklagten wird vorgeworfen, am Abend des 21. Dezember 2020 folgende Nachrichten an die Zeugin Z1. geschickt zu haben:
212„Did you have a nice Xmas cookie part? I will do some more tonight :), have to go get some ingredients, [Herzchen-Kuss-Emoji]
213„Dear N., now I have a bit of peace [smiley]. It was so nice with you today, thank you [smiley]. And you were and looked lovely. [smiley]". When is your flight leaving tomorrow? Cheers, Z.“
214„Good night :)“.
215(3) Nachricht vom 14. Februar 2021 mit Herzchen-Kuss-Emoji
216Dem Beklagten wird vorgeworfen, am Valentinstag (14. Februar 2021) folgende Nachricht an die Zeugin Z1. geschickt zu haben: „Oh, and of course, Happy Valentine´s Day“ [Herzchen-Kuss-Emoji].
217Der Beklagte trägt hierzu vor, nicht jeder private Bezug in Nachrichten stelle eine Dienstpflichtverletzung dar. Emojis würden heute in WhatsApp-Konversationen nahezu automatisch und floskelhaft verwendet, so dass nicht jeder private Bezug in Nachrichten eine Dienstpflichtverletzung darstelle.
218Nach der unvermittelten intimen Umarmung und dem Kuss am 21. Dezember 2020 ist nach Auffassung der Disziplinarkammer die darauf folgende Versendung der Nachrichten am 21. Dezember 2020 mit Gute-Nacht-Gruß sowie zum Valentinstag am 14. Februar 2021 verbunden mit Herzchen-Kuss-Emojis unangemessen und mit der Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG nicht zu vereinbaren. Ein vorsätzlicher und damit schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt vor.
219Dass es dem Beklagten mit dem Versenden von Nachrichten mit Herzchen-Kuss-Emojis darüber hinaus – so der Vorwurf – gerade auf eine körperliche Befriedigung seiner Bedürfnisse ankam, konnte das Gericht nicht feststellen.
220Der festgestellte Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht überschreitet die Schwelle der disziplinarrechtlichen Erheblichkeit. Dabei setzt ein disziplinarrechtlich relevanter Vorwurf hinreichendes Gewicht und hinreichende Evidenz voraus. Andernfalls überschreitet er nicht die Hürde einer Dienstpflichtverletzung und ist disziplinarrechtlich nicht von Bedeutung (sog. Bagatellverfehlung).
221Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 2005 – 1 D 1.04 –, juris, Rn. 97, und vom 19. Oktober 2005 – 1 D 14.04 –, juris, Rn. 45 ff.; OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2021 – 3d A 4887/18.O –, juris, Rn. 139.
222Hier spricht für eine disziplinarrechtliche Relevanz der Wohlverhaltenspflichtverletzung bereits der zeitliche und inhaltliche Kontext zu den vorangegangenen Pflichtverletzungen. Hinzu kommt die – bereits erwähnte – WhatsApp-Nachricht an die Zeugin am Abend des 21. Dezember 2020: „Dear N., now I have a bit of peace. It was so nice with you today, thank you and you were and looked lovely. […]“.
2232. Dienstpflichtwidrige Handlungen gegenüber der Zeugin Z2.
224a) Beidhändiger Griff auf die Oberschenkel beim Treffen am 29. Januar 2021
225Der Beklagte traf sich am 29. Januar 2021 in seinem Büro mit seiner Mitarbeiterin, der Zeugin Z2., um gemeinsam Probenmaterial unter dem Mikroskop zu untersuchen. Die im Jahr 0000 geborene Zeugin Z2. war zu dem Zeitpunkt als wissenschaftliche Mitarbeiterin Mitglied der Arbeitsgruppe des Beklagten. Die Zeugin Z2. und der Beklagte saßen beide diagonal vor dem Mikroskopiertisch. Die Zeugin Z2. machte sich gerade einige Notizen, als der Beklagte ihr unvermittelt mit beiden Händen für mehrere Sekunden fest auf beide Oberschenkel im oberen Bereich griff. Dabei beugte er sich in ihre Richtung vor und kam ihr so auch mit seinem Gesicht sehr nahe. Er sprach in diesem Moment von der guten Qualität der gewonnenen Forschungsdaten. Die Zeugin Z2. war von der Berührung geschockt und wie gelähmt.
226Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte unvermittelt mit beiden Händen für mehrere Sekunden fest auf beide Oberschenkel der Zeugin Z2. im oberen Bereich griff, sich dabei in ihre Richtung vorbeugte und ihr so auch mit seinem Gesicht sehr nahe kam. Dies ergibt sich zunächst aus der gerichtlichen Zeugenvernehmung der Zeugin Z2.. Sie hat den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten ausführlich und nachvollziehbar geschildert.
227Sie konnte der Disziplinarkammer – auch anhand einer Skizze – anschaulich vermitteln, wie sie rechts neben dem Beklagten saß, dieser mit seinem Bürostuhl auf sie zurollte und sich mit einer schwungvollen Bewegung aufrichtete, um dann beide Hände auf ihre beiden Oberschenkel zu legen. Entsprechende Nachfragen des Gerichts konnte die Zeugin überzeugend beantworten. Die Aussage der Zeugin steht auch in Übereinstimmung mit ihren Gesten, mit denen sie der Disziplinarkammer vermittelt hat, wie und wo der Beklagte auf ihre Schenkel gegriffen hat. Dies wird dadurch bestätigt, dass die Zeugin im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 26. November 2021 ausweislich des Protokolls aussagte: „Ich weiß nicht, aber auf einmal waren seine Hände mit viel Druck sehr weit oben auf meinen Oberschenkeln“. Sie legte zur Verdeutlichung ihre Hände ca. 2-4 cm unterhalb des Schritts auf ihre Oberschenkel. Finger und Daumen umgriffen dabei die obere Seite des Oberschenkels, der Daumen zur einen Seite gestreckt und die anderen Finger zur anderen Seite gestreckt. Soweit es im Protokoll der Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren am 25. Mai 2022 heißt, der Beklagte habe „meinen Oberschenkel gepackt“, ist dies nach der glaubhaften Aussage der Zeugin in der mündlichen Verhandlung seinerzeit entweder falsch verstanden oder falsch protokolliert worden.
228Der Beklagte räumt ein, die Zeugin Z2. am Bein berührt zu haben. Sie hätten im Labor nahe beieinander gesessen und die Freude über die Forschungsergebnisse habe dazu geführte, dass er eine Hand oder beide Hände kurz auf den Schenkel der Zeugin legte. Dies ist durch die Beweisaufnahme zur Überzeugung der Disziplinarkammer dahingehend geklärt, dass der Beklagte beide Hände fest auf beide Oberschenkel im oberen Bereich legte.
229Darüber hinaus steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte sich dabei in ihre Richtung vorbeugte und ihr so auch mit seinem Gesicht sehr nahe kam. Die Zeugin hat dies glaubhaft geschildert. Soweit der Beklagte vorbringt, er habe dabei nicht den Eindruck gehabt, Grenzen der Zeugin verletzt zu haben und erinnere sich weiterhin auch nicht daran, dass er sein Gesicht mit irgendeinem Plan im Hinterkopf an das Gesicht der Zeugin herangebracht habe, führt dies nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu keiner anderen Bewertung.
230Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen nicht.
231Der feste Griff mit beiden Händen auf den oberen Bereich der Oberschenkel stellt eine sexuelle Belästigung i.S.d. § 184i Abs. 1 StGB dar. Eine sexuelle Belästigung liegt vor, weil ein derartiger Zugriff auf eine Körperregion in unmittelbarer Nähe der erogenen Zonen einer Frau bei objektiver Betrachtung einen Bezug auf das Geschlechtliche aufweist. Dieser wird nicht dadurch aufgehoben, dass der Handelnde gleichzeitig Freude über von dem Körperkontakt unabhängige Tatsachen wie die Qualität von Forschungsergebnissen oder ähnliches verlautbart. Es ist kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, eine derartige Gefühlsäußerung mit einem Griff gerade an die Oberschenkel einer sich in der Nähe befindenden Frau zum Ausdruck zu bringen. Den Angaben der Zeugin zufolge war sie durch diese intensive Berührung erschüttert. Diese bewirkte einen nachhaltigen Eingriff in ihre körperliche Sphäre und ihre Würde.
232Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 18.
233Zugleich liegt – aus den oben dargelegten Gründen – eine Dienstpflichtverletzung durch Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß §§ 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AGG vor.
234Schließlich liegt in dem festen Griff mit beiden Händen auf den oberen Bereich der Oberschenkel der Zeugin – auch unter Berücksichtigung spontaner Freude – ebenso wie in dem unangemessenen Nahekommen ein unzulässiger Eingriff in die Privat- und Intimsphäre der Zeugin. Ein Hochschullehrer hat jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren. Die von der Zeugin glaubhaft geschilderte Nähe war - auch unter Berücksichtigung der langjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit und der Nähe über dem Mikroskop - unangemessen.
235Ein vorsätzlicher und damit schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt ebenfalls vor.
236Nur ergänzend weist die Disziplinarkammer darauf hin, dass ein etwaiger Verstoß gegen die damals bestehende Maskenpflicht (Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes) nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens ist.
237b) Zurollen mit einem Bürostuhl
238Am 1. oder 2. Februar 2021 traf sich der Beklagte erneut mit der Zeugin Z2. in seinem Büro, um die Diskussion und Sichtung der Datenproben fortzusetzen. Die Zeugin war wegen des Vorfalls vom 29. Januar 2021 sehr nervös und darauf bedacht, Abstand vom Beklagten zu halten. Im Verlauf des Treffens rollte der Beklagte unvermittelt mit seinem Bürostuhl auf sie zu, woraufhin sie mit ihrem Bürostuhl vom Beklagten weg nach hinten rollte, um Abstand zu halten. Der Beklagte rollte weiterhin auf sie zu und lachte. Die Zeugin rollte weiter zurück bis fast an die rückseitige Wand, bis der Beklagte anhielt. Ob er dabei sinngemäß: „Don't be shy" oder „Don´t be afraid“ sagte, konnte nicht mehr geklärt werden.
239Der Beklagte trägt vor, er sei sich nicht darüber im Klaren gewesen, dass die Zeugin unter dem Eindruck gestanden habe, er würde eine unangemessene Nähe zu ihr suchen. In dem „Zurollen mit dem Bürostuhl", das er nicht ausschließe, liege indes keine Dienstpflichtverletzung, sondern ein sozialadäquates Verhalten. Er habe davon ausgehen dürfen, dass die Zeugin Z2. ihn ansonsten auch darauf hingewiesen hätte. Denn einerseits seien sie näher miteinander bekannt gewesen und andererseits sei die Zeugin zum Zeitpunkt der Vorfälle bereits Anfang 40 gewesen und habe auf ihn souverän und auch in den geschilderten Situationen keinesfalls verstört gewirkt.
240Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte ohne Grund mit seinem Bürostuhl auf die Zeugin zurollte und sie zur rückseitigen Wand drängte. Dies ergibt sich aus der gerichtlichen Zeugenvernehmung. Die Zeugin Z2. schilderte anschaulich und glaubhaft die Situation im Büro des Beklagten. Es ist für das Gericht unmittelbar nachvollziehbar, dass sie wegen des erst wenige Tage zurückliegenden Vorfalls, als ihr der Beklagte mit beiden Händen auf die Oberschenkel gefasst hatte, nervös und auf Abstand bedacht war. Der geschilderte Sachverhalt steht auch in Übereinstimmung mit dem Inhalt der Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren am 25. Mai 2022 sowie der Aussage im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 26. November 2021. Der Beklagte hat den geschilderten Sachverhalt in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt.
241Der Beklagte hat mit dem „Zurollen mit dem Bürostuhl" – unabhängig von dem Vorfall vom 29. Januar 2021 – den angemessenen Abstand zur Zeugin unterschritten und sie damit jedenfalls in räumlicher Hinsicht bedrängt. Ob der Beklagte während des Zurollens „Don't be shy" („Sei nicht so schüchtern") zur Zeugin gesagt hat, oder „Don't be afraid" („Hab keine Angst"), dies mit Blick auf die Sorge der Zeugin vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, ist unerheblich. In keinem Fall hätte dies dem Beklagten das Recht gegeben, in dieser Weise auf die Zeugin zuzurollen. Durch ihr Zurückweichen hat die Zeugin – sei es aus Sorge vor einer Corona-Ansteckung oder aus sonstigen Gründen – klar zum Ausdruck gebracht, dass sie die Einhaltung eines größeren Abstands wünschte.
242Auch insoweit gilt deshalb, dass ein Hochschullehrer jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren hat. Dabei verkennt die Disziplinarkammer nicht, dass das Nähe-Distanz-Bedürfnis individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Allerdings musste der Beklagte insbesondere vor dem Hintergrund seines Verhaltens und der Reaktion der Zeugin wenige Tage zuvor sowie wegen des Wegrollens der Zeugin erkennen, dass die Zeugin die Wahrung einer angemessenen Distanz wünschte.
243Der Beklagte hat vorsätzlich und schuldhaft gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verstoßen.
2443. Dienstpflichtverletzende Handlungen gegenüber der Zeugin Z3.
245a) „Einklemmen“ mit einer Metallstange
246Die Zeugin Z3., geboren 0000 und zum fraglichen Zeitpunkt Studierende am A., war an einem Tag im Zeitraum vom 9. bis zum 23. Februar 2021 im Keller des Instituts. Sie hatte eine Metallstange aus der Werkstatt geholt, an der ein FL. befestigt werden sollte. Der Beklagte kam an einem Tag im genannten Zeitraum dazu, um die vorgesehene Ausrichtung zu besprechen. Die Zeugin Z3. stand vor dem im Raum befindlichen Arbeitstisch und hielt die Stange mit beiden Händen vor ihrer Brust. Der körperlich weit größere Beklagte stellte sich dicht hinter sie und ergriff um sie herum mit beiden Händen ebenfalls die Stange. Dabei trat er so dicht an die Zeugin heran, dass er mit der Vorderseite seines Körpers den Rücken sowie den Gesäßbereich der Zeugin Z3. berührte. Obwohl sie sinngemäß äußerte, er möge sie doch mal eben raus lassen, bewegte er sich nicht. Stattdessen musste die Zeugin sich unter seinen Armen hinweg nach links unten ducken, um sich aus ihrer bedrängten Situation zu befreien.
247Der Beklagte hat den Sachverhalt in seiner Klageerwiderung im Wesentlichen eingeräumt. Er trägt vor, er habe die Zeugin niemals „zwischen sich und dem Labortisch fixiert" und sie dann berührt. Es habe vielmehr eine Situation gegeben, in welcher die Zeugin und er hintereinander gestanden hätten. Die Zeugin habe durch das Anheben einer Metallstange angedeutet, wie ein V. aufgehängt und montiert werden sollte. Der Umgang mit Knochen bedürfe indes der Anleitung. Er habe deshalb über die Schultern der Zeugin gegriffen und habe so die Stange übernommen, um deren Positionierung zu korrigieren. Da er dabei hinter der Zeugin gestanden habe, könne er nicht vollständig ausschließen, sie in irgendeiner Weise berührt zu haben. Er schließe aber jegliches bewusste und gewollte Berühren, gar mit sexueller Absicht, aus.
248Es steht nach dem Ergebnis der gerichtlichen Zeugenvernehmung zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte von hinten nahe an die Zeugin herantrat, mit beiden Händen um die Zeugin herum vor deren Brust die Metallstange ergriff und dabei mit seiner Körpervorderseite die Zeugin berührte. Die Zeugin hat das Geschehen anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Sie hat glaubhaft ausgesagt, sie habe seinen Atem in ihrem Nacken gespürt. Ihre Aussage steht auch in Übereinstimmung mit ihren Angaben in der Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren am 31. Mai 2022. Bereits im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 26. November 2021 hat sie angegeben, er habe „sehr dicht hinter ihr gestanden“.
249Die Disziplinarkammer ist auch davon überzeugt, dass der Beklagte die Zeugin nicht nur „flüchtig berührt“ hat, sondern ihr mit seiner Körpervorderseite so nahe gekommen ist, dass er die Zeugin mit seiner Körpervorderseite berührte und sie durch das Umgreifen der Metallstange fixierte oder „einklemmte“.
250Die Disziplinarkammer nimmt in den Blick, dass es nach dem Vortrag des Beklagten aus seiner fachlichen Sicht erforderlich war, dass er die Metallstange gemeinsam mit der Zeugin hielt, um die korrekte Position der Stange zu ermitteln. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war es indes unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich, dass der Beklagte der Zeugin so nahe kam und sie mit der Metallstange „einklemmte“. Denn die Metallstange war ausgesprochen leicht. Die Zeugin hat glaubhaft geschildert, dass sie die Stange alleine aus der nahegelegene Werkstatt abgeholt und in den Keller getragen habe. Der Beklagte hätte mithin nur die Zeugin bitten müssen, die Metallstange auf dem vor ihr stehenden Arbeitstisch wieder abzulegen und zur Seite zu treten, damit er alleine die Metallstange ergreifen und in die von ihm gewünschte Position hätte bringen können. Das Gericht hat die von den Beteiligten vorgelegten und zur Gerichtsakte genommenen Farbfotos in Augenschein genommen und sich mit den glaubhaften Angaben der Zeugin ein eingehendes Bild von dem Laborraum mit dem Arbeitstisch und dem darauf stehenden V. gemacht. Die geäußerte Sorge, das auf dem Arbeitstisch stehende V. könne zu Schaden kommen, hat sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als unbegründet herausgestellt.
251Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen nicht.
252b) Umarmung im Kellergeschoss
253Der Beklagte traf die Zeugin Z3. am 23. Februar 2021 im Kellergeschoss des A., um mit ihr über den Fortgang eines Projekts zu sprechen. Zum Ende des Treffens wollte er sich von ihr verabschieden. Er breitete seine Arme aus, um ihr zu signalisieren, dass er sie gern zum Abschied umarmen wolle. Die Zeugin fühlte sich angesichts dieses Ansinnens zwar nicht wohl, wollte aber den Wunsch aus Höflichkeit auch nicht zurückweisen. In Erwartung einer „kollegialen Umarmung“ und um es „hinter sich zu bringen“, ließ sie daher eine Umarmung zu. Entgegen ihrer Erwartung umarmte der Beklagte sie auf eine von ihr nicht erwartete intime Weise. Er zog sie so fest an sich heran, dass sie seine Genitalien spüren konnte. Zusätzlich wiegte er sie hin und her. Sie versuchte, sich nach hinten zu beugen, um Distanz zwischen sich und ihn zu bringen. Obwohl sie sinngemäß äußerte, es reiche jetzt, ließ er sie noch nicht los. Ihr gelang es schließlich, sich von ihm wegzudrücken und sich so aus dessen Umarmung zu befreien.
254Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung der Disziplinarkammer fest. Der Beklagte räumt ein, die Zeugin umarmt zu haben, allerdings nicht in der behaupteten Intensität. Er habe sich nicht an sie gepresst und die Umarmung sei nicht sexuell motiviert gewesen.
255Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Beklagte die Zeugin bei der Umarmung fest an sich gezogen und hat sie „gewiegt“. Die Zeugin hat glaubhaft berichtet, dass er sie fest an sich gezogen hat. Sie hat die Situation eindringlich mit zahlreichen Details geschildert. Sie hat dargelegt, dass sie wegen der Umarmung einige Tage zuvor sehr auf Abstand bedacht war. Ohne weiteres nachvollziehbar ist für das Gericht auch, dass die Zeugin in dem Moment dachte, sie wolle es „hinter sich bringen“, dann könne sie endlich das Büro verlassen und gehen. Der Vortrag der Zeugin stimmt auch mit ihrem Bericht in der Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren am 31. Mai 2022 überein. Gleiches gilt für ihre Angaben im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 26. November 2021. Damals hat sie angegeben, der Beklagte habe sie sehr fest an sich gedrückt, dabei habe er mit dem Körper geruckelt und ihren Unterkörperbereich fest an seinen Unterkörper gedrückt. Sie habe ihre Arme schützend vor ihren Oberkörper gehalten und versucht, ihn von sich wegzudrücken und ihm gesagt „das reicht jetzt“, habe ihn aber nicht wegstoßen können. Nicht zuletzt hat sich die Zeugin nach dem Treffen einer Freundin offenbart. Per WhatsApp-Nachricht teilte sie ihr mit: „Z. hat mich gerade total weird umarmt".
256Nach den oben dargestellten Maßstäben liegt in dem Umgreifen der Zeugin und „Einklemmen“ mit der Metallstange beim ersten Treffen ebenso wie in der festen körperlichen Umarmung beim zweiten Treffen eine sexuelle Belästigung i.S.d. § 184 i StGB vor. Der in der fraglichen Situation herbeigeführte, mehrere Sekunden andauernde Kontakt des ganzen Rückens der Zeugin mit der Körpervorderseite des Beklagten ist bereits bei objektiver Bewertung aufgrund der intimen Nähe als sexual bezogen anzusehen.
257Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 20.
258Dieses Verhalten des Beklagten hat wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung auch eine Verletzung der Würde der Zeugin bewirkt. Die Disziplinarkammer berücksichtigt dabei auch die Situation in dem abgelegenen Laborraum im Kellergeschoß. Die Zeugin hat – auch mittels der vorgelegten Fotografien – eindrücklich geschildert, dass sich dort regelmäßig niemand aufhält und aufgrund der dicken Mauern keine Hilferufe zu vernehmen wären.
259Zugleich liegt durch das sexuell bestimmte Verhalten eine Dienstpflichtverletzung durch Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AGG vor.
260Nicht zuletzt hat der Beklagte sowohl beim ersten Treffen durch das Umgreifen der Zeugin und das „Einklemmen“ mit der Metallstange als auch beim zweiten Treffen durch die feste körperliche Umarmung gegen das Gebot verstoßen, als Hochschullehrer jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren.
261Ein vorsätzlicher und damit schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt ebenfalls vor.
2624. Dienstpflichtverletzende Handlungen gegenüber der Zeugin Z4.
263a) Einladung in die Bar „KL."
264In der vom Beklagten eingerichteten und geleiteten Arbeitsgruppe hatte sich die Tradition des „Feierabendbiers" etabliert. Regelmäßig trafen sich Mitglieder der Arbeitsgruppe Freitagabends im Büro des Beklagten, um mit mitgebrachten Getränken die Arbeitswoche ausklingen zu lassen. Die Zeugin Z4., geboren 0000, hatte im Oktober 2020 zum Wintersemester ihr Masterstudium an der Universität U. aufgenommen. Seit dem 10. April 2021 war sie zudem als wissenschaftliche Hilfskraft angestellt und der Arbeitsgruppe des Beklagten zugeordnet.
265Die Zeugin Z4. kam an einem Freitagabend im Oktober oder November 2020 zum „Feierabendbier" in das Büro des Beklagten. Sie war an diesem Abend die einzig erschienene Teilnehmerin. Da sie sich in dieser Situation allein mit dem Beklagten unwohl fühlte, sagte sie zu ihm „Ich gehe dann wieder". Er schlug allerdings vor, dass sie gemeinsam in die Bar „KL." in U. gehen könnten und er sie einladen würde. Sie fühlte sich zwar unwohl, ging jedoch aus Höflichkeit auf den Vorschlag ein. Sie gingen anschließend gemeinsam in die Bar „KL." und nahmen gemeinsam ein Getränk, wobei er die Kosten übernahm.
266Dieser Sachverhalt steht nach der Beweisaufnahme und nach Aktenlage zur Überzeugung des Gerichts fest und ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
267Der Beklagte verweist darauf, dass die Atmosphäre in seinen kleinen Arbeits- und Forschungsgruppen durchaus so vertraulich gewesen sei, dass gemeinsame Essen oder Getränke nicht unüblich gewesen seien. In der Einladung ins „KL." – was eher eine Kneipe/Restaurant als eine Bar sei – liege keine Dienstpflichtverletzung.
268Die Disziplinarkammer nimmt in den Blick, dass eine Situation, in der eine Studierende als einzige Teilnehmerin zu einem Treffen erscheint, welches für eine Gruppe in dienstlicher Umgebung geplant war, stattdessen in eine (Studenten-)Bar eingeladen wird, geeignet sein kann, bei der Studierenden ein Gefühl der Bedrängnis auszulösen und die gebotenen Grenzen zwischen Dienstlichem und Privatem zu verwischen. Die Einladung hat – so zutreffend die Disziplinarklage – einen deutlich intimeren Rahmen gehabt als das „Feierabendbier" im Kreis der Arbeitsgruppenmitglieder, auf das die Zeugin Z4. eigentlich eingestellt war.
269Gleichwohl liegt hier kein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und nach Aktenlage bestand in den Arbeits- und Forschungsgruppen eine persönliche und vertraute Atmosphäre. Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag, am frühen Abend noch in das fußläufig erreichbare „KL.“ zu gehen, das nach eigener Darstellung „✪ Cafe ✪ Bar ✪ Restaurant“ […] ist, nicht unangemessen. Nicht zuletzt hat die Zeugin Z4. in ihrer gerichtlichen Zeugenvernehmung ausgeführt, dass der Beklagte sie gefragt habe, ob sie noch auf ein Getränk im „KL.“ mitkommen wolle, und sie überzeugend erklärt hat, sie hätte diesen Vorschlag ohne weiteres (sozialadäquat) ablehnen können.
270b) Berührungen
271Dem Beklagten wird mit der Disziplinarklage vorgeworfen, er habe die Zeugin Z4. im Zeitraum zwischen Ende 2020 und August 2021 bei mehreren Besprechungen im A. wiederholt mit der Hand am Oberarm, an der Schulter und am Bein berührt.
272Der Beklagte trägt vor, die Vorwürfe hinsichtlich der Berührungen der Zeugin seien nicht konkret genug, um dazu Stellung zu nehmen. Er schließe nicht aus, dass er die Zeugin berührt haben möge, allerdings flüchtig und nicht in sexueller Absicht.
273Die Disziplinarkammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überzeugt, dass der Beklagte die Zeugin Z4. bei mehreren Gelegenheiten im Bereich des Oberarms, an der Schulter und am Bein berührt hat. Die Zeugin Z4. hat glaubhaft geschildert, dass die Vorfälle „nach dem ungefähr gleichen Schema“ abgelaufen seien. Der Beklagte habe sie – trotz Möglichkeit von online-Meetings – mehrfach gebeten, persönlich in seinem Büro vorbeizukommen. Im Laufe des Gesprächs habe er sie zu ihm hinter den Schreibtisch zum PC oder an einen Tisch gebeten und habe sie am Arm oder an den Oberschenkeln berührt. Der Beklagte habe damit Gesprächsinhalte unterstrichen oder eine „Witzsituation“ bemüht. Die Berührungen am Oberschenkel seien häufig dann erfolgt, wenn er die Zeugin zuvor für eine gute Leistung gelobt hatte. Die Zeugenaussage stimmt auch mit ihrem Vorbringen im behördlichen Disziplinarverfahren in der Zeugenvernehmung vom 23. Mai 2022 überein.
274Die Disziplinarkammer hat in den Blick genommen, dass die Zeugin keine konkreten Vorfälle an bestimmten Tagen schildern konnte. Sie hat aber dem Gericht glaubhaft geschildert, in welchen Situationen und in welchem Kontext die Berührungen erfolgten, auch wenn ihr aufgrund der Vielzahl der Begebenheiten eine klare zeitliche Zuordnung jedes Einzelfalls nicht möglich war. Der Beklagte hat selbst „flüchtige“ Berührungen eingeräumt und ist der Zeugenaussage im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht entgegengetreten. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen nicht.
275Der Beklagte als Hochschullehrer hat durch die mehrfachen Berührungen der Zeugin Z4. am Oberarm, an der Schulter und am Bein die erforderliche Distanz verletzt. Ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt vor.
276c) Berührung beim Mikroskopieren
277Der Beklagte und die Zeugin Z4. saßen am 24. Juni 2021 anlässlich eines gemeinsamen Termins zum Mikroskopieren in seinem Büro vor dem Mikroskop.
278Die Disziplinarkammer geht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Beklagte der Zeugin Z4. dabei mehrfach zu nahe kam, weil er ihr nicht genügend Platz zum Mikroskopieren gewährte. Die Zeugin Z4. hat das Verhalten anschaulich geschildert. Der Beklagte sei nur minimal vom Mikroskop abgerückt. Dies wäre mit den Bürorollstühlen leicht möglich gewesen.
279Dass der Beklagte darüber hinaus – an diesem Tag – bewusst seine Beine schräg so in den Bereich unter dem Tisch gestreckt hätte, dass es zu einem Kontakt mit den Beinen der Zeugin kam, lässt sich hingegen nicht feststellen. Dass sich die Zeugin – anders als im behördlichen Disziplinarverfahren – nicht mehr daran erinnern konnte, ob es an jenem Tag zu einem Kontakt mit den Beinen kam, spricht angesichts des Zeitablaufs für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage und gegen eine Belastungstendenz. Die Disziplinarkammer nimmt insoweit allerdings in den Blick, dass die Zeugin glaubhaft ausgeführt hat, der Beklagte trete oft sehr präsent und dominant auf. Dazu gehöre eine bestimmte Sitzhaltung, indem er die Beine weit auseinanderstelle. Der Beklagte ist dem nicht entgegengetreten.
280Der Beklagte hat durch die unerwünschte Nähe beim Mikroskopieren gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verstoßen.
281d) Griff in die Hose
282Die Disziplinarkammer geht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Beklagte bei einer Zusammenkunft mit der Zeugin Z4. in seinem Büro im Juni oder Juli 2021 für mehrere Sekunden mit der Hand in seine Hose in den Genitalbereich griff. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme saßen sich der Beklagte und die Zeugin hinter dem Schreibtisch einander zugewandt mit geringem Abstand gegenüber.
283Der Beklagte hat den Griff in die Hose eingeräumt und sich dahingehend eingelassen, die Hose sei frisch gewaschen und daher zu eng gewesen.
284Es ist indes – worauf die Klägerin zu Recht hinweist – von einem Hochschullehrer, der einer Studierenden direkt gegenübersitzt, zu verlangen, dass er sich in einer solchen Situation nicht einfach unbedacht vor den Augen der Studierenden in seine Hose greift. Es darf vielmehr erwartet werden, den Raum kurz zu verlassen oder sich zumindest abzuwenden.
285Zur Überzeugung der Disziplinarkammer war dem Beklagten die Unangemessenheit seines Verhaltens auch bewusst. Zwar hat die Zeugin in der AGG-Beschwerde noch den Eindruck geäußert, der Beklagte sei sich in dieser Situation der Unangemessenheit seines Verhaltens nicht bewusst gewesen und habe sich nichts dabei gedacht. Dies erscheint dem Gericht trotz der zeitlichen Nähe zu dem Geschehen aufgrund des Eindrucks der mündlichen Verhandlung jedoch nicht überzeugend. Vielmehr hat die Zeugin dem Gericht nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, dass der Beklagte immer wieder körperlich eine zu große Nähe suchte, indem er an sie heranrückte oder ihr nicht angemessen Platz gewährte. An jenem Tag saßen sich der Beklagte und die Zeugin einander zugewandt mit geringem Abstand gegenüber. In dieser Situation ist der Griff in die Hose in den Genitalbereich unangemessen und musste dem Beklagten die Unangemessenheit seines Verhaltens bewusst sein.
286Dies gilt umso mehr, als die Zeugin im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 26. November 2021 auf Befragen angegeben hat, der Beklagte habe die Hand am Hosenbund bis zu einer Stelle knapp oberhalb des Handgelenks in die Hose eingeführt.
287Indem der Beklagte bei der Zusammenkunft mit der Zeugin Z4. in seinem Büro im Juni oder Juli 2021 für mehrere Sekunden mit der Hand in seine Hose in den Genitalbereich griff, während er ihr mit geringem Abstand gegenüber saß, hat er eine Dienstpflichtverletzung wegen sexueller Belästigung durch Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 begangen. Das Verhalten stellt eine sexuelle Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 4 AGG dar, weil es ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen gehören, bezweckte oder bewirkte, dass die Würde der Zeugin Z4. verletzt wurde.
288Ein vorsätzlicher und schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt ebenfalls vor.
289e) Unangemessene WhatsApp-Nachricht
290Der Beklagte schickte der Zeugin Z4. am 14. Februar 2021 per WhatsApp Grüße zum Valentinstag mit einem Eisblümchen mit folgendem Text: „Hab ein Eisblümchen für dich, an meinem Werkstattfenster im Gegenlicht :)“.
291Der Beklagte hat sich dahingehend eingelassen, es habe sich nicht um ein Eisblümchen gehandelt und der Kontext sei nicht „romantisch“ gemeint gewesen. Ihm sei nur gerade diese Assoziation eingefallen.
292Auch insoweit gilt, dass ein Hochschullehrer jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren hat. Das Versenden der Nachricht zum Valentinstag, der „als Fest der Jugend und der Liebenden“ seit dem späten 14. Jahrhundert begangen wird,
293https://www.ardalpha.de/wissen/geschichte/kulturgeschichte/valentinstag-geschenke-liebe-blumen-geschichte-100.html -
294erscheint unangemessen, da zwischen beiden keine (Liebes-)Beziehung bestanden hat. Ein vorsätzlicher und schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt vor.
2955. Dienstpflichtverletzende Handlungen gegenüber der Zeugin Z5.
296a) Treffen vor dem U.-Urlaub
297Der Beklagte und die Zeugin Z5. trafen sich im Juli 2021 in seinem Büro. Anlass war eine bevorstehende U.-Reise der Zeugin Z5.. Der Beklagte hatte angekündigt, dass er ihr wissenschaftliche Literatur zu U. geben wolle. Die Zeugin Z5., geboren 0000, war im Zeitpunkt des Gesprächs Studierende. Ab dem 1. August 2021 war sie außerdem als studentische Hilfskraft in der Arbeitsgruppe des Beklagten tätig. Während des Treffens betrachteten sie gemeinsam Satellitenbilder auf seinem Computer, der auf seinem Büroschreibtisch stand. Während des Gesprächs legte der Beklagte unvermittelt seine rechte Hand fest auf den unbedeckten linken Oberschenkel der Zeugin oberhalb des Knies. Der Beklagte griff zunächst fest zu, hob dann die Hand und griff ein weiteres Mal zu. Die Zeugin war von der Berührung entsetzt. Der Beklagte lachte daraufhin und sagte sinngemäß „Oh, Entschuldigung".
298Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung der Disziplinarkammer fest. Die Zeugin hat in der gerichtlichen Zeugenvernehmung die Situation des gemeinsamen Gesprächs über U. ausführlich geschildert. Sie hat glaubhaft ausgeführt, dass der Beklagte im Gespräch nach ihrem Knie gegriffen und seine Hand zwei Mal fest auf den linken Oberschenkel oberhalb ihres Knies gelegt habe. Nach den glaubhaften Ausführungen handelte es sich auch nicht um ein „Tätscheln“. Dies hat die Zeugin auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts bekräftigt. Die Aussage der Zeugin steht auch in Übereinstimmung mit ihrer Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren am 19. Mai 2022 sowie im Webkonferenz-Gespräch mit der AGG-Beschwerdestelle unter Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten am 29. November 2021, wenngleich nach dem Protokoll der Beklagte erst ihr Knie gestreift und dann seine Hand beim Sprechen für einen kurzen Augenblick auf ihr Knie gelegt habe.
299Der Beklagte hat die „Berührung“ der Zeugin am Bein eingeräumt, diese aber als Ausdruck spontaner Freude über die betrachteten Bilder beschrieben.
300Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme handelte es sich indes nicht nur um eine „Berührung“, sondern um zwei feste Griffe auf den nackten Oberschenkel oberhalb des Knies. Die Zeugin hat glaubhaft erklärt, sie habe an jenem Tag im Frühsommer eine kurze graue Hose getragen. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht auch, dass die Zeugin bei der Zeugenvernehmung am 19. Mai 2022 erklärt hat, sie habe ein Tattoo auf dem linken Knie, das sie seit der Berührung durch den Beklagten nicht mehr anschauen möge.
301Der weitere Vorwurf, der Beklagte habe die Zeugin mit der wippenden Fußspitze berührt, ließ sich hingegen nicht mit der erforderlichen Überzeugungsgewissheit feststellen. Er war in der ursprünglichen AGG-Beschwerde nicht enthalten. Die Zeugin hat indes in ihrer Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren eine Berührung durch den wippenden Fuß wie folgt geschildert: „Beim Betrachten der Bilder hat er dann so mit dem Fuß gewippt. Er hat mehrfach mit dem wippenden Fuß, also mit der Fußspitze, meine Wade berührt. In dem Moment habe ich das nicht als absichtlich wahrgenommen." Die Zeugin konnte dieses „Wippen“ in der gerichtlichen Zeugenvernehmung nicht mehr belastbar erinnern. Zudem dürfte sich – das Verhalten als zutreffend unterstellt – die Frage stellen, ob das Verhalten schuldhaft war, wenn die Zeugin nach eigenem Bekunden die Berührung an der Wade mit dem wippenden Fuß in dem Moment selbst nicht als absichtlich wahrgenommen hat.
302Die Disziplinarkammer ist mithin davon überzeugt, dass der Beklagte im Gespräch nach dem Knie der Zeugin gegriffen und seine Hand zwei Mal fest auf den linken Oberschenkel oberhalb des Knies gelegt hat. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin bestehen nicht.
303Nach den oben dargestellten Maßstäben liegt in dem zweimaligen festen Zugriff auf den unbekleideten Oberschenkel eine sexuelle Belästigung i.S.d. § 184 i StGB sowie eine sexuelle Belästigung im Sinne des Benachteiligungsverbotes nach § 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 AGG vor. Auch in diesem Fall ergibt sich der Bezug auf die Geschlechtlichkeit aus der Nähe des Kontakts zu den erogenen Zonen der Zeugin. Auch hier bietet eine möglicherweise empfundene Freude über das am PC Betrachtete keinen Grund, bei objektiver Betrachtung von einem fehlenden Sexualbezug auszugehen.
304Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 19.
305Zugleich gilt auch insoweit, dass ein Hochschullehrer jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren hat. Vor diesem Hintergrund liegt – selbst unter Berücksichtigung „spontaner Freude über die betrachteten Bilder“ – ein vorsätzlicher und schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG vor.
306b) Bar in N.
307Der Beklagte führte im Zeitraum vom 30. August bis zum 4. September 2021 mit einigen Studierenden und Beschäftigten seiner Arbeitsgruppe, darunter der Zeugin Z5., eine Exkursion nach V. durch. Am Abend des zweiten Tages, also am 31. August 2021, kehrte die Gruppe abends in einer Bar in N. ein, um dort zu Abend zu essen.
308Der Beklagte saß an einem Tisch der Zeugin Z5. gegenüber. Da es in der Bar sehr warm war, setzte die Zeugin Z5. dazu an, sich den Pullover auszuziehen. Der Beklagte sah dies und fragte, ob er ihr helfen könne. Noch während er die Frage stellte, griff er über den Tisch nach dem Pullover, den die Zeugin Z5. bereits ein Stück nach oben genestelt hatte, um ihn sich über den Kopf zu ziehen. Dabei berührte er sie am Pullover-Stoff und den Fingerknöcheln. Nachdem die Zeugin Z5. laut vernehmlich „Nein" gesagt hatte, ließ er von ihr ab.
309Dem Beklagten ist der geschilderte Vorwurf mit dem Pullover nicht erinnerlich. Er gibt zu bedenken, dass der Vorwurf – als zutreffend unterstellt – kein ausreichendes disziplinarisches Gewicht erreichen würde.
310Die Disziplinarkammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Beklagte über den Tisch nach dem Pullover gegriffen und dabei den Pullover-Stoff und die Fingerknöchel der Zeugin berührt hat. Die Zeugin hat das Geschehen bei der gerichtlichen Zeugenvernehmung in Übereinstimmung mit ihrem Vortrag im behördlichen Disziplinarverfahren glaubhaft geschildert. Sie konnte das Geschehen auf der Exkursion einordnen, ihren Norwegerpullover erinnern und die Situation auf dem wackeligen Barhocker schildern. Sie hat auch angegeben, dass sie nach dem Vorfall den Pullover erst einmal anbehalten habe. Schließlich hat sie auch berichtet, dass der Zeuge S. sie kurz danach gefragt habe, ob alles in Ordnung sei. Letztlich hat der Zeuge S. in seiner Zeugenvernehmung im behördlichen Disziplinarverfahren am 10. Juni 2022 den Vorfall wie dargestellt beschrieben. Der Beklagte ist dem in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten.
311Auch insoweit gilt, dass ein Hochschullehrer jederzeit die erforderliche Distanz zu den ihm anvertrauten Studierenden und Beschäftigten zu wahren hat. Dies gilt auch dann, wenn die Berührung dazu dienen soll, beim Ablegen von Kleidung zu helfen.
312Ein vorsätzlicher und schuldhafter Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG liegt vor.
313Der festgestellte Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht überschreitet die Schwelle der disziplinarrechtlichen Erheblichkeit. Dabei setzt – wie dargelegt – ein disziplinarrechtlich relevanter Vorwurf hinreichendes Gewicht und hinreichende Evidenz voraus. Andernfalls überschreitet er nicht die Hürde einer Dienstpflichtverletzung und ist disziplinarrechtlich nicht von Bedeutung (sog. Bagatellverfehlung).
314Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 2005 – 1 D 1.04 –, juris, Rn. 97, und vom 19. Oktober 2005 – 1 D 14.04 –, juris, Rn. 45 ff.; OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2021 – 3d A 4887/18.O –, juris, Rn. 139.
315Hier spricht für eine disziplinarrechtliche Relevanz der Pflichtverletzung der Zusammenhang mit der vorangegangenen sexuellen Belästigung und wegen des Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht durch Verletzung des Distanzgebotes. Eine isolierte Betrachtung verbietet sich vor diesem Hintergrund.
3166. Fotoaufnahme bei Exkursion
317Am 16. September 2021 befand sich der Beklagte mit Studierenden und Beschäftigten seiner Arbeitsgruppe auf einer Exkursion in den WL.. Während einer Mittagspause setzten sich mehrere Exkursionsteilnehmerinnen an den Straßenrand, um dort etwas zu essen. Der Beklagte stand auf der anderen Straßenseite und rief unvermittelt „Hey Girls". Er fertigte von der Gruppe eine Fotoaufnahme, die später – mit Einverständnis der Fotografierten – in einen Ordner hochgeladen wurde, in dem sie von den Exkursionsteilnehmern betrachtet werden konnte.
318Dem Beklagten wird zur Last gelegt: Gemäß § 22 Satz 1 KunstUrhG dürften Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Nach überwiegender Auffassung gelte das Einwilligungserfordernis bereits für die Anfertigung eines Fotos. Diese rechtliche Vorgabe habe der Beklagte bei der Anfertigung des Gruppenfotos missachtet. Die abgebildeten Frauen hätten ihm zuvor keine Einwilligung in die Aufnahme des Fotos gegeben. Das Thema „Fotografieren" sei spätestens mit Inkrafttreten der EU-DSGVO in den Medien sehr präsent gewesen, beispielweise im Zusammenhang mit Fotoaufnahmen von Schulklassen. Vom Beklagten müsse daher erwartet werden, dass er sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen informiere und sensibel mit dem Thema umgehe. Eine Dienstpflichtverletzung aufgrund des Fotografierens liege mangels Zustimmung aller abgebildeten Personen vor.
319Der Beklagte tritt der Ansicht, es liege eine Verletzung von § 22 KunstUrhG vor, entgegen. Es treffe zwar zu, dass er vor Aufnahme des fraglichen Fotos die Fotografierten nicht nach ihrem Einverständnis befragt habe, dies aber schlicht aus dem Grund, dass es auf derartigen Gruppenausflügen durchaus üblich sei, Fotos spontan anzufertigen. Jedenfalls hätten die Fotografierten sich im Nachhinein ausdrücklich mit dem Hochladen der Bilder auf einen Server einverstanden erklärt. Es müsse deswegen davon ausgegangen werden, dass sie gegen die Fotografie selber auch nichts einzuwenden hatten.
320Die Disziplinarkammer geht davon aus, dass ein Verstoß gegen § 22 KunstUrhG nicht vorliegt. Nach dieser Norm dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Herstellung der Bildnisse selbst fällt nicht unter § 22 KunstUrhG.
321Dreyer in: Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, § 22 KunstUrhG, Rn. 11; Götting, in: Schricker / Loewenheim, Urheberrecht, § 22 KunstUrhG, Rn. 34.
322Selbst wenn man dies mit der Klägerin anders sehen wollte, geht die Disziplinarkammer davon aus, dass es nach wie vor sozialadäquat ist, auf einer (dienstlich veranlassten) Gruppenreise im üblichen Rahmen auch Gruppenfotos anzufertigen. Denn es dürfte im überwiegenden Interesse einer Gruppe liegen, verschiedene Gruppenfotos zur gemeinsamen Erinnerung zu haben.
323Unabhängig davon dürfte in einer alltäglichen Situation wie einem Mittagsimbiss eine – zumindest stillschweigende – Einwilligung zur Herstellung eines Gruppenfotos vorliegen. Hierfür spricht im konkreten Fall auch, dass sich – so bereits die Ermittlungsführer im Ermittlungsbericht – bei Betrachten des Fotos ein fehlendes Einverständnis sämtlicher Frauen nicht direkt aufdränge.
324Es erscheint zum Schutz der Persönlichkeitsrechte auch ohne Weiteres zumutbar, dass diejenigen Personen, die mit einer Abbildung auf einem Gruppenfoto nicht einverstanden sind, dies den Gruppenmitgliedern vorab mitteilen. Dass dies den beteiligten Frauen – insbesondere den Zeuginnen T. und Z3. – auch bewusst war und möglich gewesen wäre, ergibt sich aus deren Zeugenaussagen:
325Die Zeugin T. hatte dem Beklagten zuvor – soweit ersichtlich – nicht mitgeteilt, dass sie nicht (von ihm) fotografiert werden möchte. Sie gab in ihrer Vernehmung vom 8. Juni 2022 zu der Aufnahme des in Rede stehenden Fotos an: „Ich war sehr genervt in der Situation, weil (der Beklagte) schon vorher viele Bilder aufgenommen hat, ohne vorher um Zustimmung zu bitten. Deshalb habe ich in dieser Situation gerufen: „vielleicht wäre es gut, wenn Sie das nächste Mal die Zustimmung einholen, bevor Sie ein Foto aufnehmen.“
326Die Zeugin Z3. hatte dem Beklagten zuvor – soweit ersichtlich – ebenfalls nicht mitgeteilt, dass sie nicht (von ihm) fotografiert werden möchte. Sie gab in ihrer Vernehmung vom 31. Mai 2022 zu der Aufnahme des in Rede stehenden Fotos an: „Ich bin selber auf dem Foto abgelichtet. Ich bin die dritte Person von rechts, die als einzige nicht in die Kamera guckt. Ich habe ganz bewusst weggeschaut, als ich den Ruf gehört habe. Denn ich wollte in der Situation nicht von ihm abgelichtet werden.“
327Diese Einschätzung der Disziplinarkammer wird dadurch bestätigt, dass die Fotografierten sich im Nachhinein ausdrücklich mit dem Hochladen der Bilder auf einen Server einverstanden erklärt haben. Der Link zum Server wurde nur den Teilnehmern der Exkursion zur Verfügung gestellt.
328Unabhängig von der Bewertung eines Verstoßes gegen § 22 KunstUrhG sieht die Disziplinarkammer in der Anfertigung des Gruppenfotos in einer alltäglichen Situation wie einem Mittagsimbiss während einer Exkursion deshalb keinen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG.
329II. Die disziplinarrechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts ergibt, dass sich der Beklagte eines schweren Dienstvergehens schuldig gemacht hat. Die dargestellten Dienstpflichtverletzungen stellen ein einheitliches – innerdienstliches – Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG dar. Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begeht ein Beamter ein Dienstvergehen, wenn er die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt.
330Das Verhalten des Beklagten stellt sich als innerdienstliches Fehlverhalten dar, denn es war formell in sein Amt als Professor und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden. Die Vorwürfe beziehen sich auf seine dienstliche Tätigkeit und fanden in den Diensträumen bzw. bei dienstlichen Anlässen statt.
331Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2016 – 2 B 24/16 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteile vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG –, juris, Rn. 61, und vom 18. April 2018 – 3d A 12/17.O -, juris, Rn. 49 m.w.N.
332Besteht – wie hier – diese Verknüpfung, kommt es nicht darauf an, ob das Dienstvergehen innerhalb oder außerhalb der Dienstzeit begangen wird.
333Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2024 – 2 A 7/23 –, juris, Rn. 27.
334III. Nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Gesichtspunkte ist der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen (§§ 5 Abs. 1 Nr. 5, 10 LDG NRW). Er hat durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren (§ 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW).
3351. Die Auswahl der im Einzelfall erforderlichen Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 5 Abs. 1 LDG NRW richtet sich gemäß § 13 Abs. 2 Sätze 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 LDG NRW nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Dazu sind die genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht zu ermitteln und in die Entscheidung einzustellen, um dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) zu genügen. Die Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen.
336Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 – 2 C 63/11 –, juris, Rn. 13 m. w. N.
337Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums zu gewährleisten.
338Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2013 – 2 C 62/11 – , juris, Rn. 34, vom 19. August 2014 – 2 C 13.10 –, juris, Rn. 24, und vom 3. Mai 2007 – 2 C 9/06 –, juris, Rn. 16.
339Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW ist ein Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Hiernach ist das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit aufzulösen, wenn die Maßnahmebemessung zu dem Ergebnis führt, dass der Beamte untragbar geworden ist. Dies ist anzunehmen, wenn dem Beamten ein schweres Dienstvergehen zur Last fällt und die prognostische Gesamtwürdigung ergibt, er werde auch zukünftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung sei bei einem Verbleib im Beamtenverhältnis nicht wieder gutzumachen. Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto näher liegt eine derartige Prognose.
340Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Februar 2013 – 2 C 62/11 –, juris, Rn. 36, und vom 28. Juli 2011 – 2 C 16/10 –, juris, Rn. 31.
341Für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme im Sinne des § 5 Abs. 1 LDG NRW ist die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Das Dienstvergehen ist nach der festgestellten Schwere einer der im Katalog des § 5 LDG NRW aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist.
342Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 16/10 –, juris, Rn. 29.
343Setzt sich – wie hier – das Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, so bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung.
344Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2005 – 1 D 1/04 -, juris, Rn. 113; OVG NRW, Urteil vom 21. März 2018 – 3d A 1043/14.O -, juris, Rn. 70.
345Nach diesen Maßgaben sind die sexuellen Belästigungen der Zeugin Z1. (durch die intime Umarmung und den (Zungen-)Kuss sowie den Griff auf den Oberschenkel) ebenso wie die sexuellen Belästigungen der Zeugin Z2. (durch einen festen Griff mit beiden Händen auf den oberen Bereich des Oberschenkels), der Zeugin Z3. (durch das Umgreifen und „Einklemmen“ mit der Metallstange ebenso wie in der festen körperlichen Umarmung), der Zeugin Z5. (in dem zweimaligen festen Zugriff auf den unbekleideten Oberschenkel) sowie der Zeugin Z4. (Griff mit der Hand in die Hose) zu berücksichtigen.
346Bei der Bemessung einer Disziplinarmaßnahme ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch bei einem innerdienstlichen Dienstvergehen, das ein strafbares Verhalten zum Gegenstand hat, für die Bestimmung der Schwere des Fehlverhaltens auf einer ersten Stufe zunächst auf den gesetzlichen Strafrahmen zurückzugreifen. Der Gesetzgeber hat mit der (abstrakten) Strafandrohung seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens verbindlich zum Ausdruck gebracht. Auch bei innerdienstlichen Dienstvergehen, die zugleich einen Straftatbestand erfüllen, gewährleistet die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung von Dienstvergehen.
347Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6/14 -, juris, Rn. 19; Beschluss vom 5. Juli 2016 – 2 B 24/16 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteile vom 18. April 2018 – 3d A 12/17.O -, juris, Rn. 63, und vom 5. Oktober 2016 – 3d A 87/14.O -, juris, Rn. 138.
348Der Strafrahmen des § 184i Abs. 1 StGB (in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) sieht für eine sexuelle Belästigung eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vor.
349Weist ein Dienstvergehen – wie hier – einen hinreichenden Bezug zum Amt des Beamten auf, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme auch für mittelschwere Straftaten, für die eine Strafandrohung von Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren gilt, bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
350Vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Dezember 2015 – 2 C 6/14 –, juris, Rn. 18, vom 18. Juni 2015 - 2 C 9/14 -, juris, Rn. 33, und vom 19. August 2010 - 2 C 5/10 -, juris, Rn. 24.
351Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führen Dienstvergehen aufgrund sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nicht regelmäßig zu einer bestimmten Maßnahme, etwa zur Versetzung in ein Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt. Die Handlungsbreite, in der sexuelle Zudringlichkeiten im Dienst denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Gesichtspunkte des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher sexueller Belästigung weiblicher oder männlicher Mitarbeiter, insbesondere wenn der Beamte unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend einbüßt, sondern auch sein Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert, kann sich grundsätzlich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen, während in minderschweren Fällen eine mildere Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann.
352Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 2009 – 2 AV 4/09 –, juris, Rn. 22; OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG –, juris, Rn. 82; Thüringer OVG, Urteil vom 21. März 2023 – 8 DO 837/20 –, juris, Rn. 136 m.w.N.
353Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter sexuell belästigt, verletzt in schwerwiegender Weise Würde und Ehre der Betroffenen. Alle Beschäftigten müssen im Dienst vor sexuellen Belästigungen seitens ihrer Vorgesetzten und Kollegen sicher sein.
354Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. April 2001 – 1 D 15/00 –, juris, Rn. 27 m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 2023 – 31 A 1054/22.BDG –, juris, Rn. 82.
355Nach diesen Maßgaben wirft vorliegend bereits die sexuelle Belästigung der Zeugin Z1., der er gegen ihren Willen in seinem Büro in der Universität unvermittelt eine enge Umarmung verbunden mit einem intimen (Zungen-)Kuss aufgezwungen hat, und der er bei einem späteren Treffen die Hand auf den Oberschenkel gelegt hat, die Frage seiner Tragbarkeit auf. Insofern ist zunächst die Stellung des Beklagten als Universitätsprofessor einerseits und der Zeugin als Master-Studentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der vom Beklagten geleiteten Arbeitsgruppe andererseits von Bedeutung. Die Betroffene der sexuellen Belästigung befand sich sowohl als Studentin als auch als Untergebene in mehrfacher Abhängigkeit vom Beklagten. Auf der einen Seite besaß er als Prüfer und Prüfungsausschussvorsitzender sowie (ursprünglicher) Betreuer ihrer Master-Arbeit maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg ihres Master-Studiums. Auf der anderen Seite bestimmte er als Arbeitsgruppenleiter über ihre weitere Beschäftigung. Sie unterlag dem schwerwiegenden Interessenkonflikt, möglicherweise Nachteile sowohl für ihr berufliches als auch für ihr wissenschaftliches Fortkommen gewärtigen zu müssen, wenn sie ihre sexuelle Selbstbestimmung verteidigte und die Zudringlichkeiten des Beklagten abwies. Diese Zusammenhänge, die dem Beklagten bei realitätsnaher Beurteilung bewusst waren, verpflichteten ihn zu ganz besonderer Zurückhaltung. Diese Zurückhaltung hat der Beklagte gröblich und mit erheblicher Intensität verletzt. Das Bemühen der Zeugin, einen anderen Betreuer für ihre Masterarbeit zu finden, belegt, dass sie durch das Verhalten des Beklagten nachhaltig betroffen war.
356Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 14.
357Die Schwere des Dienstvergehens in seiner Gesamtheit ist jedoch unzureichend erfasst, wenn allein diese ihrer Intensität nach gewichtigste Dienstpflichtverletzung in den Blick genommen wird. Zu den objektiven Kriterien der Schwere des Dienstvergehens, die die Richtung für die Maßnahmebemessung weist, zählen unter anderem als besondere Umstände der Tatbegehung die Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens. Deshalb ist es zu dessen Einstufung geboten, das angeschuldigte dienstpflichtwidrige Verhalten des Beklagten in seinem Zusammenhang zu betrachten. Insofern geraten zusätzlich insbesondere diejenigen Vorwürfe in den Blick, die körperliche Kontakte des Beklagten mit Studentinnen und Mitarbeiterinnen in seiner Arbeitsgruppe zum Gegenstand haben. Diese verleihen dem Dienstvergehen insgesamt eine solche Schwere, dass der genannte Orientierungsrahmen "nach oben" auszuschöpfen ist.
358Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 15.
359Insoweit sind die weiteren Fälle sexueller Belästigung durch einen festen Griff mit beiden Händen auf den oberen Bereich des Oberschenkels der Zeugin Z2., durch das Umgreifen und „Einklemmen“ mit der Metallstange ebenso wie in der festen körperlichen Umarmung der Zeugin Z3. sowie in dem zweimaligen festen Zugriff auf den unbekleideten Oberschenkel der Zeugin Z5. und auch der Griff mit der Hand in die Hose gegenüber der Zeugin Z4. in den Blick zu nehmen.
360Diese weiteren Fälle sexueller Belästigung, die sich gegen weitere vier junge Frauen richteten und sich in einem Zeitraum von weniger als acht Monaten ereigneten,
361Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 22.
362verleihen dem dienstpflichtwidrigen Fehlverhalten des Beklagten gegenüber Studentinnen und Mitarbeiterinnen ein solches Gewicht, dass er aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist. Insofern ist erneut auf die mehrfache Abhängigkeit der Betroffenen als Studentinnen und Mitarbeiterinnen von dem Beklagten als Hochschullehrer in beruflicher und wissenschaftlicher Hinsicht und der hieraus folgenden Zwangslage hinsichtlich einer Gegenwehr gegen dessen Übergriffe in die Persönlichkeits- und Intimsphäre zu verweisen. Diese gebot dem Beklagten ungeachtet der von diesem gesehenen fachlichen Erfordernisse sowie für richtig, wünschenswert, zweckmäßig oder zumindest akzeptabel gehaltenen Gepflogenheiten im Umgang mit Studentinnen und Mitarbeiterinnen, sich jedes körperlichen Eindringens mit sexuellem Bezug in deren persönliche Sphäre, wie es ihm mehrfach zur Last fällt, jedenfalls solange zu enthalten, wie er von seinem jeweiligen Gegenüber hierzu nicht zweifelsfrei aufgefordert wird.
363Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 22.
364Erschwerend hinzu kommen die weiteren Verstöße des Beklagten gegen die Wohlverhaltenspflicht, indem er eine zu große Nähe zu Studentinnen und Mitarbeiterinnen gesucht und damit die angemessene Distanz hat vermissen lassen. Hier ist auf das unangemessene Zurollen mit einem Bürostuhl auf die Zeugin Z2., die Berührungen der Zeugin Z4. am Oberarm, an der Schulter und am Bein, die unerwünschte Nähe beim Mikroskopieren, unangemessene WhatsApp-Nachrichten und schließlich die unerwünschte Berührung der Zeugin Z5. beim Ausziehen ihres Pullovers hinzuweisen.
365Der Beklagte hat durch die mehrfachen sexuellen Belästigungen und die mehrfache Verletzung der Wohlverhaltenspflicht durch Unterschreitung eines angemessenen Abstands die Intim- und Privatsphäre der fünf Zeuginnen wiederholt massiv verletzt und von seinem grenzüberschreitenden Verhalten nicht abgelassen, obwohl die Zeuginnen ihm gegenüber mehrfach auf unterschiedliche und für ihn deutlich wahrnehmbare Weise signalisiert hatten, dass ihnen die sexuellen Belästigungen und Berührungen sowie die übergroße Nähe unangenehm sind.
366Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2024 – 2 A 7/23 –, juris, Rn. 34.
367Ist demzufolge aufgrund der Schwere des dem Beklagten zur Last fallenden einheitlichen Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung, so kommt es für die Bestimmung der im konkreten Einzelfall zu verhängenden Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beklagten und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung nach § 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 LDG NRW derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere indizierte Maßnahme geboten ist.
368Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63/11 -, juris, Rn. 17 m.w.N, sowie Beschluss vom 1. März 2012 - 2 B 140/11 -, juris, Rn. 9.
369Das ist nicht der Fall.
370Das Bemessungskriterium „Persönlichkeitsbild des Beamten“ gemäß § 13 Abs.2 Satz 2 LDG NRW erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder ob es etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder psychischen Ausnahmesituation davon abweicht.
371Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2013 – 2 B 35/13 -, juris, Rn 6.
372Je schwerwiegender das Dienstvergehen oder die mit ihm einhergehende Vertrauensbeeinträchtigung ist, umso gewichtiger müssen die sich aus dem Persönlichkeitsbild ergebenden mildernden Umstände sein, um gleichwohl eine andere Maßnahme zu rechtfertigen.
373Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63/11 -, juris, Rn. 18 m.w.N.
374Derartige erhebliche Milderungsgründe, die den Schluss rechtfertigten, der Beklagte habe das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren, sind nicht gegeben.
375Das Fehlen anerkannter Milderungsgründe besagt allerdings nicht zwangsläufig, dass gegen den Beklagten wegen des ihm zur Last fallenden Dienstvergehens die Höchstmaßnahme verhängt werden müsste. Unter Geltung der Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW kann mildernden Umständen im Einzelfall auch dann ein beachtliches Gewicht zukommen, wenn sie zum Erfüllen eines so genannten anerkannten Milderungsgrundes nicht ausreichen. Sie dürfen deshalb nicht außer Betracht bleiben.
376Die anerkannten Milderungsgründe bieten jedoch Vergleichsmaßstäbe für die Bewertung, welches Gewicht entlastenden Gesichtspunkten in der Summe zukommen muss, um eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses in Betracht ziehen zu können. Generell gilt, dass deren Gewicht umso größer sein muss, je schwerer das Dienstvergehen aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Tathandlungen, der Begehung von „Begleitdelikten“ und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt.
377Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2013 - 2 C 63/11 -, juris, Rn. 25.
378Hiervon ausgehend liegen durchgreifende mildernde Gesichtspunkte jenseits der anerkannten Milderungsgründe nicht vor:
379Zugunsten des Beklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass er in seiner langjährigen wissenschaftlichen Laufbahn gute dienstliche Leistungen gezeigt hat und – unwidersprochen – viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrer Laufbahn unterstützt hat. Gute Leistungen können den Beklagten aber deshalb nicht durchgreifend entlasten, weil auch ein beanstandungsfreies Verhalten mit guten Leistungen regelmäßig - so auch hier - nicht geeignet ist, gravierende Dienstpflichtverletzungen in einem durchgreifend milderen Licht erscheinen zu lassen. Jeder Beamte ist generell verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich achtungs- sowie vertrauenswürdig zu verhalten.
380Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2013 - 2 B 63/12 -, juris, Rn. 13 m.w.N.
381Im Hinblick auf mögliche entlastende Gesichtspunkte ist auch dem Umstand, dass der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet ist, keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen; denn eine straffreie außerdienstliche Lebensführung und ordnungsgemäße Erfüllung der Dienstpflichten darf der Dienstherr von jedem Beamten erwarten.
382Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2013 - 2 B 63/12 -, juris, Rn.13.
383Die langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das inner- und außerdienstliche Verhalten abgesenkt werden.
384Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. September 2021 – 3d A 148/20.O -, juris, Rn.138.
385Soweit der Beklagte vorbringt, er habe die Beschwerdeführerinnen in vielerlei Hinsicht gefördert und ihnen auch nach der Beschwerde keine Steine in den Weg gelegt, ergibt sich daraus keine andere Bewertung. Unabhängig von der Richtigkeit dieser Aussage unterlagen die Beschwerdeführerinnen dem schwerwiegenden Interessenkonflikt, möglicherweise Nachteile sowohl für ihr berufliches als auch für ihr wissenschaftliches Fortkommen gewärtigen zu müssen, wenn sie ihre sexuelle Selbstbestimmung verteidigten und die Zudringlichkeiten des Beklagten abwiesen. Diese Zusammenhänge, die dem Beklagten bei realitätsnaher Beurteilung bewusst waren, verpflichteten ihn zu ganz besonderer Zurückhaltung. Diese Zurückhaltung hat der Beklagte indes gröblich und mit erheblicher Intensität verletzt.
386Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 14.
387Das Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit" gemäß § 13 Abs. 2 Satz 3 LDG NRW erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion.
388Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Mai 2008 - 2 C 59/07 -, juris, Rn. 15 und vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12/04 -, juris, Rn. 26.
389Ein endgültiger Vertrauensverlust ist eingetreten, wenn die Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände ergibt, dass der Beamte auch künftig seinen Dienstpflichten nicht nachkommen wird oder die Ansehensschädigung nicht wiedergutzumachen ist.
390Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2006 - 2 C 11/05 -, juris, Rn. 24.
391Die Würdigung aller Umstände unter Beachtung dieses Maßstabs führt bei prognostischer Beurteilung zu der Bewertung, dass der Dienstherr und die Allgemeinheit dem Beklagten nach dem von ihm begangenen schweren Dienstvergehen kein Vertrauen mehr in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen können und die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung des Berufsbeamtentums bei einem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen ist.
392Der Beklagte hat durch die sexuelle Belästigung mehrerer junger Frauen und sein übergriffiges Verhalten ein schweres Dienstvergehen begangen, das aus der Sicht eines vorurteilsfrei wertenden Betrachters regelmäßig – und so auch hier – einen vollständigen und endgültigen Ansehens- und Vertrauensverlust bewirkt. Insofern ist erneut auf die mehrfache Abhängigkeit der Betroffenen als Studentinnen und Mitarbeiterinnen von dem Beklagten als Hochschullehrer in beruflicher und wissenschaftlicher Hinsicht und der hieraus folgenden Zwangslage hinsichtlich einer Gegenwehr gegen dessen Übergriffe in die Persönlichkeits- und Intimsphäre zu verweisen.
393Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 31 B 999/23.O –, juris, Rn. 22.
394Für den Beklagten sprechende Umstände, die unter dem Gesichtspunkt des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit ein Absehen der durch die Schwere des Dienstvergehens indizierten Höchstmaßnahme rechtfertigten, sind nicht gegeben.
395Ergibt die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände, wie vorliegend, dass wegen eines schweren Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, so lässt sich der Verbleib im Beamtenverhältnis allein aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer nicht mit dem Zweck des Disziplinarrechts vereinbaren, nämlich dem Schutz der Integrität des Berufsbeamtentums und der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.
396Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 2 B 1/18 -, juris, Rn.9.
397Angesichts des von Beklagten begangenen schweren Dienstvergehens und der aufgezeigten Gesamtwürdigung ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht unverhältnismäßig. Der Beklagte hat ein schweres Fehlverhalten gezeigt. Er hat die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört. Seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Beamten ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten des für sein Handeln verantwortlichen Beklagten, der sich bewusst gewesen sein muss, dass er hiermit seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt.
398Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 1 VwGO.
399Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
400Rechtsmittelbelehrung:
401Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu.
402Die Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen.
403Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
404Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des zuständigen Senats für Disziplinarsachen verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Berufung unzulässig. Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
405Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.