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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2Der am 5. März 20245 sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 30 K 2443/25.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 00. Februar 0000, zugestellt am 00. Februar 0000, anzuordnen,
4über den gemäß § 76 Abs. 4 S. 1 AsylG der Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.
5Der zulässige Antrag ist unbegründet. Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Angegriffener Verwaltungsakt in diesem Sinne und damit alleiniger Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist die nach §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung.
6Vgl. Pietzsch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Oktober 2024, § 36 AsylG Rn. 36 m.w.N.
7Ernstliche Zweifel liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
8Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris Rn. 99.
9An der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 00. Februar 0000 bestehen in dem für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) keine solchen Zweifel. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG. Hiernach erlässt das Bundesamt nach §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung und setzt eine Ausreisefrist von einer Woche, wenn der Asylantrag eines Ausländers, der – wie hier der Antragsteller – keinen Aufenthaltstitel besitzt, als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 des AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) und der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG).
10Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Asylantrag des aus einem sicheren Herkunftsstaat (hier: Georgien, vgl. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG, § 29 a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG) eingereisten Antragstellers war bereits nach § 29a Abs. 1 AsylG sowohl hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des Asylbegehrens als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes (Ziffern 1. bis 3. des angefochtenen Bescheids) als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Anhaltspunkte i.S.v. Art. 16a Abs. 3 Satz 2 GG i.V.m. § 29a Abs. 1 Hs. 2 AsylG, die vorliegend die Annahme rechtfertigen könnten, dass dem Antragsteller entgegen der gesetzlichen Vermutung bei einer Ausreise nach Georgien asyl- oder flüchtlingsrelevante Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden droht, hat dieser nicht schlüssig und substantiiert geltend gemacht.
11Vgl. zu den Anforderungen: BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1507/93 –, juris Rn. 98.
12Darüber hinaus sind auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG für Georgien (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ersichtlich. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Abschiebung das Kindeswohl, familiäre Bindungen oder der Gesundheitszustand des Antragstellers entgegenstünden (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG).
13Zur Begründung wird auf die tragenden Feststellungen und die im Wesentlichen zutreffende Begründung des Bescheids verwiesen, denen das Gericht folgt und deshalb von einer weiteren Darstellung absieht (§ 77 Abs. 3 AsylG).
14Lediglich ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
151. Zunächst ist festzuhalten, dass der Anwendung von § 29a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG entgegen nicht entgegensteht, dass Zweifel an bzw. Unklarheiten bezüglich der Verfassungs- bzw. Unionsrechtskonformität der Einstufung von Georgien als sicherer Herkunftsstaat bestünden, die nach Auffassung des Gerichts eine Nichtanwendung der Norm bzw. eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und/oder das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 267 bzw. Art. 100 Abs. 1 GG erforderlich machten. Denn – unabhängig von einer ggf. schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bestehenden Vorlagepflicht –,
16vgl. zu Art. 100 Abs. 1 GG etwa: OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 –, juris Rn. 71 ff.; vgl. zu Art. 267 AEUV etwa: Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 267 Rn. 27 f.; 31,
17stellt sich nach Überzeugung des Gerichts im Hinblick auf die Einstufung von Georgien als sicherer Herkunftsstaat durch § 29a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG weder eine Auslegungsfrage zu deren Vereinbarkeit mit Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU noch bestehen nach Überzeugung des Gerichts Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit in Form einer Nichtvereinbarkeit mit Art. 16a Abs. 3 GG.
18Zwar ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 (– C-406/22 –, juris Rn. 83) Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU dahin auszulegen, dass er der Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat entgegensteht, wenn Teile seines Hoheitsgebiets die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung nicht erfüllen. Auch ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (– 2 BvR 1507/93 –, juris Rn. 65 f.) für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 3 GG erforderlich, dass im Wege einer „Arbeitsteilung“ zwischen dem Gesetzgeber im Rahmen einer vorhergehenden Prüfung einerseits und den Behörden und Gerichten im Rahmen des jeweiligen Einzelverfahrens andererseits möglich ist, dass es dem Gesetzgeber nach der Beurteilung der in einem Staat allgemein herrschenden Situation gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.
19Dass gemessen an diesen Maßstäben der deutsche Gesetzgeber dem ihm bei der Einstufung von Georgien als sicherer Herkunftsstaat durch § 29a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG zukommenden Entscheidungs- und Wertungsspielraum,
20vgl. zu Art. 16a Abs. 3 GG: BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1507/93 –, juris Rn. 89 f.; vgl. zu Art. 37 der Richtlinie 2013/32/EU: EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2024 – C-406/22 –, juris Rn. 98, wonach sich die vorzunehmende gerichtliche Prüfung darauf beziehen muss, ob die in Anhang I dieser Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung verkannt [Unterstr. durch das Gericht] worden sind,
21überschritten hätte, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Denn die Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat erfolgte – anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall – gerade für das gesamte Staatsgebiet einschließlich der sogenannten abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien.
22Vgl. daher ausdrücklich in einer Anmerkung feststellend, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes keine Konsequenzen für Deutschland hat: Dörig, NVwZ 2024, 1909, 1915.
23Hierbei hat der deutsche Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/8629, Seite 10) gerade auch im Hinblick auf diese Gebiete im Wege einer Beurteilung der allgemeinen Situation in Georgien festgestellt, dass der von der Regierung kontrollierte Landesteil verfolgungsfrei ist und die staatlichen Stellen dort allgemein – und nicht lediglich im Sinne einer den Behörden und Gerichten im Einzelfall obliegenden Prüfung (vgl. § 3e AsylG) – effektiven Schutz auch im Hinblick auf die abtrünnigen Gebiete gewähren. Gegen eine Verkennung verfassungs- oder europarechtlicher Maßstäbe spricht insbesondere auch der durch den Gesetzgeber hierbei angestellte Vergleich zu der Einstufung von Zypern als Mitgliedstaat der Europäischen Union zum sicheren Herkunftsstaat durch § 29a Abs. 2 AsylG trotz der dortigen sogenannten Türkischen Republik Zypern. Zypern wurde als Mitgliedstaat der Europäischen Union neben seiner einfachgesetzlichen Einstufung als sicherer Herkunftsstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 3 GG durch § 29a Abs. 2 AsylG sogar auch verfassungsunmittelbar durch Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG als sicherer Drittstaat eingestuft. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zuletzt in dem Protokoll (Nr. 24) über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Jahr 2008 erklärt, dass die Mitgliedstaaten füreinander – gerade ohne Ausnahme von und Einschränkungen für das seit 2004 zur Europäischen Union gehörende Zypern – für alle rechtlichen und praktischen Zwecke im Zusammenhang mit Asylangelegenheiten als sichere Herkunftsländer gelten.
24Vgl. hierzu sowie der Folge, dass – anders als bei einfachgesetzlich durch § 29a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG sicheren Herkunftsstaat bestimmten Ländern – sowohl die Einstufung zum sicheren Drittstaat nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG als auch die Protokollerklärung der Mitgliedstaaten sogar zur Folge haben, dass keine Wiederlegung der generellen Vermutung im Einzelfall zulässig ist, sondern sich Betroffene nicht auf das Asylgrundrecht berufen können bzw. ihr Asylantrag grundsätzlich nicht berücksichtigt oder zur Bearbeitung zugelassen wird: Heusch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1 Oktober 2024, § 29a AsylG Rn. 28; Protokoll veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union C 115/1 vom 9. Mai 2008, S. 305 f.
252. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Bundesamts, dass der Antragsteller keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat.
26Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2a AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2b AsylG).
27Als Verfolgung in diesem Sinne gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlung beispielhaft die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt; weitere Verfolgungshandlungen ergeben sich aus Nr. 2 bis 5.
28Zu den Artikeln, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK in keinem Fall abgewichen werden darf, gehört insbesondere Art. 3 EMRK, der unmenschliche oder erniedrigende Behandlung verbietet. Die Misshandlung muss jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Beurteilung, ob dieses Mindestmaß erreicht ist, ist relativ: Sie hängt von allen Umständen des Falls ab, wie der Dauer der Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen und manchmal vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers.
29Vgl. EGMR, Urteil vom 6. Oktober 2015 – 80442/12 –, juris Rn. 92.
30Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die entsprechenden Verfolgungsmerkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
31Eine Verfolgung kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG).
32Wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, wird ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt (sog. interner Schutz).
33Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, gilt der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung von Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris Rn. 32.
35Wurde der Ausländer bereits vor der Ausreise in seinem Herkunftsland verfolgt bzw. war von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht, ist dies nach Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist; d.h. es besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere (unmittelbar drohende) Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften, was im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen ist.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – 1 C 29.17 –, juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, juris Rn. 23.
37Dabei ist es Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Hierzu gehört, dass er die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, so schildert, dass der behauptete Anspruch davon lückenlos getragen wird. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen unter anderem Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des jeweiligen Antragstellers berücksichtigt werden.
38Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, juris Rn. 8; OVG NRW, Urteil vom 6. September 2021 – 6 A 139/19.A –, juris Rn. 44 ff.; OVG NRW, Urteil vom 7. Juni 2021 – 6 A 2115/19.A –, juris Rn. 48; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris Rn. 35; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris Rn. 33.
39An der Glaubhaftmachung fehlt es in der Regel, wenn der Asylbewerber im Laufe des Asylverfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnisse entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 – 9 C 27.85 –, juris Rn. 17; OVG NRW, Urteil vom 6. September 2021 – 6 A 139/19.A –, juris Rn. 48.
41Speziell unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens stehen der Glaubhaftmachung entgegen und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann.
42Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 1989 – 9 B 239/89 –, juris Rn. 3; BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 – 9 C 27.85 –, juris Rn. 17; OVG Sachsen, Urteil vom 22. März 2012 – A 3 A 428/11 –, juris Rn. 24.
43Diese Anforderungen zugrunde gelegt, ist dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft weder aus individuellen Verfolgungsgründen zuzuerkennen (a.), noch kommt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grund einer Gruppenverfolgung in Betracht (b.).
44a. Weder aufgrund der geschilderten Bedrohung durch seine vormaligen Arbeitgeber (aa.), noch aufgrund einer Bedrohung durch seinen Bruder (bb.) ist dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft als Folge einer individuellen Verfolgung zuzuerkennen.
45aa. Selbst wenn man die Homosexualität des Antragstellers an sich als wahr unterstellt, hat der Antragsteller eine Verfolgung durch seine ehemaligen Arbeitgeber, fundamentale orthodoxe Restaurantbesitzer in F., aufgrund seiner sexuellen Prägung bereits nicht schlüssig dargelegt. Der Antragsteller schließt insoweit auf eine Bedrohungslage aus einer mitgeteilten Ansicht dieser Restaurantbesitzer, homosexuelle Menschen seien aufs Brutalste zu bestrafen (Bl. 111 d. BA. 10712090-430), wobei vollkommen unklar bleibt, wann und auf welche Art und Weise der Antragsteller die Kenntnis von dieser Einstellung erhalten haben will. Ein eigenes Gespräch mit den Arbeitgebern in Hinblick auf seine Homosexualität oder die Ansicht der Arbeitgeber zur Homosexualität im Allgemeinen hat der Antragsteller im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt weder im allgemeinen Vortrag noch auf konkrete Nachfrage berichtet. Soweit der Antragsteller ausgeführt hat, seine Arbeitgeber hätten seine Mutter in F. aufgesucht, hat die Mutter des Antragstellers nach seiner eigenen Darstellung überhaupt keinen Grund des Besuchs genannt (Bl. 114 d. BA. 10712090-430). Der Rückschluss des Antragstellers auf eine Verfolgung durch seine Arbeitsgeber erfolgt aufgrund einer kurzen Erwähnung seines eigenen, offensichtlich zum Zeitpunkt des Telefonats selbst erregten Bruders (Bl. 114 d. BA. 10712090-430), wobei auffällig ist, dass der Antragsteller im freien Vortrag diese Erwähnung ausließ und lediglich eine Bedrohung seines Bruders berichtete, wohingegen die Erkundigungen nach seiner Person durch seine Arbeitgeber ansonsten neutral geschildert wurden (Bl. 112 d. BA. 10712090-430). Dass ein Arbeitgeber eventuell das Gespräch sucht, nachdem zwei seiner Arbeitnehmer plötzlich den Arbeitsplatz verlassen haben, lässt für sich gesehen nicht auf eine Bedrohungslage schließen. Aus der bloßen Erwähnung durch den Bruder ergibt sich nichts, das darauf schließen lässt, dass die Arbeitgeber tatsächlich bereit und willens wären, den Antragsteller zu verfolgen. Darüber hinaus erscheint es höchst unglaubhaft, dass der Antragsteller in Kenntnis der homophoben Einstellung seiner Arbeitgeber und, obwohl der Antragsteller nach eigenen Angaben selbst nur unter mühsam aufrechterhaltener Fassade seine eigene Homosexualität verbergen konnte, seinen ebenso homosexuellen Freund nicht nur als weiteren Arbeitnehmer in den Restaurantbetrieb geholt haben will, sondern schließlich auch noch in der zum Restaurant gehörenden Abstellkammer mit seinem Freund den Geschlechtsverkehr vollzogen haben will.
46Davon unabhängig und selbstständig tragend wäre er jedenfalls auf die Inanspruchnahme internen Schutzes zu verweisen, da er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Dies ist für I. der Fall. Der Kläger hat nach eigenem Bekunden in den Jahren 2013 bis 2021 in I. gelebt und dort seinen Lebensunterhalt erwirtschaften können. Der Antragsteller hat mit Ausnahme des Überfalls auf die „A. M.“ im Jahr 2021 keinerlei Probleme während seines achtjährigen Aufenthaltes in I. mitgeteilt, obwohl er nach eigener Darstellung als Homosexueller identifizierbar war (Bl. 113 d. BA. 10712090-430). Anhaltspunkte dafür, dass seine letzten Arbeitgeber den Antragsteller im über dreihundert Kilometer entfernten I. verfolgen könnten oder wollten, sind nicht erkennbar.
47bb. Der Antragsteller ist auch hinsichtlich der Verfolgung durch seinen Bruder jedenfalls auf die Inanspruchnahme internen Schutzes zu verweisen, da er – wie oben bereits aufgeführt – in I. und damit in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Der Antragsteller hat in der Vergangenheit in I. keinerlei Berührungspunkte mit seinem Bruder geschildert. Es ist nicht erkennbar, dass sein Bruder ihn in I. aufspüren und verfolgen wollte oder könnte. Der Bruder des Antragstellers hat auch in der Vergangenheit keine Motivation gezeigt, dem Antragsteller nachzustellen, obwohl ihm nach den Bekundungen des Antragstellers bereits seit dem 14. Lebensjahr des Antragstellers sowohl die Tatsache bekannt war, dass der Antragsteller homosexuell ist, und aufgrund des Vorfalls im Dorf ebenso, dass der Antragsteller dies auch auslebte (Bl. 109 d. BA 10712090-430: „Er sagte zu mir immer, dass ich der sei, der den Ruf der Familie zerstört hat“.). Auch die Tatsache, dass der Bruder sich am Telefon nach dem Aufenthaltsort des Antragstellers erkundigte (Bl. 112 d. BA 10712090-430), zeigt, dass dieser über den Aufenthaltsort des Antragstellers keine Kenntnis hatte.
48b. Dem Antragsteller steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf eine Gruppenverfolgung von Homosexuellen in Georgien zu.
49Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt – abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms – eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2009 – 10 C 11.08 –, juris Rn. 13 m.w.N.
51Die Voraussetzungen für die Annahme einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ist hinsichtlich der erforderlichen „Verfolgungsdichte“ im Grundsatz nicht anders als bei mittelbarer Gruppenverfolgung zu beantworten. Erhebliche Unterschiede können sich aber im Hinblick auf die prinzipielle Überlegenheit staatlicher Machtmittel sowie daraus ergeben, dass die Annahme einer unmittelbar staatlichen Gruppenverfolgung voraussetzt, dass mit ihr eigene staatliche Ziele durchgesetzt werden sollen und dass diese Ziele – offen oder verdeckt – von eigenen staatlichen Organen oder durch eigens vom Staat dazu berufene oder doch autorisierte Kräfte durchgesetzt werden können. Im Unterschied zur mittelbaren Gruppenverfolgung kann daher eine staatliche Gruppenverfolgung schon dann anzunehmen sein, wenn zwar „Referenz-“ oder Vergleichsfälle durchgeführter Verfolgungsmaßnahmen zum Nachweis einer jedem Gruppenmitglied drohenden „Wiederholungsgefahr“ nicht im erforderlichen Umfang oder überhaupt (noch) nicht festgestellt werden können, aber hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm vorliegen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht. Das kann etwa der Fall sein, wenn festgestellt werden kann, dass der Heimatstaat Minderheiten physisch vernichten und ausrotten oder aus seinem Staatsgebiet vertreiben will. In derartigen extremen Situationen bedarf es nicht erst der Feststellung einzelner Vernichtungs- oder Vertreibungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsmaßnahmen darzutun. Die allgemeinen Anforderungen an eine hinreichend verlässliche Prognose müssen allerdings auch dann erfüllt sein. „Referenzfälle“ politischer Verfolgung sowie ein „Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung“ sind auch dabei gewichtige Indizien für eine gegenwärtige Gefahr politischer Verfolgung.
52Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – 9 C 158.94 –, juris Rn. 20 m.w.N.
53Unter Ausschöpfung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ist das Gericht der Überzeugung, dass eine solche Gruppen-Verfolgung Homosexueller in Georgien derzeit nicht anzunehmen ist.
54Vgl. auch VG Hannover, Urteil vom 18. Februar 2015 – 1 A 109/13 –, juris; VG Ansbach, Urteil vom 15. Januar 2018 – AN 4 K 17.33046 –, juris; VG Trier, Urteil vom 22. Juni 2018 – 1 K 1063.TR –, juris; VG Dresden, Urteil vom 23. Januar 2019 – Az. 7 K 5601/17.A –, juris; VG Dresden, Urteil vom 22. Oktober 2019 – 7 K 5924/17.A –, juris; VG Bayreuth, Urteil vom 23. April 2019 – B 1 K 17.32627 –, juris; VG Bayreuth, Urteil vom 22. Juni 2021 – B 1 K 21.30369 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 17. September 2020 – 17 A 5630/19 –, juris; VG Potsdam, Urteil vom 27. Mai 2021 – 2 3028/18.A –, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 9. November 2021 – A 13 K 4977/18 –, juris; VG Dresden, Urteil vom 24. Mai 2022 – 7 K 1997/20.A –, juris; VG Greifswald, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 6 A 898/20 HGW –, juris; VG Trier, Urteil vom 18. Juni 2024 – 7 K 683/24.TR –, juris; a.A. in stetiger Rpsr: VG Berlin, zuletzt Urteil vom 1. April 2022 – 38 K 467/20 A –, juris; zu dieser Rspr. die Berufung nicht zulassend: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. August 2020 – OVG 12 N 8/2 –, abrufbar unter: https://www.lsvd.de/media/doc/1518/georgien_ovg_berlin_beschluss_v.__17.08.2020_12_n_110_20.pdf; VG Meiningen, Urteil vom 13. November 2023 – 2 K 1355/22 Me –, juris; die Berufung wegen dieser divergierenden Rspr. zulassend: Sächs. OVG, Beschluss vom 15. März 2024 – 2 A 415/22.A –, juris.
55Dies gilt sowohl im Hinblick auf eine Verfolgung Homosexueller durch Akteure i.S.v. § 3c Nr. 1 und 2 AsylG (aa.) als auch im Hinblick auf eine Verfolgung Homosexueller durch nichtstaatliche Akteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG (bb.).
56aa. Eine Gruppenverfolgung geht zunächst nicht unmittelbar vom Staat bzw. von Parteien oder Organisationen i.S.v. § 3c Nr. 1 und 2 AsylG aus.
57Aus gesetzlicher Sicht sind gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen in Georgien nicht kriminalisiert.
58Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Georgien vom 7. Februar 2025, S. 36 f.
59Zudem verfügt Georgien über eine gute und umfassende Gesetzgebung zum Schutz Homosexueller. In der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heißt es:
60„Georgien verfügt nach Angaben der Kommissarin für Menschenrechte des Europarates Dunja Mijatović über einen gut entwickelten Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung, der auch die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität und des Geschlechtsausdrucks (Sexual Orientation, Gender Identity, and Gender Expression (SOGIE)) abdeckt. Der Grundsatz der Gleichstellung ist in Artikel 11 der georgischen Verfassung verankert. Obwohl der Verfassungsartikel die sexuelle Ausrichtung und die Geschlechtsidentität nicht ausdrücklich unter den verbotenen Diskriminierungsgründen aufführt, entschied das georgische Verfassungsgericht 2008, dass die Liste der geschützten Rechtsgüter nicht erschöpfend ist, und 2014, dass diese so auszulegen sind, dass sie neben anderen auch die sexuelle Ausrichtung einschliessen. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung wurde 2006 in das Arbeitsgesetz (Artikel 2) aufgenommen, und dieser Schutz wurde 2013 auf vorvertragliche Beziehungen ausgedehnt. Im Jahr 2012 wurden die sexuelle Ausrichtung und die Geschlechtsidentität unter anderem als Diskriminierungsgrund und als erschwerender Umstand in das Strafgesetz aufgenommen. Im selben Jahr wurde das Verbot der Ausstrahlung von Sendungen, die eine Person oder eine Gruppe unter anderem aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung erniedrigen oder diffamieren, in das Rundfunkgesetz aufgenommen (Artikel 56). Darüber hinaus wurden 2014 SOGIE als verbotene Diskriminierungsgründe in das Gesetz zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung aufgenommen (Artikel 1) und das Strafgesetz wurde geändert, um die Verletzung der Gleichstellung in eine nicht erschöpfende Liste geschützter Rechtsgüter aufzunehmen, die mit einer Strafe von bis zu zwei Jahren geahndet wird (Artikel 142). Schliesslich wurde 2015 das Verbot der Aufstachelung zur Gewalt mit einer nicht erschöpfenden Liste von geschützten Rechtsgütern in das Strafgesetz aufgenommen (Artikel 239(1)). Zusätzlich zum Verbot der Aufstachelung zur Gewalt nach Strafgesetz verbietet Artikel 2 Absatz 5 des Gesetzes zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung die Aufstachelung zur Diskriminierung. Diese Bestimmung gilt für Fälle, in denen Hassreden nicht den Anforderungen an die Strafbarkeit genügen.“
61Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: LGBTQI+, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 6. September 2023, S. 15 f.
62Zwar heißt es weiter:
63„Laut einem Artikel vom Juli 2023 von Eurasia-Net nehme in Georgien der von der Regierung geführte Anti-LGBTQI+-Diskurs zu. Seit Monaten habe die georgische Regierung und die führenden Vertretenden der Regierungspartei «Georgischer Traum» aktiv Angst vor dem verbreitet, was sie als westliche Tendenz ansehen, nämlich Kinder mit «LGBTQI+-Propaganda» anzusprechen. Im Juni 2023 hätten so regierungsnahe Medien und Regierungsbeamte Alarm geschlagen, weil bei den «Happy Meals» der lokalen McDonald-Franchise ein Heft beilag, welches illustrierte Biografien berühmter Persönlichkeiten enthielt, welche Kinder inspirieren solle. Das Heft enthielt unter anderem die Biografie des offen schwulen britischen Musiker Elton John. Die Tatsache, dass in der Biografie die Ehe des Sängers mit einem anderen Mann erwähnt wird, wurde von den georgischen Behörden als Beweis für die Verbreitung von «LGBTQI+-Propaganda» unter Kindern aufgegriffen. Ab Ende Juni 2023 wurde zudem einer der grössten georgischen Verlage mit eigener Buchhandelskette von konservativer Seite verschiedener Arten der Propaganda beschuldigt. So wurde eine Zusammenstellung von realen Frauenbiografien als «LGBTQI+-Propaganda» bezeichnet. […] Premierminister Irakli Garibaschwili empörte sich in seiner Parlamentsrede am 30. Juni 2023 über die «LGBTQI+-Propaganda» des Verlagshauses und die «Kampagne» von McDonalds.“
64Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: LGBTQI+, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 6. September 2023, S. 6 f.
65Auch im Wahlkampf der Regierungspartei Georgischer Traum spielte Homophobie eine zentrale Rolle.
66Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation – Georgien, SOGI (Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität): Situation von LGBTIQ-Personen, Stand: Februar 2025, S. 2.
67Nicht zuletzt wurde die Verabschiedung des mittlerweile in Kraft getretenen Gesetzes zum „Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“ im September 2024 von der internationalen Gemeinschaft beanstandet.
68Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Georgien vom 7. Februar 2025, S. 36 f.
69Mit dem Gesetz wird unter anderem die sogenannte „Förderung“ gleichgeschlechtlicher Beziehungen unter Strafe gestellt. Das Gesetzespaket verbietet die Verbreitung von Informationen in Bildungseinrichtungen, Medien oder Werbung, die „darauf abzielen, die Zugehörigkeit zu einem anderen Geschlecht, gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Inzest zu fördern“. Zudem verbietet das Gesetz u.a. Geschlechtsangleichungen und Adoptionen durch homosexuelle oder Transmenschen.
70Vgl. Auswärtiges Amt, Georgien: Reise- und Sicherheitshinweise, Stand – 18. Dezember 2024, unter Hinweis darauf, dass der Begriff „Förderung“ sehr weit ausgelegt werden und jede Erwähnung, Weitergabe von Informationen oder Zurschaustellung von LGBTQI+-Themen umfassen könnte; abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/georgien-node/georgiensicherheit-201918.
71Benachteiligungen, Anfeindungen, Belästigungen und Gewalthandlungen gegenüber LGBTIQ-Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Genderidentität im gesellschaftlichen Umfeld, die vereinzelt auftreten können, gehen aber sehr selten von staatlichen Akteuren, sondern vorrangig von privaten Einzelpersonen und Gruppen aus.
72Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation – Georgien, SOGI (Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität): Situation von LGBTIQ-Personen, Stand: Februar 2025, S. 3.
73Auf Grundlage dieser Erkenntnisse kann von einer Gruppenverfolgung Homosexueller unmittelbar durch den Staat bzw. Parteien oder Organisationen i.S.v. § 3c Nr. 1 und 2 AsylG in Georgien noch nicht ausgegangen werden und wird eine solche von dem Antragsteller auch selbst nicht vorgetragen. Das zunehmend homophobe Ansichten auch in die Politik Einzug halten und in Teilen Niederschlag in der Gesetzgebung gefunden haben, ist zwar besorgniserregend. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind Homosexuelle aber durch den vorstehend beschriebenen, weiterhin bestehenden Rechtsrahmen zum Schutz Homosexueller noch ausreichend geschützt und erreichen auch der von der Regierung zunehmend geführte Anti-LGBTQI+-Diskurs sowie die hierzu schon umgesetzte Gesetzgebung wie das Gesetz zum „Schutz von Familienwerten und Minderjährigen“ noch nicht das Gewicht eines staatlichen Verfolgungsprogramms gegen Homosexuelle.
74Zudem verfügt Georgien weiterhin über starke nationale und verfassungsrechtlich garantierte Menschenrechtsinstitutionen, wie zum Beispiel das Amt der Ombudsperson, welches Einzelfälle aufgreift und Missstände aller Art regelmäßig öffentlich anspricht. Die vom georgischen Parlament ernannte unabhängige Ombudsperson beobachtet mit einem Stab von rund 140 Mitarbeitern und zehn Regionalbüros die Wahrung der Menschenrechte im Land und klärt problematische Vorfälle auf. Sie berät die Regierung in Menschenrechtsfragen und analysiert außerdem die Gesetze, Strategien und Praktiken des Staates in Übereinstimmung mit den internationalen Standards und gibt entsprechende Empfehlungen ab. Basierend auf dem Gesetz zur „Beseitigung aller Formen von Diskriminierung“ wird die Ombudsperson als Gleichbehandlungsstelle definiert. Eine von deren Hauptfunktionen ist es, die Umsetzung des Gesetzes zu überwachen.
75Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 26. Mai 2023 (Stand: April 2023), S. 4; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Georgien vom 7. Februar 2025, S. 22 f.
76bb. Auch geht eine Gruppenverfolgung Homosexueller nicht von nichtstaatlichen Akteuren i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG aus. So liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte für in ihrer Qualität und Quantität § 3a Abs. 1 und 2 AsylG entsprechende Verfolgungshandlungen durch nichtstaatliche Akteure vor (aaa.). Darüber hinaus sind staatliche Stellen i.S.v. §§ 3c Nr. 3, 3d AsylG jedenfalls nicht erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens, Schutz vor Verfolgung zu bieten (bbb.).
77aaa. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung Homosexueller fehlt es nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln in qualitativer und quantitativer Hinsicht an hinreichenden Anhaltspunkten für Verfolgungshandlungen i.S.v. § 3a Abs. 1 und 2 AsylG.
78Nach den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bleibt die Situation von LGBTQI+-Personen sehr schwierig, auch wenn sie rechtlich nicht benachteiligt sind. Im gesellschaftlichen und beruflichen Leben (z.B. Arbeit, Familie, Gesundheit) begegnen LGBTQI+-Personen einer erheblichen ablehnenden Einstellung, angefacht auch durch die Georgisch-Orthodoxe Kirche. Sie müssen mit ungleicher Behandlung und Anfeindungen bis hin zu physischen Übergriffen rechnen. Angehörige sexueller Minderheiten sind deshalb oft gezwungen, ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu verbergen.
79Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 26. Mai 2023 (Stand: April 2023), S. 11; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Georgien vom 7. Februar 2025, S. 36 f.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation – Georgien, SOGI (Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität): Situation von LGBTIQ-Personen, Stand: Februar 2025, S. 3.
80In der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heißt es dazu weiter:
81„Ana Aptsiauri von der georgischen NGO Equality Movement gab gegenüber der SFH an, dass die georgische Gesellschaft noch immer von stereotypen Denkweisen geprägt und die LGBTQI+ die am stärksten marginalisierte Gruppe in Georgien seien. Die Kommissarin für Menschenrechte des Europarates Dunja Mijatović hält in ihrem Bericht im Juli 2022 fest, dass es in der georgischen Gesellschaft eine anhaltende Stigmatisierung von LGBTQI+-Personen gibt. Diese sei eng mit tief verwurzelten Vorstellungen über die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung «traditioneller» Werte und der Familieneinheit verbunden. In der georgischen Gesellschaft herrsche nach wie vor die Einstellung vor, dass LGBTQI+-Personen «sündhaft, unanständig oder krankhaft» sind. Auch der Bericht des Büros des Ombudsmannes von Georgien aus dem Jahr 2021 weist darauf hin, dass Studien, die in den Jahren zuvor in Georgien durchgeführt wurden, zeigten, dass homophobe Einstellungen in der Gesellschaft fortbestehen. Laut einer vom United Nations Population Fund (UNFPA) in Georgien im Jahr 2019 durchgeführten quantitativen Umfrage schämen sich 83 Prozent der Männer und 74 Prozent der Frauen, ein homosexuelles Kind zu haben. Die Überzeugung, dass homosexuelle Frauen oder Männer nicht mit Kindern arbeiten sollten, wird demnach von 83 Prozent der Männer und 64 Prozent der Frauen vertreten. 81 Prozent der Männer antworteten, dass sie keinen homosexuellen Freund haben würden, im Vergleich zu nur 54 Prozent der Frauen. In einer Umfrage des Caucasus Research Resource Center aus dem Jahr 2019 standen auf die Frage, wen die Befragten nicht als Nachbarn haben möchten, Homosexuelle mit 24 Prozent der Antworten an dritter Stelle, hinter Kriminellen (27 Prozent) und Drogenabhängigen (25 Prozent). Eine von UN Women in Auftrag gegebene Studie der georgischen NGO Women’s Initiative Supporting Group sieht dagegen eine Tendenz zu einer Verbesserung der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber LGBTQI+-Menschen. Ihre Einschätzung stützt sich auf die Resultate einer Umfrage aus dem Jahr 2021 im Vergleich zu einer früheren Umfrage aus dem Jahr 2016.“
82Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: LGBTQI+, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 6. September 2023, S. 4 f.
83Weiter heißt es:
84„Drohungen und Angriffe gegen LGBTQI+-Personen geschehen laut ECRI insbesondere – aber nicht nur – im Zusammenhang mit LGBTQI+-M.-Veranstaltungen. Auch Ana Aptsiauri von Equality Movement wies darauf hin, dass die Gewaltrate vor und nach der «M. Week» in der Regel höher sei. […] Im Juli 2021 mündeten gross angelegte Gegendemonstrationen in I. gegen den von den LGBTQI+-M.-Koordinator*innen organisierten «M.-Marsch» in massiver Gewalt gegen Teilnehmende, Organisator*innen, Sympathisant*innen und Journalist*innen. Der Marsch musste abgesagt werden und das Hauptquartier der Organisierenden wurde geplündert. LGBTQI+-Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidigende wurden bedroht und angegriffen. 55 Menschen, darunter 53 Journalist*innen und Kameraleute verschiedener Medien, die sich zur Berichterstattung über die Ereignisse versammelt hatten, wurden verletzt. […] Im Juli 2023 wurde das M.-Festival in I. durch gewaltsame Angriffe von rechtsextremen Gruppen gestört und musste in der Folge abgebrochen werden. Die Organisator*innen warfen der Polizei vor, nicht ausreichend für ihre Sicherheit gesorgt zu haben. Seit den brutalen homophoben Pogromen im Jahr 2021 hatte es keinen Versuch gegeben, öffentliche Pro-LGBTQI+-Veranstaltungen durchzuführen, und die Veranstaltungen fanden in geschlossenem Rahmen statt. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung im Jahr 2023 hatten verschiedene konservative Gruppen angekündigt, diese zu stören.“
85Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: LGBTQI+, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 6. September 2023, S. 9 ff.
86Trotz der zuvor erwähnten Ausschreitungen gegen das M.-Festival im Juli 2023, sind in den urbanen Zentren, insbesondere der Hauptstadt I., in der Regel modernere, liberalere Wertvorstellungen und toleranteres Verhalten vorhanden als in den ländlichen und gebirgigen Landesteilen Georgiens.
87Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderkurzinformation – Georgien, SOGI (Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität): Situation von LGBTIQ-Personen, Stand: Februar 2025, S. 3.
88Eine Statistik der georgischen Kriminalpolizei, in der unter anderem Straftaten mit LGBTQI+-Bezug erfasst werden, ist seit 2021 im Aufbau begriffen. Demnach gab es in Georgien 2022 insgesamt 106 polizeiliche Ermittlungen aufgrund von Anzeigen zu Fällen mit LGBTQI+-Bezug (discrimination in cases of gender identity and sexual orientation). Es gab im gleichen Zeitraum 18 gerichtliche Verurteilungen für Taten mit LGBTQI+-Bezug.
89Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 26. Mai 2023 (Stand: April 2023), S. 11.
90Zu den Risikoprofilen heißt es in der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe:
91„Die grössten Probleme für LGBTQI+-Personen finden laut den Angaben von A. M. vom Oktober 2022 im familiären Kontext statt, wo sie häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Diese Gewalt sei meist verbal, manchmal aber auch physisch. Auch Ana Aptsiauri wies bei der Frage nach besonders vulnerablen Gruppen auf Gewalt im häuslichen Rahmen hin. Dort seien LGBTQI+-Personen oft am meisten betroffen. […] Teilnehmende der im Auftrag von UN Women von der georgischen Women’s Initiative Supporting Group durchgeführten qualitativen Studie wiesen darauf hin, dass Transgender-Personen und Personen, die sich geschlechtsuntypisch verhalten, die sichtbarsten Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinschaft seien und eher Opfer von Hassverbrechen und Diskriminierung werden. Das liege daran, dass ihre Geschlechtsidentität sichtbarer sei und sie aus den Geschlechtsnormen herausfallen. Auch Transfrauen erleben aus diesem Grund häufig ein erzwungenes Outing. In einem Interview mit Cedoca gab die georgische NGO Equality Movement im Oktober 2022 an, dass das Risiko, im Alltag homophoben Handlungen ausgesetzt zu sein, davon abhänge, wo eine Person lebt und wie sie ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität ausdrücke. Dabei spiele vor allem die Sichtbarkeit eine Rolle, zum Beispiel, wenn Männer sich sehr weiblich verhalten oder Ohrringe tragen würden sowie Transfrauen. Mit homophoben Handlungen meint Equality Movement verbale, physische und/oder psychische Gewalt. Alle Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinschaft hätten eine solche Erfahrung gemacht. Equality Movement stelle fest, dass verbale Belästigungen im täglichen Leben üblich seien, insbesondere in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber in der Regel nicht in physische Gewalt umschlagen, da die Polizei in solchen Situationen eingreife.
92Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: LGBTQI+, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 6. September 2023, S. 14.
93Nach dem Vorstehenden ist nicht davon auszugehen, dass die gesellschaftliche Lage jedenfalls für Homosexuelle in Georgien das für eine Gruppenverfolgung im tatbestandlichen Sinne notwendige Maß erreicht. Wenngleich das Risiko für Diskriminierung und Übergriffe auch physischer Natur bestehen mag, ist nicht erkennbar, dass in quantitativer und qualitativer Hinsicht ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Die kriminalpolizeiliche Statistik dokumentiert eine vergleichsweise geringe Anzahl von Straftaten mit LGBTQI+-Bezug. Auch wenn man davon ausgeht, dass eine Dunkelziffer nicht erfasster Fälle besteht, ist nicht davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung einer solchen Dunkelziffer eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung ausreichende Anzahl beachtlicher Übergriffe erreicht wird. Hinzu kommt, dass sich ausweislich der vorstehenden Erkenntnismittel Übergriffe insbesondere – wenngleich nicht ausschließlich – im Zusammenhang mit Veranstaltungen und im häuslichen Umfeld ereignen und Übergriffe in der Öffentlichkeit vor allem verbaler Natur sind und dabei verstärkt auf Transgenderpersonen gerichtet sind.
94In der Gesamtschau und Abwägung aller Umstände ist auch nicht davon auszugehen, dass Homosexuelle in Georgien insgesamt einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass eine homophobe Grundhaltung in Georgien weit verbreitet ist und in vielen Bereichen des täglichen Lebens zu Diskriminierungen, Anfeindungen und ggf. körperlichen Übergriffen führen kann. Dass diese aber dazu führen, dass Homosexuelle von der Teilhabe an der zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens notwendigen Einrichtungen und Dienstleistungen und einer generellen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in erniedrigender Weise abgeschnitten werden oder ein gesellschaftliches Klima besteht, das bei Homosexuellen grundsätzlich und zu jeder Zeit psychische Leiden verursacht bzw. in entwürdigender Weise Ängste, seelische Qualen oder das Gefühl von Minderwertigkeit auslöst,
95vgl. EGMR, Urteil vom 12. Mai 2015 – 73235/12 –, Identoba u.a./Georgia, Rn. 65,
96kann nicht erkannt werden.
97bbb. Unabhängig davon und selbstständig rechtlich tragend ist festzustellen, dass staatliche Stellen i.S.v. §§ 3c Nr. 3, 3d AsylG jedenfalls nicht erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens wären, Schutz vor Verfolgung zu bieten.
98Nach §§ 3c Nr. 3, 3d Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann die Verfolgung nur von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern unter anderem der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens ist, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3d abs. 2 AsylG muss der Schutz vor Verfolgung wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn der Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung bzw. die Gefahr eines ernsthaften Schadens zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.
99Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Flüchtlingsrecht keinen allgemeinen Schutz vor kriminellen Handlungen bietet. Es ist die Aufgabe des jeweiligen Staates, seine Staatsangehörigen vor nach nationalem Recht strafbaren Übergriffen Dritter auf seinem Staatsgebiet zu schützen. Kein Staat vermag es einen schlechthin perfekten, lückenlosen Schutz zu gewähren und sicherzustellen, dass Fehlverhalten, Fehlentscheidungen oder „Pannen“ sonstiger Art bei der Erfüllung der ihm zukommenden Aufgabe der Wahrung des inneren Friedens nicht vorkommen. Deshalb schließt weder Lückenhaftigkeit des Systems staatlicher Schutzgewährung überhaupt noch die im Einzelfall von dem Betroffenen erfahrene Schutzversagung als solche schon staatliche Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit aus.
100Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 – 9 C 1.94 –, juris Rn. 9.
101Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich, dass die georgischen Sicherheitsbehörden „erwiesenermaßen“ nicht willens oder in der Lage wären, Homosexuelle zu schützen. Diese sind generell schutzfähig und -willig, wenngleich die Polizei in ihrer Rolle als Hüter von Regeln wird sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch oft als untätig oder wenig effektiv wahrgenommen wird.
102Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 26. Mai 2023 (Stand: April 2023), S. 6; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Georgien vom 7. Februar 2025, S. 15 f.
103Auch gibt es im georgischen Staat wirksame Rechtsvorschriften gegen die gegenüber Homosexuellen begangenen Verbrechen, insbesondere Beleidigung, Bedrohung und Körperverletzungsdelikte.
104Vgl. Council of Europe, Georgische Gesetze in deutscher Sprache, abrufbar unter: https://rm.coe.int/georgian-laws-in-german/16807104df.
105Den Erkenntnismitteln ist auch nicht zu entnehmen, dass die Polizei – trotz bestehenden Unzulänglichkeiten und teilweisem Fehlverhalten –,
106vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Georgien: LGBTQI+, Auskunft der SFH-Länderanalyse, 6. September 2023, S. 16 ff.,
107Schutzgesuche Homosexueller grundsätzlich ablehnt. Dies belegt bereits die kriminalpolizeiliche Statistik zu Straftaten mit LGBTQI+-Bezug (siehe oben) sowie exemplarisch die strafrechtliche Verfolgung der Angriffe im Vorfeld des angekündigten M.-Marsches am 5. Juli 2021 auf über 50 Medienvertreter. Es wurden 31 Personen festgenommen, von denen 27 zu Haftstrafen verurteilt wurden.
108Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 26. Mai 2023 (Stand: April 2023), S. 8.
109Soweit der Antragsteller sich gegenüber dem Bundesamt auf die Tötung eines Mitglieds aus der LQBTQI+Szene bezieht, (Bl 110 d.BA. „am 17.09.2024 oder am 18.09.2024 habe ich gehört, dass jemand unserer Community getötet wurde“), ist hinsichtlich der wohl gemeinten, am Mittwoch, den 19. September 2024, in ihrer Wohnung erstochen aufgefundenen Transgender-Aktivistin Kesaria Abramidze zunächst festzustellen, dass es sich nach derzeitigem Erkenntnislage um eine Beziehungstat durch den Lebenspartner handelte.
110Vgl. Perspektive Online, Femizid an georgischem Model Kesaria Abramidze, 25. September 2024, online abrufbar unter https://perspektive-online.net/2024/09/femizid-an-georgischem-model-kesaria-abramidze/, zuletzt abgerufen am 27. März 2025; Spiegel Online, Georgische Transgender-Aktivistin getötet - kurz nach Verabschiedung von LGBTQ-Gesetz,20. September 2024, online abrufbar unter https://www.spiegel.de/ausland/georgien-transgender-aktivistin-getoetet-kurz-nach-verabschiedung-von-lgbtq-gesetz-a-a7bf1056-4688-4d34-8cd2-0c8d6f3b78c4, zuletzt abgerufen am 27. März 2025; Andreas Biller, Focus Online, Transgender Influencerin von Freund ermordet, der Beziehung geheim halten wollte, 21. September 2024, https://www.focus.de/panorama/aus-aller-welt/georgien-transgender-influencerin-von-freund-ermordet-der-beziehung-geheim-halten-wollte_d19c05d9-2188-4b0b-b103-2f270c97ceaf.html, zuletzt abgerufen am 27. März 2025 .
111Die unmittelbar am Folgetag des Verbrechens erfolgte Verhaftung des Lebenspartners und seine Anklage wegen vorsätzlichen Mordes mit besonderer Grausamkeit und geschlechtsspezifischer Beweggründe unter erschwerenden Umständen („premeditated murder with particular cruelty and gender-based motives under aggravated circumstances“) zeigen darüber hinaus, dass die georgischen Sicherheitsbehörden weiterhin auch zugunsten von Personen aus der LQBTQI+-Szene tätig werden.
112Vgl. Svetlana Alimova, Georgien Public Broadcaster, Prosecutor's Office charges suspect with premeditated murder of Kesaria Abramidze, 20. September 2024, online abrufbar unter: https://1tv.ge/lang/en/news/prosecutors-office-charges-suspect-with-premeditated-murder-of-kesaria-abramidze/, zuletzt abgerufen am 14. April 2025; Andreas Biller, Focus Online, Transgender Influencerin von Freund ermordet, der Beziehung geheim halten wollte, 21. September 2024, online abrufbar unter: https://www.focus.de/panorama/aus-aller-welt/georgien-transgender-influencerin-von-freund-ermordet-der-beziehung-geheim-halten-wollte_d19c05d9-2188-4b0b-b103-2f270c97ceaf.html, zuletzt abgerufen am 14. April 2025; Mariam Razmadze, Georgia Today, Prosecutor: Beka Jaiani called Kesaria Abramidze a ‘mistake of nature’, 14. März 2025, online abrufbar unter https://georgiatoday.ge/prosecutor-beka-jaiani-called-kesaria-abramidze-a-mistake-of-nature/, zuletzt abgerufen am 14. April 2025.
113Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
114Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).