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1. Für die Festsetzung der Dienst- und Versorgungsbezüge eines Beamten gilt grundsätzlich das Bruttoprinzip. Auch der Rückforderung unterliegen die Bruttobezüge. Der Dienstherr ist nicht auf die Rückforderung der Nettobezüge beschränkt (st. Rspr. des BVerwG).2. Der bei der Rückforderung von Anwärterbezügen infolge der Nichterfüllung einer Auflage nach § 74 Abs. 4 LBesG NRW derzeit in Nordrhein-Westfalen geltende dem ehemaligen Anwärter verbleibende Betrag von 515,00 Euro ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.3. Die bereicherungsrechtliche Saldotheorie findet auf die Rückforderung von Bezügen aus einem Beamtenverhältnis keine Anwendung. Die gezahlten Bezüge sind nicht mit der im Rückforderungszeitraum von dem Beamten erbrachten Dienstleistung zu saldieren.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der am 0. Februar 0000 geborene Kläger stand vom 2. September 2019 bis zum 23. August 2022 als Finanzanwärter im Dienst des beklagten Landes. Nach bestandener Laufbahnprüfung nahm er die Urkunde zur Ernennung zum Beamten auf Probe nicht entgegen.
3Vor Antritt seines Dienstes unterzeichnete der Kläger am 12. Februar 2019 das Formblatt „Hinweise zur Rückforderung von Anwärterbezügen“. Darin wurde er unter anderem darauf hingewiesen, dass ihm die Anwärterbezüge unter der Auflage gewährt würden, dass er im Anschluss an den Vorbereitungsdienst rechtzeitig einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe stelle oder ein ihm angebotenes Amt annehme. Die Nichterfüllung der Auflagen habe die Rückforderung eines Teils der gezahlten Anwärterbezüge zur Folge. Die Rückzahlungspflicht beschränke sich auf den Teil der Bezüge, der den Betrag von 383,47 Euro monatlich übersteige. Auf die Rückforderung könne ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn sie eine unzumutbare Härte bedeuten würde.
4Mit Datum vom 14. November 2022 hörte das Landesamt für Besorgung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV NRW) den Kläger zur beabsichtigten Rückforderung eines Teils der Anwärterbezüge an und bat um Mitteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers. Mit seiner Stellungnahme vom 5. Dezember 2022 wandte der Kläger ein, jedenfalls würden ihm die Bezüge in zu geringer Höhe belassen. Es hätten entsprechend den Verwaltungsvorschriften zum Bundesbesoldungsgesetz mindestens 650,00 Euro angesetzt werden müssen. Inflationsbereinigt ergebe sich daraus ein Betrag von 777,07 Euro. Zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gab er an, er stehe in einem Arbeitsverhältnis mit einer Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft, aus dem er Einkünfte in Höhe von 2.362,50 Euro brutto monatlich erziele. Der Kläger schlug eine Rückzahlung in Raten von 150,00 Euro monatlich vor.
5Mit Bescheid vom 1. Februar 2023 forderte das LBV NRW für die Zeit vom 2. September 2019 bis zum 23. August 2022 Anwärterbezüge in Höhe von 29.671,11 Euro von dem Kläger zurück. Ein Teil der Anwärterbezüge sei ihm unter anderem unter der Auflage gezahlt worden, dass er im Anschluss an den Vorbereitungsdienst rechtzeitig einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe stelle oder ein ihm angebotenes Amt annehme. Diese Auflage habe er nicht erfüllt. Die Rückforderung beschränke sich auf den Teil der Anwärterbezüge, der 515,00 Euro monatlich übersteige. Der Kläger hafte nach § 820 Abs. 1 BGB verschärft und könne sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Rückforderung eine unzumutbare Härte bedeute. Ein vollständiges oder teilweises Absehen von der Rückforderung sei nicht geboten. Das LBV NRW räumte dem Kläger – seinem Vorschlag entsprechend – Ratenzahlung in 197 monatlichen Raten zu jeweils 150,00 Euro und einer Schlussrate in Höhe von 121,11 Euro ein.
6Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das LBV NRW mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2023, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 4. Mai 2023, zurück. Zur Begründung führte es ergänzend aus: Das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sei bei der Festlegung des Betrages von 515,00 Euro monatlich, der Anwärtern belassen werde, nicht an die Regelung des Bundes, die den höheren Betrag von 650,00 Euro vorsehe, gebunden gewesen. Das LBV NRW setzte die von dem Kläger zu zahlenden Raten – abweichend vom Grundbescheid – auf 98 monatliche Raten in Höhe von 300,00 Euro zuzüglich einer Schlussrate von 271,11 Euro fest.
7Der Kläger hat am Montag, 5. Juni 2023, Klage erhoben.
8Er trägt unter Berufung auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 6. Juni 2023 – 5 K 384/22.GI – vor, die Rückforderungssumme sei zu hoch und bedeute eine unzumutbare Härte. Das beklagte Land habe nicht erwogen, die Rückforderung an den Nettobezügen statt den Bruttobezügen auszurichten. Außerdem lasse die Rückforderung außer Acht, dass den gezahlten Bezügen eine tatsächlich erbrachte Gegenleistung gegenüberstehe. Zudem habe es das beklagte Land versäumt, die Regelungen über die Rückforderung an die herrschende Inflation anzupassen. Es bestehe eine erhebliche Differenz zwischen dem vom beklagten Land zugestandenen Belassungsbetrag von 515,00 Euro und dem für Bundesbeamte geltenden Betrag von 650,00 Euro. Er stehe am Anfang eines Studiums. Die Rückforderung könne ihn in eine existenzgefährdende finanzielle Notlage bringen.
9Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
10den Bescheid des LBV NRW vom 1. Februar 2023 in Form des Widerspruchsbescheids vom 29. März 2023 aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, über die Rückforderung eines Teils der Anwärterbezüge neu zu entscheiden.
11Das beklagte Land beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Es tritt der Klage entgegen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen, auf das sich der Kläger berufe, gehe rechtlich fehl. Da der Anspruch auf Bezüge auf den Bruttobetrag gerichtet sei, erfolge auch die Rückforderung der Bruttobeträge. Die an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer werde „für Rechnung“ des Arbeitnehmers als Teil der zustehenden Bezüge gezahlt. Im Übrigen seien von den Anwärterbezügen des Klägers monatlich lediglich Steuerbeträge zwischen 50,00 und 60,00 Euro abgeführt worden. Ein Härtefall sei nicht erkennbar. Auch sei eine Reduzierung des Rückforderungsbetrags aus Billigkeitsgründen nicht geboten. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger den Rückforderungsbetrag im Laufe seines Erwerbslebens werde zurückzahlen können. Außerdem sei dem Kläger eine Ratenzahlung über einen Zeitraum angeboten worden, der deutlich über der Dauer des Vorbereitungsdienstes liege.
14Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. Februar 2025 und vom 6. März 2025 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des LBV NRW Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Mit dem Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
18Die zulässige Klage ist nicht begründet.
19Der Bescheid des LBV NRW vom 1. Februar 2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29. März 2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20Das Rückforderungsbegehren des beklagten Landes findet seine Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 2 Satz 1 LBesG NRW i.V.m. § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB. Die Bezüge in Höhe von 29.671,11 Euro sind im Sinne der genannten Vorschriften zu viel gezahlt, weil der nach § 74 Abs. 4 LBesG NRW zulässigerweise mit ihrer Zahlung bezweckte Erfolg des Eintrittes in den Dienst des beklagten Landes nach Abschluss der Ausbildung nicht eingetreten ist.
21Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 LBesG NRW i.V.m. § 812 BGB ist der Beamte zur Rückzahlung von Bezügen nicht nur dann verpflichtet, wenn die Bezüge bereits ursprünglich rechtswidrig gezahlt worden sind. Vielmehr besteht die Zahlungsverpflichtung auch dann, wenn der mit der Leistung bezweckte Erfolg nicht eintritt (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB). In diesem Falle sind die Bezüge – bei nachträglicher Beurteilung – ebenfalls „zu viel“ gezahlt worden.
22Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. September 2001 – 2 A 9.00 –, juris, Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 3 A 3218/19 –, juris, Rn. 31.
23Der mit der Leistung der Anwärterbezüge an den Kläger bezweckte Erfolg ergibt sich aus der von dem Kläger am 12. Februar 2019 unterzeichneten Belehrung „Hinweise zur Rückforderung von Anwärterbezügen“, wonach die Anwärterbezüge unter anderem mit der Auflage gewährt wurden, dass der Kläger im Anschluss an den Vorbereitungsdienst rechtzeitig einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe stellt oder ein ihm angebotenes Amt annimmt. Diese „Auflage“ ist eine Zweckbestimmung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB. Sie setzt eine tatsächliche Willenseinigung zwischen dem Leistenden und dem Empfänger über den verfolgten Zweck voraus und tritt neben den Rechtsgrund der Leistung. Wird sie verfehlt, rechtfertigt dies grundsätzlich trotz fortbestehenden Rechtsgrundes die Rückforderung. Rechtsgrundlage dieser Zweckbestimmung ist § 74 Abs. 4 LBesG NRW, wonach die Gewährung von Bezügen für Anwärter, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes ein Studium ableisten, von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht werden kann. Ziel solcher Auflagen ist es, den Vorteil auszugleichen, den „Anwärterstudenten“ dadurch erlangen, dass sie im Vergleich zu anderen Beamten auf Widerruf im Vorbereitungsdienst durch die Ermöglichung eines Studiums und im Vergleich zu anderen Studierenden durch die Zahlung von Bezügen privilegiert sind. Benachteiligungen der Beamten auf Widerruf, die wegen einer „Auflage“ nach § 74 Abs. 4 LBesG NRW zur Rückzahlung der Anwärterbezüge verpflichtet sind, werden – pauschalierend und typisierend – dadurch vermieden, dass sich die Rückzahlungspflicht auf einen Teil der Anwärterbezüge beschränkt, hier auf den Betrag, der 515,00 Euro monatlich überschreitet.
24Vgl. nur OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 3 A 3218/19 –, juris, Rn. 34 ff. m.w.N.
25Die Zweckbestimmung in der von dem Kläger vor seiner Einstellung in den Vorbereitungsdienst unterschriebenen Belehrung ist wirksam. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit bestehen nicht.
26Vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 3 A 3218/19 –, juris, Rn. 39.
27Der Kläger hat die Voraussetzungen der Zweckbestimmung in der Belehrung verfehlt. Er hat nach bestandener Laufbahnprüfung die Urkunde zur Ernennung zum Beamten auf Probe nicht angenommen.
28Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Rückforderung der Bezüge wegen eines Härtefalls liegen nicht vor. Eine unzumutbare Härte ist nur in atypischen Fällen anzunehmen. Eine atypische Fallgestaltung ist hier nicht gegeben. Fraglos belastet den Kläger die Rückforderung in Höhe von fast 30.000,00 Euro stark. Darin liegt aber keine atypische Konstellation, die den Fall des Klägers von anderen Fällen ehemaliger Anwärter, die sich der Rückforderung von Anwärterbezügen gegenübersehen, unterscheiden würde. Zudem hat sich der Kläger gegen den Verbleib im Landesdienst entschieden und damit die teilweise Rückforderung der Anwärterbezüge, auf die er hingewiesen worden war, in Kauf genommen.
29Auf einen Wegfall der Bereicherung kann sich der Kläger gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 LBesG NRW i.V.m. § 820 Abs. 1 Satz 1 BGB schon nicht berufen, weil der mit der Gewährung der Anwärterbezüge verfolgte Zweck, ihn im Anschluss an seine Ausbildung für längere Zeit zu binden, nicht erreicht worden ist.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992 – 2 C 28.91 –, juris, Rn. 40; VG Köln, Urteil vom 20. Oktober 2020 – 3 K 2131/18 –, juris, Rn. 28.
31Der Rückforderungsbetrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
32Entgegen der Auffassung des Klägers war das LBV NRW berechtigt, den Bruttobetrag zurückzufordern. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei der Festsetzung der Dienst- und Versorgungsbezüge grundsätzlich das Bruttoprinzip gilt. Gleiches gilt entsprechend für die Rückforderung von Bezügen.
33Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2014 – 2 B 45.13 –, juris, Rn. 30 f. m.w.N., und grundlegend Urteile vom 12. Mai 1966 – II C 197.62 –, BVerwGE 24, 92 = juris, Rn. 56 ff., und vom 22. September 1966 – VIII C 109.64 –, BVerwGE 25, 97.
34Dieser Grundsatz und die tragenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts begegnen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere ist der Staat nicht aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehindert, den Bruttobetrag von einem Beamten zurückzufordern.
35Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1977 – 2 BvR 407/76 –, juris, Rn. 60 f.; a.A. mit bereicherungsrechtlicher Argumentation VG Gießen, Urteil vom 6. Juni 2023 – 5 K 384/22.GI –, juirs, Rn. 79 ff.
36Auch der nicht zurückgeforderte, dem Kläger belassene Betrag ist der Höhe nach nicht zu beanstanden. Das LBV NRW hat den Betrag der Anwärterbezüge zurückgefordert, der 515,00 Euro monatlich übersteigt. Dieser verbleibende Betrag steht im Einklang mit der Erlasslage. Mit Runderlass des Finanzministeriums vom 19. September 1997 – B 2020 - 71.1.2 - IV A 2 – (MBl. NRW. 1997 S. 1306) wurde die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesbesoldungsgesetz (BBesGVwV) in der Fassung vom 11. Juli 1997 für Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen für anwendbar erklärt. Nach deren Nr. 59.5.2 beschränkte sich der nicht der Rückforderung unterliegende Teil der Anwärterbezüge auf 750,00 DM. Dieser Betrag wurde durch Runderlass des Ministeriums der Finanzen vom 1. August 2022 – B 2010 – 74.4 – IV A 6 – (MBl. NRW. 2022 S. 658) auf 515,00 Euro angehoben. Die BBesGVwV in der aktuellen Fassung vom 19. November 2020 (GMBl. 2020, S. 983), die in Nr. 59.5.2 einen belassenen Betrag von 650,00 Euro vorsieht, findet auf Landesbeamte keine Anwendung.
37Die verschiedenen Beträge für Bundes- und Landesbeamte stehen mit dem Allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) im Einklang. Sie sind – wie verschiedene Regelungen der Besoldung des Bundes und der Länder – eine rechtskonforme Folge daraus, dass die Besoldung der eigenen Beamten in die jeweilige Zuständigkeit von Bund und Ländern fällt.
38Vgl. ebenso VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13. Juni 2023 – 12 K 3415/20 –, juris, Rn. 63 ff. m.w.N.
39Nachdem das beklagte Land den zu belassenden Betrag im August 2022 auf 515,00 Euro angehoben hatte, war es nicht verpflichtet, den Betrag im Anschluss fortlaufend an die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Inflation, anzupassen. Der Kläger lässt bei seiner Argumentation unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Gießen,
40Urteil vom 6. Juni 2023 – 5 K 384/22.GI –, juris, Rn. 123,
41unberücksichtigt, dass das beklagte Land den zu belassenden Betrag – anders als im Fall des Verwaltungsgerichts Gießen – erst in jüngster Vergangenheit angehoben hat und der angehobene Betrag ihm rückwirkend zu Gute kommt. Der Rückforderungszeitraum endete am 23. August 2022.
42Des Weiteren weist die im Bescheid des LBV NRW vom 1. Februar 2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29. März 2023 getroffene Ermessensentscheidung keine Fehler auf. Es ist nicht zu beanstanden, dass das LBV NRW nicht gemäß § 15 Abs. 2 Satz 3 LBesG NRW aus Billigkeitsgründen von der Rückforderung ganz oder teilweise abgesehen hat.
43Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezweckt die Billigkeitsentscheidung nach § 15 Abs. 2 Satz 3 LBesG NRW (entsprechend § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG), eine allen Gesichtspunkten des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen. Dafür kommt es nicht entscheidend auf die Lage in dem Zeitraum an, für den die Zahlung geleistet worden ist, sondern auf die Lage im Zeitpunkt der Rückabwicklung. Weiter muss diese Billigkeitsentscheidung zum einen berücksichtigen, ob das überwiegende Verschulden an der Überzahlung bei der Behörde liegt. In diesem Fall ist es regelmäßig angemessen, auf einen Teil der zurückzufordernden Summe zu verzichten.
44Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Februar 2019 – 2 C 24.17 –, juris, Rn. 18 ff. (zu § 52 LBeamtVG BE), und vom 16. Juli 2020 – 2 C 7.19 –, juris, Rn. 30 ff. (zu § 12 BBesG), jeweils m.w.N.; ebenso OVG NRW, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 3 A 3218/19 –, juris, Rn. 67 ff.
45Zum anderen ist bei der Ermessensentscheidung über die Rückforderung überzahlter Besoldung in den Blick zu nehmen, in welchem Zeitraum die Zuvielzahlung von Besoldung erfolgt ist. Insofern entspricht es in der Regel der Billigkeit, bei wiederkehrenden Überzahlungen in jeweils geringer Höhe über einen längeren Zeitraum Ratenzahlungen einzuräumen, die dem Überzahlungszeitraum entsprechen. Die Festlegungen sind im Bescheid zu treffen. Die bloße Ankündigung einer späteren Ratenzahlungsvereinbarung genügt nicht.
46Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2012 – 2 C 15.10 –, juris, Rn. 28, und – 2 C 4.11 –, juris, Rn. 22; ebenso OVG NRW, Urteile vom 17. August 2018 – 1 A 2317/16 –, juris, Rn. 67, und vom 16. Dezember 2021 – 3 A 3218/19 –, juris, Rn. 71.
47Dies zugrunde gelegt ist die Billigkeitsentscheidung frei von Ermessensfehlern. Der Kläger wurde bereits vor Ausbildungsbeginn ausdrücklich und schriftlich über die Rückforderung eines Teils der Anwärterbezüge unter anderem für den Fall informiert, dass er im Anschluss an den Vorbereitungsdienst nicht rechtzeitig einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe stellt oder ein ihm angebotenes Amt nicht annimmt. Es war auch nicht aus Gründen der Billigkeit geboten, den Rückforderungsbetrag wegen überwiegenden Verschuldens des beklagten Landes zu reduzieren. Ein Verschulden des beklagten Landes kann nicht festgestellt werden.
48Das LBV NRW hat zudem der finanziellen Situation des Klägers ausreichend Rechnung getragen, indem es ihm im Widerspruchsbescheid eingeräumt hat, den Rückforderungsbetrag in 98 Monatsraten zu je 300,00 Euro und einer Schlussrate von 271,11 Euro zurückzuzahlen. Auch wenn die Ratenhöhe doppelt so hoch festgesetzt wurde, wie vom Kläger vorgeschlagen und vom LBV NRW im Grundbescheid vom 1. Februar 2023 vorgesehen, erscheint die Höhe der monatlichen Raten sowie die Laufzeit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers angemessen. Überdies hat das LBV NRW in dem Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass es bereit ist, die Ratenhöhe auf Antrag zu überprüfen, was insbesondere in Betracht kommen dürfte, falls der Kläger seinen Arbeitsplatz verliert oder einer anderen, derzeit nicht absehbaren finanziellen Belastung ausgesetzt ist.
49Der Kläger kann sich schließlich auch im Übrigen nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen,
50vgl. Urteile vom 15. März 2023 – 5 K 1906/22.GI –, juris, und vom 6. Juni 2023 – 5 K 384/22.GI –, juris,
51berufen, der – soweit ersichtlich – bislang kein anderes Verwaltungsgericht gefolgt ist.
52Die Auffassung, entsprechend der im Bereicherungsrecht etablierten Saldotheorie seien die gezahlten Anwärterbezüge mit der im Rückforderungszeitraum von dem Kläger erbrachten Dienstleistung zu saldieren, wodurch der Rückforderungsbetrag vollständig untergehe,
53vgl. VG Gießen, Urteile vom 15. März 2023 – 5 K 1906/22.GI –, juirs, Rn. 49 ff., und vom 6. Juni 2023 – 5 K 384/22.GI –, juris, Rn. 83 ff.,
54überzeugt nicht. Diese Argumentation lässt unberücksichtigt, dass sich im Beamtenverhältnis, anders als im Arbeitsverhältnis, nicht Dienstleistung und Vergütung in einem Synallagma gegenüberstehen. Die Besoldung ist nicht Gegenleistung für den Dienst des Beamten, sondern Teil der komplexen Rechts- und Pflichtenstellung, in der der Beamte und der Dienstherr verbunden sind.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2004 – 2 C 61.03 –, juris, Rn. 22; VG Berlin, Urteil vom 26. Oktober 2023 – 7 K 128/23 –, juris, Rn. 40, bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Dezember 2024 – 10 N 74/23 –, juris.
56Die Billigkeitsentscheidung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das LBV NRW die Möglichkeit hätte in Erwägung ziehen müssen, statt der Bruttobeträge nur die Nettobeträge zurückzufordern. Das Verwaltungsgericht Gießen, auf das sich der Kläger auch insoweit beruft, stützt seine gegenteilige Auffassung,
57vgl. VG Gießen, Urteil vom 6. Juni 2023 – 5 K 384/22.GI –, juris, Rn. 106 ff.,
58auf die Feststellung in einem nicht tragenden Sondervotum zu einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1977 – 2 BvR 407/76 – (juris, Rn. 62 ff.), die Vorschriften des Grundgesetzes stünden nicht entgegen, wenn sich der Dienstherr auf die Rückforderung des Nettobetrages beschränken würde (a.a.O., Rn. 66). Aus der rechtmäßigen Handlungsmöglichkeit des Dienstherrn, nur den Nettobetrag zurückzufordern, lässt sich aber nicht die Verpflichtung ableiten, im Rahmen der Billigkeitsentscheidung stets Erwägungen hierzu anzustellen.
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
60Rechtsmittelbelehrung
61Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
62Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
63Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
64Beschluss
65Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
6629.671,11 Euro
67festgesetzt.
68Gründe
69Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
70Rechtsmittelbelehrung
71Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.