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Es wird festgestellt, dass die dem Kläger in der öffentlichen Sitzung des Rates der Stadt M. am 13. November 2023 wegen eines Redebeitrages zu Tagesordnungspunkt 11.9 erteilten Ordnungsrufe rechtswidrig waren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Kläger ist Mitglied des Rates der Stadt M. und gehört dort der Ratsgruppe „E.“ an.
3In der Ratssitzung vom 13. November 2023 wurde unter Tagesordnungspunkt 7.3 die Beschlussvorlage VO/1121/23 „Überplanmäßige Mittelbereitstellung für die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine“ behandelt. Der Kläger meldete sich im Zuge dessen zu Wort und erklärte auszugsweise:
4„Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Ratsfrauen und Ratsherren, liebe Zuschauer in M. und weiter weg.
5Gestatten Sie mir kurz, zwei Sätze vom Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck zu diesem Thema zu zitieren: ‚Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich‘ – 2015. ‚Zuwanderung zu begrenzen, ist moralisch nicht verwerflich und politisch geboten‘ – 2023.
6Wir fordern deshalb eine Flüchtlingsobergrenze für M.. Die Erfüllungsquote ist bereits bei 120 %, d.h. wir haben um 20 % übererfüllt. H. und L. liegen bei um die 90 %. Wir haben zu entscheiden über die Vorlage ‚Bereitstellung von überplanmäßigen Mitteln aufgrund des erhöhten Finanzbedarfs im Haushaltsjahr 2023 für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine‘. Der Rat soll der überplanmäßigen Bereitstellung von Mitteln in Höhe von 6,4 Millionen im Haushaltsjahr 2023 für die Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine zustimmen.
7[…]
8Vom Land, vom Bund gibt es keinen Cent für die Vorhaltung von Plätzen. Die Anzahl habe ich gerade vorgelesen. Frau W., Leiterin des Ressorts Zuwanderung, teilt mit, dass 10.000 Euro pro Flüchtling von den Kommunen gefordert wurden. Das Gegenangebot lag bei 5.000 Euro und man habe sich auf 7.500 Euro geeinigt. Allein die Art und Weise, wie hier mit den kommunalen Finanzen umgegangen wird, diese Basarökonomie, sage ich mal, zeigt doch, dass hier ein wahnsinniges Defizit besteht, diese Sache verträglich für die Kommune zu gestalten. Im Übrigen hält Frau W. den Betrag von siebeneinhalbtausend für nicht ausreichend. Betreffs Ukraine sagt sie heute in der WZ: ‚Wir hoffen, dass es auch 7.500 Euro für Ukrainer gibt, aber das ist noch nicht ganz klar‘.
9Aus vorgenannten Gründen stellen wir den Antrag auf Vertagung. Danke.“
10Der Antrag auf Vertagung wurde sodann mit Stimmenmehrheit abgelehnt, die Beschlussvorlage VO/1121/23 mehrheitlich angenommen.
11Der Kläger meldete sich zur Beschlussvorlage VO/1002/23 „Weiterbetrieb des Objektes T. 00 (Art-Hotel) zur Unterbringung Geflüchteter“ unter Tagesordnungspunkt 11.9 erneut zu Wort. Ausweislich des Videomitschnitts der Ratssitzung (abrufbar unter „Zitat wurde entfernt“) schlossen sich folgende Redebeiträge an:
12[…]
13[Kläger] „Sehr geehrter Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Zuschauer in M. und der ganzen Welt.
14Vorangestellt zwei Sätze des Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck: ‚Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich‘ – 2015. ‚Zuwanderung zu begrenzen, ist moralisch nicht verwerflich und politisch geboten‘.
15Kann der Herr Oberbürgermeister für Ruhe sorgen? Ich wiederhole: ‚Zuwanderung zu begrenzen, ist moralisch nicht verwerflich und politisch geboten‘ – 2023. Wir fordern deshalb eine Flüchtlingsobergrenze für M.. Die Erfüllungsquote ist bereits bei 120 %, d.h. um 20 % übererfüllt. H. und L. liegen jeweils bei rund 20 %. Herr Y. möchte einen Geschäftsordnungsantrag stellen?“
16[Ratsherr Y.] „Ich bitte zu überprüfen, ob es eine Missachtung des Rates ist, mehrfach den gleichen Antrag vorzulesen.“
17[Kläger] „Zur Erwiderung möchte ich antworten, dass es in beiden Beschlussvorlagen um Flüchtlinge geht.“
18[Beklagter] „Genau Herr N., aber ich würde Sie bitten, zu den innovativen neuen Punkten zu kommen, das andere haben wir ja jetzt schon einmal gehört.“
19[Kläger] „Ja, ich muss hier eine Weile hier wiederholen können, um das auch in die Gehirne hineinzubekommen. Der Rat der Stadt M. beschließt die Fortsetzung der Unterbringung Geflüchteter im K. bis zum 31.12.2024. Das ist der Beschlussvorschlag. Die Kosten für die Stadt M.: 4,7 Millionen Euro. Diese sollen im Haushaltsentwurf 2024-2025 berücksichtigt werden. Dies ist eine Verletzung des Konnexitätsprinzips. Die Staatsebene, die über eine Aufgabe entscheidet, ist auch für die Finanzierung zuständig. Zu Deutsch: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Auch gibt es keinen Cent für die Vorhaltung von Plätzen. Wenn also keine Zusicherung zur Überweisung seitens Bund oder Land für die Januarmiete über knapp 400.000 Euro vorliegt, lehnen wir die Vorlage ab. Es geht um 2.000 geduldete Flüchtlinge, von denen um 500 vollziehbar ausreisepflichtig sein werden. Wir schlagen vor, einige hundert von diesen mit WSW-Bussen direkt vors Bundeskanzleramt nach Berlin zu fahren.“
20[Beklagter] „Herr N., ich rufe zur Ordnung.“ [1. Ordnungsruf]
21[Kläger] „Ich bringe hier entweder Satire oder konkrete Lösungsvorschläge. Wie Sie das einordnen, ist Ihre Sache. Bundeskanzler Scholz sagte: ‚Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben. Wer keine Bleibeperspektive in Deutschland hat, weil er sich nicht auf Schutzgründe berufen kann, muss zurückgehen‘ – Ende des Zitats.“
22[Beklagter] „Bleiben Sie bitte bei der Sache. Es geht hier um die Unterbringung T..“
23[Kläger] „Die Sache ist, dass Herr Scholz meist Maulaffen feilbietet. Das ist keine Neuigkeit. Er wird sich also wahrscheinlich nicht um die Abzuschiebenden kümmern. Dann fahren die WSW-Busse halt weiter zur Besichtigung der Multikulti-Hauptstadt Berlin in Bezirke wie Q., wo Deutschstämmige in der Minderheit sind, 40 % Migranten und ...“
24[Beklagter] „Herr N., ich rufe Sie nochmal zur Ordnung. Bitte bleiben Sie bei der Sache.“ [2. Ordnungsruf]
25[Kläger] „Ich versuche hier eine Lösung zu finden für den Überschuss von ca. 500 Menschen, die ohne Duldungsgründe vollziehbar ausreisepflichtig sein werden … sind und hier in ganz M. bleiben dürfen, obwohl sie Kosten verursachen, die nicht von Bund oder Land abgedeckt sind. Dort gibt es Kieze in Berlin, wo sie von der Wiege bis zur Bahre kein Wort Deutsch benötigen …“
26[Beklagter] „Herr N., bitte bleiben Sie bei der Sache. Ich rufe Sie das letzte Mal zur Ordnung, sonst muss ich Ihnen das Wort entziehen.“ [3. Ordnungsruf]
27[…]
28Die Beschlussvorlage VO/1002/23 wurde im Anschluss mit Stimmenmehrheit beschlossen.
29Mit anwaltlichem Schreiben vom 17. November 2023 legte der Kläger Einspruch gegen die Ordnungsrufe ein und forderte den Beklagten auf, den Fall zwecks Klärung dem Rat vorzulegen. Der Einspruch des Klägers wurde – nach Befassung durch den Hauptausschuss – in der Ratssitzung vom 18. Dezember 2023 mit Stimmenmehrheit zurückgewiesen (Beschlussvorlage VO/1277/23).
30Der Kläger hat am 18. Februar 2024 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Die erteilten Ordnungsrufe seien rechtswidrig. Der Beklagte habe die Ordnungsmaßnahmen in der Sitzung nicht näher begründet. Zudem habe es sich bei den verfahrensgegenständlichen Redebeiträgen vom 13. November 2023 um Haushaltsreden gehandelt. Für diese sei anerkannt und gängige Praxis im Rat der Stadt M., dass man freier reden und auch auf größere Zusammenhänge hinweisen könne. Seine Äußerungen hätten einen sachlichen Bezug zu dem unter Tagesordnungspunkt 11.9 zur Abstimmung gestellten Antrag aufgewiesen. Plakative und vergröbernde Wendungen im Meinungskampf seien hinzunehmen. Inhaltlich und in der Tonlage falle sein Debattenbeitrag nicht aus der Spanne dessen, was seitens der obergerichtlichen Rechtsprechung für grundsätzlich zulässig gehalten werde. Er habe sich weder ungebührlich im Rechtssinne verhalten noch beleidigend zum Nachteil einer konkret bestimmbaren Person geäußert. Die Forderung, abgelehnte Asylbewerber auch tatsächlich abzuschieben, sei mit Blick auf das Konnexitätsprinzip ein vernünftiger, nachvollziehbarer und logischer Gedanke. Die von dem Kläger in den Raum gestellte Erwägung, „die Problematik“ unmittelbar nach Berlin und dort vor das Bundeskanzleramt zu bringen, schließe inhaltlich an einen Referenzfall aus Landshut an. Der Kläger habe mit seinem Redebeitrag nicht provoziert, sondern tatsächlich einer Wiederholung dieser ähnlich gelagerten Aktion das Wort geredet. Es habe sich um einen konkreten Vorschlag gehandelt, der in der kommunalen Praxis andernorts bereits erprobt worden sei. Die von dem Kläger thematisierte Flüchtlingsobergrenze stehe im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Flüchtlingsunterkunft. Zwar könne der Rat nicht in Eigenregie eine Obergrenze festlegen. Insofern sei seine Rede aber nicht als Provokation, sondern als Angebot bzw. Aufforderung einzuordnen, den Boden für eine solche Resolution zu ebnen.
31Der Kläger beantragt,
32festzustellen, dass die dem Kläger in der öffentlichen Sitzung des Rates der Stadt M. am 13. November 2023 wegen eines Redebeitrages zu Tagesordnungspunkt 11.9 seitens des Beklagten erteilten Ordnungsrufe rechtswidrig waren.
33Der Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Er führt zur Begründung im Wesentlichen aus: Die gerügten Ordnungsrufe seien rechtmäßig. Der Beklagte habe den Kläger aufgrund des Wortbeitrags, Flüchtlinge mittels WSW-Bussen direkt vor das Bundeskanzleramt nach Berlin zu fahren, gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) und b) der Geschäftsordnung des Rates der Stadt M. in der ab dem 7. März 2023 gültigen Fassung (im Folgenden: GO Rat) zur Ordnung rufen dürfen. Die Äußerung weise keinen inhaltlichen Zusammenhang zum Tagesordnungspunkt auf und sei zudem ungebührlich. Die Angst vor einer willkürlichen Verbringung an andere Orte sei geeignet, Menschen daran zu hindern, ihr Grundrecht auf Asyl bzw. ihre Rechte als Flüchtlinge wahrzunehmen. Die Aufforderung zu Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung bzw. deren böswillige Verächtlichmachung könne zudem eine Strafbarkeit gemäß § 130 Abs. 1 StGB begründen. Der Redebeitrag des Klägers habe den Zweck, Flüchtlinge zu diffamieren. Der Beklagte habe dem Kläger anschließend gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat einen Sachruf erteilt. Der zweite und dritte Ordnungsruf seien gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat erfolgt, da der Kläger sich erneut nicht nur Sache, sondern zu bundespolitischen Fragen bzw. zur Stadt Berlin und seinen Bewohnern geäußert habe. Der Kläger habe an seine diffamierende Äußerung gegenüber Flüchtlingen angeknüpft und diese Diffamierung zudem auf Bewohner mit Migrationshintergrund des Bezirks Q. erweitert.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.
37Entscheidungsgründe
38Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig (I.) und begründet (II.).
39I. Die Klage ist zulässig.
40Sie ist als Feststellungklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Die Frage der rechtlichen Zulässigkeit eines einem Ratsmitglied durch den Oberbürgermeister als Ratsvorsitzenden erteilten Ordnungsrufs ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO.
41Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. September 2017 – 15 A 2785/15 –, juris Rn. 30; Beschluss vom 16. Mai 2013 – 15 A 785/12 –, juris Rn. 23.
42Der Kläger hat im vorliegenden Kommunalverfassungsstreitverfahren auch ein berechtigtes Feststellungsinteresse im Sinne § 43 Abs. 1 VwGO. Dieses ergibt sich – wie regelmäßig in Fällen dieser Art – daraus, dass das betroffene Ratsmitglied die im Kreis seiner Kollegen verbleibende diskriminierende Wirkung eines Ordnungsrufes abzuwenden sucht und im Übrigen bestrebt ist, eine Klärung herbeizuführen im Hinblick auf die mögliche Wiederholung vergleichbarer Fallgestaltungen in der Zukunft, um sein Mitwirkungsrecht abzusichern.
43Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2013 – 15 A 784/12 –, juris Rn. 51; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. November 1994 – 7 A 10194/94 –, juris Rn. 22; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. November 2015 – 1 K 7540/14 –, juris Rn 20 ff.
44Der Kläger ist ferner analog § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Es besteht eine hinreichende Möglichkeit, dass die streitbefangenen Ordnungsrufe den Kläger in seinen organschaftlichen Rechten als Ratsmitglied verletzen, nämlich in dem aus § 43 Abs. 1 GO NRW folgenden Rederecht. Denn der Kläger war aufgrund der Ordnungsmaßnahmen gezwungen, sich auf die Auffassung des Beklagten als Ratsvorsitzenden von der Ordnung der Sitzung einzustellen, wollte er nicht erhebliche Nachteile im Hinblick auf seine Möglichkeit zur weiteren Sitzungsteilnahme und Ausübung seines Rederechts und damit auf den Kern der Mandatsausübung in Kauf nehmen. Stellt sich das Ratsmitglied nicht auf den jeweiligen Ordnungsruf ein, riskiert es bei Wiederholung des sanktionierten Wortbeitrags den Entzug des Rederechts und den Ausschluss von der Sitzung (vgl. § 19 Abs. 2 lit. c), Abs. 3 GO Rat).
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. September 2017 – 15 A 2785/15 –, juris Rn. 32 ff.; Beschluss vom 16. Mai 2013 – 15 A 784/12 –, juris Rn. 56; VG Düsseldorf, Urteil vom 6. November 2015 – 1 K 7540/14 –, juris Rn 26.
46Schließlich steht der Zulässigkeit der Klage auch nicht der Grundsatz der Organtreue entgegen. Dieser begründet die Obliegenheit, rechtliche Bedenken gegen (erfolgte oder anstehende) Maßnahmen/Beschlussfassungen in der verfahrensrechtlich gebotenen Form rechtzeitig geltend zu machen. Die rechtzeitige Rüge hat grundsätzlich gegenüber dem Organ selbst zu erfolgen. Unterbleibt diese rechtzeitige Rüge, kann die vermeintliche Rechtswidrigkeit der fraglichen Verfahrensweise später nicht mehr im Rahmen einer Feststellungsklage mit Erfolg geltend gemacht werden. Denn durch die unterlassene Rüge ist dem Organ die Möglichkeit genommen worden, die Einwände eines seiner Mitglieder zu prüfen und gegebenenfalls für Abhilfe Sorge zu tragen.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Mai 2021 – 15 A 2079/19 –, juris Rn. 58 f. m.w.N.; Urteil vom 14. September 2017 – 15 A 2785/15 –, juris Rn. 43.
48Weitere Konkretisierungen des organtreuen Verhaltens – etwa ein bestimmter fristgebundener Verfahrensablauf – können sich aus der Geschäftsordnung des Rates ergeben.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Mai 2021 – 15 A 2079/19 –, juris Rn. 64 ff.; VG Düsseldorf, Urteil vom 18. März 2016 – 1 K 8453/15 –, juris Rn. 24.
50§ 19 Abs. 7 Satz 1 GO Rat sieht insoweit vor, dass einem Ratsmitglied gegen Ordnungsmaßnahmen ein Einspruch zusteht, der binnen zehn Kalendertagen schriftlich bei dem Oberbürgermeister einzulegen ist. Über den Einspruch entscheidet gemäß § 19 Abs. 7 Satz 2 GO Rat der Rat ohne Aussprache in der nächsten Sitzung.
51Hiervon ausgehend hat der Kläger dem Grundsatz der Organtreue genügt. Er hat im Nachgang zur Ratssitzung vom 13. November 2023 mit anwaltlichem Schreiben vom 17. November 2023 – und damit binnen zehn Tagen – Einspruch gegen die streitgegenständlichen Ordnungsrufe beim Beklagten eingelegt.
52II. Die Klage ist begründet.
53Der Beklagte hat den Kläger in der Ratssitzung der Stadt M. vom 13. November 2023 zu Unrecht dreimal zur Ordnung gerufen und damit den Kläger in seinem organschaftlichen Rederecht aus § 43 Abs. 1 GO NRW verletzt.
54Die auf § 51 Abs. 1 GO NRW i.V.m. § 19 Abs. 2 lit. a) und b) GO Rat gestützten Ordnungsrufe sind rechtswidrig.
55Gemäß § 51 Abs. 1 GO NRW leitet der Bürgermeister die Verhandlungen, eröffnet und schließt die Sitzungen, handhabt die Ordnung und übt das Hausrecht aus. Als sitzungsleitende Maßnahmen im Rahmen der Ordnungsgewalt stehen ihm die in aller Regel in der Geschäftsordnung des Rats niedergelegten Mittel zur Verfügung. Er kann Ratsmitglieder bei erheblichen Störungen der Ordnung zur Ordnung rufen, mahnen oder ihnen das Wort entziehen.
56Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 15 A 3382/18 –, juris Rn. 5; Urteil vom 14. September 2017 – 15 A 2785/15 –, juris Rn. 49 f. m.w.N.
57Demgemäß sieht § 19 Abs. 2 lit. b) GO Rat vor, dass der Oberbürgermeister Sitzungsteilnehmer „Zur Ordnung“ rufen kann, die sich nach seiner Auffassung ungebührlich oder beleidigend äußern oder entsprechende Redewendungen verwenden, die geeignet sind, die Beratungsordnung zu verletzen oder die in sonstiger Weise die Ordnung stören. Der Oberbürgermeister kann ferner gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat einen Redner, der vom Gegenstand der Beratung abweicht, „Zur Sache“ und im Wiederholungsfall „Zur Ordnung“ rufen. Einem Redner, der im Verlauf der Sitzung wiederholt „Zur Sache“ oder „Zur Ordnung“ gerufen worden ist, kann gemäß § 19 Abs. 2 lit. c) GO Rat das Wort entzogen werden, wenn er bei einem vorhergehenden Sach- oder Ordnungsruf auf diese Folge hingewiesen wurde. Schließlich kann ein Ratsmitglied, das in derselben Sitzung drei Mal „Zur Ordnung“ gerufen worden ist, gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 GO Rat durch Ratsbeschluss von der weiteren Sitzungsteilnahme ausgeschlossen werden.
58Aufgrund dieser Sanktionsmöglichkeiten – dem Wortentzug bzw. Sitzungsausschluss – und den damit verbundenen unwiederbringlichen Nachteilen für die Mandatsausübung muss ein förmlicher Sach- bzw. Ordnungsruf zweifelsfrei erkennbar sein.
59Vgl. OVG Sachsen, Urteil vom 30. September 2014 – 4 A 30/13 –, juris Rn. 21, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. November 1994 – 7 A 10194/94 –, juris Rn. 24; VG Stade, Urteil vom 27. August 2021 – 1 A 1566/20 –, juris Rn. 24; VG Neustadt, Urteil vom 10. November 2015 – 3 K 1019/14.NW –, juris Rn. 43.
60Notwendig ist insbesondere die eindeutige Abgrenzung zu anderen Maßnahmen, die der Ratsvorsitzende zur Aufrechterhaltung der Sitzungsordnung unterhalb der Schwelle eines rechtlich erheblichen Sach- bzw. Ordnungsrufes ergreifen kann, wie beispielsweise Appellen, Rügen oder Ermahnungen.
61VG Neustadt, Urteil vom 10. November 2015 – 3 K 1019/14.NW –, juris Rn. 43.
62Insofern bedarf es nach der Geschäftsordnung des Rates der Stadt M. des wortgetreuen Ausspruchs „Zur Sache“ oder „Zur Ordnung“, um eine sitzungsleitende Maßnahme als Sach- bzw. Ordnungsruf zu qualifizieren. Denn in § 19 Abs. 2 und 3 GO Rat wird dieser Ausruf („Zur Sache“ bzw. „Zur Ordnung“) mit Anführungszeichen ausgewiesen und damit das Erfordernis einer wörtlichen Wiedergabe kenntlich gemacht.
63Vgl. hierzu auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 29. Mai 2019 – 15 K 3554/18 –, juris Rn. 52.
64Dass es sich um einen feststehenden Ausdruck handelt, wird ferner durch die Großschreibung der Präposition „zur“ unterstrichen.
65Auf die gleiche Regelungstechnik greift die Geschäftsordnung in § 16 Abs. 1 GO Rat für den ausdrücklichen Zuruf „Zur Geschäftsordnung“ zurück, sodass auch systematische Erwägungen für die Notwendigkeit einer wörtlichen Wiedergabe in § 19 Abs. 2 und 3 GO Rat sprechen.
66Überdies zeigt der Vergleich zu früheren Geschäftsordnungen des Rates, in denen die Formulierung „Zur Sache“ bzw. „Zur Ordnung“ weder durch Großschreibung der Präposition noch durch Anführungszeichen gekennzeichnet wurde,
67vgl. die Geschäftsordnung für den Rat der Stadt M. in der Fassung vom 24.11.2010 bis 15.05.2017, abrufbar unter https://www.wuppertal.de/rathaus-buergerservice/verwaltung/politik/stadtrecht/archiv-geschaeftsordnung.php,
68dass der Satzungsgeber (nunmehr) ein formalisiertes Verfahren verlangt, dergestalt der Ratsvorsitzende zur Erteilung eines Sach- bzw. Ordnungsrufs die Worte „Zur Sache“ bzw. „Zur Ordnung“ aussprechen muss. Letzteres schließt nicht aus, dass der Ausruf in einen vollständigen Satz eingekleidet wird.
69Dieses Verständnis ist auch aufgrund des Schutzzwecks von Sach-/Ordnungsrufen geboten. Die Ordnungsmaßnahme soll den Betroffenen anhalten, sein weiteres Verhalten auf die Vorstellungen des Vorsitzenden der Ratssitzung von der Ordnung der Sitzung einzustellen.
70Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2013 – 15 A 784/12 –, juris Rn. 79; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 7. April 2020 – 15 K 2442/19 –, juris Rn. 84.
71Daher muss das jeweilige Ratsmitglied – auch mit Blick auf weitere Sanktionen wie eine Entziehung des Wortes oder einen Sitzungsausschluss – rechtssicher erkennen können, ob ihm ein Sach-/Ordnungsruf erteilt wurde. Letzteres wird nach der GO Rat durch den wörtlichen Ausspruch „Zur Sache“ bzw. „Zur Ordnung“ sichergestellt.
72Die Feststellungs- und Warnfunktion gebietet darüber hinaus, dass ein Ordnungsruf in formeller Hinsicht grundsätzlich – zumindest schlagwortartig – begründet wird. Denn für den Betroffenen muss ersichtlich sein, aus welchem Grund gegen ihn ein Ordnungsruf ergangen ist.
73Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 7. April 2020 – 15 K 2442/19 –, juris Rn. 84; siehe auch VerfGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. April 2021 – 1 GR 5/20 –, juris Rn. 103.
74Der betroffene Sitzungsteilnehmer muss insbesondere nachvollziehen können, ob ihm ein Ordnungsruf gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat oder gemäß § 19 Abs. 2 lit. b) GO Rat erteilt wurde. Andernfalls kann er sein Verhalten nicht anpassen und dadurch weitere sowie schärfere Sanktionen vermeiden.
75Der Ordnungsruf kann daher auch nicht nachträglich mit anderen Erwägungen gerechtfertigt werden (etwa mit anderen Zurufen oder Äußerungen oder mit einem provokativen Gesamtverhalten des Redners), weil sich der Betroffene in der Debatte auf solche Überlegungen nicht einstellen konnte.
76Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2013 – 15 A 784/12 –, juris Rn. 79; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 7. April 2020 – 15 K 2442/19 –, juris Rn. 92.
77Hingegen bedarf es angesichts des vorgenannten Schutzzwecks keiner Begründung, wenn für das betroffene Ratsmitglied kein Zweifel daran bestehen kann, aus welchem Grund die Ordnungsmaßnahme erfolgt.
78Vgl. auch VerfGH Baden-Württemberg, Urteil vom 30. April 2021 – 1 GR 5/20 –, juris Rn. 103.
79In materieller Hinsicht verlangt § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat, wonach ein Ordnungsruf bei einem wiederholten Abweichen vom Gegenstand der Beratung ausgesprochen werden kann, dass es sich bei dem Redebeitrag des Betroffenen nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung in der Sache handelt und der Betroffene zuvor „Zur Sache“ gerufen, d.h. ein förmlicher Sachruf erteilt wurde. § 19 Abs. 2 lit. b) GO Rat setzt demgegenüber voraus, dass der Sitzungsteilnehmer sich ungebührlich oder beleidigend äußert oder auf andere Weise die Ordnung der Ratssitzung stört.
80Im Rahmen der Beurteilung, ob die Voraussetzungen von § 19 Abs. 2 lit. a) und b) GO Rat vorliegen, ist der Bedeutung des Rederechts für die Demokratie und die Funktionsfähigkeit des Rats angemessen Rechnung zu tragen. Der Rat ist ebenso wie ein Landtag oder der Bundestag Ort von Rede und Gegenrede, der Darstellung unterschiedlicher Perspektiven und Interessen. Darin gründet seine Repräsentativfunktion, die eine herausgehobene Grundfunktion einer Volksvertretung, seiner Untergliederungen und Mitglieder ist. Insoweit ist der Rat wie ein Parlament Forum der Interessendarstellung, Interessenvermittlung und Kontrolle. Der Widerstreit der politischen Positionen auf diesem Forum der Repräsentation lebt nicht zuletzt von Debatten, die auch mit Stilmitteln der Überspitzung, Polarisierung, Vereinfachung oder Polemik arbeiten.
81Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 15 A 3382/18 –, juris Rn. 9; hierzu auch Heusch, NWVBl. 2016, 353 f.
82Die Ordnungsgewalt des Ratsvorsitzenden ist in Anbetracht dieser Bedeutung und Reichweite des Rederechts kein Instrument zur Ausschließung bestimmter inhaltlicher Positionen aus der Debatte. Sie dient nicht der Sicherstellung der „Richtigkeit“ oder „Korrektheit“ bestimmter inhaltlicher Positionen oder der Sicherung eines gesellschaftlichen Konsenses. Redebeiträge sind so lange hinzunehmen, wie ihre Darstellung nicht in einer Weise geschieht, die die Arbeit des Rats in Frage stellt. Die Grenze zur Verletzung der Ordnung in der gemeindlichen Volksvertretung „Rat“ ist dort erreicht, wo es sich nicht mehr um eine inhaltliche Auseinandersetzung handelt, sondern eine bloße Provokation im Vordergrund steht oder wo es um die schiere Herabwürdigung anderer oder die Verletzung von Rechtsgütern Dritter geht. Da Beschränkungen des Rederechts zugleich die Funktionsfähigkeit des Systems der Volksvertretung berühren, bedarf die Anwendung der Ordnungsmaßnahmen stets der Beachtung des Kontextes, in dem das Ratsmitglied sein Recht in Anspruch nimmt. Je mehr die inhaltliche Auseinandersetzung im Vordergrund steht, je gewichtiger die mit dem Redebeitrag thematisierten Fragen für den Rat und die Öffentlichkeit sind und je intensiver diese politische Auseinandersetzung geführt wird, desto eher müssen konkurrierende Rechtsgüter hinter dem Rederecht zurückstehen. Dabei ist dem situativen Charakter der mündlichen Rede und der Notwendigkeit der zeitnahen Reaktion des Ratsvorsitzenden, dem namentlich bei Ordnungsrufen ein im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zu respektierender Beurteilungsspielraum zukommt, hinreichend Rechnung zu tragen. Hieran ist die verwaltungsgerichtliche Kontrolldichte auszurichten. Dabei gilt, dass die Kontrolle umso intensiver ist, je deutlicher der Ordnungsruf auf den Inhalt der Äußerung und nicht auf das Verhalten des Ratsmitglieds reagiert.
83Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 15 A 3382/18 –, juris Rn. 10 ff. m.w.N.
84Diesen Anforderungen werden die Ordnungsrufe in der Ratssitzung vom 13. November 2023 nicht gerecht.
85Hinsichtlich des ersten Ordnungsrufs („Herr N., ich rufe zur Ordnung“) fehlt es nach den vorgenannten Maßstäben bereits an der notwendigen Begründung. Weder im Voraus noch im unmittelbaren Anschluss an den Ordnungsruf hat der Beklagte einen Grund für die Ordnungsmaßnahme genannt. Auch war eine Begründung nicht aufgrund der konkreten Umstände entbehrlich. Denn für den Kläger war vorliegend nicht ausreichend erkennbar, ob der Beklagte seine dem Ordnungsruf vorausgehende Äußerung („Wir schlagen vor, einige hundert von diesen mit WSW-Bussen direkt vors Bundeskanzleramt nach Berlin zu fahren“) als sachfremd im Sinne § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat und/oder als ungebührlich im Sinne von § 19 Abs. 2 lit. b) GO Rat ansieht. Der Beklagte hat vielmehr erst im Nachgang der Ratssitzung – mit der Klageerwiderung vom 26. April 2024 – dargelegt, dass der Ordnungsruf auf der Grundlage beider Vorschriften ergangen sei (vgl. Bl. 53 der Gerichtsakte). Dadurch konnte die Feststellungs- und Warnfunktion des Ordnungsrufs jedoch nicht mehr erreicht werden.
86Der Umstand, dass der Beklagte den Kläger zuvor aufforderte, „zu innovativen neuen Punkten zu kommen“, rechtfertigt keine andere Bewertung. Gleiches gilt für die spätere an den Kläger gerichtete Bitte des Beklagten, „bei der Sache“ zu bleiben. Selbst wenn man davon ausginge, dass der erste Ordnungsruf in diesem Zusammenhang eine fehlende Auseinandersetzung in der Sache rügte und dies offenkundig gewesen wäre, lagen die Voraussetzungen von § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat nicht vor. Denn ein Abweichen vom Gegenstand der Beratung kann – wie zuvor ausgeführt – nur im Wiederholungsfall mit einem Ordnungsruf geahndet werden. Zunächst ist der Betroffene gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat „Zur Sache“ zu rufen, d.h. ihm ist ein förmlicher Sachruf zu erteilen. Dies ist vorliegend indes nicht geschehen.
87Aus dem gleichen Grund sind auch der zweite und dritte Ordnungsruf des Beklagten („Herr N., ich rufe Sie nochmal zur Ordnung.“ / „Ich rufe Sie das letzte Mal zur Ordnung […].“) rechtswidrig. Zwar hat der Beklagte die weiteren Ordnungsrufe ausreichend begründet, indem er den Kläger jeweils bat, „bei der Sache“ zu bleiben. Damit hat er hinreichend zu erkennen gegeben, dass er die Äußerungen des Klägers als Abweichen vom Beratungsgegenstand ansieht. Indes fehlt es auch hier an einem vorherigen förmlichen Sachruf („Zur Sache“) gegenüber dem Kläger. Mithin waren die Voraussetzungen für einen Ordnungsruf gemäß § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat nicht gegeben.
88Der zur Anwendung von § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat erforderliche Sachruf kann insbesondere nicht in der vorangegangenen Bitte des Beklagten, „bei der Sache“ zu bleiben („Bleiben Sie bitte bei der Sache. Es geht hier um die Unterbringung T.“), gesehen werden. Denn insoweit hat der Beklagte den Kläger nach den obengenannten Maßstäben nicht wortgetreu „Zur Sache“ gerufen. Die Einhaltung des formalisierten Verfahrens aus § 19 Abs. 2 und 3 GO NRW war aber schon deshalb geboten, da die Aufforderung des Beklagten als reine Bitte bzw. Ermahnung unterhalb der Schwelle eines Sachrufs verstanden werden kann. Hierfür spricht auch, dass der Beklagte die wortgleiche Formulierung („Bitte bleiben Sie bei der Sache“) zur Begründung der späteren Ordnungsrufe heranzog. Mit der Feststellungs- und Warnfunktion von Sach- und Ordnungsrufen wäre es unvereinbar, die Bitte, „bei der Sache“ zu bleiben, einerseits als Sachruf und andererseits als reines Begründungselement zu qualifizieren. Im Gegenzug können die Begründungen des zweiten und dritten Ordnungsrufs („Herr N., ich rufe Sie nochmal zur Ordnung. Bitte bleiben Sie bei der Sache.“ / „Herr N., bitte bleiben Sie bei der Sache. Ich rufe Sie das letzte Mal zu Ordnung.“) auch nicht als eigenständige Sachrufe angesehen werden, ohne dass es an einer Begründung der Ordnungsrufe fehlen würde. Der zweite und dritte Ordnungsruf wären dann mangels Begründung formell rechtswidrig.
89Unabhängig hiervon und selbstständig tragend liegen die Voraussetzungen von § 19 Abs. 2 lit. a) GO Rat auch deshalb nicht vor, weil die Äußerungen des Klägers eine ausreichende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beratungsgegenstand – dem Weiterbetrieb des Objekts T. (M) zur Unterbringung von Flüchtlingen – erkennen lassen. Sein Vorschlag, Flüchtlinge mit „WSW-Bussen direkt vors Bundeskanzleramt“ bzw. „zur Besichtigung der Multikulti-Hauptstadt Berlin in Bezirke wie Q.“ zu fahren, weist einen (noch) hinreichenden Zusammenhang zur Frage der Fortführung einer Flüchtlingsunterkunft auf. Denn der Kläger nutzte diese polemische Empfehlung, um auf die bestehenden Vollzugsdefizite bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Asylbewerber sowie auf die aus seiner Sicht unzureichende Kostendeckung für die Unterbringung von Flüchtlingen durch den Bund aufmerksam zu machen. Beide Erwägungen haben unmittelbaren Einfluss auf die kommunalen Kosten der Flüchtlingsunterbringung und damit auch erhebliche Bedeutung für den Weiterbetrieb einer Unterbringungseinrichtung, wie hier des Art-Hotels. Gleiches gilt für die vom Kläger zitierte Ankündigung des Bundeskanzlers, „im großen Stil“ abzuschieben. Auch die diesbezüglichen Äußerungen des Klägers stehen im Kontext der geltend gemachten Vollzugsdefizite, die unmittelbare Auswirkungen auf die Kosten und damit die Fortführung einer kommunalen Flüchtlingsunterkunft haben.
90Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
91Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.
92Rechtsmittelbelehrung
93Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
94Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
95Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
96Beschluss
97Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
985.000,- Euro
99festgesetzt.
100Gründe
101Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 22.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
102Vgl. auch OVG, Beschluss vom 4. September 2023 – 15 A 1968/22 –, juris Rn. 35.
103Rechtsmittelbelehrung
104Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.