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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 18 K 4465/25 gegen die Verfügung des Polizeipräsidiums H. vom 3. März 2025 wird hinsichtlich Ziffer 1 wiederhergestellt und hinsichtlich Ziffer 3 angeordnet.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
2Der am 17. April 2025 gestellte sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 18 K 4465/25 gegen die Verfügung des Polizeipräsidiums H. vom 3. März 2025 hinsichtlich Ziffer 1 wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer 3 anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der hinsichtlich der für sofort vollziehbar erklärten Untersagungsverfügung in Ziffer 1 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO und bezüglich der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthafte Antrag ist zulässig.
6Der Antrag ist auch begründet.
7Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt wiederherstellen, dessen sofortige Vollziehung die Behörde – wie hier in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Polizeiverfügung – gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht zudem die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn der Verwaltungsakt – wie hier die Androhung eines Zwangsgeldes in Ziffer 3 der Polizeiverfügung – bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist. Die Entscheidung des Gerichts hängt dabei von einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit mit dem privaten Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Aufschub der Vollziehung ab. Für die Interessenabwägung fallen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt bzw. angeordnet werden soll, wesentlich ins Gewicht. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, so hat der Antrag Erfolg, da in diesem Fall kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt regelmäßig aus diesem Grund das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme.
8Dies zugrunde gelegt, überwiegt vorliegend das private Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug der streitgegenständlichen Anordnungen in Ziffern 1 und 3 der Polizeiverfügung vom 3. März 2025 verschont zu bleiben, das öffentliche Vollzugsinteresse.
9Denn nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einzig möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die gegenüber dem Antragsteller erlassene Polizeiverfügung – und zwar unabhängig davon, ob sie überhaupt eine Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung enthält, welche den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO (noch) entspricht –
10vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28. Februar 2023 - 6 B 83/23 -, juris, Rn. 17, wonach für Maßnahmen des Gefahrenabwehrrechts ausnahmsweise auch Identität zwischen Erlass- und Vollziehungsinteresse bestehen kann und es insoweit keiner über die Begründung der Verfügung selbst hinausgehenden Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung bedarf,
11als offensichtlich rechtswidrig.
12I. Die Untersagung des Mitführens von Messern aller Art, gefährlichen Werkzeugen, gefährlichen Sportgeräten, Tierabwehrsprays und Reizstoffsprühgeräten aller Art in Ziffer 1 der streitgegenständlichen Polizeiverfügung ist offensichtlich rechtswidrig. Sie findet keine Rechtsgrundlage in § 8 Abs. 1 PolG NRW.
13Im Hinblick auf die von der Verbotsverfügung erfassten Messer, Reizstoffsprühgeräte und Armbrüste dürfte dies bereits daraus folgen, dass ein Rückgriff auf die landesrechtliche polizeiliche Generalklausel aus kompetenzrechtlichen Gründen gesperrt ist (dazu unter 1.). Wenngleich das bundesrechtliche Waffengesetz (WaffG) für die weiteren erfassten gefährlichen Gegenstände zwar keine abschließenden, der Generalklausel aus Gründen der Spezialität vorgehenden Regelungen enthält (dazu unter 2.) und das ausgesprochene Führverbot jedenfalls nicht offensichtlich einer eigenen, noch zu schaffenden gesetzlichen Standardmaßnahme bedarf (dazu unter 3.), liegen hier – selbstständig tragend – jedenfalls die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 PolG NRW nicht vor. Zum einen fehlt es tatbestandlich an der von § 8 Abs. 1 PolG NRW geforderten konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Zudem hegt die Kammer Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit und Geeignetheit der Verfügung zur Gefahrenabwehr (dazu unter 4.).
141. Soweit der angegriffene Bescheid des Polizeipräsidiums H. vom 3. März 2025 Messer (dazu unter a.), Reizstoffsprühgeräte und Armbrüste (dazu unter b.) erfasst, scheidet ein Rückgriff auf die landespolizeiliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW bereits deshalb aus, weil insoweit ein Regelungsbereich betroffen ist, der der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfällt. Hinsichtlich der weiteren im angegriffenen Bescheid erfassten Gegenstände besteht demgegenüber keine kompetenzrechtliche Sperrwirkung (dazu unter c.).
15Im Einzelnen:
16a. Da dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Waffenrecht zusteht (dazu unter aa.) und er hierauf nicht offensichtlich kompetenzüberschreitend u.a. auch Regelungen geschaffen hat, die sämtliche Messer umfassen (dazu unter bb.), hat die Kammer durchgreifende Zweifel daran, ob § 8 Abs. 1 PolG NRW als landesrechtliche Vorschrift eine taugliche Ermächtigungsgrundlage für ein Führverbot von Messern aller Art – wie es im angegriffenen Bescheid vom 3. März 2025 ausgesprochen wurde – darstellt (dazu unter cc.).
17aa. In Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Var. 1 GG wird dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung für das Waffenrecht zugewiesen. Erfasst werden im Einzelnen sämtliche Regelungen, die Produktion, Handel und Vertrieb, Erwerb und Besitz, Mitführen und Verwendung oder den sonstigen Umgang mit Waffen betreffen.
18Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, 106. EL Oktober 2024, GG Art. 73, Rn. 271.
19Dieser im Jahr 1972 – zunächst als Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG a.F. – eingeführte Kompetenztitel betrifft in Anlehnung an den einfachrechtlichen Waffenbegriff insbesondere des Bundeswaffengesetzes aus dem Jahr 1968 (BGBl. I 1968, S. 633) neben Schusswaffen auch Hieb- und Stoßwaffen.
20Vgl. BT-Drs 14/7758, S. 49; Heintzen, in: Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl. 2024, GG, Art. 73, Rn. 127; Seiler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 61. Ed. 15.3.2025, GG Art. 73, Rn. 55; Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, 106. EL Oktober 2024, GG Art. 73, Rn. 269; Spranger in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 161. Lieferung, 5/2013, Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG, Rn. 7.
21Im Ausgangspunkt bezieht sich der verfassungsrechtliche Waffenbegriff im Hinblick auf Hieb- und Stoßwaffen damit auf Gegenstände, die ihrer Natur nach dazu bestimmt sind, unter unmittelbarer Ausnutzung der Muskelkraft durch Hieb, Stoß oder Stich Verletzungen beizubringen.
22Vgl. § 1 Abs. 5 Bundeswaffengesetz 1968 (BGBl. I 1968, S. 633).
23Eine abschließende Bestimmung des – grundsätzlich weiten – verfassungsrechtlichen Waffenbegriffs war hierdurch aber nicht beabsichtigt, sodass zu den zum Zeitpunkt der Einführung des Kompetenztitels vom Waffengesetz erfassten Waffen auch weitere Gegenstände hinzutreten können.
24Vgl. bereits v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Art. 74, Rn. 267; vgl. Dreier/Wittreck, 3. Aufl. 2015, GG Art. 73, Rn. 81; Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, 106. EL Oktober 2024, GG Art. 73, Rn. 269.
25Entscheidend ist hierbei die Gefährdungseignung des jeweiligen Gegenstandes, ohne dass es zwingend auf dessen Bestimmung zum Hervorrufen von menschlichen Verletzungen ankommt.
26Vgl. Spranger in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 161. Lieferung, 5/2013, Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 GG, Rn. 7 f.; unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 2 WaffG Heintzen, in: Huber/Voßkuhle, 8. Aufl. 2024, GG Art. 73, Rn. 127; zur Befugnis, auch – grundsätzlich – ungefährliche Anscheinswaffen aufgrund des Kompetenztitels des Waffenrechts zu regeln VG Wiesbaden, Urteil vom 18. Juli 2014 - 6 K 650/14.WI -, juris, Rn. 38.
27bb. Gemessen an dieser Auslegung des verfassungsrechtlichen Waffenrechtsbegriffs im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Var. 1 GG hält es die Kammer bei der im Eilverfahren einzig möglichen summarischen Prüfung angesichts des erheblichen Verletzungspotenzials von Messern insgesamt nicht für offensichtlich kompetenzüberschreitend, sämtliche Messer einschließlich sog. Alltagsmesser in das Waffenrecht im Sinne des Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Var. 1 GG einzubeziehen und damit zum Gegenstand des bundesrechtlichen Waffengesetzes zu machen.
28So hat der Bundesgesetzgeber nunmehr durch die mit dem Gesetz zur Verbesserung der inneren Sicherheit und des Asylsystems vom 25. Oktober 2024 (BGBl. I 2024, Nr. 332) mit Wirkung vom 31. Oktober 2024 neu eingefügten § 42 Abs. 4a, Abs. 5 und § 42b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 WaffG gestützt auf den Kompetenztitel des Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Var. 1 GG Regelungen für sämtliche Messer getroffen: Nach § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4a Satz 1 WaffG darf – vorbehaltlich des Ausnahmekataloges gemäß § 42 Abs. 4a Satz 2 WaffG – keine Messer führen, wer an öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen teilnimmt. Ferner ist es gemäß § 42b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WaffG grundsätzlich verboten, Messer in Verkehrsmitteln des öffentlichen Personenfernverkehrs und in seitlich umschlossenen Einrichtungen des öffentlichen Personenfernverkehrs, insbesondere Gebäuden und Haltepunkten, zu führen. Da Messer regelmäßig nicht allein dazu bestimmt sind, Verletzungen bei Menschen herbeizuführen,
29vgl. Heinrich, in: Erb/Schäfer, MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, WaffG § 1, Rn. 120,
30und sich die Zuordnung zur Waffeneigenschaft nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 lit. b, Abs. 4 i.V.m. Anlage 1 WaffG auf Spring-, Fall-, Faust- und Butterflymesser beschränkt (Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1), erstreckt sich das Waffengesetz mit diesen Neuregelungen nunmehr auch auf Messer, die keine Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 WaffG sind.
31Vgl. allgemein zur Einordnung von Messern nach Anlage 1 des Waffengesetzes Gade, Waffengesetz, 3. Aufl. 2022, WaffG Anlage 1 (zu § 1 Abs. 4) Begriffsbestimmungen, Rn. 135 ff.
32Darüber hinaus wurde mit Wirkung vom 31. Oktober 2024 in § 42 Abs. 5 WaffG n.F. eine neue Rechtsgrundlage geschaffen, die die Landesregierungen zum Erlass von Waffen- und Messerverbotszonen qua Rechtsverordnung ermächtigt und ebenfalls für sämtliche Messer – und nicht nur für die bereits von § 1 Abs. 2 WaffG umfassten Messer – gilt.
33Bereits mit der Änderung des Waffenrechts mit Gesetz vom 26. März 2008 (BGBl. I 2008, Nr. 11) hatte der Bundesgesetzgeber mit Einfügung des § 42a Abs. 1 Nr. 3 WaffG das Führen von Messern mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser) oder von feststehenden Messern mit einer Klingenlänge von über 12 cm verboten, die ebenfalls nicht sämtlich unter den Waffenbegriff des § 1 Abs. 2 WaffG fallen.
34Kritisch Heinrich, Strafrechtliche Probleme im Zusammenhang mit dem Verbot des Führens von Anscheinswaffen und bestimmten tragbaren Gegenständen, § 42a WaffG, in: Gade/Stoppa (Hrsg.), Waffenrecht im Wandel, S. 107 (121); Gade, Waffengesetz, 3. Aufl. 2022, WaffG § 42a, Rn. 10; Gerlemann, in: Steindorf, 11. Aufl. 2022, WaffG § 42a, Rn. 4.
35Dieses gesetzgeberische Vorgehen, das in der Gesetzesbegründung zu § 42a WaffG seinerzeit noch als ausnahmsweise erfolgendes Verlassen der Systematik des Waffengesetzes beschrieben wurde,
36BT-Drs. 16/8224, S. 17 f.,
37hat der Bundesgesetzgeber etwa mit § 42 Abs. 6 Satz 1 WaffG a.F., der Ermächtigungsgrundlage für Rechtsverordnungen für das Führverbot von Messern mit feststehender oder feststellbarer Klinge mit einer Klingenlänge über vier Zentimetern, fortgesetzt und nunmehr mit der Einfügung der § 42 Abs. 4a, Abs. 5 und § 42b Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 WaffG zum Ausdruck gebracht, dass sich das verfassungsrechtliche wie auch das einfachrechtliche Waffenrecht auf sämtliche Messer und damit auch auf Alltagsmesser erstreckt.
38Angesichts der stetig steigenden Deliktsrelevanz von Straftaten, die mit dem Tatmittel Messer begangen werden,
39BT-Drs. 20/12805, S. 36,
40und der hierdurch mit schwerwiegenden Folgen und in vielen Lebensbereichen inzwischen täglich zu Tage tretenden Eignung, die Abwehrfähigkeit von Menschen herabzusetzen, erweist sich die Inanspruchnahme von Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Var. 1 GG als Kompetenztitel für sämtliche Messer auch nicht als offensichtlich kompetenzüberschreitend und damit unzulässig.
41Für Messer mit feststehender oder feststellbarer Klinge und einer Klingenlänge von mehr als vier Zentimetern zustimmend Ogorek/Hofer-Dinc, JA 2023, 927 (932 f.).
42Die in der jüngeren Vergangenheit weiter gestiegene Anzahl der Messerdelikte,
43vgl. etwa für das Land Nordrhein-Westfalen: Polizei NRW, Landeskriminalamt, Gewalt im öffentlichen Raum – Tatmittel Messer in Nordrhein-Westfalen 2019 bis 2023 (https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/20240828_lagebild_messergewalt_oeff_raum.pdf),
44ermöglicht es dem Bundesgesetzgeber, sich noch innerhalb des verfassungsrechtlichen Waffenrechtsbegriffs zu bewegen, wenn er das Waffenrecht um solche Messer erweitert, die er bewusst nicht unter den Waffenbegriff des § 1 Abs. 2 WaffG fasst. Der durch diese „Waffen im weiteren Sinne“ fortgeführte Bruch innerhalb der Systematik des Waffengesetzes ist für sich betrachtet ohne Relevanz für die kompetenzrechtliche Beurteilung.
45cc. Die ausschließliche Kompetenz des Bundes (auch) für den Umgang mit sämtlichen Messern zugrunde gelegt, dürfte nach Ansicht der Kammer für Landesgesetze zum Umgang mit Messern kein kompetenzrechtlicher Raum verbleiben. Entsprechend kann ein Messerführverbot auch nicht auf die landespolizeiliche Generalklausel gestützt werden. Denn sofern – wie vorliegend im Falle des Waffenrechts – durch bundesrechtliche Vorgaben abschließend Sachbereiche geregelt werden sollen, ist der Rückgriff auf landesrechtliche Normen des Polizeigesetzes NRW für Maßnahmen, die sich auf denselben Sachbereich beziehen, bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen ausgeschlossen.
46Vgl. Worms/Gusy, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK PolR NRW, 30. Ed. 15.2.2025, PolG NRW § 8, Rn. 34; vgl. auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2004 - 1 S 2801/03 -, juris, Rn. 28.
47Dies ist hier der Fall, da die Gesetzgebungskompetenz für das Waffenrecht aufgrund von Art. 73 Abs. 1 Nr. 12 Var. 1 GG allein dem Bund zusteht und sich die Länder damit nicht auf die ihnen nach Art. 70 Abs. 1 GG grundsätzlich für das Polizei- und Ordnungsrecht zukommende Regelungsbefugnis berufen können (vgl. Art. 71 GG).
48Vgl. noch zu Art. 74 Abs. 1 Nr. 4a GG a.F. v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl. 1996, Art. 74, Rn. 275; Uhle, in: Dürig/Herzog/Scholz, 106. EL Oktober 2024, GG Art. 73, Rn. 272.
49Insoweit ist jegliche gesetzgeberische Aktivität der Länder im Sachbereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausgeschlossen, d.h. es besteht eine kompetenzrechtliche Sperrwirkung für die Landesgesetzgebung.
50Vgl. Heintzen, in: Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl. 2024, Art. 71, Rn. 1; Wittreck, in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 3. Aufl. 2015, Art. 71, Rn. 9 m.w.N.
51Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass das Waffengesetz derzeit wohl keine Ermächtigungsgrundlage für individuelle Verbote des Führens von Messern, die keine Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 WaffG sind, enthält. Der Anwendungsbereich des individuellen Waffenbesitzverbotes nach § 41 WaffG dürfte sich nach der grundsätzlich fortbestehenden einfachrechtlichen Systematik des Waffengesetzes auf Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 WaffG beschränken.
52Vgl. Gerlemann, in: Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, WaffG § 41, Rn. 4.
53Da dem Bund nach dem oben Gesagten indes die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Waffenrecht zusteht, kommt es nicht darauf an, ob dieser den Umgang mit Messern bereits vollständig gefahrenabwehrrechtlich ausgestaltet hat.
54Vgl. Seiler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 61. Ed. 15.3.2025, GG Art. 71, Rn. 1.
55Schließlich ist es in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die kompetenzrechtliche Sperrwirkung auch unbeachtlich, dass im angegriffenen Bescheid vom 3. März 2025 unter der Überschrift „Rechtsfolge“ näher ausgeführt wird, die Verfügung gelte nur für solche gefährlichen Gegenstände, die nicht ohnehin nach dem Waffengesetz verboten seien. Denn die betroffenen Messer aller Art sind bereits sämtlich vom verfassungsrechtlichen Waffenbegriff erfasst, sodass dieser Vorbehalt inhaltlich unrichtig ist und insoweit ins Leere geht.
56b. Soweit die vom Bescheid ebenfalls erfassten Reizstoffsprühgeräte aller Art auch nach dem verfassungsrechtlichen Waffenbegriff unzweifelhaft als Waffen einzuordnen sind, da sie entsprechend ihrer Bestimmung gerade für den Einsatz gegen Menschen hergestellt werden,
57vgl. Gade, 3. Aufl. 2022, WaffG Anlage 1 (zu § 1 Abs. 4) Begriffsbestimmungen Rn. 105; der Bundesgesetzgeber nimmt Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 lit. a WaffG nach Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.2.2 bei Reizstoffsprühgeräten an, die eine Reichweite von bis zu 2 m haben,
58scheidet der Rückgriff auf die landesrechtliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW ebenfalls bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen aus. Selbiges gilt für Armbrüste; auch sie fallen, da sie grundsätzlich jedenfalls als mit Schusswaffen gleichstehend anzusehen sind (vgl. Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 1.2.3), unter den verfassungsrechtlichen Waffenbegriff,
59vgl. Heinrich, in: Erb/Schäfer, MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, WaffG § 1, Rn. 34,
60und können daher nicht auf Grundlage einer landesrechtlichen Norm geregelt werden.
61c. Eine kompetenzrechtliche Sperrwirkung besteht bei summarischer Prüfung demgegenüber nicht, soweit im angegriffenen Bescheid vom 3. März 2025 das Führen von gefährlichen Werkzeugen wie Scheren, Äxten, Beilen und Macheten, Hämmern, Schraubendrehern und Meißeln, Brecheisen und Zangen, gefährlichen Sportgeräten wie Baseball- und Softballschlägern, Golfschlägern, Hockeyschlägern, Eisgeräten, Bögen und Pfeilen sowie Tierabwehrsprays verboten wird. Diese Gegenstände eint, dass ihre Bestimmung nicht die Verletzung von Menschen, sondern überwiegend die Verrichtung alltäglicher und sozialadäquater Handlungen ist, mit der Folge, dass eine Zuordnung zum Waffenrecht aufgrund ihrer Gefahreignung sowie des Einsatzes für Körperverletzungen in großem Umfang nicht zwingend ist.
62Vgl. Pauckstadt-Maihold/Lutz, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 255. EL Januar 2025, WaffG § 1, Rn. 19; Gade, 3. Aufl. 2022, WaffG § 1, Rn. 11; Heinrich, in: Steindorf, 11. Aufl. 2022, WaffG § 1, Rn. 12.
63Selbiges gilt hinsichtlich des ebenfalls von der angegriffenen Verfügung erfassten „Kubotans“ (kurzer Stab, der in der Faust gehalten wird) sowie des „Tactical Pens“ (Kugelschreiber in Form eines Kubotans); insoweit wurde eine Einordnung als Waffe im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 lit. a WaffG durch das Bundeskriminalamt verneint.
64BKA-FB v. 5.3.2008, Az. SO 11-5164.01-Z-170 und BKA-FB v. 9.2.2018, Az. SO23-5164.01-Z-241; kritisch Gade, 3. Aufl. 2022, WaffG Anlage 1 (zu § 1 Abs. 4), Rn. 97.
65Auch die ebenfalls vom streitgegenständlichen Führverbot erfassten Tierabwehrsprays sind nicht vom verfassungsrechtlichen Waffenbegriff umfasst und unterfallen damit nicht der kompetenzrechtlichen Sperrwirkung. Diese sollen bestimmungsgemäß gerade nicht gegen Menschen zum Einsatz kommen und weisen – anders als sämtliche Messer – auch nicht eindeutig wegen ihrer besonderen Beschaffenheit, Handhabung oder des tatsächlichen Einsatzes für Angriffs- oder Verteidigungszwecke in großem Umfang eine Gefährlichkeit auf, die derjenigen vergleichbar ist, die von „echten“ Waffen ausgeht.
66Vgl. Heinrich, in: Erb/Schäfer, MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, WaffG, § 1, Rn. 125.
672. Soweit die genannten gefährlichen Gegenstände (bislang) nicht vom verfassungsrechtlichen Waffenbegriff erfasst sind, besteht über die Aufteilung der Kompetenz zwischen Bund und Ländern hinaus auch keine Spezialität der bundesrechtlichen Vorschriften des Waffengesetzes. Mit dem Waffengesetz liegt zwar ein Regelungswerk vor, das unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung solche Gefahren abwehren soll, welche typischerweise durch die Nutzung von Waffen und Munition hervorgerufen werden können.
68Vgl. Gade, Waffengesetz, 3. Aufl. 2022, WaffG, § 1, Rn. 4.
69Durch die waffenrechtlichen Regelungen sollte jedoch nicht abschließend der Umgang mit sämtlichen gefährlichen Gegenständen geregelt, sondern – entsprechend des Anwendungsbereichs (§ 1 Abs. 1 WaffG) – vornehmlich den von Waffen ausgehenden Gefahren begegnet werden. Weiter hat der Gesetzgeber mit den Führverboten nach den §§ 42 ff. WaffG personenunabhängig u.a. der abstrakten Gefahr von Messern im öffentlichen Raum Rechnung getragen (s.o.). Da das auf den Einzelfall gerichtete Waffenbesitzverbot des § 41 WaffG gegenüber Personen, die zum Nachteil von den persönlichen Grundeigenschaften eines volljährigen Durchschnittsbürgers abweichen,
70vgl. Gade, 3. Aufl. 2022, WaffG, § 41, Rn. 6,
71(weiterhin) nur bezogen auf Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 WaffG ausgesprochen werden kann (s.o.), verbleibt – abgesehen von Messern – bezogen auf sonstige gefährliche Gegenstände, die keine Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 WaffG sind, ein weites Gefahrenfeld. Insoweit ist von einem ungeregelten Gefahrentatbestand und nicht von einer bewussten, abschließenden Regelung auszugehen,
72vgl. Kniesel/Braun/Keller, Besonderes Polizei- und Ordnungsrecht, S. 7,
73die – sofern nicht wie bei Messern eine kompetenzrechtliche Konkurrenz besteht – einen Rückgriff auf das allgemeine (landespolizeiliche) Gefahrenabwehrrecht zulässt. Dieser Befund wird gestützt durch die Gesetzesmaterialien, denen nichts dafür zu entnehmen ist, dass mit den Normierungen von § 42 Abs. 4a, Abs. 5, § 42a Abs. 1 Nr. 3 WaffG und § 42b WaffG bezweckt wurde, (landes-)polizeirechtliche Anordnungen bezogen auf sonstige gefährliche Gegenstände im Einzelfall zu verhindern.
743. Soweit danach vorliegend keine kompetenzrechtliche Sperrwirkung besteht und ein Rückgriff auf landespolizeirechtliche Vorschriften grundsätzlich möglich ist, hegt die Kammer Bedenken, ob ein individuelles Verbot des Führens gefährlicher Gegenstände in dem vorstehend beschriebenen Sinne überhaupt auf die landespolizeiliche Generalklausel des § 8 Abs. 1 PolG NRW gestützt werden darf, oder ob es insoweit mit Blick auf die Wesentlichkeitstheorie, wonach der Gesetzgeber wesentliche, insbesondere eingriffsintensive Entscheidungen nicht der Verwaltung überlassen darf, einer – neu zu schaffenden – eigenen Standardmaßnahme (des zuständigen Gesetzgebers) bedarf.
75Vgl. insoweit allgemein OVG NRW, Beschluss vom 3. April 2025 - 1 A 3249/21 -, juris, Rn. 9.
76Dabei folgt das Erfordernis einer eigenständigen Standardmaßnahme nicht bereits allein daraus, dass individuelle „Waffentrageverbote“ für Messer und andere gefährliche Gegenstände ausweislich der Internetauftritte verschiedener Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen künftig regelmäßig gegen insoweit auffällige Personen verhängt werden sollen.
77Vgl. nur https://hagen.polizei.nrw/artikel/individuelle-waffentrageverbote; https://dortmund.polizei.nrw/presse/polizei-dortmund-zieht-bilanz-was-haben-die-messertrageverbote-2024-gebracht; vgl. auch Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen, Konzeptpapier: „Bekämpfung der Messergewalt im öffentlichen Raum“, S. 15 (https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/2024-08-28_konzept_bekaempfung_messergewalt.pdf).
78Denn da die polizeirechtliche Generalermächtigung auch und nicht zuletzt der Bewältigung immer wieder vorkommender Gefahrensituationen dient, ist sie nicht auf „untypisches”, in der polizeilichen Praxis noch nicht erprobtes Eingriffshandeln beschränkt.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 6 C 39.06 -, juris, Rn. 36.
80Gleichwohl kommt der streitgegenständlichen Verfügung, bedingt durch die vorgesehene zeitliche Dauer von drei Jahren, eine nicht nur unerhebliche Eingriffsintensität zu, die das Erfordernis einer eigenständigen Befugnisnorm – etwa in Anlehnung an das Waffenbesitzverbot aus § 41 WaffG – rechtfertigen könnte.
81Zum hierbei unter anderem maßgeblichen Kriterium der Eingriffsintensität: Worms/Gusy, in: Möstl/Kugelmann, BeckOK PolR NRW, 30. Ed. 15.2.2025, PolG NRW § 8, Rn. 57; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 6 C 39.06 -, juris, Rn. 36.
82Denn durch die ausgesprochene zeitliche Dauer von drei Jahren überschreitet das streitgegenständliche Führverbot etwa die für Bereichsbetretungs- und Aufenthaltsverbote in § 34 Abs. 2 Satz 4 PolG NRW spezialgesetzlich vorgesehene Höchstdauer von drei Monaten erheblich und verschärft trotz der vorgesehenen Ausnahmen für Ausbildung und Sport die Eingriffswirkung für die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Für das Erfordernis einer eigenen, speziellen Rechtsgrundlage spricht aus Sicht der Kammer zudem, dass in diesem Zusammenhang zugleich eine § 42c WaffG vergleichbare Regelung geschaffen werden könnte, die über den Anwendungsbereich etwa des § 39 PolG NRW hinaus eine effektive Kontrolle des Führverbotes und damit dessen Eignung sicherstellt.
83Ob es – soweit nicht ohnehin die kompetenzrechtliche Sperrwirkung besteht – einer derartigen eigenständigen Ermächtigungsgrundlage (Standardmaßnahme) für ein individuelles Führverbot der vorstehend genannten gefährlichen Gegenstände bedarf, bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung.
844. Denn das angegriffene Führverbot erweist sich – insgesamt – jedenfalls deswegen als rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 PolG NRW hier nicht vorliegen.
85a. Gemäß § 8 Abs. 1 PolG NRW kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
86Eine solche Gefahr liegt vor, wenn bei ungehindertem Geschehensablauf in überschaubarer Zukunft mit einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. In tatsächlicher Hinsicht bedarf es in Abgrenzung zu einem bloßen Gefahrenverdacht einer genügend abgesicherten Prognose auf den drohenden Eintritt von Schäden.
87Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2004 - 6 C 21.03 -, juris, Rn. 25; OVG NRW, Urteil vom 22. Juni 2021 - 5 A 1386/20 -, juris, Rn. 90; Beschluss vom 6. August 2015 - 5 B 908/15 -, juris, Rn. 5; Urteil vom 9. Februar 2012 - 5 A 2375/10 -, juris, Rn. 31.
88Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst u.a. die Unverletzlichkeit und den Schutz zentraler Rechtsgüter wie etwa Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum des Einzelnen sowie die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter u.a. durch Strafgesetze gesichert sind.
89Nach gegenwärtiger Aktenlage und auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse wertet die Kammer die vom Antragsgegner vorliegend getroffene Gefahrenprognose insoweit als nicht tragfähig. Eine entsprechende, vom Antragsteller ausgehende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zusammenhang mit dem Umgang mit Messern aller Art, gefährlichen Werkzeugen, gefährlichen Sportgeräten, Tierabwehrsprays und Reizstoffsprühgeräten aller Art, deren Umgang ihm mit dem angegriffenen Bescheid vom 3. März 2025 untersagt wird, besteht nach summarischer Prüfung nicht.
90Zwar ist unter anderem aus vergangenem strafbarem Verhalten einer Person – insbesondere unter Einsatz von Messern oder anderen gefährlichen Gegenständen – der Schluss zulässig, dass diese bei ungehindertem Umgang mit entsprechenden Gegenständen auch zukünftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt.
91Vgl. VG München, Urteil vom 15. Dezember 2016 - M 22 K 15.5865 -, juris, Rn. 33 ff.
92Für eine entsprechende tragfähige Prognose ist aber im Regelfall und vorbehaltlich von mit erheblichem Gefährdungspotenzial auftretenden „Ersttätern“ – wie der Antragsgegner im angegriffenen Bescheid vom 3. März 2025 sinngemäß selbst ausführt – erforderlich, dass die betreffende Person den Einsatz von Waffen und gefährlichen Gegenständen wiederholt gegenüber Polizeibeamten, Dritten oder sich selbst eingesetzt, angedroht oder Waffen und gefährliche Gegenstände bei der Begehung von Straftaten oder bei zu erwartenden polizeilichen Maßnahmen wiederholt mitgeführt hat. Wie oft der Störer bereits in der Vergangenheit aufgefallen sein muss, um von einer konkreten (Wiederholungs-)Gefahr in dem vorstehenden Sinne ausgehen zu können, bemisst sich insbesondere nach der hierbei zu Tage getretenen Aggressivität bzw. dem Ausmaß der eingetretenen Gefährdung oder Schädigung der polizeilich geschützten Rechtsgüter.
93Zugleich ist die Aussagekraft des vergangenen Verhaltens für das zu prognostizierende zukünftige Handeln abhängig davon, wie aktuell dieses noch ist bzw. ob bereits ein nicht nur unerheblicher Zeitraum ohne weitere polizeiliche Auffälligkeiten verstrichen ist.
94Vgl. Ullrich, in: Möstl/Weiner, BeckOK PolR Nds, 31. Ed. 15.1.2025, NPOG § 2, Rn. 58.
95Schließlich ist zu berücksichtigen, dass für polizeiliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit – wie es insbesondere bei einem Mitführverbot von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen der Fall ist – bereits die entfernte Möglichkeit eines Schadenseintritts genügt, nicht jedoch die nur rein theoretische, praktisch aber auszuschließende Möglichkeit.
96Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2015 - 5 B 908/15 -, juris, Rn. 7.
97Gemessen an diesen Maßstäben genügen die seitens des Antragsgegners über den Antragsteller vorgebrachten Erkenntnisse nicht, um eine von ihm ausgehende konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit anzunehmen.
98Dies folgt nicht bereits daraus, dass der Antragsteller wegen der aufgeführten Vorfälle am 18. Dezember 2019 (Az. 326 Js 1801/20 der Staatsanwaltschaft Wuppertal), am 7. März 2023 (Az. 326 Js 1626/23 der Staatsanwaltschaft Wuppertal) sowie am 2. Mai 2023 (Az. 326 Js 6190/23 der Staatsanwaltschaft Wuppertal) nicht strafgerichtlich verurteilt wurde, sondern die gegen ihn geführten Strafverfahren sämtlich nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurden. Denn im Rahmen der hier zu überprüfenden gefahrenabwehrrechtlichen Prognose können Erkenntnisse aus Strafverfahren – insbesondere ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung – auch dann berücksichtigt werden, wenn ein Restverdacht gegen den ehemals Beschuldigten verblieben ist.
99Vgl. zum Waffenbesitzverbot nach § 41 WaffG Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 4. März 2021 - 24 ZB 20.3095 -, juris, Rn. 11.
100Aus den hier beigezogenen Strafverfahrensakten ergeben sich, obwohl die Einstellungen nicht wegen erwiesener Unschuld erfolgt sind und jeweils ein Restverdacht verblieben ist, jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die hier erforderliche konkrete Gefahr.
101Hierbei berücksichtigt die Kammer maßgeblich, dass der Antragsteller lediglich bei einem der in der Begründung des Bescheides vom 3. März 2025 genannten Vorfälle, namentlich dem Konflikt am 2. Mai 2023 in einer Parkanlage, überhaupt selbst ein Messer mit sich geführt haben soll, ohne dass es hierbei zu Verletzungen durch das Messer gekommen wäre. Insoweit soll er nach Angaben von zwei Zeugen, die jedoch bei der Befragung am Einsatzort und im Rahmen der Vernehmung bei der Polizei jeweils nicht kohärent ausgesagt haben, zunächst an einer Bushaltestelle nonverbal auf sein Messer hingewiesen und dieses sodann im Rahmen einer Prügelei, bei der er einen Dritten getreten und geschlagen haben soll, in der Hand gehalten haben. Gleichwohl wurde bei ihm bei einer Durchsuchung kurze Zeit später am selben Tag kein Messer vorgefunden.
102Im Hinblick auf die weiteren beiden Vorfälle liegen nach Aktenlage bereits keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller selbst ein Messer mit sich geführt bzw. eingesetzt hat. Bezüglich des Vorfalls am 7. März 2023, bei dem ein Bekannter des Antragstellers einem Dritten mit einem Messer einen Stich in den Oberschenkel versetzt haben soll, hat der Geschädigte über den Antragsteller ausgesagt, dass dieser etwas weiter weg „einfach nur dabei gestanden“ habe. Auch soweit schließlich bezüglich des Vorfalls am 18. Dezember 2019 zulasten des zu diesem Zeitpunkt noch strafunmündigen Antragstellers unterstellt wird, dass dieser damit einverstanden war, dass sein Begleiter versucht hat, einen Dritten unter Bedrohung mit einem Messer zur Herausgabe seines iPhones zu bewegen, folgt hieraus in der Gesamtschau keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer aktuell bestehenden und insbesondere drei Jahre fortdauernden konkreten Gefahr des zukünftigen Einsatzes von gefährlichen Gegenständen gegenüber Dritten. Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass seitens des Antragsgegners befürchtet wird, der Antragsteller werde zukünftig mit gefährlichen Gegenständen entsprechend erhebliche Verletzungen verursachen und die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts daher abgesenkt sind. Gleichwohl lässt sich aus den vorstehend beschriebenen Vorfällen nicht ein derart verfestigtes Verhaltensmuster ableiten, dass der mittlerweile volljährige Antragsteller, der seit zwei Jahren nicht mehr polizeilich in Erscheinung getreten ist, (weiterhin) regelmäßig gefährliche Gegenstände in der Absicht des gefährdenden Einsatzes gegenüber Dritten mit sich führt.
103Etwas anderes ergibt sich bei summarischer Prüfung auch nicht aus dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren seitens des Antragsgegners erwähnten Vorfall, wonach sich der Antragsteller am 12. Mai 2023 an einem besonders schweren Landfriedensbruch in Haan beteiligt haben soll, bei dem mehrere Geschädigte durch eine Gruppe bewaffneter Jugendlicher verletzt worden sein sollen (Az. 321 Js 858/23 der Staatsanwaltschaft Wuppertal). Ohne einen ansatzweise konkretisierten Tatbeitrag des Antragstellers unter Einsatz eines gefährlichen Gegenstandes oder Messers kann die Gefahrenprognose hierauf nicht nachvollziehbar gestützt werden.
104b. Liegen bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 PolG NRW nicht vor, bedarf es vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob die angegriffene – zwangsgeldbewehrte – Verfügung dem Bestimmtheitserfordernis aus § 37 Abs. 1 VwVfG NRW entspricht. Die Kammer hegt insoweit Bedenken, als es dem Antragsteller durch die pauschale Bezugnahme auf Verbote nach dem Waffengesetz auferlegt wird, selbst eine Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich des Waffengesetzes und der hier verfügten Regelung vorzunehmen, was sich angesichts der oben beschriebenen kompetenzrechtlichen Abgrenzungsproblematik für einen juristischen Laien als ausgesprochen diffizil und kaum leistbar erweist.
105c. Schließlich bedarf es angesichts der schon nicht tragfähigen Gefahrenprognose keiner abschließenden Entscheidung, ob sich die angegriffene Verfügung als verhältnismäßig, insbesondere als zur Gefahrenabwehr geeignet, erweist. Hinsichtlich der Geeignetheit bestehen aus Sicht der Kammer deshalb Bedenken, weil es derzeit an hinreichend wirksamen Kontrollmöglichkeiten des für die Dauer von drei Jahren angeordneten Führverbots fehlen dürfte. Anders als etwa nunmehr in § 42c WaffG hinsichtlich der „Kontrollbefugnis zum Führverbot von Waffen und Messern bei öffentlichen Veranstaltungen, im ÖPNV und in Verbotszonen“ vorgesehen, mangelt es derzeit sowohl im Waffengesetz als auch im Polizeigesetz NRW an wirksamen polizeilichen Befugnissen, die mit einem individuellen Führverbot für Waffen, Messer und sonstige gefährliche Gegenstände belegte Person hinreichend wirksam anlasslos auf Einhaltung des Verbots zu kontrollieren (etwa durch Anhalten, Befragen, Durchsuchen der Person und mitgeführten Sachen). § 42c WaffG erfasst den hier streitgegenständlichen Fall eines individuellen Führverbots ausweislich des unzweideutigen Gesetzeswortlauts nicht. Auch die derzeit im Polizeigesetz NRW vorgesehenen allgemeinen Vorschriften (etwa § 8, § 12, § 39 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2, § 40 Abs. 1 PolG NRW) dürften insoweit keine tauglichen Ermächtigungsgrundlagen darstellen, da eine anlasslose Kontrolle angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen der genannten Normen nicht durchweg in Betracht käme. Hat der Betroffene hiernach nicht mit polizeilichen Kontrollen des Verbots zu rechnen, ist dessen Einung zur Gefahrenabwehr zweifelhaft.
106II. Erweist sich das angeordnete Führverbot für die benannten gefährlichen Gegenstände als rechtswidrig, ist auch die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 250,- Euro anzuordnen. Denn an der Durchsetzung der rechtswidrigen Verfügung besteht kein Vollziehungsinteresse.
107Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Januar 2020 - 18 L 2903/19 -, juris, Rn. 17; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Februar 2025 - 19 L 1892/24 -, juris, Rn. 11; vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2020 - 5 B 703/20 -, juris, Rn. 19.
108III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG in Orientierung an Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
109Rechtsmittelbelehrung
110Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
111Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
112Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
113Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.