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Cannabismissbrauch bei einer einmaligen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss bei Vorliegen von Zusatztatsachen
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
2Der am 2. Juni 2025 gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 5775/25 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 30. April 2025 wiederherzustellen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
5Das Gericht legt das Antragsbegehren mit Blick auf §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend aus, dass die Zwangsgeldandrohung in dem angefochtenen Bescheid nicht Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sein soll. Ein Rechtsschutzbedürfnis ist insoweit nicht gegeben, weil sich die Androhung erledigt hat. Der Antragsteller hat am 5. Mai 2025 beim Antragsgegner eine eidesstattliche Versicherung zum Verlust seines Führerscheindokumentes abgegeben und ist der ihm insofern obliegenden Pflicht nachgekommen, deren Erfüllung durch die Zwangsgeldandrohung gesichert werden sollte.
6Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 16. Februar 2021 - 16 B 1496/20 -, juris Rn. 20.
7Im Übrigen ist der Antrag bei verständiger Auslegung dahin zu verstehen, dass die Festsetzung der Verwaltungsgebühr im angefochtenen Bescheid nicht streitgegenständlich sein soll, weil ein Antrag insoweit mangels vorheriger Stellung eines Aussetzungsantrages bei der Behörde unzulässig wäre und eine Ausnahme nicht ersichtlich ist (§ 80 Abs. 6 VwGO).
8Der so verstandene Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
9Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen.
10Vorliegend entfällt die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung und der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Antragsgegner (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
11Der Antrag ist jedoch unbegründet.
12Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen, wenn das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich die angefochtene Verfügung nach summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist oder aus anderen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Der Antrag hat zudem teilweise Erfolg, wenn lediglich die Vollziehungsanordnung fehlt oder (formell) rechtswidrig ist.
13Nach diesen Maßstäben hat der Antrag keinen Erfolg.
14Die Vollziehungsanordnung ist nicht zu beanstanden und das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da sich der angegriffene Verwaltungsakt nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist.
15Die in dem streitgegenständlichen Bescheid enthaltene Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO, insbesondere dem in § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO normierten Begründungserfordernis.
16Zweck dieses Begründungserfordernisses ist zum einen die Unterrichtung des Bescheidadressaten sowie gegebenenfalls des Verwaltungsgerichts über die maßgeblichen Gründe für den Sofortvollzug. Es dient zum anderen der Selbstvergewisserung der anordnenden Behörde darüber, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs die Regel, der Sofortvollzug hingegen die Ausnahme ist.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2012 - 16 B 237/12 -, juris Rn. 2.
18Insoweit ist es unerheblich, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe die sofortige Vollziehung auch tatsächlich rechtfertigen bzw. ob damit eine besondere Eilbedürftigkeit erschöpfend und zutreffend dargetan ist. Die Begründung muss dementsprechend erkennen lassen, dass und warum die Behörde in dem konkreten Einzelfall dem öffentlichen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt.
19Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. April 2014 - 16 B 89/14 -, juris Rn. 2, und vom 8. November 2011 - 16 B 24/11 -, juris Rn. 3-6 m.w.N.
20Diesen Anforderungen wird die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Begründung gerecht. Der Antragsgegner war sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst und hat das in der angefochtenen Verfügung hinreichend zum Ausdruck gebracht. Dabei hat er die Vollziehungsanordnung sowohl hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung als auch der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins bezogen auf den Einzelfall begründet. Dem stehen auch möglicherweise formelhaft klingende Wendungen angesichts der Vielzahl vergleichbarer Verfahren und der jeweils sehr ähnlich gelagerten widerstreitenden Interessen nicht entgegen,
21vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. März 2012 - 16 B 237/12 -, juris Rn. 2, vom 7. April 2014 - 16 B 89/14 -, juris, und vom 14. November 2014 - 16 B 1195/14 -, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (Bay. VGH), Beschluss vom 15. Juni 2009 - 11 CS 09.373 -, juris Rn. 19; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Januar 2012 - 6 L 1971/11 -, juris Rn. 2.
22Die Interessenabwägung geht zulasten des Antragstellers aus. Die angefochtene Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 30. April 2025 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) behördlichen Entscheidung maßgeblich,
23vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 11. April 2019 - 3 C 14.17 -, BVerwGE 165, 215–235, juris Rn. 11, und vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3.13 -, juris Rn. 13; OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Februar 2021 - 16 B 1496/20 -, juris Rn. 3, und vom 2. April 2012 - 16 B 356/12 -, juris Rn. 6,
24hier also der 30. April 2025.
25Die – nach Anhörung des Antragstellers mit Schreiben vom 24. März 2025 verfügte – Fahrerlaubnisentziehung findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen. Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV schließt die missbräuchliche Einnahme von Cannabis die Fahreignung aus.
26Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.
27Gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV ist der Betroffene darauf bei der Anordnung nach Absatz 6 hinzuweisen. Voraussetzung für den Schluss auf die Nichteignung ist, dass die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sowie hinreichend bestimmt ist. Zudem muss die Weigerung der Vorlage des Gutachtens ohne ausreichenden Grund erfolgt sein.
28Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. November 2016 - 3 C 20.15 - BVerwGE 156, 293, juris Rn. 19 m.w.N., und vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 -, juris Rn. 19; OVG NRW, Beschlüsse vom 25. August 2021 - 16 B 1059/21 -, juris Rn. 3, vom 14. November 2013 - 16 B 1146/13 -, juris Rn. 3, und vom 25. August 2008 - 16 A 1200/07 -, juris Rn. 38.
29Nach den dargelegten Maßgaben durfte der Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV wegen der Nichtvorlage des angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens auf die Nichteignung des Antragstellers schließen, weil die zugrundeliegende Gutachtenanordnung vom 17. Februar 2025 rechtmäßig ist.
30Zunächst genügt die Gutachtenaufforderung den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV. Dabei sind an die Gutachtenanordnung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2013 - 16 E 1257/12 -, juris Rn. 4 m. w. N.
32Zudem ist der Betroffene nach § 11 Abs. 6 S. 2 Hs. 2 FeV auf die Möglichkeit der Einsicht in die Fahrerlaubnisakte hinzuweisen.
33Die maßgebliche Begutachtungsanordnung erfüllt diese Anforderungen, da sie unter Nennung der Rechtsgrundlage und der Schilderung des vorangegangenen Sachverhalts deutlich macht, aus welchem Grund der Antragsgegner das Gutachten anfordert. Auch die seitens des Antragsgegners formulierte Gutachtenfrage [„Ist zu erwarten, dass der Betroffene auch künftig ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 unter die Fahrsicherheit beeinträchtigendem Einfluss von Cannabis führen wird (Cannabismissbrauch)?“] nicht zu beanstanden. Sie ist anlassbezogen und zur Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers erforderlich. Außerdem enthält die Anordnung einen entsprechenden Hinweis auf die Möglichkeit der Akteneinsicht in die Fahrerlaubnisakte.
34Die Begutachtungsanordnung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner konnte sie auf § 13a Satz 1 Nr. 2 a) FeV stützen. Danach ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Cannabisabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Cannabismissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen. Ermessen ist nicht gegeben.
35Der Antragsgegner ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Falle des Antragstellers sonstige Tatsachen vorliegen, die die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.
36Gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV in der seit dem 22. August 2024 geltenden Fassung liegt Cannabismissbrauch vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs nicht hinreichend sicher getrennt werden können.
37Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung zur vormaligen Rechtslage (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV der vor dem 1. April 2024 geltenden Fassung) führte bereits eine bei einem Kraftfahrzeugführer festgestellte THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum zur Annahme eines fehlenden Trennungsvermögens zwischen Konsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen.
38Zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14.17 -, juris, Rn. 23-30; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 -, juris, mit umfangreichen Nachweisen zu der weiteren obergerichtlichen Rechtsprechung und den wissenschaftlichen Untersuchungen; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Januar 2016 - 9 K 1253/15 -, juris, Rn. 41 ff. und Beschluss vom 25. August 2020 - 9 L 1013/20 -, juris, Rn. 46.
39Für die Beurteilung, ob eine nicht fernliegende verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs i.S.d. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV gegeben ist, ist nunmehr der in § 24a Abs. 1a StVG festgelegte Grenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum maßgeblich. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 24a Abs. 1a StVG und zur Änderung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist bei Erreichen dieses THC-Grenzwerts nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend. Durch die Änderung der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV sollte die darin enthaltene Legaldefinition von Cannabismissbrauch laut Gesetzesbegründung ausdrücklich an den gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum in § 24a Abs. 1a StVG angepasst werden.
40Vgl. BT-Drucks. 11370/20, S. 10 ff.; Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a StVG); VG München, Beschluss vom 26. Mai 2025 - M 6 S 24.7290 -, juris Rn. 39; VG Osnabrück, Beschluss vom 28. Januar 2025 - 1 B 74/24 -, juris Rn. 26; VG Ansbach, Beschluss vom 3. Januar 2025 - AN 10 S 24.3086 -, juris Rn. 40; VG Minden, Beschluss vom 22. Oktober 2024 - 2 L 926/24 -, juris Rn. 46, nachgehend: OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2025 - 16 B 1058/24 -, juris.
41Diese alleinige Feststellung stünde jedoch im Widerspruch zu § 13a Nr. 2 b) FeV. Danach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen, sofern eine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss begangen wurde. Im Umkehrschluss daraus und in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 13 Nr. 2 a), b) FeV wird eine einmalige cannabisbedingte Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG nicht zur Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13a Nr. 2 a) Alt. 2 FeV ausreichen. Eine einmalig gebliebene Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss kann deswegen nur dann die Annahme von Cannabismissbrauch begründen, wenn zusätzliche aussagekräftige Umstände („Zusatztatsachen“) hinzutreten.
42Vgl. VG München, Beschluss vom 26. Mai 2025 - M 6 S 24.7290 -, juris Rn. 40 f.; VG Osnabrück, Beschluss vom 28. Januar 2025 - 1 B 74/24 -, juris Rn. 27 f.; VG Ansbach, Beschluss vom 3. Januar 2025 - AN 10 S 24.3086 -, juris Rn. 41; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, FeV § 13a Rn. 7 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 17. März 2021 - 3 C 3.20 -, BVerwGE 172, 18-37 (zur Alkoholproblematik).
43Erforderlich ist somit, dass unabhängig von der Fahrt unter Cannabiseinfluss weitere Tatsachen darauf hindeuten, dass der Antragsteller künftig Cannabis im Sinne der Fahrerlaubnis-Verordnung missbräuchlich konsumieren werde.
44Vgl. VG Osnabrück, Beschluss vom 28. Januar 2025 - 1 B 74/24 -, juris Rn. 28; VG Minden, Beschluss vom 22. Oktober 2024 - 2 L 926/24 -, juris Rn. 100;
45Auch der Arbeitskreis des 63. Deutschen Verkehrsgerichtstags geht bei Ersttätern von Cannabismissbrauch aus, wenn Zusatztatsachen vorliegen, die erwarten lassen, dass künftig nicht zwischen Konsum und Fahren getrennt wird. Sie können u.a. aus dem Konsummuster resultieren, dem Vortatgeschehen oder aus den Umständen des Tatgeschehens.
46Vgl. Empfehlung des 63. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom 29. bis 31. Januar 2025, Arbeitskreis I – Cannabis-Missbrauch im Straßenverkehr, Ziffer 4.
47Anknüpfungspunkte im Sinne der „sonstigen Tatsachen“ des § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV, die Zweifel daran begründen, ob vom Betreffenden künftig ein zuverlässiges Trennverhalten erwartet werden kann, können sich nach Einschätzung der Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie e.V. (DGVP) und Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin e.V. (DGVM) insbesondere aus der Verkehrsvorgeschichte, aufgrund besonderer Bedingungen der Verkehrsteilnahme, aus Umständen des Tatgeschehens (mangelndes Trennungsvermögen) oder Hinweisen zur fehlenden Trennbereitschaft ergeben,
48vgl. Positionspapier Nr. 12 der Fachgesellschaften DGVP und DGVM vom 12. September 2024 Cannabismissbrauch – Eignungszweifel bei erstmaliger Verkehrsauffälligkeit S. 6 ff.; VG München, Beschluss vom 26. Mai 2025 - M 6 S 24.7290 -, juris Rn. 42.
49Anknüpfungspunkte für mangelndes Trennungsvermögen ergeben sich aus besonderen Umständen des Tatgeschehens, die auf eine ausgeprägte Cannabisgewöhnung, einen Kontrollverlust beim Konsum oder ein riskantes Konsumverhalten mit Neigung zu hochdosiertem, hochfrequentem oder chronischem Konsum hinweisen, etwa wenn gleichzeitig eine hohe THC-Konzentration von ≥ 8 ng/ml und eine sehr hohe THC-COOH-Konzentration von ≥ 150 ng/ml Blutserum als Hinweis auf chronischen, hochfrequenten Konsum mit fehlendem Trennvermögen vorliegen,
50vgl. Positionspapier Nr. 12 der Fachgesellschaften DGVP und DGVM vom 12. September 2024 Cannabismissbrauch – Eignungszweifel bei erstmaliger Verkehrsauffälligkeit S. 6; Derpa in Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 48. Aufl. 2025, FeV § 13a Rn. 9.
51Zweifel an der Trennbereitschaft können im Einzelfall auch durch besondere Umstände der Tatbegehung entstehen, die auf ein außergewöhnlich gering ausgeprägtes Risikobewusstsein als überdauerndes Merkmal hinweisen oder eine fehlende Bereitschaft erkennen lassen, die nach Cannabiskonsum vor einer Verkehrsteilnahme erforderlichen Wartezeiten einzuhalten bzw. den Konsum angesichts einer absehbaren Verkehrsteilnahme zu unterlassen. Hierauf weist unter anderem eine Verkehrsteilnahme trotz wahrnehmbarer Rauschsymptome (z.B. mehrere deutliche Ausfallerscheinungen bei der Verkehrskontrolle) oder eine Verkehrsteilnahme, die kurz nach Konsumende angetreten wurde, hin.
52Vgl. Positionspapier Nr. 12 der Fachgesellschaften DGVP und DGVM vom 12. September 2024 Cannabismissbrauch – Eignungszweifel bei erstmaliger Verkehrsauffälligkeit S. 7; VG München, Beschluss vom 26. Mai 2025 - M 6 S 24.7290 -, juris Rn. 43; ähnlich: VG Minden, Beschluss vom 22. Oktober 2024 - 2 L 926/24 - juris Rn. 122.
53Dies zugrunde gelegt liegen im Falle des Antragstellers neben einem Verstoß gegen das Trennungsgebot weitere aussagekräftige Zusatztatsachen vor, die die Annahme von Cannabismissbrauch i.S.d. § 13a Satz 1 Nr. 2 a) Alt. 2 FeV begründen.
54Ein Verstoß gegen das Trennungsgebot – den neuen Grenzwert des § 24a Abs. 1a StVG von 3,5 ng/ml zu Grunde gelegt – folgt hier bereits aus der Verkehrsteilnahme des Antragstellers unter Cannabiseinfluss. Dem Antragsteller ist am Tag der Verkehrskontrolle, am Sonntag, den 7. April 2024 um 04:40 Uhr in Düsseldorf eine Blutprobe entnommen worden, die ausweislich des toxikologischen Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf vom 4. Juli 2024 einen THC-Wert von 37 ng/ml sowie einen THC-COOH Wert von ca. 300 ng/ml im Blutserum ergeben hat.
55Es liegen zudem weitere Tatsachen vor, die die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.
56Eine die missbräuchliche Einnahme von Cannabis indizierende Zusatztatsache im oben genannten Sinne ergibt sich daraus, dass der Antragsteller die fehlende Bereitschaft erkennen lässt, die nach Cannabiskonsum vor einer Verkehrsteilnahme erforderlichen Wartezeiten einzuhalten bzw. den Konsum angesichts einer absehbaren Verkehrsteilnahme zu unterlassen. Denn ausweislich des Polizeiberichts zeigte er bei der Verkehrskontrolle deutliche, drogentypische Ausfallerscheinungen. Beim Antragsteller konnte zunächst eine wahrnehmbare Nervosität festgestellt werden, die sich insbesondere durch ein Zittern bemerkbar machte. Der Aufforderung, seine Dokumente (Führerschein, Fahrzeugschein, Personalausweis) vorzuzeigen, konnte er nicht folgen und fragte erneut nach. Zudem konnten bei ihm glasige Augen und gerötete Bindehäute festgestellt werden. Beim Aussteigen aus dem Fahrzeug konnte bei ihm eine Störung der Koordination wahrgenommen werden. So bewegte er sich verlangsamt und war nach dem Aufstehen zunächst augenscheinlich in seinem Gleichgewicht gestört. Zur Identifizierung seiner Person wurde er nach dem Geburtsdatum seines Kindes befragt und gab nach langem Überlegen ein falsches Datum an. Insgesamt wirkte er konzentrationsgestört, konnte den Beamten in den Aufforderungen nicht aufmerksam Folge leisten und stellte oft Nachfragen. Darüber hinaus führt das toxikologische Gutachten vom 4. Juli 2024 aus, dass aufgrund der Befunde sowie der Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen davon ausgegangen werden könne, dass sich der Antragsteller rauschmittelbedingt in einem Zustand befunden habe, der mit dem sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr nicht mehr vereinbar sei.
57Abgesehen von den wahrnehmbaren Rauschsymptomen spricht der beim Antragsteller festgestellte hohe THC-Wert von 37 ng/ml dafür, dass der Antragsteller offenbar die Verkehrsteilnahme kurz nach Konsumende angetreten hat. Denn nach den im Rahmen der sog. 1. Maastricht-Studie gewonnenen Erkenntnissen über die Abbaugeschwindigkeit von THC im Blutserum sinkt dessen Konzentration bei Gelegenheitskonsumenten auch nach der Zufuhr hoher Dosierungen von 500 µg THC pro Kilogramm Körpergewicht innerhalb von sechs Stunden nach Rauchende im Mittel auf einen Wert von etwa 1 ng/ml ab,
58vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. September 2011 - 16 B 470/11 -, Rn. 4 ff., juris, mit zahlreichen Nachweisen zu den Grundlagen der Erkenntnisse und zu weiterer Rechtsprechung; Bay. VGH, Beschluss vom 3. Januar 2017 - 11 CS 16.2401 -, juris, Rn. 14; VG Minden, Beschluss vom 22. Oktober 2024 - 2 L 926/24 -, juris Rn. 122, nachgehend: OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2025 - 16 B 1058/24 -, juris.
59Nach 3 - 5 Stunden können bereits Werte unter 3,5 ng/ml erreicht werden.
60Vgl. Empfehlung einer Wartezeit nach Konsum von Cannabis vor Verkehrsteilnahme der Fachgesellschaften DGVP und DGVM vom 16. Mai 2024.
61Befragt nach Betäubungsmittelkonsum gab der Antragsteller in der Verkehrskontrolle an, dass er keinerlei Angaben dazu machen werde und auch an freiwilligen Tests nicht mitwirken werde. Angesichts des beim Antragsteller festgestellten hohen THC-Wertes von 37 ng/ml hat er jedoch offenbar am Abend des 6. April 2024 (Samstag) in der Nacht von Samstag auf Sonntag Cannabis konsumiert und sodann in den Morgenstunden des 7. April 2024 ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt.
62Im Übrigen spricht nach Einschätzung der Fachgesellschaften die hohe THC-Konzentration (37 ng/ml) und die gleichzeitig sehr hohe THC-COOH-Konzentration (ca. 300 ng/ml) im Blutserum für einen chronischen, hochfrequenten Konsum mit fehlendem Trennvermögen.
63Ein ausreichender Grund für die Nichtvorlage des Gutachtens ist schließlich nicht erkennbar. Insbesondere war die von dem Antragsgegner gesetzte Frist zur Beibringung des Gutachtens von 2 Monaten (bis zum 17. April 2025) nicht zu kurz bemessen.
64Nachdem der Antragsgegner auf die Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen konnte, war letzterem die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG zwingend zu entziehen; ein Ermessen ist der Fahrerlaubnisbehörde insofern nicht eingeräumt. Die Anordnung vom 17. Februar 2025 enthielt auch den nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV erforderlichen Hinweis.
65Der Antragsteller hat seine Fahreignung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedererlangt, denn es fehlt im maßgeblichen Zeitpunkt an der Beibringung eines (positiven) medizinisch-psychologischen Gutachtens. Allein der Hinweis, dass der Antragsteller seit der Kontrolle kein Cannabis mehr konsumiere, genügt nicht.
66Die Interessenabwägung im Übrigen geht ebenfalls zulasten des Antragstellers aus. Denn in aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit der auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage etwa durch Verlust des Arbeitsplatzes reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
67Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -, juris Rn. 50 ff.; BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2012 - 16 B 944/12 -, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012 - 16 B 1106/12 -, juris Rn. 7.
68Die Pflicht zur Herausgabe des Führerscheins folgt aus §§ 3 Abs. 2 S. 3 StVG, 47 Abs. 1 FeV. Insofern überwiegt ebenfalls das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse des Antragstellers, den Führerschein trotz der rechtmäßigen Fahrerlaubnisentziehung zu behalten.
69Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
70Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird in Klageverfahren nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
71vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 2020 - 16 B 210/19 -, juris Rn. 18,
72der das Gericht folgt, mit dem Auffangwert des GKG angesetzt. Im Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ermäßigt sich der in der Hauptsache anzunehmende Betrag um die Hälfte (Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025).
73Rechtsmittelbelehrung
74Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
75Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
76Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
77Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.