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Homosexuellen droht in Ägypten landesweit die Gefahr von Verfolgung und Verhaftung.Eine innerstaatliche Fluchtalternative gibt es nach aktueller Auskunftslage nicht.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Februar 2025 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
2Der im Jahr 1994 geborene Kläger ist ägyptischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und christlicher Religionszugehörigkeit. Er reiste am 20. Dezember 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 28. Dezember 2023 einen Asylantrag.
3Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) hörte den Kläger am 29. Dezember 2023 an. Er trug im Wesentlichen vor, der Bruder seines Partners habe seine Familie über ihre Beziehung in Kenntnis gesetzt. Daraufhin sei er von seinem Onkel sowie dessen Söhnen mehrfach schwer geschlagen und misshandelt worden, weil diese seine Beziehung und seine Homosexualität nicht akzeptierten.
4Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 4. Februar 2025 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten (Ziffer 2) sowie die Zuerkennung subsidiären Schutzes (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass in der Person des Klägers keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Im Falle der Nichteinhaltung dieser Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung nach Ägypten oder in einen anderen Staat, der zu seiner Aufnahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 5). Das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus: Der Kläger habe eine drohende Verfolgung wegen seiner Homosexualität nicht glaubhaft gemacht. Der Bescheid wurde mit PZU am 12. Februar 2025 zugestellt.
5Der Kläger hat am 25. Februar 2025 die vorliegende Klage erhoben und eine Stellungnahme der G.. vorgelegt.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Februar 2025 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
8hilfsweise,
9ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
10hilfsweise,
11festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Ägyptens vorliegen.
12Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung ausführlich persönlich angehört worden. Wegen des Inhalts wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Das Gericht konnte durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 28. Februar 2025 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 76 Abs. 1 AsylG).
18Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
19Der Bescheid des Bundesamtes vom 4. Februar 2025 ist - soweit er angefochten ist - rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
20Der Kläger hat zu dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG.
21Nach dieser Vorschrift wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
22Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder 2. in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Nach § 3a Abs. 2 AsylG können als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylVfG unter anderem die folgenden Handlungen gelten: die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt (Nr. 1), gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden (Nr. 2), unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3), Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (Nr. 4), Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5), Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind (Nr. 6). Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss dabei zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Der Charakter einer Verfolgungshandlung erfordert, dass das Verhalten des betreffenden Akteurs im Sinne einer objektiven Gerichtetheit auf die Verletzung eines nach § 3a AsylG geschützten Rechtsguts selbst zielt.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 37.18 -, juris, Rn. 12, m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 3. November 2016 - A 9 S 303/15 -, juris, Rn. 30 f. m.w.N.
24Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
25Die relevanten Rechtsgutsverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung" des Art. 2 Buchstabe d RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie - QRL) abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
26Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. Juli 2019 - 1 C 33.18 -, juris, Rn. 15 f., vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14 f., vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 22, und vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 -, juris, Rn. 32 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 3. November 2016 - A 9 S 303/15 -, juris, Rn. 32.
27Der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist unabhängig davon, ob bereits Vorverfolgung oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG vorliegt. Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden ernsthaft bedroht war, ist allerdings ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden (vgl. Art. 4 Abs. 4 QRL). Nach dieser Vorschrift besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen wird Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beigelegt. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadenstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden; hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
28Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 -, juris, Rn. 19, vom 22. November 2011 - 10 C 29/10 -, juris, Rn. 23 ff., vom 1. Juni 2011 - 10 C 25/10 -, juris, Rn. 23, und vom 1. März 2012 - 10 C 7/11 -, juris, Rn. 12; OVG NRW, Urteile vom 14. Februar 2014 - 1 A 1139/13.A -, juris, Rn. 77, und vom 17. August 2010 - 8 A 4062/06.A -, juris, Rn. 35 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 3. November 2016 - A 9 S 303/15 -, juris Rn. 35.; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 21. September 2015 - 9 LB 20/14 -, juris, Rn. 30 m.w.N.
29Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Es bestehen nach den bereits gegenüber dem Bundesamt gemachten Angaben und des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks keine Zweifel an der Homosexualität des Klägers, die er in freier Entfaltung seiner Persönlichkeit in Deutschland lebt und auch bei einer Rückkehr nach Ägypten leben würde.
30Der Kläger hat sein Verfolgungsschicksal ausführlich und detailreich geschildert. Er hat seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand entsprechend überzeugend von seiner Homosexualität und der Bedrohung durch seine eigene Familie berichtet. Das Gericht hat nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung auch keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers.
31Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger in Ägypten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweite Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG wegen seiner sexuellen Orientierung droht.
32Dies gilt aus zwei voneinander unabhängigen und selbstständig tragenden Gründen:
33Erstens: Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Kläger aus begründeter Furcht vor staatlicher Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Heimatlandes aufhält. Der Verfolgungsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b AsylG erfüllt, wenn die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird; als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet.
34Vgl. EuGH, Urteile vom 7. November 2013 - C-199/12 -, juris, Rn. 79, und vom 25. Januar 2018 - C-473/16 -, juris, Rn. 30; BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 – 1 C 29/17 –, juris, Rn. 29; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2013 - A 9 S 1873/12 -, juris, Rn. 50.
35Dabei erlaubt das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung, dass diese Personen von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werden. Zwar stellt allein der Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher noch keine Verfolgungshandlung dar. Sind hingegen homosexuelle Handlungen mit Freiheitsstrafe bedroht und werden diese Strafen auch tatsächlich verhängt, so ist dies als unverhältnismäßige diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-199/12 bis C-201/12 -, juris, Rn. 41 ff. und 50 ff.
37Jede sexuelle Identität stellt einen konstitutiven Bestandteil der Persönlichkeit eines Menschen dar, weshalb er nicht gezwungen werden kann, diesen wesentlichen Bestandteil seiner Identität zu negieren, um einer Verfolgung im Herkunftsland zu entgehen. Von dem schutzsuchenden Asylbewerber kann nicht verlangt werden, dass er seine sexuelle Orientierung in seinem Herkunftsland geheim hält oder zur Vermeidung von Verfolgung Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt.
38Vgl. EuGH, EuGH, Urteil vom 7. November 2013 – C-199/12 bis C-201/12 –, juris, Rn. 76; BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 2 BvR 1807/19 –, juris, Rn. 19; Bayerischer VGH, Beschluss vom 5. September 2019 – 7 ZB 19.32227 –, juris, Rn. 8.
39Aufgrund der Erkenntnislage droht dem Kläger in Ägypten staatliche Verfolgung durch Bestrafung in Anknüpfung an seine Homosexualität.
40Zwar stehen homosexuelle Handlungen nicht explizit unter Strafe. Jedoch kennt das ägyptische Strafgesetzbuch den Tatbestand der "Unzucht" (debauchery). Auch wenn Homosexualität nicht ausdrücklich erwähnt ist, berufen sich in der Praxis die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte auf den entsprechenden Artikel und ein Gesetz zur Bekämpfung der Prostitution von 1961. Es sind in diesem Zusammenhang sowohl Geld- als auch Gefängnisstrafen vorgesehen. Die Praxis der Rechtsprechung wendet jedoch den Straftatbestand der "Unzucht" fast ausschließlich auf Geschlechtsverkehr zwischen Männern an.
41Vgl. ausführlich ACCORD, Anfragebeantwortung zu Ägypten: Lage von homosexuellen Männern [a-10992] vom 24. Mai 2019, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2009335/a-10992.pdf.
42Homosexuelle Männer werden immer wieder Opfer von staatlicher Verfolgung. Dabei ist es üblich, beschuldigte Personen „medizinischen Untersuchungen“ (Analuntersuchungen), vorgeblich zur Feststellung von Neigungen und begangenen Handlungen zu unterziehen. Da homosexuelle Handlungen zudem ein gesellschaftliches Tabu sind, muss davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Übergriffe sehr hoch ist.
43Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 26. Januar 2022, S. 13 f.; Amnesty International, Amnesty International Report 2015/16, Seite 149.
44Zwischen 2013 und 2020 wurden 495 Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität festgenommen und gemäß dem Unzuchtparagraph angeklagt. Der Großscheich der Al-Azhar, El Tayeb, hat Homosexualität mehrfach öffentlich als unmoralisch und nicht mit dem Islam vereinbar verurteilt.
45Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 26. Januar 2022, S. 14.
46Diese Erkenntnisse werden gestützt durch eine Vielzahl weiterer Auskunftsquellen. So müssen nach Auskunft von amnesty international Männer, die im Verdacht standen, einvernehmliche sexuelle Beziehungen mit anderen Männern zu haben, mit Verhaftung und strafrechtlicher Verfolgung wegen Prostitution und Verletzung der öffentlichen Moral rechnen.
47Vgl. Amnesty International, Amnesty International Report 2015/16, Seite 149.
48Im November 2014 nahmen Sicherheitskräfte mehr als 30 Männer in einem Kairoer Badehaus fest; gegen 26 von ihnen wurde ein Gerichtsverfahren wegen "Ausschweifungen" eröffnet.
49Vgl. Amnesty International, Amnesty International Report 2015/16, Seite 149; Frankfurter Allgemeine vom 13. Dezember 2014 "Razzia gegen Schwule im Hamam"; Süddeutsche Zeitung vom 13. Januar 2015 "Nichts Strafbares im Hamam".
50In einem anderen Fall wurden acht Männer im November 2014 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie an einer mutmaßlich gleichgeschlechtlichen Hochzeit auf einem Schiff auf dem Nil teilgenommen hatten. Im Berufungsverfahren wurde das Strafmaß im Dezember auf ein Jahr reduziert.
51Frankfurter Rundschau vom 3. November 2014 "Ägypter verurteilt wegen Video von Homohochzeit"; taz vom 3. November 2014 "Haft nach angeblicher Schwulenhochzeit".
52In jüngerer Zeit kam es zu weiteren Übergriffen: Infolge des Hochhaltens einer Regenbogenflagge bei einem Konzert der bekannten libanesischen Popgruppe "Mashrou" Leila" in Kairo am 22. September 2017 kam es im Folgemonat zu 75 Festnahmen. 20 Personen wurden zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und sechs Jahren verurteilt. Zum ersten Mal wurden auch Aktivisten verhaftet.
53Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 26. Januar 2022, S. 14.; Deutschlandfunk, „Mashrou‘ Leila auf Tour: Wo Regenbogen-Fahnen nicht verboten sind“, vom 28. April 2018, abrufbar unter https://www.deutschlandfunk.de/mashrou-leila-auf-tour-wo-regenbogen-fahnen-nicht-verboten-100.html; Deutsche Welle, „17 Schwule stehen in Kairo vor Gericht“, vom 2. Oktober 2017; Frankfurter Rundschau vom 2. Oktober 2017 "Festnahmen wegen Regenbogenflagge"; taz vom 4. Oktober 2017 "Ägypten will keine Regenbogen sehen".
54Am 30. September 2017 verbot der Oberste Rat für Medienregulierung jegliche Auftritte von Homosexuellen in allen Medien, solange es sich nicht um ein Reuegeständnis und eine Abkehr von der Homosexualität handle.
55Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 26. Januar 2022, S. 14.
56Seit dem 1. Oktober 2017 standen 17 Männer wegen homosexueller Handlungen vor Gericht. Die Anklage warf ihnen unmoralisches Verhalten sowie die Förderung von Homosexualität und Ausschweifungen vor. Menschenrechtsgruppen werfen den Behörden vor, die Polizei habe die 17 Männer in der vergangenen Woche völlig willkürlich in Straßen und Cafés festgenommen als Teil einer Anti-Homosexuellen-Kampagne.
57Frankfurter Allgemeine vom 1. Oktober 2017 "17 Männer wegen homosexueller Handlungen in Kairo vor Gericht".
58Die Abteilung für den Schutz der öffentlichen Moral im Innenministerium, auch Moralpolizei genannt, verfolgt homosexuelle Männer seit einiger Zeit mithilfe von Dating-Apps.
59Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten vom 26. Januar 2022, S. 14; Deutsche Welle vom 6. April 2023, „Ägypten: Schwulenhatz per Dating-App“, abrufbar unter https://www.dw.com/de/lgbtq-in-%C3%A4gypten-staatliche-verfolgung-%C3%BCber-dating-apps/a-65214584; Der Spiegel vom 27. März 2023, „Warnung von Grindr - Ägyptische Polizei nutzt Dating-App zur Verfolgung schwuler Männer“, abrufbar unter https://www.spiegel.de/ausland/aegypten-polizei-nutzt-dating-app-grindr-zur-verfolgung-von-schwulen-a-f6d83456-9f1d-4a53-a4e4-2751345c7329?sara_ref=re-so-app-sh.
60Die Behörden schikanieren und verfolgen nach wie vor Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Mehrere Betroffene berichteten über Schläge und andere Misshandlungen in Polizeigewahrsam.
61Vgl. Amnesty International, The State of the World's Human Rights; Egypt 2024, 29. April 2025, abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/2124642.html.
62Aufgrund dieser Auskünfte ist das Gericht davon überzeugt, dass Homosexuellen - wie dem Kläger - landesweit die Gefahr von Verfolgung und Verhaftung droht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative gibt es nach der Auskunftslage nicht.
63Vgl. bereits VG Düsseldorf, Urteile vom 9. Oktober 2023 - 12 K 6376/22.A -, vom 22. August 2019 – 12 K 3377/18.A -, und vom 5. Oktober 2017 – 12 K 10670/17.A –, juris, Rn. 46; VG Köln, Urteil vom 8. März 2021 – 6 K 7659/18.A –, juris, Rn. 53.
64Zweitens: Unabhängig davon und selbstständig tragend droht dem Kläger Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, nämlich durch seine eigene Familie. Der Kläger hat bereits in der Anhörung beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung ausführlich und glaubhaft geschildert, dass er von seinem Onkel sowie dessen Söhnen mehrfach schwer geschlagen und misshandelt wurde, weil diese seine Beziehung und seine Homosexualität nicht akzeptierten.
65Der Vortrag steht in Übereinstimmung mit den oben bereits zitierten allgemeinen Erkenntnissen.
66Die drohende Verfolgung des Klägers geht von Verfolgungsakteuren im Sinne von § 3c AsylG aus. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger einer drohenden Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt war. Es steht angesichts der Auskunftslage zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der ägyptische Staat nicht willens ist, Menschen mit anderer sexueller Orientierung – wie den Kläger – zu schützen. Nach dem Regenbogenfahnenvorfall im September 2017 haben zunehmend auch nichtstaatliche Akteure homosexuellen und bisexuellen Männern Fallen gestellt und Gewalt angewendet. Aus Angst hat sich keines der Opfer solcher Fallen durch nichtstaatliche Akteure dazu entschlossen, rechtliche Schritte einzuleiten.
67Vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Ägypten: Lage von homosexuellen Männern [a-10992] vom 24. Mai 2019, abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2009335/a-10992.pdf, S. 17; ILGA, State-Sponsored Homophobia 2019, März 2019, S. 521, abrufbar unter https://ilga.org/resources/state-sponsored-homophobia-report-2019.
68Andere schutzfähige und -bereite Organisationen sind nicht ersichtlich. Die Vorverfolgung des Klägers durch seine eigene Familie begründet die gesetzliche Vermutung dafür, dass diese Verfolgung sich bei Rückkehr in den Herkunftsstaat wiederholt.
69Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 9. Oktober 2023 - 12 K 6376/22.A -, vom 22. August 2019 – 12 K 3377/18.A -, und vom 5. Oktober 2017 – 12 K 10670/17.A –, juris, Rn. 49.
70Einer Entscheidung über die hilfsweise gestellten Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedurfte es nicht mehr, da die Beklagte zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG verpflichtet wurde.
71Die Ausreiseaufforderung nach § 38 Abs. 1 AsylG und die Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 AsylG waren ebenso wie das angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG aufzuheben, weil sie aufgrund der Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
72Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
73Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
74Rechtsmittelbelehrung
75Binnen eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen und die Zulassungsgründe im Sinne des § 78 Abs. 3 Asylgesetz darlegen.
76Der Antrag ist durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten zu stellen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.