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1. Zur Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG müssen die vorgetragenen Umstände im Hinblick auf die Voraussetzungen beider Schutzgewährungen, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes, belanglos sein.2. Aus staatlichem Schutz vor Verfolgung nach §§ 3c Nr. 3, 3d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG und aus einer internen Fluchtalternative nach § 3e AsylG kann nicht auf die Belanglosigkeit im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG geschlossen werden.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 5252/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Mai 2024 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2A. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil der Antragsteller bis zur Entscheidungsreife des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht hat, die es dem Gericht ermöglichten zu prüfen, ob der Antragsteller nicht in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens – jedenfalls teilweise – zu tragen, § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), § 114 Zivilprozessordnung.
3B. Der am 11. Juli 2024 sinngemäß gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 5252/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Mai 2024 anzuordnen,
5hat Erfolg.
6I. Er ist zulässig. Insbesondere ist nicht erkennbar, die einwöchige Frist des § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 Asylgesetz (AsylG) sei im Zeitpunkt der Antragstellung bereits verstrichen gewesen. Der Bundesamtsakte ist lediglich zu entnehmen, dass der Bescheid zunächst versehentlich an die Erstaufnahmeeinrichtung J. ausgehändigt wurde und die Zustellung an die Zentrale Unterbringungseinrichtung F., in der der Kläger damals wie heute lebt, erst am 28. Juni 2024 veranlasst worden ist. Wann genau die Zustellung bewirkt wurde, lässt sich der Bundesamtsakte mangels Rückläufers der Empfangsbestätigung nicht entnehmen, sodass zugunsten des Antragstellers von der Wahrung der Frist mit Antragstellung am 11. Juli 2024 auszugehen ist.
7II. Der Antrag ist auch begründet.
8Im Fall einer durch das Bundesamt verfügten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ordnet das Gericht gemäß § 36 Abs. 1 und 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die – sofort vollziehbare (vgl. §§ 36, 75 AsylG) – Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylbewerbers, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung überwiegt. Die Aussetzung der Abschiebung darf gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur dann angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, die angegriffene Maßnahme hielte einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht stand, wobei sich diese Prognose gerade auch auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erstrecken muss.
9Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris Rn. 99.
10So verhält es sich hier.
11Die Ablehnung des Asylverfahrens als offensichtlich unbegründet wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben, da die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen des § 30 AsylG (n. F.),
12das heißt in der Fassung des Rückführungsverbesserungsgesetzes vom 21. Februar 2024, BGBl. I Nr. 54, in Kraft seit dem 27. Februar 2024 (Artikel 11 Abs. 1),
13voraussichtlich nicht vorliegen.
14Die Antragsgegnerin hat den Schutzantrag unter Hinweis auf das Vorliegen eines nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG offensichtlich unbegründeten Schutzbegehrens abgelehnt. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen nicht vor.
15Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Der Gesetzgeber hat damit Art. 31 Abs. 8 lit. a) der Asylverfahrensrichtlinie
16Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung)
17umgesetzt.
18Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT Drs. 20/9463, S. 23, 56; BR DRs 563/23, S. 60.
19Unter den Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 8 der Asylverfahrensrichtlinie sind die Mitgliedstaaten berechtigt, das Asylverfahren beschleunigt durchzuführen, das heißt insbesondere nach Art. 32 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie einen Antrag als offensichtlich unbegründet zu betrachten. Der Asylantragsteller darf danach bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht haben, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. „Belanglos“ müssen diese Umstände also im Hinblick auf die Voraussetzungen beider Schutzgewährungen, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes, sein. Der Wortlaut legt dabei ein deutlich engeres Verständnis der „Belanglosigkeit“ nahe, als dies bei der Auslegung des Offensichtlichkeitsmerkmals des § 30 Abs. 1 AsylG a.F. zu Grunde gelegt wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war – mit Blick auf die unbegründete Asylklage – die Offensichtlichkeit i.S.v. § 30 Abs. 1 AsylG (a.F.) zu bejahen, „wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rspr. und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt“.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2000 – 2 BvR 1429/98 –, juris Rn. 3.
21Demgegenüber fragt die „Belanglosigkeit“ nicht nach der Überzeugungsgewissheit des Prüfungsergebnisses, sondern setzt vielmehr bei der Darlegung an. Das ist ein wesentlicher struktureller Unterschied. Zur Offensichtlichkeit führt daher nur ein Vorbringen, das von vorneherein keinen Bezug zur den die Schutzgewährung auslösenden Gefahren für den Schutzsuchenden beinhaltet.
22Vgl. so auch VG Hannover, Beschluss vom 13. Juni 2024 – 10 B 1953/24 –, juris Rn. 25 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 16. April 2024 – 31 L 670/23 A –, juris Rn. 60; Keßler, Anmerkungen zu Änderungen durch das Rückführungsverbesserungsgesetz, Asylmagazin 4-5/2024, S. 160 ff. (161); Waldvogel, Offensichtlich unbegründete Asylanträge nach dem Rückführungsverbesserungsgesetz, NVwZ 2024, 871 ff. (872 f.); vergleichbar VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 4. Juli 2024 – 10 A 161/24 –, juris Rn. 86; a.A.: VG Köln, Beschluss vom 19. Juni 2024 – 22 L 1089/24.A –, juris Rn. 15 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 23. Mai 2024 – 41 L 353/24 A –, juris Rn. 23; Beck’scher Online-Kommentar AuslR, 41. Edition, Stand: 1. April 2024, § 30 AsylG, Rn. 14 f.
23Entscheidend ist demnach die Wertung, dass sämtliche vorgebrachten Gründe nicht nur nicht zu einer Schutzzuerkennung führen, sondern per se asylfremd sind.
24Waldvogel, Offensichtlich unbegründete Asylanträge nach dem Rückführungsverbesserungsgesetz, NVwZ, 2024, 871, 872.
25Entgegen der Ansicht des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid findet eine materielle Evidenzprüfung des offensichtlichen Nichtvorliegens geltend gemachter Umstände in diesem Kontext nicht statt.
26Vgl. hierzu Keßler, Anmerkungen zu Änderungen durch das Rückführungsverbesserungsgesetz, Asylmagazin 4-5/2024, S. 160 ff. (161).
27Der Antragsteller gab bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt an, sein Bruder sei in eine Schlägerei verwickelt gewesen, bei der eine Person gestorben sei. Um seinen Bruder zu entlasten, habe er die anderen Personen angezeigt und deren Versteck verraten. Diese seien daraufhin festgenommen und zu sehr langen Haftstrafen verurteilt worden. Aufgrund eines neuen Gesetzes dürften diese Personen nun alle zwei Monate für 14 Tage die Haftanstalt verlassen. Da sie erfahren hätten, dass er sie damals angezeigt habe, seien sie nun hinter ihm her. Dies habe er von seinem Bruder und von dem Vater eines Täters erfahren.
28Ohne dass es auf die behördliche oder richterliche Überzeugung, ob dieses Vorbringen den begehrten Schutzanspruch trägt, ankäme, lässt sich die Belanglosigkeit dieses Vorbringens nicht von vorneherein feststellen. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass es der vom Antragsteller vorgetragenen Gefahr an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung mit einem der in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründe fehlt. Dies schließt jedoch die Annahme eines ernsthaften Schadens und damit die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG nicht aus.
29Nichts anderes folgt daraus, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben bislang keine Verfolgungshandlungen erlitten hat und die vorgetragene Gefahr aus den Angaben Dritter herleitet. Auch vor diesem Hintergrund erscheinen die vorgebrachten Gründe nicht per se asylfremd. Eine Heranziehung dieser Umstände zur Begründung einer offensichtlichen Unbegründetheit nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG liefe auf eine unzulässige materielle Evidenzprüfung hinaus.
30Soweit die Antragsgegnerin den Antragsteller auf staatlichen Schutz nach §§ 3c Nr. 3, 3d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AsylG und auf internen Schutz nach § 3e AsylG verweist, ist dies ebenso wenig geeignet, dem Vortrag seine asylrechtliche Relevanz zu nehmen. Vielmehr greifen diese Ausschlussgründe entscheidungstragend erst ein, wenn im Übrigen eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer begründeten Verfolgungsfurcht oder eines ernsthaften Schadens anzunehmen wäre. In derart gelagerten Fällen ist der Vortrag ersichtlich nicht per se asylfremd, sodass aus dem Vorliegen eines der genannten Ausschlussgründe nicht auf die Belanglosigkeit im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG geschlossen werden kann.
31Nach alledem liegen die Voraussetzungen einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG voraussichtlich nicht vor.
32Ungeachtet der Frage, ob das Gericht die Begründung der Antragsgegnerin auswechseln könnte,
33in diesem Sinne der Beschluss der Kammer – 7 L 845/23.A – vom 20. April 2023 (nicht veröffentlicht); vgl. auch VG Minden, Beschluss vom 30. Oktober 2023 – 2 L 930/23.A –, juris, Rn. 18, m.w.N.,
34liegen auch die Voraussetzungen einer anderen Vorschrift, die eine offensichtliche Unbegründetheit rechtfertigte, nicht vor.
35Anderweitige Umstände, die eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet zu tragen vermögen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
36Auf die Frage, ob sich der Asylantrag im Hauptsacheverfahren möglicherweise als unbegründet erweisen wird, kommt es bei der Beurteilung der hier allein in Rede stehenden offensichtlichen Unbegründetheit nicht an.
37C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
38Der Gegenstandswert folgt aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
39Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).