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Ein Vorbringen ist für die Prüfung des Asylantrags nur dann nicht von Belang, wenn es von vorneherein keinen Bezug zu den die Schutzgewährung auslösenden Gefahren für den Schutzsuchenden beinhaltet, m.a.W. wenn es per se asylfremd ist.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 5145/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juni 2024 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil der Antragsteller bis zur Entscheidungsreife des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz keine Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht hat, die es dem Gericht ermöglichten zu prüfen, ob der Antragsteller nicht in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens - jedenfalls teilweise - zu tragen, § 166 VwGO, § 114 ZPO.
3Der am 8. Juli 2024 (Montag) sinngemäß gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 5145/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Juni 2024 anzuordnen,
5hat Erfolg.
6Er ist zulässig. Insbesondere ist die einwöchige Frist des § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 Asylgesetz (AsylG) gewahrt, da der streitgegenständliche Bescheid nach dem Zustellnachweis in den Akten des Bundesamtes am 1. Juli 2024 zugegangen ist.
7Der Antrag ist auch begründet.
8Im Fall einer durch das Bundesamt verfügten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ordnet das Gericht gemäß § 36 Abs. 1 und 3 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die – sofort vollziehbare (vgl. §§ 36, 75 AsylG) – Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylbewerbers, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung überwiegt. Die Aussetzung der Abschiebung darf gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur dann angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, die angegriffene Maßnahme hielte einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht stand, wobei sich diese Prognose gerade auch auf das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erstrecken muss.
9Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris.
10So verhält es sich hier.
11Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz auf die aktuelle Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen. Daher ist vorliegend die Rechtslage, die seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung
12Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024, BGBl. I Nr. 54, in Kraft seit dem 27.02.2024 (Artikel 11 Abs. 1),
13gilt, maßgeblich. Die Ablehnung des Asylverfahrens als offensichtlich unbegründet wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben, da die hierfür entscheidenden Voraussetzungen des § 30 AsylG voraussichtlich nicht vorliegen.
14Die Antragsgegnerin stützte die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Ungeachtet der Frage, ob das Gericht die Begründung auswechseln könnte,
15in diesem Sinne Beschluss der Kammer - 7 L 845/23.A – vom 20. April 2023 (n.v.),
16liegen die diese Voraussetzungen ersichtlich nicht vor.
17Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Der Gesetzgeber hat damit Art. 31 Abs. 8 lit a) der Asylverfahrensrichtlinie
18RICHTLINIE 2013/32/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, Abl. L 180/60 vom 29.6.2013 (Neufassung)
19umgesetzt.
20Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT Drs. 20/9463, S. 23, 56; BR DRs 563/23 S. 60.
21Unter den Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 8 Asylverfahrensrichtlinie sind die Mitgliedstaaten berechtigt, das Asylverfahren beschleunigt durchführen, d.h. insbesondere nach Art. 32 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie einen Antrag als offensichtlich unbegründet zu betrachten. Der Asylantragsteller darf danach bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht haben, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. „Belanglos“ müssen diese Umstände also im Hinblick auf die Voraussetzungen beider Schutzgewährungen, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes, sein. Der Wortlaut legt dabei ein deutlich engeres Verständnis der „Belanglosigkeit“ nahe, als dies bei der Auslegung des Offensichtlichkeitsmerkmals des § 30 Abs. 1 AsylG a.F. zu Grunde gelegt wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war – mit Blick auf die unbegründete Asylklage – die Offensichtlichkeit im Sinne von § 30 Abs. 1 AsylG (a.F.) zu bejahen, „wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rspr. und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt“.
22BVerfG, Beschluss vom 21. Juli 2000 – 2 BvR 1429 –, juris.
23Demgegenüber fragt die „Belanglosigkeit“ nicht nach der Überzeugungsgewissheit des Prüfungsergebnisses, sondern setzt vielmehr bei der Darlegung an. Das ist ein wesentlicher struktureller Unterschied. Zur Offensichtlichkeit führt daher nur ein Vorbringen, das von vorneherein keinen Bezug zur den die Schutzgewährung auslösenden Gefahren für den Schutzsuchenden beinhaltet.
24Ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. Beschlüsse vom 26.03.2024, - 7 L 622/24.A –; 01.03.2024 – 7 L 441/24.A – und vom 27.05.2024 – 7 L 1223/24.A -, Letzterer: juris Rz. 17; so auch: Keßler, Anmerkungen zu Änderungen durch das Rückführungsverbesserungsgesetz, Asylmagazin 2024, S. 160, 161.
25Entscheidend ist demnach die Wertung, dass sämtliche vorgebrachten Gründe nicht nur nicht zu einer Schutzzuerkennung führen, sondern per se asylfremd sind.
26Waldvogel, Offensichtlich unbegründete Asylanträge nach dem Rückführungsverbesserungsgesetz, NVwZ, 2024, 871, 872.
27Entgegen der Ansicht des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid findet eine materielle Evidenzprüfung des offensichtlichen Nichtvorliegens geltend gemachter Umstände in diesem Kontext nicht statt.
28Vgl. hierzu Keßler, a.a.O. S. 161.
29Insoweit ist auch die Begründung des Bundesamtes für seine Auffassung entlarvend: Nach der dort vertretenen Ansicht sei das Tatbestandsmerkmal „für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang“ weiter auszulegen, weil es sonst keine Norm mehr gebe, auf die eine Offensichtlichkeitswertung gestützt werden könnte (Seite 7 des Bescheides). Solch ergebnisorientierte Argumentation ist – auch bei zutreffendem Befund - indes wenig belastbar, wenn sie über den Wortlaut hinausgeht. Allein der vermutete Wunsch des nationalen Gesetzgebers führt insoweit auch nicht weiter, da die Auslegungsgrenze europarechtlich vorgegeben ist. Dies wird rechtsdogmatisch auch nicht durch die Heranziehung der verwaltungsgerichtlichen Obersätze zu § 30 Abs. 1 AsylG a.F. geheilt, wie dies der streitgegenständliche Bescheid versucht.
30Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt detailliert und orientiert an seinem Erleben die von ihm erfahrenen Benachteiligungen wegen seiner kurdischen Herkunft und Sprache im Arbeitsleben im Westen der Türkei, wie auch bei dem unlängst absolvierten Wehrdienst vorgetragen. Er hat dabei die von Vorgesetzten – also staatlichen Organen – ihm gegenüber angeordneten Sonderaufgaben, wie extra Nachtschichten mit ausgiebigem Schlafentzug oder das erniedrigende sinnfreie stundenlange „Grüßen“ eines Baumes, glaubhaft geschildert. Ohne dass es auf die behördliche oder richterliche Überzeugung, ob dieses Vorbringen den begehrten Schutzanspruch trägt,
31wobei sich einschränkend gut vertreten ließe, dass nur glaubhafte Darlegungen „von Belang“ sind,
32ankäme, lässt sich die Belanglosigkeit dieses Vorbringens nicht von vorneherein feststellen. Denn es handelt sich hierbei um Umstände (Kurdische Volkszugehörigkeit), die seit Jahren und Jahrzehnten und immer wieder aktuell von der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Asylverfahren in Deutschland auf ihre asyl- und flüchtlingsrechtliche Relevanz im Einzelfall überprüft werden. Dass man – wie aktuell die Kammer – hinsichtlich der Frage einer Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei zum Ergebnis kommt, dies sei offensichtlich nicht zu bejahen,
33Urteil der Kammer 7 K 119/22.A vom 5. April 2023; Beschluss der Kammer 7 L 1737/23.A vom 7. Juli 2023 (beides nicht veröffentlicht),
34bedeutet noch nicht, dieser Umstand sei belanglos. Auch das Bundesamt legt in der Begründung seiner Bescheide – wie auch im hier angegriffenen Bescheid – Wert darauf auszuführen, dass für Kurden jedenfalls im Westen der Türkei eine zumutbare inländische Fluchtalternative bestehe.
35Darüber hinaus hat der Antragsteller vorgetragen, er sei am 20.03.2023 in A. auf einem kurdischen Meeting mit einer Flagge der HDP fotographiert worden und ein später festgenommener Freund von ihm seinen und die Namen anderer Besucher genannt habe. Sein Freund sei für zwei Monate festgehalten worden und habe ihn über dessen Eltern, die ihn besucht hätten, gewarnt.Die pauschale Behauptung, dieses Vorbringen sei eine „Schutzbehauptung“, ohne dies näher zu begründen, überzeugt nicht, setzt aber jedenfalls eine inhaltliche Prüfung voraus.
36Warum dann auch noch von vorneherein die erforderliche Eingriffsintensität für die einzelnen Elemente des Vorbringens verneint wird und dann – ersichtlich zirkulär – wegen der für zu niedrig befundenen Eingriffsintensität auf die Belanglosigkeit für die Asylantragsprüfung geschlossen wird, soll das Geheimnis dieses Bescheides bleiben. Die Gewichtung der Eingriffsintensität als „ausreichend gravierend“ kann gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG abschließend jedenfalls erst nach einer Gesamtbetrachtung einer möglichen Kumulierung erfolgen, sodass eine angeblich zu schwache Eingriffsintensität einzelner Umstände im Vorbringen nie von vorneherein zu einer Belanglosigkeit des Vortrags für die Prüfung des Asylantrags führen kann.
37Nach alledem liegen die Voraussetzungen einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG voraussichtlich nicht vor. Anderweitige Umstände, die eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet zu tragen vermögen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Auf die Frage, ob sich der Asylantrag im Hauptsacheverfahren möglicherweise als unbegründet erweisen wird, kommt es bei der Beurteilung der hier allein in Rede stehenden offensichtlichen Unbegründetheit nicht an.
38Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
39Der Gegenstandswert folgt aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
40Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).