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Befristung der aufschiebenden Wirkung bis zum Ablauf des gesetzlichen Mutterschutzes wegen Schwangerschaft der Antragstellerin
Die aufschiebende Wirkung der Klage (4 K 6503/24.A) gegen Ziffer 1. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 1. August 2024 (Gz. 10198534-425) wird bis zum Ablauf des gesetzlichen Mutterschutzes (§ 3 Abs. 1 und 2 MuSchG) angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 3/4 und die Antragsgegnerin zu 1/4.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
G r ü n d e :
2Der am 12. August 2024 bei Gericht sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der am 12. August 2024 erhobenen Klage (4 K 6503/24.A) hinsichtlich der Ablehnung des Asylfolgeantrages als unzulässig (Ziffer 1. des Bundesamtsbescheides vom 1. August 2024 – als Einschreiben zur Post gegeben am 2. August 2024 –) anzuordnen,
4hilfsweise, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Ziffer 2. des Bundesamtsbescheides) vorläufig nicht vollzogen werden darf,
5hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
6Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch den Einzelrichter.
71. Der Antrag ist zulässig.
8Er ist insbesondere statthaft. Die Regelung in Ziffer 1. des in der Hauptsache angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit der das als Folgeantrag erfasste Begehren der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt wurde, hat größtenteils keinen Erfolg . Nach der Änderung des § 71 Abs. 5 AsylG durch das am 27. Februar 2024 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 54) ist das Begehren der Antragstellerin auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ablehnung ihres Asylfolgeantrags als unzulässig nicht länger als ein Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO,
9vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 22 L 396/19.A -, juris Rn. 12 ff. m.w.N.; vgl. zum Streitstand: Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht (Stand: 1. Oktober 2023), § 71 AsylG Rn. 36 ff.,
10sondern als ein Fall des § 80 Abs. 5 VwGO einzuordnen.
11§ 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG bestimmt, dass es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung bedarf, wenn der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag stellt, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt. Nach § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG darf die Abschiebung jedoch erst nach Ablauf der Frist nach § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG und im Fall eines innerhalb der Frist gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erst nach der gerichtlichen Ablehnung dieses Antrags vollzogen werden.
12Gegenstand des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist mithin die in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage,
13vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 16,
14angegriffene Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig,
15vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 9a L 2160/18.A -, juris Rn. 9,
16nunmehr auch dann, wenn – wie hier – das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid keine (neue) Abschiebungsandrohung erlassen hat.
17Grundlage der Abschiebung bildet in diesen Fällen - anders als im Fall des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG - nicht mehr die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der an die Ausländerbehörde gerichteten Mitteilung des Bundesamtes, ein neues (Folge-)Asylverfahren werde nicht durchgeführt, sondern die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit dem neuen, vollziehbaren Unzulässigkeitsbescheid.
18Wird dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben, darf die Abschiebung mithin nicht vollzogen werden. Damit scheidet, was zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich, aber auch ausreichend ist, eine Abschiebung des Ausländers einstweilen aus.
19Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2024 - 4 L 784/24.A -, juris Rn. 15 m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2024 - 28 L 714/24.A -, juris Rn. 19; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 9a L 2160/18.A -, juris Rn. 13; VG München, Beschluss vom 8. Mai 2017 - M 2 E 17.37375 -, juris Rn. 14; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 41. Edition, Stand: 01.04.2024, § 71 AsylG, Rn. 36.
20Insbesondere wird die Effektivität des Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO durch die Mitteilungspflichten des Gerichts gegenüber der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde (vgl. § 83a Satz 2 AsylG) sichergestellt. Denn unter "Verfahren über die Rechtmäßigkeit" im Sinne des § 83a Satz 2 AsylG sind auch Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz zu verstehen,
21vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2024 - 4 L 784/24.A -, juris Rn. 17 ff. m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2024 - 28 L 714/24.A -, juris Rn. 21 ff.
22Bezüglich der Ablehnung einer Abänderung des Ausgangsbescheides zu den Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist vorläufiger Rechtsschutz hingegen auch im Fall des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ergänzend über § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da im Hinblick auf das Rechtsschutzziel der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG in der Hauptsache (hilfsweise) eine Verpflichtungsklage zu erheben ist,
23vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 20; VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. April 2024 - 4 L 784/24.A -, juris Rn. 39; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2024 - 28 L 714/24.A -, juris Rn. 33 ff.; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 41. Edition, Stand: 01.04.2024, § 71 AsylG, Rn. 36.1.
24Es bestehen auch keine Bedenken an der Einhaltung der Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides, welche hier gemäß § 71 Abs. 4 Hs. 1 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG maßgeblich ist,
25vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2023 - 11 A 1/22.A -, juris Rn. 24 ff., sowie nachgehend BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2024 - 1 B 49/23 -, juris Rn. 4 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2024 - 28 L 714/24.A -, juris Rn. 26; VG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2024 - A 8 K 1026/24 -, juris Rn. 22; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 41. Edition, Stand: 01.04.2024, § 71 AsylG, Rn. 33, 38,
26Der Bescheid galt ausweislich des Ab-Vermerks (Aufgabe zur Post als Einschreiben am 2. August 2024) gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) am 5. August 2024 als zugestellt, so dass im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. August 2024 die Frist noch nicht verstrichen war.
272. Der so verstandene Antrag ist mit dem Hauptantrag größtenteils (a), mit dem Hilfsantrag vollständig unbegründet (b).
28a) Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin, den Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides der Antragsgegnerin vom Bundesgebiet aus führen zu können, das gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der vollziehbaren Unzulässigkeitsentscheidung überwiegt. Hierbei ist maßgeblich, ob ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung bestehen.
29Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angefochtene Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris Rn. 99.
31Es bestehen im vorliegenden Fall überwiegend keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheides, mit der das Bundesamt den Asylfolgeantrag der Antragstellerin als unzulässig (§§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG) abgelehnt hat.
32Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist der Asylantrag unzulässig, wenn im Fall eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG bestimmt, dass bei erneuter Antragstellung nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
33Der von der Antragstellerin über die Prozessbevollmächtigte am 20. Juni 2024 und persönlich am 12. Juli 2024 bei dem Bundesamt gestellte Antrag, ist als Folgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 1 AsylG zu qualifizieren. Nach der Vorschrift liegt ein Folgeantrag unter anderem dann vor, wenn der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt. Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin hatte bereits am 27. Juni 2023 einen Asylantrag gestellt (Gz.: 10198519-425), dessen Ablehnung mit Bescheid vom 15. Januar 2024 nach Rücknahme der dagegen bei dem erkennenden Gericht erhobenen Klage – 4 K 589/24.A – am 10. Juni 2024 bestandskräftig ist.
34Es sind auch keine neuen Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen. Neue Elemente und Erkenntnisse sind zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden, wenn die Tatsachen und Umstände erst nach der Entscheidung im Asylerstverfahren eingetreten sind oder die Tatsachen und Umstände bereits im Asylerstverfahren vorlagen, dem Bundesamt aber nicht zur Kenntnis gebracht und daher nicht bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnten. Zu den maßgeblichen Elementen zählen der Vortrag des Ausländers und alle ihm zur Verfügung stehenden einschlägigen Unterlagen oder andere Nachweise über sein Alter, seinen Lebenshintergrund und den seiner Familienangehörigen, seine Identität, seine Staatsangehörigkeit, den Ort des vorhergehenden Aufenthalts und des Wohnsitzes, frühere Asylanträge, Reiserouten, Reisedokumente sowie Gründe für den Asylantrag. Erkenntnisse sind Informationen zu der persönlichen Situation oder der Situation im Herkunftsland.
35Vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 – C-18/20 – Rn. 44; Art. 40 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013; Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 20/9463, S. 64.
36Ein weiteres Asylverfahren ist nur durchzuführen, wenn die neuen Elemente und Erkenntnisse mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen. Dies ist der Fall, wenn die neuen Tatsachen und Umstände für die Beurteilung der Begründetheit des Antrags maßgeblich erscheinen, sie mithin geeignet sind, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, zu einer anderen Einschätzung einer Gefahr vor Verfolgung (§ 3 AsylG) bzw. unmenschlicher Behandlung (§ 4 AsylG) zu gelangen.
37Vgl. EuGH, Urteil vom 8. Februar 2024 – C-216/22 –, juris Rn. 51; Urteil vom 10. Juni 2021 – C- 921/19 –, juris Rn. 53.
38Diese Elemente und Erkenntnisse werden jedoch nur berücksichtigt, wenn der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, sie bereits im Asylerstverfahren geltend zu machen.
39Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin zur Begründung ihres Asylfolgeantrags keine neuen Elemente bzw. Erkenntnisse vorgetragen, die geeignet wären, dauerhaft eine für sie günstigere Entscheidung herbeizuführen.
40Die von ihr – erstmalig – ausschließlich geltend gemachten gesundheitlichen Gründe sind asyl- und flüchtlingsrechtlich irrelevant. Als Verursacher einer Verfolgung im Sinne des §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 1 und 2 AsylG kommen nach Maßgabe von § 3c AsylG (i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG) ausschließlich der Staat, den Staat beherrschende Parteien und Organisationen und nichtstaatliche Akteure in Betracht, sofern die ersteren erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, den erforderlichen Schutz zu bieten. Die Antragstellerin hat auch im gerichtlichen Eilverfahren keinerlei Tatsachen vorgetragen bzw. neue Beweismittel vorgelegt, die geeignet wären zu einer anderen Einschätzung einer Gefahr vor Verfolgung (Art. 16a GG, § 3 AsylG) bzw. unmenschlicher Behandlung (§ 4 AsylG) zu gelangen.
41Allerdings begegnet die in Ziffer 5. des Bescheides vom 15. Januar 2024 verfügte und gemäß § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG weiterhin gültige vollziehbare Abschiebungsandrohung im Hinblick auf die Schwangerschaft der Antragstellerin insoweit rechtlichen Bedenken, als derzeit aufgrund eines zeitweiligen inländischen Vollzugshindernisses die Durchführbarkeit der Abschiebung nicht feststeht. Insoweit war die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Maßgabe von § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu befristen.
42Ist – wie hier – zu Lasten der Antragstellerin bereits eine bestandskräftige Abschiebungsandrohung des Bundesamtes gemäß § 34 AsylG ergangen, muss ihr auch im Folgeverfahren, in dem wegen § 71 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 AsylG keine neue Rückkehrentscheidung ergangen ist, grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet werden, nachträgliche Belange im Sinne des Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (im Folgenden: Rückführungs-RL) geltend zu machen.
43Vgl. Thür. OVG, Beschluss vom 7. Juni 2023 - 4 EO 626/22 -, juris Rn. 20; VG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Februar 2024 - 24 L 122/24.A -, juris Rn. 14 m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. März 2024 - 3 L 501/24.A -, n.v.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Juni 2024 - 3 L 1414/24.A -, juris Rn. 110 ff.
44Nach der geltenden nationalen Rechtslage ist die Antragstellerin aufgrund der in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes vom 15. Januar 2024 enthaltenen bestandskräftigen Abschiebungsandrohung vollziehbar ausreisepflichtig. Rechtsgrundlage der vom Bundesamt im Asylerstverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung ist § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG sieht vor, dass eine Abschiebungsandrohung nur zu erlassen ist, wenn der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegen stehen.
45Bei der Antragstellerin besteht ausweislich des vorgelegten Mutterpasses (GA Bl. 15 ff.) eine fortgeschrittene Schwangerschaft. Der berechnete Entbindungstermin datiert auf den 25. September 2024. Angesichts des seit dem 14. August 2024 bestehenden Mutterschutzes und der alsbald bevorstehenden Geburt des Kindes kann bei einer Reise zum jetzigen Zeitpunkt eine konkrete und ernsthafte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Antragstellerin oder des Kindes nicht ausgeschlossen werden (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Gleiches gilt für Mutter und Kind im unmittelbaren Zeitraum nach der Geburt. Bei Berücksichtigung dieser Interessen und unter Zugrundelegung der gesetzlichen Wertungen des § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG hat das Gericht in Ausübung seines richterlichen Ermessens gemäß § 80 Abs. 5 Satz 5 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung bis zum Ende des gesetzlichen Mutterschutzes befristet.
46Ein darüber hinaus gehendes Vollzugshindernis, welches einer Abschiebung dauerhaft entgegenstehen könnte, ist dagegen nicht ersichtlich. Insbesondere steht einer Rückführung der Antragstellerin nach summarischer Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine durch psychische Erkrankungen bedingte Reiseunfähigkeit entgegen.
47Von einer Reiseunfähigkeit im genannten Sinne kann bei psychischen Erkrankungen im Wesentlichen dann ausgegangen werden, wenn im Rahmen der Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht, der darüber hinaus auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise – etwa durch vorbeugende Maßnahmen nach dem Gesetz über Hilfe und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) – begegnet werden kann,
48vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2008 – 18 B 538/08 –, juris, Rn. 17, vom 27. Juli 2006 ‑ 18 B 586/06 –, juris, Rn. 26 f., und vom 24. Februar 2006 – 18 A 916/05 –, juris, Rn. 16, vgl. auch Bay.VGH, Beschluss vom 20. Februar 2023 – 19 CE 22.2220 -, juris Rn. 11 m.w.N., wonach die Reisefähigkeit in der Regel durch begleitende Maßnahmen (Verabreichung von Medikamenten, polizeiliche oder ärztliche Begleitung des gesamten Abschiebevorgangs, Übergabe an medizinisches Personal im Herkunftsland) sichergestellt werden kann,
49oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, die allerdings – in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG – nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betroffenen mit den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat bewirkt werden darf.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2008 – 18 B 538/08 –, juris, Rn. 19.
51Nach diesen Maßstäben scheidet die Annahme einer Reiseunfähigkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus. Eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, mit der eine Beeinträchtigung der Abschiebung der Antragstellerin glaubhaft gemacht wird, liegt nicht vor. In der psychiatrischen Stellungnahme des Kreiskrankenhauses H. vom 14. Mai 2024 wird eine Reiseunfähigkeit nicht geltend gemacht. Die Stellungnahme lässt nicht ansatzweise erkennen, dass einer gegebenenfalls während des Abschiebevorgangs auftretenden Gesundheits- oder Suizidgefahr, mit welcher der behandelnde Facharzt im Falle der Abschiebung „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ rechnet, nicht auch durch begleitende Maßnahmen wie etwa die Abholung und Begleitung durch einen Arzt, die ständige Betreuung durch ihren (ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtigen) Ehemann, die Gabe von Beruhigungsmitteln und eine ärztliche Inempfangnahme am Zielort wirksam begegnet werden kann.
52Im Hinblick auf den Vollzug der Abschiebungsandrohung sieht sich das Gericht indes veranlasst, darauf hinzuweisen, dass es Sache der Ausländerbehörde sein wird, im Zuge der Durchführung der Abschiebung zu prüfen, ob angesichts der psychischen Verfassung des Klägers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorliegt (vgl. Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115). Bei der Durchführung der Abschiebung wird der Umfang der staatlichen Schutzpflicht bestimmt durch die Besonderheiten des Einzelfalls. Damit die Abschiebung verantwortet werden kann, obliegt es der Ausländerbehörde ggf. auch, durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen - etwa durch ärztliche Hilfe bis hin zur Flugbegleitung - zu treffen. Dazu gehört es beispielsweise auch, dass bei Bedarf die Schutzpflicht des Staates nicht bereits bei der Ankunft des Ausländers im Zielstaat endet, sondern zeitlich bis zum Übergang in eine Versorgung und Betreuung im Zielstaat fortdauert.
53Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 16. April 2002 - 2 BvR 553/02 -, InfAuslR 2002, 415; OVG NRW, Beschluss vom 2. Juli 2004 - 18 B 830/04 -, juris m.w.N.
54b) Bezüglich Ziffer 2. des angefochtenen Bundesamtsbescheides liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die aufgrund der in der Hauptsache insoweit (hilfsweise) zu erhebenden Verpflichtungsklage allein statthaft ist,
55vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 – juris,
56nicht vor.
57Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind gemäß § 123 Absatz 3 VwGO i.V.m. § 920 Absatz 2, § 294 ZPO glaubhaft zu machen.
58Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin schon einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches ist maßgeblich, ob ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung bestehen.
59Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 1999 – 2 BvR 2131/95 – juris Rn. 1 und 22 mit Verweis auf Art. 16a Abs. 4 GG; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht (Stand: 1. April 2023), § 71 AsylG Rn. 38.
60Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
61Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 – juris.
62Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 bis 3 VwVfG in Bezug auf die mit Bescheid vom 15. Januar 2024 im Asylerstverfahren ergangene Versagung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor. Zur Begründung machte die Antragstellerin – unter Vorlage eines Mutterpasses sowie zweier ärztlicher Stellungnahmen vom 26. März 2024 und 14. Mai 2024 des Klinikums D. – im Wesentlichen geltend, sie zeige Symptome einer paranoiden Schizophrenie und einer schweren depressiven Episode. Die Behandlung müsse fortgesetzt werden, da sich anderenfalls die Symptomatik verschlechtere. Im Übrigen bestünden latente Selbstmordgedanken, die sich im Falle einer Abschiebung zu einer akuten Gefährdung entwickeln könnten. Die Schwangerschaft der Antragstellerin gefährde zudem ihre Gesundheit. Hieraus folgt indes kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
63Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies setzt das Bestehen individuell bestimmter und erheblicher Gefahren voraus, ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist.
64Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18. Januar 2005 – 8 A 1242/03.A –, juris Rn. 37 (= InfAuslR 2005, 281-287); vgl. zu der früheren – weitgehend wortgleichen – Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zudem: BVerfG, Urteile vom 25. November 1997 – 9 C 58.96 –, juris (= BVerwGE 105, 383-388), und vom 17. Oktober 1995 – 9 C 9.95 –, juris Rn. 16 (BVerwGE 99, 324-331).
65Die Annahme eines Abschiebungshindernisses i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer auf den Verhältnissen im Zielstaat der Abschiebung beruhenden Gefahr für die Gesundheit oder das Leben eines Ausländers kommt demnach zunächst in Betracht, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Versorgung mit Arzneimitteln für die betreffende Krankheit in dem jeweiligen Staat wegen des geringen Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist oder aus – finanziellen oder sonstigen – Gründen nicht zugänglich ist.
66Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. September 1999 – 9 C 8.99 –, juris (NVwZ 2000, 206), vom 18. März 1998 – 9 C 36.97 –, juris, vom 27. April 1998 – 9 C 13.97 –, juris (= Buchholz 402.420 § 53 AuslG Nr. 12), vom 25. November 1997 – 9 C 58.96 –, juris (= BVerwGE 105, 383-388), vom 15. Oktober 1999 – 9 C 7.99 –, juris (= Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr 24), und vom 9. September 1997 – 9 C 48.96 –, juris (= InfAuslR 1998, 125-126); BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 – 1 C 1.02 –, juris (= Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 66), Beschluss vom 29. April 2002 – 1 B 59.02 –, juris (= Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60).
67Darüber hinaus muss sich ein Ausländer auf den Standard der üblichen heimatlichen Gesundheitsversorgung verweisen lassen, soweit sie eine zumutbare Gesundheitsversorgung darstellt. Eine Gleichwertigkeit der medizinischen Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht erforderlich (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung im Heimatland ist regelmäßig selbst dann gegeben, wenn die Beschaffung von Medikamenten im Einzelfall auf organisatorische Schwierigkeiten stoßen und mit nicht unerheblichem Kostenaufwand verbunden sein kann.
68Zu § 53 Abs. 6 AuslG: OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2004 – 13 A 1140/04.A –, juris, vom 30. Dezember 2004 – 13 A 1250/04.A –, juris m.w.N. und weiterer Begründung und vom 19. März 2004 – 13 A 931/04.A –, juris m.w.N.
69Schließlich kann eine Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen drohender Gesundheitsbeeinträchtigungen – in besonderen Ausnahmefällen – auch dann vorliegen, wenn dem Betroffenen die Inanspruchnahme des dort vorhandenen und für ihn auch verfügbaren Gesundheitssystems aus neu hinzutretenden gesundheitlichen Gründen – etwa wegen einer infolge der Einreise zu befürchtenden schwerwiegenden Verschlimmerung psychischer Leiden – nicht zuzumuten ist.
70Vgl. OVG NRW, Urteile vom 27. Juni 2002 – 8 A 4782/99.A –, juris und vom 18. Januar 2005 – 8 A 1242/03.A –, juris.
71„Konkret“ ist die Gefahr, wenn diese Verschlechterung „alsbald“ (d.h. zeitnah) nach der Rückkehr des Betreffenden in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden trifft und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 – 9 C 58/96 –, juris Rn. 13 (= BVerwGE 105, 383-388).
73Soweit die Antragstellerin unter Vorlage der ärztlichen Stellungnahmen des Kreiskrankenhauses H. vom 26. März 2024 und vom 14. Mai 2024 (GA Bl. 20 f.) nunmehr im Folgeverfahren erstmalig vorträgt, an Symptomen einer paranoiden Schizophrenie sowie einer depressiven Störung, teilweise schwere Episode mit psychotischen Symptomen sowie latenter Suizidalität erkrankt zu sein, rechtfertigt auch dies nicht den Rückschluss auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
74Die nunmehr eingereichten ärztlichen Stellungnahmen legen eine schwerwiegende bzw. lebensbedrohliche Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bereits nicht substantiiert dar (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG).
75Nach der Rechtsprechung ist zur Substantiierung eines Vorbringens einer psychischen Erkrankung, wie etwa hier einer depressiven Verstimmung oder paranoiden Schizophrenie, angesichts der Unschärfen der Krankheitsbilder sowie vielfältigen Symptomen regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes erforderlich, aus welchem sich nachvollziehbar ergibt, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
76Vgl. zu einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 – 10 C 17.07 –, juris Rn. 15; Beschluss vom 26. Juli 2012 - 10 B 21.12 -, juris Rn. 7.
77Ob die zuletzt eingereichten ärztlichen Stellungnahmen vom 26. März 2024 und vom 14. Mai 2024 diesen Anforderungen gerecht werden, erscheint zumindest bedenklich. Die Stellungnahmen gehen in Bezug auf die dargestellten Krankheitsbilder – paranoide Schizophrenie, schwere depressive Episoden, latente Suizidalität – nicht über Verdachtsdiagnosen hinaus. Auch ist hieraus nicht erkennbar, ob und inwieweit die mit den Sorgen über eine bevorstehende Abschiebung geltend gemachte Symptomatik im Hinblick auf die ablehnenden Eilentscheidung des hiesigen Gerichts im Asylerstverfahren vom 14. Februar 2024 – 4 L 199/24.A – möglicherweise asyltaktisch motiviert war. Einer diesbezüglichen Auseinandersetzung hätte es mit Blick auf den zeitlichen Zusammenhang mit dem negativen Ausgang des Asylerstverfahrens indes bedurft, zumal die Antragstellerin seinerzeit psychische Beschwerden noch nicht ansatzweise geltend gemacht hatte.
78Ungeachtet dessen sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen psychische Erkrankungen, einschließlich depressiver Episoden und paranoider Schizophrenie, in Aserbaidschan behandelbar. Bis auf wenige Ausnahmen sind die in Deutschland üblichen Medikamente auch in Aserbaidschan erhältlich. Dies gilt auch für das Antipsychotikum Quetiapin, das nach Angabe der ärztlichen Stellungnahme vom 14. Mai 2024 als eher atypisch einzustufen ist.
79Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und Abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 25. März 2022 (Stand: Juni 2021), S. 21; Auskunft der deutschen Botschaft Baku vom 29. April 2016, RK-10-516.50; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aserbaidschan: Psychiatrische Versorgung vom 25. August 2021, S. 7.
80Es ist auch davon auszugehen, dass eine etwaige Behandlung in Aserbaidschan für die Antragstellerin finanziell erreichbar ist.
81In Aserbaidschan wurde nach den gerichtlichen Erkenntnissen eine obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Hiermit sollen nunmehr alle ärztlichen Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten abgedeckt werden. Die landesweite Einführung der Krankenversicherungspflicht begann schrittweise ab dem 1. Januar 2020 und wurde – wegen der Covid-19-Pandemie zunächst verschoben – schließlich am 1. April 2021 allgemein eingeführt. Behandlungsbedürftige Personen sollen sich an die Poliklinik an ihrem Wohnort wenden und erhalten dort kostenlos die notwendigen Medikamente und (fach-)ärztliche Versorgung. Im Leistungspaket der finanziell abgedeckten medizinischen Gesundheitsleistungen sind u.a. medizinische Notfallversorgung, primäre Gesundheitsversorgung, ambulante Leistungen, stationäre Leistungen, Operationen und Physiotherapie enthalten.
82Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 25. März 2022, S. 21; IOM, Länderinformationsblatt 2021, abrufbar unter www.returningfromgermany.de; die vom Leistungspaket abgedeckten Gesundheitsleistungen sind einsehbar unter https://its.gov.az/page/xidmetler-zerfi-3, wonach eine Behandlung von Depressionen mitabgedeckt seien, vgl. https://its.gov.az/tibbi-xidmet/5.
83Bereits vor Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht war in Aserbaidschan die medizinische Versorgung in den staatlichen Polikliniken und Krankenhäusern grundsätzlich kostenlos. „Zuzahlungen" an Ärzte und Krankenschwestern waren allerdings üblich, da die Einkommen im staatlichen Gesundheitswesen gering sind,
84vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 25. März 2022, S. 21; Auskunft der deutschen Botschaft in Baku vom 29. April 2016, RK-10-516.50,
85wobei bezüglich der verlangten „Zuzahlungen“ auf die finanzielle Lage der Betroffenen Rücksicht genommen wurde.
86Vgl. Auskunft der deutschen Botschaft in Baku vom 18. April 2013, RK-12-516.80.
87Dringende medizinische Hilfe wird jedenfalls in Notfällen gewährt und auch mittellose Patienten werden minimal versorgt. Die weitere Behandlung erfolgt ambulant oder nach Kostenübernahme durch Dritte. Wie sich die diesbezügliche Situation nach Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht entwickeln wird, kann derzeit zwar noch nicht beurteilt werden.
88Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Aserbaidschan vom 25. März 2022, S. 21.
89Jedenfalls war aber bislang – vor Einführung der allgemeinen Krankenversicherung – und ist nunmehr nach dem Leistungspaket der allgemeinen Krankenversicherung im Notfall eine Versorgung und damit die Abwendung lebensgefährdender Gesundheitsverschlechterungen bereits allein aufgrund der kostenlosen staatlichen Angebote gewährleistet.
90Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass einer etwaigen Suizidalität, soweit sie auf den Verhältnissen in Aserbaidschan beruhen sollte, dort nicht medizinisch aufgefangen werden könnte. Eine medizinische Behandlung wird für die Antragstellerin nach dem Vorgenannten jedenfalls nicht unerschwinglich sein. Gegebenenfalls ist sie mithilfe finanzieller Unterstützung insbesondere durch die nach Aktenlage noch in Aserbaidschan lebenden Eltern und weiterer Verwandtschaft wirtschaftlich erlangbar (VV Gz. 10198519-425, Bl. 155 f.). Von deren Unterstützungsbereitschaft ist grundsätzlich auszugehen; in Aserbaidschan ist das Prinzip der „Verantwortung“ der Großfamilie noch weit verbreitet. Im Übrigen lebt auch die gesamte Familie des (ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtigen) Ehemanns in Aserbaidschan (VV Gz. 10198519-425, Bl. 108).
91Vgl. zu § 53 Abs. 6 AuslG BVerwG, Beschluss vom 1. Oktober 2001 – 1 B 185.01 –, juris (= Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51); vgl. zum Prinzip der „Verantwortung“ der Großfamilie Auskunft der deutschen Botschaft in Baku vom 18. April 2013, RK-12-516.80; Auskunft der deutschen Botschaft in Baku vom 29. April 2016, RK-10-516.50; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan (Stand: Mai 2018) vom 18. Juni 2018, S. 17.
92Auch ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt für die Antragstellerin hinsichtlich der Republik Aserbaidschan nicht vor.
93Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt. Danach stellt sich eine Abschiebung insbesondere dann als unzulässig dar, wenn der Betroffene im Falle der Abschiebung Gefahr liefe, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Bei der Auslegung dieser Norm ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zurückzugreifen. Im Fall einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Zielstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Gefahr läuft („real risk“), einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dabei sind die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Zielstaat der Abschiebung als auch der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen.
94Vgl. EGMR, Urteil vom 29. Januar 2013 – Nr. 60367/10, S. H. H. ./. Vereinigtes Königreich –, Rn. 74; Urteile vom 28. Juni 2011 – Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi u. Elmi ./. Vereinigtes Königreich –, Rn. 278; BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 –, juris Rn. 6; Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 –, juris Rn. 23, 25.
95Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin bei einer Abschiebung nach Aserbaidschan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, aufgrund der dortigen humanitären Bedingungen eine unmenschliche Behandlung im vorstehenden Sinne zu erfahren. Die Antragstellerin kann zur Sicherung ihrer Grundbedürfnisse – sollte sie aufgrund der psychischen Erkrankung selbst nicht in die Erwerbsfähigkeit zurückfinden – auf die finanzielle Unterstützung durch ihren Ehemann zurückgreifen, der auch vor der Ausreise aus Aserbaidschan für den Lebensunterhalt der Familie gesorgt hat.
96Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten (GA Bl. 3) nach Maßgabe von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 Abs. 1 und 2, 115 ZPO war nicht zu entsprechen. Der Antrag der Antragstellerin hat nach den vorstehenden Gründen ganz überwiegend keinen Erfolg.
97Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 2. Var. VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
98Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).