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Die aufschiebende Wirkung der Klage 20 K 6460/24.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Juli 2024 unter Ziffer 5. enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.
Gründe:
2Der am 11. August 2024 sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 30 K 6460/24.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtling vom 31. Juli 2024 unter Ziffer 5. enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
5Hat eine Klage – wie hier gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. §§ 36 Abs. 1, 75 AsylG – kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, den Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids des Bundesamts vom Bundesgebiet aus führen zu können, das gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung überwiegt. Dabei sehen Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG einschränkend vor, dass die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Angegriffener Verwaltungsakt in diesem Sinne und damit alleiniger Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Prüfung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist die nach §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung.
6Vgl. Pietzsch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. April 2024, § 36 AsylG Rn. 36 m.w.N.
7Ernstliche Zweifel liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
8Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris Rn. 99.
9An der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des angegriffenen Bescheids bestehen in dem für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) derartige Zweifel.
10Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG. Hiernach erlässt das Bundesamt nach §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG die Abschiebungsandrohung und setzt eine Ausreisefrist von einer Woche, wenn der Asylantrag eines Ausländers, der – wie hier der Antragsteller – keinen Aufenthaltstitel besitzt, als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 des AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) und der Abschiebung weder das Kindeswohl noch familiäre Bindungen noch der Gesundheitszustand des Ausländers entgegenstehen (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG).
11Jedenfalls am Vorliegen der Voraussetzungen für die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG bestehen ernstliche Zweifel.
12Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen.
13Die Regelung wurde durch Art. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. 2024 I, Nr. 54 vom 26. Februar 2024), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, eingeführt. Sie soll nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 24. November 2023 Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. d der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie) umsetzen und die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 1 (wohl: Abs. 3) Nr. 2 und 5 AsylG geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit, durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments erfassen,
14vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 56,
15wohl weil die Vorgängerfassung der „Offensichtlichkeitstatbestände“ in § 30 Abs. 3 AsylG keine unionsrechtskonforme Umsetzung des Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU waren.
16Vgl. zu Letzterem: VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Mai 2024 – 22 L 1091/24.A –, juris Rn. 33 f. m.w.N.
17Schon dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG nach, der insoweit dem Wortlaut der hierdurch umgesetzten Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. d RL 2013/32/EU entspricht, knüpft § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG nicht lediglich an eine abstrakte Eignung des vernichteten oder beseitigten Identitäts- oder Reisedokuments zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit an. Die gewählte Formulierung bzw. grammatikalische Form, „das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte“, spricht dafür, dass § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG eine Fallgestaltung voraussetzt, in der zumindest Zweifel an der Identität oder Staatsangehörigkeit bestehen, eine Feststellung aber mit Hilfe der vernichteten oder beseitigten Dokumente (hypothetisch) möglich gewesen wäre, das Dokument also im Einzelfall tatsächlich eine zum Tragen kommende Bedeutung für die Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit gehabt hätte. Stehen Identität und Staatsangehörigkeit auch ohne das vernichtete oder beseitigte Dokument fest (etwa wenn diese durch andere Dokumente sicher erwiesen ist), bleibt dafür kein Raum.
18Vgl. ebenso: VG Aachen, Beschluss vom 26. April 2024 – 10 L 265/24.A –, juris Rn. 14; VG Köln, Beschluss vom 19. April 2024 – 23 L 511/24.A –, juris Rn. 10; lediglich eine abstrakte Kausalität fordernd: VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Mai 2024 – 22 L 1091/24.A –, juris Rn. 26 ff. m.w.N.; offenlassend: Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Juli 2024, § 30 Rn. 31.
19Für dieses Verständnis streiten auch andere Sprachfassungen der umgesetzten Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. d RL 2013/32/EU:
20- In englischer Sprache heißt es: „that would have helped establish his or her identity or nationality.“
21- In französischer Sprache heißt es: „qui aurait aidé à établir son identité ou sa nationalité.“
22- In spanischer Sprache heißt es: „que habría contribuido a establecer su identidad o nacionalidad.“
23Sämtliche der vorgenannten Sprachfassungen haben mit der Verwendung von Formulierungen wie „geholfen hätte“, „ermöglicht hätte“ oder „beigetragen hätte“ gemein, dass das Dokument, wäre es nicht beseitigt oder zerstört worden, (hypothetisch) einen – wie auch immer gearteten – Beitrag für die Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit geleistet hätte. Bestehen aber keine Zweifel an der Identität und Staatsangehörigkeit, bleibt kein Raum mehr für einen solchen (hypothetischen) Beitrag.
24Auch nach dem vom Gesetzgeber ausgegebenen Zweck sowie der Gesetzgebungshistorie – Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 Buchst. d RL 2013/32/EU umzusetzen und die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 1 (wohl: Abs. 3) Nr. 2 und 5 AsylG geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit, durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments zu erfassen – ist der Anknüpfungspunkt für eine Sanktionierung des Antragstellers im Wege einer Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG die tatsächlich eingetretene Erschwerung der Feststellung der Identität und/oder der Staatsangehörigkeit.
25Vgl. Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 4. Juli 2024 – 10 A 161/24 –, juris Rn. 79 m.w.N.; Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1. Juli 2024, § 30 Rn. 31. Dass die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 1 (wohl: Abs. 3) Nr. 2 und 5 AsylG geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit, durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments ausweislich der Gesetzesbegründung nur „erfasst“ werden sollten, lässt vor dem Hintergrund, dass die Vorgängerfassung der „Offensichtlichkeitstatbestände“ des § 30 Abs. 3 AsylG keine unionsrechtskonforme Umsetzung des Art. 31 Abs. 8 RL 2013/32/EU waren, gerade auch nicht den Schluss zu, dass der Tatbestand des jetzigen § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG über seinen Wortlaut hinaus weitere Fälle erfassen sollte (andere Ansicht: VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Mai 2024 – 22 L 1091/24.A –, juris Rn. 33).
26Von einer solchen Erschwerung der Feststellung der Identität und/oder der Staatsangehörigkeit des Antragstellers ist auch das Bundesamt selbst nicht ausgegangen. Es stützt seine Offensichtlichkeitsentscheidung wesentlich (Bl. 6 des angegriffenen Bescheids) auf die Angabe des Antragstellers, er und seine Ehefrau hätten ihre Reisepässe weggeschmissen, um eine Abschiebung zu verhindern (Bl. 189 der Beiakte). Dass das Bundesamt Zweifel an der Identität und/oder der Staatsangehörigkeit des Antragstellers hätte, ist weder aus dem angegriffenen Bescheid noch aus der Beiakte im Übrigen oder der Antragserwiderung des Bundesamts im hiesigen gerichtlichen Verfahren ersichtlich. Im Gegenteil wurde vermerkt, dass der Sprachmittler bei der Antragstellung keine sprachlichen Auffälligkeiten bei dem Antragsteller und seiner Frau festgestellt habe (Bl. 20, 38 der Beiakte), wurden sowohl für den Antragsteller als auch für seine Frau unter den von ihren angegebenen Personalien Treffer im Europäischen Visa-Informationssystem erzielt (Bl. 172 ff. der Beiakte) und wirkten sowohl der Antragsteller als auch seine Frau bereits im Asylverfahren an der Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit durch die Abgabe einer Sprachprobe sowie das Überlassen von Datenträgern mit (Bl. 178 ff. der Beiakte). Schließlich legte der Antragsteller im hiesigen gerichtlichen Verfahren noch Kopien seines iranischen Führerscheins, seiner Geburtsurkunde, seiner Bescheinigung über die Befreiung vom Militärdienst und seines Personalausweises (mit Ausnahme der Geburtsurkunde mit beglaubigter Übersetzung) vor, deren Echtheit und/oder Aussagekraft hinsichtlich der Identität und/oder Staatsangehörigkeit des Antragstellers vom Bundesamt bislang nicht bezweifelt wurden.
27Hiervon ausgehend kann dahinstehen, ob das Tatbestandsmerkmal des „mutwilligen“ Vernichtens oder Beseitigens die Absicht voraussetzt, durch die entsprechende Handlung die Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit zu verhindern.
28Dies fordernd: VG Berlin, Beschluss vom 26. Juli 2024 – 4 L 326/24 A – juris Rn. 8; Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 4. Juli 2024 – 10 A 161/24 –, juris Rn. 79; VG Köln, Beschluss vom 19. April 2024 – 23 L 511/24.A –, juris Rn. 7; andere Ansicht: VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. April 2024 – 26 L 912/24.A –, juris Rn. 16 ff.; offenlassend: VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Mai 2024 – 22 L 1091/24.A –, juris Rn. 36 ff.
29Dass die hiesige Offensichtlichkeitsentscheidung auf die weiteren Tatbestände des § 30 Abs. 1 AsylG gestützt werden könnte, ergibt sich aus dem bisherigen Akteninhalt ebenfalls nicht.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
31Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
32Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.