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Im Sinne von § 71a AsylG erfolglos abgeschlossen ist ein Asylverfahren - von den Fällen der selbst zu verantwortenden Antragsrücknahme abgesehen - nur, wenn durch den sicheren Drittstaat eine vollständige Prüfung des internationalen Schutzes vorgenommen wurde.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 29 K 7713/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. September 2024 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe
2Der am 16. September 2024 sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 29 K 7713/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. September 2024 anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig. Die Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. September 2024, mit dem der als Zweitantrag qualifizierte Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, hat kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Es liegt kein Fall des § 38 Abs. 1 bzw. § 73b Abs. 7 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) vor (vgl. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Die zu setzende Ausreisefrist in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt vielmehr gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche. Die Antragsfrist von einer Woche seit Bekanntgabe gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist durch die Antragstellung am 16. September 2024 nach Zustellung des Bescheids bei der Unterbringungseinrichtung am 11. September 2024 und Aushändigung an den Antragsteller am selben Tag gewahrt.
6Der Antrag ist auch begründet.
7Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers, den Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides der Antragsgegnerin vom Bundesgebiet aus führen zu können, das gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung überwiegt. In Fällen, in denen der Asylantrag – wie hier – nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, darf nach dem Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
8Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris Rn. 99; BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1981 – 8 C 83.81 –, juris (in Bezug auf § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
9Nach diesen Maßstäben bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des angefochtenen Bescheides.
10Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung ist §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG. Danach erlässt das Bundesamt nach §§ 59 und 60 Abs. 10 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt und ihm weder die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt noch subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Ferner setzt das Bundesamt eine – abweichend von den sonstigen Fällen verkürzte – Ausreisefrist von einer Woche, wenn, wie hier, der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde (§ 36 Abs. 1 AsylG).
11Es sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Abschiebungsandrohung mit der ihr zugrundeliegenden Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält.
12Nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) oder einen Zweitantrag (§ 71a Abs. 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Ein weiteres Asylverfahren wurde seitens des Bundesamtes zwar durchgeführt, weil es den Wiederaufnahmegrund der Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bejaht hat. Der im Bundesgebiet gestellte Asylantrag des Antragstellers dürfte jedoch nicht als Zweitantrag zu qualifizieren sein.
13Ein Zweitantrag setzt nach der gesetzlichen Definition in § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus. Allein in Betracht kommt vorliegend das vorangegangene Asylverfahren des Antragstellers in Griechenland. Weitere Asylverfahren hat der Antragsteller nach Aktenlage nicht betrieben. Nach Auskunft der nationalen griechischen Dublin-Einheit vom 6. Juni 2024, die diese auf das Informationsersuchen des Bundesamtes erteilt hat, wurde der dort am 16. September 2024 vom Antragsteller gestellte Asylantrag am 28. Oktober 2022 bestandskräftig als unzulässig abgelehnt („inadmissible“). Anhaltspunkte dafür, dass es neben der Feststellung der Unzuständigkeit zu einer materiellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz durch Griechenland gekommen ist, liegen nicht vor. Dies stellt kein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren im Sinne von § 71a Abs. 1 Satz 1 AsylG dar.
14Erfolglos abgeschlossen nach dieser Norm ist ein Asylverfahren – von den Fällen der selbst zu verantwortenden Antragsrücknahme abgesehen – nur, wenn durch den sicheren Drittstaat eine vollständige Prüfung des internationalen Schutzes vorgenommen wurde.
15Vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 71a AsylG, Rn. 3.
16Dies setzt voraus, dass dem Schutzsuchenden in jedenfalls einem der vorangegangenen Verfahren die Gelegenheit eingeräumt worden sein, seine Asylgründe im Rahmen einer uneingeschränkten sachlichen Erstprüfung vorzutragen („one chance only“). Daran fehlt es, wenn - wie hier - bislang nur eine bestandskräftige Zuständigkeitsentscheidung des Drittstaats getroffen wurde bzw. allgemein, wenn ohne Zutun des Asylsuchenden dessen Asylbegehren überhaupt keiner inhaltlichen Prüfung unterzogen wurde.
17Vgl. VG Minden, Urteil vom 22. Februar 2023 – 1 K 4557/21.A –, juris Rn. 69 ff.; VG Sigmaringen, Urteil vom 16. Februar 2021 – A 13 K 3481/18 –, juris Rn.32; a.A.: Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 42. Edition, Stand: 01.07.2024, § 71a AsylG, Rn. 2 unter Verweis auf § 71 AsylG Rn. 5, m.w.N.
18Ein Asylbewerber hat einen Anspruch darauf, dass ein von ihm gestellter Antrag auf internationalen Schutz innerhalb der Europäischen Union geprüft wird.
19Vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 16. Februar 2021 – A 13 K 3481/18 –, juris Rn. 32.
20Könnte sich ein Asylbewerber, dessen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat in der Vergangenheit lediglich wegen fehlender Zuständigkeit unanfechtbar abgelehnt wurde, nach Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik nicht auf die Durchführung eines Erstverfahrens berufen, entstünde die Situation eines "refugee in orbit", in der sich kein Mitgliedstaat für die uneingeschränkte sachliche Erstprüfung des Asylantrags als zuständig ansieht. Denn die Durchführung eines Zweitverfahrens ist nach nationalem Recht an das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen geknüpft (§ 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)).
21Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 31. Januar 2018 - Au 6 K 17.35139 -, juris Rn. 24.
22Genau diese Situation ist vorliegend eingetreten. Nach erfolgtem Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland durch Ablauf der Überstellungsfrist kommt eine „vollinhaltliche“ Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers in Griechenland nicht mehr in Betracht. Der Antragsteller hat in der Folge nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG die Möglichkeit, ein Zweit-Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland zu betreiben. Dies ist mit dem vorstehend geschilderten Anspruch auf eine uneingeschränkte sachliche Erstprüfung nicht vereinbar.
23Hinzu kommt, dass entgegen der Auffassung des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid eine – hier allein in Betracht kommende – Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG überhaupt nicht vorliegen dürfte. Nach eigenen Angaben hatte der Antragsteller bei seiner Anhörung zur Zulässigkeit am 19. Dezember 2023 durch das Bundesamt in Griechenland Gelegenheit, seine Asylgründe im Rahmen eines Interviews zu nennen. Auf die anschließende Frage, ob der Antragsteller im Falle einer Anhörung zu den Fluchtgründen die gleichen Asylgründe vortragen würde, die er in Griechenland geltend gemacht habe, antwortete dieser: „Ja das sind die gleichen“. Bei dieser Sachlage hätte der vom Bundesamt als Zweitantrag qualifizierte Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt werden müssen, so dass es im Ergebnis weder in Griechenland noch in der Bundesrepublik Deutschland zu einer materiellen Prüfung des internationalen Schutzes gekommen wäre.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
25Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
26Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.