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Für einen klageweise geltend gemachten Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts ist der Verwaltungsrechtsweg schon dann gegeben, wenn sich nicht offensichtlich ausschließen lässt, dass es sich bei dem in Anspruch genommenen Privatrechtssubjekt um eine informationspflichtige Stelle im Sinne von § 2 Abs 1 Nr 2 UIG handelt.
Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten streiten im vorliegenden Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs.
4Der Kläger, eine international tätige und in Deutschland als eingetragener Verein organisierte Umweltvereinigung, begehrt von der Beklagten die Herausgabe von Informationen nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG).
5Die Beklagte ist die Muttergesellschaft des I.-Konzerns. Die Beklagte ist ein internationales Energieunternehmen mit Aktivitäten in mehr als 40 Ländern und mit rund 7000 Beschäftigten. Das Geschäft der Beklagten besteht in der Bereitstellung von Energie und von damit verbundenen Dienstleistungen. Die Hauptaktivitäten in Deutschland betreffen Energiehandel, Energiespeicherung sowie Stromerzeugung. Die Beklagte ist nach eigenen Angaben wegen ihrer erheblichen Bedeutung für den deutschen Gas- und Energiemarkt als Gasimporteur von systemischer Relevanz.
6Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Jahr 2022 und der daraufhin erfolgten Einstellung der Gaslieferungen durch Russland musste die Beklagte zu erheblich höheren Preisen auf alternativen Wegen ausreichende Gasmengen beschaffen, um die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden einhalten zu können. Durch die damit verbundenen erheblichen finanziellen Verluste geriet die Beklagte in wirtschaftliche Schwierigkeiten.
7Die Beklagte beantragte deshalb am 8. Juli 2022 bei der Bundesregierung Stabilisierungsmaßnahmen nach Maßgabe von § 29 Energiesicherungsgesetz (EnSiG). Der Bund beschloss daraufhin, die Beklagte durch eine umfassende Eigenkapitalzufuhr zu stabilisieren und Verluste aus der Gasersatzbeschaffung auszugleichen, um auf diese Weise die deutsche und europäische Energieversorgung absichern zu können.
8Die Stabilisierungsmaßnahme wurde vom Bund nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bei der EU-Kommission als staatliche Beihilfe notifiziert. Am 20. Dezember 2022 genehmigte die EU-Kommission den Verlustausgleich und die Beteiligung des Bundes als Beihilfe (Beiakte Heft 2). Die Genehmigung enthielt eine Reihe von Kompensationsmaßnahmen in Form von Veräußerungen von Geschäftsteilen der Beklagten (Beiakte Heft 2, Bl. 19 ff.) sowie Zusagen durch den Bund gegenüber der EU-Kommission. Der Bund sagte in diesem Zusammenhang unter anderem zu, den Anteil an der Beklagten bis Ende 2028 wieder auf 25 % und eine Aktie zu senken.
9Der Bund erwarb daraufhin in der Hauptversammlung am 21. Dezember 2022 neben den im Rahmen einer Kapitalerhöhung ausgegebenen Aktien auch weitere Anteile des Unternehmens und ist seitdem mit einem Anteil von rund 99 % Mehrheitseigner der Beklagten.
10Der Kläger stellte mit Schreiben vom 14. August 2023 bei der Beklagten einen Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen nach § 3 Abs. 1 UIG sowie aufgrund von allen weiteren in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen, mit dem er die Herausgabe von Informationen zu insgesamt 27 Fragen verlangt. Die begehrten Informationen betreffen vornehmlich die Geschäftsverbindungen der Beklagten mit der X. aus Q. im Zusammenhang mit einem dort geplanten Gasförderprojekt. Daneben wurden unter anderem Informationen zu Handels- und Gasabnahmeverträgen sowie etwaigen Einflussnahmen des Bundes angefordert sowie Fragen zu Umwelt- und Klimaschutzerwägungen in Verträgen der Beklagten und in der generellen Unternehmenspolitik sowie der Unternehmensstrategie gestellt. Als ein in öffentlicher Hand befindliches Unternehmen sei die Beklagte richtige Anspruchsgegnerin. Sie nehme auch öffentliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Umwelt wahr.
11Mit Schreiben vom 12. Oktober 2023, das dem Kläger am 16. Oktober 2023 zuging, lehnte die Beklagte das Informationsbegehren ab. Zur Begründung führte sie aus: Sie sei keine informationspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 UIG. Der Sinn und Zweck des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG gehe dahin, staatliches Handeln umfänglich zu erfassen, falls dieses privatwirtschaftlich organisiert sei und so eine Flucht ins Privatrecht zu verhindern. Dies sei hier aber nicht der Fall, da es sich bei der Anteilsübernahme durch den Bund um eine Notfallmaßnahme zur Sicherung der bundesweiten Energieversorgung gehandelt habe. Die Übernahme sei daneben lediglich eine vorübergehende Kriseninterventionsmaßnahme und auch nur als solche beihilfenrechtlich genehmigt.
12Der Kläger hat am 16. November 2023 Klage erhoben, mit der er die Gewährung des Zugangs zu den Informationen begehrt, die in seinem Schreiben vom 14. August 2023 genannt sind.
13Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs gerügt. Zur Begründung führt sie unter Vertiefung ihres Schreibens vom 12. Oktober 2023 aus: Sie sei keine informationspflichtige Stelle im Sinne des Umweltinformationsgesetzes, womit auch die Rechtswegzuweisung des § 6 Abs. 1 UIG nicht anwendbar sei. Sie nehme keine öffentlichen Aufgaben wahr und erbringe keine öffentlichen Dienstleistungen. Kern ihres Geschäftsmodells seien vornehmlich der Gashandel sowie Investitionen in fossile Infrastruktur. Sinn und Zweck der Regelungen des Umweltinformationsgesetzes sei es, privatisierte Aufgaben des Staates zu erfassen. Sie sei bis vor kurzem ein rein privatwirtschaftliches Unternehmen gewesen. Die temporäre Mehrheitsbeteiligung des Bundes im Rahmen der Beihilfemaßnahme sei mit dem spezifischen Zweck der Stabilisierung der deutschen Gasversorgung erfolgt. Es gehe um privates Handeln, das aufgrund außergewöhnlicher Umstände vorübergehend staatlich gestützt werden müsse. Bei der Mehrheitsbeteiligung sei es nie um die staatliche Beeinflussung von Entscheidungsprozessen gegangen. Das Ziel des Umweltinformationsgesetzes, eine im Lichte des Umweltschutzes wirksamere Beteiligung an der Lenkung Privater durch den Staat, lasse sich aufgrund der von Beginn an nur temporär angelegten Staatsbeteiligung und des zeitnahen Ausstiegs des Bundes in ihrem Falle nicht erreichen. Die Beihilfemaßnahme habe die Stabilisierung des Unternehmens, nicht aber die Verstaatlichung des Gashandels als solchem als öffentliche Aufgabe bezweckt. Das Verfahren nach § 29 EnSiG ziele nicht auf eine Übernahme des Unternehmens als öffentliche Institution; entscheidend für eine etwaige Informationspflicht sei aber, dass die staatliche Kontrolle gerade bei der Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben oder der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen bestehe. Selbst für den Fall, dass bestimmte ihrer Aktivitäten als unter staatlicher Kontrolle stehende Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben bzw. Erbringung öffentlicher Dienstleistungen eingeordnet würden, beschränke sich die Anwendbarkeit des Umweltinformationsgesetzes auf diese und umfasse nicht etwa durch dieses „Einfallstor“ ihre gesamten Geschäftsaktivitäten. Soweit der Kläger Informationen begehre, die aus der Zeit vor der Anteilsübernahme herrührten, scheide ein Informationsanspruch generell aus. Schließlich handele es sich bei dem europäischen Beihilferegime um ein abschließendes, in sich geschlossenes Regelungsregime mit genau ausdetaillierten Sonderregelungen zu Beteiligungsrechten Dritter, welches als lex specialis den allgemeinen Informationsansprüchen nach dem Umweltinformationsgesetz vorgehe. Da das Beihilfeverfahren gegenwärtig nicht abgeschlossen sei (und letztlich erst mit ihrer Reprivatisierung ende), dauere auch diese Sperrwirkung unverändert an.
14Der Kläger ist der Rüge entgegengetreten. Er trägt unter Vertiefung seines Antrags vom 14. August 2023 zur Begründung vor: Es liege eine Streitigkeit nach dem Umweltinformationsgesetz vor, was bereits daran erkennbar sei, dass die Beklagte zur Passivlegitimation und damit zur Begründetheit vortrage. Ob der vorliegende Fall eine Ausnahme von den Voraussetzungen der §§ 1, 2 UIG darstelle, sei keine Frage des Anwendungsbereichs von § 6 Abs. 1 UIG, sondern ein Streit über materielle Tatbestandsvoraussetzungen des Umweltinformationsgesetzes. Die Beklagte sei zudem informationspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UIG, weil sie der Kontrolle des Bundes unterliege. Es komme nur auf die tatsächliche Kontrolle und nicht auf den Zweck oder die Art und Weise der Anteilsübernahme an. Daneben nehme die Beklagte öffentliche Aufgaben wahr. Die Mitwirkung der Beklagten an der Daseinsvorsorge durch die Bereitstellung von Energie aus fossilen Gasen sei umweltbezogen und eine Aufgabe im öffentlichen Interesse. Das EU-Beihilfenrecht sperre auch nicht die Anwendung des Umweltinformationsgesetzes. Vielmehr fielen die von der Beklagten genannten Argumente unter §§ 8 und 9 UIG und beträfen damit die Frage der Begründetheit der Klage. Im Rahmen der §§ 8 und 9 UIG werde die Möglichkeit der Verweigerung der Zugangsverschaffung gewährleistet, womit eine darüber hinausgehende Sperrwirkung überflüssig und nicht begründbar sei. Selbst wenn das Umweltinformationsgesetz durch das EU-Beihilfenrecht gesperrt sein sollte, wäre die Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO anzuwenden, die jedenfalls in diesem Fall nicht durch § 6 Abs. 1 UIG verdrängt würde.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorliegenden Beiakten verwiesen.
16II.
17Die Kammer entscheidet nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 VwGO in der Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern. Die ehrenamtlichen Richter wirken an jedem Urteil und an jedem Beschluss, der in oder aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergeht, mit.
18Vgl. Gersdorf, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand: 1. Januar 2024, § 5 Rn.8.
19Nach § 173 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann das angerufene Gericht vorab aussprechen, dass der beschrittene Rechtsweg zulässig ist; es hat vorab zu entscheiden, wenn – wie hier – eine Partei die Zulässigkeit des Rechtswegs rügt (§ 17a Abs. 3 Satz 2 GVG).
20Für das hiesige Klageverfahren ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß der aufdrängenden Sonderzuweisung in § 6 Abs. 1 UIG gegeben. Dieses Gesetz gilt gemäß § 1 Abs. 2 UIG für informationspflichtige Stellen des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG ist der Anwendungsbereich des Gesetzes auch für Personen des Privatrechts eröffnet.
21Vgl. Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2023, § 1 UIG Rn. 21.
22§ 6 Abs. 1 UIG stellt eine aufdrängende Sonderzuweisung im Sinne des § 40 Abs. 1 VwGO für den Fall dar, dass es sich bei der informationspflichtigen Stelle um eine private Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG handelt. Für Ansprüche auf Zugang zu Umweltinformationen gegen informationspflichtige Behörden ergibt sich der Verwaltungsrechtsweg bereits aus § 40 Abs. 1 VwGO.
23Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 16. November 2017 – 14 K 6356/16 –, Rn. 14; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2023, § 6 UIG Rn. 3; Karg, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand 1. August 2021, § 6 UIG Rn. 3; Guckelberger, UPR 2006, 89 (91); BT-Drs. 15/3680, S. 2 f.
24§ 6 Abs. 1 UIG bestimmt, dass bei der Entscheidung über Anträge durch alle informationspflichtigen Stellen der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist, unabhängig davon, ob es sich um eine Entscheidung durch eine informationspflichtige Stelle des Bundes bzw. eine bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG oder um eine Entscheidung durch eine private informationspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG handelt,
25vgl. BT-Drs. 15/3680, S. 2,
26um eine Aufspaltung des Rechtswegs zu verhindern und die gerichtliche Prüfung von Informationsersuchen nach dem Umweltinformationsgesetz einheitlich den sachnäheren Verwaltungsgerichten zuzuweisen.
27Ist der Rechtsweg durch eine spezialgesetzliche Zuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben, bedarf es keiner Prüfung der Tatbestandsmerkmale der Generalklausel des § 40 Abs. 1 VwGO. Insbesondere muss nicht zwingend eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegen.
28Vgl. Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 41.
29Ausschlaggebend für die Rechtswegeröffnung zu den Verwaltungsgerichten ist allein, ob ein Fall vorliegt, in dem die aufdrängende Sonderzuweisung des § 6 Abs. 1 UIG greift. Dabei ist der Verwaltungsrechtsweg schon dann gegeben, wenn sich nicht offensichtlich ausschließen lässt, dass die Voraussetzungen der Sonderzuweisung vorliegen.
30Maßgebender Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs ist grundsätzlich der Streitgegenstand, wie er sich auf der Grundlage des Klagebegehrens, also des geltend gemachten prozessualen Anspruchs, und des Klagegrunds, also des zu seiner Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalts, ergibt.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 – 5 B 144.91 –, juris Rn 3; Beschluss vom 1. Juni 2022 – 3 B 29.21 –, juris Rn. 7, m.w.N.
32Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs hängt dabei grundsätzlich nicht vom Ergebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens ab.
33Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. März 2015 – 6 B 58.14 –, juris Rn. 19; BSG, Beschluss vom 25. März 2021 – B 1 SF 1/20 R –, juris Rn. 10.
34Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten. Daraus folgt, dass der beschrittene Rechtsweg schon dann zulässig ist, wenn sich nicht offensichtlich, d. h. nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist.
35Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. März 2015 – 6 B 58.14 –, juris Rn. 10 f., m. w. N.; Beschluss vom 15. Dezember 1992 – 5 B 144/91 –, juris Rn. 2 f.
36Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw. erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs deshalb außer Betracht zu bleiben.
37Vgl. BVerwG vom 4. März 2015 – 6 B 58.14 –, juris Rn.11, 18; BGH, Urteil vom 5. Juli 1990 – III ZR 166/89 –, juris Rn. 18.
38Hängt – wie hier – die Rechtswegzuständigkeit vom Vorliegen der Voraussetzungen der aufdrängenden Sonderzuweisung in § 6 Abs. 1 UIG ab, kann kein anderer Maßstab gelten. Denn für einen klageweise geltend gemachten Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts könnte auch die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben sein, ohne dass die Beteiligten dabei die freie Wahl zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit haben dürfen.
39§ 6 Abs. 1 UIG bestimmt, dass für Streitigkeiten nach diesem Gesetz der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Wird, wie vorliegend, ein Privatrechtssubjekt in Anspruch genommen, handelt es sich im Sinne dieser Norm nur dann um eine Streitigkeit nach dem UIG, wenn es sich bei der privaten Stelle um eine informationspflichtige Stelle im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG handelt. Gegenstand der im Rahmen der Rüge nach § 17a Abs. 3 GVG vorzunehmenden Prüfung ist folglich allein, ob sich offensichtlich ausschließen lässt, dass es sich bei der Beklagten um eine solche Stelle handelt. Nur wenn dies zu bejahen ist, kommt eine Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG in Betracht. Stellt sich auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts hingegen heraus, dass eine Inanspruchnahme der privaten Stelle nach dem Umweltinformationsgesetz nicht offensichtlich ausgeschlossen ist, ist die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs festzustellen.
40Hiernach ist der Verwaltungsrechtsweg im hiesigen Fall nach § 6 Abs. 1 UIG eröffnet.
41Der Kläger stützt sein Begehren auf Zugang zu Umweltinformationen im Wesentlichen auf § 3 UIG. Nach seiner Rechtsauffassung ist die Beklagte eine informationsverpflichtete Stelle im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG, die der Kontrolle des Bundes unterliege und öffentliche Aufgaben im Zusammenhang mit der Umwelt wahrnehme, weil der Bund die Mehrheit des gezeichneten Kapitals innehabe und Kern des Geschäftsmodelles der Beklagten der Gashandel und die Investition in fossile Infrastruktur – also eine Mitwirkung an der Daseinsvorsorge – sei, dessen Emissionen unmittelbar umweltbezogen seien.
42Dies ist nicht offensichtlich haltlos.
43Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG sind informationspflichtige Stellen unter anderem juristische Personen des Privatrechts, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen, insbesondere solche der umweltbezogenen Daseinsvorsorge, und dabei der Kontrolle des Bundes oder einer unter der Aufsicht des Bundes stehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts unterliegen.
44Die Beklagte dürfte nach dem Klagevorbringen informationspflichtige Stelle im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG sein. Sie ist eine juristische Person des Privatrechts (a.), nimmt öffentliche Aufgaben wahr (b.), die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen (c.) und steht dabei unter Kontrolle des Bundes (d.).
45a. Die Beklagte in der Rechtsform einer SE ist eine juristische Person des Privatrechts.
46b. Die Beklagte dürfte auch öffentliche Aufgaben bzw. Dienstleistungen wahrnehmen.
47Das Umweltinformationsgesetz setzt die Vorgaben der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (Umwelt-informationsrichtlinie – UI-RL) um. Daher ist der Begriff der öffentlichen Aufgabe und der öffentlichen Dienstleistung im hier maßgeblichen umweltinformationsrechtlichen Sinne des Art. 2 Nr. 2 Buchst. c UI-RL unionsrechtlich determiniert. Die EU-Kommission wollte – ohne Differenzierung zwischen öffentlichen Aufgaben und öffentlichen Dienstleistungen – die Erbringung von Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse einbeziehen. Die Öffentlichkeit sollte (auch) Zugang zu Umweltinformationen haben, die Stellen vorliegen, die nicht dem öffentlichen Sektor zugehören, aber mit der Erbringung derartiger Dienstleistungen betraut sind.
48Unter dem übereinstimmend in Art. 14 und 106 Abs. 2 AEUV verwendeten Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sind alle marktbezogenen Tätigkeiten zu verstehen, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden. Erfasst ist der gesamte Bereich der Daseinsvorsorge.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2017 – 7 C 31.15 –, juris Rn. 42; siehe auch Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2023, § 2 UIG Rn. 22; Karg, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand 1. August 2021, § 2 UIG Rn. 53; Schomerus/Clausen, ZUR 2005, 575, 578.
50Jedenfalls soweit die Beklagte die Allgemeinheit mit Gas versorgt, ist sie Teil der Energieversorgung.
51Bei der Energieversorgung handelt es sich um eine typische Aufgabe der Daseinsvorsorge und um eine öffentliche Aufgabe.
52Vgl. OVG Koblenz, Urteil vom 10. Juni 2016 – 10 A 10878/15.OVG –, juris Rn. 39; EU-Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, 20. September 2000, KOM (2000) 580, 19 ff.; Reidt/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2023, § 2 UIG Rn. 22, 29; Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, 123. EL November 2023, EnWG § 1 Rn. 15; Karg, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, Stand 1. August 2021, § 2 UIG Rn. 53.1.; Engel, in: Götze/Engel, UIG, 1. Aufl. 2017, § 2 Rn. 49; Kment, in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl. 2023, § 1 Rn. 3. Vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 20. März 1984 – 1 BvL 28/82 –, juris Rn. 37; fortgeführt in: BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1989 – 1 BvR 705/88 –, juris Rn. 5; BVerfG, Beschluss vom 10. September 2008 – 1 BvR 1914/02 –, juris Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 18. Mai 2009 – 1 BvR 1731/05 –, juris Rn. 17, sowie Bechtold/Bosch/Brinker, in: Bechtold/Bosch/Brinker, EU-Kartellrecht, 4. Aufl. 2023, Art. 106 AEUV Rn. 43 mit Hinweis auf: EuGH, Urteile vom 23. Oktober 1997 – C-159/94, C-157/94 und C-158/94.
53c. Die von der Beklagten wahrgenommene Aufgabe bzw. erbrachte Dienstleistung steht im Zusammenhang mit der Umwelt im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG.
54Die Gasversorgung wirkt sich wegen der erzeugten Emissionen typischerweise auf die Umwelt aus.
55d. Die Beklagte steht auch nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b UIG unter Kontrolle des Bundes, da dieser die Mehrheit – nämlich rund 99 % – der Anteile der Beklagten besitzt.
56Die Einwände der Beklagten sind nicht geeignet, die Zulässigkeit des Rechtswegs in Frage zu stellen. Ob und inwieweit die Beklagte tatsächlich im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG öffentliche Aufgaben wahrnimmt oder öffentliche Dienstleistungen erbringt, die im Zusammenhang mit der Umwelt stehen, und hierbei der Kontrolle des Bundes oder einer unter Aufsicht des Bundes stehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts steht, bleibt der materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens vorbehalten.
57Vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 16. November 2017 – 14 K 6356/16 –, juris Rn. 14 f.; im Rahmen des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu einer Informationspflicht von Privatrechtssubjekten nach einer insoweit dem § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG wortgleichen Regelung des Hamburgischen Transparenzgesetzes: BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 2020 – 10 B 1.20 –, juris Rn. 8.
58Entsprechendes gilt für den Vortrag der Beklagten, sie sei nach Sinn und Zweck der Regelungen des Umweltinformationsgesetzes nicht als informationspflichtige Stelle im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG anzusehen, weil es sich bei der Beihilfemaßnahme nur um eine temporäre Mehrheitsbeteiligung des Bundes handele bzw. weil die Beihilfemaßnahme lediglich die Stabilisierung des Unternehmens bezweckt habe. Diese Rechtsauffassung der Beklagten beruht auf einer eingehenden, insbesondere teleologischen Auslegung der streitgegenständlichen Normen,
59eine ähnliche Argumentation ablehnend: BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2017 – 7 C 31.15 –, juris Rn. 49 ff.,
60von deren Ergebnis die Zulässigkeit des Rechtswegs – gerade auch im Hinblick auf die Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) –,
61vgl. hierzu und zu dem daraus folgenden Erfordernis, die Zuständigkeit von Gerichten anhand von einfachen, eher formalen Kriterien zu bestimmen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Mai 2023 – 9 L 25/23 –, juris Rn. 10; Beschluss vom 29. November 2023 – OVG 9 L 8/23 –, juris Rn. 8 ff.; zum besonderen Gewicht der Wortlautauslegung in diesem Zusammenhang: Reimer, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand: 69. Edition, 1. Januar 2023, VwGO § 40 Rn. 8,
62nicht abhängig gemacht werden darf.
63Eine derartig weitreichende Prüfung schon bei der Eröffnung des Rechtswegs liefe auch dem bereits ausgeführten Zweck von § 6 Abs. 1 UIG in Form einer einheitlichen Rechtswegzuweisung entgegen.
64Die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob der Informationszugangsanspruch ausscheidet, soweit der Kläger Informationen begehrt, die aus der Zeit vor der Anteilsübernahme herrühren, betrifft den Umfang der Anspruchsverpflichtung und ist mithin ebenfalls Gegenstand der materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens, von der die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs grundsätzlich nicht abhängt.
65Schließlich vermag die Auffassung der Beklagten, die europäischen Beihilferegeln seien vorrangig zu dem Informationsanspruch nach dem Umweltinformationsgesetz, den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht in Frage zu stellen. Auch bei diesem Einwand handelt es sich um ein Problem des materiellen Rechts, das der Begründetheitsprüfung vorbehalten bleiben muss.
66Selbst wenn die Voraussetzungen der vorrangig zu prüfenden Sonderzuweisung in § 6 Abs. 1 UIG nach dem Klägervorbringen nicht erfüllt wären, wäre im Übrigen der Verwaltungsrechtsweg nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Der Kläger nimmt die privatrechtlich organisierte Beklagte auf der Grundlage des Umweltinformationsgesetzes in Anspruch, welches die von ihm betroffenen Privatrechtssubjekte nicht als Jedermann, sondern aufgrund einer spezifischen Pflichtenstellung, die derjenigen von Stellen der öffentlichen Verwaltung entspricht, verpflichtet. Ob die Voraussetzungen für diese Gleichstellung vorliegen, ob das in Anspruch genommene Privatrechtssubjekt mit anderen Worten öffentliche Aufgaben wahrnimmt oder öffentliche Dienstleistungen erbringt und dabei staatlicher Kontrolle unterliegt, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Der öffentlich-rechtliche Charakter von gegen Stellen der öffentlichen Verwaltung gerichteten Informationszugangsansprüchen unterliegt keinem Zweifel.
67BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 2020 – 10 B 1.20 –, juris Rn. 5 ff. für eine insoweit dem § 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG wortgleiche Regelung des Hamburgischen Transparenzgesetzes.
68Rechtsmittelbelehrung:
69Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
70Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
71Die Beschwerde ist durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
72Die Beschwerde ist nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,‑‑ Euro nicht übersteigt.
73Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
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