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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe:
2Der am 26. März 2024 bei Gericht anhängig gemachte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 28 K 2158/24.A gegen die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages in Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 00. März 2024 anzuordnen,
4hilfsweise,
5der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung der Antragstellerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vollzogen werden darf,
6bleibt sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag ohne Erfolg.
7I. Der Eilantrag ist sowohl im Hauptantrag (1.) als auch im Hilfsantrag (2.) zulässig.
81. Der Hauptantrag ist zulässig.
9Er ist insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft.
10Nach der Änderung des § 71 Abs. 5 AsylG durch das Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 ist das Begehren eines Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrages durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) als unzulässig nicht länger als ein Fall des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO,
11vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Juli 2019 - 22 L 396/19.A -, juris Rn. 12 ff, m. w. N., vgl. zum Streitstand: Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht (Stand: 1. Oktober 2023), § 71 AsylG Rn. 36 ff.,
12sondern als ein Fall des § 80 Abs. 5 VwGO einzuordnen.
13§ 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG bestimmt, dass es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung bedarf, wenn der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag stellt, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt. Nach § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG darf die Abschiebung jedoch erst nach Ablauf der Frist nach § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG und im Fall eines innerhalb der Frist gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO erst nach der gerichtlichen Ablehnung dieses Antrags vollzogen werden.
14Gegenstand des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist mithin die in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage,
15vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 -1 C 4.16 -, juris Rn. 16,
16angegriffene Ablehnung des Asylfolgeantrags als unzulässig,
17vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 9a L 2160/18.A -, juris Rn. 9,
18nunmehr auch dann, wenn – wie hier – das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) im dem angefochtenen Bescheid keine (neue) Abschiebungsandrohung erlassen hat.
19Grundlage der Abschiebung bildet in diesen Fällen – anders als im Fall des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG – nicht mehr die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit der an die Ausländerbehörde gerichteten Mitteilung des Bundesamtes, ein neues (Folge-)Asylverfahren werde nicht durchgeführt, sondern die bereits bestandskräftige Abschiebungsandrohung in Verbindung mit dem neuen, vollziehbaren Unzulässigkeitsbescheid.
20Wird dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stattgegeben, darf die Abschiebung mithin nicht vollzogen werden. Damit scheidet, was zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich, aber auch ausreichend ist, eine Abschiebung des Ausländers einstweilen aus.
21Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 9a L 2160/18.A -, juris Rn. 13; VG München, Beschluss vom 8. Mai 2017 - M 2 E 17.37375 -, juris Rn. 14.
22Insbesondere wird die Effektivität des Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO durch die Mitteilungspflichten des Gerichts gegenüber der für die Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde (vgl. § 83a Satz 2 AsylG) sichergestellt,
23a.A. VG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2024 – A 8 K 1026/24 –, juris Rn. 13 ff., wonach auch nach Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes weiterhin ein Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft sei, weil effektiver Rechtsschutz im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO mangels Tenorierung einer Pflicht zur Mitteilung an die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde nicht rechtssicher zu erreichen sei.
24Denn unter „Verfahren über die Rechtmäßigkeit“ im Sinne des § 83a Satz 2 AsylG sind auch Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz zu verstehen,
25vgl. OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 13. Juli 2016 – OVG 6 S 17.16 –, juris Rn. 7; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 5a L 1881/15.A –, juris Rn. 32; Hailbronner, Ausländerrecht (Stand: Januar 2024), § 83a AsylG Rn. 5; Neundorf, in: Beck OK Ausländerrecht (Stand: 1. April 2023), § 83a AsylG Rn. 3; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht (14. Aufl. 2022), § 83a AsylG Rn. 2.
26Der Hauptantrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist weder die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage verfristet, noch hat die Antragstellerin die Frist für den Eilantrag versäumt.
27Die Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids gemäß § 71 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG in Verbindung mit § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG,
28vgl. zu deren Geltung OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2023 - 11 A 1/22.A -, juris und nachgehend BVerwG, Beschluss vom 18 Januar 2024 - 1 B 49/23 -, juris; VG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2024 - A 8 K 1026/24 -, juris Dickten in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, AsylG, § 71 Rn. 32 und 38,
29ist noch nicht abgelaufen. Der Bescheid ist der Antragstellerin ausweislich der im Klageverfahren zur Gerichtsakte gereichten Postzustellungsurkunde am 20. März 2024 zugestellt worden, so dass im Zeitpunkt der Antragstellung am 26. März 2024 die Frist noch nicht verstrichen war.
30Für den Antrag fehlt auch nicht das Rechtschutzbedürfnis, denn der Bescheid der Antragsgegnerin vom 00. März 2024 ist noch nicht bestandskräftig. Die Anfechtungsklage ist ebenfalls am 26. März 2024 und damit innerhalb der nach § 71 Abs. 4 Halbsatz 1, § 36 Abs. 3 Satz 1 und § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG geltenden Wochenfrist,
31vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 11.9.2023 - 11 A 1/22.A - juris Rn. 25 ff.; Dickten in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, AsylG, § 71 Rn. 32,
32erhoben worden.
332. Auch der Hilfsantrag ist zulässig.
34Die Ablehnung einer Abänderung des Ausgangsbescheides zu den Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG – wie hier in Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 00. März 2024 – ist, wenn die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung erfolglos bleibt – in der Hauptsache hilfsweise durch eine Verpflichtungsklage anzugreifen.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 20.
36Mithin kommt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes insoweit nur ein Antrag nach § 123 VwGO in Betracht, der im Hilfsverhältnis zu dem gegen Ziffer 1 des in der Hauptsache angegriffenen Bescheides vom 00. März 2024 gerichteten Antrag steht. Insoweit ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dem Bundesamt aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Abschiebungsandrohung im Ausgangsbescheid vom 00. März 2022 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Hauptsacheverfahren vorläufig nicht vollzogen werden darf.
37II. Die Anträge bleiben aber in der Sache ohne Erfolg.
381. Der Hauptantrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Asylfolgeantrages als unzulässig in Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00. März 2024 anzuordnen, ist unbegründet.
39Nach § 71 Abs. 4 AsylG i. V. m. § 36 Abs. 4 AsylG darf die aufschiebende Wirkung der Klage nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.
40Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO hängt von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen an der Suspendierung der angefochtenen Maßnahme einerseits und der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits ab. Bei der Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Ergibt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Rechtmäßigkeit des sofort vollziehbaren Verwaltungsakts nach dem Maßstab des nach dem Maßstab des § 36 Abs. 4 AsylG ernstlich zweifelhaft ist, überwiegt das private Aufschubinteresse des Antragstellers. An der Vollziehung einer rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme besteht kein öffentliches Interesse. Wird sich hingegen der angegriffene Bescheid nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen, überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Bestand der sofortigen Vollziehbarkeit.
41Die Ablehnung des am 12. Dezember 2023 gestellten Folgeantrags als unzulässig ist rechtlich nicht zu beanstanden.
42§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG bestimmt, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
43So liegt es hier: Das Bundesamt ist nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung zu Recht davon ausgegangen, dass die besonderen Zulässigkeitsanforderungen von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht vorliegen und der Asylfolgeantrag damit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist.
44Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sind nicht gegeben.
45Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG in der seit 27. Februar 2024 geltenden Fassung ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Ausländer vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind und der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, die Gründe für den Folgeantrag im früheren Asylverfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
46Die mit der Gesetzesänderung an Art. 40 Abs. 2 und 3 RL 2013/32/EU ("neue Elemente oder Erkenntnisse") angepasste Formulierung dürfte mit den in der früheren Gesetzesfassung in Bezug genommenen § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ("Sach- oder Rechtslage nachträglich ... geändert hat") und § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVG im Wesentlichen übereinstimmen. Nach der Begründung des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) sind Elemente und Erkenntnisse im Sinne des § 71 Absatz 1 Satz 1 Tatsachen und Umstände, die zur Begründung des Folgeantrags vom Ausländer vorgetragen oder vom Bundesamt bei der Prüfung des Folgeantrags identifiziert werden. Zu den maßgeblichen Elementen zählen der Vortrag des Ausländers und alle ihm zur Verfügung stehenden einschlägigen Unterlagen oder andere Nachweise über sein Alter, seinen Lebenshintergrund und den seiner Familienangehörigen, seine Identität, seine Staatsangehörigkeit, den Ort des vorhergehenden Aufenthalts und des Wohnsitzes, frühere Asylanträge, Reiserouten, Reisedokumente sowie Gründe für den Asylantrag. Erkenntnisse sind Informationen zu der persönlichen Situation oder der Situation im Herkunftsland. Die Unterscheidung, ob es sich im Einzelfall um Elemente oder Erkenntnisse handelt, ist nicht erforderlich, solange die Tatsachen und Umstände geprüft werden. Die Elemente und Erkenntnisse müssen neu sein. Dies ist zunächst der Fall, wenn die Tatsachen und Umstände erst nach der Entscheidung im Asylerstverfahren eingetreten sind, etwa, weil sich die Lage im Herkunftsland oder die persönliche Situation geändert hat. Elemente und Erkenntnisse sind auch neu im Sinne von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn die Tatsachen und Umstände bereits im Asylerstverfahren vorlagen, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber nicht zur Kenntnis gebracht und daher nicht bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnten. Diese Elemente und Erkenntnisse werden jedoch nur berücksichtigt, wenn der Ausländer ohne eigenes Verschulden außerstande war, sie bereits im Asylerstverfahren geltend zu machen. Ein weiteres Asylverfahren ist nur durchzuführen, wenn die neuen Elemente und Erkenntnisse mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer für den Ausländer günstigeren Entscheidung beitragen.
47Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 20/9463, S. 64.
48Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Das Bundesamt ist auch unter Berücksichtigung der erst im Klageverfahren von der Antragstellerin vorgelegten Dokumente und vorgebrachten ergänzenden Erläuterungen zutreffend davon ausgegangen, dass keine neuen Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder von der Antragstellerin vorgebracht worden sind, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer ihr günstigeren Entscheidung beitragen können.
49Die Antragstellerin, die in ihrem Asylerstverfahren weder in der Anhörung noch im Klageverfahren von irgendwelchen Problemen mit staatlichen Stellen berichtet, sondern ihre Ausreise allein damit erklärt hat, dass sie wegen der beabsichtigten Familienzusammenführung in das Bundesgebiet gekommen sei, und sich wegen der vermeintlich drohenden Rückkehrgefährdung allein auf familiäre Gründe, nämlich auf eine Bedrohung durch ihren Vater und ihre Brüder berufen hat,
50vgl. Urteilsabdruck aus dem Erstverfahren 26 K 2572/22.A, S. 76 der dortigen Gerichtsakte,
51und mit ihrem Asylfolgeantrag nunmehr vorträgt, gegen sie sei in der Türkei wegen Beleidigung des Staatspräsidenten Erdogan ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weshalb sie in das Visier des türkischen Staates geraten sei, hat zwar im Klageverfahren ergänzend zu ihrer Behauptung Unterlagen in türkischer Sprache sowie in Auszügen deutsche Übersetzungen dieser Dokumente vorgelegt. Diese Elemente sind jedoch nicht geeignet, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung für sie beizutragen.
52Zwar steht einer günstigeren Entscheidung nicht § 28 Abs. 2 AsylG entgegen. Nach dieser Vorschrift kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände stützt, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat. Denn die Antragstellerin stützt ihren Folgeantrag nicht allein auf Umstände, die nach unanfechtbarem Abschluss des Asylerstverfahrens am 7. Juli 2023 von ihr selbst geschaffen worden sind. Dies mag für die in den vorgelegten Dokumenten genannten Facebook-Beiträge vom 00. September und 00. September 2023 gelten. Aus den Unterlagen lässt sich jedoch entnehmen, dass der Antragstellerin auch die Veröffentlichung eines Beitrags am 00. Januar 2021 zur Last gelegt wird.
53Es fehlt jedoch an der Eignung dieser Dokumente zunächst deshalb, weil erhebliche Bedenken gegen ihre Echtheit bestehen. Die Dokumente erweisen sich bereits wegen der in ihnen genannten Daten als unschlüssig.
54So nennt der erste Tatvorwurf in der Anklageschrift bzw. dem Antrag auf Strafverfolgungserlaubnis u.a. einen Beitrag der Antragstellerin vom 00. Januar 2021, der mithin vor Abschluss des Asylerstverfahrens veröffentlicht worden ist. Weitere Beiträge sollen ausweislich dieser Dokumente am 00. September und 00. September 2023 veröffentlicht worden sein, mithin nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens am 7. Juli 2023. Allerdings datiert die Anklageschrift bzw. der Antrag auf Strafverfolgungserlaubnis bereits vom 00. August 2023, so dass dessen Erstellung – was denklogisch ausgeschlossen ist – vor den in diesem Dokument genannten Taten aus September 2023 erfolgt ist.
55Darüber hinaus wird in dem genannten Antrag auf Strafverfolgungserlaubnis mitgeteilt, dass gegen die Antragstellerin durch Urteil vom 00. Februar 2024 ein Festnahmebefehl erlassen worden ist. Wie in einem Dokument vom 00. August 2023 ein Festnahmebefehl, der erst ein halbes Jahr später erlassen worden sein soll, genannt werden kann, bleibt ebenfalls im Dunkeln.
56Außerdem ist der Festnahmebefehl ausweislich der vorgelegten Unterlagen nicht am 00. Februar 2024, sondern am 00. Januar 2024 ergangen. Schließlich werden als Rechtsgrundlage für den Tatvorwurf im Festnahmebefehl und im Antrag auf Strafverfolgungserlaubnis Paragraph 199 des Türkischen Strafgesetzbuches (TStrafGB) angegeben. Die Präsidentenbeleidigung ist jedoch in § 299 TStrafGB geregelt, § 199 betrifft das Fälschen einer Wertmarke.
57Ungeachtet dessen ist – auch wenn man die Echtheit der Dokumente unterstellt – das sich daraus ergebende, gegen die Antragstellerin eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Präsidentenbeleidigung nicht geeignet, eine flüchtlingsrelevante Verfolgung zu begründen.
58Die Einzelrichterin verkennt dabei nicht, dass die zweite Sektion des EGMR in einer jüngeren Entscheidung die auch gegen die Antragstellerin in der Sache angewendete Strafnorm des § 299 TStrafGB (statt des genannten § 199) für mit Art. 10 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unvereinbar erklärt hat.
59Vgl. EGMR, Urteil vom 19. Oktober 2021 - 42048/19 -, juris insbes. Rn. 54.
60Daraus folgt nach Ansicht des Gerichts allerdings nicht, dass der Antragstellerin allein wegen eines auf Grundlage einer für konventionswidrig erklärten Norm geführten Strafverfahrens die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre.
61A.A. noch VG Augsburg, Urteil vom 15. Dezember 2021 - Au 6 K 21.30988 -, mittlerweile aber Urteil vom 10. Mai 2023 – Au 6 K 22.30983 –, juris Rn. 60 ff.
62Zwar sind Entscheidungen des EGMR von den nationalen Gerichten zu berücksichtigen, d.h. sie sind grundsätzlich daran gebunden.
63Vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 -, NJW 2004, 3407.
64Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit einer Divergenz zwischen einzelnen Sektionen des EGMR. Dieser hat sich bereits mehrfach mit der Konventionswidrigkeit von Strafverfahren wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes befasst. So stellte etwa die dritte Sektion in einer Entscheidung aus Anlass einer Beleidigung des spanischen Königs noch auf die konkrete Strafe ab.
65Vgl. EGMR, Urteil vom 15. März 2011 - 2034/07 -, NJOZ 2012, 833.
66Die Entscheidung der vierten Sektion vom 00. September 2007 (00000/00) zum damaligen Art. 158 TStrafGB im Hinblick auf die Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten verwies zwar bereits darauf, dass eine Privilegierung bzw. ein besonderer Schutz eines Staatsoberhauptes im Hinblick auf das Recht auf Information und Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt sei, enthält aber – anders als die Entscheidung der zweiten Sektion vom 00. Oktober 2021 (00000/00) – noch nicht den Hinweis, dass erst ein Angleichen des innerstaatlichen Rechts an die oben genannte Bestimmung der Konvention eine angemessene Form der Wiedergutmachung darstellen würde und den festgestellten Verstoß beenden könne. Die Entscheidung der zweiten Sektion vom 00. Oktober 2021 geht auf diese Abweichung zu den Entscheidungen der dritten und vierten Sektion nicht ausdrücklich ein, insbesondere wurde die Rechtssache offenbar nicht gem. Art. 30 EMRK an die große Kammer abgegeben. Wegen der dargestellten divergierenden Rechtsprechung einzelner Sektionen des EGMR scheidet eine Bindungswirkung für die nationalen Gerichte aus.
67Das Gericht teilt die Auffassung der zweiten Sektion des EGMR nicht. Auch im deutschen Recht ermöglichen die §§ 90 und 188 StGB eine schärfere Bestrafung von Beleidigungen gegenüber dem Bundespräsidenten oder Personen des politischen Lebens. Die Androhung einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren nach § 90 StGB liegt sogar über derjenigen nach Art. 299 Abs. 1 und 3 TStrafGB, der bei öffentlicher Tatbegehung eine Höchststrafe von 4 Jahren und 8 Monaten vorsieht. § 188 StGB wurde erst mit Artikel 1 des Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 (BGBl I S. 441) neu gefasst, wobei der Tatbestand der Beleidigung und die kommunale Ebene einbezogen wurden. Ein Verstoß gegen die EMRK wurde darin auch nicht ansatzweise gesehen. Im Übrigen geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gewährung eines besonderen strafrechtlichen Ehrenschutzes für die im politischen Leben des Volkes stehenden Personen nicht gegen das Grundgesetz verstößt.
68Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1955 - 1 BvL 120/53 -, NJW 1956, 99.
69Unabhängig davon stellt der zur Grundlage der Anklageschrift vom 00. August 2023 gemachte Straftatbestand einer Präsidentenbeleidigung bei der vorliegenden Fallkonstellation auch bei Annahme einer Konventionsverletzung keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 AsylG dar. Nicht jede Konventionsverletzung ist bereits als flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung anzusehen.
70Vgl. Kluth in BeckOK AuslR, AsylG, 40. Ed., Stand 1. Oktober 2023, § 3a Rn. 5.
71Hierfür genügen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG nur solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dies kann hier nicht angenommen werden. Die im Raum stehende Verletzung der durch Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit der Antragstellerin gehört nicht zu den notstandsfesten Menschenrechten nach Art. 15 Abs. 2 EMRK. Auch wenn darüber hinaus weitere Menschenrechte grundlegend i.S.d. Norm sein können („insbesondere“), fehlt es vorliegend an einer schwerwiegenden Verletzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich wegen der Konventionswidrigkeit von § 299 TStrafGB um diskriminierende Strafverfolgung handelt, führt unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung nach der Systematik des § 3a AsylG nicht per se zu einer flüchtlingsrelevanten Verfolgungshandlung; sie kann lediglich als Verfolgung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG gelten. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es folglich auf die Formulierung der Strafnorm nicht entscheidend an, sondern ausschlaggebend ist die konkrete Anwendung in ständiger Strafrechtspraxis.
72Vgl. Bergmann in ders./Dienelt, AsylG, 14. Aufl. 2022, § 3a Rn. 6.
73Dafür, dass es sich bei der vorliegenden Fallkonstellation nicht um eine schwerwiegende Verletzung i.S.d. § 3a Abs. 1 AsylG handelt, spricht, dass der Bundesgesetzgeber die schärfere Bestrafung von Beleidigungen gegenüber dem Bundespräsidenten oder Personen des politischen Lebens gemäß §§ 90 und 188 StGB selbst als legitim erachtet.
74Die Strafverfolgung gegen die Antragstellerin lässt vorliegend auch keine Unverhältnismäßigkeit oder Diskriminierung im Sinne eines Politmalus erkennen. Zwar wurde gegen sie ein Festnahmebefehl erlassen. Dieser dient jedoch nur der Vernehmung. Insoweit handelt es sich bereits nicht um eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Verfolgung, da eine Vernehmung zur Klärung des Tatvorwurfs legitim ist. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass es insoweit zu Folter oder Misshandlungen kommen würde, liegen nicht vor, zumal der Antragstellerin keine Terrorpropaganda vorgeworfen wird.
75Auch eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung droht der Antragstellerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es nur in einem relativ kleinen Teil der wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten geführten Verfahren zu einer Verurteilung kommt: Im Jahr 2019 wurden nach Medienangaben insgesamt 36.066 Strafverfahren wegen Beleidigung des Staatspräsidenten gemäß Art. 299 TStrafGB eingeleitet. Zusammen mit Verfahren nach Art. 300 TStrafGB (Verunglimpfung staatlicher Hoheitszeichen) und Art. 301 TStrafGB (Herabsetzung der türkischen Nation, der Republik Türkei, der staatlichen Institutionen und Organe) wurden im Jahr 2019 in 12.474 Fällen Entscheidungen gefällt (davon 4.291 Verurteilungen, 1.970 Freisprüche, 4.394 Aufschiebungen der Urteilsverkündung und 1.819 sonstige Beschlüsse, so BT-Drs. 19/23548 S. 8). Demnach droht der Antragstellerin nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung wegen Präsidentenbeleidigung. Dies gilt umso mehr, da die Beleidigungen überwiegend nach Asylantragstellung in Deutschland begangen wurden und sich so auch den türkischen Strafverfolgungsorganen aufdrängen müsste, dass die Beleidigungen im Wesentlichen asyltaktisch motiviert sind.
76Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass die Türkei die EMRK ratifiziert und sich zudem der Gerichtsbarkeit des EGMR unterworfen hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass türkische Strafgerichte vor diesem Hintergrund den durch den EGMR festgestellten Konventionsverstoß nicht – wie durch die zweite Sektion des EGMR in ihrer Entscheidung vom 00. Oktober 2021 angeregt – durch eine konventionskonforme Auslegung der Strafnorm im Wege einer Strafrahmenangleichung beseitigen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Schon jetzt dürfte es nur in seltenen Ausnahmefällen wegen Beleidigung des türkischen Staatspräsidenten zu einer Bestrafung kommen, die die maximal mögliche Strafe einer „normalen“ Beleidigung überschreitet.
77Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 29. Juni 2022 - Au 3 K 20.31411 -, juris Rn. 49 – 57.
782. Auch die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass die Abschiebung der Antragstellerin auf der Grundlage der in dem Bescheid des Bundesamtes vom 14. März 2022 ergangenen Abschiebungsandrohung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Klageverfahren 28 K 2158/24.A nicht vollzogen werden darf, bleibt erfolglos.
79Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen.
80Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin – unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes – jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
81Für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches ist maßgeblich, ob ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung bestehen.
82Vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 1999 - 2 BvR 2131/95 -,juris Rn. 1 und 22 mit Verweis auf Art. 16a Abs. 4 GG; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht (Stand: 1. Oktober 2023), § 71 AsylG, Rn. 38.
83Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält.
84Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris.
85Es bestehen im vorliegenden Fall auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Ziffer 2. des streitgegenständlichen Bescheides, mit dem das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 00. März 2022 bezüglich der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt hat. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG i.V.m. § 31 Abs. 3 Satz 3 AsylG liegen in Bezug auf die mit den Ausgangsbescheiden in den Asylerstverfahren ergangenen Ablehnungen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Eine allgemein schwierige soziale und wirtschaftliche Lage begründet kein Abschiebungsverbot.
86Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
87Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).