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1. Ein Arzneimittel, welches die Apotheke nur noch prüfen, umfüllen und kennzeichnen muss, bevor sie es an den Verbraucher abgibt, unterliegt als Fertigarzneimittel der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG.
2. Ein Arzneimittel, bei dessen Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt, ist bereits dann verbrauchsfertig und damit "zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt" im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Var. 2 AMG, wenn es in der zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Darreichungsform und Zusammensetzung in den Verkehr gebracht und durch die Apotheke nicht mehr in seiner Substanz verändert wird.
3. Die Verlagerung einfachster Herstellungstätigkeiten wie das Prüfen, Umfüllen und Kennzeichnen des Produkts auf die Apotheke führt nicht zum Eingreifen des Rezepturprivilegs.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen, welches insbesondere pharmazeutische Grundstoffe an Apotheken und Krankenhäuser vertreibt. Daneben beliefert sie auch Industriepartner mit Grundstoffen und vertreibt Produkte direkt an Verbraucher.
3Die Klägerin hat in Kooperation mit einem in H. ansässigen Unternehmen im Rahmen eines Joint Ventures das Produkt „Dronabinol-Lösung 25 mg/ml (für NRF 22.8) mit Identifikations-Kit“ (im Folgenden „Dronabinol-Lösung“) zur Herstellung öliger Dronabinol-Tropfen für den Vertrieb an Apotheken entwickelt.
4Herkömmlicherweise – also ohne Verwendung des Produkts der Klägerin – erfolgt die Herstellung solcher Tropfen nach der standardisierten Rezeptur DAC/NRF 22.8 (Deutscher Arzneimittel-Codex – Neues Rezeptur-Formularium, im Folgenden „DAC/NRF“). Dabei müssen die Apotheken die Rezeptursubstanz Dronabinol zunächst mit einem Föhn rund fünf Minuten erwärmen, um den harzartigen Wirkstoff aus der Glasspritze entnehmen zu können. Anschließend wird das verflüssigte Dronabinol auf einen Glasstab aufgebracht und so lange Wirkstoff dazugegeben, bis das gewünschte Gewicht auf der Analysenwaage angezeigt wird. Falls das Dronabinol zu zähflüssig wird, muss es erneut erwärmt werden. Im nächsten Schritt wird das Lösungsmittel im Becherglas dazu gewogen. Danach wird die ölige Flüssigkeit auf einer Heizplatte auf 70 °C erwärmt und umgerührt. Anschließend müssen noch weitere allgemeine Herstellungsschritte zur Abgabe an den Verbraucher erfolgen.
5Bei Verwendung der Dronabinol-Lösung der Klägerin entfallen für die Apotheke diverse Herstellungsschritte. Nach den Vorgaben der Klägerin soll die Apotheke nach Erhalt der Dronabinol-Lösung den Identitätstest durchführen. Anschließend soll sie die Dronabinol-Lösung in ein von ihr selbst bereitgestelltes beziehungsweise gegebenenfalls separat zu erwerbendes Abgabegefäß mit kindergesichertem Verschluss und Dosierhilfe umfüllen. Abgabegefäß, kindergesicherter Verschluss und Dosierhilfe können bei der Klägerin zu einem Preis von 0,48 Euro bis 3,90 Euro separat erworben werden. Schließlich soll die Apotheke das Produkt patientenindividuell kennzeichnen, bevor sie es an den Verbraucher abgibt.
6Im Lieferumfang der Dronabinol-Lösung sind enthalten: eine Flasche Dronabinol-Lösung 25 mg/ml (für NRF 22.8), ein Schnelltest THC, eine Phiole Verdünnungspuffer (0,6 ml Lösungsmittel), ein Eppendorfer Hütchen, eine Einmalpipette, eine Anleitung Identitätsprüfung.
7Die Klägerin verfügt über keine arzneimittelrechtliche Zulassung für ihre Dronabinol-Lösung. Sie vertreibt die Dronabinol-Lösung ausschließlich an Apotheken. Die Lieferung erfolgt in Flaschen in den Größen 10 ml, 20 ml, 40 ml und 200 ml. Das Sekundärpackmittel trug ursprünglich die Aufschriften „Keine Endverbraucherverpackung“ sowie „Rezepturarzneimittel“. Nach einem Austausch mit der Bezirksregierung B (im Folgenden „Bezirksregierung“) ersetzte die Klägerin die Aufschrift „Rezepturarzneimittel“ durch „Arzneimittel zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels“. Das Lieferungsbehältnis ist wiederverschließbar und enthält keine Kindersicherung und Packungsbeilage.
8Die Klägerin vertreibt die Dronabinol-Lösung in der Konzentration 25 mg/ml. Dabei handelt es sich um eine Standardkonzentration, die der Rezeptur nach DAC/NRF 22.8 entspricht und im Regelfall von Ärzten verordnet wird. Sollte es hierfür einen Anwendungsfall geben, könnte die Apotheke auf der Grundlage der Dronabinol-Lösung auch eine weniger konzentrierte Lösung herstellen, indem sie das Produkt verdünnt. Weiter aufkonzentrieren kann die Apotheke das Produkt nicht.
9Mit Schreiben vom 3. November 2022 informierte die Bezirksregierung die Klägerin von ihrer Absicht, ihr das weitere Inverkehrbringen der Dronabinol-Lösung gebührenpflichtig zu untersagen, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Zur Begründung führte die Bezirksregierung an, sie stufe die Dronabinol-Lösung als zulassungspflichtiges Arzneimittel ein. Es handle sich um ein Fertigarzneimittel, da die wesentlichen Herstellungsschritte bei der Klägerin und damit außerhalb der Apotheke erfolgten.
10Mit Schreiben vom 17. November 2022 teilte die Klägerin mit, dass sie die Einstufung als zulassungspflichtiges Arzneimittel nicht nachvollziehen könne. Es handle sich ihrer Auffassung nach nicht um ein Fertigarzneimittel, sondern um ein Rezepturarzneimittel. Die Dronabinol-Lösung eigne sich nicht zur Abgabe an den Endverbraucher, sondern sei zur Herstellung einer individuellen Rezeptur durch die Apotheke bestimmt. Dies erfolge durch Umfüllen in ein Glasgefäß mit kindergesichertem Verschluss sowie Etikettierung und Beilage einer Dosierhilfe, jeweils entsprechend DAC/NRF 22.8. Die Klägerin verwies außerdem auf ein Schreiben des Landesamts für Gesundheit und Soziales des Landes H. (im Folgenden „LaGeSo H.“) vom 21. Oktober 2021, welches bestätige, dass die von ihrem Joint Venture-Partner vertriebene, identische Dronabinol-Lösung nicht zulassungspflichtig sei.
11Mit Bescheid vom 20. Januar 2023 untersagte die Bezirksregierung der Klägerin das Inverkehrbringen der Dronabinol-Lösung mit sofortiger Wirkung (Ziff. 1). Zugleich ordnete sie die sofortige Vollziehung der Untersagung an (Ziff. 2) und drohte für jeden Fall der Nichtbefolgung, namentlich für jede gehandelte Packung der Dronabinol-Lösung, die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 100 Euro an (Ziff. 3). Zudem auferlegte sie der Klägerin die Kosten des Verfahrens und erhob eine Gebühr in Höhe von 1.260,00 Euro (Ziff. 4).
12Zur Begründung ihrer Untersagungsverfügung führte die Bezirksregierung an, dass sie an der Einstufung als Fertigarzneimittel festhalte, da das Produkt bereits in der Form von der Klägerin vertrieben werde, in der es auch üblicherweise von Patienten angewendet würde. Daran ändere auch das vorgelegte Schreiben des LaGeSo H. nichts, da die Bezirksregierung eigenverantwortlich entscheide. Die Verwaltungsgebühr berücksichtige den mit der Amtshandlung verbundenen Verwaltungsaufwand.
13Die Klägerin hat am 2. Februar 2023 Klage gegen den Bescheid vom 20. Januar 2023 erhoben und zugleich Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Über Letzteren hat das Gericht mit inzwischen rechtskräftigem Beschluss vom 28. April 2023 – 16 L 291/23 – entschieden und insoweit auf der Grundlage einer Interessenabwägung die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheids wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung zu Ziffer 3 angeordnet.
14Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin ergänzend zu ihrer Stellungnahme vom 17. November 2022 vor, dass die Dronabinol-Lösung nicht die Tatbestandsvoraussetzungen eines Fertigarzneimittels erfülle. Fertigarzneimittel seien durch Vorabfertigung geprägt und müssten zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt sein. Erst hierdurch entstehe das arzneimittelspezifische Risiko, an welches die Zulassungspflicht anknüpfe. Entscheidend für die Bestimmung zur Abgabe an den Verbraucher seien der Wille des Herstellers sowie die Gebrauchsfertigkeit des Produkts. Der Herstellerwille sei anhand objektiver Kriterien, namentlich der Art und Weise, wie das Arzneimittel in den Verkehr gebracht würde (Vertriebsstufe, Packungsgröße, Kennzeichnung), zu bestimmen. Gebrauchsfertig sei ein Produkt, wenn es sich in arzneilicher Darreichungsform, Stärke, Potenzierung und Dosierbarkeit in einem zur Abgabe an Verbraucher geeigneten Behältnis befinde.
15Gemessen hieran handle es sich bei der Dronabinol-Lösung der Klägerin nicht um ein Fertigarzneimittel. Es sei insbesondere Aufgabe der Apotheke, das Produkt auf die individuelle Verschreibung des Arztes abzustimmen, es in die Primärverpackung nebst Kindersicherung umzufüllen und mit entsprechenden Abgabehinweisen zu versehen. Dementsprechend handle es sich um ein zulassungsfreies Rezepturarzneimittel, bei dem der die Verbrauchsfertigkeit herbeiführende Herstellungsschritt erst in der Apotheke erfolge. Die Klägerin führt ferner an, durch das neue Verfahren erhöhe sich die Arzneimittelsicherheit, da weniger Herstellungsschritte in der Apotheke stattfinden müssten.
16Neben dem Schreiben des LaGeSo H. stützt sich die Klägerin außerdem auf eine Mitteilung des Deutschen Apothekerverbandes, der das Produkt des Joint Venture-Partners ebenfalls für ein Rezepturarzneimittel halte, sowie auf einen Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (im Folgenden „BfArM“) vom 16. August 2022. Hierin habe das BfArM für das in Bezug auf die Herstellungsschritte vergleichbare Produkt „Opiumtinktur“ eines Mitbewerbers die Fertigarzneimitteleigenschaft ausdrücklich abgelehnt. Zudem habe die Klägerin den regulatorischen Rahmen des eigenen in der Herstellung vergleichbaren Produkts „Opiumtinktur“ mit der Bezirksregierung abgestimmt, welche die Opiumtinktur nicht als Fertigarzneimittel eingeordnet und im Gegenteil der Bezeichnung des Produkts als „Rezepturausgangsstoff“ auf der Etikettierung des Arzneimittels ausdrücklich zugestimmt habe.
17Darüber hinaus stehe die Argumentation, dass es sich bei der Abgabe eines umgefüllten Arzneimittels in unverändertem Zustand zwangsläufig um ein Fertigarzneimittel handeln müsse, im Wertungswiderspruch zu § 4 Abs. 1 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Dieser beziehe sich auf die Abgabe eines Stoffes, der in Apotheken in unverändertem Zustand umgefüllt, abgefüllt, abgepackt oder gekennzeichnet wird. Mit „Stoffen“ seien hierbei alle Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG, mithin gerade nicht nur Fertigarzneimittel, gemeint. Der Anwendungsbereich dieser Norm liefe leer, wenn Produkte wie die Dronabinol-Lösung nicht umfasst würden.
18Zudem sei nach der Rezeptur DAC/NRF 22.8 auch eine Kindersicherung erforderlich. Dass die Kindersicherung und Dosierhilfe wie auch andere kostenpflichtige Hilfsmittel für die Herstellung verschiedener Rezepturarzneimittel bei der Klägerin erworben werden könnten, habe keine – wie die Bezirksregierung vermute – taktischen Gründe, sondern sei eine gewöhnliche unternehmerische Entscheidung eines pharmazeutischen Unternehmens.
19Aus alledem ergebe sich, dass es sich bei einem Arzneimittel, bei dem die Apotheke wie hier noch die Identität teste, es in ein Abgabegefäß mit Dosierhilfe und Kindersicherung umfülle und es entsprechend kennzeichne, nicht um ein Fertigarzneimittel handle.
20Letztlich sei auch im Hinblick auf den Schutzzweck der Arzneimittelsicherheit keine andere Auslegung geboten. Entscheidendes Argument für die Einstufung als Fertigarzneimittel sei eine Risikostreuung durch eine mit dem Arzneimittel oder dessen Herstellung verbundene potenzielle Gefährdung für eine unbestimmte Vielzahl von Verbrauchern. Eine solche Risikostreuung sei mit der Dronabinol-Lösung der Klägerin nicht verbunden. Vielmehr reduziere die Klägerin das Risiko, indem sie risikoreiche Tätigkeiten der Herstellung übernehme.
21Die Klägerin beantragt,
22den Bescheid der Bezirksregierung B vom 20. Januar 2023 aufzuheben.
23Das beklagte Land beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25In Ergänzung zu dem Anhörungsschreiben vom 3. November 2022 und dem Bescheid vom 20. Januar 2023 führt das beklagte Land zur Begründung aus, im Voraus hergestellte Rezepturarzneimittel müssten der Definition des Defekturarzneimittels entsprechen und daher in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke hergestellt werden. Das sei bei der Dronabinol-Lösung der Klägerin nicht der Fall, da diese in ihrer Zusammensetzung durch die Apotheke nicht mehr verändert werde.
26Zudem werde durch das neue Verfahren ein zusätzlicher Umfüllschritt in der Apotheke nötig, welcher ein zusätzliches Kontaminationsrisiko mit sich bringe, sodass die Arzneimittelsicherheit nicht positiv, sondern negativ beeinflusst werde.
27Der Deutsche Apothekerverband könne keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen. Der Bescheid des BfArM zur „Opiumtinktur“ des Mitbewerbers sei noch nicht rechtskräftig. Zudem stütze sich der Bescheid maßgeblich auf folgende Argumente: Die verwendete Verpackung überschreite die betäubungsmittelrechtlich zulässige Verordnungshöchstmenge, sie verfüge über keinen kindergesicherten Verschluss und keine Dosierhilfe, sowie nicht über die ordnungsgemäße Kennzeichnung nach §§ 10, 11 AMG: Die vormals festgesetzten Höchstmengen für Dronabinol seien aber aus der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) gestrichen worden. Eine Kindersicherung sei nach Vorgaben des BfArM für den Wirkstoff Dronabinol nicht erforderlich. Es genüge, das Arzneimittel außerhalb der Reich- und Sichtweite von Kindern aufzubewahren.
28Das beklagte Land ist der Ansicht, der Anwendungsbereich der Zulassungspflicht dürfe nicht zu eng ausgelegt werden. Die Klägerin könne die Zulassungspflicht nicht allein dadurch umgehen, dass sie arzneimittelrechtliche Vorgaben hinsichtlich der Verpackung und Kennzeichnung von Fertigarzneimitteln missachte.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie der Bescheide des BfArM vom 16. August 2022, Gz. 11.1.02-2019-38360, vom 15. Mai 2023, Gz. P14.1 2022-44792 sowie vom 14. August 2023, Gz. 11.1.08-2021-22104, verwiesen.
30Entscheidungsgründe:
31A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
32I. Die Untersagungsverfügung der Bezirksregierung B zu Ziffer 1) des Bescheids vom 20. Januar 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
33Rechtsgrundlage für die Untersagungsverfügung ist § 69 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 AMG. Hiernach kann die zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung zukünftiger Verstöße treffen und insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn deren erforderliche Zulassung nicht vorliegt.
34Die Klägerin ist Normadressatin des aus § 21 Abs. 1 AMG folgenden Verbots, zulassungspflichtige Arzneimittel ohne die notwendige Zulassung in den Verkehr zu bringen. Hiergegen verstößt sie, indem sie ihre Dronabinol-Lösung ohne Zulassung in den Verkehr bringt. Für die Dronabinol-Lösung ist eine Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG erforderlich, da diese ein Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 AMG darstellt.
35§ 4 Abs. 1 S. 1 AMG enthält drei Tatbestandsvarianten. Demnach sind Fertigarzneimittel Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, sowie andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden.
36Die Dronabinol-Lösung der Klägerin ist jedenfalls ein Fertigarzneimittel im Sinne der zweiten Variante.
371. Bei der Dronabinol-Lösung handelt es sich um ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG. Darüber besteht zwischen den Beteiligten Konsens.
382. Die Klägerin bereitet ihre Dronabinol-Lösung unter Anwendung eines industriellen Verfahrens im Sinne der zweiten Variante des § 4 Abs. 1 S. 1 AMG zu. Nach der Gesetzesbegründung meint industrielles Verfahren eine „breite Herstellung nach einheitlichen Vorschriften“.
39Vgl. BT-Drucks. 15/5316, S. 33; vgl. auch OLG München, Urteil vom 6. Mai 2010 – 29 U 4316/09 –, juris, Rn. 34.
40Maßgeblich ist ferner, ob eine automatisierte und standardisierte Herstellung in einem gewissen Umfang erfolgt.
41Vgl. Krüger, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 3. Auflage 2022, § 4 Rn. 14; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 4 AMG, Anm. 8; Pfohl, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 251. EL März 2024, § 4 AMG, Rn. 6.
42Die Klägerin bereitet die Dronabinol-Lösung in ihren Betriebsstätten nach einem standardisierten Verfahren automatisiert und in einem größeren Umfang zu. Auf den Umfang der Herstellung deutet schon der nach Angaben der Klägerin im Jahr 2023 erzielte Jahresgewinn von ca. 200.000,00 Euro hin.
433. Die Dronabinol-Lösung wird auch so weit durch die Klägerin zubereitet, dass sie „zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt“ im Sinne der zweiten Variante des § 4 Abs. 1 S. 1 AMG ist. Hinsichtlich dieses „Bestimmens“ kommt es auf den subjektiven Willen des Herstellers an, der anhand objektiver Kriterien, nämlich der konkreten Art und Weise des Inverkehrbringens, festzustellen ist.
44Vgl. LG Hamburg, Urteil vom 28. Mai 2019 – 327 O 118/19 –, juris, Rn. 28; Krüger, in: Kügel/Müller/Hoffmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 12.
45a. Der die Verbrauchsfertigkeit der Dronabinol-Lösung herbeiführende Herstellungsschritt im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 Var. 2 AMG findet bereits bei der Klägerin statt. Die Verbrauchsfertigkeit ist jedenfalls dann herbeigeführt, wenn das Arzneimittel in der zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Darreichungsform und Zusammensetzung in den Verkehr gebracht und durch die Apotheke nicht mehr in seiner Substanz verändert wird.
46Sich hieran anschließende weitere Herstellungsschritte wie das Abfüllen und Abpacken in eine zur Abgabe an den Verbraucher bestimmte Packung ohne stoffliche Veränderung hindern nach Wortlaut, Systematik und Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 S. 1 Var. 2 AMG die Feststellung der Fertigarzneimitteleigenschaft nicht.
47Vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 9. Juni 2021 – 12 O 193/20 –, juris, Rn. 48; zum Umfüllen und Abpacken vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 15. Juni 2023 – 3 U 43/21 –, juris, Rn. 44 f.; zum Abpacken vgl. BVerwG, Urteil vom 9. März 1999 – 3 C 32.98 –, juris, Rn. 25.
48aa. Schon vom Wortlaut her bezieht sich § 4 Abs. 1 S. 1 Var. 2 AMG nicht insgesamt auf das „Herstellen“ im Sinne des § 4 Abs. 14 AMG, sondern auf die „Zubereitung“. Das Zubereiten zählt zu den in § 4 Abs. 14 AMG definierten Herstellungsschritten. Insofern ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, dass ein Fertigarzneimittel auch ein solches sein kann, das zubereitet wurde, für welches aber noch nicht alle weiteren Herstellungsschritte (inkl. „Abfüllen“, „Abpacken“) aus § 4 Abs. 14 AMG vorgenommen wurden. Unter Zubereiten ist die Behandlung eines Stoffes (Mischen, Lösen, Ausziehen, Trocknen, Extraktion, Destillation, Pressung, Fraktionierung (u. a. von Blut), Reinigung, Konzentration, Fermentierung etc.) zu verstehen.
49Vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 15. Juni 2023 – 3 U 43/21 –, juris, Rn. 41; Krüger, in: Kügel/Müller/Hoffmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 126.
50bb. Ein solches Verständnis wird in systematischer Hinsicht durch eine Gegenüberstellung von Var. 2 und Var. 1 der Regelung bestätigt. Wenn in Var. 1 ausdrücklich ein Inverkehrbringen „in einer zur Abgabe an Verbraucher bestimmten Packung“ gefordert wird, kann die Formulierung „oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel“ in Var. 2 nur bedeuten, dass eine zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Packung insoweit jedenfalls nicht erforderlich ist. Gemeint ist die Bestimmung zur Abgabe an Verbraucher in einem weiteren Sinne.
51Vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 9. Juni 2021 – 12 O 193/20 –, juris, Rn. 44; in diese Richtung auch Fleischfresser, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, AMG, 3. Aufl. 2020, § 2 Rn. 175: „… sind die mit der Packung zusammenhängenden Fragen für die rechtliche Einordnung in den Hintergrund getreten.“; a.A. Rehmann, AMG, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 1.
52cc. Ausschlaggebend für ein solches Verständnis ist schließlich insbesondere Sinn und Zweck der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG. Dieser liegt in dem Schutz der Arzneimittelsicherheit zur Gewährleistung der Verbrauchergesundheit. Diese stellt der Gesetzgeber je nach Art der Herstellung sicher.
53Vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2012 − 1 StR 534/11 –, juris, Rn. 31 m.w.N.
54Zulassungspflichtige, „im Voraus“, also vor der konkreten ärztlichen Verordnung, hergestellte Fertigarzneimittel nach § 4 Abs. 1 S. 1 AMG werden in diesem Zusammenhang von gerade nicht im Voraus hergestellten Rezepturarzneimitteln abgegrenzt, die im Einzelfall auf besondere Anforderung oder Verschreibung hergestellt werden, vgl. § 1a Abs. 8 ApBetrO. Der Gesetzgeber sieht ein besonderes Risiko bei Arzneimitteln, die ohne Rücksicht auf einen konkreten Krankheitsfall für eine beliebige Zahl von Fällen hergestellt werden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. März 1999 – 3 C 32.98 –, juris, Rn. 24.
56Bei der Herstellung von Arzneimitteln in Apotheken gelten nach der Apothekenbetriebsordnung strenge Prüfungs- und Dokumentationspflichten hinsichtlich der Identität und Qualität der dazu verwendeten Stoffe und der Vorgehensweise im Herstellungsprozess (§§ 6 ff. ApBetrO). Bei der industriellen Arzneimittelherstellung liegt die Verantwortung für die Arzneimittelsicherheit demgegenüber beim pharmazeutischen Unternehmer, der das Arzneimittel in den Verkehr bringt, und beim Hersteller. In diesem Zusammenhang ist die Pflicht zur Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG zu verstehen. Die Zulassung ist sowohl nach §§ 21 ff. AMG als auch im Zentralen Zulassungsverfahren an strenge Anforderungen geknüpft und erfolgt in einem aufwändigen Verfahren.
57Vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2012 − 1 StR 534/11 –, juris, Rn. 31 m.w.N.
58Jede andere Auslegung des § 4 Abs. 1 AMG würde hingegen zu Schutzlücken führen. Würde die Verlagerung einfachster Herstellungstätigkeiten in die Apotheke bereits unter das Rezepturprivileg fallen, würde der für die industrielle Herstellung vorgesehene Schutzmechanismus obsolet. Es wäre möglich, nicht zugelassene Arzneimittel oder sogar solche, deren Zulassung auf Grund schädlicher Wirkungen widerrufen wurde, durch bloßes Umfüllen oder Abpacken zur zulassungsfreien Apothekenrezeptur umzudeklarieren. Dies hätte eine erhebliche Gefährdung der Arzneimittelsicherheit und der Gesundheit der Patienten zur Folge.
59Vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2012 − 1 StR 534/11 –, juris, Rn. 33; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 9. März 1999 – 3 C 32.98 –, juris, Rn. 26; OLG Hamburg, Urteil vom 15. Juni 2023 – 3 U 43/21 –, juris, Rn. 45.
60b. An diesen Maßstäben gemessen ist die Dronabinol-Lösung der Klägerin bereits zubereitet und zur Abgabe an den Verbraucher bestimmt, wenn sie in die Apotheke gelangt, und fällt daher unter den Fertigarzneimittelbegriff.
61aa. Die Bezeichnung der Dronabinol-Lösung durch die Klägerin als „Rezepturarzneimittel“ bzw. nunmehr als „Arzneimittel zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels“ sowie die Kennzeichnung „Keine Endverbraucherverpackung“ sind nicht allein maßgeblich für diese Einstufung, da es nach den dargestellten Grundsätzen nicht ausschließlich auf den in diesen Kennzeichnungen zum Ausdruck kommenden, verschriftlichten subjektiven Willen der Klägerin als Herstellerin ankommt. Stattdessen ergibt eine Auswertung der objektiven Umstände des Inverkehrbringens der Dronabinol-Lösung, dass diese sich als Fertigarzneimittel darstellt.
62Hierzu ist festzustellen, dass die Klägerin die Dronabinol-Lösung in der Flasche bereits in der Darreichungsform und Zusammensetzung herstellt, in der sie später an eine unbestimmte Vielzahl von Verbrauchern abgegeben wird. Die Lösung wird in ihrer Substanz nicht mehr von der Apotheke verändert. Die Apotheke kann allenfalls aufgrund der Verwendung des Test-Kits entscheiden, dass sie das Produkt mangels Wirksamkeit nicht an Verbraucher abgibt. Sie könnte das Produkt auch verdünnen, wofür aber keine Anwendungsfälle in der Praxis bekannt sind. Dementsprechend hat die Apotheke keinerlei Einfluss auf die Zusammensetzung, Qualität und Wirkweise des Produkts. Insofern liegt das gesamte arzneimittelspezifische Risiko der Herstellung bei der Klägerin, sodass der Herstellungsprozess durch eine arzneimittelrechtliche Zulassung abgesichert werden muss.
63Entgegen der Auffassung der Klägerin entsteht durch diese Aufteilung der Herstellungsschritte gerade die Möglichkeit einer Risikostreuung, wie sie für Fertigarzneimittel üblich ist. Da die Herstellung der Dronabinol-Lösung vorab (also – anders als bei Rezepturarzneimitteln – unabhängig von einem individuellen Patientenrezept) in einem industriellen Verfahren erfolgt, ergibt sich aus diesem Herstellungsprozess eine potenzielle Gefährdung für eine unbestimmte Vielzahl von Verbrauchern.
64Vgl. Wesser, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 4 AMG, Anm. 3c).
65bb. Dementsprechend ist unbeachtlich, dass die Apotheke die Dronabinol-Lösung überprüft, in ein Abgabegefäß mit kindergesichertem Verschluss umfüllt und patientenindividuell kennzeichnet, bevor sie die Dronabinol-Lösung an den Verbraucher abgibt.
66Die Überprüfung eines Arzneimittels ist nach § 6 ApBetrO kein Schritt der Herstellung. Zwar sind außerhalb der Apotheke hergestellte Fertigarzneimittel nach § 12 Abs. 1 ApBetrO grundsätzlich nur stichprobenweise zu überprüfen. Trotzdem ändert die hier von der Klägerin gegenüber der Apotheke vorgegebene Überprüfung jedes Produkts nichts an der Fertigarzneimitteleigenschaft. Die Klägerin kann nicht durch eine solche überobligatorische Testvorgabe das arzneimittelrechtliche Risiko vollständig auf die Apotheke auslagern.
67Auch die fehlende Kennzeichnung des entsprechenden Behältnisses und die fehlende Packungsbeilage entgegen §§ 10, 11 AMG ändern nichts an der Fertigarzneimitteleigenschaft. Die Vorschriften setzen die Fertigarzneimitteleigenschaft bereits voraus, sodass ihre Einhaltung für die Einstufung als Fertigarzneimittel nicht maßgeblich ist.
68Vgl. Wesser, in: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 4 AMG, Anm. 3.
69Entgegen der Auffassung der Klägerin entsteht die Verbrauchsfertigkeit der Dronabinol-Lösung auch nicht erst nachträglich durch das Abfüllen in ein Abgabegefäß nebst Kindersicherung und Dosierhilfe. Die Verbrauchsfertigkeit besteht – wie dargestellt – bereits vorher. Das fertigarzneimittelspezifische Risiko für eine unbestimmbare Vielzahl von Verbrauchern ergibt sich daraus, dass die Klägerin die Dronabinol-Lösung in Darreichungsform und Zusammensetzung fertig zubereitet an die Apotheken liefert. Unabhängig davon könnte die Dronabinol-Lösung der Klägerin aber auch ohne die Durchführung jener Schritte an den Verbraucher abgegeben werden.
70Das Anbringen eines kindergesicherten Verschlusses in der Apotheke vor der Abgabe der Dronabinol-Lösung an den Endverbraucher ist nicht zwingend notwendig, wenngleich es aus fachlicher Sicht sinnvoll sein mag. Jedenfalls gibt es für dronabinolhaltige Arzneimittel keine rechtlich bindende Auflage des BfArM nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 AMG zur Verwendung eines kindergesicherten Verschlusses.
71Vgl. https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/_FAQ/Zulassung/Kindergesicherte-Verpackung/faq-liste.html, Liste mit Stand vom 12. Juni 2024, zuletzt aufgerufen am 15. Oktober 2024.
72Das BfArM führt auf dieser Seite aus, dass in der Regel die Aufbewahrung von Arzneimitteln außerhalb der Reich- und Sichtweite von Kindern einen ausreichenden Schutz darstellt. Laut BfArM sind aktuell kindergesicherte Verpackungen für folgende Wirkstoffe/Wirkstoffklassen erforderlich: Benzomorphanderivate, natürliche Opiumalkaloide und Opioide. Dronabinol fällt in keine dieser Wirkstoffklassen. Sofern nach DAC/NRF 22.8 die Zugabe eines kindergesicherten Verschlusses erforderlich ist, hat diese Vorgabe keine gleichwertige rechtliche Verbindlichkeit.
73Ferner ist die Bestimmung zur Abgabe an den Verbraucher auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Apotheke das Mittel zwingend noch in ein Behältnis mit betäubungsmittelrechtlich zulässiger Abgabemenge umfüllen muss. Mit den Änderungen zum 7. April 2023 wurden die festgesetzten Höchstmengen für die Verordnung von Betäubungsmitteln gemäß § 2 Absatz 1 lit. a BtmVV aus der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung gestrichen. Das betrifft auch den dort zuvor genannten Wirkstoff Dronabinol. Eine Verordnungshöchstmenge ist demnach für Dronabinol betäubungsmittelrechtlich nicht mehr vorgeschrieben. Insofern käme jedes von der Klägerin verwendete Gefäß (10 bis 200 ml) auch zur Abgabe an Verbraucher in Frage.
74Die bloße Beigabe der Dosierhilfe kann für die Einstufung nicht maßgeblich sein, da es sich um einen nebensächlichen Herstellungsschritt handelt, der auf die Qualität und Wirkweise des Produkts keinerlei Einfluss hat. Zudem können ein Abgabegefäß mit kindergesichertem Verschluss sowie eine Dosierspritze ausweislich der Werbematerialien der Klägerin (vgl. CAELO – AKTUELL, Ausgabe 02, August 2022) bei dieser selbst gegen ein geringfügiges Entgelt (0,48 Euro bis 3,90 Euro) erworben werden. Die Klägerin geht nach diesen Werbematerialien davon aus, dass die Produkte grundsätzlich zusammen erworben werden. Insofern kann es für die rechtliche Bewertung keinen Unterschied machen, ob die Produkte direkt in demselben Paket enthalten oder separat erwerbbar sind.
75c. Der Einstufung als Fertigarzneimittel steht entgegen der Auffassung der Klägerin ferner nicht entgegen, dass die Apothekenbetriebsordnung davon ausgeht, dass Apotheken auch Arzneimittel, die keine Fertigarzneimittel sind, zur Herstellung anderer Arzneimittel beziehen können, vgl. § 11 Abs. 3 ApBetrO. Aus der bloßen Möglichkeit einer solchen Konstellation lässt sich keine Schlussfolgerung für den vorliegenden Fall ziehen.
76A.A. BfArM zur Opiumtinktur, Widerspruchsbescheid vom 15. Mai 2023, S. 4 f., dem Gericht in anonymisierter Form übermittelt.
77Die Systematik der Apothekenbetriebsordnung spricht dafür, dass der Schritt der Qualitätsprüfung durch den Apotheker nach der Herstellung des Arzneimittels erfolgt, und nicht Teil dieser Herstellung ist. Nach § 6 Abs. 1 ApBetrO sind „Arzneimittel, die in der Apotheke hergestellt werden, […] nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen und zu prüfen.“
78d. Auch unter Einbeziehung des § 4 Abs. 1 AMPreisV ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die AMPreisV knüpft an die Definitionen des AMG an, kann jedoch nicht maßgeblich für deren Auslegung sein.
79Entgegen der Auffassung der Klägerin läuft der Anwendungsbereich dieser Norm unter den hier zugrunde gelegten Maßstäben auch nicht leer. Ein Anwendungsbereich verbleibt für Fälle, in denen Wirkstoffe selbst ausnahmsweise ohne jegliche Be- oder Verarbeitung auch als Arzneimittel verwendet werden können (dual use).
80Vgl. zum Stoffbegriff Müller, in: Kügel/Müller/Hoffmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 3 Rn. 35.
814. Im Übrigen kann dahinstehen, ob es sich auch um ein Fertigarzneimittel im Sinne der ersten und dritten Variante des § 4 Abs. 1 S. 1 AMG handelt, wobei die für Variante 2 genannten Argumente auf zur Abgabe an Verbraucher bestimmte, gewerblich außerhalb der Apotheke hergestellte Arzneimittel nach Variante 3 übertragbar sein dürften.
825. Die Zulassungspflicht für die Dronabinol-Lösung der Klägerin entfällt auch nicht ausnahmsweise nach § 21 Abs. 2 AMG. Die dort genannten Ausnahmetatbestände sind nicht einschlägig. Insbesondere handelt es sich nicht um ein Defekturarzneimittel i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG, da es sich bei den Herstellungsschritten, die in der Apotheke ausgeführt werden, namentlich dem Testen, Umfüllen und Abpacken, nicht um wesentliche Herstellungsschritte in diesem Sinne handelt.
83Vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 – I ZR 194/02 –, juris, Rn. 25; vgl. auch VG Köln, Urteil vom 14. Oktober 2014 – 7 K 368/13 –, juris, Rn. 93; Winnands/Kügel, in: Kügel/Müller/Hoffmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 21 Rn. 27; Pfohl, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 251. EL März 2024, § 21 Rn. 12.
846. Die Untersagungsverfügung wird auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte der Klägerin hinsichtlich ihres Produkts „Opiumtinktur“ die Eigenschaft als Rezepturarzneimittel bescheinigt hat. Dabei ist bereits zweifelhaft, inwiefern diese Aussage rechtliche Verbindlichkeit erlangt haben könnte. Jedenfalls bezieht sie sich auf ein anderes Produkt.
85II. Auch die Zwangsgeldandrohung aus Ziffer 3 des Bescheids vom 20. Januar 2023 ist rechtmäßig.
861. Die Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor. Dies setzt im gestreckten Verfahren grundsätzlich die Wirksamkeit sowie die Unanfechtbarkeit oder sofortige Vollziehbarkeit der Grundverfügung voraus, § 55 Abs. 1 VwVG NRW. Für die Androhung normiert jedoch § 63 Abs. 2 VwVG NRW als lex specialis, dass eine sofortige Vollziehbarkeit nicht gegeben sein muss.
87Vgl. Dietlein, in: Dietlein/Hellermann, Öffentliches Recht in NRW, 10. Aufl. 2024, § 3 Rn. 247; Lemke, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 13 VwVG, Rn. 7.
88Insofern ist die Rechtmäßigkeit der Androhung unabhängig davon gegeben, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Grundverfügung zu Ziffer 1 im Eilverfahren wiederhergestellt wurde.
892. Auch die Höhe des Zwangsgeldes ist nicht zu beanstanden. Die Höhe des Zwangsgeldes steht insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, § 58 VwVG NRW. Dabei ist nicht entscheidend, dass es verschiedene Rechtsauffassungen zu der streitgegenständlichen Frage gibt. Bei der Bemessung des Zwangsgeldes ist vielmehr das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Nichtbefolgung des Verwaltungsaktes zu berücksichtigen, § 60 Abs. 1 S. 2 VwVG NRW. Um den Adressaten zur Erfüllung seiner Pflichten zu veranlassen, soll das Zwangsgeld so bemessen werden, dass der Pflichtige keinen Vorteil aus der Nichterfüllung der Anordnung ziehen kann.
90Vgl. BayVGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2012 – 10 ZB 10.2439 –, juris, Rn. 14, und vom 16. September 2010 – 1 CS 10.1803 –, juris, Rn. 23.
91Insofern erscheint ein Zwangsgeld von 100 Euro pro gehandelter Packung bei Apothekeneinkaufspreisen von – je nach Packungsgröße – zwischen 70 und 750 Euro pro Packung ausweislich der Werbematerialien der Klägerin nicht unverhältnismäßig.
92III. Aufgrund der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung ist auch die Auferlegung der Verwaltungsgebühren zu Ziffer 4) des Bescheids vom 20. Januar 2023 rechtmäßig, § 2 des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen i.V.m. der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung des Landes Nordrhein-Westfalen i.V.m. Tarifstelle 10.5.1.17. Einwände gegen Grund und Höhe der Gebührenerhebung trägt die Klägerin nicht vor und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
93B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
94C. Die Voraussetzungen der Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.
95Rechtsmittelbelehrung:
96Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
97Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
98Die Berufung ist nur zuzulassen,
991. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1002. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1013. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1024. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1035. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
104Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
105Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
106Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
107Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
108Beschluss
109Der Streitwert wird auf 200.000,- Euro festgesetzt.
110Gründe
111Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1 GKG erfolgt. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
112vgl. Beschluss vom 18. Juni 2020 – 13 E 786/18 –, juris,
113wurde der nach den Angaben der Klägerin im Jahr 2023 mit dem Produkt erzielte Jahresgewinn zugrunde gelegt.
114Rechtsmittelbelehrung:
115Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberver-waltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
116Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
117Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
118Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
119Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
120War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.