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Eine Beschränkung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW in Form einer Vorabkontrolle sämtlicher Hilfsmittel verstößt jedenfalls gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot, wenn gegen einzelne Störer im Verlauf der Versammlung vorgegangen werden kann.
1. Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2024 unter Ziffer II verfügte Beschränkung wird wiederhergestellt.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
4. Der Tenor soll den Beteiligten vorab telefonisch bekanntgegeben werden.
Gründe
2Der am 18. Dezember 2024 sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2024 unter Ziffer II verfügte Beschränkung (Vorzeigen von Hilfsmitteln bei der Polizei) wiederherzustellen,
4hat Erfolg.
5Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt wiederherstellen, dessen sofortige Vollziehung die Behörde – wie hier der Antragsgegner, das Polizeipräsidium Y. als Versammlungsbehörde (im Folgenden: Polizeipräsidium), – gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Die Entscheidung des Gerichts hängt von einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit mit dem privaten Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Aufschub der Vollziehung ab. Für die Interessenabwägung fallen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, wesentlich ins Gewicht. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, so hat der Antrag Erfolg, da in diesem Fall kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt regelmäßig aus diesem Grund das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme. Erweisen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dagegen bei der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einzig möglichen und auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen, findet eine Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen statt.
6Unter Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt bei der erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des derzeitigen Sach- und Streitstands das Suspensivinteresse des Antragstellers, weil sich die beschränkende Verfügung unter Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids vom 17. Dezember 2024, sämtliche Hilfsmittel vor Beginn im Beisein der Versammlungsleitung bei der polizeilichen Einsatzleitung vorzuzeigen, voraussichtlich als rechtswidrig erweist.
71. Die vom Antragsteller für den 00. Dezember 0000 ab 00:00 Uhr in Y. unter dem Motto „Stoppt den Genozid in Gaza!“ geplante Versammlung ist von der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 und 2 GG geschützt. Der Schutz der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 und 2 GG umfasst dabei auch den Schutz der eingesetzten Hilfsmittel. Denn der Schutz der Versammlungsfreiheit beinhaltet auch das Recht der Grundrechtsträger, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen. Von dem von Art. 8 Abs. 1 GG umfassten Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers als Veranstalter bzw. Versammlungsleiter ist prinzipiell die Bestimmung über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung erfasst. Hierzu gehört auch die Entscheidung, welche Maßnahmen er einsetzen will, um sein kommunikatives Anliegen möglichst effektiv transportieren zu können.
8Vgl. BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 -, juris, Rn. 64 m.w.N.; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. April 2024 - 15 B 398/24 -, juris, Rn. 8 ff., und vom 6. Juli 2018 - 15 B 974/18 -, juris, Rn. 13; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. August 2020 - OVG 1 S 101/20 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 25. September 2024 - 18 K 8760/23 -, juris, Rn. 68; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Oktober 2018 - 14 K 12547/17 -, juris, Rn. 65 f.
92. Die streitgegenständliche Beschränkung in Ziffer II, sämtliche Hilfsmittel vor Beginn im Beisein der Versammlungsleitung bei der polizeilichen Einsatzleitung vorzuzeigen, findet keine rechtliche Grundlage in § 13 Abs. 1 Satz 1 des Versammlungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VersG NRW).
10Offenbleiben kann vorliegend, ob § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW überhaupt taugliche Ermächtigungsgrundlage für eine Regelung sein kann, die – wie hier – eine Kontrolle im Vorfeld, d. h. vor dem zeitlichen Beginn der Versammlung, betrifft. Insoweit weist die Kammer ergänzend darauf hin, dass Kontrollstellen im Vorfeld zu Versammlungen auf Grundlage der polizeirechtlichen Generalklausel im Einzelfall als zulässig angesehen worden sind, soweit die Vorfeldmaßnahmen nicht in den Kernbereich der Versammlungsfreiheit eingreifen, sondern dem Schutz der Versammlungsfreiheit dienen, weil etwa Waffen, gefährliche Gegenstände sowie Störer und Straftäter im Vorfeld durch die Kontrolle aufgespürt werden können. Bei derartigen Vorfeldmaßnahmen ist die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 Abs. 1 GG bereits auf der Tatbestandsebene bei der Auslegung und Anwendung der dort jeweils normierten Rechtsbegriffe und damit auch der Gefahrenprognose zu beachten.
11Vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. Januar 2013 - 10 C 12.2061 -, juris, Rn. 14; ThürOVG, Beschluss vom 22. Dezember 2021 - 3 ZKO 417/19 -, juris, Rn. 5, 8; vgl. hierzu auch VG Aachen, Urteil vom 24. Februar 2021 - 6 K 2725/19 -, juris, Rn. 30 ff.
12Es bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, ob § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW überhaupt Ermächtigungsgrundlage für derartige Vorfeldmaßnahmen sein kann. Denn die von dem Polizeipräsidium ausdrücklich als Beschränkung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW unter Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids erlassene Regelung erweist sich auch aus anderen Gründen als rechtswidrig.
13Die Kammer hegt bereits Zweifel an der Bestimmtheit der unter Ziffer II verfügten Beschränkung. Die Regelung, sämtliche Hilfsmittel vor Beginn im Beisein der Versammlungsleitung bei der polizeilichen Einsatzleitung vorzuzeigen, ist im Hinblick darauf, dass als angezeigte Hilfsmittel neben Plakaten, Bannern, Fahnen und Flyern auch eine Bühne, ein Lautsprecher, ein Megafon, Autos, ein Pavillon, ein Schirm, ein Tisch, zwei Dieselaggregate sowie ein Outdoor Display angezeigt worden sind, zumindest unklar formuliert. Die hinreichende Bestimmtheit gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW erfordert insoweit, dass der Regelungsinhalt so gefasst ist, dass der Adressat ohne Weiteres erkennen kann, was genau von ihm gefordert wird bzw. was in der ihn betreffenden Angelegenheit geregelt worden ist. Die hier streitgegenständliche Beschränkung differenziert indes in keiner Weise zwischen den verschiedenen Hilfsmitteln.
14Vgl. hierzu auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. April 2016 -14 K 3458/10 -, juris, Rn. 83 f.; vgl. zur Rechtsfolge nicht hinreichender Bestimmtheit Schröder, in: Schoch/Schneider, VerwR, Stand: 5. EL Juli 2024, § 37 Rn. 44 m.w.N.
15Insoweit dürfte vor dem Hintergrund, dass bei einem Verstoß gegen die Beschränkung ein polizeiliches Einschreiten bis hin zu einer Auflösung der Versammlung sowie eine Strafbarkeit nach § 27 Abs. 2 VersG NRW in Betracht kommt, auch ein strenger Maßstab an die Bestimmtheit anzulegen sein.
16Unabhängig hiervon sind die Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW in der Sache nicht gegeben.
17Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Als Beschränkungen kommen insbesondere Verfügungen zum Ort und zum Verlauf der Veranstaltung in Betracht (§ 13 Abs. 1 Satz 2 VersG NRW).
18Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst u.a. die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter u.a. durch Strafgesetze gesichert sind. Die Vorschrift ist im Lichte der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit zu sehen, die für Versammlungen unter freiem Himmel in Art. 8 Abs. 2 GG einen Gesetzesvorbehalt vorsieht. Insoweit ist das nach Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich bestehende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Modalitäten der Versammlung beschränkt, soweit seine Ausübung zu Kollisionen mit Rechtsgütern anderer führt. Stehen sich verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter derartig gegenüber, ist ein Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herbeizuführen.
19Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris, Rn. 27.
20Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.
21Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 20; HessVGH, Beschluss vom 14. Oktober 2023 - 2 B 1423/23 -, juris, Rn. 19; Schönenbroicher, in: Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, 2023, § 13 Rn. 3; Schönenbroicher, in: Schönenbroicher/Heusch, Gefahrenabwehrrecht NRW, 1. Aufl., 2023, § 1 OBG Rn. 37 m.w.N.
22Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.
23Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 6 ff. m.w.N. und vom 24. Mai 2020 - 15 B 755/20 -, juris, Rn. 9 ff. m.w.N.; Schönenbroicher, in: Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, 2023, § 13 Rn. 3.
24Für die Annahme einer unmittelbaren Gefahr sind vielmehr konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, etwa die Benennung konkreter Vorfälle, die sich in der Vergangenheit in vergleichbaren Situationen ereignet haben.
25Vgl. zu unterschiedlichen Beschränkungen exemplarisch OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2021 - 15 B 1414/21 -, juris, Rn. 8, sowie vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris, Rn. 23.
26Die Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde muss mithin auf konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkten dafür beruhen, dass gerade die in Rede stehenden, mit einer versammlungsrechtlichen Beschränkung belegten Verhaltensweisen während der Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit sich bringen. Dies kann etwa durch das Benennen konkreter Referenzfälle auf vergangenen Versammlungen erfolgen. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, lediglich auf eine etwaig bestehende abstrakte Gefahr zu verweisen.
27Vgl. insoweit etwa OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris, Rn. 23; VG Düsseldorf, Urteil vom 16. September 2021 - 18 K 7536/19 -, juris, Rn. 60; VG Köln, Beschluss vom 21. September 2020 - 20 L 1693/20 -, juris, Rn. 22; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 5. Oktober 2018 - 5 L 1338/18.NW -, juris, Rn. 9; VG Karlsruhe, Beschluss vom 16. August 2013 - 1 K 2068/13 -, juris, Rn. 12.
28Als Vorgängerversammlungen in diesem Sinne sind in erster Linie diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.
29Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris, Rn. 17 m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 12. April 2013 - 10 CS 13.787 -, juris, Rn. 8; siehe zum Ganzen auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 - 18 L 3167/23 -, juris, Rn. 14 ff.
30Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei.
31Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris, Rn. 13 m.w.N.
32Bei der Bewertung des vorhandenen Tatsachenmaterials muss die Versammlungsbehörde die ihr bekannten Fakten gewichten und eine Einschätzung hinsichtlich zu befürchtender Gefahrenlagen vornehmen, wobei die Wahrscheinlichkeiten und Folgen sachgemäß abzuwägen sind. Prognoserelevant kann dabei auch die Kooperationsbereitschaft des Veranstalters sein.
33Vgl. Ullrich/Roitzheim, in: Ullrich/Braun/Roitzheim, VersG NRW, 2022, § 13 Rn. 23, 30.
34Die Gefahrenprognose richtet sich dabei nach der ex ante-Sicht der Behörde. Insoweit kommt es auch weiterhin im Rahmen des § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW auf die Erkenntnisse der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung an, wenngleich dies auch – im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 VersG – nicht mehr ausdrücklich in der Norm statuiert wird.
35Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung – Gesetz zur Einführung eines nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften (VersammlungsgesetzEinführungsgesetz NRW – VersGEinfG NRW), LT-Drs. 17/12423, S. 65; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 18 L 1119/22 -, n.v., m.w.N.
36Gemessen hieran erweist sich die streitgegenständliche beschränkende Verfügung als voraussichtlich rechtswidrig.
37Aus Sicht der Kammer bestehen erhebliche Bedenken an der Tragfähigkeit der Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums. Im Kern beschränkt sich die Begründung tatsachengestützt darauf, dass es bei einzelnen Versammlungen des Antragstellers in der Vergangenheit unter dem Motto „Stoppt den Genozid in Gaza“ Hilfsmittel gegeben habe, die einen strafbaren Inhalt aufgewiesen hätten. Insoweit hat das Polizeipräsidium – auch auf ergänzende telefonische Nachfrage der Kammer – ausgeführt, dass es bei den Versammlungen des Antragstellers am 0. Oktober 0000, am 00. Oktober 0000 sowie am 00. November 0000 zu insgesamt sieben Fällen strafrechtlich relevanten Verhaltens im Hinblick auf die eingesetzten Hilfsmittel gekommen sei. Bei den von dem Antragsteller am 0. November 0000 sowie am 00. November 0000 durchgeführten Versammlungen unter demselben Motto sei demgegenüber kein strafrechtlich relevanter Vorfall im Zusammenhang mit Hilfsmitteln bekannt. In Ansehung der jeweils durchgeführten Demonstrationen mit ca. 300 bis 550 Versammlungsteilnehmern lässt sich nach Auffassung der Kammer anhand dieser Begründung nicht der Schluss ziehen, dass bei der hier streitgegenständlichen Versammlung des Antragstellers am 00. Dezember 0000 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Hilfsmittel mit strafbarem Inhalt in einer Weise verwendet werden, die ein versammlungsbehördliches Vorabeinschreiten in Bezug auf die gesamte Versammlung erfordert. Die von dem Polizeipräsidium in der Antragserwiderung angenommene Häufigkeit bzw. Intensität der Verstöße, die es nun erforderlich mache, im Vorfeld der Versammlung die Verwirklichung von Straftaten zu verhindern, vermag die Kammer angesichts der verhältnismäßig geringen Einzelfallverstöße nicht nachzuvollziehen. Dies gilt umso mehr, als sich der Antragsteller seit Beginn der von ihm veranstalteten Demonstrationen unter dem Motto „Stoppt den Genozid in Gaza“ im Oktober 0000, die seither regelmäßig, zumeist im Zwei-Wochen-Rhythmus, in Y. stattfinden, auch nach Angaben des Polizeipräsidiums stets kooperationsbereit gezeigt hat. So hat er etwa den Vorfall am 00. Oktober 0000 selbst festgestellt und den betroffenen Teilnehmer von der Versammlung ausgeschlossen.
38Unabhängig hiervon ist die streitgegenständliche Beschränkung aber in jedem Fall ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO).
39Offenbleiben kann dabei, ob die Beschränkung unter Ziffer II bereits an einem Ermessensfehlgebrauch leidet, weil das Polizeipräsidium zur Begründung der Beschränkung, sämtliche Hilfsmittel vor Beginn im Beisein der Versammlungsleitung bei der polizeilichen Einsatzleitung vorzuzeigen, im Wesentlichen auf die Erwägung der Verwaltungsvereinfachung abstellt, indem es ausführt, dass die streitgegenständliche Beschränkung der (erleichterten) Kontrolle der unter Ziffer I verfügten Beschränkung diene. Im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG erscheint es aus Sicht der Kammer höchst bedenklich, die Pflicht der Polizei, die Grundrechtsausübung vor Störung und Ausschreitungen Dritter zu schützen,
40Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 83 f.; Höfling/Ogorek, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 8 GG Rn. 45; Deiseroth/Kutscha, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, VersR, 2. Aufl. 2020, Art. 8 GG Rn. 216,
41mit der Erwägung einer Verfahrensvereinfachung und besseren Kontrollfähigkeit auf die Versammlungsteilnehmer selbst bzw. den Veranstalter zu überantworten.
42Jedenfalls aber hat das Polizeipräsidium mit der streitgegenständlichen Verfügung das ihm zustehende Ermessen überschritten, weil sich die Beschränkung unter Ziffer II als unverhältnismäßig erweist.
43a. Die Beschränkung unter Ziffer II, sämtliche Hilfsmittel vor Beginn der Versammlung im Beisein der Versammlungsleitung bei der polizeilichen Einsatzleitung vorzuzeigen, verfolgt zwar einen legitimen Zweck, namentlich Straftaten zu verhindern und nach Angabe des Polizeipräsidiums darüber hinaus die ordnungsgemäße Durchführung sowie einen reibungslosen Ablauf der Versammlung zu sichern.
44b. Zur Erreichung bzw. Förderung dieser Zwecke dürfte die unter Ziffer II verfügte Beschränkung allerdings nur teilweise geeignet sein. So dient sie zwar im Ansatz der Verhinderung von Meinungsäußerungsdelikten, soweit diese durch entsprechende Aufschriften und Bilder auf den Hilfsmitteln begangen werden können, indem sie die Hilfsmittel einer Vorabkontrolle zuführt und insofern eine Überprüfung der bereits unter Ziffer I des streitgegenständlichen Bescheids verbotenen Meinungsäußerungen im Vorfeld fördert. Bedenken hinsichtlich der Geeignetheit bestehen indes insoweit, als die unter Ziffer II verfügte Beschränkung bei Schriften oder Darstellungen in nichtdeutscher Sprache vorsieht, diesen eine deutsche Übersetzung (durch die Versammlungsteilnehmer selbst) beizufügen. Inwieweit die Einsatzbeamten sich vor Ort zur Überprüfung der Strafbarkeit auf eine solche Übersetzung verlassen können bzw. dürfen, erscheint fragwürdig.
45Darüber hinaus bestehen Zweifel daran, ob eine Vorabkontrolle die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung sowie deren reibungslosen Ablauf tatsächlich fördern kann. Bei den ausweislich der Versammlungsanzeige vom 1. September 2024, ergänzt durch die E-Mail des Antragstellers vom 10. Dezember 2024, für die streitgegenständliche Versammlung am 00. Dezember 0000 erwarteten 300 Versammlungsteilnehmern dürfte – anders als das Polizeipräsidium meint – eine Vorabkontrolle sämtlicher Hilfsmittel aller Teilnehmer immense Zeit in Anspruch nehmen. Dies gilt umso mehr, als bei vergangenen, vergleichbaren Demonstrationen des Antragstellers zahlreiche Fahnen, Banner und Plakate benutzt worden sind.
46Vgl. hierzu die auf dem Instagram-Account „demonstration_nrw“ abrufbaren Videos vom 6. Oktober 2024, 7. September 2024, 12. Mai 2024, 11. Mai 2024, 4. April 2024, 20. Februar 2024, jeweils abrufbar unter https://www.instagram.com/demonstration_nrw/?hl=de.
47Dies vorangestellt dürfte eine Vorabkontrolle voraussichtlich – anders als das Polizeipräsidium meint – die Durchführung der geplanten Versammlung nicht sichern, sondern vielmehr erheblich behindern, weil im vorliegenden Einzelfall mit einer massiven zeitlichen Verzögerung des Beginns der Versammlung zu rechnen ist, was wiederum in das von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers über die Versammlungsmodalitäten eingreift.
48c. Die streitgegenständliche Beschränkung erweist sich aber in jedem Fall als nicht erforderlich, weil mit dem Einschreiten gegenüber einzelnen Störern während der Versammlung in Bezug auf die Versammlung mildere, gleich geeignete Mittel zur Verfügung stehen. Insoweit kommt als milderes Mittel insbesondere ein Vorgehen nach § 6 Abs. 4 Satz 1 bzw. § 14 Abs. 3 Satz 1 VersG NRW in Betracht. Denn versammlungsrechtliche Maßnahmen haben sich grundsätzlich zuvörderst gegen die Störer zu richten; nur unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes kommt ein Einschreiten gegen die Versammlung als solche in Betracht.
49Vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2007 -1 BvR 1418/07 -, juris, Rn. 15 f. m.w.N.; Höfling/Ogorek, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 8 GG Rn. 45.
50Das Polizeipräsidium trägt in der Bescheidbegründung selbst vor, dass es den Einsatzbeamten vor Ort bisher immer möglich gewesen sei, gegen einzelne Störer gezielt mithilfe von Identitätsfeststellung, Sicherstellung sowie der Einleitung von Strafermittlungsverfahren vorzugehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass sich der Aufzug im Schritttempo fortbewegt, sodass eine ordnungsgemäße Sichtung der Hilfsmittel auf strafrechtlich relevante Inhalte – wie auch bei vergangenen Demonstrationen des Antragstellers –während der Versammlung unproblematisch möglich sein dürfte.
51d. Darüber hinaus erweist sich die unter Ziffer II verfügte Beschränkung als unverhältnismäßig im engeren Sinne; sie steht außer Verhältnis zu den von ihr verfolgten Zwecken. Insoweit ist einzustellen, dass die Beschränkung inhaltsbezogen wirkt; sie betrifft die Hilfsmittel unmittelbar als Kommunikationsmittel i.S.d. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Eine Vorabkontrolle der Hilfsmittel wirkt dabei faktisch als Erlaubnisvorbehalt, der im Hinblick auf den Schutz von Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich unzulässig ist.
52Vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 22. Februar 2011 - 1 BvR 699/06 - , juris, Rn. 89.
53Zwar ist auch der Straftatenverhütung ein wesentliches Gewicht beizumessen. Insoweit ist – worauf das Polizeipräsidium zutreffend hinweist – zu beachten, dass Meinungsäußerungsdelikte bereits irreversibel durch die Kundgabe verwirklicht werden. Allerdings ist hierbei auch zu beachten, dass die rechtliche Bewertung der Strafbarkeit im Hinblick auf Meinungsäußerungsdelikte stets von den konkreten Einzelfallumständen und dem Kontext des Versammlungsgeschehens abhängig ist. Insoweit ist bei im Einzelfall mehrdeutigen Äußerungen stets diejenige Auslegungsvariante zugrunde zu legen, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt ist,
54vgl. statt vieler BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris, Rn. 30 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 30,
55und sind die konkreten Einzelfallumstände zu betrachten.
56Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. August 1994 - 1 BvR 1423/92 -, juris, Rn. 21 ff. m.w.N., und vom 9. November 2022 - 1 BvR 523/21 -, juris, Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris, Rn. 29 f.; OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 15; VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 - 18 L 3167/23 -, juris, Rn. 30 f., und Urteil vom 25. September 2024 - 18 K 8760/23 -, juris, Rn. 86 ff.
57Eine wie mit der streitgegenständlichen Beschränkung bezweckte Vorabkontrolle aller Versammlungsteilnehmer im Hinblick auf die mitgeführten Hilfsmittel weist indes flächendeckend für alle Versammlungsteilnehmer zumindest faktisch eine erhebliche Einschüchterungswirkung im Hinblick auf die Ausübung ihrer Meinungsfreiheit im Rahmen der Versammlung auf.
58Zudem ist zu beachten, dass sich der Antragsteller bisher stets kooperationsbereit gezeigt, selbst auf etwaige strafbare Inhalte von Hilfsmitteln geachtet und bei Verstößen einzelne Versammlungsteilnehmer – ggf. unter Zuhilfenahme der Einsatzbeamten vor Ort – von der Versammlung ausgeschlossen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es, auch in Anbetracht der bei ca. 300 bis 550 Versammlungsteilnehmern nur vereinzelt gebliebenen Verstöße, unangemessen, sämtliche Versammlungsteilnehmer (d. h. im wesentlichen Umfang Nichtstörer) unter Einschränkung ihrer Versammlungsfreiheit im Wege einer Vorabkontrolle polizeilich in Anspruch zu nehmen.
59Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
60Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache, die mit dem Auffangstreitwert zu bewerten wäre,
61vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2024 - 15 B 480/24 -, juris, Rn. 12,
62faktisch vorweggenommen wird.
63Rechtsmittelbelehrung
64Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
65Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
66Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
67Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.