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Die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die in dem undatierten Bescheid des Antragsgegners verfügten Beschränkungen wird wiederhergestellt, soweit in Ziffer 5 das Abspielen des aus der Filmreihe „The Purge“ stammenden Sirenengeräuschs für die Dauer der Versammlung untersagt und in Ziffer 6 aufgebeben wird, die Nutzung von Fahrzeughupen ausdrücklich Gefahrensituationen vorzubehalten.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Der Tenor soll den Beteiligten vorab telefonisch bekanntgegeben werden.
Gründe:
2Der am 16. August 2024 gestellte sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die in dem undatierten Bescheid des Antragsgegners verfügten Beschränkungen wiederherzustellen, soweit in Ziffer 5 das Abspielen des aus der Filmreihe „The Purge“ stammenden Sirenengeräuschs für die Dauer der Versammlung untersagt und in Ziffer 6 aufgebeben wird, die Nutzung von Fahrzeughupen ausdrücklich Gefahrensituationen vorzubehalten,
4hat Erfolg.
5I. Der in Bezug auf den undatierten Bescheid des Antragsgegners, dem Antragsteller nach eigenen Angaben am 16. August 2024 zugegangen, gerichtete Antrag ist zunächst zulässig. Insbesondere fehlt dem Antragsteller nicht die gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog erforderliche Antragsbefugnis, weil er – wie der Antragsgegner vorträgt – nicht Anzeiger der Versammlung war. Nach § 42 Abs. 2 Alt. 1 VwGO analog ist ein Antrag, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, durch den angegriffenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist jedenfalls zu bejahen, wenn der Antragsteller Adressat des angegriffenen (belastenden) Verwaltungsakts ist.
6Vgl. hierzu etwa VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris, Rn. 15 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 1 A 23.85 -, juris Rn. 10 und Peters, in Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2015, H. Rn. 41.
7Eine Adressatenstellung in diesem Sinne folgt nicht bereits aus der formalen Adressatenstellung (sog. Bekanntgabeadressat), sondern setzt die inhaltliche Adressatenstellung des Antragstellers voraus (sog. Inhaltsadressat).
8Vgl. hierzu etwa VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Juli 2022 - 14 K 3693/21 -, juris, Rn. 40 ff. m.w.N.; VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris, Rn. 15 m.w.N.
9Für die Feststellung, gegen wen sich ein Verwaltungsakt richtet, kommt es nicht darauf an, wer in der Anschrift als dessen Adressat benannt ist. Belastet ist vielmehr derjenige, der von dem Bescheid dem Inhalt nach betroffen ist. Wer in diesem Sinne „Inhaltsadressat“ ist, muss durch Auslegung ermittelt werden.
10Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 1991 - 2 A 1236/89 -, juris, Rn. 7 ff.; VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris, Rn. 18.
11Bei der Auslegung ist auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen, wobei hier alle dem Empfänger bekannten und erkennbaren Umstände heranzuziehen sind.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juni 2005 - 9 A 1150/03 -, juris, Rn. 21 f.; VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris, Rn. 18.
13Dabei wird der Empfängerhorizont maßgeblich vom Kenntnis- und Wissensstand des Antragstellers bestimmt.
14VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris, Rn. 18.
15Ist ein Antragsteller hingegen nicht der Adressat des angegriffenen Verwaltungsakts in diesem Sinne, so muss geprüft werden, ob subjektive eigene Rechte oder zumindest anderweitig rechtlich geschützte Interessen verletzt sein können.
16Vgl. hierzu etwa VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Mai 2020 - 3 K 5923/18 -, juris, Rn. 15 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1993 -, 4 B 206.92 -, juris Rn. 7 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Juli 2022 - 14 K 3693/21 -, juris, Rn. 36.
17Die Antragsbefugnis ist nur dann zu verneinen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Antragsteller behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können.
18BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1963 - V C 219.62 -, juris, LS.
19Gemessen an diesem Maßstab ist der Antragsteller bezogen auf die hier streitgegenständlichen Beschränkungen in Ziffer 5 und Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids antragsbefugt.
20Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung spricht bereits Vieles dafür, dass der Antragsteller nicht nur – entgegen der wörtlichen Angabe seines Namens als „Vertretung“ in der Sammelanzeige vom 14. August 2024 – stellvertretender Leiter der streitgegenständlichen Versammlung ist, der nur bei Ausfall der Versammlungsleiterin in diese Stellung eintritt, sondern die Veranstaltung bzw. die Versammlungsleitung bei der streitgegenständlichen Versammlung ihrer Konzeption nach abwechselnd bzw. bei zeitgleicher Anwesenheit gemeinschaftlich wahrgenommen werden soll, sodass die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Antragstellers in seiner Funktion als Veranstalter bzw. als Versammlungsleiter nicht von vorneherein ausgeschlossen ist.
21Nach § 4 Satz 1 des Versammlungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (Versammlungsgesetz NRW - VersG NRW) vom 17. Dezember 2021 (GV. NRW. 2022, S. 2) ist Veranstalter einer Versammlung u. a., wer die Versammlung nach § 10 VersG NRW anzeigt. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW leitet die Versammlung, wer die Versammlung veranstaltet. Veranstalten mehrere Personen eine Versammlung, bestimmen diese nach § 5 Absatz 1 Satz 2 VersG NRW die Versammlungsleitung. Nach § 5 Abs. 2 VersG NRW ist die Versammlungsleitung übertragbar. § 10 Abs. 1 Satz 2 VersG NRW bestimmt schließlich, dass nur eine Anzeige abzugeben ist, wenn mehrere Personen eine Versammlung veranstalten.
22Das nordrhein-westfälische Versammlungsgesetz sieht die Rechtsfigur des stellvertretenden Versammlungsleiters dabei nicht vor. Der stellvertretende Versammlungsleiter rückt grundsätzlich nur dann in die Rechtsposition des Versammlungsleiters, dessen Rechte durch die verfügten Beschränkungen möglicherweise beeinträchtigt sein könnten, ein, wenn dieser als Versammlungsleiter ausfällt.
23Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 2017 - 1 BvQ 29/17 -, juris, Rn. 2; VG Chemnitz, Urteil vom 20. März 2019 - 2 K 932/18 -, openJur 2019, 27727, Rn. 37.
24Allerdings kann Leiter einer Versammlung nicht nur eine Person sein. Die Versammlungsleitung kann auch von mehreren Personen wahrgenommen werden (mehrköpfiges Leitungsgremium).
25Vgl. Boesenberg/Ullrich, in: Ullrich/von Coelln/Heusch (Hrsg), Handbuch Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2021, Rn. 1075 unter Verweis auf Enders, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, Rn. 5 sowie BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2019 - 1 BvR 1257/19 -, juris, Rn. 12 (faktischer Versammlungsleiter).
26Insbesondere ist verfassungsrechtlich auch eine Abwechslung in der Versammlungsleitung nicht ausgeschlossen, da es sich bei dem im Versammlungsrecht verwendeten Tatbestandsmerkmal des „Leiters“ um einen auslegungsfähigen Rechtsbegriff handelt, den die Norm nicht selbst definiert.
27BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2019 - 1 BvR 1257/19 -, juris, Rn. 12.
28Das nordrhein-westfälische Versammlungsgesetz setzt demgemäß nach dem Rechtsgedanken des § 10 Abs. 1 Satz 2 VersG NRW voraus, dass auch mehrere Personen eine Versammlung veranstalten können. Auch der Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VersG NRW („Versammlungsleitung“) steht der Möglichkeit einer abwechselnd oder gemeinschaftlich wahrgenommenen Versammlungsleitung nicht entgegen.
29Für die vorliegende Wahrnehmung der Funktion des Veranstalters bzw. der Versammlungsleitung jedenfalls auch durch den Antragsteller sprechen vor allem die übrigen Angaben in der Sammelanzeige, wonach der Antragsteller als veranstaltende Person/Versammlungsleiter aufgeführt wird und im Rahmen der Anzeige durch die mehrfachen Formulierungen im Plural („wir“, „unsere“) der Schluss nahe liegt, dass nach der Konzeption der Versammlung, gerade auch im Hinblick auf die Quantität und die bis zum Jahr 2030 wöchentlich wiederkehrend beabsichtigten Versammlungen, eine faktisch abwechselnde bzw. gemeinschaftliche Veranstaltung bzw. Versammlungsleitung geplant ist. Nichts anderes folgt hier – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – aus dem Umstand, dass die Sammelanzeige vom 14. August 2024 lediglich von Frau J. und nicht (auch) von dem Antragsteller selbst unterschrieben wurde. Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 2 VersG NRW genügt, wie gezeigt, bei mehreren Personen, die die Versammlung veranstalten, die Abgabe nur einer Anzeige.
30Die Frage der konkret auszuübenden Funktion des Antragstellers kann hier allerdings – zumal im Eilverfahren gegen die im Vorfeld der geplanten Versammlung erlassenen Beschränkungen – offenbleiben. Denn der Antragsteller ist jedenfalls im vorgenannten Sinne Inhaltsadressat der angegriffenen (belastenden) Beschränkungen. Zwar ist der angegriffene Bescheid förmlich allein an die Versammlungsleiterin J. adressiert. Der Antragsteller wird indes sowohl in der Anrede als auch in der Begründung des Bescheids (vgl. Seite 6 des Bescheids) persönlich als Inhaltsadressat angesprochen, sodass sich die Beschränkungen jedenfalls auch an ihn richten. Dass der Antragsteller insoweit durch die streitgegenständlichen Beschränkungen in seinen Rechtspositionen verletzt sein könnte, erscheint mithin nicht unmöglich.
31Vgl. hierzu etwa VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Juli 2022 - 14 K 3693/21 -, juris, Rn. 46 f. m.w.N.
32II. Der Antrag ist auch begründet.
33Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt wiederherstellen, dessen sofortige Vollziehung die Behörde – wie hier der Antragsgegner, das Polizeipräsidium M. als Versammlungsbehörde (im Folgenden: Polizeipräsidium), – gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Die Entscheidung des Gerichts hängt von einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit mit dem privaten Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Aufschub der Vollziehung ab. Für die Interessenabwägung fallen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, wesentlich ins Gewicht. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, so hat der Antrag Erfolg, da in diesem Fall kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit bestehen kann. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt regelmäßig aus diesem Grund das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme. Erweisen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dagegen bei der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einzig möglichen und auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen, findet eine Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen statt.
34Die Kammer lässt offen, ob die beschränkende Verfügung eine Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung enthält, die (noch) den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht. Jedenfalls überwiegt nach den vorstehenden Grundsätzen das Suspensivinteresse des Antragstellers das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung, da sich nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die gegenüber dem Antragsteller erlassenen Beschränkungen in Ziffer 5 und Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides als voraussichtlich rechtswidrig erweisen. Dies gilt sowohl im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner in Ziffer 5 das Abspielen des aus der Filmreihe „The Purge“ stammenden Sirenengeräuschs für die Dauer der für die am 19. August 2024 als sog. Multikorso geplanten Versammlung unter dem Motto „Montagsspaziergang: Stoppt die Agenda 2030. Alle Macht dem Volke. Direkte Demokratie.“ untersagt hat (siehe dazu unter 1.) als auch in Bezug auf Ziffer 6 des Bescheides, wonach die Nutzung von Fahrzeughupen ausdrücklich Gefahrensituationen vorzubehalten ist (siehe dazu unter 2.).
35Beide Regelungen finden ihre Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren.
36Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst u.a. die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter u.a. durch Strafgesetze gesichert sind. Die Vorschrift ist im Lichte der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit zu sehen, die für Versammlungen unter freiem Himmel in Art. 8 Abs. 2 GG einen Gesetzesvorbehalt vorsieht. Insoweit ist das nach Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich bestehende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Modalitäten der Versammlung beschränkt, soweit seine Ausübung zu Kollisionen mit Rechtsgütern anderer führt. Stehen sich verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter derartig gegenüber, ist ein Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herbeizuführen.
37Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris, Rn. 27.
38Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.
39Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 20; HessVGH, Beschluss vom 14. Oktober 2023 - 2 B 1423/23 -, juris, Rn. 19; Schönenbroicher, in: Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, 2023, § 13 Rn. 3; Schönenbroicher, in: Schönenbroicher/Heusch, Gefahrenabwehrrecht NRW, 1. Aufl., 2023, § 1 OBG Rn. 37 m.w.N.
40Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.
41Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 6 ff. m.w.N. und vom 24. Mai 2020 - 15 B 755/20 -, juris, Rn. 9 ff. m.w.N.; Schönenbroicher, in: Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, 2023, § 13 Rn. 3.
42Für die Annahme einer unmittelbaren Gefahr sind vielmehr konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, etwa die Benennung konkreter Vorfälle, die sich in der Vergangenheit in vergleichbaren Situationen ereignet haben.
43Vgl. zu unterschiedlichen Beschränkungen exemplarisch OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2021 - 15 B 1414/21 -, juris, Rn. 8, sowie vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris, Rn. 23.
44Die Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde muss auf konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkten dafür beruhen, dass gerade die in Rede stehenden, mit einer versammlungsrechtlichen Beschränkung belegten Verhaltensweisen während der Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit sich bringen. Dies kann etwa durch das Benennen konkreter Referenzfälle auf vergangenen Versammlungen erfolgen. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, lediglich auf eine etwaig bestehende abstrakte Gefahr zu verweisen.
45Vgl. insoweit etwa OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris, Rn. 23; VG Köln, Beschluss vom 21. September 2020 - 20 L 1693/20 -, juris, Rn. 22; VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 5. Oktober 2018 - 5 L 1338/18.NW -, juris, Rn. 9; VG Karlsruhe, Beschluss vom 16. August 2013 - 1 K 2068/13 -, juris, Rn. 12; VG Düsseldorf, Urteil vom 16. September 2021 - 18 K 7536/19 -, juris, Rn. 60.
46Als Vorgängerversammlungen in diesem Sinne sind in erster Linie diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.
47Siehe zum Ganzen VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 - 18 L 3167/23 -, juris, Rn. 14 ff.
48Die Gefahrenprognose richtet sich dabei nach der ex ante-Sicht der Behörde. Insoweit kommt es auch weiterhin im Rahmen des § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW auf die Erkenntnisse der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung an, wenngleich dies auch – im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 VersG – nicht mehr ausdrücklich in der Norm statuiert wird.
49Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung – Gesetz zur Einführung eines nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften (VersammlungsgesetzEinführungsgesetz NRW – VersGEinfG NRW), LT-Drs. 17/12423, S. 65; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 18 L 1119/22 -, n.v., m.w.N.
50Soweit versammlungsrechtliche Beschränkungen mit dem Inhalt der während der Versammlung zu erwartenden Meinungsäußerungen – wie hier dem Verbot des Abspielens der Sirene aus der Filmreihe „The Purge“ – begründet werden, ist zudem die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG zu berücksichtigen. Soweit der Inhalt von Meinungsäußerungen im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG nicht unterbunden werden darf, kann eine solche auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG beschränken.
51Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 7 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 21 und 26, und vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris, Rn. 19 und 22 f.; siehe auch dazu ausdrücklich VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 - 18 L 3167/23 -, juris, Rn. 26.
52Der Inhalt von Meinungsäußerungen als solcher ist versammlungsrechtlich nur relevant, wenn es sich um Äußerungen handelt, die einen Straftatbestand erfüllen. Werden die entsprechenden Strafgesetze missachtet, liegt darin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit.
53Vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 9 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 27 ff.
54Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der in Art. 5 Abs. 2 GG bezeichneten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche einzelfallbezogene Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist. Daher stellt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung meinungsbeschränkender Gesetze, sondern auch an die Erfassung und Würdigung der Äußerung selbst. Anders lässt sich ein wirksamer Schutz der Meinungsfreiheit nicht gewährleisten. Dazu gehört es auch, dass Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne Weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden dürfen. Vielmehr muss den Einzelfallumständen entnommen werden, ob eine alltagssprachliche oder technische Begriffsverwendung vorliegt. Auslegungsfähige Äußerungen sind dabei nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu bewerten. Verbleiben Zweifel am Inhalt der Äußerung bzw. ist sie mehrdeutig, gebietet eine am Grundrecht der Meinungsfreiheit ausgerichtete Auslegung, auf die günstigere, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbare Deutungsmöglichkeit abzustellen.
55Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. August 1994 - 1 BvR 1423/92 -, juris, Rn. 21 m.w.N. und vom 9. November 2022 - 1 BvR 523/21 -, juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 15.
561. Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die vom Antragsteller angegriffene Beschränkung in Ziffer 5 der Verfügung, wonach das Abspielen des aus der Filmreihe „The Purge“ stammenden Sirenengeräuschs für die Dauer der Versammlung untersagt wird, nach der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig. Nach gegenwärtiger Aktenlage und auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse wertet die Kammer die vom Antragsgegner getroffene Gefahrenprognose insoweit als nicht tragfähig. Das Polizeipräsidium hat nicht anhand konkreter Anhaltspunkte dargelegt, dass durch das Abspielen des Sirenengeräuschs eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten ist.
57Nach den Angaben des Antragstellers soll dieses Geräusch, das er nach seinem Vorbringen in der Antragsschrift bereits seit dem Jahr 2020 regelmäßig bei Versammlungen verwendet, im Rahmen eines sog. Multikorsos (Aufzug von Fahrzeugen, Radfahrern und Fußgängern) in dem Zeitraum von 19 Uhr bis 20.15 Uhr in der F. Innenstadt nach jedem Abschnitt einer regierungskritischen Tonspur mittels Lautsprecher abgespielt werden, was die politische Botschaft der Versammlung als zentralen Bestandteil der beabsichtigten Meinungsäußerung verstärken solle. In dem fiktiven Kontext der Filmreihe „The Purge“ diene – nach Deutung der Veranstalter – „die Sirene als Signal, dass (der) Staat seine Bürger dazu zwingt, sich seinen neuen Regelungen zu unterwerfen“. Die Sirene diene daher nicht lediglich als begleitendes Stilmittel, sondern ausdrücklich als Teil der Meinungskundgabe in Form eines „dramaturgischen Elements“. Es sei aber erkennbar nicht darauf angelegt, das Verhalten von Menschen tatsächlich zu beeinflussen oder gar die Rechtsordnung in der realen Welt auszuhebeln. Die Versammlungen seien zukunftsgerichtet wöchentlich bis zum Jahr 2030 geplant, wobei wechselnde Routen eingenommen werden sollen, damit die gleichen Anwohner frühestens alle fünf Wochen erneut die Sirene hören werden.
58Demgegenüber hat der Antragsgegner in seinem Bescheid ausgeführt, die Sirene werde vor dem Hintergrund des Kontextes im Film als Gewaltaufruf zum Nachteil sozial-schwacher Menschen, geflüchteter und obdachloser Personen verstanden bzw. könne als Billigung von Straftaten zum Nachteil der genannten Personengruppen aufgefasst werden. Dies folge daraus, dass in dem Film durch das Abspielen der Sirene ein 12-stündiger Zeitraum der „Säuberung“ eingeläutet werde, in der ungestraft Verbrechen einschließlich Morde begangen werden dürften, um die Kriminalitäts- sowie Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten. Dies erzeuge ein Klima der Einschüchterung.
59Dieser – nach Ansicht des Antragsgegners zwingenden – Wertung der Meinungskundgabe mit der Folge einer unmittelbar bevorstehenden Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit vermag sich die Kammer nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht anzuschließen.
60Zunächst hat (selbst) der Antragsgegner in der Begründung zu Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides nicht angeführt, dass durch das Abspielen der Sirene nach jeder erdenklichen Deutungsmöglichkeit eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Form eines Anfangsverdachts eines Straftatbestandes zu erwarten sein könnte. Es bestehen aber auch erhebliche Zweifel daran, dass das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit dadurch unmittelbar gefährdet ist, dass durch das bloße Abspielen der Sirene – wie das Polizeipräsidium meint – der Tatbestand des § 118 Abs. 1 OWiG erfüllt wird.
61Gemäß § 118 Abs. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Dabei ist eine Handlung erst dann „grob ungehörig“, wenn sie in einer Weise gegen die anerkannten Regeln von Sitte, Anstand und Ordnung verstößt, dass dadurch eine unmittelbare psychische oder physische Belästigung oder Gefährdung der Allgemeinheit und gleichzeitig eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung in Betracht kommt.
62OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 22.
63Ferner kommt ein von § 118 Abs. 1 OWiG erfasster Verstoß gegen anerkannte Regeln von Sitte, Anstand und Ordnung auch erst dann in Betracht, wenn die Handlung objektiv jenes Minimum an Regeln grob verletzt, ohne deren Beachtung auch eine für Entwicklungen offene Gesellschaft nicht auskommt.
64OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 25. Vgl. Senge, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 118 Rn. 6 m. w. N.
65Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, hat der Antragsgegner nicht dargelegt. Es bleibt äußert vage, ob der Verstoß bereits in dem Abspielen der Sirene als solcher zu sehen sein soll oder ob daraufhin erfolgende konkrete Handlungen der Versammlungsteilnehmer befürchtet werden. Auch bleibt offen, welche unmittelbaren psychischen oder physischen Belästigungen oder Gefährdungen der Allgemeinheit zu erwarten sind. Bei Zugrundelegung des Abspielens der Sirene als Anknüpfungspunkt für eine Handlung im Sinne von § 118 Abs. 1 OWiG wäre im Übrigen Voraussetzung, dass der fiktive, filmische Kontext von den Passanten, Verkehrsteilnehmern bzw. Anwohnern als solches überhaupt erkannt würde, um eine Wirkung in dem von dem Antragsteller unterstellten Sinn zu entfalten. Die Filmreihe stammt aus den Jahren 2013 bis 2018 und befindet sich nach derzeitigem Kenntnisstand der Kammer nicht in der tagesaktuellen Diskussion. Auch enthalten die Ausführungen des Polizeipräsidiums keine nähere Begründung, inwiefern das akustische Signal nach dem objektiven Empfängerhorizont (zwingend) als Billigung „einer (straflosen) Selbstjustiz zum Nachteil von sozialökonomisch schwachen, geflüchteten oder wohnungslosen Personen“ verstanden werden. Weitere Deutungsmöglichkeiten mit Blick auf die Meinungsfreiheit der Veranstalter werden nicht erörtert.
66Ist die Erfüllung des Tatbestandes des § 118 Abs. 1 OWiG demnach bereits als solches zweifelhaft, hat der Antragsgegner darüber hinaus (selbst) ausgeführt, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die als Schutzgut in § 13 Abs. 1 VersG NRW nicht mehr erfasst ist, als Grundlage für beschränkende Verfügungen bereits ausscheidet, soweit die Gefahr – wie hier – im Inhalt einer Meinungsäußerung gesehen wird.
67Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 - juris, Rn. 26, siehe auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris; vgl. zum Ganzen auch Ullrich/Roitzheim in; Ullrich/Braun/Roitzheim, Versammlungsgesetz NRW, Kommentar, 2022, § 13 Rn. 77 m.w.N.
68Dazu führt das Polizeipräsidium auf Seite 13 des Bescheides zwar Gegenausnahmen in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auf (etwa in Bezug auf die Art der gemeinschaftlichen Kundgabe in Form von paramilitärischen oder sonstigen einschüchternden Begleitumständen).
69BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 - juris, Rn. 31.
70Diese verhält sich allerdings nicht zu der nordrhein-westfälischen Rechtslage, sondern zum Versammlungsgesetz des Bundes, welches – anders als § 13 Abs. 1 VersG NRW – ausdrücklich die öffentliche Ordnung als Schutzgut erfasst. Unabhängig davon, dass nicht einmal im Ansatz dargelegt wurde, inwiefern bei der für den 19. August 2024 geplanten Versammlung, in der nach Ansicht des Antragsgegners „ein Klima der Gewaltdemonstration und potentieller Gewaltbereitschaft erzeugt“ werden soll, derartige Begleitumstände auftreten werden, verkennt der Antragsgegner überdies, dass der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber die öffentliche Ordnung als Schutzgut vom Anwendungsbereich des Versammlungsgesetzes NRW bewusst ausgenommen hat.
71Ob das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit in der vorliegenden Konstellation (überhaupt) betroffen sein kann, bedarf keiner abschließenden Bewertung. Auch auf die Frage, ob § 118 OWiG von Verfassung wegen überhaupt ein Verhalten sanktionieren kann, welches dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit unterfällt oder ob die Vorschrift sonst verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt, kommt es nicht (weiter) an.
72Ebenfalls offengelassen durch BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2014 - 1 BvR 980/13 -, juris, Rn. 26. Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 28.
73Denn die Begründung des Polizeipräsidiums enthält jedenfalls keine dahingehende tragfähige Gefahrenprogose, dass die Versammlung in tatsächlicher Hinsicht voraussichtlich einen Verlauf nehmen wird, in dem ein Klima der Einschüchterung und der Angst vor einem Gewaltausbruch vorherrschen werde. Vor diesem Hintergrund reichen weder die Angaben in der Begründung des Bescheides noch in der Antragserwiderung vom heutigen Tag, um ausreichend konkret eine Gefährdungslage zu belegen. Zunächst werden weder konkrete Vorfälle noch Referenzfälle benannt, welche diese Einschätzung stützen könnten. Es erfolgt lediglich der Hinweis, dass am 13. Mai 2024 und am 3. Juni 2024 während früherer Versammlungen das Sirenengeräusch eingespielt worden sei. Ob und welche konkreten Folgen sich daraus ergeben haben, bleibt offen. Sollte es sich um ähnlich gestaltete Versammlungen gehandelt haben, wären weitere Ausführungen zu konkreten Ereignissen im Zusammenhang mit diesen früheren Versammlungen erforderlich.
74In diesem Zusammenhang wird lediglich ergänzend darauf hingewiesen, dass durch die Verwendung des akustischen Signals auch kein Verstoß gegen § 18 Abs. 1 VersG NRW in Betracht kommen dürfte. Nach dieser Vorschrift ist es verboten, u.a. eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel zu veranstalten, zu leiten oder an ihr teilzunehmen, wenn diese infolge des äußeren Erscheinungsbildes durch das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder uniformähnlichen Kleidungsstücken (Nr. 1) oder durch ein paramilitärisches Auftreten (Nr. 2) Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt. Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen ist im Rahmen der Gefahrenprognose nicht dargelegt worden. Im Übrigen sind auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich das äußere Erscheinungsbild der Versammlungsteilnehmer im Sinne des § 18 Abs. 1 VersG NRW darstellen wird. Eine derartige Annahme erscheint auch im Hinblick darauf fernliegend, dass sich der Aufzug ausweislich der Angaben in der Versammlungsanzeige zu großen Teilen aus Personenkraftwagen und Fahrradfahrern zusammensetzen wird; inwieweit diese Gewaltbereitschaft vermitteln und dadurch einschüchternd i.S.d. § 18 Abs. 1 VersG NRW wirken sollten, erschließt sich der Kammer nicht.
75Schließlich wird ergänzend darauf hingewiesen, dass versammlungsbedingte reflexhafte und sozialadäquate Rechtsgutsbeeinträchtigungen von Gewerbetreibenden, Verkehrsteilnehmern und Anwohnern hinzunehmen sind. Sie haben regelmäßig nicht das Gewicht, dass die Versammlung verboten werden kann oder Beschränkungen erlassen werden können.
76OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 13 m.w.N.
77Etwas anderes gilt erst für unzumutbare Rechtsgutbeeinträchtigungen durch Versammlungen.
78Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. März 2021 - 15 B 426/21 -, juris, Rn. 9 ff. m.w.N., und vom 2. Juli 2020 - 15 A 2100/18 -, juris, Rn. 88 ff.
79Diese sind vorliegend jedoch nicht in hinreichendem Maße dargelegt und nachgewiesen worden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Versammlungen ausweislich der Versammlungsanzeige offenbar jeden Montag und zwar bis zum Jahr 2030 geplant sind (Terminliste bis 22. Juli 2030) und jeder Streckenverlauf innerhalb geschlossener Ortschaften liegt. Ob sich aufgrund der Häufigkeit und der zeitlichen Perspektive gegebenenfalls zukünftig unzumutbare Rechtsgutbeeinträchtigungen ergeben könnten, ist nicht Gegenstand der vorliegenden gerichtlichen Entscheidung.
802. Unter Zugrundelegung des vorstehenden Maßstabes erweist sich auch die vom Antragsteller angegriffene Beschränkung in Ziffer 6 der Verfügung, wonach die Nutzung von Fahrzeughupen ausdrücklich Gefahrensituationen vorbehalten ist, auf der Grundlage einer summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig.
81Die Begründung des Bescheides und die ergänzenden Angaben in der Antragserwiderung genügen insoweit nicht, um ausreichend konkret darzulegen, dass der Einsatz von Hupen als Kundgebungsmittel eine unmittelbare konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könnte. Auch insoweit geht die Gefahrenprognose nicht über allgemeine Annahmen zu Gefahren im Straßenverkehr und die Beschreibung von vermuteten Gefahrensituationen hinaus und enthält keine konkreten tatsachengestützten Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage, welche die allgemeine Verkehrsgefahren eines Autokorsos gerade durch das Hupen wesentlich erhöhen könnten. Es fehlt mithin auch hier an konkreten und einzelfallbezogenen Indizien, welche geeignet sind, die Prognoseentscheidung zu tragen.
82So ist mangels Angabe konkreter Referenzfälle nicht ersichtlich, dass durch die Nutzung der Fahrzeughupen als Mittel der Meinungskundgabe die gemäß § 16 StVO vorgesehene Warnfunktion von Fahrzeughupen im fließenden Straßenverkehr, der hier gerade nicht gegeben ist, erheblich beeinträchtigt werden würde. Dabei sind die allgemein gehaltenen Ausführungen zur erheblichen Gefahr möglicher Auffahrunfälle nicht geeignet, die hohen Begründungsanforderungen zu erfüllen. Diesbezüglich fehlt es an Ausführungen zu Vorerfahrungen mit bisherigen vergleichbaren Versammlungen. Hier hätte im Übrigen vor dem Hintergrund der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und mit Blick auf die Wahl der Ausdrucksmittel auch eine Klarstellung erfolgen müssen, wie der Antragsteller das Gefahrenpotential im Zusammenhang mit durchaus üblichen Hupkonzerten bei Hochzeiten und nach Fußballspielen bewertet. Die Gefahrenprognose leidet im Übrigen an einer fehlenden Betrachtung der konkreten Einzelfallumstände. Nach dem Verständnis der Kammer besteht die Versammlung aus einem Aufzug aus Fußgängern, Fahrrädern und einem Autokorso und wird im Schritttempo durchgeführt. Aufgrund der Transparente und Hilfsmittel dürfte er sonstigen Verkehrsteilnehmern auffallen, die ihr Verhalten im Straßenverkehr vermutlich darauf einstellen dürften. Dass dies gerade infolge des Hupens nicht der Fall sein wird, ist nicht erklärlich. Schließlich hat der Antragsgegner nicht näher begründet, in welchem konkreten Zusammenhang zuvor reelle Gefahrensituationen nicht ernst genommen wurden und inwiefern dies hier zu erwarten ist, so dass es auch insoweit bei einer Beschreibung einer abstrakten Gefahrenlage verbleibt.
83Angesichts der nach Ansicht der Kammer bereits unzureichenden Gefahrenprognose kam es auf die Frage der Verhältnismäßigkeit, namentlich der Prüfung eines milderen Mittels – wie etwa eine zeitliche Beschränkung des Hupens – nicht an.
84Vgl. dazu näher VG Würzburg, Beschluss vom 2. Februar 2024 - W 5 S 209/24 -, juris, Rn. 38 ff.
85Gleiches gilt für die Frage, ob der Antragsteller auf andere Mittel der Meinungskundgabe (Triller, Tröten und Ähnliche) beschränkt werden kann.
86III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
87Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache, die mit dem Auffangstreitwert zu bewerten wäre,
88vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2024 - 15 B 480/24 -, juris, Rn. 12,
89faktisch vorweggenommen wird.
90Rechtsmittelbelehrung:
91(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
92Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
93Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
94Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
95Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
96Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst einfach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
97(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
98Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
99Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
100Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
101Die Beschwerdeschrift soll möglichst einfach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
102War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.