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1. Das Verwenden der Parole "From the river to the sea [Palestine will be free]" ist nicht per se strafbar.2. Im konkreten Einzelfall lagen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass im Rahmen der angemeldeten Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Strafnormen des §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 1, Abs. 2 StGB bzw. gegen das vereinsrechtliche Kennzeichenverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG verstoßen und damit Straftaten nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG, sämtlich Staatsschutzdelikte/abstrakte Gefährdungsdelikte, begangen würden.3. Die Parole "From the river to the sea [Palestine will be free]" stellt ein verbotenes Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG (i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG) der Vereinigung Samidoun dar.4. Die Parole "From the river to the sea [Palestine will be free]" stellt ein Kennzeichen der Terrororganisation HAMAS nach § 86a Abs. 2 StGB dar.5. Für eine ausnahmsweise zulässige Verwendung der Parole nach § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG bzw. § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB kommt es einzig darauf an, ob für einen unbefangenen Beobachter eindeutig und unmissverständlich zu erkennen ist, dass die Klägerin oder der zu erwartende Teilnehmerkreis die Parole nicht als Kennzeichen von Samidoun und/oder HAMAS verwenden und diese - genau umgekehrt - in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebrauchen würden (hier verneint)6. Die Klägerin und der zu erwartende Teilnehmerkreis standen sowohl ideologisch als auch persönlich der mit Verfügung des BMI vom 2. November 2023 in Deutschland vollziehbar verbotenen Vereinigung Samidoun derart nahe, dass eine ausnahmsweise zulässige Verwendung der Parole fernliegt.7. Auch angesichts der mit der öffentlich bekannt gemachten und seit dem 7. Oktober 2023 medial breit aufgearbeiteten Zuordnung der fraglichen Parole zu HAMAS muss bei lebensnaher Betrachtung damit gerechnet werden, dass außenstehende Beobachter - selbst wenn ihnen die Parole vor dem Überfall der HAMAS unbekannt gewesen sein sollte - das Rufen dieser Parole zu einem erheblichen Teil als Aktion zugunsten der Terrororganisation HAMAS auffassen würden.
Auf das Anerkenntnis des Beklagten hin wird festgestellt, dass die in dem Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2024 enthaltenen Beschränkungen für die Versammlung „Infostand zu Palästina“ am 10. April 2024 rechtswidrig gewesen sind, soweit die Ausrufe „Yallah Intifada“ und „Kindermörder Israel“ untersagt worden sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Die am 0.0.0000 in C. geborene Klägerin wendet sich gegen einzelne Beschränkungen in einer versammlungsrechtlichen Bestätigungsverfügung.
3Die Klägerin war Mitglied der mit Verfügung des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: IM NRW) vom 18. März 2024 (Az.: 000-00.00.00.00) verbotenen Vereinigung „Palästina Solidarität Duisburg“ (nachfolgend: PSDU). Im Behördenzeugnis des IM NRW vom 26. Februar 2024 wird sie unter Ziffer 13 namentlich als ihr Mitglied benannt. Die Vereinigung PSDU wurde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit der Begründung ab dem 16. Mai 2024 aufgelöst, dass sie einen Verein darstelle, der sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richte und dessen ideologische Ausrichtung durch ein antiisraelisches und antisemitisches Weltbild geprägt sei. Zudem pflege der Verein Verbindungen zu gleichgesinnten Vereinigungen, insbesondere zu dem mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (nachfolgend: BMI) vom 2. November 2023 (ÖSII2 – 20106/30#2, vgl. BAnz AT 02.11.2023 B 12) verbotenen Verein „Samidoun – Palestinian Solidarity Network“/“Samidoun“ einschließlich seiner Teilorganisation „Samidoun Deutschland“ (nachfolgend: Samidoun). Derzeit sind bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen eine gegen das Vereinsverbot gerichtete Klage sowie ein zugehöriges Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (erstinstanzlich) anhängig.
4Die Klägerin zeigte als Veranstalterin und als verantwortliche Leitung am 5. April 2024 bei dem Polizeipräsidium C. (im Folgenden: Polizeipräsidium) für den 10. April 2024 in dem Zeitraum von 9:00 Uhr bis 14:00 Uhr eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel in Form einer Kundgebung unter dem Motto „Infostand zu Palästina“ an. Als Standort war der Vorplatz vor dem Amtsgericht C. geplant, wobei für die Kundgebung in etwa 30 Teilnehmer zu erwarten seien.
5Zeitgleich zu der geplanten Versammlung fand vor dem Amtsgericht C. eine Hauptverhandlung in einem Strafverfahren gegen Herrn L. W. statt (Az: 000 Cs 0 – 000 Js 000/23 – 000/23). Dieser hatte während einer Versammlung in C. am 9. Oktober 2023 die Parolen „From the river to the sea – Palestine will be free!“ und „Yallah Intifada!“ ausgerufen, was den Gegenstand des Strafprozesses an jenem Vormittag bildete. Das Amtsgericht C. verurteile ihn wegen der Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2 StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen à 15,00 Euro. Das Strafverfahren ist derzeit in der Berufungsinstanz bei dem Landgericht C. anhängig. Herr B. war Initiator der zum 16. Mai 2024 vollziehbar verbotenen PSDU. Dies folgt aus seinen eigenen Angaben in der an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gerichteten Antragsschrift in dem Verbotsverfahren, die auf der Internetseite des sog. „Komitees gegen das Verbot von Palästina Solidarität Duisburg“ veröffentlich ist. Ausweislich der Verbotsverfügung des IM NRW vom 18. März 2024 betätigte er sich als Anmelder von Versammlungen, trat im Rahmen von Versammlungen öffentlich auf, hielt Reden und gab TV-Interviews.
6Die Klägerin reichte im Vorfeld der für den 10. April 2024 geplanten Versammlung bei dem Polizeipräsidium einen Flyer ein, der im Wesentlichen folgende Passagen enthält:
7„Solidarität ist kein Verbrechen! Kommt zur Prozessbeobachtung nach C.! Unser Genosse L.W. soll verurteilt werden, weil er auf einer Demonstration die Parolen „From the River to the Sea - Palestine will be free! & Yalla Intifada!" angestimmt hat. Konkret wirft ihm die Staatsanwaltschaft absurderweise vor, damit „Morde gebilligt" zu haben. Dieser Prozess stellt einen weiteren krassen Einschüchterungs- & Kriminalisierungsversuch aller palästinasolidarischen Menschen in diesem Land dar! Er ist der erste dieser Art seit Oktober. Und er ist eine Fortsetzung der willkürlichen Anzeigen, Verbote, Zensuren & Schikanen, die wir in ganz Deutschland im letzten halben Jahr erleben mussten. Wir lassen uns von diesen Schikanen aber nicht einschüchtern! Gegen Kolonialismus, Apartheid, Krieg & Genozid zu protestieren, ist kein Verbrechen! Wir wissen, dass sich die Repressionsbehörden Einzelne heraussuchen, dass sie aber uns alle meinen. Solidarität ist & bleibt unsere stärkste Waffe dagegen! Wir rufen daher auf, euch solidarisch zu zeigen: Komm zur Prozessbeobachtung! Zeigen wir, dass wir niemanden allein lassen! Und kommt zum Soli-Abend: Diskutieren wir die aktuelle Lage in Deutschland & sammeln wir Spenden für den Gerichtsprozess.
8Prozessbeobachtung: 10. April - 0:00 Uhr – Amtsgericht - Y.-straße 0, C. *Beginn ist 00:00 Uhr, der Einlass kann aber länger dauern. Bringt eure Ausweisdokumente mit! …“
9Das Polizeipräsidium bestätigte mit streitgegenständlicher Verfügung vom 9. April 2024 die Versammlung unter freiem Himmel. Bezüglich der Wahl der Hilfsmittel verwies es auf die „untenstehenden“ Beschränkungen und auf die beigefügte Anlage der verbotenen Symbole im Kontext des Nahost-Konflikts. Insbesondere untersagte das Polizeipräsidium der Klägerin, folgende „volksverhetzende Äußerungen und Aufschriften“ zu unterlassen:
103a) „From the river to the sea [Palestine will be free]“ (unabhängig davon, in welcher Sprache der Ausruf getätigt wird)
11und 3a) „Yallah Intifada“.
12Zur Begründung finden sich in Ziffer 2) der Verfügung dahingehende Ausführungen, dass jegliche Propaganda oder Werbung für eine terroristische Vereinigung, insbesondere für die mit Verfügung des BMI vom 2. November 2023 (ÖSII2 – 20106/31#2, vgl. BAnz AT 02.11.2023 B 10) in Deutschland seit dem 2. November 2023 vollziehbar mit einem Betätigungsverbot belegte Vereinigung „HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya)“ (nachfolgend: HAMAS) oder für die Vereinigung Samidoun verboten sei. Die Beschränkungen dienten der Vermeidung von Straftaten nach den §§ 86, 86a StGB, da es verboten sei, Kennzeichen von Samidoun für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbotes öffentlich oder in einer Versammlung zu verwenden. Auch seien mögliche Verstöße gegen § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zu unterbinden. Unter Ziffer 3) führte das Polizeipräsidium aus, im Rahmen der Versammlung dürfe nicht zu Gewalt oder Hass im Allgemeinen oder gegen die israelische Bevölkerung aufgerufen bzw. zu Willkürmaßnahmen aufgestachelt werden. Das Existenzrecht des Staates Israel dürfe nicht geleugnet werden. Die Versammlungsteilnehmer dürften keine Symbole insbesondere der HAMAS oder von Samidoun mittels Flaggen, Abzeichen, Transparenten, Handzetteln oder in Form sonstiger Gegenstände öffentlich zeigen oder verteilen. Die Lage in Israel und in dem Gazastreifen sei aufgrund der wechselseitigen militärischen Angriffe seit Anfang Oktober 2023 sehr dynamisch und berge weiterhin eine besonders hohe Gefährdungsrelevanz. Es sei davon auszugehen, dass die aktuelle Eskalation der Lage im Nahen Osten vor dem Hintergrund des unvermindert bestehenden Konfliktes und der regelmäßigen militärischen Auseinandersetzungen zu einer Verstärkung der ohnehin vorhandenen erheblichen Emotionalisierung innerhalb der palästinensischen Diaspora geführt habe. Dies belegten Erfahrungen aus der Vergangenheit, denen eine ähnliche Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten zu Grunde gelegen habe. In der Vergangenheit habe sich die aktuelle Anspannung bundesweit auf Versammlungen in ungezügelte Gewalt entladen. Mit Blick auf das gewählte Versammlungsthema sei auch hier davon auszugehen, dass Personen an der Versammlung teilnähmen, welche strafrechtlich relevante Parolen skandierten und verbotene Symbole zeigten. Bei vergleichbaren Versammlungslagen im Cer. Stadtgebiet hätten unter anderem Anhängerinnen und Anhänger der Vereinigung Samidoun teilgenommen. Es habe eine israelfeindliche bis antisemitische Stimmung festgestellt werden können, wobei zum Teil das Existenzrecht des Staates Israel infrage gestellt worden sei. Insofern bestehe die Gefahr für die Begehung von Straftaten nach den §§ 111, 130 oder 140 StGB. Das Vorgehen der HAMAS am 7. Oktober 2023 habe einen konkreten Versuch der gewalttätigen Ausbreitung des palästinensischen Gebietes dargestellt. Daher sei der Ausruf „From the river to the sea [Palestine will be free]“ als Wunsch zu verstehen, die Ausbreitung des palästinensischen Gebietes durch eben jene Formen der Gewalt voranzutreiben. Nach dem durchschnittlichen Empfängerhorizont würden mit dieser Parole genozidale und damit strafbare Ansichten verbunden. Sie stelle auch deshalb einen Verstoß gegen das Kennzeichenverbot nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG dar, weil sie ein Kennzeichen der sowohl nach EU-Recht als auch nach der Verfügung des BMI vom 2. November 2023 verbotenen Organisation HAMAS sei.
13Eine Begründung oder nähere Ausführungen zu dem Verbot der Verwendung des Ausrufes „Yallah Intifada“ in Ziffer 3a) enthält die beschränkende Verfügung nicht.
14Unter der Überschrift „c) Strafbarkeit von Parolen im aktuellen Kontext“ enthält der Bescheid folgende Wendung: Die Ausrufe „Kindermörder Israel“ und „Juden gleich Kindermörder“ seien nicht gestattet, wenn diese sich nicht nur gegen die israelische Regierung bzw. Militärführung, sondern auch gegen die israelische Bevölkerung richteten, z.B. unter Bezug auf aktuelle Berichterstattung in den Medien. Zur Begründung führte das Polizeipräsidium aus, das Verwaltungsgericht Münster habe die Strafbarkeit solcher Parolen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem ersten Angriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 bejaht. Es spreche im gegenwärtigen Kontext manches für einen Anfangsverdacht von Straftaten nach den §§ 130 bzw. 140 StGB. Die Verwendung der Parolen könne die Gewaltbereitschaft in Anbetracht der äußerst angespannten, potentiell auch aggressiven Stimmungslage fördern und die betroffenen Bevölkerungskreise in unzumutbarer Weise einschüchtern. Eine einmal getätigte Äußerung sei irreversibel und könne durch ein nachträgliches Einschreiten der Polizei oder nachträgliche Strafanzeigen nicht wieder rückgängig gemacht werden.
15Sodann führte es aus, dass „diese Beschränkungen“ auch verhältnismäßig seien. Insbesondere sei eine mildere Maßnahme nicht ersichtlich. So bleibe der Klägerin nämlich unbenommen, ihr Versammlungsthema „Infostand zu Palästina“ – unter Einhaltung der Beschränkungen – öffentlichkeitswirksam zu präsentieren.
16Dagegen hat die Klägerin am 6. Mai 2024 Klage erhoben.
17Zu deren Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sämtliche verbotenen Äußerungen verletzten keinen Straftatbestand. Hinsichtlich des Verbots der Parole “From the river to the sea [Palestine will be free]“ nehme das Polizeipräsidium eine unzutreffende rechtliche Würdigung vor. Es handele sich dabei um eine lange vor Gründung der HAMAS genutzte Demonstrationsparole, die eine mehrdeutige Interpretation zulasse. Sie beziehe sich auf das heutige Israel, auf die von Israel 1967 rechtswidrig besetzten palästinensischen Gebiete am Jordan in der Westbank sowie auf all jene besetzten Gebiete am Mittelmeer, namentlich den Gazastreifen. Insbesondere gebe es auch die plausible Interpretation, dass damit lediglich Freiheit und Gleichberechtigung für die Palästinenser in Israel und den besetzen Gebieten gefordert werde. Zwar drücke der Slogan den Wunsch nach einem freien Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer aus, also bezogen auf ein Gebiet, in dem Israel in seinen heutigen Grenzen liege. Der Slogan sage aber nichts darüber aus, wie dieses politisch hoch umstrittene Ziel erreicht werden solle. Grundsätzlich seien politisch verschiedene Mittel und Wege denkbar, dieses abstrakte Ziel zu erreichen, beispielsweise durch völkerrechtliche Verträge, eine Zwei-Staaten Lösung, einen einheitlichen Staat mit gleichen Bürgerrechten für Israelis und Palästinenser oder aber mittels des bewaffneten Kampfes. Dementsprechend plädierten namhafte Antisemitismusforscher dafür, den Slogan in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung für das Gebiet zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer zu verstehen und – wenn nicht zwingende zusätzliche Beweise das Gegenteil nahelegten – eben nicht als Aufruf zu Gewalt und Zerstörung. Einen zwingenden Aufruf zum bewaffneten Kampf gegen Israel beinhalte die Parole als solche daher nicht. Dies folge auch aus den von Prof. Dr. Alon Confino und Prof. Dr. Amos Goldberg verfassten Aufsätzen “Ist der Slogan "From the River to the Sea, Palestine will be free" (Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein) antisemitisch?“ und „From the River to the Sea gibt’s viel Raum für Interpretationen“. Die Verbotsverfügung des BMI vom 2. November 2023 bezüglich der HAMAS werde viel kritisiert. Eine Strafbarkeit der Parole folge nicht bereits daraus, dass sich die Parole in der zugehörigen Kennzeichenliste befinde. Schließlich habe das Landgericht V. eine straflose Interpretation der Parole für möglich gehalten und es als erwiesen angesehen, dass sie im Kontext der dort gegenständlichen Versammlung nicht als Kennzeichen der HAMAS verwendet worden sei.
18Die Beschränkung in Form des Verbots des Ausrufes „Yallah Intifada“ sei nicht begründet worden und daher rechtswidrig.
19Die verbotene Äußerung „Kindermörder Israel“ beklage generell das gezielte Töten von Kindern in Gaza durch das israelische Militär, wie es erwiesenermaßen stattgefunden habe und nach wie vor stattfinde. In Anbetracht der hohen Todesopfer unter Kindern erscheine diese Äußerung mehr als zutreffend. Der durchschnittliche Empfängerhorizont assoziiere diese Parole damit, dass Israel sich der gezielten Tötung von Kindern schuldig mache. Dies habe weder etwas mit antisemitischer Weltanschauung zu tun, noch sei diese Meinungsäußerung strafbar.
20In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung ergänzend angegeben, für sie bedeute die Parole das gleichberechtigte Leben aller Menschen in Palästina, bezogen auf das gesamte Gebiet, das von Israel besetzt sei. Sie habe die Parole am 10. April 2024 rufen wollen, um ihrer Meinungsfreiheit Ausdruck zu verleihen. Es sei ihr darum gegangen, gerade diese Parole zu verwenden, weil sie aus ihrer Sicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Dazu ergänzend hat ihre Prozessbevollmächtigte ausgeführt, es gehe darum, in der Öffentlichkeit über Palästina sprechen zu dürfen. Inzwischen müsse man sich dieses Recht in Deutschland einklagen. Konkret gehe es auch um das Recht, völkerrechtswidriges Handeln und die Verbrechen Israels anprangern zu dürfen. Die Parole sei vielmehr als allgemeine Solidaritätsbekundung der Palästina-solidarischen Menschen auf der Welt zu verstehen. Daher habe ein Dritter während der Versammlung auch nicht auf die Idee kommen können, dass die Parole im konkreten Fall Vernichtungsphantasien hervorrufe. Auf weitere Nachfrage hat die Klägerin bekundet, die diesbezügliche Diskussion, dass die in Rede stehende Parole auch als Kennzeichen von in Deutschland verbotenen Vereinigungen (HAMAS und Samidoun) verstanden werden könne, sei ihr bekannt. Sie selbst habe die Vereinigung PSDU auf jeden Fall unterstützt. Schließlich hat ihre Prozessbevollmächtigte ergänzend vorgebracht, ihnen sei nicht klar, wie ein unvoreingenommener Dritter bei der streitgegenständlichen Versammlung den Bezug zu PSDU, HAMAS oder Samidoun hätte herstellen sollen, zumal es eine relativ kleine Versammlung gewesen sei; ihm Übrigen sei es gerade keine HAMAS- oder Samidoun-Veranstaltung gewesen. In diesem Fall wären diese Menschen wohl auch schon festgenommen worden.
21Die Klägerin hat ursprünglich beantragt festzustellen, dass die in dem Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2024 enthaltenen Beschränkungen rechtswidrig gewesen sind, soweit die Ausrufe „From the river to the sea, [Palestine will be free], „Yallah Intifada“ und „Kindermörder Israel“ untersagt worden sind.
22In der mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin des Beklagten auf den gerichtlichen Hinweis, dass es insoweit an einer einzelfallbezogenen und tatsachengestützten Prognoseentscheidung fehlen dürfe, erklärt, die Klageanträge insoweit anzuerkennen, als die Beschränkungen in den Ziffern 3a) und 3c) der Polizeiverfügung vom 9. April 2024 hinsichtlich der Parolen „Yallah Intifada“ und „Kindermörder Israel“ rechtswidrig gewesen seien.
23Die Klägerin beantragt nunmehr,
24auf das Anerkenntnis des Beklagten hin festzustellen, dass die in dem Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2024 enthaltenen Beschränkungen für die Versammlung „Infostand zu Palästina“ am 10. April 2024 rechtswidrig gewesen sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzt haben, soweit die Ausrufe „Yallah Intifada“ und „Kindermörder Israel“ untersagt worden sind,
25sowie
26festzustellen, dass die in dem Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2024 enthaltene Beschränkung für die Versammlung „Infostand zu Palästina“ am 10. April 2024 rechtswidrig gewesen ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt hat, soweit der Ausruf „From the river to the sea, [Palestine will be free] (unabhängig davon, in welcher Sprache er getätigt wird)“ untersagt worden ist.
27Die Vertreterin des Beklagten bezieht sich bezüglich des Klageantrags hinsichtlich der Ausrufe „Yallah Intifada“ und „Kindermörder Israel“ auf ihr in der mündlichen Verhandlung erklärtes Anerkenntnis.
28Im Übrigen beantragt der Beklagte,
29die Klage abzuweisen.
30Unter Bezugnahme auf die Ausführungen in der Bestätigungsverfügung führt er ergänzend aus, die Strafbarkeit der Äußerung „From the river to the sea [Palestine will be free]“ in Rechtsprechung und Literatur werde nicht einheitlich bewertet. Es komme (auch) ein Verstoß gegen das Kennzeichenverbot nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 VereinsG wegen der Aufrechterhaltung bzw. Unterstützung eines vollziehbar verbotenen Vereins, namentlich der Organisation HAMAS in Betracht. Zu beachten sei, dass die vollziehbar verbotene und aufgelöste Vereinigung PSDU enge Verbindungen zu gleichgesinnten Vereinigungen, insbesondere zu Samidoun pflege und Herr L.W. im Vorjahr regelmäßig für die PSDU Versammlungen angezeigt habe. Bei dem Strafprozess vor dem Amtsgericht C. sei es gerade um die Äußerungen des Herrn L.W. bei einer Versammlung der PSDU gegangen, so dass die zu erwartende Verwendung der Parole vor diesem Hintergrund zu bewerten sei. Ferner sei zu beachten, dass die Klägerin für ihre Versammlungsanzeige ein veraltetes Formular verwendet habe, welches nicht mehr auf der Internetseite des Polizeipräsidiums (https:// duisburg.polizei.nrw/versammlungen) vorzufinden, aber zuvor bei Versammlungsanzeigen von der Vereinigung PSDU verwendet worden sei. Auch anhand des die Versammlung bewerbenden Flyers lasse sich eine Zusammengehörigkeit zwischen der verbotenen Organisation PSDU und der Klägerin feststellen. Es werde fortwährend in der „wir“-Form geschrieben. Auf dem Instagram-Kanal „palaestinasolidaritaetduisburg“ sei am 20. April 2024 – und damit im Nachgang zu der hier gegenständlichen Versammlung, aber darauf bezogen – mit der Headline/Überschrift „Anti-Arabischer Rassismus, Billigung von Antisemitismus & Zensur durch die Cer. Polizei“ und mit der Subline/Unterzeile „Prozessbericht Teil 2“ (beides in Versalien geschrieben) folgender Post veröffentlich worden:
31„Während unser Genosse L.W. drinnen in erster Instanz mit einer absurden Begründung verurteilt wurde, pöbelten die Beamten draußen herum & stellten ihren anti-arabischen Rassismus offen zur Schau. (…) Der Staat ist so lächerlich! Ein weiterer Beweis, wie rassistisch und heuchlerisch die Polizei und Gesellschaft“ sind.
32(…) „Zur Unterstützung unseres Genossen L.W. haben wir eine Mahnwache vor dem Gebäude des Amtsgerichts C. abgehalten. (…) Absurderweise drohte die Polizei uns sogar, als S. nach dem Ende der Verhandlung in einer spontanen Rede die beiden Parolen benannte, um den Umstehenden zu erklären, wieso er an diesem Tag vor Gericht stand. (…) Wir prüfen derzeit eine Feststellungsklage gegen den Auflagenkatalog.“
33Bei diesem Instagram-Post gehe es (auch) um die streitgegenständliche Bestätigungsverfügung, welche ausschließlich der Klägerin per E-Mail zugesandt und gegen die, wie im Instagram-Post angekündigt, vorliegende Klage eingereicht worden sei. Es sei bei der Bewertung der personellen Zusammenhänge zu beachten, dass auch dieser „Prozessbericht Teil 2“ in der „wir“-Form verfasst worden sei. Diesem Post könne ferner entnommen werden, dass unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung eine Rede mit den Ausrufen „From the river to the sea“ und „Yallah Intifada“ gehalten worden sei. Mithin sei im Vorfeld hinreichend dargelegt worden, dass die Verwendung der Parolen schließlich auch in strafbarer Weise erfolgen werde. Als Beleg dafür, dass die PSDU und damit auch die Klägerin Veröffentlichungen auf der Plattform Instagram bildlich und textlich mit positivem Bezug zum bewaffneten Kampf gegen Israel wiedergegeben hätten, werde auf den Instagram Beitrag vom 9. Oktober 2023 mit folgendem Inhalt Bezug genommen (zugleich Anlage 57 der I.-Verbotsverfügung vom 18. März 2024):
34„Gaza hat sich erhoben und seine Gefängnismauern gesprengt. Der Widerstand hat eine nie dagewesene Offensive gestartet & versetzt dem zionistischen Kolonialregime heftige Schläge! Überall auf der Welt feiern & unterstützen die Menschen diesen Aufstand. Das wollen wir auch tun! Kommt mit uns auf die Straße und demonstrieren wird unsere Solidarität mit den Menschen & dem Widerstand in Gaza & ganz Palästina! Von C. nach Gaza: Sieg der Intifada! Palästina wird sich befreien: vom Meer bis zum Fluss!“
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe:
37Die Klage hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
38I. Der Beklagte war nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 307, 313b ZPO seinem Anerkenntnis gemäß wie aus dem Tenor ersichtlich zu verurteilen.
39Es ist dem Beklagten auch im Verwaltungsprozess unbenommen, Klageansprüche anzuerkennen. Die Regelungen der Zivilprozessordnung über die Zulässigkeit eines Anerkenntnisurteils sind im Verwaltungsprozess entsprechend anzuwenden. Das Polizeipräsidium hat in der mündlichen Verhandlung das Anerkenntnis hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der in dem Bescheid vom 9. April 2024 enthaltenen Beschränkungen für die Versammlung „Infostand zu Palästina“ am 10. April 2024, soweit in Ziffer 3a) der Ausruf „Yallah Intifada“ und in Ziffer 3c) der Ausruf „Kindermörder Israel“ untersagt wurden, wirksam erklärt.
40Dabei lagen die für den Erlass eines Anerkenntnisurteils erforderlichen Sachurteilsvoraussetzungen vor.
41Vgl. hierzu BVerwG, Anerkenntnisurteil vom 27. September 2017 - 8 C 20.16 -, juris, Rn. 3.
42Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten beschränkenden Verfügungen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein.
43St. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 - 6 C 2.22 -, juris, Rn. 16, und vom 29. März 2017 - 6 C 1.16 -, juris, Rn. 29; VGH BW, Urteil vom 18. November 2021 - 1 S 803/19 -, juris, Rn. 30.
44In versammlungsrechtlichen Verfahren sind die für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage geltenden Anforderungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG anzuwenden. Ein solches ist dann anzunehmen, wenn eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitierungsinteresse besteht oder bei sich kurzfristig erledigenden, tiefgreifenden Eingriffen in die Versammlungsfreiheit, bei denen gerichtlicher Rechtsschutz in der Regel nicht rechtzeitig erlangt werden kann.
45Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 36; BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 - 6 C 2.22 -, juris, Rn. 16 ff., und vom 27. März 2024 - 6 C 1/22 -, juris, Rn. 23 m.w.N., Beschluss vom 29. Januar 2024 - 8 AV 1.24 -, juris, Rn. 10 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2016 - 15 A 1955/15 -, S. 3 des Entscheidungsabdrucks (n.v.); VG Düsseldorf, insoweit nahezu gleichlautende Urteile vom 10. April 2024 - 18 K 4774/21 -, juris, Rn. 55 ff., - 18 K 4927/21 -, juris, Rn. 75 ff., - 18 K 5786/21 -, juris, Rn. 70 ff., und vom 19. Februar 2020 - 18 K 17619/17 -, juris, Rn. 28.
46Unter dem letzteren Gesichtspunkt ist aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG in einer Demokratie die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes stets geboten, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, weshalb es keiner Klärung bedarf, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hinsichtlich des Hauptsacheverfahrens ist jedoch ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, dies aber infolge von beschränkenden Verfügungen nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Abzulehnen ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse demgegenüber dann, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben.
47Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 37 f.; OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2016 - 15 A 1955/15 -, S. 5 des Entscheidungsabdrucks (n.v.); VG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2020 - 18 K 17619/17 -, juris, Rn. 30.
48Nach diesen Grundsätzen kann hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Klägerin aufgrund der Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bzw. der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angenommen werden. Zwar standen die in dem streitgegenständlichen Bescheid verfügten und hier angegriffenen Beschränkungen der Durchführung der Versammlung am 10. April 2024 nicht entgegen. Sie beeinträchtigte jedoch die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung insofern wesentlich, als die genannten Äußerungen verboten wurden. Insbesondere vor dem Hintergrund des Versammlungsthemas „Infostand zu Palästina“ und der Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Versammlungsanliegen ist davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen beschränkenden Verfügungen die Versammlung in ihrem spezifischen Charakter veränderten.
49Die Klage ist insoweit auch begründet. Eine Sachprüfung findet gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 307, 313b ZPO nicht statt. Vielmehr ergeht das Anerkenntnisurteil zugunsten der Klägerin im Umfang des vom Beklagten erklärten Anerkenntnisses, auf das die Tenorierung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 313b Abs. 2 Satz 4 ZPO Bezug nimmt.
50II. Im Übrigen bleibt der Klage der Erfolg versagt, soweit diese auf die Feststellung gerichtet ist, dass die in dem Bescheid des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2024 enthaltene Beschränkung betreffend die Untersagung des Ausrufs „From the river to the sea, [Palestine will be free] (unabhängig davon, in welcher Sprache er getätigt wird)“ rechtswidrig gewesen ist.
511. Die Klage ist insoweit zunächst zulässig.
52Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, da sie sich gegen eine Beschränkung richtet, die sich zeitlich vor Klageerhebung erledigt hat. Die Klägerin ist als Adressatin der beschränkenden Verfügung entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO auch klagebefugt. Ferner hat sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen. Auch insoweit hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Untersagung der Parole „From the river to the sea, [Palestine will be free]“ habe sie wesentlich in ihrem kommunikativen Anliegen beeinträchtigt. Es sei ihr gerade darum gegangen, genau diesen Ausruf zu tätigen, weil dieser aus ihrer Sicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Ihr gehe es darum, in der Öffentlichkeit über Palästina sprechen zu dürfen. Inzwischen müsse man sich dieses Recht in Deutschland einklagen. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass das Verbot dieser Parole bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betraf, so dass insoweit von dem Bestehen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses auszugehen ist.
532. Die Klage ist jedoch unbegründet.
54Die von der Klägerin angegriffene Beschränkung in Ziffer 3a) der Bestätigungsverfügung vom 9. April 2024, wonach die Parole “From the river to the sea [Palestine will be free]“ weder geäußert noch auf Plakaten verwendet werden darf, war rechtmäßig und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog).
55Die angegriffene Beschränkung konnte das Polizeipräsidium auf den zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses der Bestätigungsverfügung maßgeblichen § 13 Abs. 1 Satz 1 des Versammlungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (Versammlungsgesetz NRW – VersG NRW) stützen.
56Die Beschränkung der vorstehenden Parole in Ziffer 3a) begegnet zunächst in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Insbesondere war das Polizeipräsidium gemäß § 32 VersG NRW i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 POG NRW i.V.m. § 1a) Nr. 7 der Verordnung über die Kreispolizeibehörden des Landes NRW für ihren Erlass zuständig.
57Die Beschränkung in der Bestätigungsverfügung vom 9. April 2024 in Ziffer 3a) in Form der Untersagung der Verwendung der Parole „From the river to the sea [Palestine will be free]“ und zwar „unabhängig davon, in welcher Sprache“ die Verwendung erfolgt, erweist sich auch als materiell rechtmäßig.
58Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren.
59Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst u.a. die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, deren Schutzgüter u.a. durch Strafgesetze gesichert sind. Die Vorschrift ist im Lichte der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit zu sehen, die für Versammlungen unter freiem Himmel in Art. 8 Abs. 2 GG einen Gesetzesvorbehalt vorsieht. Insoweit ist das nach Art. 8 Abs. 1 GG grundsätzlich bestehende Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über die Modalitäten der Versammlung beschränkt, soweit seine Ausübung zu Kollisionen mit Rechtsgütern anderer führt. Stehen sich verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter derartig gegenüber, ist ein Ausgleich im Wege praktischer Konkordanz herbeizuführen.
60Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 2005 - 1 BvQ 35/05 -, juris, Rn. 27.
61Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt vor, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder eine solche unmittelbar oder in allernächster Zeit mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.
62Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 20; HessVGH, Beschluss vom 14. Oktober 2023 - 2 B 1423/23 -, juris, Rn. 19; Schönenbroicher, in: Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, 2023, § 13 Rn. 3; Schönenbroicher, in: Schönenbroicher/Heusch, Gefahrenabwehrrecht NRW, 1. Aufl., 2023, § 1 OBG Rn. 37 m.w.N.
63Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, hat sich die Behörde auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen.
64Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 30. April 2022 - 15 B 562/22 -, juris, Rn. 6 ff. m.w.N., und vom 24. Mai 2020 - 15 B 755/20 -, juris, Rn. 9 ff. m.w.N.; siehe auch OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 63 ff.; VGH BW, Urteil vom 18. November 2021 - 1 S 803/19 -, juris, Rn. 63 f.; Schönenbroicher, in: Versammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, 2023, § 13 Rn. 3.
65Die Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde muss auf konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkten dafür beruhen, dass gerade die in Rede stehenden, mit einer versammlungsrechtlichen Beschränkung belegten Verhaltensweisen während der Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit sich bringen. Dies kann etwa durch das Benennen konkreter Referenzfälle auf vergangenen Versammlungen erfolgen. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, lediglich auf eine etwaig bestehende abstrakte Gefahr zu verweisen.
66Vgl. insoweit etwa OVG NRW, Beschluss vom 27. April 2017 - 15 B 491/17 -, juris, Rn. 23; VG Köln, Beschluss vom 21. September 2020 - 20 L 1693/20 -, juris, Rn. 22; VG Karlsruhe, Beschluss vom 16. August 2013 - 1 K 2068/13 -, juris, Rn. 12; VG Düsseldorf, Urteil vom 16. September 2021 - 18 K 7536/19 -, juris, Rn. 60.
67Als Vorgängerversammlungen in diesem Sinne sind in erster Linie diejenigen Veranstaltungen heranzuziehen, die bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.
68Dazu näher VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 - 18 L 3167/23 -, juris, Rn. 14 ff.
69Die Gefahrenprognose richtet sich dabei nach der ex ante-Sicht der Behörde. Insoweit kommt es auch weiterhin im Rahmen des § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW auf die Erkenntnisse der Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung an, wenngleich dies auch – im Gegensatz zu § 15 Abs. 1 VersG – nicht mehr ausdrücklich in der Norm statuiert wird.
70Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung – Gesetz zur Einführung eines nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften (VersammlungsgesetzEinführungsgesetz NRW – VersGEinfG NRW), LT-Drs. 17/12423, S. 65; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 18 L 1119/22 -, n.v., m.w.N.
71Soweit versammlungsrechtliche Beschränkungen mit dem Inhalt der während der Versammlung zu erwartenden Meinungsäußerungen – wie hier dem Verbot, die Parole „From the river to the sea [Palestine will be free]“ weder zu äußern noch auf Aufschriften zu verwenden – begründet werden, ist zudem die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG zu berücksichtigen. Soweit der Inhalt von Meinungsäußerungen im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG nicht unterbunden werden darf, kann eine solche auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG beschränken.
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 13, und vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 7 ff. unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 21 und 26, und vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris, Rn. 19 und 22 f.; so auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 - 18 L 3167/23 -, juris, Rn. 26.
73Der Inhalt von Meinungsäußerungen als solcher ist versammlungsrechtlich nur relevant, wenn es sich um Äußerungen handelt, die einen Straftatbestand erfüllen. Werden die entsprechenden Strafgesetze missachtet, liegt darin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit.
74Vgl. insoweit OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1322/23 -, juris, Rn. 10, und vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 9 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 27 ff.
75Die Strafgesetze sind allerdings ihrerseits im Lichte von Art. 8 GG und Art. 5 GG auszulegen und anzuwenden. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben sich darüber hinaus spezifische Anforderungen bereits an die der Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze vorgelagerte tatrichterliche Interpretation umstrittener Äußerungen. Maßgeblich bei der Ermittlung des Inhalts einer Meinungsäußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat.
76BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476, 1980/91 u. a. -, juris; siehe auch BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris, Rn. 29 m. w. N.
77Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der in Art. 5 Abs. 2 GG bezeichneten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche einzelfallbezogene Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist. Daher stellt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwendung meinungsbeschränkender Gesetze, sondern auch an die Erfassung und Würdigung der Äußerung selbst. Anders lässt sich ein wirksamer Schutz der Meinungsfreiheit nicht gewährleisten. Dazu gehört es auch, dass Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne Weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden dürfen. Vielmehr muss den Einzelfallumständen entnommen werden, ob eine alltagssprachliche oder technische Begriffsverwendung vorliegt. Auslegungsfähige Äußerungen sind dabei nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu bewerten. Verbleiben Zweifel am Inhalt der Äußerung bzw. ist sie mehrdeutig, gebietet eine am Grundrecht der Meinungsfreiheit ausgerichtete Auslegung, auf die günstigere, mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbare Deutungsmöglichkeit abzustellen.
78Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. August 1994 - 1 BvR 1423/92 -, juris, Rn. 21 m.w.N., und vom 9. November 2022 - 1 BvR 523/21 -, juris, Rn. 15; OVG NRW, Beschlüsse vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 30, und vom 6. Mai 2022 - 15 B 584/22 -, juris, Rn. 15. Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris, Rn. 30.
79Konkret bedeutet dies, dass bei der Beurteilung der Frage, ob eine Meinungsäußerung als Straftat zu verstehen ist, zuvor ihr objektiver Sinngehalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist. Dabei darf ihr im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit keine Bedeutung beigelegt werden, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit darf – wie oben ausgeführt – nur dann von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können.
80BVerfG, Beschluss vom 28. März 2017 - 1 BvR 1384/16 -, juris, Rn. 17. In Bezug auf den Tatbestand der Volksverhetzung - der hier insoweit nicht zum Tragen kommen wird - siehe: BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris, Rn. 29 ff.
81Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die von der Klägerin angegriffene Beschränkung in Ziffer 3a) der Bestätigungsverfügung vom 9. April 2024, wonach die Parole “From the river to the sea [Palestine will be free]“ weder geäußert noch auf Plakaten verwendet werden darf, als rechtmäßig.
82Die Kammer wertet die Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums nach Würdigung sämtlicher Erkenntnisse sowie aufgrund des gewonnenen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung insoweit als tragfähig. Denn das Polizeipräsidium hat zum Zeitpunkt des Erlasses der beschränkenden Verfügung dargelegt, dass in der für den 10. April 2024 geplanten Versammlung eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten sein wird. Insbesondere hat es hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass die Parole “From the river to the sea [Palestine will be free]“ während der von der Klägerin angemeldeten Versammlung in strafbarer Weise Verwendung finden werde.
83a) Die Kammer sieht sich angesichts der aktuellen (rechts-) politischen Diskussion zu der ausdrücklichen Klarstellung veranlasst, dass das Verwenden der Parole “From the river to the sea [Palestine will be free]“ nicht per se strafbar ist. Ob ihr Ausruf allerdings – wie das Polizeipräsidium meint – (gerade) in den Anwendungsbereich der Straftatbestände der §§ 111, 130, 140 StGB fällt, bedarf vorliegend keiner Klärung.
84Siehe zum Ganzen VGH BW, Beschlüsse vom 3. April 2023 - 2 S 496/24 -, juris, Rn. 7, und vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 11, 23 [„Das Äußern dieser Parole ist mit anderen Worten keineswegs generell strafbewehrt.“]; OVG Bremen, Beschluss vom 30. April - 1 B 163/24 -, juris, Rn. 22 ff., 29 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2024 - 1 L 261/24 -, juris, Rn. 13. Von der fehlenden Strafbarkeit ebenfalls ausgehend VG Berlin, Urteil vom 23. August 2023 - 24 K 7/23 -, juris, Rn. 34 ff. mit ausführlicher Begründung; vgl. auch HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 - 8 B 560/24 u.a. -, juris, Rn. 20 ff.; LG V., Beschluss vom 29. Mai 2024 - 5 Qs 42/23 -, juris, Rn. 9. Zur Literatur siehe Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – Parole „From the river to the sea“, NJW 2024, 1780/1781 [„regelmäßig nicht strafbar“]); siehe auch Steinberg, Versammlungsfreiheit nach dem 7. Oktober, NVwZ 2024, 302 ff.; Kalscheuer, Anm. zu VGH Kassel, Beschluss vom 22. März 2024, NVwZ 2024, 851 ff.; Jendrusch, From the river to the sea – Zur Kritik am VGH Kassel, NVwZ 2024, 1069 ff.; siehe auch „Eine Frage an Thomas Fischer: Ist Jubel über Terror strafbar?“, LTO-online, 16. Oktober 2023 (abgerufen am 24. September 2024); Hahne, Pro-Palästinensische Demonstrationen im Lichte des Versammlungsrechts, NVwZ, 1793 ff.; „Terrorparole oder Slogan der Freiheit?“, FAZ vom 13. Juni 2024, S. 8.
85Entgegen der Ansicht der Klägerin entfalten strafrechtliche Urteile oder Beschlüsse,
86wie etwa der ausdrücklich von der Klägerin mehrfach in Bezug genommene Beschluss des LG V., Beschluss vom 29. Mai 2024 - 5 Qs 42/23 -, juris,
87im hiesigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem – anders als im Strafrecht – der Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr im konkreten Einzelfall zu beachten ist, keine Bindungswirkung und sind vor dem Hintergrund des abweichenden rechtlichen Maßstabs auch nicht übertragbar.
88Zitiert nach VG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2024 - 1 L 261/24 -, juris, Rn. 13 unter Bezugnahme auf VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 14 f. m.w.N.
89Soweit in außerstrafrechtlichen Gesetzen nicht ausnahmsweise ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, sind andere Gerichte – darunter Verwaltungsgerichte – an strafrechtliche Erkenntnisse nicht gebunden (arg. e § 173 VwGO).
90So ausdrücklich VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 15 unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 25. September 1975 - V B 9.75 -, juris, Rn. 4 m. w. N.
91Hinzu kommt, dass nach dem vorstehend dargelegten Maßstab jeweils die konkreten Umstände des Einzelfalles zu würdigen sind und die hier streitgegenständliche Versammlung aufgrund der zeitlichen Koinzidenz zu dem Strafverfahren vor dem Amtsgericht C. in einen völlig anderen, eher atypischen Kontext eingebettet ist.
92b) Jedenfalls lagen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass im Rahmen der für den 10. April 2024 angemeldeten Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Strafnormen des §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 1, Abs. 2 StGB bzw. gegen das vereinsrechtliche Kennzeichenverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG verstoßen und damit Straftaten nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG begangen würden.
93Nach § 86a Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3 StGB) verwendet. Gemäß § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB sind Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Nach § 86a Abs. 3 StGB gilt u. a. § 86 Abs. 4 StGB entsprechend. Die zuletzt genannte Vorschrift bestimmt, dass die Absätze 1 und 2 (des § 86 StGB und entsprechend des § 86a StGB) nicht gelten, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.
94Die Regelungen des §§ 86, 86a StGB stellen keine gegen individuelle Meinungsäußerungen gerichtete Tatbestände dar. Es handelt sich um Staatsschutzdelikte im Sinne von „mittelbaren Organisationsdelikten“, die als abstrakte Gefährdungsdelikte eine inhaltliche Werbung für die Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen verhindern wollen.
95Vgl. Fischer, StGB, Kommentar, 71. Aufl., 2024, § 86 Rn. 2, § 86a, Rn. 2.
96Vorliegend sind in Bezug auf die Terrororganisation HAMAS die gegenüber dem § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG vorrangigen Strafnormen des §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 1, Abs. 2 StGB deshalb in Betracht zu ziehen, weil die HAMAS auf der sog. EU-Terrorliste als terroristische Organisation gelistet und daher als Vereinigung im Sinne von §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. 86 Abs. 2 StGB anzusehen ist. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Verbotsverfügung des BMI vom 2. November 2023 betreffend die HAMAS noch nicht unanfechtbar im Sinne vom §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist.
97Siehe zur der Listung nur EuGH, Urteil vom 23. November 2021 - C-833/19 P -, juris. Zu den näheren Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 StGB und zum Verhältnis zur nebenstrafrechtlichen Norm des § 20 VereinsG siehe Ellbogen, in: v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, BeckOK StGB, 62. Edition, Stand: 1. August 2024, § 86, Rn. 21 ff.
98Die gegenüber § 86a StGB subsidiäre Norm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG,
99was ausdrücklich aus § 20 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs. VereinsG folgt,
100stellt die Verwendung von Kennzeichen eines (bislang lediglich) vollziehbar verbotenen Vereins – wie hier Samidoun – in einer Versammlung unter Strafe; hierbei gilt § 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 VereinsG entsprechend (§ 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG). Das in § 9 VereinsG geregelte und mit § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG unter Strafe gestellte Kennzeichenverbot ist danach untrennbar mit einem Vereinsverbot verknüpft, das als Instrument präventiven Verfassungsschutzes auf den Schutz von Rechtsgütern hervorgehobener Bedeutung zielt. Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Kennzeichenverbot das legitime Ziel, abstrakte Gefahren abzuwehren, die mit den Kennzeichen verbunden sind, und ein Vereinsverbot auch tatsächlich durchzusetzen. Dazu verbannt er die Kennzeichen eines vollziehbar verbotenen Vereins aus der Öffentlichkeit.
101Zitiert nach OVG NRW, Beschluss vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 67; siehe dazu auch BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2020 - 1 BvR 2067/17 -, juris, Rn. 27 ff. m. w. N.
102In Anbetracht der in der Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums dargelegten Gesamtumstände war aus ex-ante-Sicht zu befürchten, dass die Voraussetzungen der vorstehenden Straftatbestände durch Teilnehmer der von der Klägerin angemeldeten Versammlung erfüllt werden. Die Parole „From the river to the sea“ stellt ein verbotenes Kennzeichen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG (i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG) der Vereinigung Samidoun dar [hierzu unter aa)]. Zudem stellt sie ein verbotenes Kennzeichen im Sinne von § 86a Abs. 2 StGB i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB der Terrororganisation HAMAS dar [hierzu unter bb)]. Es war in der streitgegenständlichen Versammlung auch mit dem Skandieren der Parole zu rechnen [hierzu unter cc)], ohne dass diese Verwendung in einer ausnahmsweise nach § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG bzw. § 86a Abs. 3 StGB i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB erlaubten Weise, d.h. zu „sozialadäquaten" Zwecken erfolgen werde [hierzu unter dd)].
103aa) Die Parole „From the river to the sea“ stellt ein Kennzeichen i.S.d. § 9 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 VereinsG des mit Verbotsverfügung des BMI vom 2. November 2023 vollziehbar verbotenen Vereins Samidoun dar.
104Dies folgt indes nicht bereits aus der Verbotsverfügung des BMI selbst. Soweit die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ (auf Deutsch oder in anderer Sprache) in Ziffer 5, letzter Satz, der Verbotsverfügung ausdrücklich als verbotenes Kennzeichen von Samidoun aufgeführt ist, handelt es sich nicht um ein konstitutives Verbot. Denn das Kennzeichenverbot ist als ein gesetzliches Verbot ausgestaltet, das durch die Verbotsverfügung selbst als gesetzliche Rechtsfolge des Verbots ausgelöst wird, ist aber keine „Umsetzung" der Verbotsverfügung und muss in dieser folglich auch nicht konstitutiv ausgesprochen werden. Eine entsprechende Wiedergabe in einer Verbotsverfügung weist daher keinen regelnden Charakter auf. Dem entspricht es, dass Verstöße gegen das Kennzeichenverbot einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit, namentlich gegen Vorschriften des Vereinsgesetzes darstellen. Bei der ausdrücklichen Erwähnung der Parole in der Verbotsverfügung handelt sich somit (lediglich) um einen deklaratorischen Hinweis auf ein gesetzesunmittelbares Verbot.
105Vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018 - 1 VR 14.17 -, juris, Rn. 17 f.; BayVGH, Beschluss vom 26. Juni 2024 - 10 Cs 1062/24 -, juris, Rn. 27; vgl. Albrecht, in: Albrecht/Roggenkamp, Vereinsgesetz, Kommentar, 2. Auflage, 2024, § 3 Rn. 21.
106Ungeachtet der Benennung der Parole „Vom Fluss bis zum Meer (auf Deutsch oder in anderer Sprache)“ in der Verbotsverfügung bedarf es somit einer konkreten Zuordnung zu der verbotenen Vereinigung als ihr Kennzeichen. Dies ist nach Ansicht der Kammer in Bezug auf Samidoun der Fall.
107Zunächst ist der Begriff des Kennzeichens nicht legal definiert. Zwar nimmt die Strafvorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG auf § 9 Abs. 2 VereinsG Bezug. Dort findet sich allerdings keine allgemein gültige Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. Vielmehr werden lediglich beispielhaft insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformeln als Kennzeichen genannt. In der Rechtsprechung werden als Kennzeichen im Sinne von § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG – ebenso wie für § 86a Abs. 2 StGB – optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist. Intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken. Die öffentliche Verwendung der Vereinskennzeichen ist danach ein Beitrag zur Erhaltung des Bestands einer Vereinigung, zudem Mitgliederwerbung und Selbstdarstellung.
108Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2020 - 1 BvR 2067/17 -, juris, Rn. 29; BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2024 - 6 B 3.24 -, juris, Rn. 11 m.w.N. zur Rechtsprechung insb. des BGH; OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 70 ff.; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, juris, Rn. 13, m.w.N.
109Für die Kennzeicheneigenschaft ist es unerheblich, ob das Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen einer bestimmten Vereinigung oder Organisation besitzt und ob das Kennzeichen mehrdeutig ist und deshalb auch in unverfänglichen Zusammenhängen Verwendung findet.
110VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 18; Ellbogen in: v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, BecKOK StGB, 61. Ed., § 86a Rn. 4 m.w.N.
111Ausreichend ist, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol – etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung – derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint, ohne dass es auf eine Unverwechselbarkeit des Kennzeichens ankommt. Ob dieses auch von anderen, nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft daher ohne Bedeutung. Auch kommt es für die Kennzeicheneigenschaft grundsätzlich nicht darauf an, unter welchen Umständen das Kennzeichen gezeigt wird; ebenso ist die Absicht des Handelnden nicht von Bedeutung. Denn andernfalls würden in die Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, letztlich die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen; eine solche Gesamtbetrachtung ist indes wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen. Ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein.
112Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 51, und Urteil vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 72; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, juris, Rn. 13, m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 14. Juli 2022 - 206 StRR 27/22 -, juris, Rn. 23; OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2005 - 1 A 144/05 -, juris, Rn. 22.
113Gemessen daran stellt die Parole „From the river to the sea“ ein Kennzeichen des seit dem 2. November 2023 vollziehbar verbotenen Vereins Samidoun dar. Wie vorstehend ausgeführt ist dabei ohne Bedeutung, dass auch andere Vereinigungen oder Personen diese Parole nutzen, die als zunächst geografische Aussage mit gänzlich unterschiedlichen politischen Stellungnahmen bzw. Forderungen verbunden werden kann und ihrerseits grundsätzlich mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt.
114Vgl. etwa SächsOVG, Beschluss vom 27. Juli 2024 - 1 B 116/24 -, juris, Rn. 24 f. (zu verstehen „als Chiffre für die Vernichtung Israels und damit strafbar verbotenes Kennzeichen der Terrororganisation HAMAS“); siehe zu den unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten auch OVG Bremen, Beschluss vom 30. April 2024 - 1 B 163/24 -, juris, Rn. 23 m.w.N.; HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 - 8 B 560/24 -, juris, Rn. 21 m.w.N.; VG Berlin, Urteil vom 23. August 2023 - 24 K 7/23 -, juris, Rn. 35 ff. m.w.N.; LG V., Beschluss vom 29. Mai 2024 - 5 Qs 42/23 -, juris, Rn. 11 ff. m.w.N.
115Denn unabhängig davon, ob auch andere Vereinigungen oder Personen diese Parole nutzen, was unter anderem in den von der Klägerin vorgelegten Aufsätzen im Einzelnen dargestellt wird, hat sich nach Ansicht der Kammer jedenfalls (auch) Samidoun diesen Slogan durch ständige Übung zu eigen gemacht. So wird diese Parole von sämtlichen Chaptern Samidouns immer wiederkehrend bei unterschiedlichen Veranstaltungen und Versammlungen sowie in den sozialen Medien und sonstigen Internetauftritten und Beiträgen genutzt. Dies ergibt sich aus nachfolgenden Erkenntnissen, die die Kammer aus öffentlich zugänglichen Quellen gewinnen konnte, wobei zu beachten ist, dass die Erkenntnisse diese Einschätzung bereits zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Beschränkungsverfügung vom 9. April 2024 stützten. Nachfolgend gewonnene Erkenntnisse (jeweils zuletzt abgerufen am 24. September 2024) verhärten dabei lediglich die Einschätzung der Kammer. Im Einzelnen gilt Folgendes:
116Samidoun wurde im Herbst 2011 von Khaled Barakt, einem der im Ausland lebenden führenden Köpfe des Zentralkomitees der im Jahr 1967 gegründeten und seit 2002 von der Europäischen Union als Terrororganisation gelisteten „Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP)“, in den U.S.A. als Website gegründet. Dessen Ehefrau Charlotte Kates ist die aktuelle internationale Koordinatorin von Samidoun.
117Vgl. Verfassungsschutzbericht 2023 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, S. 285, 304; https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/240418_vsb2023_online_0.pdf, S. 216 ff.; https://www.gefangenen.info/3983/samidoun-heisst-standhaft-teil-1/.
118Anlass für die Gründung von Samidoun waren Hungerstreiks von in Israel inhaftierten PFLP-Angehörigen, mit denen diese ihre Haftbedingungen verbessern wollten. Samidoun konzentrierte sich mithin ursprünglich auf die Forderung nach der Freilassung von Palästinenserinnen und Palästinensern, die – häufig aufgrund von Verbindungen zur terroristischen PFLP – inhaftiert waren. Die mit der Gründung von Samidoun neu geschaffene Website diente somit zunächst dazu, Nachrichten und Stellungnahmen der palästinensischen Gefangenenbewegung in verschiedenen Sprachen zu veröffentlichen und so weltweit zu verbreiten.
119Vgl. den Internetauftritt von Samidoun International unter https://samidoun.net/ und https://samidoun.net/about-samidoun/: „We work to raise awareness and provide resources about Palestinian political prisoners, their conditions, their demands, and their work for freedom for themselves, their fellow prisoners, and their homeland. We also work to organize campaigns to make political change and advocate for Palestinian prisoners’ rights and freedoms.“
120Im Laufe der Zeit gründeten sich 23 Ortsgruppen (sog. Chapter) in 13 verschiedenen Ländern (vordringlich in Nordamerika und Europa) mit gebietsverantwortlichen Funktionären, die allesamt unter der Dachorganisation von Samidoun stehen und dieselben Ziele verfolgen.
121Vgl. den Internetauftritt von Samidoun unter https://samidoun.net/ und den dortigen Reiter „Chapters“ sowie https://samidoun.net/about-samidoun/: „Samidoun Palestinian Prisoner Solidarity Network has chapters and affiliates in the United States, Canada, Germany, Britain, France, Sweden, the Netherlands, Belgium, Greece, Spain, Palestine and Lebanon and we work with groups around the world. Would you like to form a local chapter or become an affiliate? Contact us at samidoun@samidoun.net.“
122Das Chapter Samidoun Deutschland trat in Deutschland erstmals im Jahr 2019 öffentlich in Erscheinung,
123vgl. Verfassungsschutzbericht 2023 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, S. 285,
124dessen Koordinator Herr Zid Tamin alias Zaid Abdulnasser war.
125Vgl. https://samidoun.net/2023/09/standwithzaid-campaign-grows-with-international-and-german-events-230-endorsers/; https://www.welt.de/politik/deutschland/plus248962336/Palaestinenser-mit-Doppelleben-Und-nach-Feierabend-hetzt-er-gegen-Israel.html; https://www.rf-news.de/2023/kw38/nein-zur-repression-gegen-zaid-abdulnasser-und-samidoun.
126Samidoun Deutschland hatte vor dem Verbot geschätzt 50 Anhänger und wurde von dem vom Verfassungsschutz des Bundes als linksextrem eingestuften Rote Hilfe e.V. unterstützt, der seine Kontoverbindung für diverse Samidoun-Aktionen zur Verfügung stellte.
127Vgl. https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/240418_vsb2023_online_0.pdf, S. 216; https://email.samidoun.net/emailblasts/w/Bcse892gTbj9Sp0xOOnNjkow/lE5n3OCZ07n9QMwSsnNHcA/BnGVvCCzy9Enu1X9V6vjpw.
128Auch die Arbeit von Samidoun entwickelte sich in den Folgejahren weiter. Neben dem bloßen virtuellen Teilen von Informationen auf der Website von Samidoun wurden zunehmend auch pro-palästinensische Solidaritätsaktionen in Form von Versammlungen, Vorträgen und sonstigen Kampagnen in den verschiedenen Chaptern organisiert.
129Vgl. die Selbstbeschreibung von Samidoun International unter https://samidoun.net/about-samidoun/ sowie https://samidoun.net/category/take-action/ und https://samidoun.net/category/events/ mit zahlreichen Beispielen für pro-palästinensische Solidarisierungsaktionen.
130Samidoun bedient sich zur Verbreitung von Informationen und seiner Ideologie insbesondere der sozialen Medien. Neben der Forderung nach der Freilassung von palästinensischen Gefangenen besteht das vordringliche Ziel in der grundsätzlichen und globalen Unterstützung eines sog. „Widerstands- bzw. Befreiungskampfes“ gegen die aus dortiger Sicht bestehende „Besatzung“ Palästinas durch den Staat Israel. Samidoun fordert die Errichtung eines palästinensischen Staates vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer, welcher auch das Staatsgebiet Israels umfasst. Ideologisch entsprechen die Positionen von Samidoun denen der PFLP, welche zunächst als Dachorganisation für marxistisch-leninistische und arabisch-nationalistische Organisationen gegründet worden war und nach ihrer Selbstsicht nicht nur für die Befreiung anderer arabischer Staaten von reaktionären Regimen kämpft, sondern auch für die „Zerschlagung des Zionismus“ und gegen den „westlichen Imperialismus“. Die PFLP bestreitet das Existenzrecht Israels, propagiert offen den bewaffneten Kampf gegen Israel und sucht den Schulterschluss mit anderen den Staat Israel bekämpfenden Organisationen, wie etwa der HAMAS und der „Hizb Allah“. Ihre antisemitische Agitation ist stark antizionistisch geprägt. Die PFLP verfolgt das Ziel des Aufbaus eines palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästina vor Gründung des jüdischen Staates Israel mit Jerusalem als Hauptstadt. Dieses Ziel soll durch die Beseitigung der „zionistischen Besatzung“ realisiert werden. Angesichts dieser klaren ideologischen Parallelen zwischen Samidoun und PFLP ist Samidoun in Israel seit 2021 als Teil des Auslandsnetzwerkes der terroristischen PFLP als Terrororganisation eingestuft.
131Vgl.: Verfassungsschutzbericht 2023 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, S. 185, 198, 284 ff.; 303 ff.; https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/240418_vsb2023_online_0.pdf, S. 60, 216 ff.; https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/auslandsbezogener-extremismus/samidoun.html; https://www.gefangenen.info/3983/samidoun-heisst-standhaft-teil-1/; https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/samidoun-tarnung-fuer-terror-106121/; https://www.belltower.news/samidoun-tarnung-fuer-terror-153123/.
132Mit Blick darauf, dass – wie ausgeführt – sämtliche Chapter regionale Vertretungen von Samidoun darstellen, und diese allesamt dasselbe, vorstehend beschriebene ideologische Ziel verfolgen, können nach Auffassung der Kammer für die Frage der Kennzeichenzuordnung auch Verlautbarungen von anderen Chaptern als Samidoun Deutschland herangezogen werden.
133Nach Würdigung der gewonnenen Erkenntnisse geht Samidoun bei der Verwendung der Parole „From the river to the sea“ von dem Verständnis aus, dass Palästina von der – aus dortiger Sicht – illegalen israelischen Besatzung befreit werden und das palästinensische Volk das gesamte ursprüngliche Gebiet Palästinas vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer, d.h. in den Grenzen vor der Errichtung des jüdischen Staates Israel, mit anderen Worten unter Beseitigung des Staates Israel, zurückerhalten müsse. Diesem Begriffsverständnis liegt zu Grunde, dass Samidoun die politische Analyse und das Verständnis der Palästinensischen Nationalcharta vom 17. Juli 1968 teilt.
134Vgl.https://bgakasselblog.wordpress.com/wp-content/uploads/2014/06/palaestinensische_nationalcharta.pdf; https://www.gefangenen.info/3983/samidoun-heisst-standhaft-teil-1/.
135Diese Charta verankert im Kern den bewaffneten Kampf gegen Israel als Methode mit dem Ziel der Auslöschung des Staates Israel. Danach ist Palästina innerhalb der Grenzen, die es zur Zeit des britischen Mandats hatte, eine unteilbare territoriale Einheit (Art. 2) und ist der bewaffnete Kampf der einzige Weg zur Befreiung Palästinas und zur Rückkehr des palästinensischen Volkes in dieses Land (Art. 9). Dabei bilden Guerillaaktionen den Kern des Befreiungskrieges des palästinensischen Volkes (Art. 10) und sind die arabische Einheit und die Befreiung Palästinas zwei sich ergänzende Ziele; die arabische Einheit führt danach zur Befreiung Palästinas und die Befreiung Palästinas führt zur arabischen Einheit (Art. 13). Ausweislich der Charta sind die Teilung Palästinas im Jahr 1947 und die Schaffung des Staates Israel völlig illegal, und zwar ohne Rücksicht auf den inzwischen erfolgten Zeitablauf, denn sie standen im Gegensatz zu dem Willen des palästinensischen Volkes (Art. 19). Gleichsam werden die Balfour-Erklärung, das Palästinamandat und alles, was sich darauf stützt, für unrecht erachtet und stimmen Ansprüche der Juden auf historische und religiöse Bindungen mit Palästina nicht mit den geschichtlichen Tatsachen überein (Art. 20). Nach dem Verständnis der Charta ist der Zionismus eine politische Bewegung rassistischer und fanatischer Natur, die organisch mit dem internationalen Imperialismus verbunden sei; seine Ziele seien aggressiv, expansionistisch und kolonialistisch, seine Methoden seien faschistisch. Israel sei eine ständige Quelle der Bedrohung des Friedens im Nahen Osten und in der ganzen Welt (Art. 22). Der Zionismus sei als rechtswidrige Besetzung anzusehen, seine Existenz zu ächten und seine Tätigkeit zu verbieten (Art. 23).
136Auf der Grundlage dieses Verständnisses war Samidoun bis zu dem Verbot des deutschen Chapters mit Verfügung des BMI vom 2. November 2023 aktiv.
137Vgl. etwa https://samidoun.net/2023/10/berlin-rally-for-palestine-confronts-police-repression-from-the-river-to-the-sea-palestine-will-be-free/: Titel „Berlin rally for Palestine confronts police repression: From the river to the sea, Palestine will be free!“ sowie „After speeches in support of Kayed Fasfous’ hunger strike, about the repression in Germany and the campaign against it, the demonstrators chanted repeatedly in support of the prisoners, the resistance, and for the liberation of Palestine, from the river to the sea. … The demonstrators expressed their absolute refusal of these demands and declared clearly and repeatedly “from the river to the sea, Palestine will be free”, with the clear understanding that this is the most central principal in the Palestinian struggle for liberation and return, and that they will not be silenced, even if the police attack and ban the rally. … We declare now, and will always affirm: From the river to the sea, Palestine will be free!“
138https://samidoun.net/2024/09/freedom-tunnel-to-al-aqsa-flood-prisoners-resistance-and-liberation/: „… Similarly, it is clear that alongside the Battle of Seif al-Quds/the Unity Intifada, the Freedom Tunnel … is one of the immediate forebears of 7 October 2023. The light of liberation that shone from the Freedom Tunnel has become a burning sun of the Palestinian revolution, casting away all illusions and exposing the friends and enemies of the Palestinian people, unquenchable until victory and liberation, from the river to the sea.“
139https://samidoun.net/2024/05/samidoun-statement-on-the-international-criminal-court-the-resistance-and-justice-for-palestine/: Beitrag von Samidoun International vom 20. Mai 2024 über eine Demonstration von Samidoun, bei der ein großes Banner mit dem Slogan „From the river to the sea“ zu sehen ist; am Ende des Artikels heißt es „Imperialism and Zionism will be defeated, and from the river to the sea, Palestine will be free.“
140https://samidoun.net/2024/07/glory-to-the-martyr-ismail-haniyeh-palestinian-leader-assassinated-in-zionist-attack/: Beitrag anlässlich des Todes des HAMAS-Anführers Ismail Haniyeh am 31. Juli 2024 mit dem Titel „Glory to the martyr: Ismail Haniyeh, Palestinian leader, assassinated in Zionist attack“, in dem es am Ende heißt: „Glory to the martyr Ismail Haniyeh and all the martyrs of Palestine and the Resistance. Return, liberation and victory to Palestine, all of Palestine, from the river to the sea.“
141https://samidoun.net/2024/07/take-action-august-3-join-the-international-day-of-action-for-gaza-and-the-prisoners/; der Artikel ist mit einer Abbildung des palästinensischen Gebietes in seiner Form von vor 1948 – d.h. ohne den jüdischen Staat Israel – in einem auf dem Kopf stehenden roten Dreieck (= Kennzeichen von HAMAS für den bewaffneten palästinensischen Widerstand) überschrieben und enthält an zahlreichenden Stellen die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“;
142https://samidoun.net/2023/08/victory-for-palestine-in-dutch-court-from-the-river-to-the-sea-palestine-will-be-free/;
143https://samidoun.net/2023/05/15-may-boston-nakba75-liberate-the-land-from-the-river-to-the-sea/;
144https://samidoun.net/2023/03/land-day-2023-from-the-river-to-the-sea-palestine-will-be-free/;
145https://samidoun.net/2023/02/samidoun-brussels-event-highlights-palestinian-liberation-from-the-river-to-the-sea/;
146https://samidoun.net/2022/05/22-may-vancouver-stand-for-palestine-from-the-river-to-the-sea-palestine-will-be-free/;
147https://samidoun.net/2020/08/video-samidouns-mohammed-khatib-from-the-river-to-the-sea-palestine-will-be-free/;
148https://samidoun.net/2020/05/video-liberate-palestine-from-the-river-to-the-sea-webinar-with-khaled-barakat/;
149u.v.m., siehe https://samidoun.net/page/3/?s=from+the+river+;
150https://kommunistische-organisation.de/podcast/repression-gegen-palaestina-solidaritaet-interview-mit-zaid-abdulnasser/ und https://www.gefangenen.info/3981/radiointerview-mit-zaid-abdulnasser/: Radiointerview (in Printversion) vom 7. November 2023 mit Zaid Abdulnasser., ehemaliger Samidoun Deutschland Koordinator: „Wir wollen ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer. … Es gibt keine Lösung für Palästina, ohne diese Besatzung zu zerschlagen. … Die Befreiung vom Fluss bis zum Meer ist nicht verhandelbar. … Es braucht jetzt diese klare Position: der palästinensische Widerstand ist legitim und der palästinensische Widerstand ist das einzige, was das palästinensische Volk verteidigen kann. … Wir sind für die Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer.“
151https://www.ngo-monitor.org/ngos/samidoun/: „Our responsibility is to support the right of the Palestinian people to defend themselves by all means within their reach from extermination to liberation and return to a free Palestine from the Jordan River to the Mediterranean Sea“ sowie „Zionism will be defeated, and from the river to the sea, Palestine will be free.“
152https://www.ngo-monitor.org/reports/global-samidoun-network/: „The heroic Palestinian resistance has opened a chapter of battles of dignity and pride at the dawn of October 7, 2023…From the river to the sea, Palestine will be free.” (Samidoun Chapter Spanien); “Solidarity with the Palestinian resistance for Palestinian liberation from the river to the sea.” (Samidoun Chapter Niederlande); “From the river to the sea, Palestine will be free” (Samidoun International Coordinator Charlotte Kates., Ehefrau von Khaled Barakat, Gründer von Samidoun und ehemaliges PLFP-Mitglied, am 15. November 2023 in Kanada; “There is a need to announce a clear position against the existence of the Zionist regime in its entirety, in Palestine, from the river to the sea, and to seriously work on supporting the resistance in Palestine and Lebanon, without stuttering or confusion and to annul the so-called ‘terror lists’ in Canada…” and “attacked Canadian laws that criminalize the Palestinian and Lebanese resistance and addressed Canadian security organs and the Canadian prime Minister Justin Trudeau and said ‘We publicly state from here our support of the armed resistance in Palestine and Lebanon and we are not afraid of you.’” (Khaled Barakat, führendes Samidoun International Mitglied und früheres PFLP Mitglied bei einer Demonstration von Samidoun in Vancouver, Kanada, am 15. Mai 2023); “We say loud and clear that Israel has no right to exist, not a millimeter…we support the resistance until all of Palestine is free…From the river to the sea Palestine will be free.” (Hofland, Samidoun Niederlande Koordinator am 22. Mai 2022 bei einer Demonstration in den Niederlanden);
153Monitoring „Mobilisierungen von israelbezogenem Antisemitismus im Bundesgebiet 2021“ des Bundesverbandes RIAS e.V. – Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus, S. 36 m.w.N.;
154https://www.belltower.news/samidoun-tarnung-fuer-terror-153123/, das u.a. einen Screenshot eines Instagramposts auf dem ehemaligen Account von Samidoun_Deutschland zeigt, auf dem eine Palästina-Landkarte abgebildet ist, auf der Palästina vom Fluss bis zum Meer „befreit“ ist, d.h. Israel nicht mehr existiert;
155https://www1.wdr.de/fernsehen/westpol/videos/westpol-clip-westpol-118.html: Beitrag über eine pro-palästinensische Versammlung in NRW am 15. Oktober 2023, bei der die Parole skandiert wurde (Minute 4:15), Plakate mit dem Slogan mitgeführt wurden (Minute 1:20) und Zaid Abdulnasser (ehemaliger Samidoun Deutschland Koordinator) als Teilnehmer zu sehen ist (Minute 2:35);
156https://mondoweiss.net/2022/07/why-focusing-on-the-river-to-the-sea-is-the-only-viable-strategy/;
157https://www.jungle.world/artikel/2023/16/von-berlin-bis-teheran: „… In ihrem Bericht wies die ILF zudem auf ein Symposium des Brüsseler Ortsverbands von Samidoun am 11. Februar unter dem Titel »From the River to the Sea: Visionen der palästinensischen Befreiung« hin. Wie die angestrebte palästinensische Befreiung aussehen würde, habe Mohammed Khatib, Europa-Koordinator der Gruppe, bewiesen. Der ILF zufolge habe er in seiner Rede die Auflösung des israelischen Staates gefordert.“
158https://www.jfda.de/samidoun: „Der Slogan „From the river to the sea” wird häufig dahingehend zu legitimieren versucht, dass er eben nicht auf die Vernichtung Israels ziele, sondern einfach pauschal alle Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer frei von Unterdrückung leben sollen. Zuletzt hatte auch die Gruppe Palästina Spricht den Spruch so erklärt. Demgegenüber stehen aber immer wieder Formulierungen wie die Folgende von Samidoun: In dem Aufruf der Gruppe für eine Demonstration anlässlich des Nakba-Tags am 15. Mai 2022 rief die Gruppe auf Facebook zur Teilnahme auf, „um den Entschluss des palästinensischen Volkes auf die Gesamtheit seines nationalen Heimatlandes vom Fluss bis zum Meer und auf alle seine legitimen, unverzichtbaren Rechte zu bekräftigen... bis zur Befreiung und Rückkehr.” Die Formulierung vom Fluss bis ans Meer wird hier gleichgesetzt mit der Gesamtheit des nationalen Heimatlandes des palästinensischen Volkes bis zur Rückkehr. Wenn also das gesamte Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer als ursprünglich palästinensisch deklariert wird, es zu befreien sei und eine Rückkehr das letzte Ziel sei, dann ist unmissverständlich klar, was sich zumindest hinter vielen vermeintlich harmlosen Rufen nach Freiheit für alle Menschen verbirgt: Die Abschaffung des Staates Israels inklusive seiner Bewohner. Denn eine Rückkehr in israelisches Staatsgebiet wäre kaum realisierbar ohne die jetzigen dort lebenden nicht-palästinensischen Menschen, also Juden, zu vertreiben.“
159https://www.ruhrbarone.de/wenig-resonanz-bei-den-israelhassern-in-duisburg/224717/: Zaid Abdulnasser als Redner bei einer pro-palästinensischen Demonstration in C. am 9. Oktober 2023, bei der mehrere Plakate mit der Parole „From the river to the sea“ gezeigt wurden.
160Dass Samidoun tatsächlich die Vernichtung des jüdischen Staates Israel anstrebt, folgt dazu ergänzend aus verschiedenen Verlautbarungen der Organisation,
161vgl. https://www.jungle.world/artikel/2023/16/von-berlin-bis-teheran: „… In ihrem Bericht wies die ILF zudem auf ein Symposium des Brüsseler Ortsverbands von Samidoun am 11. Februar unter dem Titel »From the River to the Sea: Visionen der palästinensischen Befreiung« hin. Wie die angestrebte „palästinensische Befreiung“ aussehen würde, habe Mohammed Khatib, Europa-Koordinator der Gruppe, bewiesen. Der ILF zufolge habe er in seiner Rede die Auflösung des israelischen Staates gefordert.“
162“Death to the Jews, death to Israel!” (skandiert bei einer von Samidoun organisierten Demo am 8. April 2023 in Berlin),
163https://www.ngo-monitor.org/reports/global-samidoun-network/: “We say loud and clear that Israel has no right to exist, not a millimeter…we support the resistance until all of Palestine is free…From the river to the sea Palestine will be free.” (Hofland, Samidoun Niederlande Koordinator am 22. Mai 2022 bei einer Demonstration in den Niederlanden),
164insbesondere auch solchen nach dem Überfall der HAMAS am 7. Oktober 2023.
165Vgl. https://www.ngo-monitor.org/ngos/samidoun/: Bericht von NGO Monitor (israelische Nichtregierungsorganisation), der die Strukturen/Organisation von Samidoun darstellt, die Nähe von Samidoun sowohl zur PLFP als auch zur HAMAS aufzeigt und verdeutlicht, dass Samidoun tatsächlich die Vernichtung des Staates Israel anstrebt: „There is nothing wrong with being a member of HAMAS, being a leader of HAMAS, being a fighter in HAMAS.” Der 7. Oktober 2023 wird von Samidoun International beschrieben als „heroic Palestinian resistance“.
166https://kommunistische-organisation.de/podcast/repression-gegen-palaestina-solidaritaet-interview-mit-zaid-abdulnasser/ und https://www.gefangenen.info/3981/radiointerview-mit-zaid-abdulnasser/: Radiointerview (in Printversion) vom 7. November 2023 mit Zaid Abdulnasser, ehemaliger Samidoun Deutschland Koordinator: „Wir wollen ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer. … Es gibt keine Lösung für Palästina, ohne diese Besatzung zu zerschlagen. … Die Befreiung vom Fluss bis zum Meer ist nicht verhandelbar.“
167https://samidoun.net/2024/07/take-action-august-3-join-the-international-day-of-action-for-gaza-and-the-prisoners/; der Artikel ist mit einer Abbildung des palästinensischen Gebietes in seiner Form von vor 1948 – d.h. ohne den jüdischen Staat Israel – in einem auf dem Kopf stehenden roten Dreieck (= Kennzeichen von HAMAS für den bewaffneten palästinensischen Widerstand) überschrieben.
168bb) Die Parole „From the river to the sea“ stellt (auch) ein Kennzeichen der HAMAS im Sinne von § 86a Abs. 2 StGB dar. Dabei folgt die Kennzeicheneigenschaft nicht schon aus der Benennung der Parole in der Verbotsverfügung des BMI vom 2. November 2023. Zwar hat das BMI in seiner Verfügung vom 2. November 2023 u.a. in Ziffer 3, letzter Satz, „die Parole ‘Vom Fluss bis zum Meer’ (auf Deutsch oder anderen Sprachen)" als Kennzeichen der HAMAS benannt. Die Verbotsverfügung hat jedoch, sofern sie wie hier zum maßgeblichen Zeitpunkt lediglich vollziehbar und noch nicht unanfechtbar im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ist, im Rahmen der Strafbarkeit gemäß §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 2 StGB (Verwenden eines Kennzeichens einer auf der sog. EU-Terrorliste aufgeführten Organisation) keine Relevanz.
169Für eine Strafbarkeit nach §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 1 und 2 StGB bedarf es vielmehr einer konkreten Zuordnung der Parole zu der Terrororganisation HAMAS als ihr Kennzeichen. Dies ist aus Sicht der Kammer anzunehmen. Die HAMAS hat sich die Parole „From the river to the sea“ jedenfalls durch ständige Übung derart zu eigen gemacht, dass diese zumindest auch als Parole der HAMAS erscheint, ohne dass es auf deren Unverwechselbarkeit ankommt.
170Vgl. zur Zuordnung der Parole als Kennzeichen der HAMAS unter dem Maßstab des Eilverfahrens bereits OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 55; VGH BW, Beschlüsse vom 3. April 2024 - 2 S 496/24 -, juris, Rn. 9, und vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 18; OVG Bremen, Beschluss vom 30. April 2024 - 1 B 163/24 -, juris, Rn. 30; SächsOVG, Beschluss vom 27. Juli 2024 - 1 B 116/24 -, juris, Rn. 24 ff; VG Berlin, Beschluss vom 20. Dezember 2023 - 1 L 507/23 -, juris, Rn. 14; VG München, Beschluss vom 8. August 2024 - M 10 S 24.4736 -, juris, Rn. 23.
171Die Zuordnung der Parole „From the river to the sea“ zur HAMAS ergibt sich aus nachfolgenden Erkenntnissen, die die Kammer in öffentlich zugänglichen Quellen (jeweils zuletzt abgerufen am 24. September 2024) gewinnen konnte, wobei zu beachten ist, dass die Erkenntnisse diese Einschätzung bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der streitgegenständlichen Bestätigungsverfügung vom 9. April 2024 stützten. Im Einzelnen gilt Folgendes:
172Der Slogan findet sich in der Charta der HAMAS von 2017,
173s. Art. 20 („Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer“), zit. nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut - ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf,
174mit deren Text die HAMAS sich selbst ein eigenes Programm im Sinne eines politischen Selbstverständnisses gegeben hat.
175Vgl. die Formulierung in der Präambel der Charta 2017: „Als Bewegung sind wir uns sowohl in der Theorie als auch in der Praxis über die Vision einig, die auf den folgenden Seiten skizziert wird“ und die Formulierung in der Präambel der Gründungscharta von 1988: „Dies ist die Charta der Islamischen Widerstandsbewegung. Sie legt dar, was die Bewegung ist: Ihre Identität, ihren Standpunkt, ihre Ambitionen und ihre Hoffnungen“, zit. jeweils nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut - ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf;
176Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.
177Dass es sich hierbei lediglich um eine geografisch beschreibende Verwendung der Wörter und nicht um einen Ausspruch in Form einer Parole handele,
178vgl. hierzu LG V., Beschluss vom 29. Mai 2024 - 5 Qs 42/23 -, juris, Rn. 12,
179vermag die Kammer nicht festzustellen. Im Gegenteil wird der Ausspruch von der HAMAS ständig und wiederkehrend als Parole im Sinne eines Aufrufs genutzt und sich auch insofern durch Übung zu eigen gemacht,
180vgl. insoweit statt vieler die Wiedergabe von Äußerungen von verschiedenen HAMAS-Mitgliedern: „People of Jerusalem, we want you to cut off the heads of the Jews with knives (…) Oh Allah, bring annihilation upon the Jews (…) We will die while exploding and cutting the necks and legs of the Jews (…) from the river to the sea“, zu sehen im Video: @todayunpacked - Is „From the river to the sea“ a real solution? (ab Minute 00:46), abrufbar unter https://www.youtube.com/shorts/-6OzY1GMrCo;
181vgl. auch die Äußerung von Chalid Maschal, Vorsitzender des Politbüros der HAMAS, in einer Rede von Dezember 2012: „The state will come from resistance, not negotiation. Liberation first, then statehood. Palestine is ours from the river to the sea (…). There will be no concession on any inch of the land. We will never recognize the legitimacy of the Israeli occupation, and therefore there is no legitimacy for Israel… We will free Jerusalem inch by inch, stone by stone. Israel has no right to be in Jerusalem.”, abrufbar unter https://www.wilsoncenter.org/article/doctrine-hamas;
182insbesondere auch nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023.
183Vgl. die Aussage von Chalid Maschal: „Obviously, the position of HAMAS (…), especially following October 7, I believe that the dream and the hope for Palestine from the River to the Sea (…)“, zu sehen im Video: MEMRI TV Videos – „Hamas Leader Abroad: October 7 Shows Liberating Palestine from the River to the Sea Is Realistic“ (ab Minute 2:40), abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=ULjTL9IYwkQ.
184Nach den der Kammer vorliegenden, aus öffentlichen Quellen zugänglichen Erkenntnissen und mit Blick auf die Ausführungen in der Gründungscharta von 1988 und diejenigen in der Charta von 2017 nutzt die HAMAS die Parole „From the river to the sea“ im Sinne einer gewaltgeprägten Vernichtungsabsicht des Staates Israel.
185So formuliert die Charta von 2017 etwa: „Das zionistische Projekt ist ein rassistisches, aggressives, koloniales und expansionistisches Projekt (…) Das israelische Staatsgebilde ist der Spielball des zionistischen Projekts und seine Basis Aggression“ (Artikel 14). Die Aussage bezieht sich mithin auf Israel, unabhängig von der Frage der Grenzen von 1967 oder den Siedlungsprojekten; es geht um eine grundsätzliche Delegitimation des Staates. Entsprechend gilt die Gründung von „Israel“ als illegal, was auch die bewusst gesetzten Anführungszeichen veranschaulichen sollen (vgl. Artikel 18). In Artikel 20 wird schließlich ausgeführt: „HAMAS lehnt jede Alternative zur vollständigen und uneingeschränkten Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer ab“. „Widerstand und Dschihad für die Befreiung von Palästina“ bleibt nach Artikel 23 der Charta ein „legitimes Recht“, was auch entsprechende Gewalttaten als konkrete Praxis miteinschließt. Alle Handlungsweisen entsprächen legitimen Rechten, im Mittelpunkt stehe der „bewaffnete Widerstand“ (vgl. Artikel 25).
186Vgl. Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.
187Nach Auffassung der HAMAS sind Maßnahmen des israelischen Staates sowie die Balfour-Erklärung und die UNO-Resolution zur Teilung Palästinas „null und nichtig“.
188Vgl. Art. 10, 11 und 18, zit. jeweils nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut - ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf.
189Die Gründungscharta der HAMAS von 1988 ruft weitergehend ganz offen zur Tötung von Juden als Mittel auf, um das Ziel eines islamischen Palästinenserstaates zu erreichen.
190Vgl. Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.
191Danach sollen „Juden und der Staat Israel“ bis zur Vernichtung und Zerschlagung gewalttätig bekämpft werden.
192Vgl. die Formulierung in Art. 7 der Gründungscharta von 1988: „Die islamische Widerstandsbewegung ist ein Glied in der Kette des Dschihad gegen die zionistische Invasion. (…) Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken.“ sowie in Art. 28: „Israel fordert durch seinen jüdischen Charakter und seine jüdischen Einwohner den Islam und die Muslime heraus“, zit. nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut - ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf;
193Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.
194Nach Art. 13 der Gründungscharta der HAMAS von 1988 stehen „sogenannte friedliche Lösungen und internationale Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage“ im „Widerspruch zur Ideologie der Islamischen Widerstandsbewegung“.
195Vgl. auch die weitergehende Formulierung in Art. 13 der Gründungscharta von 1988: „Die Palästina-Frage kann nur durch den Dschihad gelöst werden. Initiativen, Vorschläge und internationale Konferenzen sind sinnlose Zeitvergeudung, frevelhaftes Spiel“ und in Art. 15: „Gegenüber der Usurpierung Palästinas durch die Juden muß zwingend das Banner des Dschihad erhoben werden.“, zit. nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut - ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf.
196Dabei bleibt das Verhältnis der neuen Charta von 2017 gegenüber der Gründungscharta von 1988 zwar unklar. Insbesondere bekundete die Führung der HAMAS nicht, ob es sich hierbei um eine Ergänzung oder Ersetzung handeln solle. Eine direkte Distanzierung gegenüber den Ausführungen in der ersten Charta erfolgte bis heute allerdings nicht, eine kritische Erörterung ihrer Inhalte lässt sich ebenso wenig konstatieren. Insbesondere hinsichtlich der Vorgehensweise der sog. „Befreiung“ (Gewaltanwendung im Sinne von bewaffnetem Widerstand) nimmt auch die neue Charta von 2017 keine Einschränkungen vor. Nach wissenschaftlicher Einschätzung sind beide Texte daher zusammen zu lesen, wobei die formale Mäßigung im Text der Charta 2017 politische Anerkennung und öffentliche Wirkung zum Ziel gehabt habe. Es sei nicht um eine ideologische Änderung, sondern vielmehr um eine strategische Täuschung gegangen.
197So Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/; zur strategischen Täuschung auch: Jeffrey Herf, „From the river to the sea – When Hamas revised its charter in 2017, it tapped into the narratives of the global left – with stunning effects“, abrufbar unter https://www.americanpurpose.com/articles/from-the-river-to-the-sea/.
198cc) Sind demnach der vereinsrechtliche Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG einerseits und der Straftatbestand des § 86a Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 StGB andererseits berührt, da es sich bei der in Rede stehenden Parole um ein verbotenes Kennzeichen der vollziehbar verbotenen Vereinigung Samidoun bzw. um ein solches der Terrororganisation HAMAS handelt, lagen des Weiteren auch konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Parole bei der Versammlung am 10. April 2024 mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verwendet werden würde.
199„Verwendet“ wird ein Kennzeichen im Sinne der zuvor genannten Norm(en) grundsätzlich, wenn es derart gebraucht wird, dass es optisch und akustisch wahrnehmbar ist.
200Vgl. etwa Ellbogen in v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, BeckOK StGB, 61. Ed., § 86a Rn. 25 m.w.N.
201Dass die Parole bei der von der Klägerin angemeldeten Versammlung im vorstehenden Sinne tatsächlich Verwendung finden würde, war offensichtlich. Dies folgt zunächst daraus, dass es bei vorherigen Versammlungen der PSDU wiederkehrend zu einem Ausruf der Parole kam. Nach dem Flyer diente die Versammlung der solidarischen Unterstützung des „PSDU-Genossen L.W.“, der sich an diesem Tag wegen der Verwendung ebendieser Parole im Rahmen einer pro-palästinensischen Versammlung am 9. Oktober 2023 in C. vor dem Amtsgericht C. verantworten musste. Herr L.W. hatte zuvor regelmäßig für die PSDU Versammlungen angezeigt, in deren Verlauf die Parole fortwährend aus dem Teilnehmerkreis heraus gerufen worden war. Ausweislich des eindeutig formulierten Flyers sollte die geplante Versammlung eine Mahnwache darstellen und wurde ausdrücklich als „Aufruf zur Prozessbeobachtung“ beworben. Das Polizeipräsidium durfte daher zu Recht erwarten, dass Mitglieder der PSDU und weitere Unterstützer an der Veranstaltung vor und „bei der Prozessbeobachtung“ in dem Amtsgericht C. teilnehmen werden. Mit Blick auf die Abläufe bei vergangenen Versammlungen und auf den zu erwartenden identischen Teilnehmerkreis war somit davon auszugehen, dass es zu einem erneuten Skandieren der Parole kommen würde.
202Ohne dass es angesichts der insoweit allein maßgeblichen ex-ante-Sicht des Polizeipräsidiums darauf ankäme, soll gleichwohl nicht unerwähnt bleiben, dass unmittelbar nach der Strafverhandlung – und somit nach der Verurteilung des Herrn L.W. wegen der Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2 StGB – die streitige Parole direkt wieder ausgerufen wurde. Dies folgt aus dem in dem Verwaltungsvorgang enthaltenen Instagram-Post der PSDU vom 20. April 2024, wonach unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung unter Verwendung der Parolen „From the river to the sea“ und „Yallah Intifada“ Reden gehalten wurden, so dass sich – unter Zugrundelegung eines ex-post-Blickwinkels – die Gefahr auch tatsächlich realisiert hat.
203dd) Die Verwendung der Parole war hier auch nicht absehbar nach § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG bzw. §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB ausnahmsweise erlaubt. Diese Wertung hat das Polizeipräsidium hinsichtlich der Versammlung am 10. April 2024 angesichts des zu erwartenden Kontextes, in dem die Parole aller Voraussicht nach Verwendung finden wird, rechtlich beanstandungsfrei vorgenommen.
204Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG bzw. gemäß §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB ist die Verwendung eines Kennzeichens – wie vorstehend bereits ausgeführt – ausnahmsweise im Rahmen staatsbürgerlicher Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke erlaubt. Die Vorschrift wird erweiternd dahingehend ausgelegt, dass das Verwenden auch für solche Zwecke, die den genannten Merkmalen ähnlich sind, z. B. für Zwecke der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung und Lehre, wie auch der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Geschichte, – sog. sozialadäquate Zwecke – zulässig sein kann.
205Zitiert nach OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 113, und Beschluss vom 9. Oktober 2020 - 15 B 1528/20 -, juris Rn. 16.
206Dementsprechend und darüber hinaus scheidet ein strafbares „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 86a StGB, die auf die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG zu übertragen ist, aus, wenn der mit seinem Gebrauch verbundene Aussagegehalt nach den Gesamtumständen dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderläuft. Bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens auch einer verbotenen Organisation dem Schutzzweck des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB eindeutig nicht zuwiderläuft, kann in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isolierter Betrachtung meist gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Vielmehr ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falls ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm – der effektiven Durchsetzung des Vereinsverbots – eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, weil dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfüllt.
207OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 114; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 53 unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 3. November 1987 - 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85 -, juris, Rn. 39; vom 9. Juli 2020 - 1 BvR 2067/17 -, juris, Rn. 42; und vom 1. Juni 2006 - 1 BvR 150/03 -, juris, Rn. 17; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, juris, Rn. 22 f.; BayObLG, Beschluss vom 14. Juli 2022 - 206 StRR 27/22 -, juris, Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 -, juris, Rn. 62. Siehe zu den Tatbeständen der §§ 86, 86a StGB Anstötz, in: MüKom StGB, 4. Aufl. 2021, § 86 Rn. 39; Fischer, StGB, Kommentar, 71. Aufl., 2024, § 86 Rn. 17, und ders., § 86a, Rn. 18, 20.
208Ist der Aussagegehalt eines verwendeten Kennzeichens also mehrdeutig oder eine behauptete Gegnerschaft bei der Verwendung des Kennzeichens nur undeutlich erkennbar, so ist der Schutzzweck der Norm verletzt.
209Vgl. für den Tatbestand des § 86a StGB insoweit BGH, Urteil vom 15. März 2007 - 3 StR 486/06 -, juris, Rn. 12 (zum Schutzzweck der Norm des § 86a StGB siehe dort näher Rn. 5); Anstötz, in: MüKom StGB, 4. Aufl. 2021, § 86a Rn. 21.
210Diese Auslegung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf den Straftatbestand des §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB, wonach die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm „eindeutig“ nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, (bereits) nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen. Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 und 2 GG an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen. Dementsprechend erfüllt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder verbotener Vereinigungen in Darstellungen, bei denen sich bereits aus ihrem Inhalt „in offenkundiger und eindeutiger Weise“ ergibt, dass sie in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebraucht werden, und bei denen ein unbefangener Beobachter die Gegnerschaft somit auf Anhieb zu erkennen vermag, nicht den Straftatbestand des § 86a StGB.
211VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 22 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 15. März 2007 - 3 StR 486/06 -, juris, Rn. 4, 12; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08 -, juris, Rn. 28 m.w.N. Vgl. auch HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 - 8 B 560/24 -, juris, Rn. 29 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1969 - 1 BvR 553/64 -, BVerfGE 25, 44-64.
212Teilweise wird für das Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB darüber hinaus eine Verbindung zwischen dem Rufen der fraglichen Parole und der verbotenen Vereinigung ähnlich einem sog. Organisationsbezug gefordert, wie er im Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 VereinsG im Lichte des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu fordern ist.
213VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 26 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 15. November 2001 - 1 BvR 98/97 -, juris, Rn. 24 ff.; zur Übertragung auf die § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB im Grundsatz entsprechende Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG siehe HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 - 8 B 560/24 -, juris, Rn. 29 ff.; siehe dazu Kalscheuer, Anm. zu VGH Kassel, Beschl. v. 22. März 2024, NVwZ 2024, 851 ff.; Jendrusch, From the river to the sea – Zur Kritik am VGH Kassel, NVwZ 2024, 1069 ff.
214Ein Organisationsbezug im zuvor genannten Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn jemand gleiche Meinungen vertritt wie die verbotene Organisation, wohl aber dann, wenn sich für einen unbefangenen Betrachter der Eindruck ergibt, es handele sich um eine Aktion unmittelbar zugunsten der verbotenen Organisation selbst.
215BVerfG, Beschluss vom 15. November 2001 - 1 BvR 98/97 -, juris, Rn. 24; BayVGH, Beschluss vom 9. August 2024 - 10 CS 1382/24 -, juris, Rn. 22. Vgl. dazu auch HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 - 8 B 560/24 -, juris, Rn. 28 f.; SächsOVG, Beschluss vom 27. Juli 2024 - 1 B 116/24 -, juris, Rn. 18ff.
216Daraus folgt, dass bei Meinungsäußerungen, die eindeutig erkennbar keinen Zusammenhang zum Organisationsbereich der Vereinigung Samidoun oder der Terrororganisation HAMAS oder deren Wirken aufweisen, die Verwendung der Parole „From the river to the sea“ entweder (schon) nicht vom Tatbestand der (vereinsrechtlichen) Strafnormen umfasst oder im Einzelfall „sozialadäquat“ sein kann.
217Zum vereinsrechtlichen Prüfungsmaßstab siehe auch OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 - 15 A 1270/20 -, juris, Rn. 114 ff. Weitere Hinweise zur Tatbestandseinschränkung aufgrund der Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 4 StGB bei v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, BeckOK StGB, 62. Edition, Stand 1. August 2024, § 86 Rn. 28 ff. Siehe auch Fischer, StGB, Kommentar, 71. Aufl., 2024, § 86a, Rn. 18, wonach solche Handlungen bereits tatbestandslos seien und diese tatbestandliche Restriktion unabhängig von § 86a Abs. 3 StGB greife.
218Ungeachtet der dogmatischen Einordnung der strafrechtlichen bzw. nebenstrafrechtlichen Sozialadäquanzklausel und des (tatbestandlichen) Erfordernisses des Organisationsbezugs liegt jedenfalls hier eine zulässige Verwendung der Parole „From the river to the sea“ gänzlich fern. Das Polizeipräsidium ist rechtsfehlerfrei zu der Auffassung gelangt, dass bei der im vorliegenden Einzelfall von der Klägerin angemeldeten Versammlung die unmittelbare Gefahr besteht, dass die Parole aus dem zu erwartenden Teilnehmerkreis heraus jedenfalls auch in einer vom Tatbestand der Norm erfassten Weise Verwendung finden wird. Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte ein unbefangener Beobachter nämlich gerade nicht auf Anhieb erkennen können, dass die Parole offenkundig und eindeutig nicht als Kennzeichen der verbotenen Vereinigung Samidoun und/oder der Terrororganisation HAMAS verwendet werden soll und das Rufen der Parole stattdessen ausnahmslos von § 86 Abs. 4 StGB erfasst oder unter sonstige Sozialadäquanzfallgruppen fallen würde.
219Vgl. zum insoweit gleichlautenden Prüfungsmaßstab VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 -, juris, Rn. 24; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2024 - 1 L 261/24 -, juris, Rn. 11 ff. Im Ergebnis ähnlich BayVGH, Beschluss vom 9. August 2024 - 10 CS 24.1382 -, juris, Rn. 25.
220Unter Zugrundelegung des vorstehenden Prüfungsmaßstabes ist das Polizeipräsidium rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass auf der Versammlung am 10. April 2024 eine Distanzierung zu Samidoun oder HAMAS im vorstehend beschriebenen Sinne nicht erfolgen werde. Es hat im Rahmen seiner Gefahrenprognose begründete Tatsachen angeführt und diese rechtlich zutreffend gewürdigt. Unter Berücksichtigung von auf früheren Versammlungen gewonnenen Erfahrungen, mit Blick auf die Positionierung der Vereinigung PSDU zu Samidoun und HAMAS und zu den Geschehnissen am 7. Oktober 2023 sowie nach Auswertung sämtlicher Erkenntnisse auf Social-Media-Plattformen ist das Polizeipräsidium rechtsfehlerfrei zu der Auffassung gelangt, dass bei der von der Klägerin angemeldeten Versammlung die Parole aus dem Blickwinkel eines unbefangenen Beobachters gerade nicht in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebraucht wird. Ferner hat es darauf abgestellt, dass der zu erwartende Teilnehmerkreis die Parole mit einem erkennbaren Zusammenhang zum Organisationsbereich der Vereinigung Samidoun (bzw. auch von HAMAS) verwenden und deshalb (im Ergebnis) eine sozialadäquate Verwendung ausscheiden werde.
221Dabei durfte das Polizeipräsidium zu Grunde legen, dass es sich bei der gegenständlichen Versammlung der Klägerin laut ihrer Versammlungsanzeige zwar um einen Infostand zum Thema „Palästina“ handeln sollte. Aus dem Text des Flyers ergab sich jedoch eindeutig, dass die Versammlung aus Solidarität mit dem Initiator der PSDU, Herrn L.W., stattfinden sollte. In seiner Klageerwiderung hat das Polizeipräsidium weiter zutreffend (ergänzend) berücksichtigt, dass die Vereinigung PSDU mit Verfügung vom 18. März 2024 – vollzogen allerdings erst im Nachgang zu der Versammlung am 16. Mai 2024 – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verboten und aufgelöst wurde. Im Behördenzeugnis des IM NRW vom 26. Februar 2024 wird die Klägerin unter Ziffer 13 als Mitglied der PSDU namentlich genannt. Soweit ihre Prozessbevollmächtigte bemängelt, dieser Zusammenhang dürfe hier nicht hergestellt werden, verkennt sie, dass die Vereinigung PSDU bereits seit ihrer Gründung im Mai 2023 über Monate regelmäßig pro-palästinensische Versammlungen in C. veranstaltet und angemeldet hatte und der Teilnehmerkreis daher bekannt war. Außerdem hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage angegeben, die Vereinigung PSDU „auf jeden Fall unterstützt“ zu haben. Für ihre Versammlungsanzeige verwendete sie auch ein Antragsformular, welches seinerzeit nicht mehr auf der Internetseite des Polizeipräsidiums vorzufinden und üblicherweise zuvor von der PSDU genutzt worden war. Die Gesamtumstände sprechen somit dafür, dass es sich um eine Veranstaltung der seinerzeit noch nicht vollziehbar verbotenen PSDU gehandelt hat.
222Angesichts dieser besonderen Nähe der Klägerin zur PSDU und der personellen Zusammenhänge des zu erwartenden Teilnehmerkreises erweisen sich auch die weiteren Ausführungen des Polizeipräsidiums als tragfähig. Danach ist für die Beurteilung des Kontextes auch die ideologische Ausrichtung der Vereinigung PSDU von Belang, die durch ein antiisraelisches und antisemitisches Weltbild geprägt ist und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Das Polizeipräsidium hat überdies nachvollziehbar ausgeführt, dass die PSDU Verbindungen zu gleichgesinnten Vereinigungen, insbesondere zu Samidoun – und zwar auch noch nach dem vollziehbaren Verbot des BMI vom 2. November 2023 – gepflegt habe. Dies alles ließ im Vorfeld der Versammlung nicht die hier erforderliche eindeutige Abkehr zu den Idealen von Samidoun und/oder HAMAS im Rahmen der Versammlung am 10. April 2024 erwarten.
223Erweist sich somit die Gefahrenprognose des Polizeipräsidiums als hinreichend tragfähig, bedürfte es unter Zugrundelegung des vorstehend skizzierten Prüfungsmaßstabes einer (hinreichenden) Begründung der Klägerin, inwiefern mit der Verwendung der Parole andere, mit friedlichen Mitteln zu erreichende Ziele verfolgt oder unterstützt werden sollen. Dass die Verwendung der Parole "From the River to the Sea“ in einer sozialadäquaten Art und Weise erfolgt, hat nämlich die Klägerin – zumindest im Ansatz – darzulegen.
224Vgl. zum insoweit gleichlautenden Prüfungsmaßstab VG München, Beschluss vom 8. August 2024 - M 10 S 4736/24 -, juris, Rn. 24; vgl. auch VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 - juris, Rn. 24.
225Insoweit ist es, auch unter angemessener Beachtung der bedeutsamen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit erheblich, ob sie das von ihr behauptete Interesse an der Verwendung der streitigen Parole plausibel darstellen konnte. Dies war in Anbetracht ihrer Ausführungen im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung und nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck gerade nicht der Fall.
226Vielmehr ist die Klägerin diesen Darlegungsanforderungen nicht ansatzweise gerecht geworden. Sie beruft sich – insoweit völlig generalisierend – auf die von Prof. Dr. Alon Confino und Prof. Dr. Amos Goldberg verfassten Aufsätze “Ist der Slogan "From the River to the Sea, Palestine will be free" (Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein) antisemitisch?“ und „From the River to the Sea gibt’s viel Raum für Interpretationen“. Darin werden die – freilich auch der Kammer bekannten – unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten der besagten Parole aufgezeigt und (lediglich) beschrieben. Angesichts dieser bloßen Darstellung der verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten bleibt aber gerade offen, in welchem Sinne die Klägerin und der zu erwartende Teilnehmerkreis die Parole konkret verstanden wissen wollen. Auch ihre Befragung in der mündlichen Verhandlung hat nicht zur Klarheit beigetragen. Insoweit hat die Klägerin lediglich ausgeführt, für sie bedeute die Parole das gleichberechtigte Leben aller Menschen in Palästina, bezogen auf das gesamte Gebiet, das von Israel besetzt sei. Sie habe die Parole am 10. April 2024 rufen wollen, um ihrer Meinungsfreiheit Ausdruck zu verleihen. Es sei ihr darum gegangen, gerade diese Parole zu verwenden, weil diese von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Da sie „nicht gerne in der Öffentlichkeit spreche“, hat ihre Prozessbevollmächtigte weiter geltend gemacht, es gehe der Klägerin darum, „in der Öffentlichkeit über Palästina sprechen zu dürfen“ – ein Recht, das inzwischen in Deutschland eingeklagt werden müsse. Die Parole sei als allgemeine Solidaritätsbekundung der Palästina-solidarischen Menschen auf der Welt zu verstehen. Daher habe ein Dritter während der Versammlung auch nicht auf die Idee kommen können, dass die Parole im konkreten Fall Vernichtungsphantasien hervorrufen solle. Auf die Frage, ob ihr die diesbezügliche Diskussion geläufig sei, dass die in Rede stehende Parole auch als Kennzeichen von in Deutschland verbotenen Vereinigungen (HAMAS und Samidoun) verstanden werden könne, entgegnete die Klägerin (lediglich), dies sei ihr „bekannt“. Eine weitergehende Erläuterung zu ihrem persönlichen Verständnis der Parole, geschweige denn eine nachdrücklich ablehnende Haltung gegenüber der Verwendung der Parolen nach dem Verständnis von Samidoun und HAMAS ist darin nicht einmal im Ansatz zu erkennen.
227Angesichts des Gesamtkontextes der Versammlung verfängt auch der weitere Argumentationsansatz der Prozessbevollmächtigten nicht und vermag keine eindeutige und offenkundige Distanzierung darzustellen, es sei schließlich „keine HAMAS- oder Samidoun-Veranstaltung“ gewesen. Denn dies ist nach dem hier insoweit anzulegenden Maßstab nicht der entscheidende Punkt. Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es einzig darauf an, ob für einen unbefangenen Beobachter eindeutig und unmissverständlich zu erkennen ist, dass die Klägerin oder der zu erwartende Teilnehmerkreis die Parole nicht als Kennzeichen von Samidoun und/oder HAMAS verwenden und diese – genau umgekehrt – in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebrauchen würden.
228Dass dies auf der Versammlung der Klägerin nicht der Fall sein wird, ergibt sich auch aus nachfolgenden eigenen Erkenntnissen der Kammer, welche die Vorsitzende in ihrem Beschluss vom 25. April 2024 betreffend die Anordnung der Durchsuchung und Beschlagnahme im Zuge des (beabsichtigten) Verbots der Vereinigung PSDU im Einzelnen dargelegt hat. Die Verfahren sind derzeit bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen anhängig.
229VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2024 - 18 M 36/24 - u.a., S. 6 ff. des Beschlussabdrucks (n.v.), im Volltext auf der Seite https://www.psdu-verbot.info/ veröffentlicht. Vgl. zu der Verbotsverfügung des IM NRW die Internetseite des „Komitees gegen das Verbot von Palästina Solidarität Duisburg“, https://www.psdu-verbot.info/, die dort samt Anlagen eingestellt ist; siehe auch das Interview mit L.W. und A. O. (PSDU) zu ihrem Wirken, ihren Ansichten zu dem Verbot: https://www.wsws.org/de/articles/2024/07/26/92a6-j26.html (jeweils zuletzt aufgerufen am 23. September 2024).
230Soweit einige Quellen nicht mehr öffentlich abrufbar sind, wurden diese den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung als Ausdruck überreicht. Nach den Ausführungen in dem Beschluss der Kammervorsitzenden vom 25. April 2024 wiegen die völkerverständigungswidrigen Aktivitäten der PSDU schwer und erweisen sich als eindeutig. Die Vereinigung agitiere fortwährend schwerwiegend und nachdrücklich israelfeindlich und verbreite durch ihre Aktionen einseitige, verkürzte (Fehl-) Informationen und Narrative über den seit Jahrzehnten andauernden, hochkomplexen Nahost-Konflikt, wobei dem Staat Israel einseitig-verkürzend die volle Verantwortung für diesen Konflikt zugewiesen werde. Die Vereinigung PSDU blicke auf den Staat Israel als ein unzulässiges, völkerrechtswidriges Kolonialprojekt auf dem Staatsgebiet der Palästinenser, das es mit allen Mitteln zu beseitigen gelte, obgleich der Staat Israel – wenngleich er auch Teilgebiete kontrolliere, die völkerrechtlich umstritten seien – in seinem Kerngebiet völkerrechtlich anerkannt sei. Besonders augenfällig werde diese gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete, klar antizionistisch-israelfeindliche Haltung der Vereinigung durch die offen zu Tage getragene Nähe zu Samidoun sowie der Terrororganisation HAMAS.
231Ebenso wie Samidoun und HAMAS lehnt auch die Vereinigung PSDU das Existenzrecht Israels ab und fordert die Errichtung eines einheitlichen palästinensischen Staates in den historischen Grenzen Palästinas vor der Gründung des Staates Israel, d.h. eines Palästinenserstaates in den Grenzen vor 1947, der das Staatsgebiet Israels mitumfasst. In der praktischen Umsetzung bedeutete dies das Ende des israelischen Staates.
232Vgl. hierzu etwa den Beitrag bei Instagram, Profil „palaestinasolidaritätduisburg“, vom 11. September 2023, Slide 1, in dem es u.a. heißt: „…Wir verstehen Israel als ein Kolonialprojekt und treten für die Befreiung ganz Palästinas (in den Grenzen vor 1947) sowie für das Recht auf Rückkehr für alle vertriebenen Palästinenser und ihre Nachkommen ein. Wir sind solidarisch mit dem palästinensischen Widerstand in all seinen Formen. …“; ebenso die Veröffentlichung eines Screenshots von „@der_semit“ in der Story des Profils „palaestinasolidaritätduisburg“ bei Instagram am 8. April 2024, wo es heißt: „Do you agree Israel has the right to exist? – No, I don´t agree that Israel has the right to exist at the expense of another people.“; siehe auch die Verlinkung eines Beitrags von @palestine.support.germany sowie @fightforfalastin in der Story des Instagram-Profils „palaestinasolidaritätduisburg“ vom 23. April 2024 unter der Überschrift „There is only one solution – One-State-Revolution“, in dem es u.a. heißt: „Der wahre Frieden für Palästinenser kann nur erlangt werden, indem die rechtmäßigen wahren Grenzen von vor 1947 wiedererlangt werden, sowie die Rückkehr der Vertriebenen und ihrer Nachkommen“ (jeweils zuletzt abgerufen am 24. April 2024).
233Die Vereinigung PSDU spricht sich ebenso wie die HAMAS und Samidoun klar für das Recht der Palästinenser auf bewaffneten Widerstand gegen den Staat Israel aus. Nach Auffassung der PSDU ist „Widerstand kein Terrorismus“ und sind „Samidoun und PFLP Teil des legitimen Freiheitskampfes der Palästinenser“.
234Vgl. hierzu den Beitrag bei Instagram, Profil „palaestinasolidaritätduisburg“, vom 8. Juni 2023 (zuletzt abgerufen am 24. April 2024).
235Auch in seiner am 17. April 2024 auf dem Instagram-Profil sowie Telegram-Kanal der Vereinigung PSDU veröffentlichten Verteidigungsrede anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht C. am 10. April 2024 bekräftigte Herr L.W. als Initiator der PSDU nachdrücklich, dass die Palästinenser das Recht zum Widerstand „mit allen Mitteln inklusive des bewaffneten Kampfes“ hätten und verharmloste zugleich den Terroranschlag der HAMAS vom 7. Oktober 2023 bzw. negierte ihn in Gänze. Dort heißt es u.a.:
236„Am 7. Oktober fand kein Terroranschlag statt, sondern eine Militäroperation palästinensischer Widerstandsorganisationen. Erklärtes Ziel war nicht die Tötung von Zivilisten wie etwa bei 9/11. Vielmehr ging es darum, die illegale Militärblockade gegen Gaza zu durchbrechen, primär militärische Ziele anzugreifen und offenbar auch Kriegsgefangene zu nehmen. … Außerdem wissen wir, dass es zahlreiche Falschberichte gab, gerade noch am 9. Oktober: Es gab aber keine geköpften Babys, keine Babys, die in Backöfen getötet wurden, keine Babys, die aus Bäuchen herausgeschnitten wurden, und keine Massenvergewaltigungen. …“.
237Vgl. die sog. Verteidigungsrede, siehe hierzu Instagram, Profil „palaestinasolidaritätduisburg“, Beitrag vom 17. April 2024; Telegram-Kanal „N. C.“ (zuletzt abgerufen am 24. April 2024).
238Diese Äußerungen entsprechen ihrem Inhalt nach dem Instagram-Post vom 9. Oktober 2023, der als Anlage 57 der Verbostverfügung vom 18. März 2024 beigefügt war. Danach hat sich die Vereinigung PSDU bildlich und textlich mit positivem Bezug zum bewaffneten Kampf gegen Israel geäußert:
239„Der Widerstand hat eine nie dagewesene Offensive gestartet … Überall auf der Welt feiern & unterstützen die Menschen diesen Aufstand. (…) Kommt mit uns auf die Straße und demonstrieren wird unsere Solidarität mit den Menschen & dem Widerstand in Gaza & ganz Palästina! Von C. nach Gaza: Sieg der Intifada! Palästina wird sich befreien: vom Meer bis zum Fluss!“
240Die Kammervorsitzende hat in ihren Durchsuchungsbeschlüssen vom 25. April 2024 darüber hinaus ausgeführt, dass sich die Vereinigung PSDU auch zeitlich nach Erlass der vollziehbaren Verbotsverfügung des BMI betreffend die Vereinigung Samidoun mit ihr solidarisch gezeigt und aktive Verbindungen zu deren früheren führenden Mitgliedern, etwa dem vormaligen „Samidoun Deutschland“-Koordinator Zid Tamim alias Zaid Abdulnasser gehalten hatte. So war auf dem Instragram-Profil der Vereinigung PSDU ein eigenes Highlight „#ZAID“ eingerichtet, unter dem unter dem Hashtag „#standwithzaid“ zur Solidarität mit Zaid Abdulnasser aufgerufen worden war.
241Vgl. hierzu Instagram, Profil „palaestinasolidaritätduisburg“, Highlight „#ZAID“ (zuletzt abgerufen am 24. April 2024).
242Zudem fand am 7. Dezember 2023 um 18.30 Uhr in C.-W., T.-straße. 0, ein konspiratives Treffen in Form einer geschlossenen Veranstaltung unter dem Motto „Diskussionsveranstaltung – Antipalästinensischer Rassismus und Repression in Deutschland“ mit Herrn L.W. und Herrn Zaid Abdulnasser als Referenten statt. In diesem Zusammenhang war Zadi Abdulnasser – wie auch bereits zuvor fortwährend – als „Bruder“, „Genosse“ oder „Mitstreiter“ bezeichnet worden.
243Vgl. Instagram, Profil „erva.61l“, Highlight „Activism“ vom 7. Dezember 2023; siehe auch Instagram, Profil „palaestinasolidaritätduisburg“, Highlight „#ZAID“ (zuletzt abgerufen am 24. April 2024); siehe Kurzbericht über die nichtöffentliche Versammlung in C.-W. am 8. Dezember 2023 von „C. stellt sich quer“ & „Heizung, Brot und Frieden – Bündnis C.“ mit PSDU (L.W.) und Zaid Abdulnasser als Redner: https://political-prisoners.net/massives-polizeiaufgebot-bei-diskussionsveranstaltung/24317/.
244Die vollziehbar verbotene Vereinigung PSDU schreckte darüber hinaus nicht vor der Verwendung bzw. dem Abdruck der vollziehbar verbotenen Kennzeichen von Samidoun, wie etwa des Logos der Jugendorganisation „Hirak – Palästinensische Jugendbewegung“, einer in den Farben grün-rot-schwarz gehaltenen, erhobenen Faust, in einem Post in den sozialen Medien zurück.
245Vgl. hierzu etwa den Beitrag bei Instagram („palaestinasolidaritätduisburg“) vom 22. April 2024, Slide 6, der ein Foto einer Fahne mit dem Logo der Jugendorganisation „Hirak – Palästinensische Jugendbewegung“ zeigt, das während der propalästinensischen Versammlung in Bonn – freilich im Nachgang zu der hier streitgegenständlichen Versammlung – am 20. April 2024 (Motto „Freiheit für alle Gefangenen! Stoppt den Genozid“ Keine Waffen für Israel!“) aufgenommen wurde, an der die Vereinigung I. teilgenommen hatte (zuletzt abgerufen am 24. April 2024).
246Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch das heutige „Komitee gegen das PSDU-Verbot“ auf seiner Internetseite dieses Kennzeichen weiterhin nutzt.
247https://www.psdu-verbot.info/blog/lgen-manipulieren-und-verpfuschen (zuletzt abgerufen am 23. September 2024).
248Abgerundet wird diese klar israel-feindliche Haltung der Vereinigung PSDU schließlich durch die offen gelebte Solidarität mit der als israel-feindlich und antisemitisch zu bewertenden BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“). Am 24. März 2024 – also etwa zwei Wochen vor der hier in Streit stehenden Versammlung – fand in C.-W., Q. C. e.V., T.-straße. 0, eine Veranstaltung der PSDU mit BDS-Aktivisten im Rahmen der weltweiten „Israeli Apartheid Week“ statt, bei der u.a. die BDS-Aktivisten A.A. und C.G. als Referenten auftraten und zu den Zielen, Strategien und bisherigen Erfolgen von BDS gegen den Bundestagsbeschluss vom 17. Mai 2019 referierten.
249Vgl. Beiträge bei Instagram („palaestinasolidaritätduisburg“) vom 23. März 2024 und 26. März 2024 (zuletzt aufgerufen am 24. April 2024). Siehe zur „Boycott, Divestment and Sanctions-Bewegung (BDS)“ den Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrein-Westfalen über das Jahr 2023 (abrufbar unter: https://www.im.nrw/system/files/media/document/file/240418_vsb2023_online_0.pdf), S. 60: BDS und PFLP werden vom Verfassungsschutz NRW als verfassungsfeindliche Organisationen bewertet.
250Nach alledem bestand im konkreten Fall der Versammlung der Klägerin die unmittelbare Gefahr, dass die Parole in einer vom Straftatbestand erfassten Weise Verwendung finden wird, denn auch in Anbetracht der vorstehenden eigenen Erkenntnisse der Kammer war völlig fernliegend, dass das Rufen der Parole ausnahmslos von § 86 Abs. 4 StGB erfasst bzw. unter sonstige Sozialadäquanzfallgruppen (auch des § 20 Abs. 1 Satz 2 StGB) fallen würde.
251In diesem Zusammenhang ist weiter bedeutsam, dass die Vereinigung PSDU ihre ausdrückliche Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand in allen seinen Formen offen und seit ihrer Gründung im Mai 2023 fortwährend bekundet hat, und zwar in ausreichender zeitlicher Nähe zu der geplanten Versammlung. Somit war gerade zu erwarten, dass sich einzelne Teilnehmer die Haltung Samidouns und diejenige der Terrororganisation HAMAS zu eigen machen oder sich mit ihnen identifizieren könnten. Soweit die Klägerin dagegen einwendet, ein unbefangener Dritter hätte – auch angesichts der zu erwartenden (kleinen) Teilnehmerzahl von 30 Personen – nicht den Eindruck gewinnen können, es handele sich um eine Veranstaltung von PSDU, HAMAS oder Samidoun, verkennt sie erneut den hier anzulegenden Prüfungsmaßstab. Ausreichend für die Strafbarkeit der Parole ist die Erwartung, dass Teilnehmer die Parole – wie tatsächlich geschehen – im vorstehend beschriebenen Duktus und gerade nicht als deutlich geäußerte Kritik gegenüber dem Terror der HAMAS oder den Agitationen von Samidoun gebrauchen werden. Demzufolge war zu erwarten, dass für außenstehende Dritte auch nicht eindeutig erkennbar sein wird, dass es sich um Meinungsäußerungen handeln würde, die eine offenkundige Abkehr zur dem Wirken von Samidoun und HAMAS aufweisen.
252Selbst wenn dem objektiven Betrachter die Zusammenhänge zwischen der PSDU und weiteren verbotenen Vereinigungen nicht bekannt sein sollten, ist schließlich der zeitliche Zusammenhang zu dem Überfall der HAMAS auf Israel vom 7. Oktober 2024 zu würdigen. Die hier geplante Versammlung fand nur sechs Monate später statt, so dass auch vor diesem Hintergrund eine entsprechende Distanzierung zu den Taten der HAMAS als ein Akteur im Krieg in Gaza umso deutlicher erwartet werden darf.
253So bereits OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 - 15 B 1323/23 -, juris, Rn. 55 (die Annahme einer ausnahmsweise zulässigen Verwendung im Rahmen der Versammlung liege fern).
254Auch angesichts der mit der öffentlich bekannt gemachten und seit dem 7. Oktober 2023 medial breit aufgearbeiteten Zuordnung der fraglichen Parole zu HAMAS muss bei lebensnaher Betrachtung damit gerechnet werden, dass außenstehende Beobachter – selbst wenn ihnen die Parole vor dem Überfall der HAMAS unbekannt gewesen sein sollte – das Rufen dieser Parole zu einem erheblichen Teil als Aktion zugunsten der Terrororganisation HAMAS auffassen würden.
255Im Ergebnis auch VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 - 14 S 956/24 - juris, Rn. 26; vgl. auch „Terrorparole oder Slogan der Freiheit?“, FAZ vom 13. Juni 2024, S. 8.
256c) Die Beschränkung war auch verhältnismäßig. Sie war zunächst geeignet, der Begehung von Straftaten entgegenzutreten. In seiner Begründung hat das Polizeipräsidium – in knapper Form – ein milderes Mittel verneint. Sie ist auch angemessen, da sie nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs steht. Diesbezüglich hat weder die Klägerin plausibel vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die „bloße“ Solidarität mit Palästina nicht auch ohne einen konkreten Bezug zu HAMAS und Samidoun bekundet werden könnte. Die Kammer verkennt nicht, dass die Nutzung von Parolen ein legitimes und zugleich gebräuchliches Mittel bei Versammlungen darstellt, um eine Meinung schlagwortartig verkürzend auf den Punkt zu bringen. Weshalb aber die von der Klägerin behauptete „bloße“ Solidarisierung mit dem palästinensischen Volk nicht auch mittels einer anderen, „unkritischen“ Parole zum Ausdruck gebracht werden könnte, die ihrerseits kein verbotenes Kennzeichen darstellt, erschließt sich der Kammer nicht. Dass dies andernfalls zur Folge hätte, in Deutschland das Recht einklagen zu müssen, „über Palästina zu sprechen“, vermag die Kammer schon im Ansatz nicht zu erkennen und lässt im Übrigen eine unsaubere Vermischung des behaupteten mit weiteren von der Klägerin verfolgten Anliegen erkennen.
257III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und entspricht dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Für den anerkannten Teil ergibt sich dabei die Kostenfolge nicht aus § 156 VwGO, denn der Beklagte hat durch sein Verhalten erstens Veranlassung zur Klageerhebung gegeben und zweitens den Anspruch erst in der mündlichen Verhandlung anerkannt.
258Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
259Rechtsmittelbelehrung:
260Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
261Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
262Die Berufung ist nur zuzulassen,
2631. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2642. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
2653. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2664. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
2675. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
268Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
269Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
270Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
271Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
272Beschluss:
273Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
274Gründe:
275Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt. Für eine wertmäßige Bestimmung der Bedeutung der Sache für die Klägerin bestehen keine genügenden Anhaltspunkte, so dass nach § 52 Abs. 2 GKG grundsätzlich der Auffangwert in Ansatz zu bringen ist. Dem liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen die Erwägung zugrunde, dass sich in versammlungsrechtlichen Verfahren regelmäßig keine spezifische wirtschaftliche Bedeutung der Sache für den Kläger erkennen lässt. Das Interesse an der Verwirklichung der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit ist wirtschaftlich nicht bewertbar. Auch in anderer, nicht wirtschaftlicher Hinsicht kommt eine Bewertung dieses Interesses nicht in Betracht.
276Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2024 - 15 B 480/24 -, juris, Rn. 12 f. m.w.N.
277Rechtsmittelbelehrung:
278Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
279Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
280Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
281Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
282Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
283War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.