Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Der Nachbar eines städtischen Grundstücks mit einem naturschutzrechtlich geschützten Baum kann selbst die Erteilung der Fällgenehmigung beantragen und Verpflichtungsklage auf Erteilung der Genehmigung an sich selbst erheben.Zur Effektivitätssteigerung einer Solaranlage (hier derzeit lediglich zur Warmwasserbereitung, geplant auch zur Stromerzeugung) kann hinsichtlich eines vor der betreffenden Dachfläche aufstehenden geschützten Baumes grundsätzlich (lediglich) die Erteilung einer Befreiung aus Gründen des Allgemeinwohls in Betracht kommen. Hierzu bedarf es einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Anlage nach ihrer Art und Größe sowie des Umfangs der Verschattungswirkung einerseits und der Qualität und Bedeutung des jeweils betroffenen Baumes an seinem konkreten Standort sowie der Folgen seiner Schädigung bzw. der wesentlichen Veränderung seines Aufbaus andererseits, einschließlich der Betrachtung von Alternativlösungen bzw. -standorten. Dabei ist allgemein ein öffentliches Interesse an der Nutzung erneuerbarer Energien zu berücksichtigen, das für Photovoltaik-, nicht aber für Solarthermieanlagen durch § 2 EEG 2023 deutlich erhöht ist. Angesichts der Identität des im Vordergrund stehenden Schutzgutes der natürlichen Lebensgrundlagen geht damit jedoch keine regelmäßige Pflicht zur Befreiungserteilung einher. Entscheidend ist vielmehr der jeweilige Einzelfall.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer des seit 2012/2013 mit einer zweistöckigen Doppelhaushälfte mit einem etwa 12 m hohen First in Richtung West-Ost bebauten Grundstücks mit der Hausnummer 00 an der in dieselbe Richtung verlaufenden I.---------straße in N. xx xxx S. (Gemarkung T. , Flur 00, Flurstück 000). Die nähere Umgebung ist ohne größere Baulücken fast ausnahmslos von Wohnhäusern gesäumt, die zum Stadtteil T. gehören. Zeitnah zur Errichtung der Doppelhaushälfte wurde – ähnlich wie bei den umliegenden Häusern des Wohngebietes – eine Solarthermieanlage zur Warmwasserbereitung bestehend aus fünf Flachkollektoren à 2,25 m² (Typ C. XXX-0SX angelegt, von denen vier in einer ersten Reihe unmittelbar unterhalb des Firstes auf der nach Süden gerichteten Dachfläche und der fünfte unterhalb des Kollektors an der östlichen Seite der ersten Reihe angebracht sind.
3Jeweils etwa mittig vor der knapp 3 m zurückliegenden, straßenseitigen Außenwand der Doppelhaushälfte auf dem Gundstück des Klägers sowie der sich östlich nach zwei versetzten Einzelgaragen anschließenden Doppelhaushälfte (I.---------straße 00, Flurstück 000 – im Folgenden: Nachbargrundstück – ursprünglich Gegenstand des inzwischen infolge Klagerücknahme eingestellten Parallelverfahrens 9 K 7140/22) stehen im Bereich der öffentlichen Verkehrsfläche (städtische Wegeparzelle 000) etwa 2,25 m vom hausseitigen Rand des Fußwegs entfernt zwei ca. 50 Jahre alte ahornblättrige Platanen mit einem Stammumfang in 1 m Höhe von 1,88 bzw. 2,22 m und mit einer Höhe zwischen 18 und 22 m auf, von denen die westliche etwas niedriger ist als die östliche. Die Krone der westlichen Platane reicht etwa 1-2 m in den Bereich über der Dachfläche der Doppelhaushälfte auf dem Grundstück des Klägers hinein, während sich die Krone der östlichen Platane über die Dachfläche bis an den First der Doppelhaushälfte auf dem Nachbargrundstück erstreckt.
4Mit Schreiben vom 00. August 2022 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen erheblichen Rückschnitt oder eine andere geeignete Maßnahme bezüglich der beiden Platanen, um möglichst kurzfristig einen effizienten Betrieb der Solaranlage zu ermöglichen, und machte zur Begründung geltend: Die Anlage werde durch die zwei Platanen großflächig verschattet und könne nicht effizient betrieben werden. Gemäß Fachliteratur komme es zu einem Leistungsrückgang bis zu 90 %. Zudem planten sie die Errichtung weiterer Solarzellen auf dem Hausdach, sodass die gesamte Dachfläche für erneuerbare Energien genutzt werden könne. Dies sei aufgrund des Baumbestandes nicht sinnvoll möglich. Durch die Änderung des § 2 des Gesetzes für den Ausbau erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz – EEG 2023) habe der Bundesgesetzgeber insbesondere zur Sicherstellung der Energieversorgung klare Vorgaben für Schutzgüterabwägungen gemacht. Danach stelle die effiziente Erzeugung erneuerbarer Energien ein überragendes Abwägungskriterium dar. Dies sei auch bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach den Baumschutzsatzungen zwingend zu beachten.
5Bei einer Ortsbesichtigung stellte die Beklagte am 00. September 2022 fest, dass sich die Bäume in einem verkehrssicheren Zustand befänden und im Kronenaufbau bereits mehrfach reduziert worden seien; weitergehende Rückschnitte würden die Bäume mittelfristig zerstören.
6Mit Bescheid vom 00. September 2022 (Az.: 00.0.XX.0000/00) lehnte die Beklagte die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 6 der Satzung zum Schutz des Baumbestandes der Stadt N. an der S. vom 4. November 1986 in der Fassung der Änderungssatzung vom 22. Oktober 2002 (im Folgenden: BSchS MH) ab und führte hierzu aus: Ausnahmesachverhalte hätten bei der Ortsbesichtigung ebensowenig festgestellt werden können wie unzumutbare Beeinträchtigungen, die eine Ausnahme oder Befreiung von den Verboten der BSchS MH rechtfertigten. Die Bestimmungen des neugefassten § 2 EEG 2023 gingen – trotz der darin pauschal formulierten Vorrangigkeit – den spezialgesetzlichen Regelungen der auf Bundesrecht basierenden Baumschutzsatzung nicht vor und könnten von daher allein keinen Ausnahme- oder Befreiungssachverhalt im Sinne der BSchS MH auslösen. Ein pauschalierter Eingriff des EEG 2023 in die spezialrechtlichen Regelungen der Fachgesetze desselben Gesetzgebers – hier im Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz – BNatSchG) – sei nicht zulässig bzw. entfalte im Rahmen der Entscheidungsfindung keine Wirksamkeit. Hierzu bedürfe es einer Verankerung des Vorrangs erneuerbarer Energien in den jeweiligen Fachgesetzen. Der Rückschnitt im beantragten Ausmaß würde zu einer Zerstörung der Bäume führen und deren Fällung erforderlich machen. Der Betrieb der vom Kläger betriebenen bzw. geplanten Solaranlagen sei auch ohne den beantragten Rückschnitt möglich, wenngleich in geringerem Umfang. Im Interesse des Baum- und Klimaschutzes stelle diese Einschränkung aber eine zumutbare Härte dar und sei somit hinzunehmen. Die öffentlichen Belange des Umwelt- und Naturschutzes – hier der Erhalt der geschützten Platanen – genieße Vorrang vor dem privaten Interesse an der Energiegewinnung durch die Photovoltaikanlage.
7Mit der hiergegen gerichteten Klage vom 00. Oktober 2022 trägt der Kläger vor: Die vorhandene Solaranlage sei am gegenwärtig installierten Standort – wie sich aus Berechnungen mittels im Internet zur Verfügung gestellter Tools ergebe – für einen maximalen Kollektorertrag von ca. 9000 kWh im Jahr ausgelegt. Zum Zeitpunkt der Installation seien die beiden Platanen regelmäßig durch die Beklagte stark zurückgeschnitten worden und hätten im Wesentlichen – bis auf die Monate Dezember oder Januar – keinen Schatten auf die Module geworfen. Nach der Installation seien die Platanen aus unbekannten Gründen nicht mehr zurückgeschnitten worden. Ihre beiden Kronen nähmen einen Durchmesser von jeweils 16-17 m und bei Belaubung ein Volumen von etwa 2700-3500 m³ ein. Wegen ihres enormen Größenzuwachses würfen die beiden Platanen je nach Jahres- und Tageszeit auf seiner Kollektorfläche einen Schatten von flächenbezogen bis zu 100 %, solange die Sonne im Osten bis Südwesten stehe. Wie sich aus einer Selbstablesung des Systems am 00. November 2022 und der gemittelten Herunterrechnung auf die bisherigen Betriebsjahre ergebe, erziele seine Anlage wegen der Verschattung inzwischen nur noch rund 3000 kWh im Jahr, was einem Effizienzverlust von 66 % entspräche, wobei jedoch davon auszugehen sei, dass der überwiegende Teil dieses Kollektorertrags erzielt worden sei, als die Platanen die Anlage noch nicht im heutigen Ausmaß verschattet hätten.
8Bei dieser Sachlage habe er einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH sowie einer Befreiung nach § 6 Abs. 2 lit. a) und b) BSchS MH. Wie nunmehr in § 2 EEG 2023 klargestellt liege der effiziente Betrieb seiner Solaranlage – unabhängig von einer etwaigen eigenen Gewinnerzielungsabsicht – zur Erreichung der energiepolitischen Ziele zum Klimaschutz und im Energiebereich auf europäischer und Bundesebene im öffentlichen Interesse, das entsprechend der gesetzgeberischen Wertung nach § 2 S. 1 EEG 2023 auch das vorliegend gegenüberstehende Interesse des Naturschutzes in Form des unveränderten Erhalts der beiden Platanen im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH überwiege. Neben dem unbestimmten Rechtsbegriff des überwiegenden öffentlichen Interesses ergebe sich das maßgebliche Einfallstor der Wirkung von § 2 EEG 2023 konkret im Fall des § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH durch die Pflicht zur nachvollziehenden Abwägung, die in den beiden weiteren Tatbestandsvoraussetzungen zum Ausdruck komme, wonach dieses öffentliche Interesse auf andere Weise nicht zu verwirklichen und die Beseitigung des Baumes daher dringend erforderlich sei. Mit § 2 S. 1 EEG 2023 habe der Gesetzgeber eine Grundsatzentscheidung gefällt und mit dem Wort „überragend“ das stärkste denkbare Wort gewählt, um die Bedeutung von Anlagen der erneuerbaren Energien für das Gemeinwohl zu kennzeichnen. Das sich daraus ergebende starke Durchsetzungsvermögen könnten andere Belange nur überwinden, wenn sie im Einzelfall ein überwiegendes Gewicht aufwiesen. Die Regelung sei auch im Bereich einer auf § 29 BNatSchG basierenden Baumschutzsatzung verbindlich, wirke unmittelbar in andere bundesrechtliche Regelungen des Fachrechts – so auch in § 29 BNatSchG – hinein und bedürfe keiner Verankerung auf Ebene der Fachgesetze oder höher, zumal es sich bei der Baumschutzsatzung um eine kommunale Satzung handele, die in der Hierarchie der Rechtsnormen ganz unten stehe. Die Abwägungsregelungen der Fachgesetze könnten auch nicht aufgrund ihrer Spezialität dem § 2 EEG 2023 vorgehen, da sie insoweit nicht den gleichen Sachverhalt regelten. § 2 EEG 2023 schaffe keine neue Rechtslage und ändere auch nicht bestehendes Fachrecht, sondern gebe – wie etwa auch § 1 S. 3 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) – eine maßgebliche Wertentscheidung für ein entsprechendes wertungsoffenes Einfallstor im Fachrecht vor. Dabei zählten zu den in § 2 EEG 2023 insoweit angesprochenen Schutzgüterabwägungen nicht nur Abwägungsentscheidungen im eigentlichen Sinne, sondern auch Entscheidungen unter Ausübung eines Ermessens, Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs oder Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Vorschrift kollidiere im vorliegenden Zusammenhang auch nicht mit unionsrechtlichen Vorgaben oder landesrechtlichen Normen, wie dies etwa in Bezug auf das Denkmalschutzrecht der Fall sei. Der Betrieb seiner Solaranlage sei auch im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH nicht auf andere Weise als durch den beantragten Rückschnitt der beiden Platanen zu verwirklichen, da ein Betrieb in einem geringeren Umfang wegen der zu hohen Effizienzverluste der Anlage durch die Verschattung nicht in Betracht komme. Schließlich sei der Rückschnitt auch zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses am Betrieb der Solaranlage dringend erforderlich im Sinne des § 6 Abs. 1. S. 1 lit. e) BSchS MH. Bei der damit vorzunehmenden Zweck-Mittel-Relation setze sich der Betrieb der Solaranlage angesichts der gesetzgeberischen Wertentscheidung des § 2 EEG 2023 durch. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Interesse am unveränderten Erhalt der Platanen durch den beantragten Rückschnitt schon nicht erheblich beeinträchtigt werde. Insoweit werde bestritten, dass der Rückschnitt im beantragten Ausmaß zu einer Zerstörung der Bäume führen und deren Fällung erforderlich machen würde, da in anderen Konstellationen und an anderen Orten – wie sich aus vorgelegten Zeitungsausschnitten ergebe – Platanen ohne negative Folgen bis zur Stufe des Kahlschnitts zurückgeschnitten worden seien. Die mit dem Rückschnitt verbundene Veränderung des charakteristischen Aussehens sei lediglich die schwächste Form des Eingriffs innerhalb der Systematik der verbotenen Handlungen nach § 4 Abs. 1 BSchS MH. § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH sei einschlägig, obwohl diese Regelung vom Wortlaut her lediglich die Beseitigung des Baumes behandele. Zum einen habe er nicht nur einen Rückschnitt, sondern auch andere geeignete Maßnahmen beantragt. Zum andern sei der Rückschnitt als Minus von der Vorschrift erfasst. Da die Baumschutzsatzung hinsichtlich des Schutzumfangs nicht nach der Schutzwürdigkeit des einzelnen Baumes differenziere, sondern alle Bäume mit einem bestimmten Stammumfang pauschal unter Schutz stelle, seien die Ausnahmetatbestände zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch nicht zu eng auszulegen. Neben dem sich daraus ergebenden Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme bestehe aber auch ein solcher auf Befreiung. Die Verbote nach der Baumschutzsatzung führten im vorliegenden Fall wegen einer grundstücksbezogenen Atypik – nämlich des Entzugs von Sonnenlicht im überwiegenden Teil des Tages in einem nicht hinnehmbaren Ausmaß durch in der Wohngegend eher unüblich zwei direkt nebeneinander befindliche Platanen – zu einer vom Satzungsgeber 1986 bzw. 2002 mangels damaliger Geltung des § 2 EEG 2023 nicht beabsichtigten Härte im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. a) BSchS MH. Darüber hinaus erfolge der Betrieb seiner Solaranlage aber angesichts der Regelung des § 2 S. 1 EEG 2023 im Allgemeinwohl, das die Effizienz der Anlage durch eine entsprechende Befreiung aufgrund der beschriebenen Zweck-Mittel-Relation auch im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. b) BSchS MH erfordere. Bei Berücksichtigung der in § 2 EEG 2023 zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertentscheidung komme der zuständigen Behörde im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 6 Abs. 2 BSchS MH kein Spielraum mehr zu. Dies habe der Gesetzgeber für die Winterenergie als einem Unterfall erneuerbarer Energien in Bezug auf die artenschutzrechtliche Ausnahmeerteilung nach § 45 Abs. 7 BNatSchG mit der Neuregelung in § 45b Abs. 8 Nr. 6 BNatSchG klargestellt. Hilfsweise habe er aber jedenfalls insoweit einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, die seitens der Beklagten bisher nicht erfolgt sei.
9§ 2 S. 1 EEG 2023 sei zwar nach seinem Wortlaut isoliert betrachtet auf die Errichtung und den Betrieb von Anlagen bezogen, bei denen es sich gemäß § 3 Nr. 1 EEG 2023 um Einrichtungen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien handele. Der Anwendungsbereich des § 2 EEG 2023 insgesamt sei jedoch nicht auf solche Einrichtungen begrenzt, sondern erfasse darüber hinaus alle Anlagen, die erneuerbare Energien zur Energieerzeugung (einschließlich Wärme/Solarthermie) verwendeten. So räume § 2 S. 2 EEG 2023 allgemein erneuerbaren Energien den gesetzlichen Vorrang bei Schutzgüterabwägungen ein. Dieser Begriff umfasse jedoch nach § 3 Nr. 21 EEG 2023 auch die solare Strahlungsenergie, die im Sinne des EEG 2023 auch rein thermisch genutzt werden könne. Danach hätten die Regelungen in § 2 S. 1 EEG 2023 einerseits und § 2 S. 2 EEG 2023 andererseits unterschiedliche Anwendungsbereiche, was der Gesetzgeber mutmaßlich nicht gewollt habe, ihm aber unter Umständen auch gar nicht bewusst gewesen sei, zumal die Vorschrift in enormer Eile und unter dem hohen Druck politischer Ereignisse habe entworfen werden müssen. Dies spreche dafür, die Regelungen einheitlich dahingehend auszulegen, dass sie beide erneuerbare Energien insgesamt umfassten. Gesetützt werde diese Einschätzung druch den Umstand, dass die Bundesländer Niedersachsen und Hamburg die Regelungen zur Anpassung ihres Denkmalschutzrechts an die bundesrechtliche Ergänzung von § 2 EEG 2023 allgemein auf erneuerbare Energien bezogen hätten. Jedenfalls aber plane er auf seiner nach Süden ausgerichteten Dachfläche die zusätzliche Errichtung von acht Photovoltaikmodulen zur reinen Stromerzeugung mit einer Gesamtleistung von ca. 3,2 kwp. Damit würde die gesamte Dachfläche soweit wie möglich entsprechend genutzt – mit Ausnahme der untersten Reihe möglicher Module, die auch bei einem Rückschnitt der Bäume auf 12 bzw. 14 m weiterhin verschattet wäre, während der darüber liegende Bereich unter diesen Umständen ausreichend ausgeleuchtet würde. Diese Pläne seien konkret, ihre Realisierung seit langem beabsichtigt und lediglich wegen der bisher starken Verschattung zurückgestellt worden.
10Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
11die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 00. September 2022 (Az.: 00.0.XX.0000/00) zu verpflichten, ihm die beantragte Ausnahme oder Befreiung zum Rückschnitt von zwei Platanen auf der öffentlichen Straßenfläche vor dem Grundstück I.---------straße 00 in N. xx xxx S. dahingehend zu erteilen, dass die Platane vor der Hausnummer 00 dauerhaft auf eine Höhe von 14 m und die Platane vor der Hausnummer 00 dauerhaft auf eine Höhe von 12 m zurückgeschnitten werden sollen,
12hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheides vom 00. September 2022 (Az.: 00.0.XX.0000/00) zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung zum Rückschnitt von zwei Platanen auf der öffentlichen Straßenfläche vor dem Grundstück I.---------straße 00 in N. xx xxx S. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
13Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
14die Klage abzuweisen.
15Sie führt ergänzend aus: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nach der Baumschutzsatzung – weder aus § 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) oder e) noch aus § 6 Abs. 2 BSchS MH. Sie sei insbesondere auch in Anbetracht des § 2 EEG 2023 nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) BSchS MH verpflichtet, die in ihrem Eigentum stehenden geschützten Bäume in ihrem Aufbau wesentlich zu verändern. Bei einer Ausnahmeentscheidung nach § 6 Abs. 1 BSchS MH handele es sich nicht um eine gesetzlich vorgesehene Abwägungsentscheidung, sodass insoweit § 2 EEG 2023 nicht als Abwägungsdirektive zur Geltung kommen könne. Darüber hinaus gebe § 2 S. 2 EEG 2023 auch nur vor, dass die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang eingebracht werden sollten, nicht aber müssten. Demgegenüber verbiete § 29 Abs. 2 S. 1 BNatSchG ausdrücklich die Beseitigung, Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung geschützter Landschaftsbestandteile wie entsprechend geschützter Bäume nach Maßgabe näherer Bestimmungen, zu denen gerade auch die kommunalen Baumschutzsatzungen gehörten. Die Platanen würden durch die vom Kläger geforderten Einkürzungen massiv geschädigt bzw. in ihrem Aufwuchs beeinträchtigt. An den Schnittstellen käme es voraussichtlich zu erheblichen Bruchgefahren für neue Austriebe, die zu einer gesteigerten Verkehrsunsicherheit und einem erheblichen und wirtschaftlich unverhältnismäßigen Mehraufwand bei der Pflege führe. Gleichzeitig würden die von den Platanen ausgehenden positiven Schutzeffekte deutlich vermindert. § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH greife nicht ein, da der Kläger nicht die Beseitigung der Bäume beantragt habe. Schließlich fehle es für eine Befreiung nach § 6 Abs. 2 BSchS MH sowohl an einer nicht beabsichtigten Härte, da der Schattenwurf zu den vorhersehbaren Begleiterscheinungen eines Baumes gehöre, als auch an Gründen des Allgemeinwohls, die eine Befreiung erforderten. Im Übrigen spreche bereits das in § 1 EEG 2023 formulierte Ziel dieses Gesetzes – die Transformation zu einer nachhaltigen und treibhausgaseneutralen Stromversorgung – für eine Beschränkung auch des Anwendungsbereichs des § 2 EEG 2023 auf stromerzeugende Anlagen. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus der Gesetzesbegründung.
16Das Gericht hat die Örtlichkeit am 00. Juli 2023 in Augenschein genommen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Ortstermins und die dabei angefertigten Fotoaufnahmen verwiesen.
17Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Vorsitzenden ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Mit Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende gemäß den §§ 87a Abs. 2 und 101 Abs. 2 VwGO anstelle der Kammer und ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
21Die Klage ist – sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag – zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
22I. Hinsichtlich der Zulässigkeit verfügt der Kläger insbesondere über die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO. Es erscheint jedenfalls nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Kläger – wie von ihm geltend gemacht – durch die Ablehnung der Erteilung der begehrten Ausnahme oder Befreiung vom Verbot der Schädigung der auf der städtischen Wegeparzelle 000 aufstehenden beiden Platanen bzw. der wesentlichen Veränderung ihres Aufbaus in seinen Rechten verletzt wird.
23Vgl. zu diesem Maßstab etwa: BVerwG, Urteil vom 29. April 2020 – 7 C 29.18 –, juris, Rn. 15 m.w.N.
24Insbesondere steht dem nicht entgegen, dass der Kläger nicht Eigentümer des Grundstücks ist, auf dem die beiden betreffenden Bäume aufstehen. Denn als Eigentümer des unmittelbar an die betreffende Wegeparzelle angrenzenden Grundstücks kann er zumindest geltend machen, dass durch diese Bäume ohne Eingriffe in ihre Substanz möglicherweise sein Eigentum bedroht ist.
25Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 29. September 1998 – 2 R 2/98 –, juris, Rn. 34; OVG Berlin, Urteil vom 27. Januar 1978 – II B 75.76 –, juris, Rn. 16.
26Dementsprechend kann – wie sich unmittelbar aus § 6 Abs. 3 i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 2 BSchS MH ergibt – der Nachbar eines Grundstücks, auf dem ein geschützter Baum aufsteht, der möglicherweise die Nutzung des eigenen Grundstücks beeinträchtigt, einen Antrag auf Erteilung einer „Fällgenehmigung“ an sich selbst stellen. Das fehlende Eigentum am Baumgrundstück steht dem nicht entgegen, da die Entscheidung über eine entsprechende Ausnahme (wie auch eine Befreiung) von den baumschutzrechtlichen Verboten des § 4 BSchS MH nach § 6 Abs. 5 S. 2 BSchS MH unbeschadet privater Rechte Dritter ergeht. Die Erteilung der Ausnahme oder Befreiung an den Nachbarn ermöglicht sodann die Durchsetzung etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche gegen den Eigentümer des Baumgrundstücks aus den §§ 903 ff., 1004 BGB.
27Vgl. OVG des Saarlandes, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 2 A 361/17 –, juris, Rn. 13.
28Dabei kann hier angesichts der wie beschrieben begrenzten Anforderungen an die Klagebefugnis offenbleiben, ob sich ein solcher zivilrechtlicher Anspruch auch bei lediglich negativen Einwirkungen wie dem hier vom Kläger geltend gemachten Schattenwurf von Bäumen ergeben kann.
29Vgl. hierzu: BGH, Urteile vom 10. Juli 2015 – V ZR 229/14 –, juris, Rn. 11 ff., vom 10. Juni 2005 – V ZR 251/04 –, juris, Rn. 12, vom 11. Juli 2003 – V ZR 199/02 –, juris, Rn. 9 ff. und vom 22. Februar 1991 – V ZR 308/89 –, juris, Rn. 10; Hilsberg, Baumschutz versus Photovoltaik-, Solaranlagen auf Dächern, Taspo Baumzeitung 6/2022, S. 50 ff.
30Schließlich steht der Annahme einer die Klagebefugnis begründenden „Vorwirkung“ der Ausnahme oder Befreiung für eine etwaig nachfolgende Umsetzung der baumschutzrechtlich sodann erlaubten Maßnahme zur Ausräumung einer Eigentumsbeeinträchtigung nicht entgegen, dass das Baumgrundstück hier im Eigentum der beklagten Stadt steht. Denn entweder muss der Nachbar auch in diesen Fällen – unabhängig von der Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nach der Baumschutzsatzung – zur Abwehr einer Eigentumsbeeinträchtigung einen Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch gegen die Stadt geltend machen, der hinsichtlich der hier fraglichen Verschattung wohl ebenfalls lediglich zivilrechtlicher Natur sein dürfte, da das schlichte Wachsenlassen vorhandener Bäume auf einem städtischen Grundstück gegenüber dem privaten Grundstücksnachbarn keinen (schlicht) hoheitlichen Eingriff darstellt, der einen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch begründen könnte.
31Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Oktober 1995 – 5 S 1023/95 –, juris, Rn. 26; Dreßler/Rabbe, in: Praxis der Kommunalverwaltung, G 10a Bund, Kommunales Baumschutzrecht, 2001, S. 46.
32Oder aber die Stadt sieht sich bereits unmittelbar aufgrund der erteilten Ausnahme oder Befreiung nach der Baumschutzsatzung zu ihrer Umsetzung verpflichtet.
33II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Ablehnung der Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung vom Verbot der Schädigung der auf der städtischen Wegeparzelle 000 (I.---------straße ) vor den Hausnummern 00 und 00 aufstehenden beiden Platanen bzw. der wesentlichen Veränderung ihres Aufbaus in Form eines erheblichen dauerhaften Rückschnitts (wie mit der Klage konkretisiert auf Höhen von 14 m bzw. 12 m) ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer entsprechenden Ausnahme oder Befreiung von den Verboten des § 4 BSchS MH, die für die beiden Platanen auf der benachbarten städtischen Wegeparzelle als in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil aufstehenden und mit einem Stammumfang von jeweils mehr als 1,80 m in 1 m Höhe nach den §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 BSchS MH geschützten Bäumen gelten. Ein solcher Anspruch ergibt sich aus den allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen des § 6 BSchS MH nicht, insbesondere nicht aus dessen Abs. 1 S. 1 lit. a) (nachfolgend unter 1.), Abs. 1 S. 1 lit. e) (nachfolgend unter 2.), Abs. 2 lit. a) (nachfolgend unter 3.) oder Abs. 2 lit. b) (nachfolgend unter 4.).
341. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) BSchS MH sind Ausnahmen zu den Verboten des § 4 zu genehmigen, wenn der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte eines Grundstücks aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts verpflichtet ist, geschützte Bäume zu entfernen oder ihren Aufbau wesentlich zu verändern und er sich nicht in anderer zumutbarer Weise von dieser Verpflichtung befreien kann. Diese Anforderungen sind nicht erfüllt. Hinsichtlich der beiden streitbefangenen Platanen fehlt es offensichtlich an Vorschriften des öffentlichen Rechts, die die beklagte Eigentümerin zu deren Entfernung oder wesentlichen Veränderung in ihrem Aufbau verpflichtet. Als Beispiele für solche Vorschriften werden in der Literatur etwa straßenverkehrsrechtliche Regelungen zur Freihaltung des Verkehrsraums von Sichthindernissen angeführt.
35Vgl. Otto, Die Anwendung von Baumschutzregelungen in der Praxis, MDR 1989, 583 (584); Günther, Baumschutzrecht, 1994, S. 44, Rn. 72; Vornholt, Baumschutzrecht – Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, 2022, S. 77.
36So sieht etwa § 30 Abs. 2 S. 1 des Straßen- und Wegegesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) vor, dass Anpflanzungen sowie Zäune, Stapel, Haufen und andere mit dem Grundstück nicht fest verbundene Einrichtungen nicht angelegt werden dürfen, wenn sie die Verkehrssicherheit beeinträchtigen. Soweit sie bereits vorhanden sind, haben die Eigentümer und die Besitzer ihre Beseitigung zu dulden (§ 30 Abs. 2 S. 2 StrWG NRW). Nach § 30 Abs. 3 S. 2 StrWG NRW können die Betroffenen die Maßnahmen im Benehmen mit der Straßenbaubehörde selbst durchführen. Eine vergleichbare gesetzliche Regelung, mit dem der Beklagten die Beseitigung der Platanen auf ihrem Wegegrundstück an der I.---------straße oder aber zumindest die Duldung solcher Maßnahmen – etwa zum Schutz von Anlagen auf dem Grundstück des Klägers – aufgegeben wird, existiert nicht.
372. Auch der Ausnahmetatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH ist jedoch nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift sind Ausnahmen zu den Verboten des § 4 zu genehmigen, wenn die Beseitigung des Baumes aus überwiegendem, auf andere Weise nicht zu verwirklichendem öffentlichen Interesse dringend erforderlich ist. Es spricht zwar einiges dafür, dass diese Vorschrift unter den genannten Voraussetzungen – über ihren Wortlaut hinaus – nicht nur einen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme für die vollständige Beseitigung eines Baumes, sondern erst recht als Minus für eine weniger einschneidende verbotene Handlung nach § 4 Abs. 1 BSchS MH in Form seiner Schädigung oder wesentlichen Veränderung seines Aufbaus – wie sie der Kläger begehrt – gewährt. Jedenfalls aber verlangt dieser als solcher eng auszulegende Ausnahmetatbestand nach seinem Wortlaut die Alternativlosigkeit der Maßnahme im konkreten Einzelfall. Das betreffende öffentliche Interesse darf sich nicht auf andere Weise als durch die begehrte schädliche Handlung verwirklichen lassen. Ohne ihre Vornahme müsste das öffentliche Interesse zwingend unerfüllt bleiben. Dies lässt sich im vorliegenden Fall nicht feststellen. Unabhängig davon, ob nicht nur die vom Kläger zukünftig geplante Photovoltaikanlage, sondern auch die derzeit schon betriebene Solarthermieanlage von der Vorschrift des § 2 EEG 2023 erfasst werden, ergibt sich auch aus dem darin festgeschriebenen überragenden öffentlichen Interesse an der Errichtung und dem Betrieb entsprechender Anlagen und der Verpflichtung zur Einbringung der erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die durchzuführenden Schutzgüterabwägungen nicht ansatzweise, dass sich dieses Interesse ausschließlich verwirklichen lässt, wenn solche Anlagen auch auf dem Grundstück des Klägers errichtet und betrieben werden. Dies läge erst dann nahe, wenn es etwa eine Verpflichtung zur Errichtung und zum Betrieb solcher Solaranlagen auf den Dächern aller bestehenden und neu zu errichtenden Gebäude gäbe.
383. Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch auf Befreiung von den Verboten des § 4 BSchS MH gemäß § 6 Abs. 2 lit. a) BSchS MH. Nach dieser – erkennbar dem ersten der allgemeinen naturschutzrechtlichen Befreiungstatbestände in § 31 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in seiner bei Erlass der BSchS MH geltenden Usprungsfassung vom 20. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3574 – im Folgenden: BNatSchG 1976) bzw. § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BNatSchG in der Fassung vom 25. März 2002 (BGBl. I S. 1193 – im Folgenden: BNatSchG 2002) nachgebildeten – Vorschrift können von diesen Verboten im Einzelfall Befreiungen erteilt werden, wenn das Verbot zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und eine Befreiung mit den öffentlichen Interessen vereinbar ist.
39Das Verbot der Schädigung der beiden Platanen auf dem städtischen Wegegrundstück 000 bzw. der wesentlichen Veränderung ihres Aufbaus führt jedoch für den Kläger nicht zu einer nicht beabsichtigten Härte in diesem Sinne. Denn der Schattenwurf von Bäumen, wie ihn der Kläger im Hinblick auf die auf seinem Dach betriebenen bzw. geplanten Solaranlagen geltend macht, gehört zu den Belastungen, die von Bäumen typischerweise ausgehen und daher im Geltungsbereich einer Baumschutzsatzung grundsätzlich hinzunehmen sind.
40Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 1995 – 7 A 2646/92 –, S. 22 f. des Entscheidungsabdrucks und Beschluss vom 4. Januar 2011 – 8 A 2003/09 –, juris, Rn. 9; Vornholt, Baumschutzrecht – Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, 2022, S. 238 f.; Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht – Kommentar zum Bundesnaturschutzgesetz, Vorschriften und Entscheidungen, Stand: 166. Aktualisierung Oktober 2023, § 67 BNatSchG, Rn. 53 und 63; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 102. Ergänzungslieferung Januar 2023, § 67 BNatSchG, Rn. 15.
41Befreiungen unter dem Gesichtspunkt der nicht beabsichtigten Härte kommen in diesen Fällen allenfalls dann in Betracht, wenn die betreffenden Beeinträchtigungen ein Ausmaß erreichen, mit dem bei einem innerörtlichen Baumbestand nicht zu rechnen ist, und dadurch die jeweilige Grundstücksnutzung unzumutbar eingeschränkt wird.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 1995 – 7 A 2646/92 –, S. 22 f. des Entscheidungsabdrucks und Beschluss vom 4. Januar 2011 – 8 A 2003/09 –, juris, Rn. 9.
43Dies lässt sich hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigung der Verschattung von Teilen seines Grundstücks infolge der beiden streitbefangenen Platanen nicht feststellen. Es ist schon nicht ersichtlich, dass mit einem entsprechenden Schattenwurf durch Bäume innerorts nicht zu rechnen ist. Weder die Anzahl von wie hier zwei Bäumen in unmittelbarer Nähe zueinander noch ihr Standort im – gerade in Bezug auf die Hundbuschstraße als örtlicher Straße in der Breite begrenzten – öffentlichen Verkehrsraum in einem Abstand von lediglich wenigen Metern zu den anliegenden Privatgrundstücken stellt sich beim maßgeblichen Blick auf den allgemeinen innerörtlichen Baumbestand als Sonderfall dar. Darüber hinaus wird durch diese Bäume gegenüber dem Kläger aber auch die Grundstücksnutzung nicht unzumutbar eingeschränkt. Insbesondere besteht nach derzeitiger Rechtslage kein rechtlich geschütztes Privatinteresse an der effektiven Nutzung erneuerbarer Energien auf dem eigenen Grundstück. § 2 EEG 2023 begründet lediglich ein überragendes öffentliches Interesse an der Errichtung und dem Betrieb von bestimmten Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, aber kein damit korrespondierendes privates Interesse einzelner Anlagenbetreiber. Auch Art. 14 Abs. 1 GG verleiht dem Grundstückseigentümer kein Recht auf eine entsprechend „optimale“ oder „erträglichste“ Nutzung seines Grundstücks.
44Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 1999 – 1 BvL 7/91 –, juris, Rn. 84; OVG Berlin, Urteil vom 24. November 1992 – 2 B 29.90 –, NuR 1993, 394; Vornholt, Baumschutzrecht – Rechtliche Instrumente und Spannungsverhältnisse, 2022, S. 239.
454. Schließlich greift auch der Befreiungstatbestand des § 6 Abs. 2 lit. b) BSchS MH nicht zugunsten des Klägers ein. Nach dieser – erkennbar dem zweiten der allgemeinen naturschutzrechtlichen Befreiungstatbestände in § 31 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG 1976 bzw. § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BNatSchG 2002 nachgebildeten – Regelung können von den Verboten des § 4 im Einzelfall Befreiungen erteilt werden, wenn Gründe des allgemeinen Wohls die Befreiung erfordern. Auch ein solches Erfordernis lässt sich hinsichtlich der beiden streitbefangenen Platanen auf der städtischen Wegeparzelle nicht feststellen.
46Dieser Befreiungsgrund setzt ebenso wie der allgemeine naturschutzrechtliche Befreiungstatbestand in § 31 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG 1976 zweierlei voraus: Zum einen muss der Sachverhalt einer besonderen oder Ausnahmesituation vorliegen, der sich vom gesetzlich geregelten Tatbestand durch das Merkmal der Atypik abhebt. Ist dieses Erfordernis genügt, so bedarf es zum anderen einer Abwägungsentscheidung, bei der in Rechnung zu stellen ist, dass eine Befreiung allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht sie rechtfertigen. Dies folgt daraus, dass der (materielle) Gesetzgeber dem Schutz der in der betreffenden Regelung genannten Belange des Natur- und Landschaftsschutzes – hier der in § 3 BSchS MH i.V.m. § 49 des Gesetzes zum Schutz der Natur Nordrhein-Westfalen (LNatSchG) genannten Bäume – erkennbar hohe Bedeutung beimisst.
47Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 4 B 12.02 –, juris, Rn. 2 ff.; Fischer-Hüftle, in: Fischer-Hüftle/Herter/Kratsch/Schumacher/Schumacher, Bundesnaturschutzgesetz – Kommentar, 1. Aufl. 2003, § 62 Rn. 17.
48Die tatbestandliche Voraussetzung der Erforderlichkeit verlangt dabei – anders als der Tatbestand einer Ausnahme nach § 6 Abs. 1 S. 1 lit. e) BSchS MH – nicht, dass die beantragte Maßnahme das einzig denkbare Mittel ist, um das verfolgte öffentliche Interesse zu verwirklichen, dem öffentlichen Interesse also auf keine andere Weise als durch die Befreiung entsprochen werden könnte. Es genügt vielmehr, wenn die Maßnahme zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses „vernünftigerweise geboten“ ist. Unzureichend ist es dagegen, wenn die Befreiung dem allgemeinen Wohl nur irgendwie nützlich oder dienlich ist.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 – 8 A 1183/18 –, juris, Rn. 340; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Februar 2000 – 8 A 10321/99 –, juris, Rn. 33; Fischer-Hüftle, in: Fischer-Hüftle/Herter/Kratsch/Schumacher/Schumacher, Bundesnaturschutzgesetz – Kommentar, 1. Aufl. 2003, § 62, Rn. 19.
50Auch wenn die Verwirklichung des öffentlichen Interesses danach nicht mit der Befreiung stehen oder fallen muss, ist deren Erteilung dennoch in der Regel nicht erforderlich, wenn Alternativlösungen im Sinne von Standort- oder Ausführungsvarianten bestehen, die keinen unzumutbaren Aufwand erfordern.
51Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. September 2012 – 8 A 104/10 –, juris, Rn. 55; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Werkstand: 102. EL September 2023, § 67 BNatSchG, Rn. 13; Teßmer, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 68. Edition, Stand: 1. Januar 2022, § 67 BNatSchG, Rn. 9; Fischer-Hüftle, in: Fischer-Hüftle/Herter/Kratsch/Schumacher/Schumacher, Bundesnaturschutzgesetz – Kommentar, 1. Aufl. 2003, § 62, Rn. 19..
52Die Beurteilung der „Erforderlichkeit“ ist dabei Teil der von der Naturschutzbehörde vorzunehmenden Abwägung, ob das konkrete Vorhaben von seinem Gemeinwohlbezug her den Eingriff in die geschützten natur- oder landschaftsschutzrechtlichen Belange rechtfertigt.
53Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11. Februar 2000 – 8 A 10321/99 –, juris. Rn. 33; Fischer-Hüftle, in: Fischer-Hüftle/Herter/Kratsch/Schumacher/Schumacher, Bundesnaturschutzgesetz – Kommentar, 1. Aufl. 2003, § 62, Rn. 19.
54Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass § 6 Abs. 2 lit. b) BSchS MH – im Gegensatz zu § 31 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG 1976 bzw. § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BNatSchG 2002 – nicht ausdrücklich auch das Überwiegen der Gründe des Allgemeinwohls als Tatbestandsvoraussetzung anführt, keine weitere Bedeutung zu, da auch über die Voraussetzung der Erforderlichkeit vorgegeben wird, dass sich die Gründe des Allgemeinwohls bei einer Abwägung mit den beeinträchtigten baumschutzrechtlichen Belangen als vorrangig erweisen, d.h. überwiegen.
55Bei den gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen, also bei der Frage, ob im Einzelfall Gründe des Wohls der Allgemeinheit die gegen das Vorhaben anzuführenden natur- oder landschaftsschutzrechtlichen Belange überwiegen, steht der Naturschutzbehörde kein Beurteilungsspielraum und keine Einschätzungsprärogative zu; die Beantwortung dieser Frage ist gerichtlich vollständig nachprüfbar.
56Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2017 – 8 A 1125/14 –, juris, Rn. 105; Teßmer, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 68. Edition, Stand: 1. Januar 2022, § 67 BNatSchG, Rn., 5.
57Von diesen Grundsätzen ausgehend ist die Entscheidung der Beklagten, dass auch das – in § 2 EEG 2023 (für bestimmte Bereiche) zum Ausdruck kommende – öffentliche Interesse am Betrieb und der Errichtung von Solaranlagen für den Kläger keine Befreiungslage begründet, nicht zu beanstanden. Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob die streitbefangene Situation einen atypischen Fall darstellt (a), jedenfalls aber lässt sich kein Überwiegen des öffentlichen Interesses am begehrten Rückschnitt der beiden Platanen zur Sicherstellung der Effektivität der Solaranlagen gegenüber dem ebenfalls öffentlichen Interesse am unveränderten Erhalt der geschützten Bäume feststellen (b).
58a) Die Annahme einer Atypik setzt – wie schon der Wortlaut nahelegt – einen vom Normgeber so nicht vorausgesehenen Einzelfall voraus.
59Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. März 1998 – 4 A 7.97 –, juris, Rn. 26 und vom 18. Juni 1997 – 4 C 3.95 –, juris, Rn. 28 sowie Beschluss vom 14. September 1992 – 7 B 130.92 –, juris, Rn. 5.
60Das Rechtsinstitut der Befreiung ist für solche Fälle vorgesehen, von denen der Normgeber überrascht wird. Das sind solche atypischen Ausnahmefälle, die bei Erlass des (materiellen) Gesetzes, von dessen Vorschrift befreit werden soll, noch nicht erkennbar waren.
61Vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 26. September 1991 – 2 A 5.91 –, juris, Rn. 71.
62Es bedarf insoweit der Feststellung von Besonderheiten, die den betreffenden Fall von dem vom jeweiligen Normgeber zugrunde gelegten Regelfall unterscheiden.
63Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 10 S 2903/21 –, juris, Rn. 44.
64Die streitbefangene Situation zeichnet sich dadurch aus, dass eine teils schon betriebene, teils erst geplante Anlage zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- bzw. Stromerzeugung auf einer Dachfläche durch zwei davor aufstehende geschützte Bäume teilweise verschattet wird bzw. würde.
65Wie bereits oben festgestellt handelt es sich beim Schattenwurf jedoch um einen Effekt, der von Bäumen typischerweise ausgeht und daher im Geltungsbereich einer Baumschutzsatzung grundsätzlich hinzunehmen ist. Da auch die Existenz zweier größerer Bäume im öffentlichen Verkehrsraum vor dem eigenen Grundstück innerorts wie gesehen nichts Ungewöhnliches ist, ließe sich als Besonderheit hier allenfalls geltend machen, dass der Normgeber bei Erlass der BSchS MH im Jahre 1986 und auch bis zu ihrer letzten Änderung im Jahre 2002 die Erfordernisse des Klimaschutzes und die diesen dienende Errichtung von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien gerade auf Dachflächen schwerlich voraussehen konnte.
66So hinsichtlich der Errichtung einer Windenergieanlage innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 10 S 2903/21 –, juris, Rn. 44.
67Dem steht jedoch entgegen, dass naturschutzrechtliche Befreiungen einzelfallbezogen sind und nicht dazu dienen, natur- und landschaftsschutzrechtliche Regelungen in einem nicht unerheblichen Umfang außer Kraft zu setzen oder inhaltlich zu ändern. Sie sind nicht dafür konzipiert, zur Sicherstellung der Effektivität von Anlagen zur Nutzung regenerativer Energien in nennenswertem Umfang Eingriffe in geschützte Landschaftsbestandteile vorzunehmen und auf diese Weise einen allgemeinen, sich generell stehenden Konflikt zwischen Natur- und Landschaftsschutz auf der einen Seite und der Nutzung regenerativer Energien auf der anderen Seite zu lösen. Eine naturschutzrechtliche Befreiung für ein Vorhaben kommt in einer solchen Situation daher vor allem in Betracht, wenn die geschützten Natur- oder Landschaftsteile nur punktuell, „linear“ oder in Grenzbereichen bzw. randständig berührt werden oder es sich um ein singuläres Vorhaben handelt.
68Vgl. im Hinblick auf den Konflikt zwischen Landschaftsschutz und der Nutzung von Windenergie: OVG NRW, Urteil vom 21. April 2020 – 8 A 311/19 –, juris, Rn. 70 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 10 S 2903/21 –, juris, Rn. 44; vgl. zu singulären Vorhaben auch: BVerwG, Urteile vom 26. März 1998 – 4 A 7.97 –, juris, Rn. 26 und vom 18. Juni 1997 – 4 C 3.95 –, juris, Rn. 28; speziell im Zusammenhang mit § 2 EEG 2023: Bader/Deißler/Weinke, Öffentliches Interesse und öffentliche Sicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, ZNER 2022, 337 (343).
69Die streitbefangene Konstellation lässt jedoch weder eine vergleichbar niederschwellige Betroffenheit des geschützten Landschaftsbestandteils noch eine Einzigartigkeit des Vorhabens erkennen.
70b) Jedenfalls aber lässt sich kein Überwiegen des öffentlichen Interesses am begehrten Rückschnitt der beiden Platanen zur Sicherstellung der Effektivität der Solaranlagen gegenüber dem ebenfalls öffentlichen Interesse am unveränderten Erhalt der beiden geschützten Platanen feststellen.
71Allerdings besteht ein besonderes öffentliches Interesse am Ausbau der Nutzung regenerativer Energien
72so auch: OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 – 8 A 1183/18 –, juris, Rn. 349,
73und damit auch der Sonnenenergie insbesondere zum Zwecke der Reduktion der Treibhausgasemissionen und damit zum Klimaschutz, zu dem der Staat gemäß Art. 20a GG verpflichtet ist.
74Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 198.
75Dementsprechend verpflichtet § 13 Abs. 1 S. 1 des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) die Träger öffentlicher Verwaltung bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele, d. h. insbesondere die Gewährleistung der Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels (§ 1 S. 1 KSG), zu berücksichtigen. Speziell für den Gebäudesektor sieht das Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden (GEG) zu diesem Zweck Maßnahmen zum möglichst sparsamen Einsatz von Energie in Gebäuden einschließlich einer zunehmenden Nutzung erneuerbarer Energien zur Erzeugung von Wärme, Kälte und Strom für den Gebäudebetrieb vor (vgl. § 1 Abs. 1 GEG zu Zweck und Ziel dieses Gesetzes), eine Pflicht zu einer entsprechenden Nutzung jedoch derzeit grundsätzlich nur für neu zu errichtende Gebäude (§§ 34 ff. GEG).
76Die vom Kläger zur näheren Gewichtung dieses öffentlichen Interesses am Ausbau der Nutzung regenerativer Energien angeführte Vorschrift des § 2 EEG 2023 greift im vorliegenden Fall jedoch nicht in vollem Umfange ein.
77Nach Satz 1 dieser Vorschrift liegen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen nachfolgend definierter Art sowie den dazugehörigen Nebenanlagen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden (§ 2 S. 2 EEG 2023).
78Allerdings beinhaltet die Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung nach § 6 Abs. 2 lit. b) BSchS MH eine Schutzgüterabwägung im Sinne des § 2 S. 2 EEG 2023. Denn unter diesen Begriff fallen, wie sich schon aus dem Wortlaut ergibt, jedenfalls alle planerischen wie auch im Einzelfall von einer Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidungen, die sich gerade dadurch auszeichnen, das mit ihnen die jeweils betroffenen Schutzgüter abgewogen werden.
79Vgl. Bader/Deißler/Weinke, Öffentliches Interesse und öffentliche Sicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, ZNER 2022, 337 (338); Schlacke/Wentzien/Römling, Beschleunigung der Energiewende: Ein gesetzgeberischer Paradigmenwechsel durch das Osterpaket?, NVwZ 2022, 1577 (1578) sowie sowie FN 14; Grenzer, in: jurisPR-UmwR 3/2023 Anm. 3 zu OVG NRW, Urteil vom 27. Oktober 2022 – 22 D 247/21.AK – und jurisPR-UmwR 11/2022 Anm. 3 zu OVG NRW, Beschluss vom 2. November 2022 – 2 A 518/22.
80Dementsprechend werden auch in der Gesetzesbegründung als Anwendungsfall ausdrücklich Abwägungsentscheidungen gerade im Naturschutzrecht angeführt.
81Vgl. Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 2022 zum Erlass eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiterer Maßnahmen im Stromsektor, BT-Drs. 20/1630, S. 159.
82Entgegen der Einschätzung der Beklagten müssen die in § 2 EEG 2023 für diese Abwägung normierten Vorgaben innerhalb des Geltungsbereichs des EEG 2023 auch ohne weitere Verankerung im betreffenden Fachgesetz beachtet werden. Es bestehen auch verfassungsrechtlich keine durchgreifenden Bedenken daran, dass der Bundesgesetzgeber in einem Bereich, für den er – wie im Fall des Energiewirtschaftsrechts einschließlich der Erzeugung und Verteilung von Energie (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) –
83vgl. Uhle in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz – Kommentar, Werkstand: 101. EL Mai 2023, Art. 74, Rn. 240,
84die Gesetzgebungskompetenz besitzt, (Gewichtungs-)Vorgaben macht, die sich auch unmittelbar auf Entscheidungen nach anderen Fachgesetzen auswirken.
85Vgl. Schlacke/Wentzien/Römling, Beschleunigung der Energiewende: Ein gesetzgeberischer Paradigmenwechsel durch das Osterpaket?, NVwZ 2022, 1577 (1579).
86Dies gilt jedenfalls, wenn der Bundesgesetzgeber – wie hier für den Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) – auch für dieses Fachgesetz das Recht zur Gesetzgebung hat.
87Von der Regelung des § 2 EEG 2023 profitiert jedoch im Rahmen der bei § 6 Abs. 2 lit. b) BSchS MH vorzunehmenden Abwägung nicht die vom Kläger auf der südlichen Dachfläche seines Hauses bereits betriebene Solarthermieanlage zur Warmwasserbereitung, sondern nur die im unteren Bereich der Dachfläche zukünftig geplante Photovoltaikanlage zur Stromerzeugung.
88Das EEG 2023, insbesondere auch die Regelung in seinem § 2 erfasst keine Solarthermieanlagen zur Warmwasserbereitung. Dies macht bereits die zentrale Vorschrift des § 1 Abs. 1 EEG 2023 deutlich, derzufolge Ziel dieses Gesetzes im Interesse des Klima- und Umweltschutzes die Transformation zu einer nachhaltigen und treibhausgasneutralen Stromversorgung ist, die vollständig auf erneuerbaren Energien beruht. Diese ausschließliche Fokussierung des EEG auf den Stromsektor wird auch im Titel des gerade die Regelung seines § 2 verschärfenden Änderungsgesetzes, nämlich des „Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiterer Maßnahmen im Stromsektor“ vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1237) sowie in den Begründungen der jeweiligen Entwürfe dieses Gesetzes (BT-Drs. 20/1630) wie auch schon des ersten EEG (BT-Drs. 14/2341) hinreichend deutlich, in denen als Regelungsgegenstand die Erzeugung und der Verbrauch von bzw. die Versorgung mit Strom bzw. Elektrizität beschrieben werden. Dementsprechend erfasst auch die hier fragliche Vorschrift des § 2 EEG 2023 – entgegen der Einschätzung des Klägers – lediglich Anlagen zur Stromerzeugung, nicht aber zur Warmwasserbereitung. So wird der von § 2 S. 1 EEG 2023 verwendete Begriff der Anlagen, deren Errichtung und Betrieb im überragenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen, in § 3 Nr. 1 EEG 2023 dahingehend gesetzlich definiert, dass mit ihm nur Einrichtungen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien oder aus Grubengas einschließlich solcher Einrichtungen erfasst werden, die zwischengespeicherte Energie, die ausschließlich aus erneuerbaren Energien oder Grubengas stammt, aufnehmen und in elektrische Energie umwandeln. Danach regelt § 2 S. 1 EEG 2023 ausschließlich Anlagen zur Stromerzeugung. Diese Beschränkung des Regelungsgegenstandes folgt auch aus der Vorschrift des § 2 S. 2 EEG 2023. Danach sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden, bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist. Bereits aus dem Anknüpfungspunkt der zeitlichen Befristung des gesetzlichen Vorrangs erneuerbarer Energien – nämlich einem bestimmten Zustand der Entwicklung der Stromerzeugung – wird deutlich, dass er nicht für beliebige Energieformen, sondern lediglich für die Stromerzeugung gilt. Nur dies wird im Übrigen auch dem systematischen Zusammenhang mit der Vorschrift des § 2 S. 1 EEG 2023 und dem beschriebenen Anwendungsbereich des gesamten EEG 2023 gerecht. Dass – worauf der Kläger hinweist – zu den erneuerbaren Energien gemäß § 3 Nr. 21 lit. c) EEG 2023 auch die solare Strahlungsenergie gehört und nach dem allgemeinen Begriffsverständnis hierzu auch die rein thermische Nutzung zur Gewinnung von Warmwasser- und Heizungswärme durch Sonnenkollektoren zählt,
89vgl. Hennig/von Bredow/Valentin, in: Frenz/Müggenborg/Cosack/Hennig/Schomerus, Erneuerbare-Energien-Gesetz – Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 3, Rn. 132; Greb, in: BeckOK EEG, Greb/Boewe, 12, Edition, Stand: 14. Juni 2022, § 3 Nr. 21, Rn. 15,
90vermag als reine Begriffsbestimmung den gesetzlich klar umschriebenen Anwendungsbereich des EEG 2023 allgemein wie auch hinsichtlich seines § 2 im Besonderen nicht zu ändern.
91Allein hinsichtlich der vom Kläger erst geplanten Photovoltaikanlage ist somit gemäß § 2 EEG 2023 von einem überragenden öffentlichen Interesse auszugehen, das als vorrangiger Belang in die durchzuführende Schutzgüterabwägung eingebracht werden soll. Nach der Gesetzesbegründung sollen die erneuerbaren Energien damit im Rahmen von Abwägungsentscheidungen auch im Naturschutzrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden.
92Vgl. Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 2022 zum Erlass eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiterer Maßnahmen im Stromsektor, BT-Drs. 20/1630, S. 159.
93Dies führt jedoch nicht zu einem automatischen und absoluten Vorrang der erneuerbaren Energien – hier der solaren Strahlungsenergie zur Stromerzeugung. Nach wie vor ist eine umfassende Abwägungsentscheidung im Einzelfall erforderlich. Der hohe Stellenwert der energie- und klimapolitischen Interessen nimmt das Ergebnis der vorgeschriebenen Abwägung nicht vorweg. Denn das überragende Interesse an der Errichtung und dem Betrieb von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien kann auch auf gleichrangige Interessen stoßen.
94Vgl. Schlacke/Wentzien/Römling, Beschleunigung der Energiewende: Ein gesetzgeberischer Paradigmenwechsel durch das Osterpaket?, NVwZ 2022, 1577 (1578); Hendriscke, Bewältigung naturschutzrechtlicher Konflikte beim Ausbau erneuerbarer Energien, NVwZ 2023, 965 (967); Bader/Deißler/Weinke, Öffentliches Interesse und öffentliche Sicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, ZNER 2022, 337 (338); Attendorn, Umweltrechtliche Ausnahmeabwägungen über die Zulassung von Wasser- und Windkraftanlagen nach dem „Osterpaket“, NVwZ 2022, 1586 (1589); gegen einen prinzipiellen Vorrang naturschutzrechtlicher oder klimaschützerischer Belange bereits: Günther, Photovoltaikanlagen und der Schatten geschützter Bäume – Klima- und Naturschutz im Konflikt, NuR 2013, 387 (389); weitergehend für den Konflikt zwischen Klima- und Denkmalschutz: OVG NRW, Urteil vom 31. Oktober 2023 – 7 D 187/22.AK –, juris, Rn. 160.
95Dementsprechend sieht auch die Gesetzesbegründung die Möglichkeit vor, dass andere öffentliche Interessen den erneuerbaren Energien dann entgegenstehen, wenn sie mit einem dem Art. 20a GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang gesetzlich verankert bzw. gesetzlich geschützt sind
96Vgl. Entwurf der Bundesregierung vom 2. Mai 2022 zum Erlass eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiterer Maßnahmen im Stromsektor, BT-Drs. 20/1630, S. 159; vgl. hinsichtlich der Befreiung zugunsten von Windenergieanlagen im Landschaftsschutzgebiet: OVG NRW, Urteil vom 29. November 2022 – 22 A 1184/18 –, juris, Rn. 445 und Beschluss vom 4. August 2022 – 22 A 488/20 –, juris, Rn. 57.
97Art. 20a GG genießt nämlich keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen.
98Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 198.
99Im vorliegenden Fall kollidieren mit dem öffentlichen Interesse an der Nutzung erneuerbarer Energien zum Zwecke des Klimaschutzes aber noch nicht einmal andere Verfassungsrechtsgüter. Vielmehr geht es auch beim Baumschutz vor allem um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne des Art. 20a GG. Bäume stellen sogar selbst natürliche Lebensgrundlagen dar und tragen im Übrigen auch noch zum Erhalt anderer natürlicher Lebensgrundlagen bei. Gerade bei einem solchen umweltinternen Zielkonflikt ist darauf zu achten, dass insgesamt im Ergebnis ein hohes Schutzniveau für die Umwelt gewährleistet wird, es nicht zu einer Verlagerung nachteiliger Auswirkungen von einem Schutzgut auf ein anderes kommt und erst recht nicht dasselbe Schutzgut gleichzeitig an der einen Seite geschützt und an der anderen Seite ebensostark beeinträchtigt wird.
100Vgl. unter Verweis auf den Bewirtschaftungsgrundsatz nach § 6 Abs. 1 S. 2 WHG: Hendriscke, Bewältigung naturschutzrechtlicher Konflikte beim Ausbau erneuerbarer Energien, NVwZ 2023, 965 (967); Bader/Deißler/Weinke, Öffentliches Interesse und öffentliche Sicherheit beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, ZNER 2022, 337 (338); Hilsberg, Baumschutz versus Photovoltaik-, Solaranlagen auf Dächern, Taspo Baumzeitung 6/2022, S. 50 ff.; Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende – KNE (2023): Anfrage Nr. 349 zu Klima- und Baumschutz im Kontext des § 2 EEG beim Ausbau von Dach-PV, Antwort vom 22. Juni 2023, S. 5; Günther, Photovoltaikanlagen und der Schatten geschützter Bäume – Klima- und Naturschutz im Konflikt, NuR 2013, 387 (389).
101Den Zielkonflikt verschärfende Baumfällungen und Astschnitte sind weder vom Gesetzgeber vernünftigerweise gewollt
102vgl. KNE (2023): Anfrage Nr. 349 zu Klima- und Baumschutz im Kontext des § 2 EEG beim Ausbau von Dach-PV, Antwort vom 22. Juni 2023, S. 5,
103noch rechtlich geboten.
104Damit bedarf es bei der Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung von gesetzlichen Verboten nach einer Baumschutzsatzung zur Erhöhung der Effektivität einer Solaranlage einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Anlage nach ihrer Art und Größe sowie des Umfangs der Verschattungswirkung einerseits und – gerade auch angesichts der flächendeckenden Unterschutzstellung durch § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 BSchS MH – der Qualität und Bedeutung des jeweils betroffenen Baumes an seinem konkreten Standort sowie der Folgen seiner Schädigung bzw. der wesentlichen Veränderung seines Aufbaus andererseits, einschließlich der Betrachtung von Alternativlösungen bzw. -standorten. Dabei ist allgemein ein öffentliches Interesse an der Nutzung erneuerbarer Energien zu berücksichtigen, das speziell für den Bereich der Photovoltaik durch § 2 EEG deutlich erhöht ist. Angesichts der Identität des im Vordergrund stehenden Schutzgutes geht damit jedoch keine regelmäßige Pflicht zur Befreiungserteilung einher. Entscheidend ist vielmehr der jeweilige Einzelfall.
105Vgl. Hilsberg, Baumschutz versus Photovoltaik-, Solaranlagen auf Dächern, Taspo Baumzeitung 6/2022, S. 50 ff.; KNE (2023): Anfrage Nr. 349 zu Klima- und Baumschutz im Kontext des § 2 EEG beim Ausbau von Dach-PV, Antwort vom 22. Juni 2023; trotz Vorrangs der regenerativen Energien letztlich auch einen entsprechenden Entscheidungsspielraum bei baumschutzrechtlichen Abwägungsentscheidungen annehmend: Vornholt, Klimawandel und Städtebaurecht – CO2-Reduktion und Stadtgrün in der modernen Stadtplanung, ESGZ 2023, 4 (7); so schon früher: Günther, Photovoltaikanlagen und der Schatten geschützter Bäume – Klima- und Naturschutz im Konflikt, NuR 2013, 387 (389 f.).
106Diese Abwägung geht im vorliegenden Fall zu Gunsten des Baumschutzes aus. Die streitbefangene südliche Dachfläche hat angesichts der Grundfläche der von ihr abgedeckten Doppelhaushälfte von knapp 6 × 12 m im Vergleich zu anderen Gebäudetypen eher kleinere Ausmaße. Derzeit werden auf dieser Dachfläche unterhalb des Firstes lediglich fünf je 2,25 m² große solarthermische Flachkollektoren zur Warmwasserbereitung betrieben. Zwar sprechen die örtlichen Verhältnisse, insbesondere die Höhe und Nähe der beiden vor den Grundstücken I.---------straße 00 und 00 etwa 2,25 m vom hausseitigen Rand des Fußwegs entfernt aufstehenden zwischen 18 und 22 m hohen Platanen einerseits und die Höhe des Firstes des Hauses des Klägers von etwa 12 m für eine nicht unerhebliche Verschattung dieser Anlage. Substantiiert darzulegen vermochte der Kläger die damit verbundene Einschränkung des Wirkungsgrades jedoch nicht, was nach den allgemeinen Regeln der Darlegung- und Beweislast zu seinen Lasten geht. Soweit in der Klagebegründung festgestellt wird, dass die Anlage wegen der Verschattung inzwischen nur noch rund 3000 kWh im Jahr erziele, dem ein erzielbarer Kollektorertrag von gut 9000 kWh im Jahr gegenübergestellt und daraus ein Effizienzverlust von etwa 66 % ermittelt wird, lässt sich dies nicht damit vereinbaren, dass jeder der fünf montierten Flachkollektoren des Typs C. XXX-0X nach Herstellerangaben lediglich einen jährlichen Kollektorertrag von 1111 kWh hat.
107Vgl. Bosch Broschüre Thermische Solarsysteme, abrufbar unter: https://www.bosch-homecomfort.com/ocsmedia/optimized/full/o399482v272_Thermische_Solarsysteme.pdf.
108Auf entsprechenden Vorhalt des Gerichts hat der Kläger lediglich vermutet, dass seinen Berechnungen mittels im Internet zur Verfügung gestellter Tools eine andere Anzahl an Sonnenstunden zugrundegelegt hätten. Dies erklärt den erheblichen Unterschied zu den Herstellerangaben jedoch nicht ansatzweise. Neben der Solarthermieanlage ist nach Einschätzung des erkennenden Gerichts allerdings auch die bisher lediglich vom Kläger auf derselben Dachfläche geplante Errichtung von acht Photovoltaikmodulen zur reinen Stromerzeugung mit in die Betrachtung einzubeziehen. Denn der Kläger hat insbesondere im Ortstermin glaubhaft gemacht, dass diese Pläne konkret sind und er sie bisher lediglich wegen der Verschattung durch die streitbefangenen Bäume zurückgestellt hat. Diese Form der Nutzung erneuerbarer Energien zur Stromerzeugung liegt nach § 2 EEG 2023 insbesondere aus Gründen des Klimaschutzes im überragenden öffentlichen Interesse und ist bis zur Erreichung der Treibhausgasneutralität der Stromerzeugung grundsätzlich als vorrangiger Belang zu berücksichtigen. Auch liegt es angesichts der beschriebenen örtlichen Verhältnisse nahe, dass der Wirkungsgrad einer solchen Anlage aufgrund ihres Anbringungsortes unterhalb der vorhandenen Solarthermieanlage infolge des von den beiden streitbefangenen Platanen geworfenen Schattens sehr erheblich eingeschränkt wäre. Andererseits hat der Kläger ebenfalls nicht substantiiert dargelegt, wie stark sich der Wirkungsgrad bei dem von ihm konkret begehrten dauerhaften Rückschnitt der Platane vor der Hausnummer 90 auf eine Höhe von 14 m und vor der Hausnummer 92 auf eine Höhe von 12 m erhöhen würde. Insoweit hat er lediglich pauschal vorgetragen, dass der betreffende Bereich der Dachfläche bei einem entsprechenden Rückschnitt „von der Sonne ausreichend ausgeleuchtet“ würde. Jedenfalls aber in die Abwägung einzustellen ist, dass es sich bei der geplanten Photovoltaikanlage mit lediglich acht Modulen und einer Gesamtleistung von ca. 3,2 kWp um eine sehr kleine Anlage handeln würde, die dementsprechend auch nur einen geringen Beitrag zum Klimaschutz leisten würde. So betrug die Durchschnittsgröße der neu installierten Photovoltaikanlagen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 23,8 kWp.
109Vgl. Statista, Durchschnittsgröße der neu installierten Photovoltaikanlagen in Deutschland nach Bundesland im Jahr 2018, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/180803/umfrage/durchschnittsgroesse-der-neu-installierten-photovoltaik-anlagen-nach-bundeslaendern/.
110Ende des Jahres 2021 stammten lediglich 15 % der gesamten in Deutschland installierten Photovoltaikleistung aus dachgestützten Anlagen bis zu einer Größe von 10 kWp.
111Vgl. Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland, Fassung vom 20. Dezember 2023, S. 23 f., insbes. Abbildung 18, abrufbar unter: https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/aktuelle-fakten-zur-photovoltaik-in-deutschland.pdf.
112Demgegenüber handelt es sich bei den beiden Platanen, deren Rückschnitt der Kläger begehrt, um zwei bereits etwa 50 Jahre alte und mit einer Höhe von 18-22 m recht große Bäume, die gerade auch nach dem im Ortstermin gewonnenen Eindruck gegenüber der Vielzahl der kleineren Bäume im näheren Umfeld deutlich hervortreten und das Ortsbild prägen (vgl. § 1 Abs. 1 lit. b) BSchS MH). Nach den Feststellungen des fachkundigen Mitarbeiters der unteren Naturschutzbehörde der Beklagten im Ortstermin stellen sich die Bäume als sehr vital dar und zeigen keine Schädigung. Als solches kommt ihnen entsprechend dieser fachkundigen Feststellungen in mehrfacher Hinsicht große Bedeutung insbesondere für die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu (vgl. § 1 Abs. 1 lit. a) BSchS MH). So dienen sie als CO2-, aber auch als Staubfilter, bieten Lebensraum für unterschiedliche Tiere und tragen so zur Biodiversität bei. Darüber hinaus führen sie im Umfeld zu einer Abkühlung und verbessern damit das Stadtklima (vgl. § 1 Abs. 1 lit. d) BSchS MH). Hinsichtlich der CO2-Filterung fällt besonders ins Gewicht, dass die ahornblättrigen Platanen aufgrund ihrer Schnellwüchsigkeit und Langlebigkeit von bis zu mehreren Hundert Jahren der Atmosphäre vergleichweise höhere Mengen an CO2 pro Jahr entziehen und den Kohlenstoff über einen längeren Zeitraum binden.
113Vgl. Berner Fachhochschule, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, Stadtbäume für den Klimaschutz – Pilotprojekt Urban Green & Climate – Faktenblatt IV, insbes. Tabelle 1 und Abbildung 2, abrufbar unter: file://srzms06c004/VGD/HOMES/vg4245/zbs/Downloads/Faktenblatt4-Stadtbaeume_fuer_den_Klimaschutz.pdf; wikipedia-Einträge zu den Stichworten „Platanen“ und „Ahornblättrige Platane“, abrufbar unter: www.wikipedia.de, Universität Münster, Kleine Baumschule, Eintrag zum Stichwort „Ahornblättrige Platane“, abrufbar unter: https://www.uni-muenster.de/KleineBaumschule/ahornblaettrigeplatane.html.
114Mit dem vom Kläger begehrten Rückschnitt würde die Höhe der Platane vor dem Grundstück I.---------straße 00 von etwa 22 m um 8 m auf 14 m und der Platane vor dem Grundstück I.---------straße 00 von etwa 18 m um 6 m auf 12 m reduziert. Berücksichtigt man den lichten Raum unterhalb der Kronen von 3-4 m, so würde die Höhe der beiden Kronen und damit – schon ohne eine dadurch gegebenenfalls bedingte Einkürzung der seitlichen Äste – auch ihr Volumen fast halbiert. Unabhängig davon, ob die beiden Platanen durch einen solchen Rückschnitt trotz ihrer grundsätzlich hohen Schnittverträglichkeit
115vgl. z.B. Schnittzeiten UG Wuppertal, Platanen schneiden, pflanzen & pflegen - so gehts richtig!, abrufbar unter: https://www.schnittzeiten.de/garten-tipps/platanen-schneiden/#:~:text=Wer%20eine%20exakte%20Formgebung%20mag,Teleskop%2DHeckenschere)%20eingek%C3%BCrzt%20werden
116etwa aufgrund einer vom Mitarbeiter der unteren Naturschutzbehörde im Ortstermin für möglich erachteten Pilzbildung in ihrer Existenz bedroht werden, würde mit der erheblichen Reduzierung ihres begrünten Volumens in etwa gleichem Umfang auch ihr Beitrag zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts und zur Verbesserung des Stadtklimas, aber auch zur Erhaltung des Ortsbildes reduziert. Unwesentlich ist dagegen im vorliegenden Zusammenhang der von der Beklagten eingewandte allein wirtschaftliche Gesichtspunkt, dass es bei einem entsprechenden Rückschnitt wegen Bruchgefahren an den Schnittstellen zu einem erheblichen und wirtschaftlich unverhältnismäßigen Mehraufwand bei der Pflege käme.
117Schließlich ist bei der Abwägung, speziell bei der Erforderlichkeit der Befreiung zum Schutz des geltend gemachten öffentlichen Interesses mit in Betracht zu ziehen, dass für die Errichtung und den Betrieb entsprechender Solaranlagen, insbesondere auch einer Photovoltaikanlage der vom Kläger geplanten (geringen) Größe von 3,2 kWp schon im unmittelbaren Umfeld zahlreiche Alternativstandorte in Betracht kommen. So sind ausweislich des Solardachkatasters der Stadt N. an der S. bereits im Umkreis von nur 100m um das Grundstück des Klägers von den 68 dort aufstehenden Hauptgebäuden hinsichtlich ihrer Dachflächen für Photovoltaikanlagen 63 gut geeignet oder geeignet, 2 noch bedingt geeignet und nur 3 (einschließlich des klägerischen) ungeeignet.
118Vgl. Solardachkataster der Stadt Mülheim an der Ruhr, abrufbar unter: https://www.muelheim-ruhr.de/cms/solardachkataster.html.
119Darüber hinaus besteht aber auch auf dem Grundstück des Klägers die Möglichkeit, an anderer Stelle effektiv Strom mittels Photovoltaik zu erzeugen, ohne dafür Bäume schädigen zu müssen. So hat der Kläger nach eigenen Angaben im Ortstermin auf dem Dach seines Gartenhauses in Eigenleistung zwei Photovoltaikmodule installiert, die allerdings lediglich eine Leistung von insgesamt etwa 800 W besitzen. Dass diese Leistung mit anderen Modulen an dieser Stelle deutlich erhöht werden kann, wird dadurch belegt, dass der Nachbar des Klägers nach dessen Angaben im Ortstermin an vergleichbarer Stelle acht Module mit einer Gesamtleistung von 3 kWp hat installieren lassen, was ungefähr der Leistung der Anlage entspricht, die der Kläger auf der südlichen Dachfläche seines Hauses errichten möchte.
120Insbesondere angesichts der geringen Größe der auf dem Dach des Hauses des Klägers betriebenen und geplanten Solaranlagen einerseits, der Qualität der beiden vor dem Haus aufstehenden Platanen und der Folgen ihres Rückschnitts im begehrten Umfang andererseits sowie der möglichen Alternativstandorte zur Nutzung erneuerbarer Energien gerade auch im unmittelbaren Umfeld überwiegt das öffentliche Interesse am unveränderten Erhalt der beiden Platanen die Gründe für ihren Rückschnitt zur Effektivitätssteigerung der genannten Solaranlagen.
121Da somit bereits keiner der für die begehrte Ausnahme oder Befreiung in Betracht kommenden Tatbestände erfüllt sind und diese – wie gesehen – auch keinen Beurteilungsspielraum der Behörde eröffnen, ist auch die hilfsweise verfolgte Bescheidungsklage unbegründet.
122Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
123Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2 und 711 der Zivilprozessordnung.
124Die Berufungszulassung beruht auf § 124a Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Frage der Behandlung einer Kollision des öffentlichen Interesses an der Nutzung erneuerbarer Energien einerseits und am Baumschutz andererseits im Zusammenhang mit der Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung vom Verbot der Schädigung eines geschützen Baumes bzw. der wesentlichen Veränderung seines Aufbaus zur Steigerung der Effektivität einer Solaranlage ist insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften Vorschrift des § 2 EEG 2023 von grundsätzlicher Bedeutung und soweit ersichtlich obergerichtlich noch nicht geklärt.
125Rechtsmittelbelehrung:
126Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
127Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
128Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
129Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
130Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
131Die Berufungsschrift und die Berufungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
132Beschluss:
133Der Streitwert wird auf 5000,00 Euro festgesetzt.
134Gründe:
135Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG erfolgt und orientiert sich an Ziffer 29.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai / 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.
136Rechtsmittelbelehrung:
137Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
138Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
139Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
140Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
141Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
142War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.