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Steht rechtsmedizinisch fest, dass der Betroffene lediglich einmal Cannabis zu sich genommen hat, ist die Anordnung eines Drogenscreenings nach § 7 Abs. 3 S. 3 und 4 LuftSiG, die sich auf alle Arten psychotroper Substanzen einschließlich sog. "harter Drogen" erstreckt, unverhältnismäßig.
Der Bescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 00. Februar 0000 wird aufgehoben.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Bezirksregierung stellte mit Bescheid vom 23. September 2022 die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers fest. Der Kläger wurde kurz danach am 0. Oktober 0000 um 20:10 Uhr in V. polizeiauffällig. Nach dem Polizeiprotokoll führte er seinen PKW ohne Inhaber einer Fahrerlaubnis zu sein. Außerdem wurde später rechtsmedizinisch festgestellt, dass der Kläger Cannabis konsumiert hatte. Seine Blutprobe wiesen für die rauschwirksamen Stoffe THC und Hydroxy-THC Gehalte von 0,75 sowie ca. 0,33 ng/mL Blutserum und für das nicht rauschwirksame Stoffwechselprodukt THC-COOH einen Wert von 16 ng/mL Blutserum auf. Das toxikologische Universitätsgutachten verortete die rauschwirksamen Werte im sehr niedrigen und die rauschunwirksamen Stoffe im mittleren Bereich, wobei letztere „zunächst auf eine längerfristig zurückliegende, wiederholte Aufnahme“ hinweise.
3Als die Bezirksregierung hiervon erfuhr, forderte sie den Kläger unter Wiedergabe der vorstehenden Umstände am 0. Januar 0000 auf, seine aktuelle Drogenfreiheit nachzuweisen. Sie erklärte:
4„Als einen solchen Nachweis würde ich ein entsprechendes Gutachten eines Arztes über eine Urinuntersuchung, spätestens acht Tage nach Erhalt meines Schreibens, auf Drogen bzw. Drogenerstzstoffe im Original anerkennen.“
5Der Drogentest auf seine Kosten müsse Werte für folgende Stoffe enthalten: Amphetamine, Amphetaminderivate, Benzodiazepine, Cannabinoide, Halluzinogene, Kokain, Methadon, Metamphetamine, Opiate, Opioide und Kreatinin. Für die Vorlage des Gutachtens setzte sie eine Frist bis zum 6. Februar 2023. Sie belehrte ihn darüber, dass sie bei Nichterbringen des Nachweises über die Drogenfreiheit die Zuverlässigkeit aufheben müsse. Die Aufforderung wurde dem Kläger am 7. Januar 2023 zugestellt.
6Am 10. Januar 0000 gab der Kläger seine Urinprobe bei S. in Z. („Abstinenzkontrolle“) ab. Das toxikologische Labor untersuchte die am 18. Januar 2023 bei ihm eingegangene Probe am 19. Januar 2023.
7Die Untersuchung verlief hinsichtlich aller Drogen mit einem negativen Ergebnis (= Bestätigung der Drogenfreiheit).
8Das Labor versandte das Ergebnis an Dr. G.. Der an den Kläger gerichtete Brief des Dr. J. vom 9. Februar 2023 mit den Untersuchungsergebnissen wurde am 12. Februar 2023 abgestempelt. Am 14. Februar 2023 übermittelte der Kläger um 18:50 Uhr die von ihm eingescannten Laborbefunde und das Anschreiben von Dr. G. der Bezirksregierung, und zwar über die von dieser in luftsicherheitsrechtlichen Sachen verwendete eMail-Adresse „Luftsicherheit_ZUP@brd.nrw.de“.
9Am 00. Februar 0000 erließ die Bezirksregierung den Widerrufsbescheid, der dem Kläger am 16. Februar 2023 zugestellt wurde.
10Am 00. Februar 0000 wurde der Kläger wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt. Der Strafbefehl wurde am 4. März 2023 rechtskräftig.
11Der Kläger beantragt,
12den Bescheid der Bezirksregierung vom 00. Februar 0000 aufzuheben.
13Die Bezirksregierung beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie wiederholt und vertieft die im Verwaltungsverfahren angeführten Gründe. Allerdings räumt sie ein, dass die Frist zur Probenabgabe vom Kläger nicht versäumt worden sei, weil das Fristende auf einen Sonntag gefallen sei. Im Wesentlichen trägt sie weiter vor: Das für den Kläger günstige negative Ergebnis des Drogenscreenings sei bei ihr erst eingegangen, nachdem entsprechend ihrer Geschäftsverteilung die Entscheidung über den Widerruf bereits am Nachmittag des 14. Februar 2023 dezernatsintern gefallen gewesen sei. Diese Entscheidung sei am 00. Februar 0000 morgens auf den Postweg gegeben worden. Schließlich habe die Bezirksregierung trotz des bloßen Cannabiskonsums auch eine Untersuchung u.a. auf sogenannte „harte“ Drogen anordnen dürfen, weil es keinen substanziellen Unterschied zwischen „harten“ und „weichen“ Drogen gebe.
16Entscheidungsgründe
17Der Einzelrichter war nach § 6 VwGO zuständig. Er konnte nach § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
18Die Klage hat Erfolg.
19Der Widerrufsbescheid vom 00. Februar 0000 ist rechtswidrig und der Kläger wird dadurch in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG NRW, der allein als Rechtsgrundlage der Widerrufsverfügung in Betracht kommt, lagen im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids nicht vor.
201. Ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die Behörde – hier die Bezirksregierung als zuständige Luftsicherheitsbehörde – aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.
21Es müssen nachträglich Tatsachen eingetreten sein, die die Luftsicherheitsbehörde berechtigten, die Zuverlässigkeit des Betroffenen zu verneinen. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist (auch) beim Widerruf der Feststellung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, weil das materielle Luftsicherheitsrecht keinen anderen Zeitpunkt bestimmt.
222. Zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs hat die Luftsicherheitsbehörde die Zuverlässigkeit der dort genannten Personen nach § 7 LuftSiG zu überprüfen.
23Zuverlässig im Sinne von § 7 LuftSiG ist derjenige, der die Gewähr bietet, jederzeit das ihm Mögliche zum Schutz der Sicherheit des Luftverkehrs zu tun. Der Betreffende muss nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit das erforderliche Maß an Verantwortungsbewusstsein und Selbstbeherrschung aufbringen, selbst bei dem Inaussichtstellen von Vorteilen oder bei der Androhung von Nachteilen die Belange der Sicherheit des Luftverkehrs zu wahren und die ihm obliegenden Pflichten zum Schutz vor Eingriffen, insbesondere vor Flugzeugentführungen und Sabotageakten, jederzeit in vollem Umfang zu erfüllen. Dabei ist mit Blick auf die in Rede stehenden Rechtsgüter ein strenger Maßstab anzulegen. Aus § 7 Abs. 6 Satz 1 LuftSiG ist zu entnehmen, dass von der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit nur ausgegangen werden kann, soweit keine Zweifel bleiben. Die Zuverlässigkeit ist also schon bei geringen Zweifeln zu verneinen, ohne dass sich hieraus im Hinblick auf das inmitten stehende Recht des Betroffenen aus Art. 12 GG Bedenken ergeben. Die luftverkehrsrechtliche Zuverlässigkeit kann bereits dann nicht festgestellt werden, wenn ausreichend begründete Anknüpfungspunkte vorhanden sind, die auf einen charakterlichen Mangel oder eine sonstige Schwäche der Persönlichkeit hinweisen, die sich ihrerseits gefährdend auf die Belange der Luftsicherheit auswirken können.
243. In der Regel fehlt es an der Zuverlässigkeit, wenn bestimmte Regeltatbestände vorliegen (vgl. § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG). Diese orientieren sich inhaltlich an § 18 Abs. 2 der Verordnung über das Luftfahrtpersonal (LuftPersV) sowie an § 5 des Waffengesetzes (WaffG) und tragen dabei der besonderen Gefährdung des Luftverkehrs durch mögliche Innentäter Rechnung.
25Damit wird im Interesse einer Erleichterung der Rechtsanwendung eine Orientierung für die Konkretisierung des Begriffs der Unzuverlässigkeit gegeben. Es handelt sich aber lediglich um typisierte Fallgruppen ohne ab- oder ausschließenden Charakter.
26Deswegen ist auch bei Vorliegen eines Regeltatbestands zu prüfen, ob dieser im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme luftsicherheitsrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist, was nur aufgrund einer Gesamtwürdigung im Sinne des § 7 Abs. 1a Satz 1 LuftSiG beurteilt werden kann. Dasselbe gilt im umgekehrten Fall. Auch wer die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit nicht erfüllt, dem kann aufgrund einer Gesamtwürdigung die Feststellung der Zuverlässigkeit versagt werden.
274. Aus § 7 Abs. 3 Satz 3 und 4 LuftSiG folgt, dass auch die Abhängigkeit von Alkohol und Medikamenten oder der Missbrauch von Alkohol, Medikamenten oder Betäubungsmitteln grundsätzlich geeignet sind, die Zuverlässigkeit im luftsicherheitsrechtlichen Sinne in Zweifel zu ziehen.
28Abhängigkeit setzt nach der medizinischen Wissenschaft grundsätzlich sechs Elemente voraus: 1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren. 2. Eine verminderte Kontrollfähigkeit bzgl. des Konsums. 3. Eine körperliche Entzugssymptomatik. 4. Den Nachweis einer (zunehmenden) Toleranz gegen den Stoff. 5. Die zunehmende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums. 6. Einen anhaltenden Substanzkonsum in Kenntnis von dessen nachteiligen Folgen.
29Nach Nr. 3.13.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung,
30vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Komm., 3. Aufl. 2018, S. 279,
31die mangels spezifischer luftverkehrsrechtlicher Richtlinien als sachverständige Kriterien herangezogen werden könne, kann die sichere Diagnose „Abhängigkeit“ nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) beschriebenen Kriterien gleichzeitig vorhanden waren (ICD-10 F10.2). Ferner wird hiernach vorausgesetzt, dass diese (mindestens) drei Kriterien einen Monat lang bzw. – falls sie nur über einen kürzeren Zeitraum aufgetreten sind – innerhalb eines Jahres wiederholt bestanden.
32Vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Komm., 3. Aufl. 2018, S. 281.
33Nicht jeder Konsum der rechtlich und gesellschaftlich akzeptierten Droge Alkohol stellt einen Missbrauch im luftsicherheitsrechtlichen Sinne dar. Ein Missbrauch von Alkohol im luftsicherheitsrechtlichen Sinne liegt aber vor, wenn der Konsum von Alkohol nicht von der luftsicherheitsrechtlich relevanten Tätigkeit getrennt wird. Insofern herrscht ein grundsätzliches Trennungsgebot zwischen Alkoholgenuss und luftsicherheitsrechtlich relevanter Tätigkeit. Soweit der genossene Alkohol die Steuerungsfähigkeit, Selbstkontrolle und Selbstbeherrschung des Betroffenen mehr als nur ganz unwesentlich schmälern kann, liegt ein Verstoß gegen das Trennungsgebot vor.
34Ein Missbrauch von Medikamenten oder Betäubungsmitteln liegt vor, wenn diese nicht nach ärztlicher Vorschrift oder in der pharmazeutisch zugelassenen Weise eingenommen werden, soweit die gelegentliche oder dauerhafte Einnahme dazu geeignet ist, die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Pflichten zum Schutz vor äußeren Eingriffen in den Luftverkehr negativ zu beeinflussen.
355. Aus § 7 Abs. 3 Satz 3 und 4 LuftSiG folgt des Weiteren, dass bloße Anhaltspunkte für bzw. der Verdacht auf Abhängigkeit von den oder auf Missbrauch der dort genannten Stoffe noch nicht ausreichen, um die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit zu verneinen. Die Behörde muss den Sachverhalt vielmehr näher aufklären. Dazu konkretisieren diese Vorschriften die aus § 7 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG folgende allgemeine Verpflichtung (eigentlich: Obliegenheit) des Betroffenen, an seiner Überprüfung mitzuwirken, hinsichtlich der dort genannten Stoffe.
36Nach § 7 Abs. 3 Satz 3 und 4 LuftSiG gilt: Soweit dies im Einzelfall geboten ist, kann diese Mitwirkungspflicht auch die Verpflichtung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, wenn Tatsachen die Annahme von Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit begründen, oder zur Durchführung eines Tests auf Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz umfassen. Die Verpflichtung nach Satz 3 gilt auch, wenn die Überprüfung bereits abgeschlossen ist, jedoch Anhaltspunkte für den Missbrauch von Alkohol, Medikamenten oder Betäubungsmitteln vorlagen oder vorliegen.
37Sowohl die verlangte ärztliche Begutachtung als auch die Offenlegung des Gutachtens gegenüber der staatlichen Behörde greifen jedoch erheblich in das von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein. Denn kommt der Betroffene der Untersuchungsaufforderung nicht nach, muss er davon ausgehen, dass ihm die Behörde die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit abspricht. Das ergibt sich aus § 7 Abs. 6 Satz 2 LuftSiG und § 5 Abs. 1 Satz 1 LuftSiZÜV, wonach Zweifel an der Zuverlässigkeit verbleiben, wenn der Betroffene die ihm nach § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG obliegenden Mitwirkungspflichten nicht erfüllt hat,
38Die Annahme von verbleibenden Zweifeln rechtfertigt eine fehlende bzw. unzureichende Mitwirkung aber nur dann, wenn die Aufforderung zur Durchführung eines Tests auf Betäubungsmittel bzw. zur Gutachtenbeibringung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Denn der Schluss von der Nichtbefolgung einer Mitwirkungspflicht auf die Unzuverlässigkeit folgt dem in § 444 Zivilprozessordnung (ZPO) zum Ausdruck kommenden allgemeinen Rechtsgedanken, dass eine Beweisvereitelung zu Lasten des Vereitelnden geht. § 444 ZPO besagt, dass dann, wenn eine Urkunde von einer Partei in der Absicht, ihre Benutzung dem Gegner zu entziehen, beseitigt oder zur Benutzung untauglich gemacht wird, die Behauptungen des Gegners über die Beschaffenheit und den Inhalt der Urkunde als bewiesen angesehen werden können. Der in dieser Vorschrift enthaltene und auf die Vereitelung des Beweises mit Hilfe anderer Beweismittel übertragbare Rechtsgedanke geht dahin, zu verhindern, dass eine Lücke in der Beweisführung, die die nicht beweispflichtige Partei verschuldet hat, ohne weiteres und in jedem Fall nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der beweispflichtigen Partei zur Last fällt.
39Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2003 – 6 B 10.03 –, juris, Rn. 6.
40Die Schlussfolgerung in § 7 Absatz 6 Satz 2 LuftSiG und § 5 Absatz 1 Satz 1 LuftSiZÜV ist gleichfalls eine Norm der Beweiswürdigung, die auf der Annahme beruht, der Betroffene wolle Zweifel an seiner Zuverlässigkeit verbergen. Die Voraussetzungen für diese Schlussfolgerung fehlen, wenn es für die verlangte Untersuchung entweder keinen begründeten Anlass gibt oder sie kein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um die konkret entstandenen Zweifel an der Zuverlässigkeit aufzuklären. Insofern unterliegt die Untersuchungsanordnung einem strengen Rechtmäßigkeitsmaßstab. Denn mangels Regelung stellt sie keinen Verwaltungsakt dar, weil sie nicht auf die Setzung einer Rechtsfolge im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG NRW gerichtet ist, sondern lediglich die Pflicht des Betroffenen konkretisiert, bei der vorbereitenden Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts mitzuwirken. Die Anordnung ist als reine Verfahrenshandlung also nicht isoliert angreifbar (§ 44a VwGO), sondern kann nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Maßnahme inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.
41Vgl. zu der rechtstechnisch vergleichbaren Parallelregelungen in Fahrerlaubnisrecht: BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20.15 –, BVerwGE 156, 293-305, juris, Rn. 17 ff. m.w.N. und OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2014 – 16 E 886/14 –, juris, Rn. 7; im Beamtenrecht: BVerwG, Beschluss vom 14. März 2019 – 2 VR 5.18 –, juris, und im Waffen- und Jagdrecht: OVG NRW, Urteil vom 21. Februar 2014 – 16 A 2367/11 –, juris, Rn. 43.
426. Nach diesen Maßgaben durfte die Bezirksregierung nicht davon ausgehen, dass an der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers zu zweifeln war.
43Die Bezirksregierung durfte daraus, dass der Kläger ihr das labormedizinische Ergebnis seiner Urinuntersuchung erst am 14. Februar 2023 und nicht bereits am 6. Februar 2023 vorgelegt hatte, nicht ableiten, dass er damit einen Drogenkonsum verschleiern wollte. Indem die Bezirksregierung das Gutachten, das dem Kläger Drogenfreiheit attestiert, nicht anerkannte, obwohl sie es als neue Tatsache ohne Weiteres in ihre Entscheidung hätte einbeziehen können, behandelt sie es so, als ob der Kläger es gar nicht vorgelegt hätte. Aus der nicht fristgerechten (= der Sache nach verweigerten) Gutachtenvorlage konnten Zuverlässigkeitszweifel aber nicht abgeleitet werden, weil die Gutachtenaufforderung rechtswidrig war. Die Gutachtenaufforderung verstieß – unabhängig von der Frage, ob sie evtl. formalen Anforderungen genügt – gegen den Grundsatz der Erforderlichkeit, der Teil des Verhältnismäßigkeitsgebots ist. Danach ist eine belastende staatliche Maßnahme unverhältnismäßig, wenn es ein zur Zielerreichung gleichermaßen geeignetes Mittel gibt, das den Betroffenen weniger belastet.
44Die Gutachtenaufforderung, die vom Kläger ein umfassendes Drogenscreening auf zahlreiche Drogen und psychotrop wirksame Substanzen verlangte, war insbesondere hinsichtlich der sogenannten „harten Drogen“ nicht erforderlich. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger neben Cannabis als sogenannter „weicher Droge“ auch harte Drogen nehmen könnte. Zwar mag bei einem erstmals Drogenauffälligen eine umfassendere Untersuchung auf den Drogenkonsum gerechtfertigt werden können, weil seine Konsumgewohnheiten nicht eingrenzbar sind. Ob das auch gilt, wenn der Betroffene lediglich einmal beim Konsum von Cannabis angetroffen worden ist, kann offen bleiben. Denn die an den Kläger gerichtete Untersuchungsaufforderung der Bezirksregierung beruhte bereits auf einem forensisch-toxikologischen Gutachten, das im Zusammenhang mit seiner Teilnahme am Straßenverkehr eingeholt worden war. Das Gutachten vom 24. Oktober 2024 von Q., dem Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums O., hatte die Blutprobe des Klägers bereits umfassend auf Drogenrückstände aller Art untersucht. Es war lediglich bei Cannabinoiden zu positiven Befunden gekommen. Bei den ebenfalls untersuchten sog. „harten Drogen“ war das Screening negativ verlaufen. Andere Anhaltspunkte für den Konsum auch harter Drogen als die Straßenverkehrsauffälligkeit des Klägers hat die Bezirksregierung in der allein maßgeblichen Untersuchungsaufforderung nicht angegeben. Die Bezirksregierung verlangte mithin vom Kläger eine weitergehende Offenlegung seines höchstpersönlichen Lebensbereichs als von den tatsächlichen Anhaltspunkten, die sie mitgeteilt hatte, getragen wurde. Die Untersuchungsaufforderung war daher unverhältnismäßig.
45Soweit die Bezirksregierung einwendet, der wissenschaftliche Dienst des Bundestages stelle fest, dass zwischen harten und weichen Drogen im BtMG und im Strafrecht nicht unterschieden werde, ändert das nichts. Der wissenschaftliche Dienst hat sich in erster Linie zur Strafzumessung geäußert, nicht zur luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit. Selbst wenn in strafrechtlichen Zusammenhängen nicht zwischen harten und weichen Drogen unterschieden werden sollte, ist diese Unterscheidung unter Verhältnismäßigkeitsaspekten bedeutsam. Hiernach kann nämlich unterschieden werden, ob es einen tatsächlichen Anlass gibt, tiefer in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einzudringen, indem die Untersuchung auch auf Stoffgruppen harter Drogen zu erstrecken ist, obwohl es nur Anhaltspunkte für den Konsum von weichen Drogen gibt.
46Abgesehen davon hatte der Kläger der Bezirksregierung noch vor deren Entscheidung ein negatives Screening-Ergebnis vorgelegt. Das negative Ergebnis war auch nicht aussagelos, weil die Urinprobe nicht innerhalb von acht Tagen seit Zustellung der Untersuchungsaufforderung, sondern im Laufe des neunten Tages genommen worden war. Gegen die Unverwertbarkeit spricht bereits, dass das Ende der Acht-Tages-Frist auf einen Sonntag fiel, an dem eine Probennahme ausschied. Da im Rechtsverkehr Fristen ausgenutzt werden dürfen, hätte es der Bezirksregierung oblegen, in der Untersuchungsaufforderung eine Regelung für den Fall zu treffen, dass das Fristende auf einen arbeitsfreien Tag fällt. Das Fehlen einer solchen Regelung spricht für sich genommen zusätzlich für die Rechtswidrigkeit der Untersuchungsaufforderung. Unabhängig davon ist nicht erkennbar, dass die einige Stunden nach Ablauf der Acht-Tages-Frist genommene Probe nicht mehr aussagekräftig wäre. Denn die Nachweisdauer von Cannabisrückständen im Urin beträgt nur bei einmaligem oder ganz seltenem Konsum lediglich zwei bis drei Tage. Solche Konsumenten sind mit einer Probennahmefrist von acht Tagen ohnehin nicht hinreichend sicher zu erkennen, so dass sich die Frage der Eignung einer Untersuchungsaufforderung mit einer achttägigen Probennahmefrist stellt. Bei Mehrfachkonsumenten von Cannabis ist hingegen der Metabolit THC-COOH bis zu drei Wochen im Urin nachweisbar, teilweise sogar deutlich länger.
47Vgl. OVG LSA, Beschluss vom 9. Juni 2021 – 3 M 118/21, juris; Hartmann u.a., Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, 4. Aufl. (2022), S. 307.
48Bei den vorliegend vor allem interessierenden Mehrfachkonsumenten von Cannabis ist eine Urinprobe, die nur wenige Stunden nach dem achten Tag der Urinabgabefrist abgegeben worden ist, infolgedessen nicht aussagelos.
49Dieses (verwertbare) negative Ergebnis des Drogenscreenings lag der Bezirksregierung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Widerrufsverfügung vor und ist daher auch vom Gericht zu berücksichtigen. Denn ein Verwaltungsakt ist frühestens dann erlassen, wenn er den Machtbereich der Behörde verlassen hat, etwa indem er zu Post aufgegeben worden ist.
50Vgl. Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG (2023), § 41 Rn. 19 m.w.N.
51Das negative Screeningergebnis lag der Bezirksregierung am 14. Februar 2023 um 18.50 Uhr vor. Der Kläger hatte es ihr zu diesem Zeitpunkt per eMail auf das behördlich eingerichtete und verwendete Funktionspostfach des Dezernats für Luftsicherheitsangelegenheiten übermittelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Widerrufsbescheid den Machtbereich der Bezirksregierung noch nicht durch Aufgabe zur Post verlassen, weil der entsprechende Ab-Vermerk erst vom 00. Februar 0000 stammte. Da die Bezirksregierung das Funktionspostfach, auf dem rund um die Uhr Eingänge zu erwarten sind, eingerichtet hat und laufend benutzt, kann sie sich nicht darauf berufen, am 00. Februar 0000 nichts von dem Screening-Ergebnis gewusst zu haben. Denn sie musste davon ausgehen, dass nach Dienstschluss des Vortages und während der Nachtstunden weitere Eingänge auf dem Funktionspostfach erfolgt waren. Diese musste sie am Folgetag bei Dienstbeginn zur Kenntnis nehmen. Aus dem Vortrag der Bezirksregierung geht überdies nicht hervor, dass der händisch per Zustellungsurkunde abgeworfene Widerrufsbescheid in Papierform am Morgen des 00. Februar 0000 nicht durch eine Anweisung an die behördliche Postausgangsstelle am Verlassen des Gebäudes hätte gehindert werden können.
52Daher ist unerheblich, ob die – jederzeit änderbare – interne Entscheidungsfindung im zuständigen Dezernat bereits am 14. Februar 2023 stattgefunden hat, wie die Bezirksregierung vorträgt, weil an diesem Tage keine Aufgabe zur Post erfolgte.
53Die Kammer ist mit der Bezirksregierung der Ansicht, dass der einmalige Konsum von Cannabis, der beim Kläger lediglich feststeht, trotz des darin liegenden Verstoßes gegen das BtMG noch nicht ausreicht, um seine Zuverlässigkeit in Frage zu stellen. Es ist gerichtsbekannt, dass solche einmaligen Verstöße in aller Regel nicht strafrechtlich verfolgt werden. Die fehlende Zuverlässigkeit hierauf zu stützen, ließe sich mit der gesetzgeberischen Wertung in den Regelbeispielen des § 7 Abs. 1a LuftSiG, die eine gewisse Strafhöhe voraussetzen, nicht in Einklang bringen.
54Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die über die Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, § 709 ZPO.
55Rechtsmittelbelehrung:
56Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
57Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
58Die Berufung ist nur zuzulassen,
591. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
602. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
613. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
624. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
635. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
64Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
65Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
66Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
67Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst einfach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
68Beschluss
69Der Streitwert wird nach § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- Euro festgesetzt.
70Rechtsmittelbelehrung:
71Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
72Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
73Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
74Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
75Die Beschwerdeschrift soll möglichst einfach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
76War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.