Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
2Der Berichterstatter kann als Einzelrichter und aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
3Die Klage vom 12. November 2021 mit dem Antrag,
4den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Oktober 2021 aufzuheben,
5hat keinen Erfolg.
6I. Die Klage ist zulässig.
7Die Klage ist insbesondere als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Bei der hier streitgegenständlichen Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und dessen Befristung auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung, handelt es sich um einen einheitlichen, in sich nicht teilbaren belastenden Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist,
8vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Februar 2022 – 1 C 6.21 –, juris Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 9 f.; BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 – 1 C 28.16 –, juris Rn. 42; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2023 – A 10 S 2367/22 –, juris Rn. 17.
9II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
10Der Bescheid des Bundesamtes vom 26. Oktober 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
11Die gegenüber der Klägerin erlassene Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes und dessen Befristung auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung begegnet in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 Asylgesetz (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen rechtlichen Bedenken. Die Vorschrift des § 77 AsylG gilt gemäß § 83c AsylG auch für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Bundesamts nach § 75 Nr. 12 AufenthG. Danach hat das Bundesamt die Aufgabe, im Fall einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG anzuordnen.
12Das Gericht folgt den tragenden Feststellungen und der im Wesentlichen zutreffenden Begründung des Bescheides des Bundesamtes vom 26. Oktober 2021 und sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe – mit Ausnahme der folgenden ergänzenden Ausführungen – ab (§ 77 Abs. 3 AsylG).
131. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung und spätestens mit der Abschiebung erlassen werden. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbotes wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden.
14Das Bundesamt muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Befristung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbotes einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung oder Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen berücksichtigen. Schützenswert sind solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln,
15vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 15 ff. m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2023 – A 10 S 2367/22 –, juris Rn. 21 ff.
16Die Bemessung der Frist erfolgt grundsätzlich im Rahmen eines zweistufigen Prüfprogramms, wonach in einem ersten Schritt aus dem Verhalten des Betroffenen, welches seiner Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der zur Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelten befristeten Fernhaltung vom Bundesgebiet zu bestimmen und sodann die so bestimmte Höchstfrist in einem zweiten Schritt an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen des Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Grundgesetz (GG) sowie unions- und konventionsrechtlich an den Vorgaben nach Art. 7 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu messen ist. Der Ausländer trägt im Lichte von § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Darlegungs- und Feststellungslast in Bezug auf seine persönlichen Belange. Soweit ein Sachverhalt keine Besonderheiten aufweist, kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot ermessensfehlerfrei auf die Dauer von 30 Monaten befristet werden. Bei einer auf dieser Grundlage getroffenen Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes handelt es sich um einen einheitlichen Verwaltungsakt, der nicht zwischen der Anordnung des Verbots und dessen Befristung aufgespalten werden kann. Ermessensfehler bei der Befristungsentscheidung führen daher zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes insgesamt, das dann im Regelfall ermessensfehlerfrei neu erlassen werden darf,
17vgl. hierzu eingehend: BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 10 ff. m.w.N; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2023 – A 10 S 2367/22 –, juris Rn. 21 ff.; VG Bayreuth, Urteil vom 27. Februar 2023 – B 7 K 23.30058 –, juris Rn. 19; VG Aachen, Beschluss vom 30. März 2023 – 8 L 85/23 –, juris Rn. 51 ff.
18Das Verwaltungsgericht ist bei der Überprüfung der Entscheidung des Bundesamtes auf die Prüfung von Ermessensfehlern und die Einhaltung der allgemeinen Grenzen des Ermessens beschränkt (§ 114 Satz 1 VwGO),
19vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. März 2023 – A 10 S 2367/22 –, juris Rn. 20.
202. Dies zu Grunde gelegt, ist die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes und dessen Befristung auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung rechtlich nicht zu beanstanden, sie erweist sich als ermessensfehlerfrei.
21Eine Bemessung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf einen Zeitraum von weniger als sechs Monaten war im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte familiäre Bindung zu ihrem Ehemann nicht veranlasst.
22a. Die Schutzwürdigkeit des Interesses des Ausländers an einer angemessenen Rückkehrperspektive wird insbesondere durch Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRCh sowie durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt. Einer angemessenen Rückkehrperspektive bedürfen im Lichte des Schutzes des Familienlebens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 Var. 2 GRCh insbesondere Ausländer, die im Bundesgebiet in familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen oder einem ausländischen langfristig aufenthaltsberechtigten Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährigen ledigen Kind leben oder eine sozial-familiäre Beziehung mit einem solchen minderjährigen ledigen Kind pflegen,
23vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 19 f.
24b. Das Bundesamt hat die schützenswerten persönlichen Belange, die der Klägerin eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln – namentlich den Schutz des Familienlebens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 Var. 2 GRCh – erkannt, aufgegriffen und im Rahmen der getroffenen Ermessensentscheidung hinsichtlich der Befristungsdauer hinreichend berücksichtigt. Der angefochtene Bescheid geht im Ansatz darauf ein, dass dem schon seit mehreren Jahren in Deutschland lebenden Ehemann der Klägerin nach ihren Angaben internationaler Schutz zuerkannt wurde, weshalb die Klägerin mit Bescheid der Bezirksregierung C. vom 11. April 2019 der Stadt G. – dem Wohnort des Ehemannes – zugewiesen und als Umverteilungsgrund ihr Ehemann angegeben wurde.
25Obwohl die Klägerin damit im Bundesgebiet in familiärer Lebensgemeinschaft mit ihrem in Deutschland jedenfalls langfristig aufenthaltsberechtigten Ehegatten lebt, ist es nicht zu beanstanden, dass das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht noch kürzer befristet bzw. ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Klägerin überhaupt angeordnet hat. Denn nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Die in Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet vielmehr die Behörde „nur“, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen,
26vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12.
27Indem das Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgehend von einer, bei einem Sachverhalt ohne Besonderheiten grundsätzlich nicht zu beanstandenden Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf eine Dauer von 30 Monaten,
28vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 47.20 –, juris Rn. 18,
29hier angesichts der dargelegten schützenswerten persönlichen Belange der Klägerin mit einer Befristungsdauer von lediglich sechs Monaten deutlich im unteren Bereich der Möglichkeiten befristet wurde, wurde der familiären Bindung der Klägerin zu ihrem Ehemann im hiesigen Einzelfall das notwendige Gewicht beigemessen,
30vgl. zu einer ermessensfehlerfreien Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf eine Dauer von 12 Monaten wegen familiärer Bindungen: VG Augsburg, Urteil vom 13. Dezember 2021 – Au 9 K 19.31546 –, juris Rn. 19.
31III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
32Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 709 Satz 2, § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
33Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
34Rechtsmittelbelehrung:
35Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung beantragt werden. Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster.
36Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
371. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
382. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
393. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
40Der Antrag ist schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
41Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
42In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
43Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
44Die Antragsschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.