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In Litauen zu erwartende Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
2Die nach ihren eigenen Angaben am 00.00.1994 bzw. am 0.0.1999 im Irak geborenen Kläger zu 1. bzw. 2. sind die Eltern des am 00.0.2018 im Irak geborenen Klägers zu 3. und der am 00.00.2021 in Litauen geborenen Klägerin zu 4. Sie sind ausweislich der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) vorgelegten Ausweisdokumente irakische Staatsangehörige.
3Gemeinsam reisten sie nach eigenen Angaben am 4. Juli 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerten Asylgesuche, von denen das Bundesamt durch behördliche Mitteilung am 21. Juli 2022 schriftlich Kenntnis erlangte. Die Kläger stellten am 1. August 2022 förmliche Asylanträge.
4Eine vom Bundesamt in diesem Zusammenhang eingeholte EURODAC-Anfrage ergab, dass die Kläger zu 1. und zu 2. am 19. Juli 2021 in Litauen Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatten (Treffer der Kategorie 1, „LT1...“).
5Im Rahmen ihrer schriftlichen und am 1. August 2022 sowie 12. August 2022 erfolgten mündlichen Anhörungen durch das Bundesamt trugen die Kläger zu 1. und zu 2. unter anderem vor, dass sie am 1. Juli 2021 ihr Heimatland verlassen hätten und mit einem am 26. Juni 2021 ausgestellten Visum über Weißrussland (4-5 Tage ins Minsk) nach Litauen gereist seien. Direkt nach der Ankunft in Litauen habe man sie ins Gefängnis gesteckt. Sie hätten bei der Einreise Fingerabdrücke abgegeben und 1 Jahr (6. Juli 2021 bis 1. Juli 2022) mit der Familie im Gefängnis verbracht. Aus dem Gefängnis hätten sie auch ihren Asylantrag gestellt. Sie hätten in Litauen mehrfach Interviews gehabt, um ihre Asylgründe zu schildern. Sie hätten sie auch zu ihren Ausreisegründen gefragt. Sie hätten schlimme Dinge dort gesehen. Der Kläger zu 1. habe sich körperlich ausgelaugt gefühlt und teilweise nicht mehr bewegen können. Er habe Angst um seine Frau – die Klägerin zu 2. – gehabt, die seitdem auch anders sei, sie sei aggressiver und habe mehr Angst. Sie habe Platzangst entwickelt und könne nicht mehr in geschlossenen, engen Räumen sein. Sie sei zu der Zeit schwanger gewesen und habe nicht auf den Hof gedurft, der voller Polizisten gewesen sei. Eines nachts habe sie so große gesundheitliche Probleme gehabt, dass man den Krankenwagen für sie gerufen habe. Der Arzt habe festgestellt, dass es an dem Stress liege, weil sie die ganze Zeit eingesperrt sei. Er habe angeordnet, dass sie an die frische Luft müsse. Mit den Polizisten habe sie sich geeinigt, dass sie auf den eigenen Innenhof dürfte. Sie sei von acht Polizisten begleitet worden, die Kinder dagegen hätten nicht an die frische Luft gedurft. Das jüngste Kind – die Klägerin zu 4. – sei im Gefängnis geboren worden. Als die Klägerin zu 2. in den Wehen gewesen sei, habe sie gebeten, dass ihr Mann mitkommen dürfe, was abgelehnt worden sei. Auch ihr Sohn – der Kläger zu 3. – habe nicht dabei sein dürfen. Sie habe die Geburt alleine durchstehen müssen und auch ein Dolmetscher sei ihr nicht zur Verfügung gestellt worden. Man habe sie behandelt wie Dreck. Sie habe nicht mal Kleidung für das neugeborene Baby erhalten. Eine Frau aus Litauen habe ihr ein Kleidungsstück von ihrem Baby gegeben. Nach 6 Monaten hätten sie einen Antrag auf Freilassung gestellt. Sie seien in ein anderes Camp in W. transportiert worden, dies sei wieder ein geschlossenes Camp gewesen. Es hätten dort 400 Familien gelebt. Sie hätten die Benachrichtigung bekommen, dass sie weitere 6 Monate dort verbringen müssten. Der Kläger zu 1. sei in eine Schockstarre verfallen und man habe ihn ins Krankenhaus gebracht. Die ablehnende Entscheidung über den Asylantrag sei von Oktober oder November 2021. Sie hätten dagegen gerichtlich Widerspruch eingelegt, jedoch noch keine Rückmeldung erhalten. Sie warteten noch auf ein Urteil, seien aber in der Zwischenzeit nach Deutschland gekommen. Sie hätten nicht im Gefängnis warten können. Damit würden sie ein Camp meinen, welches wie ein Gefängnis gewesen sei. Es sei von Polizisten umzingelt gewesen. Die Mauern um das Camp seien 3m hoch gewesen. Es sei nur ein Flur gewesen, auf dem man mit 11 Familien gelebt habe. Jeder hätte ein Zimmer gehabt, sie hätten jedoch nicht rausgehen dürfen. Die Tür sei nur einen Spalt aufgegangen. Der Kläger zu 3. habe nur vom Tisch zum Fenster laufen können und nie rausgedurft. Das Fenster seien auch vergittert gewesen. Es sei vorgesehen gewesen, dass sie 18 Monate dort hätten bleiben müssen. Dies sei eine Aufenthaltsberechtigung für 18 Monate gewesen, so lange sei man geduldet worden. In dieser Zeit hätte eine Entscheidung ergehen sollen. Nach 12 Monaten seien sie abgehauen. Im November 2021 habe es ein Angebot gegeben, mit den Sozialarbeitern begleitet auf dem Markt einkaufen zu gehen. Die Kläger zu 2. bis 4. seien mit den Sozialarbeitern und Polizisten einkaufen gegangen, der Kläger zu 1. habe sich in der Zwischenzeit aus dem Camp geschlichen. Zusammen hätten sie sich dann davongeschlichen abgehauen. Anschließend seien sie am 4. Juli 2022 nach Deutschland gereist.
6Die Kläger legten beim Bundesamt Unterlagen vor. Dabei handelte es sich um folgende Dokumente: Für die Kläger 1. bis 3. jeweils einen Bescheid über die vorübergehende Unterbringung für die Dauer von 6 Monaten ohne Bewegungsfreiheit im Flüchtlingsaufnahmezentrum W. . Die Bescheide wurden gegen Empfangsbekenntnis unterzeichnet am 19. Januar 2022. Die Bescheide enthalten zudem eine Übersetzung der Entscheidungsformel in verschiedene Sprachen, unter anderem arabisch, sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung und Widerspruchsmöglichkeit, die jeweils mit „Ja“ angekreuzt wurde. Auf die Möglichkeit eines kostenlosen Rechtsbeistands wird hingewiesen. Ferner die ablehnende Entscheidung der litauischen Migrationsabteilung über den Asylantrag (Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz) der Kläger 1. bis 3., mit einer Abschiebungsanordnung in den Irak und einem Einreise- und Aufenthaltsverbot befristet auf 5 Jahre. Der Bescheid führt die geschilderten Asylgründe und die Entscheidungsgründe der Migrationsabteilung aus. Er enthält eine Übersetzung der Entscheidungsformel in verschiedene Sprachen, unter anderem arabisch, sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung, dass binnen 7 Tagen Rechtsmittel eingelegt werden könne. Auf die Möglichkeit eines kostenlosen Rechtsbeistands wird hingewiesen.
7Am 18. August 2022 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch betreffend alle Kläger an Litauen, das dort ausweislich einer automatisch generierten E-Mail am selben Tag einging. Die litauischen Behörden reagierten hierauf nicht. Unter dem 5. September 2022 übersandte das Bundesamt eine Erinnerung an Litauen, die ausweislich einer automatisch generierten E-Mail am selben Tag einging. Hierauf erfolgte erneut keine Reaktion.
8Mit Bescheid vom 21. September 2022 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Ziffer 1.), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2.), ordnete die Abschiebung der Kläger nach Litauen (Ziffer 3.) sowie ein auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an (Ziffer 4.). Der Bescheid wurde den Klägern am 27. September 2022 persönlich ausgehändigt. Auf die Gründe des Bescheides wird verwiesen.
9Die Kläger haben hiergegen am 30. September 2022 Klage erhoben. Auf den gleichzeitig gestellten Eilantrag hat das Gericht mit Beschluss vom 10. November 2022 (Az. 22 L 2130/22.A) die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.
10Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger im Wesentlichen geltend, dass sie davon ausgingen, in Litauen wieder Inhaftiert zu werden. Dies sei dort früher schon so geschehen. Zumindest bedürfte es einer weiteren Überprüfung ihrer Situation im Falle einer Rückkehr mit Blick auf die Ergänzungen des litauischen Ausländergesetzes vom Sommer 2021. Auch müsse geklärt werden, ob die Unterbringungssituation von Asylbewerbern, die über die Grenze Belarus-Litauen kämen, systemische Mängel der Aufnahmebedingungen bedeuteten. Zudem komme es seitdem zu weiteren umfassenden Änderungen im litauischen Gesetz, die überprüft werden sollten. Sie könnten nicht mit zwei kleinen Kindern inhaftiert werden, wo sie in der Vergangenheit schon nicht hinreichend versorgt worden seien (Nahrung, Kleidung etc.) oder gar auf der Straße hätten leben müssen.
11Die Kläger haben schriftsätzlich beantragt,
12den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Az.: 9410602 438) vom 21. September 2022 aufzuheben.
13Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
16Der Rechtsstreit ist mit Beschluss der Kammer vom 15. Juni 2023 auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.
17Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 15. Juni 2023 verbunden mit dem Hinweis, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), geladen worden. Ausweislich der Postzustellungsurkunden vom 20. Juni 2023 ist die Ladung an die Kläger in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung gelegt worden. Weder die Kläger noch die Beklagte sind zur mündlichen Verhandlung erschienen.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1 AsylG durch die Einzelrichterin.
21Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten zum Termin der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierauf in der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 1 und 2 VwGO.
22Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
23A. Die gegen den Bescheid insgesamt gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO statthaft,
24vgl. im Einzelnen: BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 ‑ 1 C 32.14 ‑, Rn. 13 ff., juris, und vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, Rn. 16 f. (in Bezug auf eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG), juris; OVG NRW, Urteile vom 7. März 2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, Rn. 28 ff., und vom 16. September 2015 ‑ 13 A 800/15.A ‑, Rn. 22 ff. m.w.N., juris.
25Die isolierte Aufhebung der angefochtenen Regelungen führt auf die weitere Prüfung des Asylantrages der Kläger durch die Beklagte. Denn mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids wird das Verwaltungsverfahren in den Verfahrensstand zurückversetzt, in dem es vor Erlass der streitgegenständlichen Regelungen war. Das Bundesamt ist im Falle einer Aufhebung des Bescheides gemäß §§ 24, 31 AsylG gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren weiterzuführen.
26B. Die Klage ist jedoch unbegründet.
27In dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ist der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
28I. Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG.
29Nach dieser Norm ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzungen liegen hier zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vor.
30Nicht die Beklagte, sondern Litauen ist für die Durchführung des Asylverfahrens der Kläger zuständig. Denn die Zuständigkeit Litauens ist nach Maßgabe der Vorschriften der Dublin III-VO für die Kläger zu 1. bis 3. (nachfolgend 1.) und die Klägerin zu 4. (nachfolgend 2.) begründet worden, die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO auf die Beklagte übergegangen (nachfolgend 3.) und die Beklagte ist nicht wegen systemischer Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Litauen gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO gehindert, die Kläger nach Litauen zu überstellen (nachfolgend 4.).
311. Litauen ist nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrages der Kläger zu 1. bis 3. zuständig.
32Die Zuständigkeit richtet sich vorliegend nach den Regelungen über das Wiederaufnahmeverfahren gemäß Art. 23 ff. Dublin III-VO. Im Wiederaufnahmeverfahren ist der zuständige Staat – anders als im Aufnahmeverfahren – nicht nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO zu bestimmen, sondern es genügt, dass der betreffende andere Mitgliedstaat den Erfordernissen nach Art. 20 Abs. 5 oder Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO genügt.
33Vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, juris, Rn. 58 ff.
34Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO finden Anwendung, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem zuvor ein Antrag gestellt wurde, das Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats bereits in einer die Zuständigkeit dieses Staates begründenden Weise abgeschlossen ist, jedoch unabhängig davon, ob dieser Staat mit der Prüfung des Antrages nach der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes) bereits begonnen hat.
35Vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, juris, Rn. 51-53.
36Da in einem solchen Fall die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags bereits feststeht, erübrigt sich eine erneute Anwendung der Regeln über das Verfahren zur Bestimmung dieser Zuständigkeit, darunter in erster Linie der in Kapitel III der Dublin III-VO niedergelegten Kriterien.
37Vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2019, C-582/17 und C-583/17, juris, Rn. 67.
38Nach diesen Maßstäben ist vorliegend Litauen gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO zuständig. Nach dieser Norm ist der zuständige Mitgliedstaat verpflichtet, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-VO wieder aufzunehmen.
39So liegt der Fall hier. Die Kläger zu 1. bis 3. stellten am 19. Juli 2021 in Litauen einen Asylantrag. Dies ergibt sich aus der EURODAC-Abfrage und wird von den Klägern bestätigt. Dieser Antrag wurde nach den eigenen Angaben der Kläger zu 1. und 2. durch die litauische Behörde abgelehnt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist nach gegenwärtigem Erkenntnisstand davon auszugehen, dass dies zutreffend ist. Hierfür spricht auch der beim Bundesamt vorgelegte Bescheid über die ablehnende Entscheidung der litauischen Migrationsabteilung über den Asylantrag der Kläger zu 1. bis 3. Schließlich stellten die Kläger in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) nachfolgend einen weiteren Asylantrag.
40Litauen hat zudem nicht fristgerecht auf das Wiederaufnahmeersuchen des Bundesamtes vom 18. August 2022 reagiert. Damit ist gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Dublin III-VO seit Ablauf des 1. September 2022 (2 Wochen später) davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung Litauens zur Wiederaufnahme der Kläger zu 1. bis 3. begründet.
412. Unter diesen Umständen ist Litauen gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO auch für die Prüfung Asylantrags der Klägerin zu 4. zuständig.
42Nach dieser Vorschrift ist für die Zwecke der Dublin III-VO die Situation eines mit dem Antragsteller eingereisten Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Dies gilt gemäß Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO auch bei Kindern, die – wie die Klägerin zu 4. – nach der Ankunft der Eltern im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.
43Nach diesen Maßgaben fällt die Prüfung des Antrags der Klägerin zu 4. – die nach der Ankunft der Kläger zu 1. bis 3. im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (am 00.00.2021 in Litauen) geboren wurde – ebenfalls in die Zuständigkeit Litauens, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für sie eingeleitet werden muss.
44Nach den obigen Ausführungen besteht die Pflicht Litauens, die Eltern und den Bruder der Klägerin zu 4. wiederaufzunehmen nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO. Bei der Klägerin zu 4. handelt es sich um das minderjährige unverheiratete Kind der Kläger zu 1. und 2., mithin um eine Familienangehörige im Sinne des Art. 2 g) zweiter Spiegelstrich Dublin III-VO. Die durch die Anwendung des Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO möglicherweise vermiedene Trennung der Klägerin zu 4. von ihrer Familie und die gemeinsame Behandlung der Schutzgesuche entspricht auch dem Kindeswohl. Etwas Gegenteiliges ist vorliegend nicht ersichtlich.
453. Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III‑VO wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. Dublin III-VO hat die Überstellung innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs bzw. nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. Dublin III-VO innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung zu erfolgen.
46Die in dieser Vorschrift bestimmte Sechsmonatsfrist, deren Lauf mit der (fiktiven) Annahme des Aufnahmegesuchs durch Litauen am 1. September 2022 begann, wurde zunächst durch die fristgerechte Stellung des Eilantrages der Kläger am 30. September 2022 unterbrochen,
47vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 ‑ 1 C 15/15 ‑, Rn. 11, juris,
48und sodann durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 10. November 2022 (Az. 22 L 2130/22.A) weiter unterbrochen.
494. Darüber hinaus können sich die Kläger auch nicht erfolgreich darauf berufen, die Beklagte sei verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, weil ihrer Überstellung nach Litauen rechtliche Hindernisse entgegenstünden. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert nur die Überstellung dorthin, begründet aber kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Beklagten,
50vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C 394/12 -, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 - C 4/11 -, juris, Rn. 37; BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rn. 7.
51Davon abgesehen ist die Beklagte aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO – nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, die Kläger nach Litauen zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die für die Kläger eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCh) bzw. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit sich brächte. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs,
52EuGH, Urteile vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 87 und vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 et al. -, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413,
53der Fall wäre, liegen hier nicht vor.
54Zwar bezieht sich Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-Verordnung nur auf die Situation, in der sich die tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh aus systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Personen, die internationalen Schutz beantragen, in dem Mitgliedstaat ergibt, der nach dieser Verordnung als für die Prüfung des Antrags zuständig bestimmt ist. Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie aus dem allgemeinen und absoluten Charakter des Verbots in Art. 4 EU-GRCh geht jedoch hervor, dass die Überstellung eines Antragstellers in diesen Mitgliedstaat in all jenen Situationen ausgeschlossen ist, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Antragsteller bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung eine solche Gefahr laufen wird.
55Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, juris, Rn. 87.
56Dabei ist für die Anwendung von Art. 4 GRCh gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss, das heißt im Falle der Gewährung internationalen Schutzes, dazu kommt, dass die betreffende Person aufgrund ihrer Überstellung an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin III-Verordnung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren.
57Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, juris, Rn. 88, 76.
58Insoweit ist das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines solchen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen.
59Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, juris, Rn. 90, unter Bezugnahme auf Urteil vom 5. April 2016, Aranyosi und Căldăraru, C‑404/15 und C‑659/15 PPU, EU:C:2016:198, juris, Rn. 89.
60Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 EU-GRCh, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 EU-GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt.
61Vgl. EGMR, 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, § 254.
62Denn im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO, die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht und durch eine Rationalisierung der Anträge auf internationalen Schutz deren Bearbeitung im Interesse sowohl der Antragsteller als auch der teilnehmenden Staaten beschleunigen soll, gilt die Vermutung, dass die Behandlung dieser Antragsteller in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-GRCh, der GFK und der EMRK steht.
63Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, N. S. u. a., C-411/10 und C-493/10, EU:C:2011:865, juris, Rn. 78 bis 80.
64Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren sich diese Person in einer solch schwerwiegenden Lage befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann.
65Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, juris, Rn. 89 ff.; unter Bezugnahme auf EGMR, 21. Januar 2011, M.S.S./Belgien und Griechenland, CE:ECHR:2011:0121JUD003069609, §§ 252 bis 263.
66Die Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen. Insbesondere Kinder haben besondere Bedürfnisse wegen ihres Alters und ihrer Abhängigkeit und sind extrem verwundbar. Die Aufnahmebedingungen müssen an ihr Alter angepasst sein, um sicherzustellen, dass keine Situation von Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche der Kinder entsteht.
67Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 - (Tarakhel ./. Schweiz), juris; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Jawo, C-163/17, EU:C:2019:218, juris, Rn. 95; EuGH, Urteil vom 19. März 2019, Ibrahim, C-297/17 u.a., ECLI:EU:C:2019:219, juris Rn. 93.
68Der durch Art. 4 EU-GRCh und Art. 3 EMRK vermittelte Schutz vor erniedrigender oder unmenschlicher Behandlung kann bei Kindern aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse und Verletzlichkeit daher bereits in Situationen greifen, die bei Erwachsenen noch keine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung darstellen muss.
69Vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 19. Dezember 2019 - 10 LA 64/19 -, juris Rn. 25; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 - A 4 S 749/19 -, juris Rn. 41.
70Unter Anwendung dieser Maßstäbe fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Litauen mit systemischen Mängeln behaftet wären, die für eine auf Grundlage der Dublin III-VO überstellte Person in der Situation der Kläger die beachtliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss nach sich ziehen könnten.
71Vgl. ebenso zuletzt VG Cottbus, Beschluss vom 15. Juni 2023 - 5 L 109/23.A -, juris Rn. 16 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 12. Juni 2023 - 2a L 839/23.A -, juris Rn, 8, 15 ff.; VG Berlin, Beschlüsse vom 13. Juni 2023 - 1 L 183/23 A -, und vom 19. April 2023 - 22 L 80/23 A -, juris; VG Aachen, Urteile vom 30. März 2023 - 1 K 2645/19.A -, und vom 29. März 2023 - 1 K 1866/19.A -, juris Rn. 11 ff.; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 17. Januar 2023 - A 13 K 1760/22 -, juris; VG Greifswald, Beschluss vom 27. Oktober 2022 - 6 B 1625/22 HGW -, juris, Rn. 8 ff. m. w. N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. September 2022 - 12 L 1731/22.A -, n.v.; VG Münster, Beschluss vom 12. September 2022 ‑ 2 L 694/22.A -, juris, Entscheidungsabdruck S. 5 ff.; VG Regensburg, Beschluss vom 30. August 2022 ‑ RN 16 S 22.50292 ‑, juris, Entscheidungsabdruck S. 8 ff; VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 26. August 2022 - 29 L 1620/22.A -, vom 23. Juni 2022 - 22 L 1170/22.A -, und Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2022 - 29 K 2186/22.A -, alle juris; VG Regensburg, Beschluss vom 27. Mai 2022 - RN 14 S 22.50203 -, juris; a.A. VG Potsdam, Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2022 - 11 K 2074/22.A -, juris; nach dem Maßstab im Eilverfahren: VG Chemnitz, Beschluss vom 24. Oktober 2022 ‑ 1 L 352/22.A ‑, juris Rn. 9 ff; VG Magdeburg, Beschluss vom 5. September 2022 ‑ 3 B 262/22 MD ‑, juris Rn. 15 ff; VG Hannover, Beschluss vom 25. August 2022 – 12 B 6475/21 –, Rn. 11, juris Rn. 11 ff; VG München, Beschluss vom 17. Juni 2022 ‑ M 10 S 22.50244 ‑, juris Rn. 22 ff.
72Dies gilt auch unter Berücksichtigung der individuellen Vulnerabilität der Kläger als Familie mit zwei minderjährigen Kindern,
73vgl. Art. 21 der Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013.
74In Litauen existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit.
75Vgl. Artikel 136 ff. des „Lietuvos Respublikos įstatymas dėl užsieniečių teisinės padėties“ – Gesetz der Republik Litauen über den rechtlichen Status von Ausländern No IX-2206 vom 29. April 2004 (im Folgenden: litauisches Ausländergesetz), abrufbar in englischer Sprache unter https://e-seimas.lrs.lt/portal/legalAct/lt/TAD/ac2cfa50b06f11ecaf79c2120caf5094?jfwid.
76Dies wurde bis Mitte des Jahres 2021 auch nicht infrage gestellt.
77Vgl. United States Department of State, Lithuania 2020 Human Rights Report vom 30. März 2021, S. 8 f., abrufbar unter https://www.state.gov/reports/2020-country-reports-on-human-rights-practices/lithuania/; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderbericht der Staatendokumentation - Litauen, Gesamtaktualisierung am 2. November 2018, S. 6; VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 2021 - 12 L 2301/21.A -, juris Rn. 39; VG Ansbach, Beschluss vom 5. August 2021 - AN 18 S 21.50139 -, juris, Entscheidungsabdruck S. 7; VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 27. Februar 2019 - 12 L 438/19.A -, und vom 24. April 2019 - 12 L 915/19.A -, n.v.; für Berechtigte internationalen Schutzes VG Ansbach, Urteile vom 21. Februar 2020 - 12 K 2479/17.A -, juris Rn. 21 ff., und vom 22. Januar 2021 - AN 18 K 18.50284 -, juris Rn. 44 ff.
78Es gibt jedoch auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine greifbaren Anhaltpunkte dafür, dass den Klägern als Dublin-Rückkehrer in Litauen eine menschenunwürdige Behandlung drohen würde.
79Bei dieser Würdigung verkennt das Gericht nicht, dass der litauische Gesetzgeber wegen des Massenzustroms von Flüchtlingen über die belarussisch-litauische Grenze im Juli 2021 bzw. August 2021 ein Gesetzespaket zur Änderung des Asylverfahrens verabschiedet hatte, das die Rechte von Asylsuchenden erheblich beschnitt. So sah Art. 140 (12) Abs. 1, Abs. 2 des litauischen Ausländergesetzes im Falle der Ausrufung einer Notlage wegen eines massiven Zustroms von Ausländern vor, dass der Asylantrag eines illegal in Litauen eingereisten Ausländers unzulässig ist und deswegen von den litauischen Behörden gar nicht erst entgegengenommen wird. Ausnahmen sah das Gesetz nur für vulnerable Personen oder bei individuellen Besonderheiten vor. Gemäß Art. 140 (17) des litauischen Ausländergesetzes konnte ein Ausländer bei Geltung der Notlage in Haft genommen werden, wenn er die litauische Grenze illegal überquert hat.
80Vgl. Artikel 140 ff. des litauischen Ausländergesetzes, a.a.O.; hierzu auch: United States Department of State, Lithuania 2021 Human Rights Report vom 12. April 2022, S. 11, abrufbar unter https://www.state.gov/reports/2021-country-reports-on-human-rights-practices/lithuania/.
81Vor diesem Hintergrund wurden in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im vergangenen Jahr vereinzelt systemische Schwachstellen in Bezug auf das Asylverfahren in Litauen angenommen.
82Vgl. VG Potsdam, Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2022 - 11 K 2074/22.A -, juris; VG Chemnitz, Beschluss vom 24. Oktober 2022 ‑ 1 L 352/22.A ‑, juris Rn. 9 ff; VG Magdeburg, Beschluss vom 5. September 2022 ‑ 3 B 262/22 MD ‑, juris Rn. 15 ff; VG Hannover, Beschluss vom 25. August 2022 – 12 B 6475/21 –, Rn. 11, juris Rn. 11 ff; VG München, Beschluss vom 17. Juni 2022 ‑ M 10 S 22.50244 ‑, juris Rn. 22 ff; VG Hannover, Beschluss vom 23. Februar 2022 - 12 B 6475/21 -, juris, Rn. 9 f.
83Den vorliegenden Erkenntnissen ist jedoch nicht (mehr) zu entnehmen, dass Schutzsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Litauen überstellt werden, nur eingeschränkten Zugang zum Asylverfahren haben oder ihnen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung infolge einer Unterbringung in einer geschlossenen Aufnahmeeinrichtung für Ausländer droht.
84Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Eilvorabentscheidungsersuchen des Obersten Verwaltungsgerichts von Litauen die Unvereinbarkeit der Notstandsregelungen des litauischen Ausländergesetzes mit europäischem Recht festgestellt hat,
85vgl. EuGH, Urteil vom 30. Juni 2022 - C-72/22 -, juris, Rn. 46 ff.,
86liegt inzwischen ein am 3. Mai 2023 in Kraft getretenes Änderungsgesetz Nr. XIV-1889 vom 20. April 2023 vor,
87vgl. Republik Litauen: Gesetz Nr. XIV-1889 über Änderung der Artikel 4, 67,140(8), 140(12) und Aufhebung der Artikel 140(11), 140(17) des Gesetzes Nr. IX-2206 über den Rechtsstatus von Ausländern, 20. April 2023: abrufbar unter: https://www.e-tar.lt/portal/legalAct.html?documentId=cf9bbb10e43611ed9978886e85107ab2 [abgerufen am 15.08.2023]. Maschinelle Übersetzung aus der litauischen in die deutsche Sprache.
88Dieses regelt neben der Aufhebung von Art. 140 (17) des litauischen Ausländergesetzes, der die Inhaftierung solcher Ausländer vorsah, die die litauische Grenze illegal überquert hatten, unter anderem, dass die Asylantragstellung nunmehr entweder an Grenzkontrollstellen oder in Transitzonen oder im Land unabhängig davon möglich ist, ob ein Ausländer legal oder illegal nach Litauen eingereist ist.
89Auch das Oberste Verwaltungsgericht der Republik Litauen hat nunmehr mit Urteil vom 7. Juni 2023 - Nr. KT53-A-N6/2023 - festgestellt, dass die Bestimmungen des Gesetzes über die Rechtsstellung von Ausländern, wonach alle Asylbewerber an bestimmten Orten untergebracht werden müssen, ohne dass ihnen das Recht gewährt wird, sich im Hoheitsgebiet der Republik Litauen frei zu bewegen, wobei die Dauer einer solchen Unterbringung bis zu sechs Monaten betragen kann, wenn keine Entscheidung der zuständigen Behörde vorliegt, die vor einem Gericht angefochten werden kann, gegen Artikel 20 der Verfassung verstoßen habe.
90Vgl. Mitteilung des Constitutional Court of the Republic of Lithuania vom 7. Juni 2023, „The provisions of the Law on the Legal Status of Foreigners relating to the temporary accommodation of an asylum seeker in a foreigners’ registration centre during a state of emergency were/are in conflict with the Constitution“, abrufbar unter: https://lrkt.lt/en/about-the-court/news/1342/the-provisions-of-the-law-on-the-legal-status-of-foreigners-relating-to-the-temporary-accommodation-of-an-asylum-seeker-in-a-foreigners-registration-centre-during-a-state-of-emergency-were-are-in-conflict-with-the-constitution:553,
91Im Übrigen galt schon ab Herbst 2022 der vom litauischen Parlament verlängerte Ausnahmezustand ausschließlich nur noch für das Grenzgebiet zu Belarus, zu der russischen Exklave Königsberg sowie an Grenzübergangsstellen, die außerhalb der Republik Litauen liegen
92Vgl. Pressemitteilung des litauischen Parlaments, Seimas extends the state of emergency in Lithuania, 13 September 2022; Art. 1 Abs. 1 des Beschlusses des litauischen Parlaments Nr. XIV-1657 vom 13. Dezember 2022, abrufbar unter https://t1p.de/k1maj; Die Tageszeitung junge Welt, "Litauen verlängert Ausnahmezustand", vom 9. März 2023, abrufbar unter: https://www.jungewelt.de/artikel/446447.litauen-verl%C3%A4ngert-ausnahmezustand.html.
93Im Übrigen dürften die Vorschriften auch wegen des Auslaufens des Ausnahmezustandes keine Anwendung mehr finden. Die letzte Verlängerung der Notstandslage ist am 3. Mai 2023 ausgelaufen,
94vgl. Mitteilung der litauischen Regierung, Government extends state of emergency on borders with Belarus and Russia, 8. März 2023, abrufbar unter: https://lrv.lt/en/news/government-extends-state-of-emergency-on-borders-with-belarus-and-russia,
95und es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Notstandslage seitdem weiter verlängert worden ist.
96Eine andere Bewertung ist nicht deshalb geboten, weil die bereits seit dem Sommer 2021 gängige Praxis der litauischen Behörden, Migranten direkt nach dem Grenzübertritt ohne zuvor einen Asylantrag stellen zu können und ohne weitere Prüfung wieder zurückzuschieben (sogenannte „Pushbacks“), gesetzlich verankert worden ist. Art. 4 des Gesetzes über die Staatsgrenze und dessen Schutz, der am 3. Mai 2023 in Kraft getreten ist, soll ebenfalls in staatlichen Notlangen zur Anwendung kommen.
97Vgl. UNHCR observations on the Draft Amendments to the Law of the Republic of Lithuania on Legal Status of Aliens (No XIVP-2385)1 and the Draft Amendments to the Law of the Republic of Lithuania on the State Border and its Protection (No XIVP-2383), Rn. 7, 11, 14 ff., abrufbar unter: https://www.refworld.org/docid/6419b0ee4.html?_gl=1*nwf22w*_rup_ga*MjQ3MjgyMTkzLjE2OTIwOTE2OTY.*_rup_ga_EVDQTJ4LMY*MTY5MjA5MTY5Ni4xLjEuMTY5MjA5MTc2My4wLjAuMA; Pro Asyl, Pressemitteilung vom 25. April 2023, „PRO ASYL ist entsetzt: Litauen legalisiert Pushbacks“, abrufbar unter: https://www.proasyl.de/pressemitteilung/pro-asyl-ist-entsetzt-litauen-legalisiert-pushbacks/; Amnesty International, Pressemitteilung vom 20. April 2023, „Litauen: Parlament erlaubt völkerrechtswidrige Pushbacks“, abrufbar unter: https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/litauen-parlament-erlaubt-voelkerrechtswidrige-pushbacks.
98Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Kläger im Fall einer Rücküberstellung nach Litauen im Rahmen des Dublin-Verfahrens von diesen „Pushbacks“ betroffen sein könnte.
99So auch OVG NRW, Beschluss vom 14. März 2023 - 11 A 298/23.A -, juris Rn. 13; VG Cottbus, Beschluss vom 15. Juni 2023 - 5 L 109/23.A -, juris Rn. 21; VG Freiburg, Urteil vom 17. Januar 2023 - A 13 K 1760/22 - juris Rn. 29.
100So ist zum einen eine nach Maßgabe der Art. 18 ff., 29 ff. Dublin III-VO erfolgte Überstellung als legale Einreise zu werten.
101Vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 15. Juni 2023 - 5 L 109/23.A -, juris Rn. 21; VG Berlin, Beschluss vom 13. Juni 2023 - 1 L 183/23 A -, juris Rn 16.
102Zum anderen waren auch schon vor dem Inkrafttreten der beiden Gesetzesänderungen im Mai 2023 den Erkenntnismitteln keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass auch Asylantragsteller, die sich bereits im Landesinneren befinden, oder Dublin-Rückkehrer unter Verweis auf eine ursprünglich illegale Einreise über die belarussisch-litauische Grenze nach Belarus zurückgedrängt werden könnten oder ohne inhaltliche Prüfung ihrer Asyl-(Folge-)Anträge in ihr Herkunftsland abgeschoben werden würden.
103Vgl. VG Freiburg, Urteil vom 17. Januar 2023 - A 13 K 1760/22 - juris Rn. 29 unter Verweis auf eine Mitteilung der litauischen Behörden zu Dublin-Rückkehrern vom 10. Oktober 2022.
104Es bestehen insoweit auch keine Anhaltspunkte, dass sich dies allen auf Grund der Legalisierung der Zurückweisungen an den Grenzen geändert hat.
105Es ist auch nicht ersichtlich, dass den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung infolge einer Unterbringung in einer geschlossenen Aufnahmeeinrichtung für Ausländer droht.
106Gemäß der Auskunft des Litauischen Roten Kreuzes vom 15 Februar 2023 ist eine Voraussage, was nach Ankunft von Dublin-Überstellten in Litauen geschehen wird, zwar unmöglich. Gemäß ihren jüngsten Beobachtungen würden Dublin-Rückkehrende bei ihrer Ankunft in Litauen systematisch einem Gericht vorgeführt und erhielten dann eine «alternative Maßnahme zur Inhaftierung». Dies stelle faktisch eine Inhaftierung dar, werde aber von den Behörden nicht so gesehen und entsprechend griffen die Rechte für Inhaftierte nicht. Diese Alternative zur Inhaftierung bedeute eine Unterbringung in einem Zentrum mit Bewegungsfreiheit nur innerhalb des Zentrums. In der Praxis werde die Bewegungsfreiheit oft auf einen Teil des Zentrums beschränkt. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um vulnerable Personen, Familien etc. handelt, die Anordnung geschehe standardmäßig.
107Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Dublin Infos Litauen - Stand 17. Februar 2023, Seite 4, abrufbar unter: https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/Dublin/230217_ADRO_Dublin_Litauen.pdf.
108Jedoch hat die Migrationsabteilung des litauischen Innenministeriums auf Anfrage des Bundesamts am 10. Oktober 2022 mitgeteilt, bei Dublin-Rückkehrern bestünden keine Gründe für eine Inhaftierung, es sei denn, es bestehe eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und staatliche Sicherheit.
109Zit. nach VG Freiburg, Urteil vom 17. Januar 2023, - A 13 K 1760/22 - juris Rn. 25.
110Auch gibt es keine systematische, nicht richterlich angeordnete Inhaftierung mehr. So befinden sich noch einige Personen in (Haft)-Zentren, allerdings aufgrund richterlicher Anordnung oder sie haben Alternativen zur Inhaftierung erhalten, wie z. B. die Verpflichtung, regelmäßig in das Zentrum zurückzukehren; andere sind in ihrer Freiheit nicht eingeschränkt und können die Zentren frei verlassen.
111Vgl. Global Detention Project and Human Rights Monitoring Institute, Lithuania: Follow-Up Report to the UN Committee Against Torture, Issus related with migrants, asylum seekers and migration detention, März 2023, Rn. 7, abrufbar unter: https://www.globaldetentionproject.org/lithuania-follow-up-report-to-the-un-committee-against-torture.
112Hinweise darauf, dass bei Dublin-Rückkehrern eine ursprünglich illegale Überquerung der Staatsgrenze – im Falle der Kläger die Einreise über Belarus – als Grund für eine Inhaftierung herangezogen wird, sind nicht ersichtlich.
113Die vorliegenden Erkenntnisse belegen zudem, dass ein Ausländer gegebenenfalls erfolgreich um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen kann.
114Vgl. Amnesty International, Bericht Juni 2023, „Lithuania: Forced out or Locked up, Refugees and migrants abused and abandoned“, S. 25, abrufbar unter https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/litauen-pushbacks-rechtswidrige-inhaftierungen-misshandlungen-von-schutzsuchenden.
115Dass das Rechtssystem in Litauen insoweit einwandfrei funktioniert, zeigt allein die Vorlage der Notstandsregelungen durch das Oberste Verwaltungsgericht von Litauen an den EuGH mit dem Antrag, im Eilverfahren hierüber zu entscheiden, sowie die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgericht Litauens über die Verfassungsmäßigkeit der Notstandsregelungen. Darüber hinaus verfügt das Gericht aus anderen Verfahren über entsprechende Erkenntnisse darüber, dass gerichtlicher Rechtsschutz in Litauen sowohl gegen Inhaftierungsentscheidungen als auch gegen ablehnende Entscheidungen der litauischen Migrationsbehörde funktioniert. Auch im hiesigen Verfahren haben die Kläger unter anderem Bescheide über die vorübergehende Unterbringung ohne Bewegungsfreiheit vorgelegt, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten und auf die Möglichkeit kostenfreier Rechtsberatung hinweisen. Sie haben angegeben, gegen die Bescheide gerichtlich vorgegangen zu sein, jedoch aufgrund der vorzeitigen Ausreise die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet haben. Es ist den Klägern daher jedenfalls zumutbar, die nach dem litauischen Rechtssystem vorgesehen Rechtsbehelfe zu ergreifen, um ggfs. ihre Ansprüche durchzusetzen.
116Soweit die Möglichkeit besteht, dass die Kläger nach ihrer Überstellung in Litauen aus anderen Gründen inhaftiert bzw. in einer geschlossenen Aufnahmeeinrichtung untergebracht werden,
117vgl. zu möglichen Haftgründen etwa Art. 8 der Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 sowie Art. 15 ff. der Rückführungsrichtlinie RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008,
118gibt es nach den aktuell vorliegenden Erkenntnissen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ihnen aufgrund der dortigen Lebensbedingungen beachtlich wahrscheinlich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Auch im Übrigen lassen die für Dublin-Rückkehrer in Litauen herrschenden Aufnahmebedingungen einen Schluss auf eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung nicht zu.
119Aktuell vorliegende Erkenntnismittel zeigen, dass zuvor ausgewertete Berichte, die sich vornehmlich auf das zweite Halbjahr 2021 und die erste Jahreshälfte 2022 beziehen, insbesondere wegen der zwischenzeitlich erheblich gesunkenen Zahl der Schutzsuchenden in Litauen nicht mehr die gegenwärtigen Zustände widerspiegeln.
120Von den über 4200 Migranten, die allein im Jahr 2021 über Belarus illegal nach Litauen eingereist sein sollen,
121vgl. Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 4, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf,
122halten sich aktuell nur noch rund 160 in Litauen auf.
123Vgl. Global Detention Project and Human Rights Monitoring Institute, Lithuania: Follow-Up Report to the UN Committee Against Torture, Issus related with migrants, asylum seekers and migration detention, März 2023, Fn. 8, abrufbar unter: https://www.globaldetentionproject.org/lithuania-follow-up-report-to-the-un-committee-against-torture.
124Von den im März 2022 rund 4000 Personen in de-facto-Haft in den von der Regierung verwalteten Zentren für Ausländer waren im Dezember 2022 noch 39 Personen in Gewahrsam.
125Vgl. Amnesty International, Amnesty Report Litauen 2022, 28. März 2023, abrufbar unter: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/litauen-2022.
126Zu Beginn des Jahres 2023 verwies auch die Organisation Ärzte ohne Grenzen in einer Erklärung auf fast leere Aufnahmeeinrichtungen. Die Organisation hatte ihre Aktivitäten in Litauen Ende des Jahres 2022 eingestellt und dies insbesondere damit begründet, dass die Registrierungszentren fast leer seien.
127Vgl. Médecins sans Frontières, Concern for migrant welfare in Lithuania and Latvia as projects close, 11. Januar 2023; abrufbar unter: https://www.msf.org/serious-concerns-migrant-welfare-lithuania-and-latvia-remain-projects-close; zum Ganzen auch VG Cottbus, Beschluss vom 15. Juni 2023 – 5 L 109/23.A –, juris Rn. 27 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 19. April 2023 – 22 L 80/23 A –, juris Rn. 21.
128Nachdem die meisten Migranten, die bis Mitte des Jahres 2022 in den Zentren de-facto festgehalten worden waren, nach und nach das Recht erhalten haben, das Gebiet der Zentren vorübergehend (für 24 oder 72 Stunden) zu verlassen, haben sich auch die Aufnahmebedingungen in den Aufnahmezentren begonnen zu ändern. Viele von ihnen haben diese Möglichkeit genutzt und sind nicht wiedergekommen, da sie fast ein Jahr lang faktisch unter Haftbedingungen gelebt haben und nach erneuten Ablehnungsbescheiden aus Litauen abgeschoben werden sollten. Dies hat zu einem Rückgang der Personenzahl in den Aufnahmezentren und automatisch zu besseren Lebensbedingungen dort geführt.
129Vgl. Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 3, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf.
130Die Bedingungen im Ausländerregistrierungszentrum Pabradė sowie in den Aufnahmezentren Naujininkai und Rukla haben sich aufgrund des Rückgangs der Personenzahl in Bezug auf Zugang zu Psychologen, Ärzten und medizinischen Behandlungen, Zugang zur Schulbildung, Verfügbarkeit von Aktivitäten für Erwachsene und Verpflegung verbessert. Die zuvor festgestellten Probleme wie Platzmangel und fehlender Zugang zu sanitären Einrichtungen haben sich ebenfalls gebessert. Hinsichtlich materieller Bedingungen sind keine systematischen Probleme in diesen Aufnahmezentren festgestellt worden.
131Vgl. Global Detention Project and Human Rights Monitoring Institute, Lithuania: Follow-Up Report to the UN Committee Against Torture, Issus related with migrants, asylum seekers and migration detention, März 2023, S. 5, abrufbar unter: https://www.globaldetentionproject.org/lithuania-follow-up-report-to-the-un-committee-against-torture.
132Dieser Rückgang hat auch zur Schließung der nicht mehr benötigten Aufnahmeeinrichtungen geführt. Die Registrierungszentren für Ausländer in Medininkai und Kybartai, deren Aufnahmebedingungen von dem litauischen Ombundsmann für Menschenrechte wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung kritisiert worden waren,
133vgl. Amnesty International, Amnesty Report Litauen 2022, 28. März 2023, abrufbar unter: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/litauen-2022,
134werden inzwischen nicht mehr betrieben. Sie waren als temporäre Einrichtungen wegen des massiven Zustroms von Flüchtlingen im Jahr 2021 errichtet worden. Das (Haft)-Zentrum in Medininkai wurde im September 2022 geschlossen. Anfang 2023 beschlossen die Behörden, auch die Einrichtung in Kybartai zu schließen.
135Vgl. LRT, Lithuania closes Medininkaimigrant facility as last foreigners moved, 19. August 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1771389/lithuania-officially-closing-me-; LRT, Lithuania officially closing Medininkai migrant centre, 2. September 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1771389/lithuania-officially-closing-me-; LRT, Lithuania to close Kybartai migrant facility, 21. Dezember 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1850127/lithuania-to-close-kybartai-migrant-facility#:~:text=Lithuania's%20State%20Border%20Guard%20Service,compared%20to%20around%20700%20initially.
136In den verbleibenden Aufnahmezentren in Pabradė, Rukla und Naujininkai haben sich die Aufnahmebedingungen inzwischen erheblich verbessert. So lebten am 1. März 2023 nur noch 110 Personen in dem Aufnahmezentrum in Pabradė sowie 51 weitere in Rukla und Naujininkai.
137Vgl. Global Detention Project and Human Rights Monitoring Institute, Lithuania: Follow-Up Report to the UN Committee Against Torture, Issus related with migrants, asylum seekers and migration detention, März 2023, Fn. 8, abrufbar unter: https://www.globaldetentionproject.org/lithuania-follow-up-report-to-the-un-committee-against-torture.
138Im Herbst 2022 sind in den Aufnahmezentren Rukla und Pabradė Containerdörfer abgebaut und alle Personen in Gebäuden untergebracht worden. Zu Ende des Jahres 2022 haben alle Personen in Gebäuden gelebt.
139Vgl. Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 34, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf.
140Unterkunftsräume und andere Räumlichkeiten einschließlich der Quarantäneräume für neu ankommende Asylbewerber im Ausländerregistrierungszentrum Pabradė sind renoviert worden. Alle Wohnräume verfügen über eigene Sanitäreinheiten (Toiletten, Duschen), die Gebäude sind für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen geeignet. Frauen und ihre Familien sind in einem separaten Gebäude mit Kochnischen, einem Freizeitraum und einem Raum für religiöse Zeremonien untergebracht. Asylbewerber werden mit warmen Mahlzeiten versorgt, und alle notwendigen Geräte zum Kochen sind ebenfalls vorhanden. Asylbewerber erhalten warme Kleidung und Schuhe, Medikamente und Anderes wie z. B. Sportausstattung, Brettspiele usw. Die Asylbewerber können sich von Psychologen und Sozialarbeitern beraten lassen und erhalten auch kostenlose Rechtsberatung, Übersetzungen und Transportdienste. Asylbewerber erhalten kostenlos grundlegende medizinische Hilfe und andere wichtige persönliche Gesundheitsdienste. Für die minderjährigen Kinder der betreffenden Ausländer werden zusätzlich Impfungen und präventive Gesundheitsuntersuchungen durchgeführt. Unbegleitete Minderjährige sind auf Kosten des Staates gesetzlich krankenversichert und erhalten alle Leistungen wie andere Bürger.
141Vgl. United Nations Committee against Torture (UN CAT), Information received from Lithuania on follow-up to the concluding observations on its fourth periodic report* [Date received: 14 November 2022], 21. Dezember 2022, S. 2 f.
142Das Aufnahmezentrum Naujininkai haben im Jahr 2022 ebenfalls erhebliche Investitionen in die Infrastruktur erfahren.
143Vgl. Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 4, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf.
144Soweit vereinzelt Missstände hinsichtlich der Aufnahmebedingungen in den Zentren auch aus jüngerer Zeit dokumentiert sind (Berichte über unzureichende Essensqualität, lange Wartezeiten für medizinische Behandlung, fehlende Hygieneprodukte),
145vgl. Global Detention Project and Human Rights Monitoring Institute, Lithuania: Follow-Up Report to the UN Committee Against Torture, Issus related with migrants, asylum seekers and migration detention, März 2023, Rn. 11, 14, abrufbar unter: https://www.globaldetentionproject.org/lithuania-follow-up-report-to-the-un-committee-against-torture; Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 3, der sich auch auf Besuche in den Zentren im 2. Halbjahr 2022 bezieht, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf,
146deuten diese zumindest nicht auf massive oder strukturelle Defizite bei der Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden hin, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmenschliche oder erniedrigende Bedingungen erwarten lassen. Überdies werden Lücken oft durch Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen geschlossen, die in den Aufnahmezentren aktiv sind,
147vgl. Mykolas Romeris University, Evaluation of the Asylum System: Lithuania Summary, 30. Dezember 2022, S. 8, abrufbar unter: https://www.mruni.eu/wp-content/uploads/2023/02/Prieglobscio-sistemos-vertinimas_santrauka_anglu_kalba_galutine.pdf.
148Nach den vorliegenden Erkenntnissen gibt es in Litauen verschiedene tätige NGOs.
149Vgl. zur Gemeinschaft der Samariter in Litauen: https://activeyouth.lt/2020/05/13/top-ngos-in-lithuania/?lang=en; zum Malteserorden: https://www.orderofmalta.int/de/nachrichten/der-malteserorden-litauen-feiert-25-jahre-einsatz/ und https://www.orderofmalta.int/de/nachrichten/die-hilfsorganisation-des-malteserordens-in-litauen-feiert-ihr-30-jahriges-bestehen-in-anwesenheit-des-groshospitaliers/; zum Hilfe Litauen-Belarus e.V.: https://hilfe-lb.de/projekte/; zur Lieferung von Hilfsgütern für 67000 Flüchtlinge aus der Ukraine: https://www.unhcr.org/neu/87059-unhcr-supports-latvia-and-lithuania-with-relief-items-for-temporary-accommodation-of-refugees-from-ukraine.html vom 12. Oktober 2022; zu Ärzte ohne Grenzen: https://www.infomigrants.net/en/post/40404/lithuania-2500-migrants-arbitrarily-detained-says-msf vom 5.Oktober 2022.
150Asylbewerber haben Anspruch auf kostenlose medizinische und psychologische Betreuung sowie auf soziale Dienste im Ausländerregistrierungszentrum oder im Aufnahmezentrum für Flüchtlinge.
151Vgl. MIGRIS Electronic migration services, Migration Department under the Ministry of the Interior of the Republic of Lithuania, Information for asylum seekers, abrufbar unter: https://www.migracija.lt/noriu-gauti-prieglobst%C4%AF-lr; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderbericht der Staatendokumentation - Litauen, Gesamtaktualisierung am 2. November 2018, S. 9.
152Laut Gesetz erhalten alle Asylbewerber und andere Migranten, die die Grenze während des Notstandes irregulär überquert hatten, auch nach Ablehnung, nach 12 Monaten ein Recht auf Arbeit, nachdem sie sich im litauischen Migrationsinformationssystem MIGRIS registriert haben.
153Vgl. European Union Agency for Asylum, Input by civil society organisations to the Asylum Report 2023, 3. Februar 2023, Seite 7, abrufbar unter: https://euaa.europa.eu/sites/default/files/2023-02/lithuanian_red_cross_society.pdf; LRT, Lithuania to stop detention of migrants, allow asylum seekers to work, 7. Juni 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1713964/lithuania-to-stop-detention-of-migrants-allow-asylum-seekers-to-work vom 7. Juni 2022.
154Dublin-Überstellte werden nicht anders behandelt als andere Asylsuchende in Litauen und haben denselben Zugang zur Unterbringung und Versorgung wie reguläre Asylbewerber.
155Vgl. SFH, Dublin Infos Litauen - Stand 17. Februar 2023, Seite 4, abrufbar unter: https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/Dublin/230217_ADRO_Dublin_Litauen.pdf.
156Das Gericht vermag darüber hinaus nicht festzustellen, dass sich die individuelle Situation der hiesigen Kläger anders darstellen würde. Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Kläger zu 3. und 4. als minderjährige Kinder im Alter von 5 und fast 2 Jahren besonders schutzbedürftig sind, wie sich aus Art. 21 der Aufnahmerichtlinie ergibt.
157Vulnerable Gruppen werden ihren Bedürfnissen entsprechend untergebracht. Familien mit Kindern und andere schutzbedürftige Asylbewerber werden in den vom Ministerium für soziale Sicherheit und Arbeit verwalteten Sozialzentren und Räumlichkeiten untergebracht. Alle sozialen Dienste, einschließlich der Schulbildung, sind für sie sichergestellt.
158Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Litauen, Gesamtaktualisierung am 9. September 2022, S. 9; United Nations, Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, Information reveiced from Lituania on follow-up to the concluding observations on ist fourth periodic report, 21. Dezember 2022, Seite 2; SFH, Dublin Infos Litauen - Stand 17. Februar 2023, Seite 5, abrufbar unter: https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/Dublin/230217_ADRO_Dublin_Litauen.pdf.
159Zudem hat sich die Verfügbarkeit der Gefährdungsbeurteilung und aller Dienstleistungen (medizinischer, psychologischer, gezielter Beschäftigung) in der zweiten Hälfte 2022 im Zusammenhang mit dem Rückgang der Bewohnerzahlen, neu eingestellten Fachkräften und der Bewegungsfreiheit, welche es den Betroffenen ermöglicht, Dienstleistungen unabhängig zu wählen, im Allgemeinen deutlich verbessert.
160Vgl. Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 48, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf.
161Zwar bestehen Defizite bei der Identifizierung vulnerabler Personen,
162vgl. SFH, Dublin Infos Litauen - Stand 17. Februar 2023, Seite 5, abrufbar unter: https://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/Dublin/230217_ADRO_Dublin_Litauen.pdf; Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 46, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf.
163Die Kläger indes zählen zu einem Personenkreis, dessen besondere Schutzbedürftigkeit mit zwei minderjährigen Kindern ohne weiteres erkennbar ist.
164Ein anderes Bild zeichnet sich auch nicht mit Blick auf den Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine. Dieser Zustrom hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Asylsystem, da Ukrainern außerhalb des Asylrechts temporären Schutz gewährt wird,
165vgl. Lithuania Red Cross, Monitoring Report 2022, S. 3, abrufbar unter: https://redcross.lt/wp-content/uploads/2022/09/LRC-Monitoring-Report-2022.pdf,
166welcher eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr mit der Möglichkeit ihrer Verlängerung bis zu drei Jahren sowie das Recht auf Bildung, medizinische Versicherung, Sozialhilfe und den Zugang zum Arbeitsmarkt vorsieht. Litauen strebt damit eine schnelle Integration der ukrainischen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt an, um den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, für ihren Unterhalt selbst zu sorgen.
167Vgl. Lithuanian National Radio and Television, Half of working-age Ukrainians in Lithuania find jobs – ministry, 16. September 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1781151/half-of-working-age-ukrainians-in-lithuania-find-jobs-ministry; Lithuanian National Radio and Television, Lithuanians offered compensation for hosting Ukrainian refugees, 21. März 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1650348/lithuanians-offered-compensation-for-hosting-ukrainian-refugees; European Council on Refugees and Exiles, Information Sheet - Measures in response to the arrival of displaced people fleeing the war in Ukraine, 31. Mai 2022, S. 21, abrufbar unter: https://ecre.org/wp-content/uploads/2022/03/Information-Sheet-%E2%80%93-Access-to-territory-asylum-procedures-and-reception-conditions-for-Ukrainian-nationals-in-European-countries.pdf; uamedia, 22. Juni 2023 (in russischer Sprache): https://uamedia.eu/ru/society/skolko-zarabatyvayut-ukraincy-v-litve-i-kem-oni-rabotayut-5421.
16825.600 ukrainische Bürger stehen mittlerweile in Litauen unter Arbeitsvertrag, was 61 % aller im Land registrierten Flüchtlinge (Stand März 2023: 42.000 Personen) beträgt.
169Vgl. uamedia, 22. Juni 2023 (in russischer Sprache): https://uamedia.eu/ru/society/skolko-zarabatyvayut-ukraincy-v-litve-i-kem-oni-rabotayut-5421.
170Auch werden diese Personen in der Regel nicht in den Registrierungszentren und Aufnahmeeinrichtungen für Ausländer untergebracht, sondern hauptsächlich in Privatunterkünften oder Wohnungen, Pflegeheimen, Wohnheimen und Schulen, was durch die litauische Regierung mit Subventionen unterstützt wird.
171Vgl. Deutsche Welle, Litauen unterstützt die Ukraine weiter, 26. August 2022, abrufbar unter: https://www.dw.com/de/litauen-unterst%C3%BCtzt-die-ukraine-weiter/a-62926258; Lithuanian National Radio and Television, Lithuania to expand, open new centres to handel influx of Ukrainian refugees, 23. März 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1652065/lithuania-to-expand-open-new-centres-to-handle-influx-of-ukrainian-refugees; Lithuanian National Radio and Television, Lithuanians offered compensation for hosting Ukrainian refugees, 21. März 2022, abrufbar unter: https://www.lrt.lt/en/news-in-english/19/1650348/lithuanians-offered-compensation-for-hosting-ukrainian-refugees.
172Insgesamt hat die litauische Regierung 6,3 Millionen Euro für die Beschäftigung und Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen bereitgestellt.
173Vgl. Deutsche Welle, Litauen unterstützt die Ukraine weiter, 26. August 2022 abrufbar unter: https://www.dw.com/de/litauen-unterst%C3%BCtzt-die-ukraine-weiter/a-62926258.
174Soweit davon auszugehen sein sollte, dass den Kläger bei ihrer Rückkehr nur noch die Möglichkeit zur Stellung eines Asylfolgeantrages gegeben wird und sie ggfs. in ein Ausreisezentrum verwiesen werden, verstößt auch dies nicht gegen die oben dargelegten Grundsätze.
175Systemische Schwachstellen im litauischen Asylsystem sind auch im Falle einer eventuellen Zuerkennung internationalen Schutzes nicht festzustellen. Die Situation anerkannter Schutzberechtigter ist grundsätzlich auch bei sogenannten Dublin-Rückkehrern bereits in den Blick zu nehmen,
176vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 -, juris, Rn. 76 ff.
177Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass international Schutzberechtigte in der Situation der Kläger in Litauen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt wären.
178Sollten ihnen – entgegen der vorstehenden Ausführungen – im hier zeitlich relevanten Rahmen dennoch keine ausreichenden staatlichen Leistungen zur Verfügung gestellt werden, sind die Kläger darauf zu verweisen, durch eigene Arbeit und der Hilfe von NGOs für „Brot, Bett und Seife“ zur sorgen.
179Sonstige individuelle, in den Personen der Kläger liegende besondere Gründe, die eine Überstellung als menschenrechtswidrig erscheinen lassen, liegen ebenfalls nicht vor.
180Dies folgt nach den obigen Ausführungen nicht allein daraus, dass es sich bei den Klägern um eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern handelt. Solche individuellen Umstände ergeben sich ebenso wenig aus dem Vorbringen der Kläger, die Aufenthaltszeit in Litauen habe sie schwer belastet und die Klägerin zu 2. leide aufgrund ihrer Erfahrungen in Litauen unter Angstzuständen. Hiermit wird ein erhebliches gesundheitliches Leiden der Klägerin zu 2. nicht substantiiert vorgetragen, geschweige denn belegt. Insbesondere fehlt es an Angaben dazu, dass die Kläger medizinischer oder sonstiger therapeutischer Behandlung bedürfen. Die Kläger haben auch im Übrigen keine anhaltenden gesundheitlichen Einschränkungen geltend gemacht. Überdies ergibt sich aus der o. g. Erkenntnislage, dass sie als Asylantragsteller in Litauen eine Gesundheitsversorgung erhalten. Dies haben die Kläger bei ihren Befragungen beim Bundesamt auch bestätigt, indem sie angegeben haben, jeweils medizinisch versorgt worden zu sein.
181II. Unter diesen Umständen ist auch die Feststellung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, rechtmäßig.
182Die Feststellung findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 31 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Aus den vorgenannten Gründen hat das Bundesamt zu Recht entschieden, dass der Asylantrag der Kläger unzulässig ist.
183Ob der (Negativ-)Feststellung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ein eventueller Anspruch der Kläger auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (etwa in Bezug auf Litauen) entgegensteht, ist hier gerichtlich nicht zu prüfen. Denn die Kläger haben im vorliegenden Verfahren nicht (auch nicht hilfsweise) beantragt, die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes zu verpflichten.
184III. Ferner ist die angefochtene Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheides rechtmäßig.
185Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
186Litauen ist – wie zuvor ausgeführt – für die Durchführung des Asylverfahrens der Kläger zuständig. Es steht auch im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Insbesondere stehen der Abschiebung der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollzugshindernisse, die die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung zu begründen vermögen,
187vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 -, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rdn. 4; OVG Niedersachsen, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, juris, Rdn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 ‑ OVG 2 S 6.12 -, juris, Rn. 4 ff.; VGH Bayern, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris, Rn. 4 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris, Rn. 9 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04 -, juris, Rn. 9 ff,
188entgegen. Entsprechende Abschiebungshindernisse sind weder vorgetragen noch im Übrigen ersichtlich.
189IV. Schließlich ist auch die angefochtene Anordnung eines auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides rechtmäßig, insbesondere frei von Ermessensfehlern und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
190Die Regelung beruht auf § 11 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 2 und 3 AufenthG.
191Entsprechend dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung.
192Ermessensfehler bei der Bestimmung der Frist auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung sind ebenfalls nicht festzustellen. Die Bestimmung der Frist ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich nur darauf, ob die Behörde das Ermessen in seiner Reichweite erkannt, ihre Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet und die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten hat, § 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG.
193Mit einer Befristung auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung hat das Bundesamt die Reichweite seines Ermessens nicht überschritten. Aus der Begründung ist zudem erkennbar, dass es seine Erwägungen am Zweck der Ermessensermächtigung ausgerichtet hat, indem es das öffentliche Interesse an dem Verbot einer kurzfristigen Wiedereinreise der Kläger mit dessen Interesse an einer erneuten Einreise in das Bundesgebiet abgewogen hat. Dabei hat es das öffentliche Interesse in nicht zu beanstandender Weise gewichtet.
194Vgl. zur Überprüfung der Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG auch: OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2017 ‑ 11 A 52/17.A ‑, juris Rn. 110.
195Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Bundesamt diese Abwägung auf der Grundlage eines falschen Sachverhalts vorgenommen hätte oder sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt nachträglich in einer Weise verändert hätte, die eine Ergänzung der Ermessensausübung erfordern würde.
196Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, §§ 83b, 83c AsylG.
197Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
198Der Gegenstandswert richtet sich nach § 30 Abs. 1 RVG.
199Rechtsmittelbelehrung:
200Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung beantragt werden. Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster.
201Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
2021. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2032. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
2043. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
205Der Antrag ist schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
206Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
207In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
208Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
209Die Antragsschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.