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Das Fehlen eines (befestigten) Seitenstreifens an einer Landstraße bzw. die (zeitweise) mangelnde Begehbarkeit eines vorhandenen Seitenstreifens/Banketts begründet ohne weiteres keine qualifizierte Gefahr im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO. Das Gehen am Fahrbahnrand ist, soweit erforderlich, zulässig und zumutbar (§ 25 Abs. 1 Satz 2 und 3 StVO) und stellt jedenfalls bei guter Einsehbarkeit des Straßenabschnitts kein erheblich gesteigertes Risiko dar.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt von der Beklagten die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit an einem außerhalb geschlossener Ortschaften liegenden Abschnitt der Landesstraße 000 (L 000) in X. .
3Der Kläger ist Eigentümer und Bewohner des Wohngrundstücks mit der postalischen Anschrift T. 2, 00000 X. . Das Grundstück liegt an der L 000, einer zweispurigen Landstraße, die als überörtliche Verbindungsstraße zwischen S. -M. und X. -C. fungiert. Die L 000 verläuft im Abschnitt zwischen der Einmündung I. im Süden und der T. 4 ca. 650 Meter weiter nördlich im Wesentlichen gerade; lediglich im Bereich der T. 4 bzw. wenige Meter nördlich davon weist sie eine leichte Kurve auf. Die Gesamtfahrbahnbreite im relevanten Bereich beträgt etwa sechs Meter. Nahe dem klägerischen Grundstücke befindet sich eine Kreuzung; dort mündet die von Westen herführende Landesstraße 00 (L 00) in die L 000. An der Kreuzung befindet sich das für die von der L 00 kommenden Verkehrsteilnehmer zu beachtende Zeichen 206 (Stoppschild) mit Haltelinie. Aus östlicher Richtung mündet die Straße T2. in die L 000. Im Bereich der Bebauung T1. (Hausnummern 0 bis 0, 0 und 0) befindet sich kein befestigter Gehweg, sondern – zum Teil auf der einen, zum Teil auf der anderen Straßenseite – eine befestigte Fläche, die in etwa eine Ebene mit der Fahrbahn aufweist. Im Übrigen befindet sich im maßgeblichen Abschnitt seitlich der Fahrbahn der L 000 jeweils nur ein unbefestigter bewachsener Randstreifen, der unregelmäßig gepflegt wird. Im gesamten maßgeblichen Bereich ist durch das Zeichen 274 für beide Fahrtrichtungen eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h angeordnet.
4Jedenfalls mit E-Mail vom 28. Juli 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten (sinngemäß) die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Bereich T1. auf 50 km/h. Zur Begründung trug er im Laufe des Verwaltungsverfahrens im Wesentlichen Folgendes vor: Es seien im maßgeblichen Verkehrsabschnitt mehrere Gefahrenquellen vorhanden. Die Fahrbahnbreite der L 000 von insgesamt ca. sechs Metern führe dazu, dass insbesondere bei einer Begegnung breiter Fahrzeuge ein hinreichender Sicherheitsabstand zu Fußgängern oder Radfahrern nicht eingehalten werden könne. Dazu werde der Bewuchs des Seitenstreifens nicht hinreichend zugeschnitten, sodass letzterer über Monate nicht begehbar sei. Der Kreuzungsbereich sei gefährlich, da regelmäßig das Stoppschild an der Einmündung der L 00 missachtet werde und es fast täglich zu Beinaheunfällen komme. In den letzten Jahren habe es mehrere Unfälle mit Personenschäden gegeben. Zudem befänden sich in dem Bereich mehrere Wohnhäuser, in denen auch Kinder und ältere Menschen wohnten, die die Straße queren müssten. Es gebe dort zwei Bushaltestellen und mehrere Grundstücksausfahrten; zudem kreuze ein Reitweg die L 000. An derselben gebe es in Richtung des Hauses T1. 4 und der Straße U. keine Beleuchtung, sodass der Weg sehr gefährlich sei. Das vorhandene Tempolimit von 70 km/h werde häufig überschritten – insbesondere abends und nachts werde die Strecke als Rennstrecke genutzt, es fänden keine Kontrollen statt. Das bringe eine erhöhte Lärmbelästigung mit sich. Ferner gebe es mehrere Stellen an Landstraßen in X. sowie auch in S. entlang der L 000, wo Tempo 50 angeordnet sei, obwohl es dort nicht gefährlicher sei als im Bereich T1. . Es scheine, dass die Beklagte Geschwindigkeitsbegrenzungen willkürlich anordne. Im Übrigen bestehe im Falle eines Unfalls mit Verlust von Betriebsstoffen die Gefahr der Verunreinigung der Herbringhauser (Trinkwasser-)Talsperre durch abfließendes Oberflächenwasser.
5Am 5. Februar 2020 teilte die Polizei X. der Beklagten per E-Mail mit, dass ihr für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis heute kein geschwindigkeitsbedingter meldepflichtiger Unfall bekannt sei. Gleiches gelte hinsichtlich der Unfalllage in den Vorjahren (Schreiben vom 2. März 2020). Mit E-Mail vom 7. Februar 2020 führte der Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen (Straßen.NRW) auf Bitte der Beklagten um eine Stellungnahme aus, dass aus seiner Sicht im Zuge der L 000 keine Gefahrenstelle (z. B. mangelnde Sichtweiten, fehlende Griffigkeiten, unerwartet starke Kurven) vorliege und daher kein Handlungsbedarf bestehe.
6Im Zeitraum vom 4. bis zum 20. Februar 2020 stellte die Polizei X. auf der L 000 im Bereich der Ortslage T2. ein Geschwindigkeitsdisplay auf. Bei der Auswertung ergab sich, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit (V85-Geschwindigkeit) der im Zeitraum vom 4. bis zum 10. Februar 2020 erfassten 0000 in Richtung Süden fahrenden Fahrzeuge 72 km/h betrug, wobei 19,4 Prozent der Fahrzeuge schneller als erlaubt fuhren. Die durchschnittliche Geschwindigkeit (V85-Geschwindigkeit) der im Zeitraum vom 10. bis zum 20. Februar 2020 erfassten 00000 in Richtung Norden fahrenden Fahrzeuge betrug 67 km/h, wobei 8,5 Prozent der Fahrzeuge schneller als erlaubt fuhren. Laut Stellungnahme des Polizeipräsidiums X. vom 2. März 2020 ergibt sich aus polizeilicher Sicht unter Beachtung der Unfallsituation und Geschwindigkeitsmessung kein Anlass für eine Geschwindigkeitsbeschränkung.
7Mit Bescheid vom 10. Dezember 2020 – zugestellt am 15. Dezember 2020 – lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Reduzierung des Tempolimits im Bereich der L 000, Bereich T. 2 auf 50 km/h ab. Zur Begründung führte sie aus, bei dem in Rede stehenden Straßenabschnitt handele es sich um eine überörtliche Verbindungsstraße (Landesstraße), welche als freie Strecke bewertet werde. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch das Zeichen 274 komme nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften nur dort in Betracht, wo Unfalluntersuchungen ergäben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten seien, und das auch nur, wenn die Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten werde. Gemäß den Aussagen der Verkehrsinspektion der Polizei liege ein Unfallschwerpunkt im Bereich der L 000 gerade nicht vor. Andere Gründe für eine Geschwindigkeitsbeschränkung wie extreme Kurven, eine Gefällestrecke oder Stellen mit besonders unebener Fahrbahn lägen ebenfalls nicht vor. Die maßgebliche Straße sei ausreichend ausgebaut und die Aufstellungsflächen im Bereich der Haltestellen der X Stadtwerke (XXX) seien ausreichend dimensioniert. Sie, die Beklagte, sehe unter Berücksichtigung aller Ermessensspielräume keine Möglichkeiten, als Straßenverkehrsbehörde eine Geschwindigkeitsbegrenzung anzuordnen. Der Verweis auf das S. Stadtgebiet könne nicht als Grund herangezogen werden, zumal unmittelbar an der Stadtgrenze auch auf S. Gebiet in beiden Fahrtrichtungen eine Begrenzung von 70 km/h angeordnet sei.
8Der Kläger hat am 11. Januar 2021 Klage erhoben.
9Er wiederholt und vertieft seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren und weist dabei vor allem auf eine aus seiner Sicht bestehende besondere Gefahr für auf der Fahrbahn befindliche Fußgänger und Radfahrer mangels eines dauerhaft begehbaren, befestigten Seitenstreifens hin. Ergänzend trägt er vor, die Beklagte habe ihr Ermessen bei der Ablehnung seines Antrags nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Bei einer sachgerechten Abwägung sei eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit besonders im Sinne einer Unfallprävention vorzunehmen. Hinsichtlich des Kreuzungsbereiches L 00/L 000 führt er aus, vor dem Abbiegen in seine Grundstückseinfahrt könne er den Fahrtrichtungsanzeiger regelmäßig erst sehr spät betätigen, weil das Blinken von Wartepflichtigen auf der L 00 ansonsten falsch eingeordnet werden könne. Ein spätes Blinken wiederum sei im Hinblick auf den rückwärtigen Verkehr risikoträchtig. Schließlich handele die Beklagte widersprüchlich bzw. halte sich nicht an eigene Vorgaben, denn an anderen Stellen im Stadtgebiet bestehe außerorts durchaus eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 bzw. 60 km/h.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 10. Dezember 2020 zu verpflichten, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der L 000 in X. im Bereich der Ortslage H. bis zur T1. 4 (siehe Anlage K 9) in beiden Fahrtrichtungen auf 50 km/h zu reduzieren,
12hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 10. Dezember 2020 zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im vorgenannten Sinne unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie trägt vor, es bestehe mit Blick auf den fehlenden Unfallschwerpunkt und die polizeilich durchgeführte Geschwindigkeitsmessung bereits keine Gefahrenlage. Im Übrigen habe sie ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Dabei sei im Rahmen einer Abwägung den Belangen des Straßenverkehrs, insbesondere dem Interesse an einem ungehinderten Verkehrsfluss auf einer überörtlichen Verbindungsstraße, der Vorrang eingeräumt worden. Fußgänger hätten sich grundsätzlich auf dem Seitenstreifen zu bewegen. Dies sei vorliegend auch zumutbar, da der Bewuchs keine starke Einschränkung darstelle. Auch das Fehlen von Beleuchtung führe nicht zu einer konkreten Gefahr, zumal das Aufstellen einer Beleuchtung ein milderes Mittel darstellen würde. Der Kreuzungsbereich der L 00 sei hinreichend geschützt; die Missachtung von Verkehrsschildern und -regeln stünden nicht im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit. Im Übrigen sei die polizeiliche Geschwindigkeitsmessung im Februar 2020 entgegen der Ansicht der Klägerseite aussagekräftig und habe ergeben, dass mehr Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit unterschreiten als sie zu überschreiten. Die L 000 weise aufgrund des geradlinigen Straßenverlaufes in beiden Fahrtrichtungen gute bis sehr gute Sichtverhältnisse auf. Aufgrund der örtlichen Verhältnisse (lose Bebauung und Kreuzung) sei die Geschwindigkeit bereits auf 70 km/h begrenzt worden. Eine auffällige Unfalllage lasse sich nach erneuter Besprechung mit der Polizei weiterhin nicht feststellen. Hinsichtlich der Ortslage X2. habe nicht ermittelt werden können, wieso dort eine Begrenzung von 50 km/h angeordnet worden sei. Da es dort in den Neunzigerjahren einen schweren Unfall gegeben habe, sei zu vermuten, dass in Anbetracht der Betroffenheit gehandelt worden sei.
16Das Gericht hat am 13. Juli 2022 einen Orts- und Erörterungstermin durchgeführt, bei dem die Beklagtenseite nicht zugegen war. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll zum Termin Bezug genommen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten genommen.
18Entscheidungsgründe:
19A. Die Entscheidung ergeht vorliegend durch den Einzelrichter, nachdem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen hat.
20Die zulässige Klage ist insgesamt unbegründet.
21Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Letzterer hat keinen Anspruch auf die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß seinem Hauptantrag (I.). Er hat zudem keinen Anspruch auf eine Neubescheidung durch die Beklagte (II.).
22I. Ein Anspruch auf Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann sich hier lediglich aus § 45 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) ergeben. Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Nach § 45 Abs. 9 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist (Satz 1). Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt (Satz 3).
23Die Anordnung von Maßnahmen steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde, sodass der Kläger prinzipiell nur einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten hat.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 2001 – 3 C 23/00 –, juris, Rn. 21 f; Urteil vom 25. April 1980 – 7 C 19/78 –, juris, Rn. 18; Urteil vom 22. Januar 1971 – VII C 48.69 –, BVerwGE 37, 112–116, juris, Rn. 15.
25Ein Anspruch auf ein konkretes verkehrsrechtliches Einschreiten der Behörde besteht mithin nur bei einer Ermessensreduzierung auf null, das heißt in einer Konstellation, in der jede andere Entscheidung als die Vornahme der begehrten Regelung rechtswidrig wäre. Eine solche Ermessensreduzierung liegt indes nicht vor.
26Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist in der vorliegenden Verpflichtungssituation der Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung.
27Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 102 f. m. w. N.
281. Es fehlt in diesem Zeitpunkt an einer qualifizierten Gefahrenlage im Sinne von § 45 Abs. 9 S. 3 StVO.
29Diese Vorschrift setzt nur – aber immerhin – eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nicht jedoch eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit voraus. Erforderlich ist somit eine entsprechende konkrete Gefahr, die auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruht.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 37/09 –, BVerwGE 138, 21–35, juris, Rn. 27.
31Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 S. 3 StVO können insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z. B. Nebel, Schnee- und Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 37/09 –, BVerwGE 138, 21–35, juris, Rn. 26; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom6. Juni 2019 – 8 B 821/18 –, juris, Rn. 6 f. m. w. N.
33Nach diesen Maßgaben ist eine besondere Gefahr, die auf örtlichen Verhältnissen beruht nicht ersichtlich.
34a. Eine Gefahr ergibt sich insbesondere nicht aus der Streckenführung. Bei dem maßgeblichen Straßenabschnitt handelt es sich um einen ganz wesentlich gerade verlaufenden Abschnitt, der in beiden Fahrtrichtungen gut einsehbar für sämtliche Verkehrsteilnehmer ist. Die im Bereich T1. 4 befindliche – leichte – Kurve hebt die grundsätzlich hohe Übersichtlichkeit des Streckenabschnitts nicht auf, sondern schmälert sie unwesentlich. Das Gericht hat bei der Begehung im Rahmen des Ortstermins festgestellt, dass die Bebauung sowie die Kreuzung zur L 00 aus Richtung Norden dem Grunde nach zu erkennen sind, sobald man sich auf Höhe der T. 4 befindet. Lediglich die Sicht in den Bereich der L 00 hinein – mithin auf etwaige von dort kommende bzw. an der Haltelinie stehende Fahrzeuge – ist zunächst eingeschränkt. Eingedenk der Entfernung der Kurvenmitte bzw. des „Kurvenauslaufs“ zum Kreuzungsbereich (mehr als 100 Meter, gemessen mit Google Maps), der eine Reaktion auf etwaige Verkehrsereignisse (z. B. unvorsichtiges Abbiegen) offensichtlich zulässt, liegt indes keine qualifizierte Gefahr vor.
35b. Das Vorhandensein der Kreuzung im Bereich T1. mit der Abzweigung zur L 00 einerseits und zur Straße T2. andererseits begründet ebenfalls keine qualifizierte Gefahr. Soweit der Kläger rügt, dass ein Großteil der Verkehrsteilnehmer das dort befindliche Verkehrszeichen (Zeichen 206, Stoppschild) missachte, beruht diese Missachtung nicht auf den örtlichen Verhältnissen, sondern auf der mangelnden Regeltreue der betreffenden Verkehrsteilnehmer. Dass das Abbiegen bei ordnungsgemäßer Beachtung der Vorfahrtregelung überdurchschnittlich risikobehaftet wäre, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die Beachtung der Vorfahrt ist nötigenfalls polizeilich im Wege von Kontrollen durchzusetzen. In diesem Zusammenhang liegt auch keine Gefahr vor, weil manche an der Kreuzung wartende Verkehrsteilnehmer das Blinken vor dem Linksabbiegen in die kurz hinter der Kreuzung liegende klägerische Grundstückseinfahrt falsch einordnen. In dieser Konstellation verwirklicht sich wiederum das allgemeine Risiko der Unvorsichtigkeit einzelner Verkehrsteilnehmer bzw. von Missverständnissen im Straßenverkehr, das jedoch nicht das übliche Maß überschreitet. Hinsichtlich zu schneller oder zu nah auffahrender Fahrzeuge des rückwärtigen Verkehrs gilt wiederum, dass die Gefahr nicht auf den örtlichen Verhältnissen beruht.
36c. Ferner erlangt der Ausbauzustand der Strecke keine maßgebliche Bedeutung. Die gesamte Fahrbahnbreite im relevanten Abschnitt beträgt nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Klägerseite etwa sechs Meter. Damit handelt es sich nicht um eine ungewöhnlich schmale Fahrbahn. Zwar sollen etwa nach den aktuellen Richtlinien für die Anlage von Landstraßen in der Baulast des Bundes (RAL), die zumindest eine Orientierung bieten, Regionalstraßen (XXX 0), zu denen die L 000 zählen dürfte, eine Fahrbahnbreite von 3,50 Meter mit einem Randstreifen von 0,5 Meter aufweisen, damit ein reibungsloses Fahren und Begegnen gewährleistet ist.
37Vgl. Bundesanstalt für Straßenwesen, „RAL – Die neuen Straßentypen für Landstraßen“, abrufbar unter: https://www.bast.de/DE/Verkehrstechnik/Fachthemen/v1-strassentypen.html, zuletzt abgerufen am 27. Januar 2023.
38Dies führt indes nicht zu der Annahme, dass auf im Vergleich dazu schmaleren Fahrbahnen ohne weiteres eine besondere Gefahrenlage besteht, solange nicht weitere gefahrerhöhende Umstände hinzutreten, was hier bei einer Gesamtschau nicht der Fall ist.
39d. Das Fehlen eines von der Fahrbahn abgesetzten Gehweges und im Übrigen eines befestigten Seitenstreifens für Fußgänger etc. lässt ebenfalls nicht die Annahme einer qualifizierten Gefahrenlage zu. Das gilt zunächst für den Bereich der Bebauung im Bereich T1. , wo keine befestigten Gehwege im engeren Sinne vorhanden sind. Nach den Feststellungen des erkennenden Gerichts im Rahmen des durchgeführten Ortstermins existieren neben der Fahrbahn – im Bereich der Hausnummern 0 und 0 östlich der Fahrbahn, im Bereich der Hausnummern 0, 0 und 0 westlich der Fahrbahn – ausreichend dimensionierte befestigte und für Fußgänger nutzbare Flächen, die es ermöglichen, einen ausreichenden Abstand zur Fahrbahn und damit dem fließenden Verkehr zu wahren.
40Auf den übrigen Abschnitten im maßgeblichen Bereich existiert überhaupt keine befestigte Fläche, sondern ein begrünter Randstreifen bzw. ein Bankett, auf dem Fußgänger sich grundsätzlich fortbewegen können und müssen. Lediglich bei stärkerem Bewuchs oder bei bestimmten Wetterverhältnissen (Schnee, starker Regen) mag – wie der Kläger geltend macht – ein Ausweichen auf die Fahrbahn erforderlich sein, was jedoch nicht zu einer besonderen Gefahrenlage führt. Das Gehen auf der Fahrbahn, genauer am Fahrbahnrand, ist vom Verordnungsgeber bei Fehlen eines Seitenstreifens – dem die fehlende Begehbarkeit des Seitenstreifens gleichsteht – ausdrücklich zugelassen und damit nach der gesetzlichen Wertung auch ausnahmsweise zumutbar (§ 25 Abs. 1 S. 2 und 3 StVO). Dabei verkennt das Gericht nicht, dass das Gehen auf der Fahrbahn stets abstrakt gefährlich ist – gerade bei höheren Geschwindigkeiten von Fahrzeugen. Diese Gefährdung ist indes Teil des allgemeinen Risikos, das die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr, in diesem Fall auf einer Landstraße außerhalb geschlossener Ortschaften, mit sich bringt. Es lässt sich im Einzelfall – insbesondere angesichts des im ganz Wesentlichen geraden Streckenverlaufes, der das rechtzeitige Erkennen von auf der Fahrbahn befindlichen Fußgängern ermöglicht – nicht feststellen, dass dieses allgemeine Risiko erheblich gesteigert ist. Das gilt angesichts der Beleuchtungspflicht für Fahrzeuge (§ 17 Abs. 1 bis 3 StVO) auch unter Beachtung der fehlenden Straßenbeleuchtung, die außerhalb geschlossener Ortschaften der Regelfall sein dürfte.
41Soweit der Kläger rügt, dass Fahrzeuge häufig nicht ausreichend bremsten bzw. beim Vorbeifahren nicht den erforderlichen Seitenabstand einhielten, so beruht diese Gefahr erneut auf dem regelwidrigen Verhalten der entsprechenden Fahrzeugführer und nicht auf den örtlichen Verhältnissen. Aus rechtlicher Sicht sind sowohl der Fahrverkehr als auch die auf der Fahrbahn gehenden Fußgänger zu äußerster Sorgfalt und Rücksichtnahme verpflichtet.
42Vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 25 StVO Rn. 14 m. w. N.
43e. Eine Gefahrenlage ergibt sich nicht aufgrund des Unfallgeschehens im maßgeblichen Bereich. Ausweislich der Stellungnahmen des Polizeipräsidiums X. vom 5. Februar sowie 2. März 2020 wurde seit dem 1. Januar 2017 kein einziger geschwindigkeitsbedingter Verkehrsunfall festgestellt. Die Beklagtenseite hat mit Schriftsatz vom 11. August 2022 ergänzend mitgeteilt, dass der Polizei laut Stellungnahme vom 2. August 2022 weiterhin kein Verkehrsunfall mit der Ursache Geschwindigkeit bekannt sei. Sie hat zudem mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2022 ausgeführt, dass die aktuelle Verkehrs- und Unfallsituation gemeinsam mit der zuständigen Polizei nochmals intensiv betrachtet worden sei. Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten. Zwar hat er – noch im Nachgang zur mündlichen Verhandlung (Schriftsatz vom 23. Januar 2023) – auf mehrere Unfallgeschehen verwiesen, jedoch nicht dargetan, dass die im Zusammenhang mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit standen.
44f. Die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit durch einzelne Verkehrsteilnehmer begründet ebenfalls keine besondere Gefahrenlage. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die von der Polizei zwischen dem 4. und 20. Februar 2020 durchgeführte Geschwindigkeitsermittlung mithilfe eines aufgestellten sichtbaren Displays hinreichend repräsentativ ist, da es darauf nicht entscheidend ankommt. Ein Verstoß gegen geltende Geschwindigkeitsbeschränkungen beruht nicht auf den besonderen örtlichen Verhältnissen, sondern auf der mangelnden Einstellung der betreffenden Verkehrsteilnehmer zum geltenden Recht. Dem kann jedoch nicht durch die Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, sondern nur durch ordnungsbehördliche oder polizeiliche Kontrollen Einhalt geboten werden.
45Vgl. auch VG Aachen, Beschluss vom 14. April 2022 – 10 L 176/22 –, juris, Rn. 28 ff. m. w. N.
46Dass gerade bei der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h häufig geschwindigkeitsbedingt gefährliche Verkehrssituationen auftreten, ist weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich.
47g. Soweit der Kläger an verschiedenen Stellen auf die Gefährdung Dritter (insbesondere Kinder und älterer Personen) hingewiesen hat, vermag das seiner Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen, denn er kann sich zur Begründung seines Begehrens nur auf eigene subjektive Rechte und nicht (stellvertretend) auf die Dritter berufen.
48h. Als letztes folgt kein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Eine Selbstbindung liegt vor, wenn die Verwaltung bei der Behandlung vergleichbarer Fälle gleichbleibend nach einem System verfährt, von dem sie dann nicht im Einzelfall nach Belieben abweichen kann, ohne dadurch (objektiv) willkürlich zu handeln und damit gegen den Gleichheitssatz zu verstoßen. Besteht eine solche Verwaltungspraxis, ist die Behörde im Rahmen von anstehenden Ermessensentscheidungen nach Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet, bei gleich gelagerten Fällen in gleicher Weise wie bisher zu verfahren.
49Geis, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 3. EL August 2022, § 40 VwVfG Rn. 75 m. w. N.
50Eine entsprechende Verwaltungspraxis der Beklagtenseite, in gleich gelagerten Fällen die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h zu beschränken, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Insoweit hat sich nicht zuletzt in der mündlichen Verhandlung ergeben, dass die vom Kläger angeführten Verkehrsbereiche, die eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 oder 60 km/h aufweisen, nicht mit dem streitgegenständlichen Straßenabschnitt vergleichbar sind – mithin ein Präzedenzfall nicht vorliegt. Hinsichtlich der Ortslage X2. hat die Beklagte bereits schriftlich ausgeführt, dass nicht mehr vollständig nachvollzogen werde könne, warum die Geschwindigkeitsbegrenzung vorgenommen worden sei. Offenbar habe sich dort in den Neunzigerjahren ein schwerer Unfall ereignet, unter dessen Eindruck man gehandelt habe. Im Übrigen befinde sich dort eine dichtere Bebauung als im maßgeblichen Bereich. Bezüglich der Ortslage M1. /W. -Parkhaus hat sich ergeben, dass die dort ehemals wegen einer Baustelle erfolgte verkehrsrechtliche Anordnung (50 km/h) obsolet ist und das Verkehrszeichen entfernt werden soll. Mit Blick auf die L 000/Q.---straße hat die Beklagtenseite erklärt, dass dort mehrere Unfallhäufungsstellen vorlägen. Schließlich ist nicht erkennbar dass auf der L 00 in Fahrtrichtung Osten ab Überquerung der I1. Talsperre eine vergleichbare Sachlage gegeben ist.
512. Selbst wenn man jedoch das Vorliegen einer qualifizierten Gefahr im Sinne des § 45 Abs. 9 S. 3 StVO mit Blick auf die teilweise Nutzung der Fahrbahn durch Fußgänger annähme, bestünde dennoch kein Anspruch auf eine Geschwindigkeitsreduzierung, da im Einzelfall nicht ein derartiger Gefahrengrad ersichtlich ist, der eine andere Entscheidung als die Herabsetzung der Geschwindigkeit – unter Berücksichtigung der aus § 2 Abs. 2 S. 1 GG ableitbaren staatlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit – als unvertretbar erscheinen ließe. Dabei ist zu beachten, dass den Belangen von Fußgängern u. a. bereits durch die Reduzierung der absolut zulässigen Geschwindigkeit von – bis zu – 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO) auf 70 km/h Rechnung getragen wird. Zudem ist die Begehbarkeit des Randstreifens nicht ganzjährig, sondern nur teilweise eingeschränkt und nicht jeder Grad des Bewuchses oder jede Wetterlage schließt die Begehbarkeit gänzlich aus.
523. Nicht als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt hier § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 StVO. Danach können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken auch zum Schutz der Gewässer und Heilquellen beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Daraus lässt sich bei der erforderlichen Auslegung der Norm kein subjektives Recht des Klägers ableiten.
53Nach der Schutznormtheorie vermitteln nur solche Rechtsvorschriften subjektive Rechte, die nicht ausschließlich der Durchsetzung von Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz individueller Rechte dienen. Das gilt für Normen, die das geschützte Recht sowie einen bestimmten und abgrenzbaren Kreis der hierdurch Berechtigten erkennen lassen.
54BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2016 – 2 C 11/15 –, BVerwGE 156, 180–193, juris, Rn. 27.
55Zwar mag der Schutz der Gewässer und Heilquellen mittelbar auch den Schutz individueller Rechte (insbesondere der Gesundheit) bezwecken. Es fehlt jedoch an einem bestimmten und abgrenzbaren Kreis der Berechtigten, da der Schutz der Gewässer und Heilquellen unterschiedslos im allgemeinen Interesse liegt.
56II. Der Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Eine Neubescheidung kommt nicht in Betracht, denn die Beklagte hat den klägerischen Antrag mit Bescheid vom 10. Dezember 2020 ohne Ermessensfehler abgelehnt.
57Das gilt jedenfalls unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im gerichtlichen Verfahren. Das Nachschieben von Ermessenserwägungen kommt sowohl prozessual (§ 114 S. 2 VwGO) als auch materiell in Betracht. In materieller Hinsicht ist das Nachschieben von Ermessenserwägungen mit heilender (Rück-)Wirkung zulässig, wenn die nachgeschobene Erwägung Umstände berücksichtigt, die bereits bei Bescheiderlass vorlagen, wenn durch die nachgeschobenen Erwägungen der Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen verändert wird und wenn durch die Berücksichtigung im Prozess die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht beeinträchtigt wird.
58Schübel-Pfister, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 114 Rn. 89 m. w. N.
59Vorliegend hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 5. August 2022 hinreichend erkennen lassen, dass ihr prozessuales Vorbringen zugleich als Ergänzung der (Ermessens-)Begründung im Ablehnungsbescheid vom 10. Dezember 2020 zu verstehen ist („Mit Bezug und in Ergänzung der Begründung im Ablehnungsbescheid vom 10.12.2020 […]“). Bei lebensnaher Auslegung bezieht sich der entsprechende Passus nicht isoliert auf ebendiesen Schriftsatz, sondern allgemein auf das ergänzende Vorbringen bzw. die Vertiefung der Erwägungen. Die Beklagte hat im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nur Gründe vorgebracht, die schon bei Erlass des Ablehnungsbescheides vorlagen, und eine Beeinträchtigung der Rechtsverteidigung des Klägers ist nicht gegeben.
60Die Beklagte hat ihre Entscheidung zunächst auf Basis einer hinreichenden Tatsachengrundlage getroffen. Sie hat – insbesondere in der mündlichen Verhandlung – nachvollziehbar ausgeführt, dass ihr der maßgebliche Streckenabschnitt der L 000 hinreichend bekannt sei, vor allem nachdem sie mit Begehren des Klägers sowie weiterer Anwohner bereits seit einigen Jahren befasst ist. Insbesondere habe man sich behördenintern einen Eindruck von der Situation vor Ort verschafft. Außerdem hat die Beklagte vor dem Erlass des Ablehnungsbescheides unter Beteiligung der relevanten Stellen (Polizei und Straßenbaulastträger) den Sachverhalt ermittelt.
61Die Beklagte hat ausweislich der Ausführungen im Ablehnungsbescheid das ihr zukommende Ermessen erkannt und es ordnungsgemäß ausgeübt. Dabei hat sie sich an der ermessensleitenden bzw. normkonkretisierenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 in der Fassung vom 8. November 2021 (BAnz AT 15.11.2021 B1) zu Zeichen 274 (die der bei Erlass des Ablehnungsbescheides geltenden Fassung entspricht) orientiert, die sie außer in atypischen Fällen zugrunde zu legen hat. Darin ist zu Zeichen 274 auszugsweise Folgendes bestimmt:
62I. Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Sicherheitsgründen sollen auf bestehenden Straßen angeordnet werden, wenn Unfalluntersuchungen ergeben haben, dass häufig geschwindigkeitsbedingte Unfälle aufgetreten sind. Dies gilt jedoch nur dann, wenn festgestellt worden ist, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit von der Mehrheit der Kraftfahrer eingehalten wird. Im anderen Fall muss die geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit durchgesetzt werden. Geschwindigkeitsbeschränkungen können sich im Einzelfall schon dann empfehlen, wenn aufgrund unangemessener Geschwindigkeiten häufig gefährliche Verkehrssituationen festgestellt werden.
63II. Außerhalb geschlossener Ortschaften können Geschwindigkeitsbeschränkungen nach Maßgabe der Nummer I erforderlich sein,
641. wo Fahrzeugführer insbesondere in Kurven, auf Gefällstrecken und an Stellen mit besonders unebener Fahrbahn (vgl. aber Nummer I zu § 40; Randnummer 1), ihre Geschwindigkeit nicht den Straßenverhältnissen anpassen; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 Prozent der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde,
652. wo insbesondere auf Steigungs- und Gefällstrecken eine Verminderung der Geschwindigkeitsunterschiede geboten ist; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll dann auf diejenige Geschwindigkeit festgelegt werden, die vorher von 85 Prozent der Fahrzeugführer von sich aus ohne Geschwindigkeitsbeschränkungen, ohne überwachende Polizeibeamte und ohne Behinderung durch andere Fahrzeuge eingehalten wurde,
663. wo Fußgänger oder Radfahrer im Längs- oder Querverkehr in besonderer Weise gefährdet sind; die zulässige Höchstgeschwindigkeit soll auf diesen Abschnitten in der Regel 70 km/h nicht übersteigen.
67Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die vorgenannten Fallgruppen nicht einschlägig sind. Sie hat im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich es sich bei der L 000 um eine überörtliche Verbindungsstraße handelt und der maßgebliche Abschnitt als freie Strecke bewertet wird. Sie hat zudem die Unfalllage in den Blick genommen und einen (geschwindigkeitsbezogenen) Unfallschwerpunkt auf Grundlage der polizeilichen Mitteilung nachvollziehbar verneint. Weiter hat sie den Streckenzustand berücksichtigt, der keine extremen Kurven, Gefällestrecken oder eine besonders unebene Fahrbahn aufweist. Bei der Abwägung hat die Beklagte – wie mit Schriftsatz vom 24. Februar 2021 erläutert – dem ungehinderten Verkehrsfluss auf einer überörtlichen Verbindungsstraße ein hohes Gewicht beigemessen. Ferner hat die Beklagte die Dimension der Aufstellflächen für den öffentlichen Personennahverkehr und damit die Belange der Fahrgäste berücksichtigt.
68Im gerichtlichen Verfahren hat die Beklagte ergänzend auf die gute Einsehbarkeit des maßgeblichen Straßenabschnitts verwiesen und ist auf die Belange des Klägers – u. a. als Fußgänger – eingegangen (vgl. Seite 2 und 3 des Schriftsatzes vom 24. Februar 2021). Dabei ist sie ohne Fehler davon ausgegangen, dass es dem Kläger grundsätzlich zumutbar ist, den begrünten Seiten- bzw. Randstreifen zu begehen. Zudem hat sie berücksichtigt, dass die Geschwindigkeit im relevanten Bereich bereits auf 70 km/h reduziert ist, und hat auch die fehlende Beleuchtung in den Blick genommen, jedoch letzterer kein maßgebliches Gewicht beigemessen. Weiterhin hat die Beklagte sich, ohne dass es darauf hier entscheidend ankäme (vgl. oben unter I.1.f), mit der von der Polizei durchgeführten Geschwindigkeitsmessung auseinandergesetzt.
69Eines detaillierten Eingehens auf ausnahmslos alle klägerseits vorgebrachten Punkte bedurfte es hingegen nicht. Vielmehr genügt es, dass die Beklagte die wesentlichen Aspekte – insbesondere die örtlichen Verhältnisse – ins Auge gefasst hat und die Belange untereinander abgewogen hat. Es ist vor allem nicht zu beanstanden, dass die Beklagtenseite sich nicht ausdrücklich mit dem vom Kläger angeführten Nebenaspekt einer möglichen Reduktion der Lärmbelästigung bei Anordnung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h befasst hat. Nach dem gesamten Vorbringen ist nämlich erkennbar, dass der Kläger nicht anspruchsbegründend unzumutbaren Verkehrslärm gerade bei Einhaltung der derzeit zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h geltend macht. Vielmehr weist er darauf hin, dass die Überschreitung der jetzigen Höchstgeschwindigkeit („Rennstrecke“) Lärm verursache und eine Herabsetzung aus seiner Sicht auch eine Lärmreduzierung (im Sinne eines erwünschten Reflexes) mit sich bringe. Anders als der Kläger meint, musste die Beklagte nach dem Obenstehenden (unter I.1.g.) auf seinen Antrag hin auch nicht die Sicherheit sämtlicher Anwohner des betroffenen Bereiches in ihrer Entscheidung ihm gegenüber berücksichtigen.
70B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
71Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen, § 124a Abs. 1 S. 1 VwGO.
72Rechtsmittelbelehrung:
73Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
74Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
75Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
76Die Berufung ist nur zuzulassen,
771. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
782. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
793. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
804. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
815. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
82Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
83Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
84Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
85Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
86Beschluss:
87Der Streitwert wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.
88Gründe:
89Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.
90Rechtsmittelbelehrung:
91Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
92Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
93Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
94Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,– Euro nicht übersteigt.
95Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
96War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.