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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung G1 (postalisch: N.-----straße 000) in X. . Das Grundstück ist mit einem fünfgeschossigen, denkmalgeschützten Wohngebäude bebaut.
3Westlich des Grundstücks der Klägerin verläuft die P. Straße in Nord-Süd-Richtung. Etwa 60 Meter südlich des Grundstücks der Klägerin zweigt von der P. Straße die N.-----straße ab, die eine Spitzkehre beschreibt und zunächst nach Norden ansteigend parallel zur P. Straße verläuft. Zum Ausgleich des Höhenunterschiedes zwischen den beiden Straßen verläuft zwischen diesen eine in der Spitzkehre beginnende, nach Norden immer höher werdende Mauer. Unmittelbar südlich des Grundstücks der Klägerin wendet sich die N.-----straße nach Osten, wo sie entlang der Südgrenze des Grundstücks und der östlich daran anschließenden Grundstücke weiter hangaufwärts verläuft.
4Das Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin befindet sich mit seinem Erdgeschoss auf dem Höhenniveau der N.-----straße und damit rund acht bis neun Meter über der westlich verlaufenden P. Straße. Zur P. Straße hin befindet sich an der Grundstücksgrenze eine ebenso hohe Mauer, die leicht nach Nordwesten abknickend in der Verlängerung der zwischen der P. Straße und der N.-----straße verlaufenden Mauer errichtet wurde. Kurz vor der nordwestlichen Ecke des Grundstücks der Klägerin beschreibt die Mauer eine Rundung und folgt nicht weiter dem Verlauf der P. Straße, sondern läuft entlang der Nordgrenze des Grundstücks der Klägerin, bis sie an das nördlich angrenzende Gebäude P. Straße 00 anschließt.
5Oberhalb der Mauer befindet sich westlich des Wohngebäudes der Klägerin eine etwa 35 m² große Terrasse, auf deren West- und Nordseite als Absturzsicherung ursprünglich eine Steinbrüstung auf die Mauerkrone aufgesetzt war, die die Oberkante der Terrasse um 70 cm überragte. Zwischen der Terrassenplatte und der Brüstung befand sich ein ca. 50 cm breiter Pflanzstreifen.
6Wegen loser Teile im Mauerwerk der straßenseitigen Stützmauer und der darauf aufstehenden Terrassenbrüstung leitete die Beklagte im Jahr 2017 ein ordnungsbehördliches Verfahren ein. Nachdem im Jahr 2020 wiederholt Bestandteile der Mauer und der Brüstung auf den Gehweg der P. Straße gestürzt waren und zudem seitens der Beklagten Zweifel an der Standsicherheit der Stützmauer bestanden, ließ die Beklagte am 17. April 2020 ein auf dem Gehweg aufstehendes Gerüst mit Schutznetz entlang der Stützmauer errichten.
7Mit Ordnungsverfügung vom 5. Mai 2020 forderte die Beklagte die Klägerin auf, innerhalb einer Woche nach Zustellung der Verfügung ein Gerüst samt Schutznetz an der gesamten Hangstützmauer auf dem Grundstück N.-----straße 000 an der öffentlichen Verkehrsfläche P. Straße aufzustellen. Für den Fall, dass die Klägerin der Forderung bis zum Ablauf der Frist nicht oder nicht ausreichend nachkommen sollte, drohte die Beklagte ihr das Zwangsmittel der Ersatzvornahme an.
8Mit weiterer Ordnungsverfügung vom 5. Mai 2020 gab die Beklagte der Klägerin auf, innerhalb einer Woche nach Zustellung der Verfügung von einem Fachunternehmen die gesamte Bepflanzung samt Wurzelwerk auf der Terrasse vollständig beseitigen zu lassen (Satz 1), innerhalb einer Woche nach Zustellung der Verfügung die gesamte Balustrade von einem Fachunternehmen vollständig beseitigen zu lassen (Satz 2), innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung die Grundleitung des Regenfallrohrs durch ein Fachunternehmen so instandsetzen zu lassen, dass das anfallende Niederschlagswasser vollständig ohne Verlust in die städtische Regenwasserkanalisation eingeführt wird (Satz 3), sowie innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Verfügung die Bodenplatte der Terrasse von einem Fachunternehmen so instandsetzen zu lassen, dass das anfallende Oberflächenwasser vollständig ohne Verlust in die vorhandene Grundleitung für Regenwasser abgeführt wird (Satz 4). Für den Fall, dass die Klägerin bis zum Ablauf der Fristen den Forderungen nicht oder nicht ausreichend nachkommen sollte, drohte die Beklagte ihr jeweils das Zwangsmittel der Ersatzvornahme an.
9Sodann forderte die Beklagte die Klägerin mit Ordnungsverfügung vom 20. Mai 2020 auf, die Standsicherheit der direkt an der öffentlichen Verkehrsfläche P. Straße befindlichen Hangstützmauer auf dem Grundstück N.-----straße 000 wiederherzustellen. Hierfür benannte sie folgende Maßnahmen: Innerhalb einer Woche nach Zustellung der Ordnungsverfügung ist die Beauftragung eines Fachunternehmens zur Wiederherstellung der Standsicherheit und die Beauftragung eines qualifizierten Tragwerksplaners, der die Maßnahmen begleitet und anschließend die Wiederherstellung der Standsicherheit bescheinigt, nachzuweisen (Ziffer 1). Innerhalb von drei Wochen nach Zustellung der Verfügung ist der Baubeginn zur Wiederherstellung der Standsicherheit der Hangstützmauer anzuzeigen (Ziffer 2). Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Verfügung ist die Standsicherheit der Hangstützwand wiederherzustellen und diese durch ein Gutachten eines qualifizierten Tragwerksplaners nachzuweisen (Ziffer 3). Für den Fall, dass die Klägerin die Forderungen innerhalb der jeweiligen Fristen nicht oder nicht vollständig umsetzen sollte, drohte die Beklagte ihr für jede Forderung das Zwangsmittel der Ersatzvornahme an.
10Mit Schreiben vom 25. Mai 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, es sei festgestellt worden, dass die in der ersten Ordnungsverfügung geforderten Maßnahmen nicht umgesetzt worden seien. Stattdessen sei ein Gerüst, das auf der zu sanierenden Terrasse stehe, entlang der Hausseite aufgebaut worden. Die Klägerin wurde aufgefordert, spätestens bis zum 4. Juni 2020 eine detaillierte Auskunft zu geben, aus welchem Grund das Gerüst aufgebaut wurde. Darüber hinaus wurde die Einreichung eines Zeitplans gefordert, wann mit dem Abbau des Gerüsts gerechnet werden kann.
11Die Klägerin erhob am 3. Juni 2020 Klage gegen die drei Ordnungsverfügungen vom 5. Mai 2020 und vom 20. Mai 2020 (11 K 2953/20) und stellte am 8. Juni 2020 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (11 L 1047/20). Das Gericht stellte mit Beschluss vom 24. Juni 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die erste Ordnungsverfügung vom 5. Mai 2020 und die Ordnungsverfügung vom 20. Mai 2020 wieder her und lehnte den Antrag in Bezug auf die zweite Ordnungsverfügung vom 5. Mai 2020 ab. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Klägerin und der Beklagten wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 17. September 2020 zurück (2 B 990/20).
12Mit Bescheid vom 1. Juli 2020 setzte die Beklagte das mit der zweiten Ordnungsverfügung vom 5. Mai 2020 angedrohte Zwangsmittel der Ersatzvornahme in Bezug auf die Beseitigung der Balustrade gegenüber der Klägerin fest.
13Der von der Beklagten beauftragte Dr.-Ing. L. nahm in der Folge mittels Bohrungen und Rammsondierungen Untersuchungen an der straßenseitigen Stützmauer und der Terrasse vor. Dabei wurde festgestellt, dass das Gelände hinter der Mauer nicht bis zur Mauerkrone ansteht, sondern von Nordwesten nach Südosten ansteigend verläuft und sich im Übrigen unter der Terrasse ein Hohlraum von bis zu 5 Metern Tiefe im nördlichen Bereich befindet. Die Mauer ist im unteren Bereich mit einer Stärke von drei Metern ausgeführt, verjüngt sich aber dann nach oben hin bis auf eine Stärke von 70 Zentimetern. Das Gebäude N.-----straße 000 steht auf einer Gründungsmauer auf, die mindestens so tief wie der unter der Terrasse befindliche Hohlraum reicht. Die Lücke zwischen der ursprünglich gerade entlang der Straße ausgeführten Mauer und der Giebelwand des Gebäudes P. Straße 00 wurde – wohl im Zuge des Hausbaus auf dem Grundstück N.-----straße 000 – durch die Errichtung einer Ziegelsteinmauer geschlossen. Zwischen der Gründungsmauer des Gebäudes N.-----straße 000 und der straßenseitigen Mauer verläuft eine von außen nicht sichtbare Querwand, die baulich eher der straßenseitigen Mauer gleicht und das Gelände unterhalb der heutigen Terrasse in einen nördlichen und einen südlichen Teil zweiteilt. Die Terrassendecke bestand ursprünglich aus einer als sog. preußische Kappendecke bezeichneten Konstruktion. Die Kappendecke liegt bis heute ringsum auf der straßenseitigen Mauer, der nördlichen Ziegelsteinmauer, der auf der Gründungsmauer errichteten Kelleraußenwand des Gebäudes und der Querwand auf. Die heutige, im Verhältnis zur ursprünglichen Konstruktion erst später aufgebrachte Terrassenplatte besteht aus unbewehrtem Beton in etwa 10 cm Stärke. Darunter befindet sich eine ca. 40 cm dicke Bodenschicht, auf welche die 30 cm starke alte Kappendecke folgt.
14Mit Stellungnahmen vom 31. August 2020, vom 10. September 2020, vom 23. September 2020 und vom 9. Oktober 2020 äußerte Dr.-Ing. L. wegen der Durchwurzelung der Kappendecke, einzelner herausgebrochener Ziegelsteine und verrosteter Stahlträger Zweifel an der Standsicherheit der Kappendecke.
15Das auf der Terrasse aufstehende Gerüst an der Fassade des Gebäudes N.-----straße 000 wurde am 8. September 2020 abgebaut. Mit E-Mail vom gleichen Tage forderte der Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin die Beklagte auf, mitzuteilen, wann der Hohlraum unter der Terrasse verfüllt wird, und kündigte an, die Klägerin werde selbst ein Unternehmen damit beauftragen, wenn die Arbeiten im Auftrag der Beklagten nicht in den nächsten 14 Tagen ausgeführt würden.
16Die Beklagte gab der Klägerin mit Schreiben vom 23. September 2020 Gelegenheit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Erlass einer Ordnungsverfügung zur Beseitigung der Terrasse. Die Klägerin nahm hierzu mit anwaltlichem Schreiben vom 28. September 2020 Stellung. Dabei führte sie aus, es treffe nicht zu, dass die Terrasse nicht mehr standsicher sei. Das aufgestellte Gerüst habe belegt, dass der Versagensfall für die Terrasse erkennbar nicht eintrete. Eine Notwendigkeit zur Beseitigung der Terrasse bestehe nicht; der Bereich unter der Terrasse müsse nur verfüllt werden.
17Die Beklagte gab der Klägerin mit Schreiben vom 14. Oktober 2020 Gelegenheit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Erlass einer Ordnungsverfügung zur Herstellung der Standsicherheit der Terrasse sowie einer Nutzungsuntersagung. Sie führte weiter aus, vor dem Einbringen jeglicher Materialien in den Hohlraum sollte ein Machbarkeitsnachweis anhand eines Standsicherheitsnachweises erstellt werden.
18Die Klägerin nahm mit anwaltlichem Schreiben vom 27. Oktober 2020 Stellung zum Anhörungsschreiben vom 14. Oktober 2020 und führte aus, Dr.-Ing. L. habe nur gesagt, dass die Terrasse stark verrostet sei, nicht aber, dass sie standunsicher sei. Wenn man viel Rost sehe, müsse das noch lange kein kritischer Zustand sein. Wenn also selbst der Fachmann nicht sage, dass die Terrasse standunsicher sei, müsse von ihr auch kein entsprechender statischer Nachweis darüber erbracht werden. Es bestehe die Absicht, das Gerüst zum Abschluss der Fassadensanierung wieder aufzubauen.
19Die Beklagte untersagte der Klägerin mit der hier streitgegenständlichen Ordnungsverfügung vom 20. November 2020 mit sofortiger Wirkung die Nutzung der westlich vom Gebäude gelegenen Terrasse oberhalb der Stützwand der P. Straße auf dem Grundstück N.-----straße 000. Ausgenommen von dem Nutzungsverbot waren lediglich Arbeiten, die sich auf die Beseitigung der entstandenen Gefahrenstelle richteten. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot drohte die Beklagte der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,-- Euro an. Die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung wurde angeordnet. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus: Es beständen erhebliche Zweifel an der Standsicherheit der Terrasse. Unabhängig davon befinde sich auf der Terrasse keine ordnungsgemäße Absturzsicherung.
20Mit Bescheid vom 20. November 2020 erhob die Beklagte von der Klägerin eine Gebühr in Höhe von 264,-- Euro.
21Die Bescheide gingen dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin am 24. November 2020 gegen Postzustellungsurkunde zu.
22Die Klägerin hat am 23. Dezember 2020 die vorliegende Klage gegen die Ordnungsverfügung und den Gebührenbescheid vom 20. November 2020 erhoben und am 15. Januar 2021 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (11 L 81/21). Das Gericht hat den vorläufigen Rechtsschutzantrag mit Beschluss vom 6. Mai 2021 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 15. November 2021 (2 B 940/21) zurückgewiesen.
23Die Klägerin ließ im Jahr 2023 die gesamte Bodenplatte aus Beton und die Bodenschicht über der Kappendecke beseitigen.
24Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin geltend:
25Die Untersagung der Nutzung der Terrasse sei ein weiterer Versuch der Beklagten, sie rechtswidrig dazu zu nötigen, die straßenseitige Stützmauer, für die sie gar nicht verantwortlich sei, zu sanieren. Die Terrasse sei standsicher. Die Kappendeckenkonstruktion habe die zusätzlichen Lasten durch die Bodenschicht und die neue Terrassenplatte schon viele Jahrzehnte unbeschadet getragen. Es seien keine verifizierten Aussagen über den Umfang der Korrosion an den Stahlträgern gemacht worden. Dass Stahlträger Korrosionsspuren aufwiesen, sei nichts Ungewöhnliches und führe nicht zwingend zu einem Verlust der Standsicherheit. Die herausgebrochenen Ziegel müssten nicht zwingend in Zusammenhang mit der stellenweisen Durchwurzelung stehen; diese könnten auch schon beim Bau der Kappendecke oder bei einem späteren Erdbeben heruntergefallen sein. Bezeichnenderweise sei es selbst durch das Fassadengerüst, das auf der Terrasse aufgestellt gewesen sei, zu keinerlei Ermüdungserscheinungen des Terrassenaufbaus gekommen. Gefährdet sei die Terrasse allenfalls durch eine etwaige Standunsicherheit der straßenseitigen Stützmauer, auf der sie aufliege; diese zu beseitigen sei Aufgabe der Beklagten.
26Mit den Schreiben an die Beklagte vom 1. Februar 2022 und vom 17. Februar 2022 sowie der Stellungnahme des Ingenieurbüros T. vom 31. Januar 2022 sei der statische Nachweis, dass die Terrasse wieder genutzt werden könne, erbracht worden. Die Standsicherheit der Terrassenkonstruktion werde nochmals durch die Stellungnahme des qualifizierten Tragwerksplaners F. vom 31. August 2022 bestätigt.
27Sie – die Klägerin – beabsichtige nunmehr, über der Kappendecke eine neue Stahlbetonplatte aufzubringen, die sich nach dem Aushärten des Betons selbst trage. Selbst während des Aushärtungsvorgangs seien die Lasten für die Kappendecke geringer als bisher. Jedenfalls damit seien die Voraussetzungen für die Nutzungsuntersagung der Terrasse entfallen.
28Die von der Beklagten ferner angeführte fehlende Umwehrung der Terrasse sei auf die Entfernung der Balustrade durch die Beklagte selbst zurückzuführen. Die Entfernung habe nur den Zweck gehabt, an der straßenseitigen Stützmauer eine Schadstelle im Verblendmauerwerk bearbeiten zu können. Die Umwehrung gehöre zur Mauer, nicht zur Terrasse, und sei von der Beklagten zu erstellen. Im Übrigen sei die Terrasse seit dem 24. März 2021 durch einen Bauzaun eingefasst.
29Die Klägerin beantragt sinngemäß,
30die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 20. November 2020 sowie den Gebührenbescheid vom 20. November 2020 aufzuheben.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie nimmt Bezug auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und führt ergänzend aus:
34Von der Nutzung der Terrasse gehe eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben sowohl für die sich auf der Terrasse befindlichen Personen als auch für unterhalb der Terrasse befindliche Personen auf der öffentlichen Straße aus. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass, falls die Terrasse versage, die gerade sanierte Stützmauer beschädigt und Teile auf die P. Straße herabfallen würden. Aus welchem Grund Ziegelsteine aus der Kappendecke herausgebrochen seien, sei irrelevant. Fakt sei, dass sie herausgebrochen seien und dadurch die Gewölbestruktur signifikant in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Ferner könnten die Stahlträger aufgrund des festgestellten Zustands ihre Stützfunktion gar nicht mehr wahrnehmen.
35Die Klägerin sei als Eigentümerin und Nutzerin der Terrasse Störerin. Die Terrasse bilde keine Einheit mit der davor liegenden Mauer, bezüglich derer die Verantwortlichkeiten streitig seien. Die Entfernung der Balustrade durch die Beklagte stelle eine Ersatzvornahme dar.
36Die Stellungnahme vom 31. Januar 2022 stelle keinen Standsicherheitsnachweis dar, sondern setze sich allein mit der Frage auseinander, ob der Zustand der Terrasse die geplanten Arbeiten zulasse. Die Stellungnahme gehe zum Teil von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Es werde auch nicht mitgeteilt, auf welcher Grundlage sie abgegeben worden sei.
37Die Stellungnahme vom 31. August 2022 enthalte keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine Untersuchung und Beurteilung stattgefunden habe, die den Anforderungen an die Erstellung eines Standsicherheitsnachweises entsprächen. Sie enthalte lediglich Behauptungen.
38Die Herstellung einer neuen Stahlbetonplatte oberhalb der Kappendecke anstelle der bisherigen Boden- und Betonschichten sei grundsätzlich ein gangbarer Weg. Allerdings sei dafür ein Bauantrag mit den entsprechenden Bauvorlagen einschließlich statischer Berechnungen erforderlich. Bis dahin bleibe die Ordnungsverfügung aufrecht erhalten.
39Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis durch Vernehmung der geladenen Zeugen Dr.-Ing. L. und Dipl.-Ing. L1. sowie des präsenten Zeugen T. erhoben. Wegen der Zeugenaussagen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakten 11 K 2953/20, 11 L 1047/20 und 11 L 81/21 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
40Entscheidungsgründe:
41Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
42Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 20. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
43Rechtsgrundlage der Nutzungsuntersagung ist § 82 Abs. 1 Satz 2 der zum 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen – Landesbauordnung 2018 (BauO NRW 2018). Da eine Nutzungsuntersagung nicht nur das Gebot beinhaltet, die Nutzung (einmalig) einzustellen, sondern auch das Verbot, auf Dauer dieselbe oder eine vergleichbare Nutzung dort wieder aufzunehmen und zugleich eine mit der Androhung eines Zwangsgeldes verbundene Ermessensentscheidung der Behörde darstellt, handelt es sich bei ihr um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Hieraus folgt, dass sich ihre Rechtmäßigkeit nach der jeweils aktuellen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beurteilt, um die Rechtmäßigkeit der Verfügung bis zu diesem Zeitpunkt kontrollieren zu können,
44vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1989 – 4 B 132/88 –; OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 11 A 2734/93 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Oktober 2018 – OVG 10 S 75.17 –; Bayrischer VGH, Beschluss vom 23. Juli 2018 – 15 ZB 17.1092 –; Sächsisches OVG, Urteil vom 22. Dezember 2017 – 1 A 111/15 –; VG Düsseldorf, Urteil vom 2. März 2016 – 28 K 2758/15 –, alle juris.
45Nach § 82 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2018 kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung einer Anlage, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgt, untersagen.
46Die Nutzung der Terrasse auf dem Grundstück der Klägerin steht im Widerspruch zu Vorschriften der BauO NRW 2018.
47Nach § 12 Abs. 1 BauO NRW 2018 muss jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen sowie für sich allein standsicher sein. Die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke dürfen nicht gefährdet werden.
48Das Schutzgut dieser Vorschrift ist nicht erst dann gefährdet, wenn eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit besteht oder wenn ein Einsturz des Gebäudes akut droht; ausreichend ist vielmehr, dass aufgrund objektiver Anhaltspunkte Zweifel an der Standsicherheit einer baulichen Anlage bestehen.
49Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Juli 2017 – 7 B 668/17 –, juris, Rn. 6, und vom 23. Januar 2014 – 2 A 2746/13 –, juris, Rn. 9.
50Solche objektiven Anhaltspunkte sind vorliegend gegeben. Sie folgen aus den Ergebnissen der Erkundungsarbeiten, die Dr.-Ing. L. im Auftrag der Beklagten durchführen ließ. Dabei ergab sich folgendes Bild: Sowohl die seinerzeit noch vorhandene Erdschicht zwischen der Betonplatte und der Kappendecke als auch die Kappendecke selbst waren von Wurzelwerk durchzogen. Im Hinblick auf die Erdschicht wirkte sich dieses Wurzelwerk stabilisierend aus. Das Mauerwerksgewölbe der Kappendecke hingegen wurde durch zahlreiche noch lebende und daher weiterhin austreibende Wurzeln entfestigt, sodass Mauerwerksfugen offen lagen. Bereichsweise sind mehrere Ziegelsteine ausgebrochen. Die Stahlträger waren zum Teil erheblich korrodiert.
51Ob die Einschätzung der Beklagten, die Terrasse sei nicht mehr standsicher (vgl. Blatt 59 des Verwaltungsvorgangs, Beiakte Heft 1 zum Verfahren 11 K 7770/20), zutrifft, ist nach den dargelegten Maßstäben nicht maßgeblich. Denn jedenfalls liegen die für eine Gefährdung des Schutzguts des § 12 Abs. 1 BauO NRW 2018 allein notwendigen konkreten Zweifel an der Standsicherheit der Terrassenkonstruktion vor. Diese gründen entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf Vermutungen ins Blaue hinein. Denn die wegen der Durchwurzelung der Kappendecke eingetretene Entfestigung des Mörtels, die herausgefallenen Ziegelsteine sowie die Korrosion der Stahlträger stellen objektive Anhaltspunkte dar, die geeignet sind, Zweifel an der Standsicherheit zu begründen. Außer Acht zu bleiben haben die laut der Beklagten auf einzelnen Aufnahmen erkennbaren Metallteile am Boden des Hohlraums, für die nach Dafürhalten des Gerichts nicht erkennbar ist, ob diese einst zu den Stahlträgern in der Kappendecke gehörten und von dort heruntergefallen sind oder ob sie – möglicherweise sogar seit den Bauarbeiten zur Errichtung der Terrasse – aus anderen Gründen auf dem Boden des Hohlraums liegen bzw. liegen gelassen wurden.
52Die stabilisierende Wirkung der Wurzeln im Hinblick auf die zwischen den Terrassenböden ursprünglich befindliche Erdschicht steht der Einschätzung, dass Zweifel an der Standsicherheit bestehen, nicht entgegen. Diese stabilisierende Wirkung mochte sich seinerzeit auf die Lebensdauer der Gesamtkonstruktion grundsätzlich positiv auswirken. Die als Anhaltspunkte für eine Standunsicherheit benannten Umstände werden dadurch jedoch nicht hinfällig. Die so stabilisierte Erdschicht dürfte vielmehr dazu beigetragen haben, dass die Terrassenkonstruktion überhaupt so lange „durchgehalten“ hat (vgl. E-Mail des Dr.-Ing. L. vom 10. September 2020, Blatt 33 ff. des Verwaltungsvorgangs, Beiakte Heft 1). Rückschlüsse dahingehend, dass sie künftigen Belastungen weiter standhalten wird, lassen sich daraus nicht ziehen. Das gilt umso mehr, als die stabilisierende Wirkung der Erdschicht inzwischen weggefallen ist, da diese Schicht – ebenso wie die über ihr befindliche Terrassenplatte – im Auftrag der Klägerin abgetragen wurde. Damit wurde die Kappendecke zwar einerseits entlastet, andererseits aber auch das stabilisierend wirkende „bewehrte Erde-Polster“ (vgl. E-Mail des Dr.-Ing. L. an die Beklagte vom 2. September 2020, Blatt 30 des Verwaltungsvorgangs, Beiakte Heft 1) zerstört.
53Ohne Auswirkungen auf die Einschätzung zur Standsicherheit bleibt der Umstand, dass die Auflageflächen der Kappendecke an den umlaufenden Außenmauern nicht ihrerseits instabil wirken. Zwar trifft es zu, dass die äußere Standsicherheit der Terrassenkonstruktion (auch) vom Zustand der Bauwerke, auf denen sie errichtet wurde, abhängt. Die von der Beklagten angeführten Umstände betreffen aber Zweifel an der inneren Standsicherheit der Terrassenkonstruktion, die von diesen Bauwerken unabhängig ist.
54Die Annahme einer konkreten Gefährdung des Schutzguts des § 12 Abs. 1 BauO NRW 2018 resultiert ferner maßgeblich aus der Qualität des möglicherweise eintretenden Schadens. Bei der Gefährdung von Leben oder Gesundheit sind an die Feststellungen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen.
55Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. August 2013 – 10 A 1150/12 –, juris, Rn. 29.
56Hier stehen Leben und Gesundheit der Personen, die sich auf der Terrasse aufhalten, in Rede. In Anbetracht der gravierenden Auswirkungen, die ein Versagen der Terrassenkonstruktion bereits im Hinblick auf diese Personen hätte, genügen die festgestellten, für eine Standunsicherheit sprechenden Faktoren ohne weiteres für die Begründung von Zweifeln. Dass darüber hinaus infolge von Kettenreaktionen auch Leben und Gesundheit von Personen, die sich im Gebäude N.-----straße 000 sowie unterhalb der Stützmauer an der P. Straße aufhalten, gefährdet sein könnten, ist im vorliegenden Verfahren nicht maßgeblich, da die Nutzungsuntersagung nicht auf die Behebung der befürchteten Standunsicherheit abzielt, sondern allein dem Schutz der die Terrasse betretenden Personen dienen kann.
57Die auf den vorstehend dargelegten Anhaltspunkten beruhenden Zweifel an der Standsicherheit der Kappendecke ließen sich im gerichtlichen Verfahren weder durch die schriftsätzlichen Einlassungen der Klägerin noch durch die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Beweisaufnahme ausräumen.
58Der Einwand der Klägerin, eine optische Beurteilung der Stahlträger anhand von Fotos sei nicht ausreichend, um die Standsicherheit der Gesamtkonstruktion bewerten zu können, steht der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung nicht entgegen. Denn als objektiver Anhaltspunkt für Zweifel an der Standsicherheit genügt die optische Beurteilung anhand von Fotos durchaus. Eine nähere Untersuchung der Statik, die ein endgültiges Urteil über die Standsicherheit der Terrasse zulässt, hat noch zu erfolgen und wurde der Klägerin von der Beklagten mit Ordnungsverfügung vom 27. Januar 2021 (in rechtmäßiger Weise) aufgegeben; auf das diesbezügliche Urteil vom 23. Mai 2023 (11 K 1316/21) wird insoweit Bezug genommen.
59Soweit die Klägerin darauf verweist, dass monatelang ein tonnenschweres Fassadengerüst auf der Terrasse gestanden habe, ohne dass es zu Ermüdungserscheinungen gekommen sei, so steht auch dies der Annahme von objektiv begründeten Zweifeln an der Standsicherheit nicht entgegen. Zum einen befand sich das Gerüst unmittelbar vor der Wand des Gebäudes N.-----straße 000 und damit in einem Bereich, in dem die Terrasse nicht freitragend angelegt ist, sondern auf Mauervorsprüngen aufliegt. Zum anderen lässt sich aus dem Umstand, dass die Terrasse in der Vergangenheit bei entsprechender Mehrbelastung nicht abgesackt oder gar zusammengebrochen ist, nicht schließen, dass sie gegenwärtig weiterhin standsicher ist. Eine konkrete Gefahr infolge fehlender Standsicherheit liegt nicht erst dann vor, wenn sie sich im Einsturz einer Anlage manifestiert. Die Erwägungen der Klägerin würden in der Sache darauf hinauslaufen, dass die Behörde erst dann im Wege der Gefahrenabwehr vorgehen kann, wenn der Einsturz bereits begonnen hat.
60Die von der Klägerin überreichten schriftlichen Stellungnahmen des Sachverständigen T. vom 20. Mai 2021, vom 21. Juli 2021, vom 16. September 2021, vom 30. September 2021 und vom 15. Oktober 2021 setzen sich mit den Feststellungen des Dr.-Ing. L. nur unzureichend auseinander. So gehen diese Stellungnahmen etwa auf die bildlich dokumentierten und von Herrn Dr.-Ing. L. hervorgehobenen Beschädigungen der Kappendecke durch das Wurzelwerk nicht näher ein. Soweit in der Stellungnahme vom 30. September 2021 bezweifelt wird, dass die von Dr.-Ing. L. dokumentierte Korrosion der Stahlträger einen Anhaltspunkt für eine Standunsicherheit der Terrasse darstellen kann, beschränkt sich dieser Einwand auf ein einzelnes von Herrn Dr.-Ing. L. gefertigtes Foto und lässt das umfangreiche weitere Bildmaterial außer Acht. Im Übrigen hebt Herr T. mehrfach hervor, dass keine Risse, Senkungen oder Verformungen an der Decke festzustellen seien, die einem Einsturz vorausgehen würden. Damit ist zu einer Gefährdung des Schutzguts von § 12 Abs. 1 BauO NRW 2018 nichts gesagt, da eine solche – wie bereits ausgeführt – gerade nicht erst vorliegt, wenn ein Einsturz des Bauwerks akut droht oder sogar schon begonnen hat. Auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zu den Einlassungen des Herrn T. im Beschluss vom 15. November 2021 (2 B 940/21) wird ergänzend Bezug genommen.
61Eine Substantiierung der Behauptung der Klägerin, die Kappendeckenkonstruktion sei standsicher, konnte auch durch die Vernehmung des Zeugen T. im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht erreicht werden. Der Zeuge hat zwar – für sich genommen überzeugend – dargelegt, dass einzelne der Beschädigungen, die auf den im Auftrag der Beklagten gefertigten Fotos erkennbar sind (etwa ein an der Unterseite verrosteter Stahlträger und aufgrund des Wurzeldrucks herausgefallene Steine), wegen der spezifischen Bauweise einer preußischen Kappendecke noch keine Standunsicherheit der gesamten Decke bedeuten müssen, da das Versagen einzelner Träger und das Fehlen des Mauerwerks in einem einzelnen Kappenfeld durch das System der übrigen Träger und der nicht sichtbaren, aber üblicherweise in solchen Kappendecken verbauten Zugstangen aufgefangen werden kann. Dies setzt allerdings voraus, dass das System der übrigen Träger und der Zugstangen intakt ist. Umgekehrt liegt nahe, dass ein seinerseits schadhaftes statisches Ausgleichssystem seine Funktion nicht mehr vollumfänglich erfüllen kann. Zum Zustand der übrigen Träger und dazu, ob in der streitgegenständlichen Kappendecke überhaupt Zugstangen eingebaut wurden und ggf. in welchem Zustand sie sich befinden, konnte der Zeuge T. keine Aussage treffen. Darüber hinaus hängen die Folgen, die von den einzelnen Schäden ausgehen können, nach seiner Aussage wesentlich davon ab, an welcher Stelle des Gesamtsystems – nahe am Auflager oder in der Feldmitte – sich diese Schäden befinden, wozu er im konkreten Fall ebenfalls keine Angaben machen konnte.
62Lässt sich die Unschädlichkeit der festgestellten objektiven Anhaltspunkte, insbesondere jener betreffend den Zustand der Träger, aus den vorliegenden Unterlagen nicht ermitteln, so verbleiben weiterhin Zweifel an der Standsicherheit. Diese Zweifel lassen sich auch nicht durch einen Verweis auf die inzwischen freigelegte 3 bis 4 cm dicke Betonschicht, mit der die Kappendecke überzogen ist, ausräumen. Der Zustand dieser Betonschicht mag – worauf der Zeuge Dipl.-Ing. L1. hinwies – nahelegen, dass sich die Träger bisher nicht verformt haben. Damit ist jedoch abermals nur dargetan, dass die vom Zeugen T. beschriebenen typischen Ausfallerscheinungen einer standunsicheren Kappendecke bislang ausgeblieben sind. Dies gibt indessen noch keine Gewähr dafür, dass dieser Zustand auch auf Dauer anhalten wird. Eine solche Gewähr wird erst eine statische Untersuchung der Kappendecke erbringen können, die sich angesichts der in Rede stehen Schutzgüter nicht darauf beschränken darf, dass auf der Grundlage fehlender Verformungen eine bloße Gefahrabschätzung vorgenommen wird, wie sie der Zeuge T. in der mündlichen Verhandlung erläutert hat.
63Dass objektive Anhaltspunkte für Zweifel an der Standsicherheit der Terrassendecke bestehen, findet eine zusätzliche Stütze in der Einschätzung des Dipl.-Ing. Kluge, der sich der fachlichen Bewertung des Dr.-Ing. L. in seiner Stellungnahme vom 24. Juni 2021 ausdrücklich angeschlossen hat und eine weitere Untersuchung des Sachverhalts für geboten hält.
64Hinzu kommt, dass der qualifizierte Tragwerksplaner F. (Büro T. ) in seinem Schreiben an die Klägerin vom 31. Januar 2022 nunmehr selbst davon spricht, dass der Untergurt bei einzelnen Stahlträgern stark korrodiert ist bzw. er zum Teil auch schon fehlt. Die sodann folgende „statische Bewertung der Bauzustände“ beinhaltet allein eine Lastgegenüberstellung der seinerzeit auf der Kappendecke lastenden Schichten und einer anstelle dieser Schichten geplanten Stahlbetonplatte bis zum Aushärten des Betons. Dieser Gegenüberstellung lässt sich – ungeachtet der von der Beklagten gerügten Fehlerhaftigkeit der darin zugrunde gelegten Maße – nur entnehmen, dass die geplante neue Betonplatte eine geringere Belastung für die Kappendecke darstellen würde als die zuvor vorhandenen Schichten. Rückschlüsse auf die Standsicherheit der derzeitigen Konstruktion lassen sich aus dieser Berechnung indessen nicht ziehen.
65Das weitere Schreiben des qualifizierten Tragwerksplaners F. vom 31. August 2022 beschränkt sich in der Sache auf die – nicht näher belegte – These, es bestände nicht die geringste Gefahr, dass die Terrassendecke nicht ausreichend tragfähig sei. Die weiteren Ausführungen betreffen abermals die geplanten Betonierarbeiten, die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit derselben und die nach Ansicht des Verfassers fehlende Qualifikation der Mitarbeiter der Beklagten. Angesichts der gegenteiligen Einschätzung des Statikers Kluge und der vorstehend dargelegten Anhaltspunkte für Zweifel an der Standsicherheit hätte die (für das vorliegende Verfahren allein relevante) Behauptung, die derzeit bestehende Terrassendecke sei standsicher, jedoch in jedem Fall einer eingehenden Begründung bedurft.
66Unabhängig davon steht die Nutzung der Terrasse in Widerspruch zu § 38 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW 2018. Danach sind Flächen, die im Allgemeinen zum Begehen bestimmt sind und unmittelbar an mehr als 1 m tiefer liegende Flächen angrenzen, zu umwehren. Die Höhe der Umwehrung von Flächen mit einer Absturzhöhe von 1 m bis zu 12 Metern hat nach § 38 Abs. 4 Nr. 1 BauO NRW 2018 0,90 m zu betragen.
67Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf die Terrasse auf dem Grundstück der Klägerin, die als zum Betreten bestimmte Fläche eine Absturzhöhe von 8 bis 9 Metern zur P. Straße aufweist, nicht erfüllt. Eine Umwehrung, die in der konkreten Verwendungssituation und Lage ausreichend fest und stabil ist,
68vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen: Handlungsempfehlung des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, Januar 2019, Seite 32 (abrufbar unter: https://www.aknw.de/aktuelles/news/details/news/bauo-nrw-2018-handlungsempfehlungen-des-bauministeriums); Otto/Schulz, in: Spannowsky/Saurenhaus, BeckOK Bauordnungsrecht Nordrhein-Westfalen, 14. Edition 2022, § 38 BauO NRW 2018, Rn. 28.
69ist nach der Entfernung der Balustrade, die vormals auf der Stützmauer zur P. Straße hin aufgebracht war, nicht mehr vorhanden. Der derzeit vorhandene Bauzaun, der nach den Planungen der Klägerin ohnehin nur ein Provisorium darstellt, ist jedenfalls im Fall einer Terrasse von 8 bis 9 Metern Höhe über einer öffentlichen Straße keine ausreichend feste und stabile Absturzsicherung.
70Entgegen der Ansicht der Klägerin steht der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung im Hinblick auf die fehlende Umwehrung nicht entgegen, dass die Balustrade durch die Beklagte entfernt worden war. Bei dieser Beseitigung der Balustrade handelte es sich um die mit der Ordnungsverfügung vom 5. Mai 2020 angedrohte und mit Bescheid vom 1. Juli 2020 festgesetzte Ersatzvornahme. Beide der vorgenannten Bescheide sind bzw. waren rechtmäßig; insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil vom 23. Mai 2023 (11 K 2953/20) Bezug genommen.
71Die Klägerin ist als Eigentümerin der Terrasse auch Zustandsstörerin i.S.d. § 18 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden – Ordnungsbehördengesetz – (OBG NRW). Insbesondere unterfällt die Terrasse nicht der Straßenbaulast der Beklagten, auch wenn sie (unter anderem) auf der straßenseitigen Stützmauer, bezüglich derer die Verantwortlichkeit zwischen den Beteiligten streitig ist, aufliegt. Denn sie wurde nicht im Zuge der Änderung der P. Straße im Jahr 1880 errichtet und dient auch nicht dem Schutz der Straße.
72Die Ordnungsverfügung vom 20. November 2020 erweist sich auch insoweit als rechtmäßig, als die gesetzlichen Grenzen des der Beklagten eingeräumten Ermessens nicht überschritten sind und von dem Ermessen auch in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde, § 114 Satz 1 VwGO. Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Ordnungsverfügung.
73Die Untersagung der Nutzung der Terrasse ist zur Verhütung von Gefahren für Leib und Leben Dritter geeignet, erforderlich und angemessen. Insbesondere stellt sie ein milderes Mittel zur – bei einer Einsturzgefährdung grundsätzlich in Betracht kommenden – Beseitigungsverfügung dar.
74Vgl. in Bezug auf das fehlende besondere Vollzugsinteresse für eine Beseitigung bei unterbliebener Nutzungsuntersagung: OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2013 – 2 B 30/13 –, juris, Rn. 16 ff.
75Die Beklagte hat berücksichtigt, dass eine Beendigung des Verstoßes gegen §§ 12 Abs. 1, 38 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW 2018 ohne Betreten der Terrasse nicht möglich ist, und eine entsprechende Ausnahme von der Nutzungsuntersagung vorgesehen („Arbeiten, die sich auf die Beseitigung der entstandenen Gefahrenstelle richten“).
76Auch die Planung der Klägerin, über der Kappendecke eine neue, freitragende Betonschicht aufzubringen, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Nutzungsuntersagung. Zwar mag nach dem Aufbringen einer solchen Betonschicht ein künftiges Versagen der Kappendecke (auch wenn es nicht kollapsartig, sondern wie vom Zeugen T. erläutert durch ein Absenken erfolgt) dann nicht mehr zu einer Gefährdung der auf der Terrasse befindlichen Personen führen. Jedenfalls solange die Voraussetzungen für die Durchführung der beabsichtigten Arbeiten – nach Ansicht der Stadt X. ist ein Bauantrag mit Standsicherheitsnachweis und Prüfung durch einen staatlich anerkannten Sachverständigen für Standsicherheit erforderlich – nicht geschaffen wurden, muss die Nutzungsuntersagung aber weiterhin Bestand haben. Die Beklagte hat sich in diesem Zusammenhang zudem ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass die Terrasse für die Voruntersuchungen zum Erstellen der Antragsunterlagen betreten werden kann.
77Auch die Androhung eines Zwangsgeldes ist rechtmäßig. Sie genügt den Anforderungen der §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Insbesondere ist sie verhältnismäßig. Gegen die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes von 3.000,-- Euro bestehen keine Bedenken. Bei der Überprüfung der Höhe eines Zwangsgeldes ist der Beugefunktion des Zwangsgeldes Rechnung zu tragen. Das Zwangsgeld ist ein Mittel, um den Willen des widerstrebenden Pflichtigen zu brechen und ihn zur Erfüllung der Verpflichtung anzuhalten.
78Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Juli 2017 – 14 B 397/17 –, juris, Rn. 9 ff.
79Vorliegend ist zum einen zu berücksichtigen, dass mit der Ordnungsverfügung Gefahren für Leib und Leben Dritter begegnet werden soll. Bereits aus diesem Grund erscheint es gerechtfertigt, die Klägerin mit einer Zwangsgeldandrohung in empfindlicher Höhe zum Einhalten der Nutzungsuntersagung zu bewegen. Zum anderen hatte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 27. Oktober 2020 der Beklagten mitgeteilt, das zwischenzeitlich abgebaute Fassadengerüst wieder aufstellen lassen zu wollen. Die Beklagte musste vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass die Klägerin nur durch ein Zwangsgeld in für sie empfindlicher Höhe davon abzubringen sein würde.
80Der Gebührenbescheid vom 20. November 2020 ist ebenfalls rechtmäßig. Rechtsgrundlage für die Erhebung der Gebühren ist § 2 Abs. 1 des Gebührengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (GebG NRW) i.V.m. § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung (AVerwGebO NRW). Die Nutzungsuntersagung ist eine gebührenpflichtige Amtshandlung i.S.d. Allgemeinen Gebührentarifs (vgl. Tarifstelle 2.8.2.2 des AGT). Gegen die vorgenommene Berechnung der Gebühr bestehen keine Bedenken. Die Gebühr hält sich im unteren Bereich des von der Tarifstelle in der einschlägigen Fassung vorgegebenen Rahmens. Schließlich erweist sich die zugrundeliegende Amtshandlung ihrerseits als rechtmäßig, was – wie auch in § 14 Abs. 2 Satz 1 GebG NRW zum Ausdruck kommt – nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen für eine Gebührenerhebung vorauszusetzen ist.
81Vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. September 2011 – 10 S 2850/10 –, juris, Rn 17; VG Koblenz, Urteil vom 23. Juli 2012 – 4 K 215/12.KO –, juris, Rn 30; VG Stuttgart, Urteil vom 6. Dezember 2011 – 5 K 4898/10 –, juris, Rn 49 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 11. Juli 2008 – 5 L 559/08 –, juris, Rn 10.
82Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
83Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
84Rechtsmittelbelehrung:
85Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
86Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
87Die Berufung ist nur zuzulassen,
881. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
892. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
903. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
914. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
925. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
93Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
94Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
95Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
96Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
97Beschluss:
98Der Streitwert wird auf 5.264,-- Euro festgesetzt.
99Gründe:
100Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 und 3 GKG des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolgt.
101Rechtsmittelbelehrung:
102Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
103Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
104Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
105Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
106Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
107War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.