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Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 24 K 6698/22 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 5. September 2022 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
5Der Antrag ist zulässig.
6Er ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am Klage – 24 K 6698/22 – gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen beide Ziffern der Ordnungsverfügung statthaft. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn diese kraft Gesetzes entfällt. Die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 5. September 2022 entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 20a Abs. 5 Satz 4 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG), die Klage gegen Ziffer 2 als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 112 JustizG NRW kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung.
7Der Antrag ist jedoch unbegründet.
8Das Gericht macht von der ihm durch § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eingeräumten Befugnis, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anzuordnen, Gebrauch, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen (vorerst) verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei der Interessenabwägung spielt neben der gesetzgeberischen Grundentscheidung die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts eine wesentliche Rolle. Ergibt diese – im Rahmen des Eilrechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische – Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts grundsätzlich kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt nach der gesetzgeberischen Wertung das behördliche Vollzugsinteresse. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung vorzunehmen.
9Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fällt die Interessenabwägung vorliegend zu Lasten der Antragstellerin aus. Die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 5. September 2022 ist nach summarischer Prüfung rechtmäßig.
10Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Denn bei dem angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbot handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt.
11Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 – 29 L 1703/22 – juris, Rn. 8; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW –, juris, Rn. 20; Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2022, IfSG § 20a Rn. 118.
12Rechtsgrundlage des in Ziffer 1 des Bescheides angeordneten Tätigkeitsverbotes ist § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG. Nach dieser Vorschrift kann das Gesundheitsamt unter anderem einer Person, die trotz einer Anforderung nach § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Einrichtung oder eines dort genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG sieht wiederum vor, dass die in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personen dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorzulegen haben. Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG müssen Personen, die in den in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 IfSG im Einzelnen genannten Einrichtungen oder Unternehmen des Pflege- und Gesundheitssektors tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- und Genesenennachweis im Sinne des § 22a Abs. 1 oder Abs. 2 IfSG verfügen, es sei denn sie können aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden (vgl. § 20a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4 IfSG).
13Eine Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften, insbesondere des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG, vermag die Kammer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht festzustellen.
14Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, die – wie hier im Fall einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage – im Ergebnis darauf hinausläuft, eine Regelung in einem formellen Gesetz gegenüber einem Antragsteller jedenfalls vorläufig nicht anzuwenden, ist an besondere Voraussetzungen geknüpft. Zwar sind die Fachgerichte in Bezug auf ein formelles Gesetz durch Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung nicht vorweggenommen wird. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes würde den Eintritt von Nachteilen während der Durchführung des Hauptsacheverfahrens verhindern.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 –, juris, Rn. 71 f. (im Zusammenhang mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich § 20 Abs. 9 Satz 6 IfSG, wonach Personen, die keinen Nachweis über eine Masernimpfung bzw. eine entsprechende Immunität vorlegen, nicht in bestimmten Einrichtungen beschäftigt werden dürfen) unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992 – 1 BvR 1028/91 –, juris Rn. 29 und BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2010 – 7 VR 5.10 –, juris Rn. 10 (im Zusammenhang mit einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO).
16Ein solches Vorgehen kann bei formellen Gesetzen aber nur unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 100 Abs. 1 GG erfolgen.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 –, juris, Rn. 73 f. und Beschluss vom 27. April 2009 – 16 B 539/09 –, juris, Rn. 34 ff.; in diesem Sinne auch: OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2013 – 1 B 1316/12 –, juris, Rn. 8 ff.
18Erforderlich ist mithin, dass das beschließende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der in Rede stehenden Vorschriften überzeugt ist. Dies bedeutet im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass der Grundrechtsverstoß offenkundig ist.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 – 13 B 859/22 –, juris, Rn.6; OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2022 – 13 B 1466/21 –, juris, Rn. 75 f. m.w.N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 – 29 L 1703/22 –, juris, Rn. 16.
20Eine solche offenkundige Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG vermag die Kammer derzeit nicht festzustellen.
21Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem Gesetzgeber bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Allerdings müssen sich die getroffenen Maßnahmen auf hinreichend tragfähige tatsächliche und wissenschaftliche Erkenntnisse stützen lassen.
22Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a. –, juris, Rn. 171.
23Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2022 entschieden, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht bezüglich einer Covid-19-Immunität gemäß § 20a IfSG in der konkreten Situation der Pandemie im Winter 2021 und nach Maßgabe der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Erkenntnislage zu den Wirkungen der Covid-19-Schutzimpfungen sowie zu den großen Gefahren für Leben und Gesundheit vulnerabler Personen auch unter Berücksichtigung der hiermit für die Betroffenen verbundenen Eingriffstiefe verfassungsrechtlich tragfähig war. Nach damaliger überwiegender fachlicher Einschätzung sei von einer erheblichen Reduzierung der Infektions- und Transmissionsgefahr durch die Covid-19-Impfung ausgegangen worden.
24Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, insb. Rn. 157 ff., 173 f.
25Zwar führt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung weiter aus, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung zunächst nur aus einer ex-ante-Perspektive im Hinblick auf die verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten zu beurteilen ist. Gleichwohl könne eine zunächst verfassungskonforme Regelung später mit Wirkung für die Zukunft verfassungswidrig werden, wenn ursprüngliche Annahmen des Gesetzgebers nicht mehr trügen, weil sie durch nachträgliche Erkenntnisse oder Entwicklungen erschüttert würden. Bestehe dagegen eine Situation der Ungewissheit fort, weil es insbesondere auch der Wissenschaft nicht gelinge, die Erkenntnislage zu verbessern, wirke sich dies nicht ohne Weiteres auf die verfassungsrechtliche Beurteilung des weiteren Vorgehens aus.
26Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 235 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 – 1 BvR 781/21 u.a. –, juris, Rn. 177.
27Bei Zugrundelegung der dargestellten Maßstäbe ist die Vorschrift des § 20a IfSG auch bis zum Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung nicht durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens offenkundig in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen.
28Vgl. jüngst OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 – 13 B 859/22 –, juris, Rn. 5 ff.; ausführlich bereits VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 – 29 L 1703/22 –, juris, Rn. 25 ff.; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW –, juris Rn. 23 ff.
29Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 27. April 2022 bereits die Omikron-Variante im Blick gehabt. Es führt – bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung – aus, die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose, die verfügbaren Impfstoffe würden auch gegenüber der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 eine noch relevante Schutzwirkung entfalten, sei durch die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes ausweislich der Stellungnahmen der im dortigen Verfahren als sachkundige Dritte angehörten Fachgesellschaften nicht durchgreifend erschüttert worden. Dies gelte insbesondere auch für die gesetzgeberische Prognose, die verfügbaren Impfstoffe könnten vor einer Infektion schützen und – sollten sich Betroffene gleichwohl infizieren – zu einer Reduzierung des Transmissionsrisikos beitragen. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass eine Impfung jedenfalls einen relevanten, wenn auch mit der Zeit abnehmenden Schutz vor einer Infektion auch mit der aktuell vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus biete. Dabei sei auch nicht erkennbar, dass die Impfwirksamkeit so sehr reduziert wäre, dass die Verwirklichung des mit dem angegriffenen Gesetz verfolgten Zwecks des Schutzes vulnerabler Menschen nur noch in einem derart geringen Maße gefördert würde, dass im Rahmen der Abwägung den widerstreitenden Interessen der von der einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht Betroffenen von Verfassungs wegen der Vorrang gebühren müsste. Zwar sei nach wie vor fachwissenschaftlich nicht gesichert, in welchem Maße die Schutzwirkung der Impfung mit der Zeit und abhängig von weiteren Faktoren konkret abnehme. Auch bestünden keine gesicherten Erkenntnisse zur genauen Höhe des reduzierten Transmissionsrisikos. Die bisherigen Annahmen des Gesetzgebers seien aber auch nicht grundlegend erschüttert, sodass sein insoweit bestehender Einschätzungs- und Prognosespielraum fortbestehe.
30Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 184 f., 237 ff.; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 – 13 B 859/22 –, juris, Rn. 9.
31Hiervon geht die Kammer auch zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser gerichtlichen Entscheidung weiter aus. Die wissenschaftliche Erkenntnislage hat sich seit Ergehen der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht derart geändert, dass die ursprüngliche Annahme des Gesetzgebers, eine Impfung gegen das Coronavirus schütze in nennenswertem Umfang vor einer Infektion und einer weiteren Transmission des Virus, unzutreffend geworden und deshalb nunmehr von einer offenkundigen materiellen Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG auszugehen wäre.
32So auch OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 – 13 B 859/22 –, juris, Rn. 11; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 20. Juli 2022 – 5 L 585/22.NW –, juris Rn. 26 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30. August 2022 – 29 L 1703/22 –, juris, Rn. 29.
33Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Datenlage nach wie vor lückenhaft ist und jedenfalls die Impfstoffe, welche bislang zur Verfügung standen, eine Infektion mit dem Virus – insbesondere in den Omikron-Varianten – sowie auch dessen Weitergabe nicht vollständig ausschließen. Nach den Ausführungen des Robert Koch-Instituts (RKI), der nationalen Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG), auf seiner Internetseite stellt sich die Erkenntnislage indessen – zusammengefasst – weiter so dar, dass die Transmission, das heißt die Virusübertragung, unter Omikron bei Geimpften weiterhin reduziert zu sein scheint, wobei das Ausmaß der Reduktion nicht vollständig geklärt sei. Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark zeigten, dass eine Impfung auch unter vorherrschender Zirkulation der Omikron-Variante die Übertragbarkeit um ca. 6 bis 21 % nach Grundimmunisierung und nach Auffrischimpfung um weitere 5 bis 20 % reduziere.
34Vgl. RKI, Wie wirksam sind die Covid-19-Impfstoffe?, Stand: 18. August 2022, abrufbar unter https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Wirksamkeit.html, zuletzt abgerufen am 22. September 2022; vgl. auch BzgA, Informationen zur Corona-Schutzimpfung, abrufbar unter https://www.infektionsschutz.de/download/5798-1657894061-BZgA_Merkblatt_Pflege.pdf/, zuletzt abgerufen am 22. September 2022.
35Im aktuellen Epidemiologischen Bulletin des RKI vom 6. Oktober 2022, STIKO: 22. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, wird zum Fremdschutz – wie schon in vorherigen Impfempfehlungen – ausgeführt, die COVID-19-Impfung verfolge auch das Ziel, die Transmission von SARS-CoV-2 in der gesamten Bevölkerung zu reduzieren. Insbesondere in Umgebungen mit einem hohen Anteil vulnerabler Personen (z.B. Schwangere, Hochbetagte) und/oder einem hohen Ausbruchspotenzial solle durch die Impfung die Virustransmission vermindert werden, um so einen zusätzlichen Schutz zu bewirken.
36Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/40_22.pdf?__blob=publicationFile, S. 4; zuletzt abgerufen am 10. Oktober 2022; ebenso auch schon STIKO: 21. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, 18. August 2022, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/33_22.pdf?__blob=publicationFile, S. 4.
37Auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich in zwei – bisher nicht im Volltext veröffentlichten – Beschlüssen vom 7. Juli 2022 (Az. 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22), die Beschwerden von zwei Luftwaffenoffizieren gegen die Verpflichtung, die Covid-19-Impfung zu dulden, betrafen, nach einer von ihm durchgeführten umfangreichen Sachverständigenanhörung der Bewertung des BVerfG angeschlossen, dass die Impfung gegenüber der nunmehr vorherrschenden Omikron-Variante nach wie vor eine noch relevante Schutzwirkung im Sinne einer Verringerung der Infektion und Transmission habe.
38Vgl. die zu den beiden Entscheidungen veröffentlichten Pressemitteilungen des BVerwG vom 7. Juli 2022, abrufbar unter https://www.bverwg.de/pm/2022/44, zuletzt abgerufen am 30. August 2022.
39Bestehen danach weiterhin Anhaltspunkte für eine nicht nur unwesentliche Reduzierung des Transmissionsrisikos, werden die bisherigen Annahmen des Gesetzgebers zu einer relevanten Schutzwirkung der Impfung gegenüber vulnerablen Personen nicht durchgreifend erschüttert.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. September 2022 – 13 B 859/22 –, juris, Rn. 22.
41Dies gilt auch mit Blick auf die möglichen Nebenwirkungen einer Impfung. Auch diese wurden durch das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen bereits berücksichtigt. Danach greife die durch § 20a IfSG eingeführte Nachweispflicht mit erheblichem Gewicht in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein. Die Impfung löse konkrete körperliche Reaktionen aus, die sich als Immunantwort auf die Verabreichung des Impfstoffes darstellen. Zwar klängen diese nach relativ kurzer Zeit vollständig ab. Dies lasse aber die mit der Immunantwort nicht selten einhergehenden Nebenwirkungen wie etwa Kopf- und Gliederschmerzen unberührt, die die Betroffenen auch über mehrere Tage in ihrem körperlichen Wohlbefinden nicht unerheblich beeinträchtigen könnten. Daneben könnten im Einzelfall auch schwerwiegende und/oder länger andauernde Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen eintreten. Zwar handele es sich bei den gemeldeten schwerwiegenden Nebenwirkungen zunächst nur um Verdachtsfälle, die nur zu einem Teil auch nachweislich zwingend kausal auf die Impfung zurückzuführen seien. Auch seien die gemeldeten schwerwiegenden Nebenwirkungen sehr selten und in der Regel nicht von Dauer. Gleichwohl müsse davon ausgegangen werden, dass eine Impfung im ganz extremen Ausnahmefall auch tödlich sein könne. Dies erhöhe die Eingriffstiefe maßgeblich auch deshalb, weil die Impfung einem in der Regel gesunden Menschen verabreicht werde, und zwar grundsätzlich zweifach und ab 1. Oktober 2022 auch dreifach.
42Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 207 ff.
43Auf der anderen Seite hat das Bundesverfassungsgericht indessen auch berücksichtigt, dass in § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG bei einer medizinischen Kontraindikation eine Ausnahme von der Verpflichtung vorgesehen ist, sich impfen zu lassen.
44Dass eine solche bei der Antragstellerin bestehen könnte, ist nicht dargetan. Soweit die Antragstellerin auf umfangreiche Vorerkrankungen wie einen Hirntumor, der im Jahr 2008 operiert worden sei, auf Tinnitus, Skoroliose, Hämopyrrollaktamurie (eine Stoffwechselstörung) und verschiedene Allergien verweist, ist damit nicht dargelegt, dass sie nicht mit einem zugelassenen Impfstoff geimpft werden könnte. Das Vorliegen einer medizinischen Kontraindikation hat sie im Übrigen nicht durch ein ärztliches Attest glaubhaft gemacht. Entgegen ihrer Auffassung wäre es ihre Pflicht aus § 20a Abs. 2 Nr. 4 IfSG, ein Attest beizubringen, dass sie aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht geimpft werden könne, und nicht Sache der Antragsgegnerin.
45Hinzu komme, dass die Sicherheit der COVID-19-Impfstoffe der fortlaufenden Überprüfung durch das Paul-Ehrlich-Institut unterliege und die Ständige Impfkommission ein festgestelltes, auch nur geringes Risikoprofil solcher Impfstoffe schon zum Anlass für angepasste Impfempfehlungen nehme. Dadurch sei auch institutionell eine beständige Evaluation der Impfstoffsicherheit gewährleistet.
46Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 213.
47Seiner Beurteilung legte das Bundesverfassungsgericht den Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom 26. Oktober 2021 zugrunde. Danach gab es in Deutschland insgesamt 172.188 gemeldete Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung mit Comirnaty, Spikevax, Vaxzevria und COVID-19 Vaccine Janssen bei 107.888.714 in diesem Zeitraum durchgeführten Impfungen. Die Melderate habe zusammenfassend für alle Impfstoffe 1,6 Meldungen pro 1.000 Impfdosen, für schwerwiegende Reaktionen 0,2 Meldungen pro 1.000 Impfdosen betragen. Bei den Auffrischimpfungen sei die Melderate geringer gewesen. Sie habe 0,1 pro 1.000 Impfungen und für schwerwiegende Reaktionen 0,03 pro 1.000 Impfungen betragen. Es habe insgesamt 1.802 Verdachtsfallmeldungen über einen Todesfall in unterschiedlichem zeitlichem Abstand zu einer Impfung gegeben (0,02 pro 1.000 Impfungen).
48Dabei hat das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt, dass es sich insoweit um Verdachtsmeldungen handele und nicht jede gemeldete Reaktion tatsächlich auch eine Nebenwirkung darstelle. So habe das Paul-Ehrlich-Institut in seinem nachfolgenden Sicherheitsbericht vom 23. Dezember 2021 nur in 78 von den bis dahin insgesamt 1.919 eingegangenen Verdachtsmeldungen, die einen Todesfall betrafen, einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich bewertet.
49Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 224 f.
50Aus Sicht der Kammer beanspruchen diese Ausführungen nach wie vor Geltung, auch wenn sich die Zahlen mit fortlaufend durchgeführten Impfungen fortentwickelt haben. Das Paul-Ehrlich-Institut hat bis zum 30. Juni 2022 insgesamt 323.684 Einzelfallmeldungen über den Verdacht einer Nebenwirkung oder Impfkomplikation erhalten (bei 182.717.880 durchgeführten Impfungen). Die Melderate von Verdachtsfällen betrug für alle Impfstoffe zusammen 1,8 Meldungen pro 1.000 Impfdosen, für Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen und Impfkomplikationen 0,3 Meldungen pro 1.000 Impfdosen. Die Melderate nach Booster-Impfungen war für die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax niedriger als nach der Grundimmunisierung.
51Vgl. https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-20-bis-30-06-22.pdf?__blob=publicationFile&v=6, S. 2.
52In 3.023 Fällen wurde ein tödlicher Verlauf in zeitlich unterschiedlichem Abstand zur COVID-19-Impfung mitgeteilt. Davon wurden 120 Fälle vom Paul-Ehrlich-Institut als konsistent mit einem ursächlichen Zusammenhang mit der Gabe des jeweiligen COVID-19-Impfstoffs bewertet (synonym: wahrscheinlicher oder möglicher ursächlicher Zusammenhang).
53Vgl. https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-20-bis-30-06-22.pdf?__blob=publicationFile&v=6, S. 8.
54Auch die Hintergründe zur Entwicklung und Zulassung der mRNA-basierten Impfstoffe waren dem Bundesverfassungsgericht bereits bekannt.
55Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 7 ff.
56Ungeachtet dessen ist – wie auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat – inzwischen mit Nuvaxovid, auch ein proteinbasierter Impfstoff zugelassen.
57Dass die grundrechtliche Abwägung vom Gesetzgeber auch anders getroffen werden könnte und in anderen Staaten auch anders ausfällt, begründet ebenfalls nicht die Verfassungswidrigkeit. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Gesetzgeber seinen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum überschreitet. Dies ist nach dem Vorstehenden nicht der Fall.
58Die Verfügung ist in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen.
59Die Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes in Ziffer 1 des Bescheides ist formell rechtmäßig. Die Antragsgegnerin ist gemäß § 20a Abs. 5 Satz 1 und Satz 3, § 2 Nr. 14, § 54 Satz 1 IfSG i.V.m. § 4 Abs. 1 Gesetz zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler oder landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz als Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die Einrichtung befindet, in der die Antragstellerin tätig ist, für die Anordnung des Betretungs- und Tätigkeitsverbotes zuständig.
60Die Antragsgegnerin hat mit – zwei – Schreiben vom 31. Mai 2022 sowohl der Antragstellerin als auch der U. Stiftung als ihrem Arbeitgeber im Sinne des § 28 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) Gelegenheit gegeben, zu der beabsichtigten Anordnung eines Betretungs- und Tätigkeitsverbotes gegenüber der Antragstellerin Stellung zu nehmen.
61Vgl. zur Anhörung auch des Arbeitgebers im Rahmen des der Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG vorangehenden Verwaltungsverfahrens BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, IfSG § 20a Rn. 205 f.; Kießling, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, IfSG § 20a Rn. 83.
62Die Anordnung in Ziffer 1 des Bescheides ist nach summarischer Prüfung auch materiell rechtmäßig.
63Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG sind erfüllt.
64Der Anwendungsbereich des § 20a IfSG ist eröffnet. Gemäß § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG müssen Personen, die in den dort im Einzelnen aufgeführten Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Abs. 1 oder Abs. 2 IfSG verfügen.
65Zu den genannten Einrichtungen gehören nach § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG voll- oder teilstationäre Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen. Darunter fällt die Einrichtung, in der die Antragstellerin tätig ist. Das I. Haus in N. ist laut Homepage,
66https://www. ….… abgerufen am 12. Oktober 2022,
67ein Wohnverbund, der ein differenziertes Wohn- und Betreuungsangebot für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung bietet, die mind. 18 Jahre alt sind und einen behinderungsbedingten Integrations- und Hilfebedarf haben.
68Die Antragstellerin ist seit mehr als 15 Jahren im stationären Bereich des Hauses, einer Einrichtung gemäß § 20a Abs. 1 Nr. 2 IfSG, als Heilerziehungspflegerin tätig.
69Die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für ein Einschreiten der Antragsgegnerin nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG liegen ebenfalls vor. Die Antragstellerin hat weder einen Immunitätsnachweis noch einen Nachweis über eine medizinische Kontraindikation im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG vorgelegt. Ihr vorgelegtes Genesenenzertifikat (positives Testergebnis 9. Februar 2022) war lediglich drei Monate lang gültig.
70Auch wenn die Antragstellerin aufgrund von Krankheitserfahrungen in der Vergangenheit einer Impfung zurückhaltend gegenübersteht, ist sie darauf zu verweisen, sich ärztlich beraten zu lassen, welcher Impfstoff unter Berücksichtigung früherer Medikamentenunverträglichkeiten in Frage käme. Ergäbe sich sodann aus ärztlicher Sicht eine medizinische Kontraindikation, wäre ein entsprechendes ärztliches Zeugnis beizubringen.
71Die Antragsgegnerin hat nach im Eilverfahren allein möglicher und gebotener summarischer Prüfung auch das ihr im Rahmen des § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
72Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legt der § 20a Abs. 5 IfSG zugrundeliegende Regelungszweck, vulnerable Personen zu schützen, sowohl die Anforderung des Nachweises als auch – bei dessen nicht rechtzeitiger Vorlage – den Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG in der Regel nahe. Vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle dürfe daher für das Gesundheitsamt letztlich kein relevanter Spielraum bestehen.
73Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 85; in diesem Sinne auch Kießling, Infektionsschutzgesetz, 3. Aufl. 2022, IfSG § 20a Rn. 83.
74In den Blick zu nehmen ist aber auch, dass der Gesetzgeber für bereits zum 15. März 2022 in einer von § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG erfassten Einrichtung tätige Personen – wie der Antragstellerin – kein sich unmittelbar kraft Gesetzes ergebendes Betretungs- oder Tätigkeitsverbot geregelt, sondern dessen Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG gerade von einer ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamts abhängig gemacht hat. Die zuständige Behörde muss das ihr eingeräumte Ermessen (rechtmäßig) ausüben und darf dessen Grenzen nicht über- oder unterschreiten. Darüber hinaus muss sich das Gesundheitsamt des Eingriffs seiner Maßnahmen in die Grundrechte der betroffenen Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bewusst sein.
75Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 147, 215; siehe auch BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand: 1. Juli 2022, IfSG § 20a Rn. 197.
76Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt hier entgegen der Auffassung der Antragstellerin kein Ermessensfehler vor.
77Ausweislich der Begründung des Bescheides war sich die Antragsgegnerin des ihr zustehenden Ermessens bewusst und hat im Rahmen der Ausübung dieses Ermessens auch die Belange der Antragstellerin, insbesondere ihr Vorbringen im Anhörungsverfahren, gewürdigt. Sie hat ausgeführt, dass das Betretungs- und Tätigkeitsverbot zum Schutz der vulnerablen Personengruppen in der Einrichtung verhältnismäßig ist. Soweit in der Ordnungsverfügung – wohl fehlerhaft – auf Seite 4 Mitte das I. Haus als Einrichtung im Sinne von § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a IfSG angesehen wird, ist dies unschädlich. Auf der folgende Seite wird die Einrichtung zutreffend als Einrichtung für vulnerable Personen – Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung – angesehen, und ermessensfehlerfrei die für den Erlass der Ordnungsverfügung sprechenden Belange gegenüber denjenigen der Antragstellerin in die Ermessensausübung eingestellt.
78Die Antragsgegnerin hat in zeitlicher Hinsicht im Übrigen berücksichtigt, dass die zugrundeliegende Rechtsgrundlage des § 20a IfSG nach dem Stand zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung zum 1. Januar 2023 außer Kraft tritt (vgl. Art. 2 Nr. 1 und 2a i.V.m. Art. 23 Abs. 4 des Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie), und das Verbot entsprechend bis zum 31. Dezember 2022 – oder bis zur Vorlage eines Nachweises im Sinne des § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG – befristet. Mangels Äußerung der Arbeitgeberin der Antragstellerin musste die Antragsgegnerin die die Frage der Versorgungssicherheit wie dargetan so bewerten, dass diese auch ohne die Antragstellerin gewährleistet wird.
79Es bestehen im Eilverfahren auch keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit des angeordneten Betretungs- und Tätigkeitsverbotes. Die Anordnung ist zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen.
80Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot dient einem legitimen Zweck, nämlich dem Schutz von Gesundheit und Leben der von der Antragstellerin betreuten und im Hinblick auf eine Covid-19-Erkrankung als besonders vulnerabel einzustufenden Personen (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
81Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris Rn. 154 f. in Bezug auf die legitimen Ziele der Vorschrift des § 20a IfSG.
82Das gegenüber der Antragstellerin angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot ist zur Erreichung dieses legitimen Zwecks voraussichtlich auch geeignet. Das ist im verfassungsrechtlichen Sinne schon dann der Fall, wenn mit Hilfe der Maßnahme der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung genügt. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist.
83Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris Rn. 166.
84Dies zugrunde gelegt, ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin davon ausgeht, das Betretungs- und Tätigkeitsverbot gegenüber der Antragstellerin, die keinen Immunitätsnachweis im Hinblick auf das Coronavirus vorgelegt hat, diene dem Schutz der von ihr betreuten, besonders vulnerablen Personen. Insbesondere ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand – wie dargelegt – die Annahme, dass die vorhandenen Impfstoffe eine noch relevante Schutzwirkung im Hinblick auf eine Infektion und eine weitere Transmission des Virus haben, weiterhin tragfähig.
85Das Betretungs- und Tätigkeitsverbot ist auch erforderlich. Ein aus Sicht der Antragstellerin weniger eingriffsintensives, zur Zweckerreichung ebenso geeignetes Mittel ist nicht ersichtlich.
86Insbesondere stellt die Möglichkeit einer Testpflicht keinen gleichwertigen Schutz wie eine Immunisierung dar, gerade bei Kontakt mit besonders vulnerablen Personen. Ein negatives Antigentestergebnis schließt eine SARS-CoV-2-Infektion und auch eine Kontagiosität (übertragungsrelevante Infektion) nicht aus. Schnelltests liefern gerade in einem frühen Infektionsstadium wegen der hier noch geringen Viruslast – selbst bei fachgerechter Anwendung – keine verlässlichen Resultate, obwohl gegebenenfalls bereits ein Ansteckungsrisiko besteht.
87Vgl. dazu im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris, Rn. 192 ff., 197; OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2022 – 13 B 859/22 –, juris, Rn. 46 ff.
88Die streitgegenständliche Regelung erweist sich schließlich nach summarischer Prüfung auch als angemessen. Die mit der Regelung für die Antragstellerin verbundenen Nachteile stehen nicht außer Verhältnis zu den bezweckten Vorteilen.
89Zwar greift das angeordnete Betretungs- und Tätigkeitsverbot erheblich in das Recht der Antragstellerin auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein und betrifft zudem ihre Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Die getroffene Anordnung stellt die Antragstellerin – auch, wenn es sich nicht um einen unmittelbaren Impfzwang handelt – de facto vor die Wahl, entweder ihre bisherige Tätigkeit zumindest zwischenzeitlich aufzugeben und damit finanzielle Einbußen hinzunehmen oder aber in die Beeinträchtigung ihrer körperlichen Integrität durch die Impfung einzuwilligen.
90Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris Rn. 206 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Vorschrift des § 20a IfSG.
91Es ist jedoch nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin durch ihre Anordnung dem Schutz von Leib und Leben der von der Antragstellerin betreuten Personen gegenüber den Rechten der Antragstellerin den Vorrang eingeräumt hat. Bei den durch das Betretungs- und Tätigkeitsverbot geschützten Schutzgütern handelt es sich um Verfassungsgüter von überragendem Stellenwert.
92Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21 –, juris Rn. 217 ff. in Bezug auf die Angemessenheit der Regelung des § 20a IfSG.
93Die von der Antragstellerin betreuten Personen sind zudem im Rahmen der Corona-Pandemie – wie dargelegt – in besonderem Maße schutzbedürftig, da bei ihnen eine Erkrankung häufiger schwerwiegend oder sogar tödlich verläuft. Dagegen hat ihr privates Interesse an der Weiterbeschäftigung in der Einrichtung und die damit verbundene Beeinträchtigung ihrer Berufsfreiheit zurückzustehen.
94Es ist schließlich nach summarischer Prüfung kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter dem Aspekt ersichtlich, dass die ungeimpften Bewohner der Einrichtung keinem Betretungsverbot unterliegen. Zwar ist auch bei ihnen eine Übertragung des Coronavirus nicht auszuschließen. Es liegen aber wesentliche Unterschiede zwischen den Gruppen vor. Die Bewohner/Patienten bzw. sind auf die sozialen und medizinischen Leistungen regelmäßig angewiesen. Ihnen würde eine gesetzliche Leistung verwehrt, wenn diese letztlich von einem Impf- oder Genesenennachweis abhängig gemacht werden würde. In der Konsequenz sind die Gruppen der Mitarbeiter und der Bewohner/Patienten einer Einrichtung bereits nicht wesentlich gleich und damit von vornherein kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine verfassungsrechtlich unzulässige Ungleichbehandlung. Dies hat der Gesetzgeber in § 20a Abs. 6 IfSG klargestellt.
95Auch die Gruppe derjenigen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen kann und damit keinen Maßnahmen nach § 20a Abs. 5 IfSG ausgesetzt sind, gegenüber derjenigen, bei denen keine medizinische Kontraindikation vorliegen, aber eine Impfung aus sonstigen Gründen ablehnen, sind nicht „wesentlich gleich“. Denn erstere wären im Falle einer Imfpung ernsthaften Gesundheitsgefahren ausgesetzt, letztere nur – wie dargelegt – mit äußerst geringer Wahrscheinlichkeit, so dass auch insoweit eine Ungleichbehandlung beider Gruppen verfassungsrechtlich unbedenklich ist.
96Auch gegen die Androhung eines Zwangsgeldes in Ziffer 2. der Ordnungsverfügung vom 5. September 2022 für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1. der Verfügung bestehen keine rechtlichen Bedenken, so dass der Antrag auch insoweit erfolglos bleibt.
97Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
98Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer legt mangels anderweitiger Anhaltspunkte den Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG zugrunde. Von einer Reduzierung des Streitwertes auf die Hälfte des in der Hauptsache maßgeblichen Streitwertes entsprechend Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013) wird abgesehen, da die angegriffene Ordnungsverfügung nur bis zum 31. Dezember 2022 gilt und der Antrag des Antragstellers damit inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielt.
99Rechtsmittelbelehrung:
100(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
101Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
102Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
103Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
104Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
105Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
106(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
107Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
108Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
109Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
110Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
111War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.