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Ein Bescheid, der das Bestehen sonderpädagogischen Förderbedarfs in der Primarstufe feststellt, ist unter Umständen auch dann noch mit der Anfechtungsklage anfechtbar, wenn bereits ein Bescheid nach § 17 Abs. 5 AO-SF betreffend die weitere Notwendigkeit sonderpädagogischer Förderung in der Sekundarstufe I ergangen ist und der Schüler in die Sekundarstufe I übergegangen ist.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % der vollstreckbaren Kosten leistet.
Tatbestand:
2Die am 00.00.2009 geborene Tochter N. der Klägerin besuchte als Seiteneinsteigerin ab April 2016 zunächst die Städtische Katholische Grundschule I. in X. . Zu Beginn des Schuljahres 2017/2018 wechselte sie innerstädtisch zur Städtischen Gemeinschaftsgrundschule S. und zum Schuljahr 2020/21 zur Grundschule E. in X. . Seit dem Schuljahr 2021/2022 ist sie Schülerin der T.-Schule, einer städtischen katholische Hauptschule.
3Am 29. Januar 2020 führte die Städtische Gemeinschaftsgrundschule S. mit der Klägerin ein Elterngespräch betreffend die nach Ansicht der Schule bestehende Förderbedürftigkeit der Tochter der Klägerin durch. In diesem Zusammenhang wurde auch eine Erklärung der Sorgeberechtigten zum Antrag auf sonderpädagogische Unterstützung ausgefüllt.
4Das Halbjahreszeugnis der Klasse 3 im Schuljahr 2019/2020 vom 29. Januar 2020 führte Leistungen der Tochter der Klägerin auf, die in vier Fächern mit ungenügend, in weiteren vier Fächern mit mangelhaft, in einem Fach mit ausreichend sowie in einem weiteren Fach mit gut bewertet wurden. Dem Zeugnis waren Lern- und Fördererempfehlungen für die Fächer Englisch und Deutsch beigefügt.
5Im Anschluss stellte die Städtische Gemeinschaftsgrundschule S. am 30. Januar 2020 betreffend die Tochter der Klägerin, N. , einen Antrag auf Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung. In der Begründung des Antrags wird unter anderem ausgeführt, N. sei 11 Jahre alt und befinde sich in der 3. Klasse im 4. Schulbesuchsjahr. Ein Bescheid betreffend die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs vom 11. Juli 2017 sei nach einem Einspruch der Klägerin probeweise aufgehoben worden. Im Anschluss sei N. zielgleich gefördert worden, habe die Ziele zum Ende des Schuljahres aber nicht erreicht und sei nicht versetzt worden. Auch im Folgenden sei eine sonderpädagogische Förderung durch die Klägerin strikt abgelehnt worden. Da N. auch im aktuellen Schuljahr nur minimale individuelle Fortschritte habe machen können und nach jetziger Einschätzung die Lernziele der Klasse 3 nicht werde erreichen können, sei angesichts der deutlichen Beeinträchtigungen in N s Fähigkeiten davon auszugehen, dass sie die bestehenden Lernrückstände auch bei zusätzlicher intensiver schulischer wie außerschulischer Förderung bis zum Ende des Schuljahres nicht werde aufholen können.
6Mit Schreiben vom 28. Mai 2020 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass das Verfahren zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung mit dem vermuteten Förderschwerpunkt Lernen für die Tochter der Klägerin eröffnet worden sei. Ferner wurde der weitere Verlauf dieses Verfahrens geschildert und unter anderem darauf hingewiesen, dass eine sonderpädagogische Lehrkraft in Zusammenarbeit mit einer Lehrkraft der allgemeinen Schule beauftragt werde, ein Gutachten zu erstellen. Am gleichen Tage bat der Beklagte die Schulleitung der I. Schule (Förderschule), Frau F. als sonderpädagogische Lehrkraft in Zusammenarbeit mit Frau G. /Herrn H. von der Gemeinschaftsgrundschule S. mit der Erstellung des Gutachtens betreffend die Tochter der Klägerin zu beauftragen.
7Am 28. Oktober 2020 fand das im Rahmen der sonderpädagogischen Gutachtenerstellung vorgesehene Elterngespräch statt. An diesem nahmen neben der Klägerin u.a. ein Übersetzer, ein Sozialarbeiter sowie die an der Gutachtenerstellung beteiligten Lehrkräfte Frau F. (sonderpädagogische Lehrkraft der I. Schule) und Herr N. (Lehrkraft der Grundschule E. ) teil. Ausweislich der entsprechenden Dokumentation wurden im Rahmen dieses Gesprächs die Ergebnisse der diagnostischen Verfahren und der Beobachtungen vorgestellt, eine Aufklärung über mögliche Fördererorte vorgenommen und der Hinweis erteilt, dass ein Recht auf die Schulform, nicht aber auf eine bestimmte Schule bestehe. Ferner wurde vermerkt, dass die Klägerin mit dem Ergebnis des sonderpädagogischen Gutachtens einschließlich des festgestellten Förderschwerpunkts Lernen nicht einverstanden sei. Ebenso wünsche sie kein Gespräch mit der Schulaufsicht.
8Das pädagogische Gutachten zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung wurde im Folgenden am 2. November 2020 fertiggestellt und von Herrn N. und Frau F. unterschrieben. Mit Bescheid vom 18. November 2020 stellte der Beklagte fest, dass betreffend die Tochter der Klägerin ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf mit dem Förderschwerpunkt Lernen bestehe. Ferner sei eine zieldifferente Förderung notwendig.
9Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 23. November 2020 Klage erhoben. Sie macht geltend, sie sei als Mutter des betroffenen Kindes nicht ordnungsgemäß am Verfahren zur Feststellung über einen etwaigen sonderpädagogischen Bedarf beteiligt worden. Im Übrigen sei der Antrag auf Feststellung eines solchen Bedarfs von der Gemeinschaftsgrundschule S. gestellt worden, mithin von einer Schule, die ihre Tochter längst nicht mehr besuche. Sie beanstandet zudem, dass eine Begutachtung ihrer Tochter ohne ihr Wissen und gegen ihren zuvor bereits ausdrücklich und mehrfach erklärten Willen durchgeführt worden sei. Ferner könne ein Erfordernis einer sonderpädagogischen Förderung nicht aus einer nicht hinreichend erfolgten schulischen Förderung abgeleitet werden. Allein die Tatsache, dass ihre Tochter womöglich die Lernziele eines Jahres verfehlen könnte oder eine Versetzung gefährdet sei, könne nicht den Rückschluss auf einen Förderbedarf sonderpädagogischer Art rechtfertigen. Schließlich entwickle sich ihre Tochter auch mit normalem Nachhilfeunterricht stetig zu besseren Leistungen. Zum Beleg reichte sie ein Zeugnis ihrer Tochter betreffend die Klasse 4 ein, aus dem sich ergibt, dass die Leistungen in vier Fächern mit ungenügend, zwei Fächern mit mangelhaft, in drei Fächern mit befriedigend und in einem Fach mit gut bewertet wurden.
10Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat die Klägerin ferner eine Bescheinigung der T.-Schule, Städtische Katholische Hauptschule in X. , vom 5. November 2021 eingereicht, wonach ihre Tochter zurzeit in einigen Fächern (Englisch, Deutsch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Physik) keine ausreichenden Leistungen erbringe. Wegen der Ausführungen der Klägerin in den mündlichen Verhandlungen am 2. Februar 2022 und 19. Oktober 2022 wird auf das jeweilige Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
11Die Klägerin beantragt,
12den Bescheid des Beklagten vom 18. November 2020 aufzuheben.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er trägt vor, die Klägerin sei sehr wohl ordnungsgemäß am Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs beteiligt worden. Ferner seien zuvor alle anderen Fördermöglichkeiten ausgeschöpft worden.
16Während des Laufs des gerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte zwischenzeitlich mit Bescheid vom 21. Januar 2021 festgestellt, dass für die Tochter der Klägerin auch in der Sekundarstufe I weiterhin ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen bestehe. Als Fördererort wurde die F1. -Gesamtschule in X. vorgeschlagen. Diesen Bescheid hat der Beklagte am 28. Januar 2021 aus eigenem Antrieb vor dem Hintergrund des laufenden gerichtlichen Verfahrens wieder aufgehoben.
17Den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Gericht mit Beschluss vom 8. Juli 2021 abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: OVG NRW) mit Beschluss vom 6. September 2021 – 19 E 678/21 – zurückgewiesen.
18Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2022, die am Ende der Sitzung vertagt worden ist, hat der Beklagte mit Blick auf den Wechsel der Tochter der Klägerin zur weiterführenden Schule mit Bescheid vom 8. Februar 2022 den Fortbestand des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs im Förderschwerpunkt Lernen festgestellt.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Aufgrund entsprechender Übertragung in dem Beschluss vom 8. Juli 2021 konnte die Einzelrichterin über den Rechtsstreit entscheiden. Das Gericht konnte über die Klage ferner trotz Ausbleibens des Beklagten in der fortgeführten mündlichen Verhandlung am 19. Oktober 2022 entscheiden, da hierauf in der Ladung zur mündlichen Verhandlung hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
22Die Klage hat keinen Erfolg.
23Dabei bedarf in tatsächlicher Hinsicht keiner weiteren Ermittlungen, ob der Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2022, mit dem dieser gemäß § 17 Abs. 5 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Klinikschule (Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung im Folgenden: AO-SF ) die weitere Notwendigkeit sonderpädagogischen Förderbedarfs in der Sekundarstufe I festgestellt hat, der Klägerin tatsächlich nicht im Sinne des § 41 VwVfG NRW bekannt gegeben worden ist, wie diese geltend macht. Insoweit hat die Klägerin in der fortgeführten mündlichen Verhandlung am 19. Oktober 2022 vorgetragen, diesen Bescheid weder direkt vom Beklagten noch vom Gericht, das dessen Übermittlung mit gerichtlicher Verfügung vom 16. Februar 2022 veranlasst hat, erhalten zu haben. Denn der Klage bleibt sowohl im Falle der Bekanntgabe dieses Bescheides als auch im Falle einer fehlenden Bekanntgabe der Erfolg versagt.
241. Ist der Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2022 der Klägerin nicht bekannt gegeben worden mit der Folge, dass er nicht wirksam ist (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG NRW), ist die vorliegende Anfechtungsklage unzulässig. Sie ist dann nicht mehr statthaft, weil sich der mit der Klage angefochtene Bescheid vom 18. November 2020 erledigt hat. Die Regelungswirkung des in ihm festgestellten Bestehens sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs endete mit dem Übergang der Tochter der Klägerin in die weiterführende Schule. Insoweit ist für eine Weiterführung der sonderpädagogischen Förderung gemäß § 17 Abs. 5 AO-SF eine ausdrückliche Entscheidung über den Fortbestand sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs in der Sekundarstufe I erforderlich.
252. Sollte der Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2022 der Klägerin bekannt gegeben worden sein, ist die Klage zwar mit Blick auf die Zulässigkeit weiterhin als Anfechtungsklage statthaft. Denn nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen erledigt sich die die Primarstufe betreffende Regelung nicht und bleibt die Anfechtungsklage statthaft, wenn die Entscheidung über den Fortbestand sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs in der Sekundarstufe I nach § 17 Abs. 5 AO-SF unter Verzicht auf die Einholung eines neuen Gutachtens (§ 17 Abs. 5 Satz 3 AO-SF) ergeht. Grund hierfür sei, dass die neuere Entscheidung die ordnungsgemäße Durchführung des früheren Verfahrens nach § 13 AO-SF voraussetze.
26OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2020 – 19 A 2839/19 –, juris Rn. 30.
27Dabei geht das Gericht davon aus, dass diese Überlegungen auch für den Fall Geltung beanspruchen, dass – was hier in Betracht kommt – die nach § 17 Abs. 5 AO-SF ergangene Entscheidung bereits bestandskräftig ist.
28Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben kann die Klägerin vorausgesetzt, der Bescheid der Beklagten vom 8. Februar 2022 ist ihr bekannt gegeben worden zwar weiter im Wege der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 18. November 2020 vorgehen. Denn die aktuellere Entscheidung vom 8. Februar 2022 betreffend das Fortbestehen sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs in der Sekundarstufe I ist ausdrücklich u.a. auf der Grundlage des sonderpädagogischen Gutachtens vom 2. November 2020 ergangen, das bereits Grundlage für die Feststellung vom 18. November 2020 war.
29Die für den benannten Fall zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 18. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
30Diesbezüglich hat das Gericht im Beschluss betreffend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 8. Juli 2021 ausgeführt:
31Rechtliche Grundlage der Feststellung sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs sowie der Festsetzung des vorrangigen Förderschwerpunktes (hier: Lernen) und des Förderorts sind §§ 19 f. des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG NRW) i.V.m. mit §§ 10 ff. der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke (AO-SF).
32Die auf diesen Rechtsgrundlagen getroffene Entscheidung des Beklagten vom 18. November 2020 ist voraussichtlich zunächst in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Feststellung eines sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfs beruht auf einem auf den 12. Februar 2020 datierenden Antrag der OGGS S. , die die Tochter der Klägerin zu diesem Zeitpunkt besuchte. Eine solche Antragstellung durch die Schule ist gemäß § 12 AO-SF in Ausnahmefällen nach vorheriger Information der Eltern unter Angabe der wesentlichen Gründe möglich. Insbesondere ist eine Unterrichtung der sorgeberechtigten Klägerin ausweislich der Unterlagen in den Verwaltungsvorgängen am 29. Januar 2020 erfolgt.
33Ferner hat der Beklagte den Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung verfahrensfehlerfrei ermittelt. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 AO-SF beauftragt die Schulaufsichtsbehörde zur Ermittlung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung eine sonderpädagogische Lehrkraft und eine Lehrkraft der allgemeinen Schule damit, die Art und den Umfang der notwendigen Förderung unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Schülers festzustellen und in einem gemeinsamen Gutachten darzustellen. Entsprechend dieser Vorgaben hat der Beklagte, wie sich aus einem Mitteilungsschreiben an die Klägerin vom 28. Mai 2020 bzw. einem Informationsschreiben an die Schulleitung der I. Schule (Förderschule) - im Folgenden: Förderschule - vom 28. Mai 2020 ergibt, mit der Erstellung eines entsprechenden Gutachtens zum einen Frau F. als sonderpädagogische Lehrkraft der Förderschule und zum anderen eine Lehrkraft der OGGS S. beauftragt. Dass der Beklagte als Lehrkräfte der Regelschule zunächst Frau G. bzw. Herrn H. benannt hat, an dem Gutachten dann aber Herr N. von der Grundschule E. mitgewirkt hat, ist nicht zu beanstanden. Zum einen ist es rechtlich zulässig, die Auswahl der konkreten Lehrkräfte den betreffenden Schulen zu überlassen.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2020 – 19 A 2839/19 –, juris, Rn. 43.
35Zum anderen ist es rechtlich unbedenklich, auch weitere Lehrkräfte in die Erstellung des sonderpädagogischen Gutachtens einzuschalten. Dies gilt jedenfalls – wie vorliegend – im Falle eines Schulwechsels.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. November 2020 – 19 B 44/20 –, n.v., S. 3 des Beschlussabdrucks .
37Insoweit beruht die Einbindung von Herrn N. auf dem Umstand, dass die Tochter der Klägerin zum Beginn des Schuljahres 2020/21 von der OGGS S. zu der Grundschule E. gewechselt ist und das pädagogische Gutachten zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung auf einem Zeitpunkt nach diesem Wechsel, nämlich den 2. November 2020, datiert.
38Nicht in Zweifel steht ferner, dass es sich bei dem erstellten Gutachten vom 2. November 2020 um ein gemeinsames Gutachten im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 AO-SF handelt. Denn sowohl Frau F. als auch Herr N. sind in dem Gutachten als Gutachter aufgeführt und haben dieses unterschrieben. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin – wie sie vorträgt – nicht ordnungsgemäß am Verfahren zur Feststellung eines etwaigen sonderpädagogischen Förderbedarfs beteiligt worden ist. Neben der oben bereits genannten Mitteilung über die Antragstellung sind insbesondere die Vorgaben des § 13 Abs. 2 Satz 1 AO-SF gewahrt. Danach laden die beauftragten Lehrkräfte die Eltern während der Erstellung des Gutachtens zu einem Gespräch ein. Ein solches Elterngespräch hat ausweislich der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Dokumentation am 28. Oktober 2020 in Anwesenheit der Klägerin, eines Übersetzers sowie eines Sozialarbeiters stattgefunden. Dieses Gespräch ist gleichzeitig als Anhörung gemäß § 28 VwVfG NRW anzusehen. Insbesondere wurde der Gutachtervorschlag bekannt gegeben. Ein weiteres Gespräch mit der Schulaufsicht lehnte die Klägerin bei dieser Gelegenheit ab.
39Der Bescheid der Beklagten vom 18. November 2020 ist unter Anlegung des im Prozesskostenhilfeverfahren relevanten Maßstabs auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.
40Nach § 19 Abs. 1 SchulG NRW werden Schülerinnen und Schüler, die auf Grund einer Behinderung oder wegen einer Lern- oder Entwicklungsstörung besondere Unterstützung benötigen, nach ihrem individuellen Bedarf sonderpädagogisch gefördert. Die Voraussetzungen und das Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und zur Festlegung des Förderschwerpunkts und des Förderorts werden gemäß § 19 Abs. 8 SchulG NRW durch Rechtsverordnung bestimmt. Hieran anknüpfend bestimmt § 3 Nr. 1 AO-SF, dass u.a. Lern- und Entwicklungsstörungen einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung begründen können. Lern- und Entwicklungsstörungen sind erhebliche Beeinträchtigungen im Lernen, in der Sprache sowie in der emotionalen und sozialen Entwicklung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AO-SF). Ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen besteht, wenn die Lern- und Leistungsausfälle schwerwiegender, umfänglicher und langdauernder Art sind (§ 4 Abs. 2 AO-SF). Die Feststellung, ob ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf besteht, beurteilt sich nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen grundsätzlich nach dem in der Schule gezeigten Lern- und Leistungsverhalten des Schülers und seinem sonstigen Verhalten sowie seiner Gesamtpersönlichkeit,
41vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 30. Juli 2010 – 19 A 1759/09 –, juris, Rn. 7 m.w.N.,
42wobei zur Beurteilung dieser Frage u.a. ein sonderpädagogisches Gutachten eingeholt wird (§ 19 Abs. 5 Satz 2 SchulG NRW),
43OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2009 – 19 E 1256/08 –, juris, Rn. 11.
44Ist ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf gegeben, stellt die zuständige Schulaufsichtsbehörde dies nach § 14 Abs. 1 AO-SF fest und entscheidet zugleich über den Förderschwerpunkt und die Notwendigkeit zieldifferenter Förderung.
45Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung des Beklagten, dass bei N. ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf mit dem Förderschwerpunkt Lernen besteht, nicht zu beanstanden. Bei der Tochter der Klägerin liegen Lern- und Leistungsausfälle sowohl schwerwiegender als auch umfänglicher und langdauernder Art vor.
46Ausweislich des Antrags zur Feststellung des Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung stellt sich die Lernentwicklung bei N. bereits seit mehreren Jahren als problematisch dar. Bereits im Juli 2017 sei ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Lernen festgestellt worden, der jedoch nach Widerspruch durch die Klägerin im Dezember 2019 probeweise aufgehoben worden sei. Seitdem sei N. zielgleich gefördert worden. Dennoch habe sie nur minimale individuelle Fortschritte machen können und die Lernziele der jeweiligen Klassenstufen nicht erreichen können. Mit Blick auf ihre Basiskompetenzen könne sie akustische Reize nicht adäquat aufnehmen und verarbeiten. Ihre Hör-Gedächtnisspanne sei äußerst kurz. Sie verfüge über einen sehr geringen deutschen Wortschatz. Auch im passiven Wortschatz/Sprachverständnis zeigten sich deutliche Einschränkungen. Ferner zeigten sich im Bereich Kognition deutliche Beeinträchtigungen, die sich nachhaltig auf den schulischen Lernerfolg auswirkten. So falle es der Tochter der Klägerin schwer, Zusammenhänge zu erkennen. Sie könne Unterrichtsinhalte in der Regel kognitiv nicht erfassen sowie Sachverhalte und Informationen nicht altersgerecht aufnehmen und kategorisieren.
47Diese danach bereits länger andauernde Problematik beruht ferner auf einer im oben genannten Sinn schwerwiegenden und umfänglichen Beeinträchtigung. Insoweit haben die im Rahmen der Erstellung des pädagogischen Gutachtens durchgeführten Testungen im Bereich der kognitiven und intellektuellen Fähigkeiten unterdurchschnittliche bzw. weit unterdurchschnittliche Werte ergeben. Das gilt namentlich für die Skalen Sequenziell (Erfassung kognitiver Prozesse, die auf der Kodierung und intellektuellen Verarbeitung aufgenommener Informationen in sequenzieller bzw. serieller Form basieren), Simultan (Erfassung intellektueller Prozesse, die auf der Simultanverarbeitung und räumlichen Integration aufgenommener Informationen basieren), Lernen (Erfassung u.a. von Prozessen der Aufmerksamkeit, der Kodierung und Speicherung neuer Informationen) sowie Planung (Erfassung der Fähigkeit zur Analyse, Planung und Organisation von Verhaltensschemata). (Auch) im Bereich des intellektuellen Verarbeitungsindex, der das zusammenfassende Maß für die intellektuellen Verarbeitungsprozesse darstellt, erzielte die Tochter der Klägerin ein weit unterdurchschnittliches Ergebnis. Während der Verhaltensbeobachtung im Unterricht habe sich N. wenig aktiv gezeigt und eher unbeteiligt gewirkt. Sie habe trotz offensichtlicher Schwierigkeiten mit der Bearbeitung einer Aufgabenstellung keine Hilfe eingefordert. Im Bereich des rechnerischen Denkens habe beobachtet werden können, dass die Tochter der Klägerin noch mit Fingern rechne und Schwierigkeiten mit der Bearbeitung von Aufgaben habe, die einen Zehnerübergang beinhalten. Ferner habe sie das Prinzip des Rundens noch nicht verinnerlicht. Eine diesbezügliche Aufgabe, die zudem die schriftliche Addition zum Gegenstand gehabt habe, habe N. trotz Hilfestellung durch die Lehrpersonen nicht korrekt bearbeiten können. Im Bereich Deutsch sei beobachtet worden, dass sie entgegen der vorgegebenen Aufgabenstellung andere Bearbeitungsmethoden angewandt habe.
48Dieses Lern- und Leistungsverhalten zugrundegelegt, kommt das sonderpädagogische Gutachten unter Berücksichtigung des sonstigen Verhaltens sowie der Gesamtpersönlichkeit der Tochter der Klägerin in nicht zu beanstandender Art und Weise zu dem Schluss, bei N. bestehe ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Lernen. Insbesondere ist in Anbetracht dieser Darlegungen nicht – wie die Klägerin anführt – ersichtlich, dass die Feststellung des Förderbedarfs allein auf die Verfehlung der Lernziele eines Jahres bzw. eine Versetzungsgefährdung gestützt wird. Angesichts der Dauerhaftigkeit der Lernprobleme und der bereits erfolgten Förderung ist entgegen der Ausführungen der Klägerin auch nicht die Prognose gerechtfertigt, N. entwickle sich allein mit normalem Nachhilfeunterricht stetig zu besseren Leistungen.
49Erweist sich die im Bescheid vom 18. November 2020 getroffene Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs mit dem Förderschwerpunkt Lernen bei Anlegung des im vorliegenden Verfahren relevanten Maßstabs danach als rechtmäßig, gilt Gleiches für die Festlegung einer zieldifferenten Förderung. Denn im Falle des Förderschwerpunkts Lernen besteht bereits kraft Gesetzes nicht die Möglichkeit einer zielgleichen Förderung. Gemäß § 12 Abs. 4 SchulG NRW werden Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, die nicht nach den Unterrichtsvorgaben der allgemeinen Schulen unterrichtet werden (zieldifferent), zu eigenen Abschlüssen geführt. Eine solche zieldifferente Unterrichtung erfolgt nach § 19 Abs. 4 SchulG NRW für die Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Lernen und dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung (ausschließlich). Entsprechend bestimmt § 29 AO-SF, dass der Unterricht im Förderschwerpunkt Lernen zum Abschluss des Bildungsgangs Lernen führt.
50Diese Ausführungen erweisen sich ebenso wie diejenigen im Beschluss des OVG NRW vom 6. September 2021 – 19 E 678/21 – als weiterhin zutreffend und sind auch unter Anlegung des in einem Klageverfahren relevanten Prüfungsmaßstabs geeignet, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu begründen. Nach Ergehen des Beschlusses im Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat die Klägerin keine – den hier angefochtenen Bescheid betreffenden – Umstände vorgetragen, die eine abweichende Einschätzung gebieten. Solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
51Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist nach § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO erfolgt.
52Rechtsmittelbelehrung:
53Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
54Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
55Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
56Die Berufung ist nur zuzulassen,
571. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
582. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
593. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
604. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
615. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
62Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
63Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
64Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
65Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
66Beschluss:
67Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
68Gründe:
69Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.
70Rechtsmittelbelehrung:
71Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
72Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
73Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
74Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
75Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
76War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.