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§ 26 AsylG setzt voraus, dass dem Stammberechtigten der internationale Schutz durch die Bundesrepublik Deutschland gewährt wurde. Die Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist nicht hinreichend.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand und Entscheidungsgründe:
2A. Das Verfahren war zunächst nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens 17 K 4350/20.A – dem Verfahren der Eltern der Kläger gerichtet auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft – gemäß § 94 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auszusetzen. Die Ablehnung einer Aussetzung muss nicht in Form eines gesonderten Beschlusses ergehen, sondern kann zusammen mit der abschließenden Sachentscheidung erfolgen,
3BVerwG, Beschluss vom 15. April 1983 – 1 B 133.82 –, juris Rn. 5; Peters/Schwarzburg, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 94 Rn. 22 m.w.N.
4Nach § 94 VwGO kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Entscheidung, ob das Verfahren ausgesetzt wird, liegt im richterlichen Ermessen, wobei das Gericht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung grundsätzlich selbst entscheidet, ob es die vorgreifliche Frage (ggf. inzident) selbst entscheidet oder das Verfahren aussetzt. Bei der Ausübung des Ermessens sind auf der einen Seite das Interesse an zügiger effektiver Rechtsgewähr und auf der anderen Seite die an Entscheidungsharmonie und Prozessökonomie orientierten Zwecksetzungen der Regelung zu berücksichtigen,
5vgl. VG Bremen, Urteil vom 23. Juni 2022 ‒ 5 K 630/21 ‒, juris Rn. 18 m.w.N.; Peters/Schwarzburg, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 94 Rn. 15 f.
6Gemessen daran übt das Gericht das Ermessen dahingehend aus, dass im hier gegebenen Fall das Interesse an einer zügigen und effektiven Rechtsgewähr höher zu gewichten ist, als das im Wesentlichen prozessökonomische Interesse der Kläger, im Fall einer für sie positiven Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung ihrer Eltern von dem möglichen Erfordernis eines erneuten Asyl(folge)antrags verschont zu bleiben. Maßgeblich für das Überwiegen des Interesses an einer zügigen und effektiven Rechtsgewähr sind die bereits erhebliche Verfahrensdauer von über zwei Jahren, der Beschleunigungsgrundsatz und der Umstand, dass das erstinstanzliche Verfahren der Eltern ohne Erfolg geblieben ist.
7Eine Aussetzung des Verfahrens war angesichts dessen nicht geboten.
8B. Die Klage der nach eigenen Angaben die syrische Staatsangehörigkeit innehabenden Kläger mit dem Antrag,
9die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung der Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2020 in Bezug auf den Kläger zu 1. und vom 11. November 2020 hinsichtlich des Klägers zu 2. zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
10ist unbegründet.
11Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz (AsylG)) keinen Anspruch auf eine Verpflichtung des Bundesamtes in dem beantragten Umfange (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt den tragenden Feststellungen und der im Wesentlichen zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
12Es ist lediglich Folgendes hinzuzufügen:
13Soweit die Kläger für sich die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 26 AsylG daraus ableiten, dass ihren Eltern durch griechische Behörden die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, können sie damit nicht durchdringen. § 26 AsylG setzt eine Schutzgewährung durch die Beklagte voraus.
14I. Die Anerkennung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Staat hat weder völkerrechtlich (1.) noch unionsrechtlich (2.) bzw. nationalrechtlich (3.) insoweit eine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland und ist mit einer Statusentscheidung durch deutsche Behörden nicht vergleichbar.
151. Die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungsentscheidung eines anderen vor,
16vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. November 1979 – 1 BvR 654/79 – juris Rn. 20 ff.; BVerwG, Urteil vom 29. April 1971 – I C 42.67 – juris Rn. 10 ff.
172. Eine solche Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Dieses ermächtigt zwar nach Art. 78 Abs. 2 lit. a) und b) AEUV zu Gesetzgebungsmaßnahmen, die einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus und einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige regeln. Die maßgebliche Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikations-RL) sieht eine in der ganzen Union gültige Statusentscheidung jedoch nicht vor (vgl. etwa Erwägungsgrund 12 der Richtlinie, wonach sie lediglich bezweckt, dass schutzberechtigten Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird).
18Entgegen der klägerischen Auffassung werden durch die Durchführung eines neuen nationalen Verfahrens auch nicht die europarechtlichen Vorgaben zum Erlöschen von Zuerkennungen internationalen Schutzes aus Art. 11 und 16 Qualifikations-RL unterlaufen. Denn die Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat wirkt – wie soeben dargestellt – nicht wie eine Schutzgewährung durch nationale Behörden. Gerade weil sie keine Bindungswirkung entfaltet, muss sie vor einer Entscheidung im Rahmen eines neuen nationalen Asylverfahrens nicht aufgehoben werden.
193. In Deutschland genießen im Ausland anerkannte Flüchtlinge lediglich den gleichen Abschiebungsschutz wie die im Inland anerkannten, ohne dass ein erneutes Anerkennungsverfahren durchgeführt wird. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ordnet das nationale Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an. Es besteht aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG) oder eine hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland,
20vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7.13 –, juris Rn. 29 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 30. März 2021 – 1 C 41.20 –, juris Rn. 32; das deutsche Recht insoweit nicht beanstandend EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 und 541/17 –, juris Rn. 42; ferner VG Düsseldorf, Urteil vom 4. August 2021 – 16 K 1148/21.A –, juris Rn. 39; ausführlich VG Minden, Urteil vom 2. März 2022 – 1 K 194/21.A –, Rn. 29; VG Ansbach, Urteil vom 17. März 2020 – AN 17 K 18.50394 –, juris Rn. 22; VG Göttingen, Urteil vom 18. August 2021 – 2 A 74/21 –, juris Rn. 30; VG Cottbus, Urteil vom 18. August 2021 – 5 K 243/21.A –, juris Rn. 29; VG Aachen, Urteil vom 3. Juni 2022 – 10 K 2844/20.A –, juris Rn. 36, VG Aachen, Urteil vom 9. Juni 2021 – 1 K 1646/20.A –, juris Rn. 24.
21Wenn aber schon keine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland besteht, die Statusentscheidung eines anderen Staates nachzuvollziehen, so gibt es erst recht keine Verpflichtung, den Familienangehörigen der Ausländer, die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge anerkannt worden sind, einen internationalen Schutzstatus zu gewähren,
22so auch VG Karlsruhe, Urteil vom 6. August 2020 – A 4 K 1897/20 –, juris Rn. 45.
23II. Zudem folgt aus dem Vorstehenden, dass es einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung bedarf, wie sie etwa in § 60 Abs. 1 Sätze 2 und 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG erfolgt, damit ausländischen Entscheidungen im Inland binden. Ausländische Zuerkennungen internationalen Schutzes außerhalb des § 60 Abs. 1 Satz AufenthG, also auch im Rahmen des § 26 AsylG, bleiben mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung daher unbeachtlich.
24III. Gegen die Anwendung des § 26 AsylG auf ausländische Zuerkennungen sprechen zudem weitere Gründe. Sinn des § 26 AsylG ist eine gleichsam automatische Erstreckung des Status des Stammberechtigten auf die Familienangehörigen,
25vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 26 Rn. 5.
26Die Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) diente der Umsetzung von Artikel 23 Absatz 2 dieser Richtlinie. Nach § 23 Abs. 1 der Richtlinie tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Daran anknüpfend heißt es in der Gesetzesbegründung: „Die Richtlinienvorschrift sieht vor, dass Familienangehörige eines international Schutzberechtigten Anspruch auf die gleichen Rechte haben wie der Schutzberechtigte selbst (Stammberechtigte), wenn sie sich in Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz im Mitgliedstaat aufhalten“,
27BT-Drs. 17/13063 S. 21.
28Daraus folgt, dass nur derjenige Staat, der über die Stammberechtigung befunden hat, auch für die akzessorischen Ansprüche zuständig ist.
29IV. Im Rahmen des familiären Flüchtlingsschutzes an Statusentscheidungen anderer Mitgliedsstaaten anzuknüpfen, widerspräche weiter dem Zweck der durch § 26 AsylG angestrebten Verfahrensvereinfachung und der damit einhergehenden Entlastungswirkung. Dem liefe es zuwider, wenn die Gerichte gehalten wären, generell die – meist schwierigeren – Widerrufsvoraussetzungen bei dem Stammberechtigten zu prüfen,
30vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2006 – 1 C 8.05 –, juris Rn. 19; VG Cottbus, Urteil vom 18. August 2021 – 5 K 243/21.A –, juris Rn. 30.
31Das Gleiche gilt für die Ermittlung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten, denn auch hier wäre – anders als bei Verfahren „in einer Hand“ – ggf. aufwändig zu ermitteln, ob diese bestands- oder rechtskräftig geworden sind (und noch sind). Auch dies spricht vielmehr dafür, dass für die Umsetzung der Rechte aus Art. 23 Abs. 2 der Qualifikations-RL nur der für die Grundentscheidung zuständige Mitgliedstaat verantwortlich ist. Eine an die Zuerkennung subsidiären Schutzes für die Familienangehörigen anknüpfende Rechtsstellung kann die Klägerin somit nur in Griechenland erlangen,
32vgl. ebenso VG Cottbus, Urteil vom 18. August 2021 – 5 K 243/21.A –, juris Rn. 31; VG Berlin, Gerichtsbescheid vom 15. November 2017 – 33 K 275.14 A –, juris Rn. 14.
33C. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung. Der Gegenstandswert richtet sich nach § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
34Rechtsmittelbelehrung:
35Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung beantragt werden. Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster.
36Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
371. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
382. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
393. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
40Der Antrag ist schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
41Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
42In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
43Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
44Die Antragsschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.