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Der Antrag wird – einschließlich des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe – abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
2Die Zuständigkeit der Einzelrichterin für die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergibt sich aus § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
3Der am 21. Dezember 2021 sinngemäß gestellte Antrag,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 8662/21.A gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 9. Dezember 2021 anzuordnen,
5hat keinen Erfolg.
6Der Antrag ist zwar zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Die Antragstellerin hat auch die Wochenfrist zur Stellung des Antrages gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eingehalten. Denn der in der Hauptsache angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ist ihr am 15. Dezember 2021 durch Aushändigung zugestellt worden.
7Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides vom 9. Dezember 2021 nach § 80 Abs. 5 VwGO liegen nicht vor.
8Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag im Rahmen einer eigenen Ermessensentscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das bezüglich der Abschiebungsanordnung durch § 75 AsylG gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt. Die dabei vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich – wenn auch nicht ausschließlich – an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei der im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen.
9Vgl. zu diesem Maßstab: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. August 2016 – 12 L 2625/16.A –, juris, Rn. 7, und vom 7. Dezember 2015 – 12 L 3592/15.A –, juris, Rn. 5.
10Die Interessenabwägung fällt hier zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn die Anordnung ihrer Abschiebung nach Bulgarien auf der Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides begegnet bei Anlegung dieses Maßstabes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
11Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
12Der von der Antragstellerin gestellte Asylantrag ist unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (Dublin III-Verordnung; ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
13Die Zuständigkeit richtet sich dabei im Fall eines – hier gegebenen –Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 23 ff. Dublin III-Verordnung nicht nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung, sondern ist anhand der Voraussetzungen der Art. 20 Abs. 5 oder Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b) bis d) Dublin III-Verordnung zu bestimmen.
14Vgl. EuGH, Urteil vom 2. April 2019 – C-582/17 und C-583/17 –, juris, Rn. 58 ff.
15Danach ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) Dublin III-Verordnung Bulgarien für die Prüfung des Asylantrages der Antragstellerin zuständig. Nach dieser Norm ist der zu-ständige Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-Verordnung wieder aufzunehmen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Antragstellerin hat ausweislich eines in den Verwaltungsvorgängen befindlichen EURODAC-Treffers (BG1BR109C2108200016) am 20. August 2021 in Bulgarien einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt. Dementsprechend hat auch sie selbst gegenüber dem Bundesamt angegeben, sie habe in Bulgarien – nach ihrer Schilderung unfreiwillig – Asyl beantragt.
16Die bulgarische Dublin-Einheit hat auf das fristgerecht gestellte (vgl. Art. 23 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-Verordnung) Wiederaufnahmegesuch des Bundesamtes vom 9. November 2021 nicht geantwortet. Es ist damit im Sinne des Art. 25 Abs. 2 Dublin III-Verordnung davon auszugehen, dass dem Gesuch stattgegeben worden ist.
17Die Zuständigkeit Bulgariens ist nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach dieser Vorschrift gilt: Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist war zum Zeitpunkt der Stellung des vorliegenden Antrages noch nicht abgelaufen und ist seitdem unterbrochen. Denn die Frist wird bei einem rechtzeitigen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes unterbrochen (§ 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG) und erst mit dem ablehnenden Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erneut in Lauf gesetzt.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 – 1 C 15/15 –, juris, Rn. 11; OVG NRW, Urteil vom 7. Juli 2016 – 13 A 2238/15.A –, juris, Rn. 24 ff.
19Ferner ergibt sich eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht aus Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 Dublin III-Verordnung. Nach diesen Vorschriften gilt: Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
20In Bezug auf Bulgarien liegen derzeit keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende in der Situation der Antragstellerin systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.
21Für die Beantwortung der Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta vorliegt, gelten folgende Maßstäbe:
22Im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gilt – auf Grundlage des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten – die Vermutung, dass die Behandlung der Antragsteller und Schutzberechtigten in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, sodass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Antragsteller oder Schutzberechtigte bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.
23Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 82 f. und 87 bis 89, und vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. –, juris, Rn. 83 ff.
24Die Überstellung eines Antragstellers oder Schutzberechtigten in einen Mitgliedstaat ist in all jenen Situationen ausgeschlossen, in denen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass er bei seiner Überstellung oder infolge seiner Überstellung einem ernsthaften Risiko ausgesetzt ist, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta zu erfahren.
25Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 98, und vom 19. März 2019 – C-297/17 –, juris, Rn. 87 f., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 –, juris, Rn. 39; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 2 BvR 1380/19 –, juris, Rn. 15.
26Für die Anwendung von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta ist es gleichgültig, ob es zu diesem Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung der betreffenden Person zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss kommt.
27Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 88.
28Insoweit ist das zuständige Gericht verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen. Derartige Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 der EU-Grundrechtecharta, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
29Vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 87 ff., und vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. –, juris, Rn. 87 ff., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 –, juris, Rn. 39.
30Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs können systemische Mängel in diesem Sinne erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Art. 4 der EU‑Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch, vorliegen. Diese müssen aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein, ihm also nicht unbekannt sein können.
31Vgl. EuGH, Urteile vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, vom 14. November 2013 – C-4/11 –, juris, Rn. 33 ff., und vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, juris, Rn. 9.
32Große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person reichen nicht aus, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind. Das Fehlen familiärer Solidarität ist keine ausreichende Grundlage für die Feststellung einer Situation extremer materieller Not. Auch Mängel bei der Durchführung von Programmen zur Integration von Schutzberechtigten reichen für einen Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta nicht aus. Schließlich kann der bloße Umstand, dass im ersuchenden Mitgliedstaat die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als im normalerweise zuständigen Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung tatsächlich der Gefahr ausgesetzt ist, eine gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta verstoßende Behandlung zu erfahren.
33Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 93 f. und 96 f., und Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 –, juris, Rn. 39.
34Ein Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta liegt daher erst vor, wenn die elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigt werden können, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen („Bett, Brot, Seife“).
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 –, juris, Rn. 12 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris, Rn. 44; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19 –, juris, Rn. 5.
36Der Verstoß gegen Art. 4 der EU-Grundrechtecharta muss unabhängig vom Willen des Betroffenen drohen, liegt mithin nicht vor, wenn der Betroffene nicht den Versuch unternimmt, sich unter Zuhilfenahme der bescheidenen Möglichkeiten und gegebenenfalls unter Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes eine Existenz aufzubauen.
37Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris, Rn. 47; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 –, juris, Rn. 134 f.
38Nach diesen Vorgaben ist in Bezug auf Bulgarien nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass der Antragstellerin im Falle ihrer Überstellung in dieses Land eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung im eben beschriebenen Sinne droht.
39Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigen könnten, dass in Bulgarien für Dublin-Rückkehrer, die – wie die Antragstellerin – keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne von Art. 20 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie angehören, generell systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen bestehen.
40Ebenso VG Aachen, Urteil vom 15. April 2021 – 8 K 2760/18.A –, juris, Rn. 43 ff.
41Es besteht kein Anlass für die Annahme, das Asylverfahren in Bulgarien leide an systemischen Mängeln. Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben grundsätzlich Zugang zum Asylverfahren; ihr Asylverfahren wird nach der Überstellung regelmäßig eingeleitet bzw. wieder aufgenommen. Dabei wird je nach Verfahrensstand unterschieden: Eine Person, die in Bulgarien noch keinen Asylantrag gestellt hat, hat die Möglichkeit, einen Erstantrag zu stellen. Bei Dublin-Rückkehrern, die in Bulgarien bereits einen Asylantrag gestellt haben, der ohne inhaltliche Prüfung abgeschlossen wurde, wird das Verfahren automatisch wieder eröffnet. Wurde das Asylgesuch auf der Grundlage einer inhaltlichen Prüfung abgewiesen, besteht die Möglichkeit, erneut einen Asylantrag zu stellen. Dieser Antrag wird als Folgeantrag betrachtet und ist nur zulässig, wenn er neue Elemente enthält. Wird der Folgeantrag für zulässig erklärt, was in der Praxis selten der Fall ist, wird der Antrag im regulären Verfahren geprüft. Eine Prüfung im regulären Verfahren erfolgt auch dann, wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit nicht innerhalb von 14 Tagen ergeht.
42Vgl. Asylum Information Database (aida), Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 33 f., abrufbar unter: https://asylumineurope.org/wp-content/uploads/2021/02/AIDA-BG_2020update.pdf; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 4 ff.; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2020, S. 1 f.
43Die Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer sind abhängig vom Verfahrensstand. Die Migrationsbehörde (SAR) informiert die Grenzpolizei über die voraussichtliche Ankunft und gibt an, ob der Rückkehrer in ein Asylaufnahmezentrum oder in ein Zentrum für die vorübergehende Unterbringung vor der Abschiebung (SCTAF) zu überstellen ist. Wer sich in einem laufenden Asylverfahren befindet, wird in ein Aufnahmezentrum der SAR gebracht. Eine Person, die noch keinen Asylantrag in Bulgarien gestellt hat, kann bei der Ankunft in ein Schubhaftzentrum gebracht werden. Nach Asylantragstellung wird sie jedoch in ein Zentrum der SAR überstellt. Auch Personen, deren Verfahren wiedereröffnet wurde, werden in ein Aufnahmezentrum gebracht. Personen, deren Asylantrag bereits inhaltlich geprüft und abgewiesen wurde, werden in einem geschlossenen Zentrum untergebracht. Während des anschließenden Zulässigkeitsverfahrens kommt es darauf an, ob der asylsuchenden Person die negative Erstentscheidung vor deren Ausreise aus Bulgarien zugestellt worden ist oder nicht. Ist Letzteres der Fall, wird sie einem Aufnahmezentrum zugewiesen. Wurde die Entscheidung der asylsuchenden Person allerdings vor deren Ausreise aus Bulgarien bereits zugestellt und nicht innerhalb der Frist angefochten, wird sie inhaftiert. Die Haft kann während des Zulässigkeitsverfahrens andauern. Auch wenn dies nicht der Fall ist, werden die Betroffenen jedoch keinem regulären Aufnahmezentrum zugewiesen und haben auch keinen Anspruch auf Verpflegung, Unterkunft oder Sozialhilfe.
44Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 54; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 8 ff.
45Auf Grundlage dieser Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien als Dublin-Rückkehrerin behandelt werden wird, die bereits einen Asylantrag gestellt hat, deren Asylverfahren aber noch nicht inhaltlich bestandskräftig negativ abgeschlossen ist. Sie hat in Bulgarien am 20. August 2021 einen Asylantrag gestellt. In der Anhörung zur Zulässigkeit ihres Asylantrages vor dem Bundesamt hat sie angegeben, sie habe in Bulgarien noch keine Anhörung zu ihren Asylgründen gehabt. Auch habe sie keinen Bescheid bekommen, da sie direkt nach der Abgabe der Fingerabdrücke geflohen seien; sie hätten sich lediglich für etwa 35 Tage in Bulgarien aufgehalten. Wird dies sowie die Tatsache zu Grunde gelegt, dass die Antragstellerin bereits am 30. Juni 2021 beim illegalen Grenzübertritt aufgegriffen worden ist (EURODAC-Treffer BG2BR218C2107300001), hat sie das Land spätestens zwei Wochen nach der Stellung ihres Asylantrages ohne Asylanhörung verlassen. Es ist damit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit noch keine inhaltliche Entscheidung über ihren Asylantrag ergangen; sie wird deshalb nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien nicht als Folgeantragstellerin behandelt werden.
46Vor diesem Hintergrund ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Antragstellerin nach ihrer Überstellung nach Bulgarien dort inhaftiert werden wird. In rechtlicher Hinsicht existieren in Bulgarien drei verschiedene Formen der Inhaftierung von Asylsuchenden: Eine kurzzeitige Inhaftierung von bis zu 30 Tagen direkt nach dem Aufgriff, die sogenannte Asylhaft und die reguläre Abschiebehaft. Da die bereits nach ihrer Ankunft in Bulgarien registrierte Antragstellerin dort nicht als Folgeantragstellerin behandelt und damit nicht in Abschiebehaft genommen werden dürfte, kommt für sie nur die Asylhaft in Betracht. Zur Durchführung ihres Asylverfahrens inhaftiert waren im Jahr 2020 aber lediglich neun Personen. Haftgründe waren die Bestätigung der Identität oder Nationalität sowie der Schutz der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung.
47Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 65 ff.; Bordermonitoring.eu: Get Out! Zur Situation von Geflüchteten in Bulgarien, Juni 2020, S. 33 ff.; ebenso VG Aachen, Urteil vom 15. April 2021 – 8 K 2760/18.A –, juris, Rn. 271.
48Die Antragstellerin wird nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien – nach automatisch erfolgender Wiedereröffnung ihres Asylverfahrens – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in einem Aufnahmezentrum der SAR untergebracht und versorgt werden können. Soweit dementgegen an zwei Stellen des aktuellen aida-Berichtes zu Bulgarien ausgeführt wird, dass Dublin-Rückkehrern der Zugang zu den Aufnahmeeinrichtungen verweigert werde,
49vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 55, 58,
50steht dies im Widerspruch zu Aussagen an anderen Stellen des Berichtes und der übrigen Erkenntnislage. Hiernach waren Dublin-Rückkehrer, für die das Verfahren fortgesetzt worden ist, auf Wunsch in der Regel in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber untergebracht. Auch der UNHCR habe in letzter Zeit keine Fälle beobachtet, in denen Dublin-Rückkehrern der Zugang zu den Aufnahmezentren verweigert worden sei.
51Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 54; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 8.
52Soweit einschränkend ergänzt wird, eine Zugangsverweigerung könne grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, wenn die Zentren ihre volle Kapazität erreichten,
53vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 8,
54ist dieser Fall zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht gegeben. So waren Ende des Jahres 2020 von insgesamt 5.160 Unterbringungsplätzen lediglich 1.032 belegt.
55Zu Letzterem aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 57.
56Es bestehen mithin deutliche Überkapazitäten, sodass nach Bulgarien zurückkehrenden Asylbewerbern, deren Asylverfahren noch nicht bestandskräftig negativ inhaltlich abgeschlossen ist, aktuell nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit droht.
57Ebenso VG Aachen, Urteil vom 15. April 2021 – 8 K 2760/18.A –, juris, Rn. 253 ff.
58Sollte einem Rückkehrer in einem Einzelfall trotz vorhandener Kapazitäten die Aufnahme in die Einrichtungen der SAR verweigert werden, kann dieser zudem binnen sieben Tagen um Rechtsschutz nachsuchen.
59Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 16.
60Die Länge des Aufenthaltes in den Aufnahmezentren ist von Gesetzes wegen nicht begrenzt, insbesondere können Asylbewerber auch während ihrer Gerichtsverfahren nach einer negativen Entscheidung durch die SAR in diesen verbleiben.
61Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 59.
62Asylbewerber haben während des Asylverfahrens einen gesetzlichen Anspruch auf materielle Versorgung. Mit Erhalt der Asylbewerberkarte, welche die Verfahrensidentität bestätigt, entstehen die Rechte auf Aufenthalt in Bulgarien, Unterbringung und Versorgung, Krankenversicherung, medizinische Versorgung und psychologische Versorgung sowie Bildung.
63Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 14 ff.
64Die Lebensbedingungen in den Aufnahmezentren der SAR sind überwiegend ärmlich, jedoch zumindest für nicht besonders schutzbedürftige Personen nicht menschenunwürdig. Es werden – wenn auch auf sehr einfachem Standard – die elementarsten Grundbedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) gewährleistet.
65So auch VG Aachen, Urteil vom 15. April 2021 – 8 K 2760/18.A –, juris, Rn. 253 ff.
66Bulgarien verfügt über Unterbringungszentren in Sofia, Banya und Pastrogor sowie Harmanli. Die Asylbewerber werden dort mit Lebensmitteln – täglich drei Mahlzeiten – versorgt. Die Aufnahme- und Unterbringungsbedingungen, einschließlich der Verpflegung der Asylbewerber, sind nach wie vor inadäquat, obwohl die Zahl der nach Bulgarien einreisenden Personen deutlich zurückgegangen ist. Die Lebensbedingungen in den staatlichen Aufnahmezentren bis auf in Vrazhdebna und in der Sicherheitszone für unbegleitete Minderjährige in Voenna Rampa sind trotz der von der SAR regelmäßig durchgeführten Teilrenovierungen nach wie vor schlecht und liegen unter den Mindeststandards oder erfüllen diese knapp, vor allem in Bezug auf die sanitären Anlagen. Darüber hinaus beklagten sich die Bewohner aller Aufnahmezentren außer in Vrazhdebna über die insgesamt schlechten hygienischen Umstände. Asylbewerber können mit Erlaubnis auf eigene Kosten auch außerhalb eines Zentrums leben, verlieren dann aber das Recht auf Unterbringung und soziale Unterstützung.
67Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 57 ff.; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 15 ff.
68Asylbewerber in Bulgarien haben nach wie vor Zugang zu medizinischer Versorgung im selben Ausmaß wie bulgarische Staatsbürger. Dies gilt uneingeschränkt auch für solche Dublin-Rückkehrer, die Bulgarien seit 2019 verlassen haben. Die Leistung umfasst auch den Zugang zu psychologischer bzw. psychiatrischer Versorgung. Asylbewerber, die sich für eine Unterkunft außerhalb der Aufnahmezentren entscheiden oder denen keine Unterkunft gewährt wird, haben keinen Zugang zu psychologischer Unterstützung. Der Zugang zu medizinischer Grundversorgung ist ansonsten unabhängig vom Wohnort der Asylbewerber gewährleistet. Die SAR ist gesetzlich verpflichtet, für die Krankenversicherung der Asylbewerber zu sorgen. Medizinische Grundversorgung ist in den Unterbringungszentren gegeben, und zwar entweder durch eigenes medizinisches Personal oder Nutzung der Notaufnahmen lokaler Hospitäler. Alle Zentren verfügen über medizinische Behandlungsräume.
69Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 17 f.; aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 61 f.
70Falls das Asylverfahren aus objektiven Umständen länger als drei Monate dauert, haben die Asylbewerber noch während des Asylverfahrens Zugang zum Arbeitsmarkt. Die dann auszustellende Arbeitserlaubnis ermöglicht den Zugang zu allen Arten von Beschäftigung und Sozialleistungen, einschließlich Unterstützung im Fall der Arbeitslosigkeit. Asylsuchende haben nach dem Gesetz auch Zugang zur Berufsausbildung. Im Jahr 2020 wurden 123 Arbeitserlaubnisse für Asylbewerber im laufenden Verfahren erteilt; 25 Personen haben danach eine Beschäftigung angenommen.
71Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 59 f.; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 15.
72Wenngleich Bulgarien hinsichtlich der dargestellten Aufnahmebedingungen möglicherweise hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt, rechtfertigt dies angesichts der oben dargelegten hohen Anforderungen noch nicht die Annahme systemischer Mängel. Die Antragstellerin hat auch keine substantiierten Angaben gemacht, die zu einer anderen Bewertung der Bedingungen für Asylbewerber in Bulgarien führen könnten.
73Das Gericht geht auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und der zum Zeitpunkt der Entscheidung allgemein zugänglichen Informationen davon aus, dass der Antragstellerin auch für den Fall, dass sie in Bulgarien internationalen Schutz erhalten sollte, keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta droht. Die Situation anerkannter Schutzberechtigter im zuständigen Mitgliedstaat ist auch bei sogenannten Dublin-Rückkehrern bereits in den Blick zu nehmen.
74Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 –, juris, Rn. 76 ff.
75Die Lebensverhältnisse für nicht vulnerable international Schutzberechtigte in Bulgarien stellen sich nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK dar. Das Gericht folgt insoweit der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen.
76Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris, Rn. 33 ff., und vom 14. Januar 2020 – 11 A 2553/15.A –, juris, Rn. 10 ff.; aktuell Nds. OVG, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 10 LB 257/20 –, juris, Rn. 23 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Oktober 2020 – 7 A 10889/18 –, Rn. 28 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris, Rn. 33 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 15. Juni 2020 – 5 A 382/18 –, Rn. 31 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. April 2020 – A 4 S 721/20 –, juris, Rn. 3 ff. (für eine Familie); OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 –, juris, Rn. 69 ff.; a.A. für vulnerable Schutzberechtigte OVG NRW, Urteil vom 29. Dezember 2020 – 11 A 1602/17.A –, juris, Rn. 27 ff., und Beschluss vom 5. Mai 2020 – 11 A 35/17.A –, juris, Rn. 28 ff.
77Danach lässt sich ein vom Willen eines arbeitsfähigen und gesunden Schutzberechtigten unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ in Bulgarien nicht feststellen. Zwar muss der jeweilige Schutzberechtigte grundsätzlich in der Lage sein, sich den – unbestreitbar schwierigen – Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dies ist nicht vulnerablen international Schutzberechtigten in der Situation der Antragstellerin in Bulgarien aber möglich. Gelingt es nicht sogleich bzw. vollständig, können sie – wenn auch eingeschränkt – auf staatliche Leistungen oder die Unterstützung caritativer Organisationen zurückgreifen.
78Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen sind nicht vulnerable international Schutzberechtigte in Bulgarien insbesondere nicht der erheblichen Gefahr der Obdachlosigkeit ausgesetzt.
79Die für die dauerhafte Erlangung einer menschenwürdigen Unterkunft maßgebliche individuelle Fähigkeit des jeweiligen anerkannt Schutzberechtigten, seine Lebenshaltungskosten selbst zu bestreiten, ist nach der Erkenntnislage für alleinstehende, gesunde und arbeitsfähige international Schutzberechtigte gegeben. Da die Antragstellerin dieser Personengruppe angehört, geht das Gericht davon aus, dass es ihr nach einer eventuellen Zuerkennung internationalen Schutzes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gelingen wird, durch eigene Erwerbstätigkeit ein Einkommen zu erwirtschaften, das zur Deckung ihrer eigenen Lebenshaltungskosten einschließlich der Kosten einer Unterkunft auf dem erforderlichen Mindestniveau ausreicht.
80Anerkannt Schutzberechtigte haben das Recht auf einen automatischen und bedingungslosen Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt; sie sind diesbezüglich rechtlich den Inländern gleichgestellt. Die Arbeitssuche wird anerkannt Schutzberechtigten zwar durch die üblichen Probleme wie fehlende Kenntnisse der bulgarischen Sprache und die nur teilweise Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen erschwert. Die Vermittlung von Kontakten zwischen anerkannten Schutzberechtigten und Arbeitgebern wird aber durch die in Bulgarien präsenten Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Der UNHCR stellt ein großes Interesse des Privatsektors an der Beschäftigung von Asylsuchenden und Flüchtlingen fest. Im Jahr 2019 konnten der UNHCR und seine Partner Kontakte mit ca. 60 Unternehmen aus den Bereichen verarbeitende Industrie, Bau, Gastgewerbe, Informationstechnologie und Telekommunikation herstellen, die Interesse an einer Beschäftigung von Flüchtlingen bekundeten. Gemeinsam mit der staatlichen Arbeits- und Flüchtlingsagentur und den Nichtregierungsorganisationen organisierte der UNHCR 2019 zweimal Jobbörsen für diese Zielgruppe. Nach Angaben des UNHCR unterzeichneten 2019 178 Schutzberechtigte einen neuen Arbeitsvertrag. Insgesamt hat die nationale Einnahmeagentur, die Arbeitsverträge von international Schutzberechtigten registriert, im Jahr 2019 305 Arbeitsverträge von international Schutzberechtigten verzeichnet, 2018 waren es 278 Arbeitsverträge, 2017 wurden 315 anerkannt Schutzberechtigte durch ihren Arbeitgeber versichert. Die Mehrheit der arbeitenden anerkannten Schutzberechtigten ist dabei bei Arbeitgebern gleicher Herkunft beschäftigt, die sich in Bulgarien ein Geschäft aufgebaut haben. Nach Auskunft des UNHCR gingen jedoch einige Arbeitgeber auch gezielt auf die staatliche Flüchtlingsagentur und Nichtregierungsorganisationen zu, um anerkannte Flüchtlinge einzustellen. Andere Flüchtlinge finden einen Arbeitsplatz mithilfe der Nichtregierungsorganisationen, Online-Arbeitsvermittlungen und Mund-zu-Mund-Propaganda. Einige Flüchtlinge sind informell ohne Arbeitsvertrag im Graubereich der Wirtschaft beschäftigt.
81Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 59 f., 87; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 21; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 5 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7. April 2021 – 508-516.80/54748, S. 4.
82Im Jahr 2020 waren lediglich 23 international Schutzberechtigte und 8 Asylbewerber als arbeitssuchend gemeldet.
83Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 87.
84Zwar lassen sich die optimistischen Prognosen in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der zunehmenden Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Bulgarien auch für anerkannt Schutzberechtigte u.a. im Hinblick auf die gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften,
85vgl. beispielsweise OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris, Rn. 74; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Oktober 2019 – A 4 S 2476/19 –, juris, Rn. 16; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18 –, juris, Rn 62 ff.,
86nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie, die auch die bulgarische Wirtschaft gravierend beeinflusst hat, nicht vollständig aufrechterhalten. Es ist jedoch – vor dem Hintergrund des Grundsatzes gegenseitigen Vertrauens – nicht davon auszugehen, dass sich der Arbeitsmarkt in Bulgarien durch die Corona-Pandemie in einer Weise verschlechtert hat, die es international Schutzberechtigten nunmehr unmöglich machen würde, in zumutbarer Zeit Arbeit zu finden, um ihren Lebensunterhalt auf dem erforderlichen Niveau selbstständig zu bestreiten.
87So auch Nds. OVG, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 10 LB 257/20 –, juris, Rn. 32; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Oktober 2020 – 7 A 10889/18 –, juris, Rn. 66; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris, Rn. 34 ff.; OVG Sachsen, Urteil vom 15. Juni 2020 – 5 A 383/18 –, juris, Rn. 45; offengelassen hingegen in OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 2020 – 11 A 1602/17.A –, juris, Rn. 31.
88Zwar war Bulgarien – wie zahlreiche andere europäische Staaten – mehrfach von der Corona-Pandemie stark betroffen. Die pandemiebedingten Einschränkungen haben jedoch nicht zu einem dauerhaften Einbrechen der bulgarischen Wirtschaft geführt. So wird für 2022 ein Wiederanstieg des Bruttoinlandsprodukts auf den Wert vor Ausbruch der Pandemie prognostiziert. Zudem hat die Europäische Kommission angekündigt, die Bereitstellung von 15,35 Millionen Euro zur Unterstützung bulgarischer Tourismusunternehmen zu genehmigen. Diese Maßnahme wird auf der Grundlage der Regelungen über befristete EU-Beihilfen getroffen, die seit Beginn der Corona-Pandemie gelockert wurden. Diese Fördermittel sollen unentgeltlich an Unternehmen vergeben werden, die im Jahr 2020 einen Umsatzrückgang von mindestens 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gemeldet haben. Auch wenn aktuell bis zum 31. März 2022 in Bulgarien noch der epidemiologische Ausnahmezustand gilt, sind öffentliche Gebäude, Geschäfte, Apotheken, Restaurants, Bars, Diskotheken und Klubs nicht generell geschlossen, sondern die Öffnungszeiten und Zutrittsbedingungen werden in Abhängigkeit von dem aktuellen Infektionsgeschehen kurzfristig angepasst. Beschäftigungsmöglichkeiten – auch – für anerkannt Schutzberechtigte gibt es daher nach wie vor auch in diesen Bereichen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine Beschäftigung für anerkannt Schutzberechtigte auch außerhalb des Dienstleistungssektors und der Gastronomiebranche in nahezu vergleichbarem Umfang wie vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie beispielsweise bei Nichtregierungsorganisationen, auf Märkten, in der Landwirtschaft, in größeren Unternehmen sowie in Callcentern für die arabische Sprache und in der herstellenden Industrie möglich ist. Denn insgesamt stellt sich der bulgarische Arbeitsmarkt bislang trotz der pandemiebedingten Einschränkungen als offenbar verhältnismäßig stabil dar. Für die Jahre 2022 und 2023 wird ein Sinken der Arbeitslosenquote erwartet, die nach einer zwischenzeitlichen Stagnation auf einem Wert von 5,1 % in den Jahren 2020 und 2021 wieder auf 4,6 % (2022) bzw. 4,4 % (2023) zurückgehen soll und damit niedriger liegt als in dem von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht betroffenen Jahr 2018 (5,2 %). Die Beschäftigung nimmt hiernach im gleichen Zeitraum nach einem Abfall um 2,3 % im Jahr 2020 und einer Stagnation im Jahr 2021 in den Jahren 2022 und 2023 wieder um 0,9 % und 0,6 % zu.
89Vgl. Europäische Kommission, European Economic Forecast, Institutional Paper 160, Autumn 2021, November 2021, S. 106 f., abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/economy-finance/ip160_en_0.pdf; Informationen auf der Website des Auswärtigen Amtes, Bulgarien: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), abrufbar unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bulgarien-node/bulgariensicherheit/211834; Radio Bulgaria, „Brüssel billigt Finanzhilfe für bulgarischen Tourismus“, 8. November 2021, abrufbar unter: https://bnr.bg/de/post/101553500/brussel-billigt-finanzhilfe-fur-bulgarischen-tourimus; ebenso Nds, OVG, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 10 LB 257/20 –, juris, Rn. 32 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. September 2020 – OVG 3 B 33.19 –, juris, Rn. 34 ff., jeweils m.w.N.
90Konkrete Erkenntnisse, wonach es nicht vulnerablen, gesunden und arbeitsfähigen anerkannten Schutzberechtigten unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Bulgarien nicht möglich wäre, ihren Lebensunterhalt perspektivisch selbst zu erwirtschaften, bestehen daher nicht. Auch sonst sind keine neueren Erkenntnismittel bekannt, aus denen sich ergibt, dass gesunde und arbeitsfähige anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu verelenden drohen.
91Seit dem 1. Januar 2021 beträgt der monatliche Mindestlohn in Bulgarien 650 bulgarische Lewa (circa 332 EUR), während die Lebenshaltungskosten in Bulgarien die niedrigsten im europäischen Vergleich sind und nach den Angaben bulgarischer Gewerkschaften im Jahr 2019 im Landesschnitt 305 EUR betrugen, in der Landeshauptstadt Sofia 397 EUR. Die Armutsgrenze wurde im Jahr 2021 auf 369 Lewa (188,81 EUR) angehoben. Auch unter Berücksichtigung eines Preisanstiegs bei den Lebenshaltungskosten seit dem Jahr 2019 dürfte damit bereits die Aufnahme einer geringqualifizierten Tätigkeit zur Deckung des Lebensbedarfs und zur Finanzierung einer Unterkunft außerhalb der Landeshauptstadt jedenfalls für Einzelpersonen ausreichen.
92Vgl. Eurostat, Schlüsseldaten über Europa, Ausgabe 2021, S. 35, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eurostat/documents/3217494/13576303/KS-EI-21-001-DE-N.pdf/9550ec62-f5f4-4a35-2947-9ba124fe3406?t=1634633750257; EURES, Lebens- und Arbeitsbedingungen Bulgarien, „Lohn und Gehalt“, „Lebenshaltungskosten“, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/eures/public/living-and-working/living-and-working-conditions/living-and-working-conditions-bulgaria_de; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 16. Januar 2019 – 508-516.80/51873, S. 3; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 4.
93Zwar bestehen nach der Auskunftslage für Begünstigte internationalen Schutzes Hindernisse bei der privaten Anmietung von Wohnraum. So wird berichtet, dass für den Abschluss eines Mietvertrages das Führen gültiger Ausweispapiere erforderlich ist, die jedoch ohne Angabe eines Wohnsitzes – wofür die Adresse eines Aufnahmezentrums nicht herangezogen werden kann – nicht ausgestellt werden können. In diesem Rahmen haben sich „Korruptionspraktiken“ mit fiktiven Mietkontakten und Wohnsitzen zur Erlangung der für die Anmietung einer Wohnung notwendigen Ausweispapiere etabliert. Darüber hinaus scheitert die private Anmietung von Wohnraum nach Einschätzung des UNHCR teilweise auch an der Zurückhaltung bulgarischer Vermieter, insbesondere an muslimische anerkannte Schutzberechtigte zu vermieten.
94Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 87; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bulgarien – Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019, S. 21; Bordermonitoring.eu: Get Out! Zur Situation von Geflüchteten in Bulgarien, Juni 2020, S. 75 ff.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 3.
95Dem Gericht liegen aber keinerlei tagesaktuelle Berichte vor, nach denen sich die in den vorbenannten Auskünften prognostizierte Gefahr von Obdachlosigkeit verwirklicht hätte. Insbesondere enthalten weder der Bericht der aida in seinem zuletzt veröffentlichten Update 2020 noch der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Berichte von Fällen, in denen es tatsächlich zu Obdachlosigkeit gekommen ist.
96Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 87; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bulgarien – Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, 30. August 2019; ebenso Nds. OVG, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 10 LB 257/20 –, juris, Rn. 25.
97Zudem wird die Antragstellerin nach einer eventuellen Zuerkennung internationalen Schutzes in Bulgarien jedenfalls vorübergehend und ergänzend auf einzelne staatliche Leistungen und die Unterstützung durch caritative Organisationen zurückgreifen können.
98Zunächst ist es den Schutzberechtigten erlaubt, für sechs Monate ab Statuszuerkennung in der Asylbewerberunterkunft zu bleiben, solange die Platzverhältnisse dies zulassen. Sie erhalten dort jedoch kein Essen mehr. Ende 2020 waren 170 Schutzberechtigte in Asylbewerberunterkünften untergebracht.
99Vgl. aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 87; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung vom 24. Juli 2020, S. 20.
100Der bulgarische Staat gewährt anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten die gleichen Unterstützungsleistungen, wie sie auch bulgarische Staatsangehörige in Anspruch nehmen können. Zudem existiert zwar theoretisch ein Integrationsprogramm; jedoch konnte seit sechs Jahren kein einziger anerkannter Schutzsuchender hiervon Gebrauch machen. Die Tatsache, dass Betroffene seit 2014 ohne jegliche Integrationsunterstützung bleiben, führt zu einem äußerst eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Sozial-, Arbeits- und Gesundheitsrechten und zur Minimierung der Bereitschaft der Betroffenen, sich dauerhaft in Bulgarien niederzulassen.
101Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bulgarien – Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19. Juli 2021, S. 4, sowie Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Bulgarien, Gesamtaktualisierung am 24. Juli 2020, S. 19; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 2.
102International Schutzberechtigte haben in Bulgarien Anspruch auf Sozialhilfe gemäß den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes. Voraussetzung ist, dass die Personen über eine ständige Adresse und gültige Ausweispapiere verfügen, die durch Einreichung eines Antrages und der erforderlichen Unterlagen bei der Direktion für Sozialhilfe am Wohnort beantragt werden. Die monatliche Sozialhilfe für eine Person beläuft sich auf umgerechnet etwa 37,50 EUR pro Monat. Dieser Betrag ist nach Einschätzung des UNHCR für einen bescheidenen Lebensstandard ausreichend. Er umfasst keine Kosten für Wohnraum (inkl. Nebenkosten). Die Dauer der Gewährung der Sozialleistungen ist nicht zeitlich begrenzt, solange die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen. Zurzeit werden sie nach Auskunft des UNHCR aber nur von wenigen Flüchtlingen bezogen.
103Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7. April 2021 – 508-516.80/54748, S. 4; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 4; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bulgarien – Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19. Juli 2021, S. 4, 9 f.
104Bei der Wohnraumbeschaffung sind keine besonderen staatlichen Leistungen vorgesehen. Sozialwohnungen gibt es nur wenige. Auf diese dürfen sich anerkannte Flüchtlinge ebenso wie bulgarische Staatsangehörige bewerben.
105Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7. April 2021 – 508-516.80/54748, S. 3; Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 3.
106Darüber hinaus haben Schutzberechtigte das Recht auf Unterbringung in den sogenannten Zentren für temporäre Unterkunft. Hierbei handelt es sich um ganzjährig betriebene Einrichtungen für Personen ohne eigene Wohnung mit einer Gesamtkapazität von 607 Plätzen. Die Unterbringung ist für maximal drei Monate innerhalb eines Jahres möglich. Daneben gibt es in Sofia zwei kommunale „Krisenzentren“ für die Unterbringung von Bedürftigen während der Wintermonate mit 170 Plätzen. Die Zentren für temporäre Unterbringung bieten soziale Beratung und Unterstützung an, etwa Hilfe bei der Registrierung als Arbeitsuchender bei den Büros für Arbeit.
107Vgl. BAMF, Länderinformation: Bulgarien, Stand: Mai 2017, S. 3 f.
108Die Unterbringung in einem staatlichen Obdachlosenheim (das nicht nur Flüchtlingen, sondern generell Bedürftigen offen steht) ist möglich, scheitert jedoch häufig sowohl an hohen bürokratischen Hürden als auch aufgrund sehr eingeschränkter Verfügbarkeit entsprechenden Wohnraums.
109Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 2.
110Zudem bieten internationale und bulgarische NROs vielfältige Programme, welche Asylbewerber in Bulgarien während und nach dem Anerkennungsverfahren unterstützen. So bietet das Caritas-Zentrum für die Integration von Flüchtlingen und Migranten in Sofia psychologische Unterstützung, Bildungsdienste, soziale Beratungen, humanitäre Hilfe und praktische Unterstützung für Wohnen und Arbeit an. Derzeit gibt es in Bulgarien keine Organisation, welche eine Unterbringung für einen längeren Zeitraum gewährleistet. Es besteht aber eventuell die Möglichkeit für eine Krisen- oder kurzfristige Unterbringung.
111Vgl. Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bulgarien – Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19. Juli 2021, S. 4 ff.; S. 3; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Hamburg vom 7. April 2021 – 508-516.80/54748, S. 4; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Sofia, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Mai 2020, S. 4 f.
112Für anerkannt Schutzberechtigte lässt sich auch nicht das ernsthafte Risiko feststellen, in Bulgarien keine ausreichende medizinische Versorgung erlangen zu können.
113Eine medizinische Notfallversorgung ist für alle auf dem Gebiet Bulgariens befindlichen Personen beitragsfrei zugänglich. Anerkannte Schutzberechtigte haben zudem – ebenso wie bulgarische Staatsangehörige – die Möglichkeit, Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse zu werden. Die monatlichen Kosten für den günstigsten Versicherungstarif betragen 44,80 Lewa/22,90 EUR, in regulären Arbeitsverhältnissen werden diese Kosten hälftig vom Arbeitgeber übernommen. Die medizinische Grundversorgung für anerkannt Schutzberechtigte ist von der Corona-Pandemie nicht betroffen und diese können weiterhin ordnungsgemäß medizinische Hilfe bekommen. Dennoch ist bei Hausärzten, Spezialisten und in Krankenhäusern regelmäßig mit offiziellen und inoffiziellen so genannten „out of pocket“-Zahlungen zu rechnen, die aus eigener Tasche zu zahlen sind. Auch kann es zu der Situation kommen, dass die Hausärzte, die monatliche Quoten für die Überweisungen von Patienten an Spezialisten zu beachten haben, die Quoten vor Ende des Monats erfüllt haben und die verbleibenden Patienten entweder warten müssen oder ohne Überweisung direkt den Spezialisten aufsuchen und die dortige Behandlung aus eigener Tasche bezahlen müssen. Dies führt zu der Praxis, dass etwa ein Drittel aller Patienten, einschließlich der Unversicherten, im Krankheitsfall unter Umgehung des Hausarztes einen Krankenwagen rufen oder sich direkt in die Notaufnahme eines Krankenhauses begeben. Darüber hinaus sind anerkannt Schutzberechtigte – ebenso wie bulgarische Staatsangehörige – mit den sich aus dem problematischen Zustand des nationalen Gesundheitssystems ergebenden Problemen konfrontiert. Diese können dazu führen, dass eine adäquate Behandlung für Folteropfer und Personen mit psychischen Problemen nicht zur Verfügung steht. Auf Grund der gewährleisteten Notfallversorgung kann jedoch für anerkannt Schutzberechtigte ein auf einer Erkrankung beruhendes ernsthaftes Risiko extremer Not nicht angenommen werden.
114Vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 10 LB 257/20 –, juris, Rn. 37, unter Berufung auf Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Potsdam vom 11. März 2021 – 508-516.80/54796, S. 6; aida, Country Report Bulgaria, 2020 Update, Februar 2021, S. 61 f., 88; Österr. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Bulgarien – Situation von subsidiär Schutzberechtigten, 19. Juli 2021, S. 11 ff.
115Nach allem mögen auch die Aufnahmebedingungen für international Schutzberechtigte in Bulgarien im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten (deutlich) schlechter sein. Dies ist aber nicht Ausdruck von Gleichgültigkeit des bulgarischen Staates gegenüber diesem Personenkreis, sondern Folge eines deutlich niedrigeren Lebensstandards.
116Individuelle, in der Person der Antragstellerin liegende besondere Gründe, die im Falle ihrer Rückkehr nach Bulgarien als Asylbewerberin oder der Zuerkennung internationalen Schutzes hinsichtlich der dann zu erwartenden Lebensverhältnisse auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK schließen lassen, liegen ebenfalls nicht vor. Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine alleinstehende und gesunde sowie arbeitsfähige junge Frau mit Abitur. Da sie als Rückkehrerin im Sinne des Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b) Dublin III-Verordnung als Erstantragstellerin behandelt werden wird, stehen ihr nach ihrer Überstellung die an Asylantragsteller gewährten Leistungen des bulgarischen Staates offen. Zudem wird sie für einen Zeitraum von jedenfalls sechs Monaten nach einer eventuellen Anerkennung staatlicherseits untergebracht werden können, sodass sie das von ihr grundsätzlich geforderte hohe Maß an Eigeninitiative für die Erwirtschaftung ihres eigenen Lebensunterhaltes nicht unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach Bulgarien entfalten müssen wird. In der schwierigeren Anfangszeit nach der Rückkehr nach Bulgarien kann zudem ggf. eine gewisse finanzielle Unterstützung durch die in Deutschland lebenden Verwandten, insbesondere die in Deutschland eingebürgerte Schwester der Antragstellerin erfolgen.
117Anderes ergibt sich auch nicht aus ihrem Vortrag. Soweit sie eine Bedrohung durch den nach ihren Angaben der Mafia angehörenden Schleuser befürchtet, der sie nach Bulgarien gebracht hat, ist es ihr zuzumuten, sich an die bulgarischen Sicherheitsbehörden zu wenden.
118Es sind auch keine Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote vorgetragen oder sonst ersichtlich.
119Ferner steht gegenwärtig im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG fest, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies setzt voraus, dass die Abschiebung im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) zeitnah tatsächlich möglich und rechtlich zulässig ist.
120Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. September 1996 – 25 A 790/96.A –, juris, Rdnr. 33; Pietzsch, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 25. Edition, Stand: 1. April 2021, § 34a AsylG, Rn. 9.
121Diese Voraussetzungen liegen vor. Eine zeitnahe Überstellung der Antragstellerin nach Bulgarien ist möglich. Seit dem 15. Juni 2020 werden Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens von und nach Deutschland schrittweise wieder aufgenommen.
122Vgl. BT-Drs. 19/20299 vom 23. Juni 2020, S. 4.
123Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen Bescheides Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG analog).
124Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte X. und Kollegen aus E. war abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den vorstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
125Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
126Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).