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Abänderung eines Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO im fahrerlaubnisrechtlichen Punkteverfahren, nachdem die Behörde eine zuvor ausgesonderte Punktemitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vollständig vorgelegt hat. Fortsetzung des Beschlusses vom 7. Januar 2021.
Unter Abänderung des Beschlusses der Kammer vom 7. Januar 2021 − 6 L 2246/20 – wird der sinngemäß gestellte Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (6 K 6651/20) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2020 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen und hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins wiederherzustellen, mit Wirkung vom heutigen Tage abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
2Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben; nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
3Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung – hier der Beschluss vom 7. Januar 2021 – formell und materiell richtig ist. Es eröffnet vielmehr die Möglichkeit, einer Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist. Bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO sind mithin dieselben materiellen Gesichtspunkte maßgebend, wie sie im Falle eines erstmaligen Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO gegenwärtig zu gelten hätten.
4Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. März 2018 − 1 VR 1/18−, juris, Rn. 6, vom 10. März 2011 – 8 VR 2/11 –, vom 25. August 2008 – 2 VR 1.08 – und vom 21. Juli 1994 – 4 VR 1/94 –; jeweils juris.
5Nach diesen Maßstäben ist der Beschluss vom 7. Januar 2021 − 6 L 2246/20 – aufgrund einer zwischenzeitlich geänderten Tatsachengrundlage im tenorierten Umfang abzuändern.
6Das Gericht hat mit dem Beschluss vom 7. Januar 2021 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet bzw. wiederhergestellt, da das ordnungsgemäße Durchlaufen der Maßnahmenstufe der Ermahnung nicht festgestellt werden konnte. Das Ermahnungsschreiben vom 28. Juni 2018 wies nur drei Verkehrsverstöße aus. Eine weitere Zuwiderhandlung war geschwärzt, die entsprechende Registerauskunft aus den Verwaltungsvorgängen entfernt worden.
7Die Antragsgegnerin hat am 20. Januar 2021 die Unterlagen ergänzt. Sie hat eine Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 22. Juni 2018 vorgelegt, die neben den drei vorgenannten Zuwiderhandlungen zusätzlich einen Verkehrsverstoß vom 1. Januar 2016 − mithin insgesamt vier Verkehrsverstöße − aufweist. Die Antragsgegnerin hat diesbezüglich vorgetragen, dass aufgrund dieser vier Eintragungen am 28. Juni 2018 die Ermahnung erfolgt sei.
8Unter Berücksichtigung dieser veränderten Umstände ist nunmehr im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung (1.) noch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins (2.) geboten. Im Einzelnen:
91. Soweit sich der Antragsteller gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1 des Bescheides vom 12. Oktober 2020 wendet, ist sein Antrag zulässig, aber (nunmehr) unbegründet.
10Die Begründetheit eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO beurteilt sich danach, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung das private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung überwiegt.
11Im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist im Wege einer eigenen Abwägung des Gerichts das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung der Maßnahme mit dem Interesse der Allgemeinheit an ihrer Vollziehung abzuwägen. Maßgebliches Kriterium für die Abwägung sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren. Ergibt die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung. Denn an der Vollziehung rechtswidriger hoheitlicher Maßnahmen kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist der Verwaltungsakt hingegen offensichtlich rechtmäßig, überwiegt in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 3 und Abs. 2 Satz 2 VwGO das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit.
12Diese Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollziehungsinteresse fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
13Denn die Entziehung der Fahrerlaubnis ist nunmehr nach Aktenlage rechtlich nicht (mehr) zu beanstanden.
14Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, sobald sich für ihn in der Summe acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Mit der Entziehung erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen (§§ 3 Abs. 2 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV).
15Im Zeitpunkt des Erlasses der Entziehungsverfügung, auf den abzustellen ist,
16vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Oktober 2015 – 16 B 554/15 –, juris, Rn. 7 (= VRS 129, 164) und vom 2. März 2015 – 16 B 104/15 –, juris, Rn. 3 (= NJW 2015, 1772); BayVGH, Beschluss vom 8. Juni 2015 – 11 CS 15.718 –, juris, Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. August 2015 – 10 S 1176/15 –, juris, Rn. 8 (= DAR 2015, 658); OVG Niedersachsen, Beschluss vom 1. September 2015 – 12 ME 91/15 –, juris, Rn. 6,
17lagen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG für den Antragsteller vor.
18a. Punkte ergeben sich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (sog. Tattagprinzip). Die Fahrerlaubnisbehörde hat für das Ergreifen von Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG, also auch für die Entziehung der Fahrerlaubnis, auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG). Spätere Verringerungen des Punktestandes aufgrund von Tilgungen bleiben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG unberücksichtigt.
19Hiervon ausgehend ergab sich für den Antragsteller – wie aus der nachfolgenden tabellarischen Auflistung ersichtlich − im maßgeblichen Zeitpunkt der Begehung der zeitlich letzten zur Ergreifung der Entziehung führenden Ordnungswidrigkeit am 9. September 2019 ein Punktestand von acht Punkten (lfd. Nr. III.7. der nachfolgenden tabellarischen Auflistung).
20Lfd. Nr. |
Datum |
Ereignis |
Rechts-/ Bestands-kraft |
Mitteilung Kraftfahrt-bundesamt |
Tilgung/Löschung |
Punkte einzeln |
Punkte insg. |
|
III.1. |
02.06.2017 |
Geschwindigkeit |
02.11.2017 |
13.06.2018 |
02.05.2020 (02.05.2021) |
1 |
1 |
|
III.2. |
05.08.2017 |
Geschwindigkeit |
07.12.2017 |
13.06.2018 |
07.06.2020 (07.06.2021) |
1 |
2 |
|
III.3. |
20.10.2017 |
Geschwindigkeit |
15.01.2019 |
28.01.2018 |
(15.07.2021) (15.07.2022) |
1 |
3 |
|
III.4. |
24.04.2018 |
Mobiltelefon |
02.06.2018 |
13.06.2018 |
(02.12.2020) (02.12.2021) |
1 |
4 |
|
III.5. |
26.09.2018 |
Geschwindigkeit |
26.08.2020 |
09.09.2020 |
(26.08.2025) (26.08.2026) |
2 |
6 |
|
III.6. |
07.02.2019 |
Geschwindigkeit |
14.01.2020 |
28.01.2020 |
(14.07.2022) (14.07.2023) |
1 |
7 |
|
III.7. |
09.09.2019 |
Geschwindigkeit |
07.11.2019 |
28.01.2020 |
(07.05.2022) (07.05.2023) |
1 |
8 |
|
III.8. |
02.05.2020 |
Tilgung lfd. Nr. III.1. |
-1 |
7 |
||||
III.9. |
07.06.2020 |
Tilgung lfd. Nr. III.2. |
-1 |
6 |
Die nach der Begehung der letzten Ordnungswidrigkeit am 9. September 2019 eingetretenen Verringerungen aufgrund von Tilgungen (lfd. Nrn. III.8. und III.9. der vorstehenden tabellarischen Auflistung) bleiben – wie zuvor dargelegt – gemäß § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG bei der Berechnung des Punktestandes unberücksichtigt.
22b. Der Antragsteller hat nach jetziger Aktenlage auch die erste und zweite Stufe des Punktesystems ordnungsgemäß durchlaufen. § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG bestimmt, dass die zuständige Behörde gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis die in den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Maßnahmen stufenweise zu ergreifen hat. Gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 StVG darf die zuständige Behörde eine Maßnahme nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 (Verwarnung) oder Nr. 3 (Entziehung der Fahrerlaubnis) nur ergreifen, wenn die Maßnahme der davor liegenden Stufe nach Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 bereits ergriffen worden ist. Sofern die Maßnahme der davor liegenden Stufe noch nicht ergriffen worden ist, ist diese zu ergreifen (§ 4 Abs. 6 Satz 2 StVG).
23aa. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller nach Aktenlage – wie aus der nachfolgenden tabellarischen Auflistung ersichtlich − vor der Entziehung der Fahrerlaubnis in Übereinstimmung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG in Kenntnis eines Punktestandes von vier Punkten ermahnt (lfd. Nr. I.4. der nachfolgenden tabellarischen Auflistung).
24Lfd. Nr. |
Datum |
Ereignis |
Rechts-/ Bestands-kraft |
Mitteilung Kraftfahrt-bundesamt |
Tilgung/Löschung |
Punkte einzeln |
Punkte insg. |
|
I.1. |
01.01.2016 |
Geschwindigkeit |
02.04.2016 |
22.06.2018 |
02.10.2018 02.10.2019 |
1 |
1 |
|
I.2. |
02.06.2017 |
Geschwindigkeit |
02.11.2017 |
13.06.2018 |
02.05.2020 (02.05.2021) |
1 |
2 |
|
I.3. |
05.08.2017 |
Geschwindigkeit |
07.12.2017 |
13.06.2018 |
07.06.2020 (07.06.2021) |
1 |
3 |
|
I.4. |
24.04.2018 |
Mobiltelefon |
02.06.2018 |
13.06.2018 |
(02.12.2020) (02.12.2021) |
1 |
4 |
Die der Ermahnung zugrunde liegenden Zuwiderhandlungen ergeben sich − nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarische Prüfung − aus den Mitteilungen des Kraftfahrtbundesamtes vom 13. Juni 2018 und 22. Juni 2018. Die nunmehr von der Antragsgegnerin vorgelegte Mitteilung vom 22. Juni 2018 enthält alle vier Zuwiderhandlungen (lfd. Nrn. I.1. bis I.4.. der vorstehenden tabellarischen Auflistung), aufgrund derer nach Angaben der Antragsgegnerin wenige Tage später – am 28. Juni 2018 – die Maßnahmenstufe der Ermahnung ergriffen wurde.
26Der diesbezügliche Einwand des Antragstellers, es sei im Nachhinein nicht feststellbar, ob es sich beim Verkehrsverstoß vom 1. Januar 2016 (lfd. Nr. I.1. der vorstehenden tabellarischen Auflistung) um die vormals aus den Verwaltungsvorgängen entfernte bzw. geschwärzte Zuwiderhandlung handele und diese der Ermahnung zugrunde gelegt wurde, greift nicht durch. Denn es handelt sich um eine Behauptung ins Blaue hinein, der nicht weiter nachzugehen war. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, dass die Angaben der Antragsgegnerin, sie habe die vier Eintragungen aus der Mitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 22. Juni 2018 der Ermahnung zugrunde gelegt, unzutreffend sind.
27Entgegen dem Einwand des Antragstellers wird die am 2. Oktober 2019 gelöschte Zuwiderhandlung vom 1. Januar 2016 (lfd. Nr. I.1. der tabellarischen Auflistung) auch nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis herangezogen. Denn die vorgenannte Zuwiderhandlung wird im Rahmen des für die Entziehung der Fahrerlaubnis maßgeblichen Punktestandes von acht Punkten nicht berücksichtigt (vgl. Nrn. III.1. bis III.7. der vorherigen tabellarischen Auflistung). Sie findet lediglich im Rahmen der Maßnahmenstufe der Ermahnung Berücksichtigung. Dies ist – wie schon im Beschluss vom 7. Januar 2021 (6 L 2246/20) ausgeführt − grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden.
28Denn für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmenstufen der Ermahnung und Verwarnung ist der Zeitpunkt ihres Ergreifens maßgeblich.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21/15 –, Rn. 22; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 3. März 2020 – 12 ME 6/20 –, juris, Rn. 5; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. Juni 2019 – 3 M 85/19 –, juris, Rn. 13; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 6. Dezember 2017 – 4 MB 91/17 –, juris, Rn. 4.
30Eine nach dem Zeitpunkt des Ergreifens der jeweiligen Maßnahmenstufe eingetretene Löschung von Eintragungen lässt die rechtmäßigen Maßnahmen der Ermahnung und Verwarnung nicht nachträglich rechtswidrig werden. Das absolute Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG überlagert und begrenzt das Tattagprinzip. Es ändert nicht den maßgeblichen Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahmenstufen. Das Verwertungsverbot greift insoweit lediglich bei Zuwiderhandlungen, die zwischen dem Tattag und dem Ergreifen der Maßnahmenstufe der Löschung unterliegen. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Zuwiderhandlung erst am 2. Oktober 2019 und damit nach dem Ergreifen der Ermahnung (am 28. Juni 2018) der Löschung unterlag.
31Es ist weitergehend rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Zuwiderhandlung vom 1. Januar 2016 mittelbar im Rahmen der Fahrerlaubnisentziehung Berücksichtigung findet. Eine derartige mittelbare Wirkung ist vorliegend gegeben, weil das das ordnungsgemäße Durchlaufen der Maßnahmenstufen – wie oben dargelegt – notwendige Voraussetzung der Fahrerlaubnisentziehung ist. Punkterelevante Taten, die – wie hier − ausschließlich der Maßnahmenstufen der Ermahnung zugrunde liegen und nachträglich der Löschung unterliegen, entfalten insoweit über die Ermahnung mittelbare Wirkung auf die Fahrerlaubnisentziehung. Das absolute Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG entfaltet jedoch keine mittelbare Wirkung auf Maßnahmen, die auf später unverwertbaren Taten aufsetzen.
32Vgl. zu dieser Problematik auch OVG Hamburg, Beschluss vom 21. März 2007 – 3 Bs 396/05 –, juris, Rn. 70; zur Fernwirkung im Strafrecht: BGH, Beschluss vom 7. März 2006 − 1 StR 316/05 −, juris m.w.N.
33Insbesondere wird der mit dem Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG bezweckte Schutz des Fahrerlaubnisinhabers vor einer Konfrontation mit einer vorausgegangenen – gelöschten – Zuwiderhandlung nicht beeinträchtigt, wenn letztere ausschließlich im Rahmen der Ermahnung bzw. Verwarnung herangezogen wird. Denn die Fahrerlaubnisentziehung stützt sich dann lediglich darauf, dass der Betroffene – ohne Berücksichtigung der gelöschten Tat – einen Punktestand von acht Punkten erreicht hat und zuvor ordnungsgemäß ermahnt und verwarnt wurde. Die (später) gelöschte Zuwiderhandlung wird ihm nicht vorgeworfen.
34bb. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller nach jetziger Aktenlage – wie aus der nachfolgenden tabellarischen Auflistung ersichtlich – auch vor der Entziehung der Fahrerlaubnis in Übereinstimmung mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG in Kenntnis eines Punktestandes von sechs Punkten verwarnt (lfd. Nr. II.6. der nachfolgenden tabellarischen Auflistung).
35Lfd. Nr. |
Datum |
Ereignis |
Rechts-/ Bestands-kraft |
Mitteilung Kraftfahrt-bundesamt |
Tilgung/Löschung |
Punkte einzeln |
Punkte insg. |
|
II.1. |
02.06.2017 |
Geschwindigkeit |
02.11.2017 |
13.06.2018 |
02.05.2020 (02.05.2021) |
1 |
1 |
|
II.2. |
05.08.2017 |
Geschwindigkeit |
07.12.2017 |
13.06.2018 |
07.06.2020 (07.06.2021) |
1 |
2 |
|
II.3. |
20.10.2017 |
Geschwindigkeit |
15.01.2019 |
28.01.2018 |
(15.07.2021) (15.07.2022) |
1 |
3 |
|
II.4. |
24.04.2018 |
Mobiltelefon |
02.06.2018 |
13.06.2018 |
(02.12.2020) (02.12.2021) |
1 |
4 |
|
II.5. |
07.02.2019 |
Geschwindigkeit |
14.01.2020 |
28.01.2020 |
(14.07.2022) (14.07.2023) |
1 |
5 |
|
II.6. |
09.09.2019 |
Geschwindigkeit |
07.11.2019 |
28.01.2020 |
(07.05.2022) (07.05.2023) |
1 |
6 |
Der Umstand, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Verwarnung am 28. Januar 2020 rechnerisch bereits acht Punkte erreicht hatte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Denn für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG und somit auch einer Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG sind nur die im Fahreignungsregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG vom Kraftfahrtbundesamt übermittelten – rechtskräftigen − Zuwiderhandlungen maßgeblich.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 –, juris, Rn. 22.
38Hiervon ausgehend ist bei der Beurteilung der Verwarnung vom 28. Januar 2020 die Ordnungswidrigkeit vom 26. September 2018 (lfd. Nr. III.5. der vorherigen tabellarischen Auflistung) nicht einzubeziehen, obwohl der Antragsteller sie vor der Verwarnung begangen hat. Denn die Ordnungswidrigkeit wurde nach Aktenlage erst nach der Verwarnung − nämlich am 26. August 2020 − rechtskräftig und der Antragsgegnerin erst am 9. September 2020 vom Kraftfahrtbundesamt übermittelt (vgl. Bl. 39 der Verwaltungsvorgänge).
39Insoweit ergab sich auf der Grundlage der der Antragsgegnerin vom Bundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen zum Zeitpunkt der Verwarnung vom 28. Januar 2020 ein zur Verwarnung berechtigender Punktestand von sechs Punkten (lfd. Nr. II.6. der vorstehenden tabellarischen Auflistung).
40Vor diesem Hintergrund ist auch keine Verringerung des Punktestandes gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG eingetreten. Denn eine Verringerung tritt im Falle der Verwarnung gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG nur ein, soweit ein Punktestand von über sieben Punkten vorliegt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Für die Frage, ob sich der Punktestand gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG verringert, ist ebenfalls der (Punkte-)Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde auf der Grundlage der vom Bundesamt übermittelten Zuwiderhandlungen maßgeblich.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21.15 –, juris, Rn. 25.
42Der Einwand des Antragstellers, vor der Verwarnung begangene Zuwiderhandlungen, von denen die Behörde erst nach der Verwarnung Kenntnis erlange, dürften auf der Grundlage des Mehrfachtäter-Punktsystems nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen, greift nicht durch. Gleiches gilt, soweit der Antragsteller auf eine „Warnfunktion“ der Verwarnung sowie eine damit verbundene „Möglichkeit der Verhaltensänderung“ des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers verweist.
43Denn von beidem ist der Gesetzgeber mit der Aufgabe des Mehrfachtäter-Punktesystems und der Einführung des Fahreignungs-Bewertungssystems bewusst abgerückt. Die der Fahrerlaubnisentziehung vorangehenden Maßnahnamestufen der Ermahnung und Verwarnung haben nach dem gesetzgeberischen Willen weder eine Warn- und Erziehungsfunktion, noch sollen sie den betroffenen Fahrerlaubnisinhabern die Möglichkeit einer Verhaltensänderung ermöglichen. Bei Fahrerlaubnisinhabern, die sich durch eine Anhäufung von innerhalb kurzer Zeit begangenen Verkehrsverstößen als ungeeignet erwiesen haben, sollen die Verkehrssicherheit und das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, Vorrang vor dem Erziehungsgedanken haben. Für das Fahreignungs-Bewertungssystem soll es nicht mehr darauf ankommen, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Zuwiderhandlungen erreicht und ihm die Möglichkeit der Verhaltensänderung einräumt, bevor es zu weiteren Maßnahmen kommen darf. Die Erziehungswirkung liegt dem Gesamtsystem als solchem zu Grunde, während die einzelnen Maßnahmestufen in erster Linie der Information des Betroffenen dienen. Sie stellen somit lediglich eine Information über den Stand im System dar.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21/15 –, juris, Rn. 23 f. unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/2775 S. 9 f.; OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2020 – 16 B 854/20 –, juris, Rn. 2 f. und Urteil vom 28. September 2017 – 16 A 980/16 –, juris, Rn. 39 f.; Kammerbeschlüsse vom 28. Januar 2019 – 6 L 2892/18 –, juris, Rn. 54 und vom 24. Juli 2019 – 6 L 1767/19 –, n.v., letzterer bestätigt durch: OVG NRW, Beschluss vom 26. September 2019 – 16 B 1103/19 –, n.v.
45Wie zuvor dargelegt, folgt nunmehr unmittelbar aus den mit Gesetz vom 28. November 2014 geänderten Bestimmungen des § 4 Abs. 6 StVG, dass ein Punkt auch dann zu verwerten ist, wenn der ihm zugrunde liegende Verkehrsverstoß vor dem Ergreifen einer Maßnahme begangen wurde, bei dieser Maßnahme aber noch nicht von der Fahrerlaubnisbehörde berücksichtigt wurde, etwa weil dessen Ahndung – wie hier − erst später rechtskräftig geworden oder die Eintragung im Fahreignungsregister erst später erfolgt ist oder die Behörde hiervon erst später Kenntnis erlangt hat.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21/15 –, juris, Rn. 24; OVG NRW, Urteil vom 28. September 2017 – 16 A 980/16 –, juris, Rn. 41 f. m.w.N.
47Schließlich rechtfertigt auch der Vortrag des Antragstellers, er habe aufgrund der Corona-Pandemie nicht die Gelegenheit gehabt, seinen Punktestand durch die freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar um einen Punkt zu reduzieren, keine andere Bewertung. Eine solche Reduzierung erfolgt nach § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG nur bei einem Punktestand von ein bis fünf Punkten, wobei der Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung maßgeblich ist. Hiervon ausgehend konnte der Antragsteller bei Ausbruch der Corona-Pandemie im Jahr 2020 bereits keine Punktereduzierung mehr erreichen. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den Punktestand von fünf Punkten überschritten. Für den Antragsteller ergab sich – wie zuvor dargelegt – bereits am 9. September 2019 ein Punktestand von acht Punkten (lfd. Nr. III.7. der vorherigen tabellarischen Auflistung).
48Es kommt auch nicht darauf an, dass der Hinweis in der Verwarnung vom 28. Januar 2020 auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar quasi „ins Leere“ ging, weil der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt nach dem Tattagprinzip einen Punktestand von acht Punkten erreicht hatte. Denn – wie zuvor dargelegt – kommt es im Fahreignungs-Bewertungssystems nicht mehr darauf an, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit der Verhaltensänderung einräumt. Der Hinweis auf eine in bestimmten Konstellationen − wie hier − ausbleibende Chance, sein Verhalten so zu verbessern, dass es zu keinen weiteren Maßnahmen kommt, kann in Abwägung mit dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kein Argument dafür sein, über bestimmte Verkehrsverstöße hinwegzusehen und sie dadurch bei der Beurteilung der Fahreignung auszublenden.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 − 3 C 21/15 −, juris, Rn. 23; OVG NRW, Beschluss vom 25. November 2020 – 16 B 854/20 –, juris, Rn. 2 ff. sowie Urteil vom 28. September 2017 − 16 A 980/16 −, juris, Rn. 36 ff. m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 9. Oktober 2020 – 9 L 727/20 –, juris, Rn. 66 ff.
50c. Erweist sich ein Fahrerlaubnisinhaber – wie der Antragsteller – als kraftfahrungeeignet, muss die Fahrerlaubnisbehörde ihm gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen. Ein Ermessensspielraum ist ihr nicht eröffnet.
51Bei dem Antragsteller bestehen nach Aktenlage auch nicht ausnahmsweise Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis. Angesichts der höchstwertigen Rechtsgüter, deren Schutz die Fahrerlaubnisentziehung dient, nämlich vor allem Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer, der Verkehrssicherheit an sich sowie bedeutenden Sachwerten der Allgemeinheit, tritt das Interesse des Antragstellers zurück, sein Bedürfnis nach fahrerlaubnispflichtiger motorisierter Fortbewegung fortzusetzen. Dies gilt auch, wenn der Betroffene – wie hier – beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen sein sollte.
52Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 5. November 2019 – 6 L 2821/19 –, juris, Rn. 14.
53Der möglicherweise eintretende – gegebenenfalls nicht wiedergutzumachende – Schaden an den genannten Rechtsgütern wiegt zu schwer, als dass dem Antragsteller trotz seiner Verkehrszuwiderhandlungen in der Vergangenheit die Fahrerlaubnis belassen werden könnte, selbst wenn er hierdurch ernste private und/oder berufliche Nachteile, wie etwa den Verlust seiner beruflichen Existenz, hinnehmen müsste. Der Antragsteller hat durch seine Verkehrszuwiderhandlungen die Gefahr für den Straßenverkehr heraufbeschworen. Deswegen ist es angemessen, ihn mit den Folgen der Gefahrbeseitigung zu belasten, mögen sie ihn auch hart treffen.
542. Soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner fristgemäß erhobenen Klage gegen die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins begehrt, hat sein Antrag ebenfalls keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, aber (nunmehr) unbegründet.
55Die Begründetheit eines auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO beurteilt sich danach, ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell ordnungsgemäß erfolgt ist (a.) und ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung das private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung überwiegt (b.).
56a. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat insbesondere das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO beachtet. Nach dieser Vorschrift ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen. Das Begründungserfordernis dient dem Zweck, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen, den Betroffenen über die Gründe, die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung maßgeblich gewesen sind, in Kenntnis zu setzen, und schließlich das Gericht im Falle eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO über die behördlichen Erwägungen zu unterrichten. Die Begründung muss dementsprechend erkennen lassen, dass und warum die Behörde in dem konkreten Einzelfall dem sofortigen Vollziehbarkeitsinteresse Vorrang vor dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen einräumt. Ob die aufgeführten Gründe den Sofortvollzug inhaltlich rechtfertigen, ist hingegen keine Frage der formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern der Interessenabwägung.
57Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. November 2014 – 16 B 1282/14 –, juris, Rn. 3 m.w.N, vom 8. November 2011 – 16 B 24/11 –, juris, Rn. 3 und vom 11. Oktober 2010 – 6 B 1057/10 –, juris, Rn. 18.
58Dabei rechtfertigen die hohe Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs und das erhebliche Gefährdungspotenzial ungeeigneter Verkehrsteilnehmer in aller Regel nicht nur den Erlass gefahrenabwehrender Ordnungsverfügungen, sondern auch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit. Denn die für den Sachbereich des Fahrerlaubnisrechts spezifischen Gefahren liegen nicht in unbestimmter Zukunft, sondern können sich jederzeit realisieren. Daraus folgt, dass sich die Begründung für die Ordnungsverfügung selbst (Erlassinteresse) und diejenige für die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Vollzugsinteresse) typischerweise weitgehend decken. Begründet die Behörde die Vollziehungsanordnung mit gewissen Wiederholungen und möglicherweise formelhaft klingenden Wendungen, liegt darin kein Verstoß gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Hinzu kommt, dass Fahreignungsmängel (lediglich) abstrakte Gefahren darstellen, die sich bei der Verkehrsteilnahme aufgrund allgemeiner Erfahrungswerte realisieren können, ohne bei jeder einzelnen Fahrt auftreten zu müssen. Entsprechend können auch die Ausführungen der Fahrerlaubnisbehörde nur auf diese abstrakte Gefahrenlage abstellen.
59Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2014 – 16 B 1282/14 –, juris, Rn. 5.
60Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Antragsgegnerin in der Ordnungsverfügung vom 12. Oktober 2020 gerecht. Sie hat darin zum Ausdruck gebracht, dass sie sich des Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst war und sich aus ihrer Sicht die Gründe für die Aufforderung zur Führerscheinvorlage mit denen der Dringlichkeit der Vollziehung der Maßnahme decken. Indem sie auf die Gefährdung der Allgemeinheit abstellt, die dadurch entsteht, dass der kraftfahrungeeignete Antragsteller den Führerschein bei Verkehrskontrollen missbräuchlich als Nachweis der Fahrerlaubnis verwendet, gibt sie die Erwägungen wieder, die für sie maßgeblich waren, um dem Antragsteller sofort den Führerschein zu entziehen und somit einen wirksamen Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten.
61b. Die Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Vollziehungsinteresse fällt nunmehr zu Lasten des Antragstellers aus.
62Denn die Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins stellt sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig dar. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 1 Satz 2, 2 FeV ist der Führerschein nach Entziehung der Fahrerlaubnis unverzüglich der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen.
63Neben der Rechtmäßigkeit der Vorlageaufforderung ist auch ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug gegeben. Die hohe Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs und das erhebliche Gefährdungspotenzial des Antragstellers als ungeeignetem Verkehrsteilnehmer rechtfertigen die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Das öffentliche Interesse, den Rechtsschein des Besitzes einer in Deutschland gültigen Fahrerlaubnis zu beseitigen und damit zu gewährleisten, dass der Antragsteller nicht weiter am motorisierten Straßenverkehr im Bundesgebiet teilnimmt, überwiegt das Interesse des Antragstellers, seinen Führerschein nicht vorlegen zu müssen. Die Unannehmlichkeiten, die für den Antragsteller mit der Vorlage des Führerscheins verbunden sind, muss er angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
64Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. November 2005 – 10 S 1057/05 –, juris, Rn. 22.
65Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da der Gegenstand des Abänderungsverfahrens nicht die Überprüfung der Ausgangsentscheidung, sondern eine Neuregelung der Vollziehung für die Zukunft in einem von dem ergangenen Beschluss abweichenden Sinn ist, führt eine abweichende Entscheidung im Abänderungsverfahren – wie hier − nicht zu einer Kassation der im Ausgangsverfahren getroffenen Kostengrundentscheidung. Diese bleibt vielmehr auch bei abweichenden Entscheidung im Abänderungsverfahren mit der Folge bestehen, dass für das Ausgangsverfahren und das Abänderungsverfahren unterschiedliche Kostengrundentscheidungen zu beachten sind.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Juli 2018 – 13 B 275/18.A –, juris, Rn. 9 sowie Beschluss vom 13. Februar 2017 – 11 B 769/15.A –, juris, Rn. 8; VG Minden, Beschluss vom 2. April 2020 – 7 L 272/20 –, juris, Rn. 22.
67Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Bedeutung der Sache wird im Hauptsacheverfahren mit dem Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG angesetzt, da der Antragsteller – soweit ersichtlich − nicht in qualifizierter Weise, etwa als Berufskraftfahrer, auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist. In Verfahren betreffend die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ermäßigt sich der danach zu berücksichtigende Betrag von 5.000,00 Euro aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung um die Hälfte.
68Rechtsmittelbelehrung:
69(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
70Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
71Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
72Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
73Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Absatz 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).
74Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
75(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
76Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
77Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
78Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
79Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
80War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und
81die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.