Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die durch Bescheid des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2020 angeordnete vorläufige Dienstenthebung wird ausgesetzt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
2I.
3Der im Jahr 1989 geborene Antragsteller steht als Polizeibeamter im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Amtsgericht T erließ am 9. September 2020 einen Durchsuchungsbeschluss (00 Gs 0000/20), der am 16. September 2020 vollstreckt wurde. Die Durchsuchung hatte insbesondere den Zweck, folgende Beweismittel aufzufinden:
4Mobilfunkgeräte oder sonstige Datenträger mit Dateien mit Bezug zu nationalsozialistischem bzw. volksverhetzendem Gedankengut sowie
Schriftstücke und Gegenstände mit Bezug zu nationalsozialistischem bzw. volksverhetzendem Gedankengut.
Das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP NRW) leitete am 11. September 2020 ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft B (000 Js 000/19) gegen einen anderweitig beschuldigten Beamten sei ein Handy sichergestellt worden. Nach Auswertung seien auf diesem Mobilfunkgerät gespeicherte WhatsApp-Gruppen und Verläufe festgestellt worden, aus denen sich der Verdacht der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ergebe. Der Antragsteller sei einer der Chatteilnehmer. Die Staatsanwaltschaft T ermittele gegen den Beamten wegen des Verdachts des Verstoßes gegen § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB sowie § 130 StGB. Der Beamte sei Mitglied der WhatsApp-Chat-Gruppe „Z“, die derzeit aus 16 Mitgliedern, die bis auf eine unbekannte Rufnummer sämtlich als Polizeibeamte beim Polizeipräsidium B und dort in E beschäftigt seien oder waren, bestehe. Nach dem Stand der Ermittlungen seien in der WhatsApp-Gruppe „Z“ von den Mitgliedern dieser Gruppe mindestens 126 Bilddateien mit strafrechtlich relevanten Inhalten wie Hakenkreuzen, Hitlerkopfbildern und anderen Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen (verfassungswidrige Organisationen) bzw. Bilddateien mit nach § 130 StGB strafbewehrten volksverhetzenden Inhalten in die Gruppe gepostet worden. Diese WhatsApp-Gruppe sei am 00.0.2015 innerhalb des Polizeipräsidiums B, Polizeiwache E, Dienstgruppe X, gegründet worden. Der Beamte solle am 0.0.2019 und am 0.0.2020 zwei dieser insgesamt 126 strafrechtlich relevanten Bilddateien in die WhatsApp-Chat-Gruppe „Z“ gepostet und 126 dieser Exemplare erhalten haben. Darüber hinaus solle er in einer weiteren WhatsApp-Chat-Gruppe „F" drei Bilder dieser Art empfangen haben. Wann die letztgenannte WhatsApp-Chat-Gruppe gegründet worden sei und wann die einzelnen Aktivitäten stattgefunden hätten, sei den Ermittlungen überlassen. Es bestehe der Verdacht eines Dienstvergehens durch Verletzung der politischen Treuepflicht, der Pflicht zur politischen Mäßigung sowie der Wohlverhaltenspflicht (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG, § 33 Abs. 2 BeamtStG und § 34 Satz 3 BeamtStG). Das LAFP NRW setzte das Disziplinarverfahren gleichzeitig wegen der laufenden strafrechtlichen Ermittlungen bei den Staatsanwaltschaften T und B gemäß § 22 Abs. 1 LDG NRW aus.
8Der Antragsteller wurde mit Verfügung vom selben Tag vorläufig des Dienstes enthoben. Ihm wurde das Tragen der Dienstkleidung und Dienstausrüstung sowie das Führen dienstlicher Ausweise und Waffen untersagt.
9Der Antragsgegner stellte am 1. Februar 2021 einen Antrag auf Beschlagnahme nach § 27 Abs. 1 LDG NRW (35 K 582/21) von mehreren im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren sichergestellten Asservaten, dem die Disziplinarkammer mit Beschluss vom heutigen Tage stattgegeben hat.
10Der Antragsteller hat am 22. Januar 2021 den vorliegenden Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung gestellt. Er trägt im Wesentlichen vor: Er wolle nicht bestreiten, dass er zwei Bilder in die WhatsApp-Chatgruppe gestellt habe. Es sei allerdings aus den Akten nicht ersichtlich, welche zwei Bilder dies gewesen sein sollen. Es seien jedenfalls keine Bilder mit rechtsradikalem Hintergrund gewesen. Es sei auch nicht möglich, die ihm vorgeworfenen Bilder bzw. Chats umfassend zuzuordnen. Aus dem Verwaltungsvorgang ergebe sich lediglich, dass er im Chat „Z“ zwei Dateien gesendet und 126 Dateien empfangen haben soll, im Chat „F“ soll er nur 3 Dateien empfangen haben. Was hier im Einzelnen konkret empfangen oder gesendet worden sein soll, könne nicht zugeordnet werden. Er habe einen Teil der von anderen Chatteilnehmern eingestellten Bilder gesehen, viele aber auch gelöscht. Er habe sich insbesondere nicht an seinen Vorgesetzten wenden können, da dieser einen großen Teil der Bilder eingestellt habe. Sich an dessen Vorgesetzten zu wenden, wäre sehr unkollegial gewesen, zumal er damals neu in E gewesen sei. Nicht zuletzt seien über die Chatgruppe auch private Verabredungen getroffen worden.
11Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
12die durch Bescheid des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2020 angeordnete vorläufige Dienstenthebung auszusetzen.
13Der Antragsgegner beantragt,
14den Antrag abzulehnen.
15Er führt im Wesentlichen aus: Die bei dem Antragsteller beschlagnahmten Asservate seien disziplinarrechtlich relevant. Der Antragsteller habe in zwei Fällen Bilder unterhalb der Strafbarkeitsschwelle in die Chatgruppe „Z“ versandt. Er habe auch in einigen Chats eine fremdenfeindliche Einstellung gezeigt, indem er etwa mit lachendem Smiley oder bestärkenden Kommentaren auf herabwürdigende Nachrichten reagiert habe. Er wäre verpflichtet gewesen, sich vehement gegen den Erhalt inkriminierter Bilder zu wehren.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakte 35 K 582/21 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17II.
18Der Antrag auf Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung hat Erfolg.
19Der Antrag ist gemäß § 63 Abs. 1 Halbsatz 1 LDG NRW statthaft. Nach dieser Vorschrift kann der Beamte die Aussetzung der vorläufigen Dienstenthebung beim Gericht der Hauptsache beantragen.
20Der Antrag ist auch begründet. Die durch Bescheid des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2020 angeordnete vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers ist auszusetzen, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. § 63 Abs. 2 LDG NRW).
21Rechtsgrundlage für die vorläufige Dienstenthebung ist § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW. Danach kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Dies ist nicht der Fall.
22Die materielle Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW hängt von der Prognose ab, ob das Disziplinarverfahren voraussichtlich zur Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis führt. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung im Sinne von § 63 Abs. 2 LDG NRW sind zu bejahen, wenn nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass das gegen den Beamten geführte Disziplinarverfahren zu seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis führen wird.
23Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 3d B 1064/16.O -, juris, Rn. 9 (zu §§ 38, 63 LDG NRW); Bayerischer VGH, Beschluss vom 20. April 2011 - 16b DS 10.1120 -, juris, Rn. 34; OVG Bremen, Beschluss vom 16. Mai 2012 - DB B 2/12 -, juris, Rn. 19 m.w.N. (jeweils zu §§ 38, 63 BDG).
24Maßgeblich für die Prognose der voraussichtlichen Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme ist der Erkenntnisstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
25Vgl. VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. Dezember 2018 – 31 L 2400/18.O - und vom 15. August 2018 – 31 L 1469/18.O -; VG Berlin, Beschluss vom 1. März 2018 – 80 K 21/17 OL –, juris, Rn. 5.
26Da es sich bei dem Verfahren nach § 63 LDG NRW um ein disziplinarrechtliches Sonderverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, ist für eingehende Beweiserhebungen kein Raum. Das Gericht entscheidet vielmehr anhand einer ihrer Natur nach nur summarisch möglichen Beurteilung des Sachverhalts auf der Grundlage des aktuellen Sach- und Streitstandes, ob die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wahrscheinlicher ist, als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung.
27Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 – 3d B 1064/16.O -, juris, Rn. 11 m.w.N., und vom 14. November 2007 – 21d B 1024/07.BDG, juris, Rn. 4;
28Hiervon ausgehend ist die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis derzeit nicht wahrscheinlicher als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung. Nach aktuellem Erkenntnisstand besteht zwar der hinreichend begründete Verdacht, dass der Antragsteller eine Dienstpflichtverletzung begangen hat, die ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG darstellt. Eine sog. statusberührende Maßnahme erscheint hiernach zwar nicht ausgeschlossen, ist jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich. Hierzu im Einzelnen:
29Die Disziplinarkammer lässt offen, ob der Antragsteller hinreichend verdächtig ist, gegen die politische Treuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verstoßen zu haben (hierzu 1.). Denn er ist jedenfalls hinreichend verdächtig, gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und hierdurch ein schwerwiegendes Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen zu haben (hierzu 2.).
301.) Die Disziplinarkammer lässt offen, ob der Antragsteller hinreichend verdächtig ist, gegen die politische Treuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verstoßen zu haben. Diese Norm fordert, dass Beamtinnen und Beamte sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
31Die politische Treuepflicht gebietet, dass der Beamte den Staat und seine geltende Verfassungsordnung bejaht und dies nicht bloß verbal, sondern insbesondere in der beruflichen Tätigkeit dadurch, dass der Beamte die bestehenden verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften beachtet und erfüllt und sein Amt aus dem Geist dieser Vorschriften heraus führt. Die politische Treuepflicht fordert mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung; sie fordert vom Beamten insbesondere, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Vom Beamten wird erwartet, dass er diesen Staat und seine Verfassung als einen hohen positiven Wert erkennt und anerkennt, für den einzutreten sich lohnt.
32Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 –, juris; BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25/17 –, juris.
33Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, reichen für die Annahme einer Verletzung der dem Beamten auferlegten Treuepflicht aber grundsätzlich nicht aus. Ein Dienstvergehen besteht erst, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25/17 –, juris, Rn. 21; BVerfG, Beschlüsse vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 -, juris, und vom 6. Mai 2008 - 2 BvR 337/08 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 20. Mai 2015 – 3d A 756/13.O -, Seite 29 f. des Urteilsabdrucks.
35Das in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geforderte „Mehr" als das bloße Haben und Mitteilen ist nicht erst bei einem offensiven Werben erreicht. Zwischen dem „bloßen" Haben und Mitteilen einer Überzeugung und dem planmäßigen werbenden Agieren oder gar Agitieren liegen differenzierungsfähige und erhebliche Abstufungen.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25/17 –, juris, Rn. 23.
37Nach diesen Maßgaben bleibt offen, ob ein Verstoß gegen die politische Treuepflicht vorliegt. Es wird einer näheren Prüfung im Disziplinarverfahren bedürfen, ob die Voraussetzungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Mitgliedschaft des Antragstellers in den verschiedenen Chatgruppen vor dem Hintergrund des Inhalts der erfolgten Kommunikation erfüllt sind.
382.) Der Antragsteller ist jedenfalls hinreichend verdächtig, gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und hierdurch ein schwerwiegendes Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen zu haben.
39Ein Beamter ist im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Vereinigungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Dies ist ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung anzunehmen, wenn das den „bösen Schein“ begründende (außerdienstliche) Verhalten (in besonderer Weise) geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns (in bedeutsamer Weise) zu beeinträchtigen. Pflichtwidrig handelt also auch der Beamte, der zwar kein Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Rechtsschein hervorruft.
40Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 17. Mai 2001 - 1 DB 15/01 -, juris, und vom 16. Juli 2012 - 2 B 16/12 -, juris, Rn. 10 ff.; OVG NRW, Urteil vom 20. Mai 2015 – 3d A 756/13.O -, Seite 20 des Urteilsabdrucks; Bayerischer VGH, Beschluss vom 28. April 2014 - 16b DC 12.2380 -, juris, Rn. 16; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. April 2014 - OVG 81 D 2/12 -, juris Rn. 33; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. August 1995 - 3 A 11324/95 -, juris Rn. 44.
41Ein Verstoß gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten außerhalb des Dienstes liegt mithin vor, wenn der Beamte den Eindruck erweckt, sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entgegenstehendem Gedankengut zu identifizieren. Einen solchen Rechtsschein hat der Antragsteller gesetzt, weil er über mehrere Jahre Mitglied in verschiedenen WhatsApp-Chat-Gruppen war, in denen Bilder und Videos mit nationalsozialistischem, volksverhetzendem, menschenverachtendem und rassistischem Gedankengut verschickt wurden, wobei der Antragsteller auch durch eigene Beiträge in Erscheinung getreten ist.
42Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2021 – 6 B 2055/20 -, juris, Rn, 29, und vom 5. Juni 2015 – 6 B 326/15 –, juris, Rn. 17 ff.
43Da der Antragsteller aktiv an dem Chat teilgenommen hat, lässt die Disziplinarkammer offen, ob es auch eine Dienstpflichtverletzung darstellen kann, dass er es zudem unterlassen hat, durch Protest, Austritt aus der Gruppe oder auf andere Weise darauf zu reagieren, dass andere Mitglieder der Gruppe Dateien mit straf- und/oder disziplinarrechtlich relevanten Inhalten in die Chatgruppe gepostet haben.
44Denn er hat damit jedenfalls innerhalb der Gruppe den Anschein gesetzt, sich mit nationalsozialistischem, volksverhetzendem, menschenverachtendem und rassistischem Gedankengut zu identifizieren oder auch „nur“ mit ihm zu sympathisieren. Eine Vielzahl der Bilder und Videos, die innerhalb der Chatgruppen verschickt wurden, zeigt Adolf Hitler sowie nationalsozialistische Symbole (Hakenkreuz, SS-Runen) und Ereignisse aus der Zeit des nationalsozialistischen Herrschaft. Die große Anzahl einschlägiger Dateien begründet den Verdacht, dass zumindest derjenige, der sie im Chat versendet oder weiterleitet, auch der nationalsozialistischen Ideologie nahesteht. Daneben sind in den Chatgruppen zahlreiche Bilder und Texte versandt worden, die die Themen Migration, Ethnien und Islam betreffen. Mehrere dieser Darstellungen sprechen den Angehörigen bestimmter Bevölkerungsgruppen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ab. Es wird im Einzelnen auf die sog. Medienkataloge verwiesen, aus denen sich die vom Antragsteller geposteten und erhaltenen Bilder und Videos in den verschiedenen Chatgruppen konkret ersehen lassen. Die dargestellten Bilder und Videos verherrlichen die nationalsozialistische Ordnung und deren Ideologie, sind teilweise rassistisch und ausländerfeindlich oder heißen das Töten anderer Menschen gut.
45Nach einer Gesamtwürdigung sämtlicher nach derzeitiger Erkenntnislage zu berücksichtigenden Umstände erscheint eine sog. statusberührende Maßnahme nicht ausgeschlossen. Es ist jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden wird.
46Eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt nach § 13 Abs. 3 Satz 1 LDG NRW voraus, dass der Beamte durch ein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Beamte ein schweres Dienstvergehen begangen hat und die prognostische Gesamtwürdigung ergibt, er werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die von ihm zu verantwortende Ansehensschädigung sei bei einem Verbleib im Beamtenverhältnis nicht wieder gutzumachen. Je schwerer das Dienstvergehen wiegt, desto näher liegt eine derartige Prognose.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 16/10 –, juris, Rn. 31; OVG NRW, Urteil vom 15. November 2016 – 3d A 1826/12.O -, juris, Rn. 43.
48Die Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 13 Abs. 1 LDG NRW). Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall zu verhängen ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Über die erforderliche Disziplinarmaßnahme ist insofern auf Grund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 C 38/10 -, juris, Rn. 11 m.w.N.
50Als maßgebendes Bemessungskriterium ist gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 LDG NRW zunächst die Schwere des Dienstvergehens richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Kriterien wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Merkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere der Höhe eines eingetretenen Schadens. Das Dienstvergehen ist nach der festgestellten Schwere einer der im Katalog des § 5 LDG NRW aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Hiervon ausgehend kommt es für die endgültige Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 2011 – 2 C 16/10 -, juris, Rdn. 29; OVG NRW, Urteile vom 15. November 2016 – 3d A 1826/12.O -, Seite 18 des Urteilsabdrucks, und vom 31. August 2016 – 3d A 910/14.O -, S. 19 des Urteilsabdrucks.
52Nach diesen Maßgaben ist das dem Antragsteller zur Last zu legende Dienstvergehen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von einem solchen Gewicht, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis überwiegend wahrscheinlich wäre. Hiergegen spricht insbesondere, dass sich der Antragsteller nach derzeitigem Kenntnisstand nicht strafbar gemacht hat, insbesondere keine strafrechtlich relevanten Bilder oder Videos in die Chatgruppen gepostet hat.
53Nur der Vollständigkeit halber weist die Disziplinarkammer darauf hin, dass die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers nicht auf § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW gestützt wurde.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
55Rechtsmittelbelehrung:
56Gegen diese Entscheidung kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts in Münster entscheidet.
57Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts eingeht.
58Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
59Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Der Disziplinarsenat des Oberverwaltungsgerichts prüft nur die dargelegten Gründe.
60Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
61Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.