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1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Italien steht der materiellen Prüfung des Asylbegehrens nicht entgegen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz wegen Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie nicht als unzulässig abgelehnt werden darf.Der vom Kläger weiter hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unzulässig.2. Für den Hilfsantrag auf Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezogen auf das Herkunftsland fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Kläger kraft Gesetzes nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zusteht.3. Die Zulässigkeit des Asylantrags schließt die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich Italiens aus.
Ziffern 5 und 6 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Februar 2019 werden aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten werden.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der nach eigenen Angaben am 00. G. 0000 in L. geborene Kläger ist somalischer Staatsangehöriger und stellte am 23. April 2018 durch seinen Vormund einen Asylantrag. Ausweislich des EURODAC-Ergebnisses war der Kläger am 20. März 2017 in Italien registriert worden und hatte am 2. Mai 2017 dort einen Asylantrag gestellt.
3Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 8. Januar 2019 machte der Kläger im Wesentlichen folgende Angaben: Er gehöre keinem Clan an. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise sei er 14 Jahre alt gewesen. Das sei im April 2016 gewesen. In Italien sei er als Flüchtling anerkannt worden. Nach Deutschland eingereist sei er am 16. G. 2018. Er habe in dem Ort L. gelebt, der zwischen K. und K1. liege. Vor seiner Ausreise habe er sich ungefähr einen Monat lang in C. /Q. aufgehalten. Sie hätten Viehzucht betrieben, aus diesem Grunde hätten sie mit den Clans nichts zu tun gehabt. In Libyen sei er neun Monate lang gewesen. Dort hätten Somalier für ihn Geld gesammelt und ihm so die Überfahrt nach Europa ermöglicht. Seine Eltern seien verstorben, sie seien ermordet worden. Er habe keine Onkel und Tanten. Er habe nur einen ein Jahr jüngeren Bruder, der bereits tot sei. Der Bruder sei auch ermordet worden. Eine Schule habe er nie besucht. Er sei regelmäßig mit seinem Vater zum Feld gegangen. Seine Eltern seien in der Vergangenheit aufgefordert worden, dass sie, sein Bruder und er, der al-Shabaab beitreten sollten. An einem Tag sei er mit dem Vieh unterwegs gewesen, um Futter zu suchen. Weil er Hunger gehabt habe, sei er vorzeitig zurück zum Feld gegangen. Sein Vater sei nicht da gewesen. Er habe noch eine halbe Stunde gewartet. Dann habe er das Vieh ins Gehege gebracht. Er sei dann zurück nach Hause und habe dort seine Eltern und seinen Bruder tot aufgefunden. Ein paar Tage vor dem Tod der Eltern seien vier Leute zu ihnen gekommen. Er habe mitbekommen, wie sie mit den Eltern gesprochen hätten. Es sei geäußert worden, dass seine Eltern zusehen sollten, wie sie die Jungs zu der Gruppierung bringen würden. Er habe mitbekommen, dass sich sein Vater mit den Leuten außerhalb des Hauses gestritten habe. Er sei am gleichen Tag geflüchtet, als er seine Familie tot aufgefunden habe. Er sei zunächst in dem Ort K. gewesen und dann zu dem Ort C1. weitergezogen. Von dort sei er weiter nach H. und dann nach C. gegangen. Er habe in Somalia keine Familie mehr. Ursprünglich habe er gar nicht nach Europa gewollt, er sei im Jemen verkauft worden.
4Unter dem 9. Januar 2019 stellte das Bundesamt ein Informationsersuchen an die italienischen Behörden, das ohne Antwort blieb.
5Mit Bescheid vom 21. G. 2019, zugestellt am 26. G. 2019, lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Asylanerkennung (Ziffer 2) sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen (Ziffer 4). Ferner drohte es dem Kläger die Abschiebung nach Somalia an (Ziffer 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
6Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 5. März 2019 Klage erhoben, mit der er sein Vorbringen vertieft.
7Er beantragt,
8die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. G. 2019 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz zuzuerkennen,
9hilfsweise,
10ihm subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 Asylgesetz zuzuerkennen,
11weiter hilfsweise,
12festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz vorliegen.
13Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
16Auf eine entsprechende Anfrage des Bundesamtes teilten die zuständigen italienischen Behörden mit Schreiben vom 13. August 2021 mit, dass dem Kläger, der in Italien mit dem Geburtsdatum 00. N. 0000 erfasst worden war, in Italien aufgrund seines Flüchtlingsstatus („Refugee status“) eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 1. Oktober 2022 gewährt worden sei.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie der Ausländerbehörde verwiesen.
18Entscheidungsgründe:
19Trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung konnte das Gericht entscheiden, da die Beklagte mit der ordnungsgemäßen Ladung zum Termin auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist, vgl. § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
20Ferner kann das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
21Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg. Soweit der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzes und die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abgelehnt wurde, ist der Bescheid des Bundesamtes vom 21. G. 2019 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ist der Bescheid in seinen Ziffern 5 und 6 rechtswidrig und verletzt den Klägerin in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes.
23Das ergibt sich allerdings nicht bereits aus einer möglichen Unzulässigkeit des Asylantrages des Klägers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, weil ihm in Italien die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war. Dabei stellt das Gericht auf das Schreiben der beim italienischen Innenministerium angesiedelten Dublin-Einheit vom 13. August 2021 ab, das ausdrücklich diese Form des in Italien gewährten internationalen Schutzes („Refugee Status“) nennt. Dies deckt sich mit den Angaben des Klägers sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung. Das Bundesamt verweist zwar darauf, der zuständigen Liaisonbeamtin sei auf Italienisch mitgeteilt worden, dem Kläger sei in Italien der subsidiäre Schutzstatus gewährt worden. Einen Beleg hierfür hat es jedoch trotz erneuter Anfrage bei den italienischen Behörden auch nach Aufforderung durch das Gericht nicht vorgelegt.
24Wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union – wie hier – dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat, ist ein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Italien steht im vorliegenden Fall der materiellen Prüfung des Asylbegehrens des Klägers nicht entgegen.
25Grundsätzlich darf das Verwaltungsgericht einer Klage auf Zuerkennung internationalen Schutzes nur stattgeben, wenn die Voraussetzungen des in Betracht kommenden Unzulässigkeitsgrundes nicht vorliegen. Das gilt auch dann, wenn das Bundesamt den Antrag in der Sache beschieden hat. Die in § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AsylG geregelten Unzulässigkeitsgründe sind zwingendes Recht, sodass ihre Voraussetzungen vor jeder stattgebenden Entscheidung von Amts wegen zu prüfen sind.
26BVerwG, Urteil vom 25. April 2019 – 1 C 28/18 –, juris Rn. 13.
27Wegen der vorrangigen Prüfung von asylrechtlichen Unzulässigkeitsgründen wird das Gericht die Frage der Zulässigkeit des erneuten Asylantrags in Deutschland auch dann nicht offenlassen dürfen, wenn nach Auffassung des Gerichts die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes nicht vorliegen und die gegen den ablehnenden Bescheid gerichtete Verpflichtungsklage (jedenfalls) aus diesem Grund keinen Erfolg hätte.
28Vgl. zur gerichtlichen Aufklärungspflicht hinsichtlich internationaler Schutzgewährung in einem anderen EU-Mitgliedstaat, soweit die Zulässigkeit eines erneuten Schutzantrags davon abhängt: BVerwG, Urteil vom 21. November 2017 – 1 C 39/16 –, juris Rn. 18 ff.
29Darauf kommt es hier jedoch nicht an. Denn der Asylantrag des Klägers vom 23. April 2018 ist trotz der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Italien zulässig.
30Der Unzulässigkeitsentscheidung auf Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Verfahrensrichtlinie) entgegen. Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als Schutzberechtigter erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta bzw. des diesem entsprechenden Art. 3 EMRK zu erfahren.
31Vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019, C-540/17 und C-541/17, juris Rn. 44.
32Danach kommt § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, der die Regelung in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32 umsetzt, nicht zur Anwendung, wenn bei einer Abschiebung in den betroffenen Mitgliedstaat eine solche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta besteht.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris Rn. 30 ff.
34Das Unionsrecht beruht auf der grundlegenden Prämisse, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Art. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden, und gegenseitigen Vertrauens darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der in der Charta anerkannten Grundrechte, insbesondere ihren Art. 1 und 4, in denen einer der Grundwerte der Union und ihrer Mitgliedstaaten verankert ist, zu bieten.
35Vgl. EuGH, Urteil vom 19. N. 2019, C-297/17, juris Rn. 83, m.w.N.
36Folglich muss im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernsthafte Gefahr besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen, in diesem Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. Insoweit ist gleichgültig, ob es zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss dazu kommt, dass die betreffende Person einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine solche Behandlung zu erfahren.
37Vgl. EuGH, Urteil vom 19. N. 2019, C-297/17, juris Rn. 85 ff., m.w.N.
38Die genannten Schwachstellen fallen indes nur dann unter Art. 4 GR-Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GR-Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 19. N. 2019, C-297/17, juris Rn. 89 ff., m.w.N.
40Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe steht Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU der Ablehnung des Asylantrages des Klägers als unzulässig entgegen. Denn es ist davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) für einen längeren Zeitraum nicht wird befriedigen können.
41Vgl. zu einem vergleichbaren Fall OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris.
42Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), der sich das erkennende Gericht anschließt, ist davon auszugehen, dass anerkannte Schutzberechtigte – wie der Kläger – bei einer Rückkehr nach Italien grundsätzlich auf sich selbst gestellt sind. Denn Personen mit Schutzstatus erhalten nach ihrer Rückkehr nach Italien im Regelfall keine besondere Unterstützung. Sie sind formell Einheimischen gleichgestellt. Deshalb können sie nach Italien einreisen und sich frei im Land bewegen. Das bedeutet aber auch, dass sie keine Unterstützung am Flughafen erhalten, wie etwa bei der Suche nach Unterkunft, bei der Beschaffung notwendiger Papiere oder bei der Erneuerung ihrer Registrierung im nationalen Gesundheitssystem. Das italienische System basiert auf der Annahme, dass die Menschen arbeiten dürfen und deshalb für sich selbst sorgen können, wenn sie einen Schutzstatus erhalten haben. Personen mit Schutzstatus haben damit bei ihrer Rückkehr zwar formell einen besseren Status als Asylsuchende, sie erhalten jedoch deutlich weniger materielle Unterstützung.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 35 f.
44Es besteht vor diesem Hintergrund zunächst die ernsthafte Gefahr, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Italien in absehbarer Zeit keine menschenwürdige Unterkunft finden, sondern über einen längeren Zeitraum obdachlos sein wird. Nach der Rechtsprechung des OVG NRW ist davon auszugehen, dass es für international Schutzberechtigte nach ihrer Rückkehr nach Italien äußerst schwierig ist, Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft zu erhalten.
45Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 38 ff.
46Dies ist auch im Hinblick auf den Kläger anzunehmen. In Italien anerkannte Schutzberechtigte haben seit dem Inkrafttreten des Gesetzes („legge“) Nr. 173/2020 vom 18. Dezember 2020, das das Gesetzesdekret („decreto legge“) Nr. 130/2020 vom 21. Oktober 2020 modifiziert und bestätigt hat (im Folgenden: Gesetz Nr. 173/2020), Zugang zum als „SAI“ (= Sistema di accoglienza e di integrazione; im Folgenden SAI-System, vormals SIPROIMI = Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per i minori stranieri non accompagnati) bezeichneten Zweitaufnahmesystem.
47Das gesetzliche Regelwerk (Gesetz Nr. 173/2020, Art. 4) sieht vor, dass der Zugang zu den Zweitunterkünften „im Rahmen der verfügbaren Plätze“ erfolgt. Insofern steht Schutzberechtigen kein unbedingter Anspruch auf Zugang zum SAI-System zu, sondern es handelt sich um eine Möglichkeit der Unterbringung, die von weiteren Bedingungen abhängig ist.
48Neue Richtlinien zur Regelung des seit dem Gesetz Nr. 173/2020 geltenden SAI-Systems sind bisher nicht herausgegeben worden. Insofern sind weder hinsichtlich des Zugangs von Schutzberechtigten zu den Zweitaufnahmeeinrichtungen (SAI, vormals SIPROIMI, davor SPRAR = Sistema di protezione per richiedenti asilo e rifugiati) noch hinsichtlich der Dauer der Unterbringung noch in Bezug auf den Verlust des Rechts auf Zugang zu diesen Einrichtungen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage eingetreten.
49Anträge für eine Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (nunmehr des SAI-Systems, vormals SIPROIMI) müssen an den „Servizio Centrale“, einen vom Innenministerium eingesetzten Zentralservice, der von der nationalen Vereinigung der italienischen Gemeinden (ANCI) verwaltet wird, gerichtet werden. Die Anträge mit dem entsprechenden Formular werden hauptsächlich von der Präfektur oder der Questura, manchmal auch von Anwältinnen oder Anwälten, beim „Servizio Centrale“ eingereicht. Dieser beurteilt den Antrag und sucht – falls die Person, für die der Antrag gestellt wurde, ein Anrecht auf Unterkunft in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) hat – einen freien Platz in einem der Projekte. Wenn ein Platz frei ist, wird die Person sofort dort einquartiert. Der „Servizio Centrale“ ist der einzige Akteur, der einen Überblick über die Projekte und die freien Plätzen in den Projekten hat. Die freien Plätze ändern sich beinahe täglich und werden nicht öffentlich kommuniziert. Für „reguläre“ Fälle, über deren Asylgesuch positiv entschieden worden ist (neue Schutzstatusinhaber), stehen normalerweise Plätze zur Verfügung, ein Platz kann jedoch nicht garantiert werden. Es gibt keine Warteliste. Wenn ein Antrag auf Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (des SAI-Systems/vormals SIPROIMI) bewilligt worden ist und es keinen freien Platz gibt, wird diese Person nicht auf eine Warteliste gesetzt. Die Anwältin oder der Anwalt, die Questura oder Präfektur müssen einen Monat später einen neuen Antrag stellen, und dies so lange wiederholen, bis ein Platz für die jeweilige Person frei wird. In dieser Wartezeit steht der Person keine Unterkunft zur Verfügung.
50Der für die SIPROIMI-Zweiaufnahmeeinrichtungen geltende Erlass („decreto“) des Innenministers vom 18. November 2019 sieht in Art. 38 Nr. 1 der im Anhang beigefügten Richtlinien („Allegato A: Linee guida per il funzionamento del sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“) vor, dass die Unterbringung in einem SIPROIMI-Projekt – vorbehaltlich der in dem nachfolgenden Artikel vorgesehenen Fälle – auf eine Dauer von sechs Monaten beschränkt ist. Ausweislich des Art. 39 Nr. 1 SIPROIMI-Richtlinien kann die Unterbringung um weitere sechs Monate verlängert werden, etwa wenn die weitere Unterbringung für die Integration unerlässlich ist oder außerordentliche Umstände wie Gesundheitsprobleme oder Vulnerabilitäten vorliegen. In Art. 39 Nr. 2 SIPROIMI-Richtlinien ist noch eine weitere Verlängerung um sechs Monate vorgesehen, falls anhaltende, angemessen dokumentierte Gesundheitsprobleme bestehen oder um ein Schuljahr zu beenden.
51Das Recht auf Unterkunft in einem SIPROIMI-Projekt kann ausweislich des Art. 40 SIPROIMI-Richtlinien entzogen werden. Der Entzug kann danach in Fällen einer ungerechtfertigten fehlenden Vorstellung in einer durch den „Servizio Centrale“ zugewiesenen Unterkunft (Art. 40 Nr. 1 b) und bei ungerechtfertigter Abwesenheit von der Einrichtung für mehr als 72 Stunden ohne vorherige Erlaubnis durch die lokalen Behörden (Art. 40 Nr. 1 c) erfolgen.
52Das Recht auf Unterkunft kann auch dann entzogen werden, wenn die Person die zugewiesene Unterkunft in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (nunmehr SAI, vormals SIPROIMI bzw. SPRAR) nie genutzt hat. Allein die Zuteilung kann für den Entzug ausreichen. Die Situation muss in jedem Einzelfall genau abgeklärt und der „Servizio Centrale“ konsultiert werden.
53Es hängt danach vom Einzelfall ab, ob eine Person, die zu dem hinsichtlich der Unterbringung in Zweitaufnahmeeinrichtungen begünstigten Personenkreis gehört, bei ihrer Rückkehr nach Italien (erneut) Zugang zum System hat. Grundsätzlich haben die Personen, die bereits vor ihrer Weiterreise in einem SIPROIMI (oder SPRAR) untergebracht waren und ihren Integrationsprozess abgeschlossen haben, kein Recht mehr auf Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (nunmehr des SAI-Systems/vormals SIPROIMI). Wenn die Person mit internationalem Schutzstatus ihr Recht auf Unterkunft in einem Zweitaufnahmezentrum verliert oder bereits die maximale Aufenthaltsdauer untergebracht war, bietet der italienische Staat keine Alternativunterkunft an. Personen, die es in dieser Zeit nicht geschafft haben, eine Arbeit zu finden, erhalten nach ihrer Zeit in einer Zweitaufnahmeunterkunft keinerlei finanzielle oder sonstige Unterstützung mehr.
54Der „Servizio Centrale“ kann nach Italien zurückkehrenden Schutzberechtigten, die bereits Zugang zum Zweitaufnahmesystem (heute des SAI-Systems/vorher SIPROIMI bzw. SPRAR) hatten, auf Antrag ausnahmsweise die Unterbringung in einer Zweiaufnahmeeinrichtung bewilligen, wenn diese neue Vulnerabilitäten nachweisen können.
55Vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 38 ff., 87 ff. insbesondere unter Bezugnahme auf Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe an das OVG NRW vom 17. Mai 2021, S. 3, und Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 39 ff., sowie Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Ergänzung zum Bericht vom Januar 2020, 10. Juni 2021, S. 10, https://www.fluechtlingshilfe.ch; Österreichisches Rotes Kreuz, ACCORD, Auskunft an den Hessischen VGH vom 18. September 2020; Asylum Information Database (aida), Country Report: Italy-2020 Update, Juni 2021, S. 182 f., www.asylumineurope.org.
56Dies zugrunde gelegt, wird der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in einer Einrichtung des SAI-Systems unterkommen können. Ein Anspruch darauf, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Italien einer solchen Einrichtung zugewiesen wird, besteht nach derzeitiger Erkenntnislage nicht.
57Der Kläger gehört nicht (mehr) zu dem hinsichtlich der Unterbringung in einer solchen Einrichtung begünstigten Personenkreis. Selbst wenn es ihm gelänge, unmittelbar nach dem Eintreffen in Italien oder bereits vor seiner Rückkehr dorthin mithilfe einer Rechtsanwältin oder eines Rechtsanwalts einen Antrag auf Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung beim „Servizio Centrale“ zu stellen und es zudem freie Plätze in für ihn in Frage kommenden Aufnahmeeinrichtungen gäbe, hätte ein solcher Antrag mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg. Denn es ist nach den obigen Darlegungen davon auszugehen, dass dem Kläger das Recht auf eine Unterkunft in einer Einrichtung nicht mehr zusteht bzw. dass es ihm entzogen worden ist.
58Nach seinen Angaben beim Bundesamt war der Kläger bei seinem Aufenthalt in Italien in ein Camp gebracht worden, das er jedenfalls im Rahmen seiner Weiterreise nach Deutschland ohne vorherige Erlaubnis durch die lokalen Behörden verlassen hat. Insofern ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er den Tatbestand des Art. 40 Nr. 1c) der SIPROIMI-Richtlinien verwirklicht hat, mit der Folge, dass ihm im Falle seiner Rückkehr grundsätzlich kein Zugang mehr zum Zweitaufnahmesystem zusteht.
59Es ist nach der Rechtsprechung des OVG NRW insbesondere anzunehmen, dass die italienischen Behörden in der Vergangenheit einem erheblichen Teil der Asylantragstellenden bzw. Schutzberechtigten das Recht auf eine Unterbringung, insbesondere auf der Grundlage von Art. 40 der SIPROIMI-Richtlinien entzogen haben und dass dieses Recht in erster Linie Einzelpersonen – wie dem Kläger – entzogen wird.
60Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 87 ff.
61Es ist auch nicht ersichtlich, dass der junge, gesunde und alleinstehende Kläger auf einen entsprechenden Antrag ausnahmsweise in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht werden könnte. Denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er „neue“ oder überhaupt „Vulnerabilitäten“ nachweisen könnte, die den „Servizio Centrale“ veranlassen könnten, ihm ausnahmsweise die Unterbringung in einer Einrichtung des SAI-Systems zu bewilligen.
62Eine öffentliche Wohnung oder eine Sozialwohnung könnte der Kläger im Falle seiner Rückkehr nicht erhalten, weil er schon nicht über einen Wohnsitz in einer italienischen Gemeinde verfügt, in der er den Antrag auf Gewährung öffentlichen Wohnraums stellen könnte und darüber hinaus wohl auch in keiner Gemeinde die für die Antragstellung erforderlichen Mindestaufenthaltszeiten von mehreren Jahren erfüllt.
63Vgl. zu diesen Voraussetzungen im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 66 f., 97, 152.
64In Obdachlosenunterkünften oder Notschlafstellen könnte der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Italien voraussichtlich ebenfalls nicht (menschenwürdig) untergebracht werden. Zunächst müsste er sich in einer Gemeinde registrieren lassen, um überhaupt Zugang zu Hilfeleistungen zu bekommen. Darüber hinaus ist die bereits vor der Covid-19-Pandemie nicht ausreichende Kapazität temporärer Unterkünfte im Zuge der Pandemie noch geringer geworden, sodass es schon fraglich ist, ob der Kläger überhaupt einen Platz in einer solchen Unterkunft finden könnte. Zudem ist mit der Unterbringung in solchen Unterkünften nicht auch die Versorgung mit für das Überleben notwendigen Mitteln verbunden, vielmehr bieten diese lediglich Plätze zum Schlafen an.
65Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 68 ff., 98.
66Über Nichtregierungsorganisationen könnte der Kläger auch keine Unterkunft erhalten; diese verfügen in einigen Städten (lediglich) über wenige Schlafplätze, nicht aber über Unterkünfte, in denen der Kläger über einen längeren Zeitraum wohnen und sich versorgen könnte.
67Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 79 f., 99.
68Der Kläger kann nach der Rechtsprechung des OVG NRW auch nicht auf „informelle Möglichkeiten“ der Unterkunft in verlassenen bzw. besetzten Gebäuden verwiesen werden, denn der Aufenthalt in solchen Gebäuden wäre wegen der dort zumeist herrschenden menschenunwürdigen Zustände nicht nur unzumutbar, sondern vor allem auch illegal.
69Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 81 f., 100 f.
70Es ist auch nicht ersichtlich, wie es dem Kläger im Anschluss an seine Rückkehr nach Italien gelingen sollte, eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt zu finden und darüber hinaus erfolgreich einen Mietvertrag abzuschließen. Für anerkannte Schutzberechtigte ist es grundsätzlich schwer, in Italien eine Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt anzumieten und zu finanzieren.
71Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 61 ff.
72Abgesehen davon erscheint es ausgeschlossen, dass der Kläger in der Lage wäre, eine Wohnung und seinen Lebensunterhalt insgesamt in Italien unmittelbar oder auch nur in naher Zukunft durch eine Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Grundsätzlich haben anerkannte Schutzberechtigte in Italien zwar Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach der Rechtsprechung des OVG NRW ist es jedoch aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktsituation und Wirtschaftslage in Italien nahezu ausgeschlossen, dass anerkannte Schutzberechtigte – wie der Kläger – mit den einen Zugang zum Arbeitsmarkt zusätzlich erschwerenden Schwierigkeiten (mangelnde Beherrschung der italienischen Sprache, Fehlen spezifischer beruflicher Qualifikationen und Fehlen privater Netzwerke) in einem überschaubaren Zeitraum im Anschluss an ihre Rückkehr nach Italien eine Arbeit finden, die es ihnen gestattet, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren.
73Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 102 ff.
74Der Kläger kann nach der Rechtsprechung des OVG NRW auch nicht auf die Möglichkeit, verwiesen werden, in Italien zur Sicherung des Existenzminimums Schwarzarbeit aufzunehmen.
75Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 130 ff., 136.
76Im Falle einer Rückkehr nach Italien wird der Kläger auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben, mit deren Hilfe er dort sein Existenzminimum sichern könnte, da er nicht über den hierfür erforderlichen Mindestvoraufenthalt in Italien von zehn Jahren verfügt.
77Vgl. zu dieser Voraussetzung OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 137 ff., 152 ff.
78Schließlich ist nach der Rechtsprechung des OVG NRW davon auszugehen, dass auch die Unterstützung von Hilfsorganisationen anerkannte Schutzberechtigte – wie den Kläger – in Italien nicht in die Lage versetzt, dort ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Von den in Italien nicht flächendeckend vorhandenen Hilfsorganisationen oder Hilfsangeboten sind lediglich Unterstützungsmaßnahmen zu erwarten, die im Notfall allenfalls als elementares Auffangnetz gegen Hunger dienen, für anerkannte Schutzberechtigte aber nicht (auch nicht für eine Übergangszeit) die für ein Überleben notwendigen Mittel zur Verfügung stellen können.
79Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Juli 2021 – 11 A 1674/20.A –, juris Rn. 141 ff.
80Im Fall des Klägers ist auch nichts für besondere Umstände ersichtlich, die zu einer anderen Bewertung im Einzelfall führen würden.
81Schließt die Gewährung internationalen Schutzes in Italien mithin die materiell-rechtliche Prüfung des auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie des subsidiären Schutzes gerichteten Asylantrags nicht aus, ist der angefochtene Bescheid insoweit gleichwohl rechtmäßig, weil die Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 AsylG nicht vorliegen.
82Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2a AsylG) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2b AsylG).
83Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung begründet ist, gilt der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die relevanten Rechtsgutverletzungen müssen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2d RL 2011/95/EU (EU-Qualifikations-RL) abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
84BVerwG, Urteil vom 20. G. 2013 – 10 C 23.12 –, BVerwGE 146, S. 67, Rn. 32.
85Es ist Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann.
86Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, juris, Rn. 8; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063/06.A –, juris, Rn. 33.
87Danach ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen.
88Es bestehen bereits deshalb Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Klägers zum fluchtauslösenden Geschehen, weil er in Italien ein anderes Geburtsdatum angegeben hat. Danach wäre er tatsächlich fünf Jahre älter als beim Bundesamt angegeben und hätte sein Heimatland nicht mit 14, sondern mit 19 Jahren verlassen. Das kann jedoch dahinstehen. Selbst wenn man das im Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt dargelegte Verfolgungsschicksal als wahr unterstellt, liegen in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht vor, da ihm keine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht. Der Kläger hat keine gezielt gegen seine Person gerichtete politische Verfolgung geltend gemacht.
89Er gibt an geflohen zu sein, nachdem seine Familie umgebracht worden sei, weil er Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch al-Shabaab gehabt habe. Dieser Vortrag begründet – unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Vorbringens – keine flüchtlingsrelevante Verfolgung. Denn es ist weder dargetan noch anderweitig ersichtlich, dass eine mögliche Zwangsrekrutierung durch al-Shabaab gezielt gegen den Kläger aufgrund eines ihm zugeordneten flüchtlingsrelevanten Merkmals im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG drohen könnte. Dass die Ermordung der Familie der al-Shabaab zuzurechnen sei, ist eine reine Vermutung des Klägers. Aber selbst wenn sich die Ereignisse so wie behauptet bzw. vermutet abgespielt haben sollten, ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, dass al-Shabaab ihn selbst wegen der Verweigerung der Zusammenarbeit durch seine Eltern oder aufgrund seiner Flucht als Ungläubigen oder politischen Gegner ansehen und deswegen verfolgen würde. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Familie mit ihren beiden Söhnen wahlloses Opfer der Zwangsrekrutierungsversuche von al-Shabaab wurde. Dazu passt die Angabe des Klägers, er habe Angst, dass al-Shabaab ihn bei einer Rückkehr „wie die anderen Kinder auch“ zwangsrekrutieren würde. Die Vorgehensweise der Miliz entspricht den vorliegenden Erkenntnissen, wonach al-Shabaab unterschiedslos insbesondere junge Menschen rekrutiert.
90Vgl. United Nations Assistance Mission in Somalia (UNSOM), Countering Al-Shabaab Propaganda and Recruitment Mechanisms in South Central Somalia, S. 12 ff.; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Somalia: Somaliland: Informationen zur Sicherheitslage und Menschenrechtslage - Aktuelle Informationen zu Zwangsrekrutierungen durch die al-Shabaab, 21. April 2017; The Danish Immigration Service, South and Central Somalia – Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, N. 2017, S. 20 ff.
91Hauptsächliches Rekrutierungsziel von al-Shabaab sind 10- bis 15-jährige Jungen, bevorzugt solche ohne Schulbildung und ohne Arbeit mit dem Versprechen einer guten Bezahlung, Ausbildung und Heirat.
92Vgl. United Nations Assistance Mission in Somalia (UNSOM), Countering Al-Shabaab Propaganda and Recruitment Mechanisms in South Central Somalia, S. 12.
93Der Kläger und sein Bruder waren ca. 12-14 Jahre alt, als die Gruppierung auf die Eltern zukam. Eine Schule hat der Kläger nie besucht. Er hat seinem Vater auf dem Feld geholfen. Unter diesen Umständen waren der Kläger und sein Bruder aus Sicht der Miliz ideale potentielle al-Shabaab-Mitglieder.
94Hat der Kläger nach alledem nicht zur Überzeugung der Einzelrichterin dargetan, aus begründeter Furcht vor Verfolgung aus Somalia ausgereist zu sein, besteht auch für den Fall seiner Rückkehr dorthin nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung durch die allein als mögliche Verfolgerin in Betracht zu ziehende al-Shabaab.
95Es liegen insbesondere keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei seiner Rückkehr mit einer Bestrafung durch al-Shabaab zu rechnen hätte, weil er sich den Zwangsrekrutierungsversuchen durch seine Flucht entzogen hat. Zwar kann die Weigerung, sich al-Shabaab anzuschließen, ernsthafte Konsequenzen bis hin zur öffentlichen Hinrichtung nach sich ziehen. Insbesondere wird al-Shabaab versuchen, eine Person zu töten, wenn sie – wie etwa bei ranghohen Deserteuren – als hinreichend wichtiges Ziel erachtet wird. Es ist ein Teil der Strategie von al-Shabaab, Angst in der Bevölkerung zu verbreiten und Exempel für künftige Rekruten zu statuieren.
96Vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Somalia: Somaliland: Informationen zur Sicherheitslage und Menschenrechtslage; Aktuelle Informationen zu Zwangsrekrutierungen durch die al-Shabaab, 21. April 2017, S. 7 m.w.N.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia, Wien am 25.4.2016 (letzte Kurzinformation eingefügt am 27.6.2017), S. 50.
97Al-Shabaab dürfte es dabei jedoch nicht vorrangig darum gehen, Vergeltung an denjenigen zu üben, die sich auf Grund ihrer (vermeintlichen) Überzeugung der Rekrutierung entziehen. Ihr Ansinnen dürfte es vielmehr sein, sich selbst und ihre Anhänger zu schützen sowie die verbleibenden potentiellen Rekruten durch Angst gefügig zu machen, damit sie sich ihr anschließen. Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass der Kläger von al-Shabaab als hinreichend wichtiges Ziel erachtet wird.
98Unabhängig davon scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch deshalb aus, weil es dem Kläger als gesundem jungen Mann zumutbar ist, in Mogadischu Schutz vor einer etwaigen Verfolgung durch al-Shabaab zu suchen (§ 3e AsylG).
99Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
100Der Kläger hat in N1. und der Region C2. keine begründete Furcht vor Verfolgung. Sein zwischen K. und K1. liegender Heimatort K. liegt ca. 398 km von N1. entfernt, so dass al-Shabaab schon auf Grund der Entfernung Schwierigkeiten haben dürfte, den Kläger dort ausfindig zu machen. Zudem leben in N1. schätzungsweise zwischen 1,9 und 2,5 Millionen Menschen,
101Daten abrufbar unter: https://www.laenderdaten.info/Afrika/Somalia/index.php; https://de.wikipedia.org/wiki/N1. ; http://worldpopulationreview.com/countries/somalia-population/cities/; https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/print_so.html.
102Dem Kläger dürfte es mithin möglich sein, in der Anonymität der Großstadt unterzutauchen bzw. sich jedenfalls dem Zugriff von al-Shabaab zu entziehen, zumal die Präsenz von al-Shabaab in N1. erheblich zurückgegangen ist, nachdem sie Mitte 2011 durch Truppen der B. und somalische Sicherheitskräfte aus den städtischen Regionen Süd- und Zentralsomalias vertrieben wurde,
103vgl. UK Home Office, Country Policy and Information Note, Somalia (South and Central): Fear of Al Shabaab, Juli 2017, S. 10; The Danish Immigration Service, South and Central Somalia – Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, N. 2017, S. 11 ff.
104Das Gericht verkennt nicht, dass es in den urbanen Zentren Somalias und insbesondere auch in N1. in jüngerer Zeit wieder vermehrt zu Anschlägen durch al-Shabaab gekommen ist.
105Vgl. nur Ecoi.net, Sicherheitslage in Somalia, 12. August 2019, Ziff. 2., abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/laender/somalia/themendossiers/sicherheitslage/; ACCORD, ecoi.net-Themendossier zu Somalia: Sicherheitslage / ecoi.net featured topic on Somalia: Security Situation, 31. Januar 2019, Ziff. 3.2, abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/dokument/2002530.html#Toc520443387.
106Dies führt jedoch nicht zu der Annahme, dass die dortige Sicherheitslage derart prekär wäre, dass es dem Kläger schlechterdings nicht zumutbar wäre, in N1. Schutz vor etwaigen Verfolgungshandlungen zu suchen. Vor allem bestehen keine Gründe für die Annahme, dass der Kläger dort allein aufgrund seiner Anwesenheit Gefahr liefe, getötet oder verletzt zu werden,
107vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Januar 2019 - 29 K 13784/17.A -, S. 12, nicht veröffentlicht; VG Köln, Urteil vom 9. Mai 2019 - 8 K 667/17.A -, juris Rn. 96, m.w.N.
108Es kann von dem Kläger auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich im Falle einer Rückkehr nach Somalia in N1. niederlässt. Zum einen hat er in seiner Heimatregion nach eigenen Angaben niemanden mehr. Zum anderen dürften die Erwerbsmöglichkeiten in N1. insgesamt besser sein als in seiner Heimatstadt.
109Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu. Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Absatz 1 S. 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten die in § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 3 AsylG genannten Tatbestände.
110Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AsylG) bzw. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen könnte (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG), sind angesichts seiner Angaben zu seinem Verfolgungsschicksal nicht ersichtlich. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen.
111Ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes folgt für den Kläger auch nicht aus § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG wegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Selbst wenn zu seinen Gunsten davon ausgegangen wird, dass in Süd- und Zentralsomalia, in der sein Heimatort L. liegt, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht,
112vgl. dazu Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 18. April 2021, Stand: Januar 2021, S. 5; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, vom 12. Januar 2018, S. 17 bis 23,
113erfüllt der Kläger in seiner Person jedenfalls nicht das Tatbestandsmerkmal der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ infolge willkürlicher Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG. Dieses setzt voraus, dass sich die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr für den betreffenden Ausländer zu einer Individualgefahr verdichtet.
114BVerwG, Urteil vom 13. G. 2014 – 10 C 6.13 –, juris Rn. 24; BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 –, juris Rn. 17; Verwaltungsgerichtshof Hessen (VGH Hessen), Urteil vom 14. Oktober 2019 – 4 A 1575/19.A –, juris Rn. 42; VGH Hessen, Urteil vom 22. August 2019 – 4 A 2335/18.A –, juris Rn. 40; VGH Bayern, Urteil vom 23. N. 2017 – 20 B 15.30110 –, juris Rn. 25.
115Eine solche Verdichtung bzw. Individualisierung kann sich zum einen aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann zum anderen ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
116BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 – 10 C 9/08 –, BVerwGE 134, S. 188; BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 –, juris Rn. 18 f.
117Soweit sich eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise aus dem hohen Gefahrengrad für jede sich in dem betreffenden Gebiet aufhaltende Zivilperson ergibt, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen demgegenüber gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Erforderlich ist in beiden Konstellationen eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung.
118BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 –, juris Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 –, NVwZ 2012, S. 454.
119Hinsichtlich der Gefahrendichte geht das Bundesverwaltungsgericht in Anlehnung an die Grundsätze, die zur Ermittlung einer relevanten „Gruppenverfolgung“ herausgearbeitet worden sind, davon aus, dass eine hinreichende Gefahrendichte für die Annahme der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes vorbehaltlich einer wertenden Gesamtbetrachtung des gefundenen Ergebnisses jedenfalls dann noch nicht gegeben ist, wenn das Risiko, als Zivilperson in der innerstaatlichen Auseinandersetzung getötet oder schwer verletzt zu werden, in der zu betrachtenden Region bei 1:800 (= 0,13 %) liegt.
120Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 –, juris Rn. 22; auf das Tötungs- und Verletzungsrisiko abstellend auch VGH Hessen, Urteil vom 14. Oktober 2019 – 4 A 1575/19.A –, juris Rn. 42; OVG NRW, Beschluss vom 31. Juli 2018 – 19 A 1675/17.A –, juris Rn. 15.
121Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr, in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird. Dabei kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kommt auch dann nicht in Betracht, wenn jemand infolge eines bewaffneten Konflikts den Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Etwas anderes gilt aber insbesondere dann, wenn sich jemand schon vor seiner Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von seiner Herkunftsregion gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben.
122Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2009 – 10 C 9.08 –, juris Rn. 17; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 –, juris Rn. 13 f.
123Nach diesen Kriterien ist davon auszugehen, dass der Grad willkürlicher Gewalt gegenwärtig kein so hohes Niveau erreicht hat, dass Gründe für die Annahme bestehen, der Kläger liefe bei einer Rückkehr in seine vornehmlich zu betrachtende Heimatregion allein durch seine Anwesenheit Gefahr, getötet oder verletzt zu werden.
124Ausgehend von den vorliegenden Erkenntnissen lag unter Zugrundlegung der niedrigsten Schätzung der Einwohnerzahl der Region K2. E. , in der der Heimatort L. des Klägers liegt, von mindestens 362.921 Menschen das Risiko, als Zivilperson bei einer innerstaatlichen Auseinandersetzung in der Region getötet oder schwer verletzt werden, im Jahr 2016 bei 0,0004 %, im Jahr 2017 bei 0,0003 %, im Jahr 2018 bei 0,001 %, im Jahr 2019 bei 0,0004 % und im Jahr 2020 bei 0,001 %. Stellte man auf den Zielort N1. ab, ergibt sich kein wesentlich anderes Bild. Für die Hauptstadtregion N1. ist das Risiko bei einer Gesamtbevölkerung von 1,9 Mio. Einwohnern wie folgt zu beziffern: 2016: 0,030 %, 2017: 0,069 %, 2018: bei 0,051 %, 2019: 0,039 % und 2020: 0,0002.
125Somalia, Jahr 2016: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), zusammengestellt von Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), 9. G. 2017; Somalia, Jahr 2017: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem ACLED, zusammengestellt von ACCORD, 18. Juni 2018; Somalia, Jahr 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem ACLED, zusammengestellt von ACCORD, 25. G. 2020; Somalia, Jahr 2019: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem ACLED, zusammengestellt von ACCORD, 22. Juni 2020; Somalia, Jahr 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem ACLED, zusammengestellt von ACCORD, 23. N. 2021; allesamt abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de.
126Hierbei ist im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung einerseits zu berücksichtigen, dass es sich bei den zugrundeliegenden Zahlen nur um die registrierten Vorfälle handelt, die Dunkelziffer gewalttätiger Vorfälle demgegenüber höher sein dürfte. Andererseits gilt es zu bedenken, dass die Opferzahlen neben „gewöhnlichen“ Personen auch solche mit erhöhtem Gefährdungspotenzial enthalten und dass unterschiedslos gleichermaßen zivile und militärische Opfer erfasst werden. Soweit Todesopfer auf gewalttätige Aktionen der al-Shabaab zurückzuführen sind, handelt es sich in erster Linie um spezifische strategische Ziele, wie etwa Versorgungskonvois der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) oder bewaffnete Patrouillen,
127UK Home Office, Country Policy and Information Note Somalia (South and Central): Security and humanitarian situation, Juli 2017, S. 29 bis 31; Danish Refugee Council, South and Central Somalia, Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups, N. 2017, S. 19,
128so dass die Gefahr, als Zivilperson verletzt oder getötet zu werden, im Ergebnis deutlich niedriger sein dürfte, als sich an den reinen Opferzahlen ablesen lässt. Hinzu kommt, dass die Bevölkerungszahl seit der Ausreise des Klägers aus Somalia gestiegen sein dürfte.
129Der Kläger gehört auch nicht zu einer Personengruppe, die einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist, Opfer eines Anschlags der al-Shabaab zu werden. Insoweit sind bestimmte Personengruppen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer eines Anschlags der al-Shabaab zu werden. Die betroffenen Personen weisen die Gemeinsamkeit auf, dass sie die somalische Regierung unterstützen. Hierzu gehören Angehörige der Sicherheitskräfte, Regierungsmitglieder und regierungsnahe Politiker, Regierungs- und Verwaltungsangestellte, Richter, Mitarbeiter von UN-Organisationen sowie von nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen einschließlich Mitarbeiter humanitärer Organisationen und Angehörige diplomatischer Missionen, aber auch Akteure der Zivilgesellschaft, Clanälteste, Journalisten oder Geschäftsleute.
130Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, vom 12. Januar 2018, S. 130.
131Zu diesem Personenkreis zählt der Kläger nicht.
132Ein gefahrerhöhender persönlicher Umstand ergibt sich für den Kläger schließlich auch nicht aus seiner Situation als Rückkehrer nach einem Auslandsaufenthalt. Angesichts der Zahl von rückkehrenden Personen, vor allem auch Binnenvertriebenen und Flüchtlingen aus Kenia, kann allein die Rückkehr aus dem Ausland nicht als gefahrerhöhendes Moment angesehen werden.
133Vgl. European Asylum Support Office, Informationsbericht über das Herkunftsland Süd- und Zentralsomalia – Länderüberblick, August 2014, S. 125 f.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, vom 12. Januar 2018, S. 135 f.; aus der Rechtsprechung: VGH Bayern, Urteil vom 17. N. 2016 – 20 B 13.30233 –, juris Rn. 25; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2015 – 10 A 10689/15 –, juris Rn. 41; VG Stade, Urteil vom 27. Januar 2016 – 1 A 1385/14 –, juris Rn. 32; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Juni 2017 – 14a K 7056/16.A –, juris Rn. 85.
134Der angefochtene Bescheid ist auch hinsichtlich seiner Ziffer 4 rechtmäßig. Der vom Kläger weiter hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unzulässig.
135Soweit sich der Hilfsantrag auf das Herkunftsland Somalia des Klägers bezieht, fehlt dem Kläger das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Denn dem Kläger steht kraft Gesetzes nationaler Abschiebungsschutz in Bezug auf Somalia aufgrund seiner ausländischen Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift dürfen Asylberechtigte, die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind, nicht in den Staat abgeschoben werden, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist. Dies ist beim Kläger hinsichtlich Somalias der Fall. Durch die Regelung in § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG werden der Entscheidung Italiens, den Kläger als Flüchtling anzuerkennen, Rechtswirkungen auch in der Bundesrepublik Deutschland beigemessen.
136Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris Rn. 29.
137Zusätzlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Somalia bedarf es daher nicht.
138Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris Rn. 32.
139Sollte angesichts des nicht auf das Herkunftsland Somalia beschränkten Hilfsantrages die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz auch hinsichtlich Italiens als vom Klagebegehren umfasst angesehen werden (§ 88 VwGO), ist auch dieser Anspruch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Eine solche Feststellung kann die Rechtsstellung des Klägers nicht verbessern und geht ins Leere. Der Asylantrag des Klägers ist nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig, so dass eine Abschiebungsandrohung nach Italien nicht in Betracht kommt. Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob einer Abschiebung nach Italien Hindernisse im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entgegenstehen.
140Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Die Vorschrift stellt eine spezielle Rechtsgrundlage für den Erlass der Abschiebungsandrohung bei unzulässigen Anträgen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dar. Aufgrund der Unzulässigkeit des Asylantrages ergeht keine Sachentscheidung nach § 31 Abs. 2 S. 1 AsylG, das heißt eine materiell-rechtliche Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes findet nicht statt. Deshalb kann die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, auch nicht das Herkunftsland betreffen, sondern muss sich auf den sonstigen Drittstaat beziehen, in den die Rückführung für zulässig erachtet wird.
141Vgl. Marx, Asylgesetz, 9. Aufl., § 31 Rn. 13 f.
142Bei unterstellter Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers wäre Zielstaat der Abschiebung im vorliegenden Fall Italien mit der Folge, dass eine Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG bezüglich Italiens zu treffen wäre. Falls ein Hindernis besteht, ist dies festzustellen und ist die Rückführung in den Drittstaat rechtlich ausgeschlossen.
143Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 31 Rn. 3.
144Trotz der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Italien ist der Asylantrag des Klägers wegen Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie jedoch, wie oben ausgeführt, als zulässig anzusehen. Das Bundesamt hat im Ergebnis zu Recht über den Asylantrag des Klägers im nationalen Verfahren entschieden. Die Zulässigkeit des Asylantrags schließt die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich Italiens aus. Denn wenn eine Entscheidung in der Sache zu treffen ist, muss sich die sodann gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 S. 1 AsylG zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen, auf das Herkunftsland beziehen.
145Darüber hinaus fehlt dem Kläger auch das Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Aufhebung der negativen Sachentscheidung zum nationalen Abschiebungsschutz in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids, da er aufgrund der in Italien ausgesprochenen Anerkennung als Flüchtling bereits den begehrten Abschiebungsschutz in Deutschland genießt.
146Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris Rn. 33.
147Hinsichtlich der Ziffern 5 und 6 ist der angefochtene Bescheid vom 21. G. 2019 demgegenüber rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
148Rechtsgrundlage für die Androhung der Abschiebung ist § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn 1. der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, 2. dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, 2a. dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, 3. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und 4. der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. § 60 Abs. 10 S. 2 AufenthG bestimmt, dass in der Androhung die Staaten zu bezeichnen sind, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
149Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob dem Erlass der Abschiebungsandrohung nicht von vorneherein entgegensteht, dass der Kläger in Italien als Flüchtling anerkannt ist, dorthin aber nicht abgeschoben werden darf.
150Nach § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in den Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit nach dem Ergebnis der ausländischen Prüfung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bedroht ist. Durch diese Regelung hat sich die Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Abschiebungsschutzes an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch einen anderen Staat gebunden.
151BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris, Rn. 29.
152Das Verbot der Abschiebung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG wird in § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht genannt. Der Bestimmung ist jedoch zu entnehmen, dass alle Fälle einer Statusanerkennung dem Erlass der Abschiebungsandrohung entgegenstehen. Im vorliegenden Fall wird ein solcher Status kraft Gesetzes zuerkannt.
153Zwar wird in § 60 Abs. 10 S. 1 AufenthG ausdrücklich bestimmt, dass bei einem Ausländer, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, nicht davon abgesehen werden kann, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. Von dieser Regelung sind grundsätzlich diejenigen erfasst, die, wie der Kläger, außerhalb des Bundesgebiets als Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt wurden.
154Vgl. Baur/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 60 AufenthG, Rn. 65.
155Allerdings ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, in welchen Staat der Kläger abgeschoben werden könnte. Italien als Staat der Flüchtlingsanerkennung scheidet aus den oben genannten Gründen aus; ein anderer aufnahmebereiter Staat ist nicht gegeben.
156Dies muss vorliegend jedoch nicht geklärt werden. Die Abschiebungsandrohung erweist sich deshalb als rechtswidrig, weil in ihr entgegen der zwingenden Vorschrift des § 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG Somalia nicht als der Staat bezeichnet wird, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf. Hierzu war das Bundesamt aufgrund der Bindungswirkung der italienischen Flüchtlingsanerkennung, die aufgrund der somalischen Staatsangehörigkeit des Klägers erfolgte, verpflichtet.
157BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris, Rn. 36.
158Da die Abschiebungsandrohung aufgehoben wird, ist die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 6 des Bescheides gegenstandslos und aus Gründen der Rechtsklarheit ebenfalls aufzuheben.
159Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83b AsylG. Die nicht isoliert, sondern als Annex zu den sonstigen Regelungen des Bescheids angegriffene Abschiebungsandrohung wirkt sich ebenso wie das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Bestimmung des Gegenstandswerts nicht aus,
160vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 30.03.2021 - 11 S 3421/20 -, juris Rn. 35, und vom 02.03.2021 - 11 S 120/21 -, juris Rn. 76,
161und stellt sich im Vergleich zu dem sonstigen Inhalt des Bescheids als unwesentlich dar,
162vgl. BVerwG, Beschluss vom 31.07.2000 - 9 C 3/00 -, juris.
163Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 Zivilprozessordnung.
164Rechtsmittelbelehrung:
165Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung beantragt werden. Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster.
166Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1671. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
1682. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1693. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
170Der Antrag ist schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
171Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.
172In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
173Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
174Die Antragsschrift soll möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.