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Die der Beigeladenen für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf dem Grundstück O. Straße 000 in X. erteilte Teilbaugenehmigung der Beklagten vom 28. März 2019, der Bescheid der Beklagten über die Zulassung einer Befreiung vom 28. März 2019, die Baugenehmigung der Beklagten vom 22. Mai 2019 in Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 14. Januar 2021 und der Bescheid der Beklagten über die Zulassung einer Befreiung vom 22. Mai 2019 werden aufgehoben.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen tragen die Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte. Die Beklagte und die Beigeladene tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klage richtet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf dem Grundstück G1 (postalisch: O. Straße 000) in X. .
3Das Vorhabengrundstück liegt östlich der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden O. Straße. Es ist Teil des ehemaligen Flurstücks G2, welches inzwischen in das Flurstück G3 und das südlich davon gelegene Flurstück G4 unterteilt wurde.
4Die Klägerinnen sind Eigentümerinnen der Grundstücke mit den postalischen Bezeichnungen O. Straße 001/002 sowie 003. Die Grundstücke schließen sich nördlich an das Vorhabengrundstück an und liegen ebenfalls unmittelbar an der O. Straße. Sie sind mit dreigeschossigen Gebäuden bebaut, in deren Erdgeschoss sich die Ausstellungsräume eines Fliesenlegerbetriebes und -handels samt Lager befinden. Die weiteren Geschosse werden jeweils zu Wohnzwecken genutzt.
5Das ehemalige Flurstück G2 befand sich ursprünglich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 0 – Am B. . Dieser setzte dort eine öffentliche Grünfläche (Sportplatz) fest; auf dem Flurstück befand sich ein Fußballfeld mit Stehtribüne. Für das Grundstück O. Straße 001/002 setzte der Bebauungsplan Nr. 0 ein allgemeines Wohngebiet fest. Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks war ein – bisher ungenutztes – Baufenster vorgesehen. Das Grundstück O. Straße 003 lag seit dessen 3. Änderung, in Kraft getreten am 17. Juni 1992, außerhalb des Geltungsbereichs dieses Bebauungsplans.
6Der Rat der Beklagten beschloss am 19. Dezember 2016 die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 00 – Sportplatz O. Straße. Dessen Geltungsbereich umfasst im Westen die Verkehrsfläche der O. Straße von der Hausnummer 002 im Norden bis zur Hausnummer 004 im Süden, östlich davon die Grundstücke O. Straße 001/002 sowie das wiederum östlich davon gelegene Grundstück O. Straße 005, das Vorhabengrundstück und das südlich davon gelegene Flurstück G5 sowie wiederum südwestlich davon das Flurstück G6 (postalisch: O. Straße 006 und 007).
7Der Aufstellungsbeschluss wurde am 4. Januar 2017 im Amtsblatt der Beklagten bekanntgemacht.
8Die Gesellschaft für N. mbH (im Folgenden: H. ) erstellte am 3. Juli 2017 im Auftrag der Beigeladenen eine Auswirkungsanalyse zur Ansiedlung eines M. Lebensmitteldiscounters in X. , O. Straße. Darin kam sie zu dem Ergebnis, der Standort „O. Straße 008“ würde eine wichtige, auch fußläufige Nahversorgungsfunktion für ein dicht besiedeltes Umfeld erfüllen. Das Einzugsgebiet des geplanten Marktes werde sich über den Nahbereich hinaus schwerpunktmäßig auf die nördlichen Wohnquartiere in den Stadtbezirken F. und F. -West beziehen. Städtebauliche oder versorgungsstrukturelle Auswirkungen durch die Ansiedlung seien nicht zu erwarten.
9Das Ingenieurbüro für Verkehrs- und Infrastrukturplanung C. (im Folgenden: C. ) erstellte im August 2017 im Auftrag der Beklagten ein Verkehrsgutachten zum Bebauungsplanverfahren 00. Es prognostizierte darin eine Verkehrszunahme an den untersuchten Knotenpunkten um bis zu 25,7 % in Spitzenzeiten. Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit bei der Ausfahrt aus dem Plangebiet sowie zur Gewährleistung eines angemessenen Verkehrsflusses im Geradeausstrom sei die Einrichtung einer Linksabbiegerspur in der nördlichen Zufahrt O. Straße zu empfehlen; alternativ komme eine Signalisierung des Knotenpunktes in Betracht.
10Die B1. GmbH (im Folgenden: B1. ) legte im Auftrag der Beklagten am 20. September 2017 ein „Schalltechnisches Fachgutachten zum Bebauungsplan 00 – Sportplatz O. Str. – der Stadt X. . Errichtung einer 4-fach Sporthalle / Ansiedlung von Einzelhandel“ vor. Sie kam darin zu dem Ergebnis, dass an den ungünstigsten Wohnhäusern oberhalb des Plangebiets Am L. die zulässigen Immissionspegel eines allgemeinen Wohngebiets durch Gewerbelärm ausgeschöpft, jedoch nicht überschritten würden. Am Gebäude O. Straße 001 ergebe sich ein Immissionspegel von Gewerbelärm zur Tageszeit von 56 dB(A). Der Betrieb der Sporthalle sei weitgehend unkritisch. Im Hinblick auf Verkehrslärm, der unter Bezugnahme auf das Verkehrsgutachten von C. untersucht wurde, sei das Plangebiet in den westlichen Randgebieten an der O. Straße stark vom Straßenverkehrslärm belastet. Diese Belastung würde jedoch weitgehend durch das bereits derzeit herrschende Verkehrsaufkommen verursacht.
11Wegen des näheren Inhalts der durchgeführten Untersuchungen wird auf die Auswirkungsanalyse der H. , das Verkehrsgutachten von C. und das Schalltechnische Fachgutachten der B1. in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Beklagten, Beiakten Hefte 2 und 3, Bezug genommen.
12Nach Durchführung der frühzeitigen Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung beschloss der Ausschuss für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Bauen der Beklagten am 25. Oktober 2017 die öffentliche Auslegung des Planentwurfs einschließlich der Begründung. Der Beschluss wurde am gleichen Tage im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.
13Die Auslegung des Planentwurfs fand vom 6. November 2017 bis zum 6. Dezember 2017 statt. Den Behörden und Nachbargemeinden wurde ebenfalls bis zum 6. Dezember 2017 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
14Am 12. März 2018 beschloss der Rat der Beklagten den Entwurf des Bebauungsplanes Nr. 00 als Satzung. Der Bebauungsplan setzt für das Vorhabengrundstück ein Mischgebiet (MI 1) mit abweichender Bauweise, einer Grundflächenzahl von 0,6 sowie einem rechteckigen Baufenster fest, welches ausnahmsweise „für ein Vordach im Eingangsbereich an der Südfassade“ überschritten werden darf. Das Baufenster ist nördlich und östlich von einer Fläche mit Bindungen für die Erhaltung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen umgeben. Die nicht überbaubaren Grundstücksflächen südlich und westlich des Baufensters sind überwiegend als für Stellplätze zulässige Flächen gekennzeichnet. Von sonstigen Nebenanlagen sind die nicht überbaubaren Flächen innerhalb des MI 1 freizuhalten; ausgenommen davon ist lediglich eine Werbetafel bzw. –pylon, für die eine entsprechende Fläche festgesetzt ist. Für die südlich davon gelegenen Flurstücke setzt der Bebauungsplan eine Fläche für den Gemeinbedarf (Sport- und Mehrzweckhalle) fest, das Flurstück G6 bildet ein Besonderes Wohngebiet. Für die Grundstücke O. Straße 001/002 und O. Straße 005 ist ebenfalls ein Mischgebiet (MI 2) festgesetzt, dort mit einer Grundflächenzahl von 0,6 und einer Geschossflächenzahl von 1,2. Das Baufenster im rückwärtigen Bereich des Grundstücks O. Straße 001/002 wurde hinsichtlich seiner Fläche aus dem Bebauungsplan Nr. 0 übernommen.
15Am 27. April 2018 nahm B1. eine Neuberechnung der Geräuschsituation des geplanten Neubaus auf dem ehemaligen Sportplatz O. Straße vor, die am 13. September 2018 wegen eines Berechnungsfehlers nochmals überarbeitet wurde. Demzufolge ergäben sich gegenüber der ursprünglichen Berechnung in Bezug auf den Gewerbelärm teilweise Pegelerhöhungen um 1 dB(A) tags und bis zu 5 dB(A) nachts. Die geltenden Richtwerte würden aber in keinem Fall überschritten. Der berechnete Immissionspegel zur Tageszeit am Gebäude O. Straße 001 bleibe unverändert.
16Die Beigeladene stellte am 3. Juli 2018 einen Bauantrag für den Neubau eines Lebensmittelmarktes mit 1374,06 m² Verkaufsfläche und 97 Stellplätzen auf dem ehemaligen Flurstück G2. Dieser wurde von der Beklagten ungültig gestempelt.
17Nachdem die Beklagte die H. um Aktualisierung der Datengrundlagen im Gutachten vom 3. Juli 2017 gebeten hatte, nahm diese mit Stellungnahme vom 5. September 2018 die Aktualisierung vor und teilte mit, dass die Ergebnisse der Auswirkungsanalyse weiterhin Bestand hätten.
18Die Beigeladene bestätigte am 10. September 2018 gegenüber der Beklagten, die künftigen Festsetzungen des im Genehmigungsverfahren befindlichen Bebauungsplans Nr. 00 anzuerkennen.
19Der Satzungsbeschluss wurde am 7. November 2018 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.
20Die Klägerinnen machten mit Schreiben vom 20. November 2018, bei der Beklagten spätestens eingegangen am 4. Dezember 2018, Einwände gegen den Bebauungsplan geltend. Dabei führten sie unter anderem aus, die gesetzlichen Vorgaben an ein Mischgebiet würden von der Planung nicht berücksichtigt. Die Ausweisung der überbaubaren Grundstücksfläche im Gebiet MI 1 sei allein durch die Bedürfnisse des Discounters geprägt und lasse eine sinnvolle anderweitige MI-Nutzung nicht zu.
21Am 22. Januar 2019 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Lebensmittelmarktes mit 1374,06 m² Verkaufsfläche und 96 (gestrichen: 100) Stellplätzen unter Mitnutzung eines Teilgrundstückes der Sporthalle, zur Errichtung einer Bohrpfahlwand zur Hangsicherung sowie zur Errichtung einer Zufahrtsstraße mit L-Steinmauer zur Erschließung der Grundstücke M. und Sporthalle. Der beigefügten Betriebsbeschreibung zufolge sollten die Betriebszeiten des Marktes von 6:00 bis 22:00 Uhr und die Öffnungszeiten für Kunden von 7:00 bis 21:00 Uhr reichen.
22Die Beklagte erteilte der Beigeladenen am 28. März 2019 eine Teil-Baugenehmigung für die Errichtung einer Bohrpfahlwand zur Hangsicherung sowie einen Bescheid über die Zulassung einer Befreiung (BauGB) hinsichtlich der teilweisen Inanspruchnahme der im Bebauungsplan festgesetzten Erhaltungsfläche. Die Bescheide gingen der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen am 11. April 2019 gegen Postzustellungsurkunde zu.
23Die Klägerinnen haben am 7. Mai 2019 die vorliegende Klage gegen die Teil-Baugenehmigung und den Befreiungsbescheid vom 28. März 2019 erhoben.
24Die Beklagte erteilte der Beigeladenen am 22. Mai 2019 eine Baugenehmigung für die Errichtung des Lebensmittelmarktes mit 96 Stellplätzen und einer Feuerwehrzufahrtsstraße mit L-Steinmauer sowie einen Bescheid über die Zulassung einer Befreiung (BauGB) hinsichtlich der Art der Nutzung für den innerhalb der Gemeinbedarfsfläche liegenden Teil der geplanten Stellplätze. Den Auflagen zur Baugenehmigung zufolge wurde diese für einen atypisch großflächigen Lebensmittel-Discountmarkt im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO erteilt. Die Gesamtverkaufsfläche von 1.374,06 m² sowie das Kernsortiment „Nahrungs- und Genussmittel“ wurden festgeschrieben. Das Randsortiment ist auf maximal 10 % der Gesamtverkaufsfläche begrenzt. Das Gutachten der H. nebst Ergänzungsschreiben vom 5. Juli 2018 ist Bestandteil der Baugenehmigung. Ferner enthält die Baugenehmigung Bestimmungen, wonach die Anlage so zu errichten und zu betreiben ist, dass die von ihr einschließlich des ihr zuzurechnenden Fahrzeugverkehrs verursachten Geräuschimmissionen näher festgesetzte Überwachungswerte an bestimmten Immissionsorten nicht überschreiten.
25Die Bescheide vom 22. Mai 2019 gingen der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen am 11. Juni 2019 gegen Postzustellungsurkunde zu.
26Die Klägerinnen haben mit Schriftsatz vom 8. Juli 2019 die Klage um die Anfechtung der Baugenehmigung und des Befreiungsbescheides vom 22. Mai 2019 erweitert.
27Die Beigeladene beantragte am 21. August 2020 die Erteilung einer geänderten Baugenehmigung, mit der die Öffnungszeiten des Marktes von 7:00 Uhr bis 21:30 Uhr verlängert werden sollten. Sie legte im weiteren Verfahren eine Beurteilung der Geräuschsituation durch B1. vom 9. Oktober 2020 vor, wonach an der Südseite des Gebäudes O. Straße 001 der Gewerbelärm bei Öffnungszeiten bis maximal 21:45 Uhr zur Tageszeit 57 dB(A) betrage.
28Am 14. Januar 2021 erteilte die Beklagte der Beigeladenen eine Nachtragsbaugenehmigung, mit der die Öffnungszeiten des Markes von 7:00 bis 21:30 Uhr verlängert wurden.
29Die Klägerinnen haben die Nachtragsbaugenehmigung vom 14. Januar 2021 mit Schriftsatz vom 29. Januar 2021 zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht.
30Zur Begründung der Klage tragen sie im Wesentlichen vor:
31Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei zu unbestimmt. Der Begriff des Lebensmittelmarktes sei nicht legaldefiniert, sodass nicht klar sei, welches Warenangebot von der Baugenehmigung umfasst sei.
32Der Bebauungsplan Nr. 00 sei formell fehlerhaft. Der Ausschuss für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Bauen sei nicht für den Offenlegungsbeschluss zuständig gewesen. Ferner genüge die Belehrung im Rahmen der Bekanntmachung des Offenlegungsbeschlusses nicht den gesetzlichen Anforderungen.
33Der Bebauungsplan Nr. 00 sei zudem abwägungsfehlerhaft zustande gekommen. Er zerschneide willkürlich die Gebäude O. Straße 001 bis 003, die eine optische Einheit bildeten. Die Mischgebietsfestsetzung MI 2 für das vormalige allgemeine Wohngebiet in diesem Bereich sei nur gewählt worden, um höhere Immissionswerte ansetzen zu können. Die Voraussetzungen für ein Mischgebiet lägen nicht vor, da es am quantitativen Gleichgewicht zwischen Wohnnutzung und Gewerbe fehle. Im Bereich der Festsetzung MI 1 liege ein unechtes Mischgebiet vor. Die einzelnen Festsetzungen seien von Anfang an ausschließlich auf das Vorhaben der Beigeladenen ausgerichtet gewesen. Ein Gutachten zu den Auswirkungen eines – im Mischgebiet regelmäßig zulässigen – nicht großflächigen Einzelhandels habe die Beklagte gar nicht erst eingeholt. Eine Durchmischung von Wohnen und Gewerbe fände im Bereich der Festsetzung MI 1 mangels Wohnungen gar nicht statt.
34Wegen der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 lebe der Bebauungsplan Nr. 0 wieder auf. Mit dessen Festsetzungen sei das Vorhaben der Beigeladenen nicht vereinbar. Ginge man hingegen nicht vom Wiederaufleben des vormaligen Bebauungsplans, sondern von einem unbeplanten Innenbereich aus, liege ein faktisches allgemeines Wohngebiet vor, in dem das Vorhaben nicht zulässig sei. Die Annahme der Beklagten, es liege ein faktisches Mischgebiet vor, lasse sich nicht mit dem Gewerbebetrieb im Erdgeschoss der Gebäude O. Straße 001 bis 003 begründen. Der Betrieb, der vorrangig ein Fliesenlegerbetrieb sei, sei im allgemeinen Wohngebiet genehmigt worden und verursache lediglich überschaubaren Kunden- und Anlieferverkehr. Einmal wöchentlich werde eine Lkw-Lieferung aus Italien entgegengenommen, darüber hinaus würden maximal zweimal pro Woche Kleinstmaterialien mit Sprintern angeliefert.
35Selbst bei Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 sei die Klage begründet, da der Gebietsgewährleistungsanspruch der Klägerinnen verletzt sei. Diesbezüglich dürften die Festsetzungen MI 1 und MI 2 nicht getrennt betrachtet werden. Der Gebietsgewährleistungsanspruch beziehe sich auf die Art der baulichen Nutzung, diese sei bei beiden Festsetzungen identisch. Der genehmigte Lebensmittelmarkt sei wegen seiner Größe nur in einem Kern- oder Sondergebiet zulässig. Eine ausnahmsweise Zulässigkeit des Vorhabens in einem Mischgebiet sei nicht gegeben, da eine Atypik im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauVNO nicht vorliege. Dies folge nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bereits aus der Nutzfläche des Vorhabens von über 1.900 m². Das Gutachten der H. , das der Annahme einer Atypik durch die Beklagte zugrunde liege, sei methodisch fehlerhaft. Es gehe von unrichtigen Verhältnissen vor Ort aus und sei nicht in sich schlüssig. Die Auswirkungen des Marktes auf die Nahversorgung, etwa auf den rund 2 km entfernten D. -Markt im Quartier F1. , würden unschlüssig dargelegt. Ein bestehendes Nahversorgungsdefizit im Bereich V. werde durch das Vorhaben nicht behoben, sondern höchstens verlagert. Der Umstand, dass die Beigeladene das Vorhaben in einem Umkreis von über 5 km bewerbe, zeige, dass dieses nicht nur der Versorgung des Nahbereichs diene.
36Des Weiteren werde das Rücksichtnahmegebot verletzt. Die rückwärtige Ruhezone der Gebäude O. Straße 001/002 sei betroffen, zumal die Zufahrt zum Vorhaben als Steigung ausgeführt sei. Der Lärm vom Parkplatz werde durch die Bohrpfahlwand reflektiert und gegen die Sporthalle gespiegelt und so in Richtung der Klägergrundstücke noch zusätzlich verstärkt. Die Ampelanlage an der Abbiegung zur Zufahrt, deren Kosten allein die Beigeladene getragen habe, führe zu Staus und Anfahrtslärm, den das Lärmgutachten nicht berücksichtige. Der Bau der Ampelanlage stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vorhaben der Beigeladenen; die Einhaltung der entsprechenden Vorgaben des Verkehrsgutachtens von C. würde in der Baugenehmigung ausdrücklich gefordert. Zudem sei im Lärmgutachten die Anzahl der Fahrzeugbewegungen zu gering angesetzt, da es sich gerade nicht um einen typischen M. -Markt handele. Der Verkehr zu den Sporthallen sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Ob am Gebäude O. Straße 003 die Richtwerte für allgemeine Wohngebiete eingehalten würden, sei durch nichts belegt. Eine Abschirmwirkung des Gebäudes O. Straße 001/002 sei wegen der Ausrichtung der Gebäude nicht gegeben. Darüber hinaus beständen vom Parkplatz des Vorhabens aus unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten.
37Die Nebenbestimmung zum Ende der Stellplatznutzung um 22:00 Uhr sei untauglich, da sie nicht umsetzbar sei.
38Es liege auch ein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften vor. Der zwei Meter hohe Sichtschutzzaun an der Grundstücksgrenze stehe auf einer Stützmauer, die zu seiner Gesamthöhe hinzuzurechnen sei. Die Berufung auf diesen Verstoß sei ihnen nicht verwehrt, da ihre eigene Bebauung in der Abstandsfläche zulässig sei bzw. keine Abstandsflächen auslöse.
39Zuletzt liege ein Verstoß gegen § 51 Abs. 7 BauO NRW a.F. durch die Anordnung der Stellplätze vor. Die Wohngebäude würden durch die Scheinwerfer im Dunkeln ausgeleuchtet. Dies gelte vor allem für Fahrzeuge, die beim Verlassen des Grundstücks der Beigeladenen auf die Rampe einbögen und von deren oberem Ende aus direkt in die Schlafzimmerfenster des Gebäudes O. Straße 001 leuchteten.
40Die Klägerinnen beantragen,
41die der Beigeladenen für die Errichtung eines Lebensmittelmarktes auf dem Grundstück O. Straße 000 in X. erteilte Teilbaugenehmigung der Beklagten vom 28. März 2019, den Bescheid der Beklagten über die Zulassung einer Befreiung vom 28. März 2019, die Baugenehmigung der Beklagten vom 22. Mai 2019 in Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 14. Januar 2021 und den Bescheid der Beklagten über die Zulassung einer Befreiung vom 22. Mai 2019 aufzuheben.
42Die Beklagte beantragt,
43die Klage abzuweisen.
44Sie macht im Wesentlichen geltend:
45Der Bebauungsplan Nr. 00 sei nicht formell fehlerhaft zustande gekommen. Eine Belehrung im Rahmen des Offenlegungsbeschlusses sei im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB entbehrlich.
46Durch die Festsetzung MI 2 des Bebauungsplans Nr. 00 würden die bestehenden Nutzungen umfassend abgesichert und besäßen darüber hinaus wegen des nunmehr erweiterten Baufensters noch Entwicklungsmöglichkeiten. Trotz der Festsetzung als allgemeines Wohngebiet im Bebauungsplan Nr. 0 handele es sich bereits gegenwärtig um ein faktisch vorhandenes Mischgebiet.
47Der Gebietsgewährleistungsanspruch der Klägerinnen sei nicht verletzt. Das Vorhaben sei im Mischgebiet zulässig, da eine städtebauliche Atypik ermittelt worden sei und sich das Vorhaben als verträglich erweise. Das Einzelhandels- und Zentrenkonzept der Beklagten stelle für den Bereich V. -L1. ein Versorgungsdefizit fest. Das Vorhaben stelle sich als strukturelle Erstversorgung des Stadtteils dar und behebe dieses Defizit. Das zugrundeliegende Gutachten der H. sei nicht zu beanstanden. Die Auswirkungen auf den D. -Markt seien berücksichtigt worden, die Umsatzumverteilung liege aber unter 10 %. Es finde keine Verlagerung eines Nahversorgungsdefizits statt; der Bereich V. werde parallel zum Umfeld O. Straße verstärkt und ausgebaut.
48Es liege auch kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Die Geräuschsituation sei bereits im Rahmen des Bauleitplanverfahrens umfassend untersucht worden. Das Plangebiet sei durch den Verkehrslärm auf der O. Straße und den früher vorhandenen Sportplatz stark vorbelastet. Im Lärmschutzgutachten sei die gemeinsame Zufahrt des Lebensmittelmarktes und der Sporthallen berücksichtigt worden. Der von der künftigen Sporthalle ausgehende Lärm sei bei der Beurteilung des Vorhabens der Beigeladenen unbeachtlich. Die im Hinblick auf den Verkehrslärm zugrunde gelegte Anzahl an Fahrzeugbewegungen beruhe auf dem Verkehrsgutachten von C. , dessen Angaben die Klägerinnen nicht substantiiert angegriffen hätten. Das Lärmschutzgutachten ermittele die Gewerbelärmbelastung am Gebäude O. Straße 001/002. Wegen der größeren Distanz und der Abschirmwirkung des Gebäudes O. Straße 001/002 sei damit klar, dass der Richtwert für allgemeine Wohngebiete von 55 dB(A) am Gebäude O. Straße 003 eingehalten werde. Die von den Klägerinnen behauptete Reflektion des Lärms sei mit den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort nicht in Einklang zu bringen. Zudem sei der rückwärtige Grundstücksbereich der Klägerinnen durch eine Tiefgarageneinfahrt vorbelastet.
49Die Nebenbestimmung zur Sicherstellung der Betriebszeiten sei nicht untauglich, sondern lasse verschiedene Maßnahmen der Sicherung zu.
50Die Vorschriften zu den Abstandsflächen würden nicht verletzt. Der Sichtschutzzaun sei nicht höher als 2 Meter. Eine Kombination aus Stützmauer und Zaun sei nicht genehmigt.
51Da das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt sei, liege auch kein Verstoß gegen § 51 Abs. 7 BauO NRW a.F. vor.
52Die Beigeladene beantragt,
53die Klage abzuweisen.
54Sie macht ergänzend zur Beklagten geltend:
55Die Zuständigkeit des Ausschusses für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Bauen ergebe sich aus der Zuständigkeitsordnung der Beklagten.
56Die Festlegung der Grenzen des Plangebiets sei nicht Bestandteil der zu überprüfenden Abwägungsentscheidung. Im Übrigen stelle sich der Umstand, dass das Gebäude O. Straße 003 nicht zum Plangebiet gehöre, als konsequenter Nachvollzug der natürlich gewachsenen Grenzen der Umgebung dar. Die Grenze des Plangebiets entspreche dort auch der Grenze zwischen den Fluren G7 und G8 der Gemarkung F. sowie der Plangrenze des zuvor geltenden Bebauungsplans Nr. 0.
57Die Mischgebietsfestsetzung greife nicht in die Rechte der Klägerinnen ein. Vielmehr profitierten diese von der damit erfolgten Erweiterung der zulässigen Nutzungsarten und der wirtschaftlichen Wertsteigerung ihrer Grundstücke. Der Betrieb im Erdgeschoss der Gebäude der Klägerinnen sei schwerpunktmäßig ein Fliesenhandel, der nicht der Versorgung des Gebiets diene. Er sei damit in einem allgemeinen Wohngebiet als Einzelhandelsbetrieb nicht zulässig. Eine mischgebietskonforme Entwicklung des Plangebiets sei – auch infolge des Lebensmittelmarktes – bereits vorhanden. Im Übrigen ermöglichten die Festsetzungen des Bebauungsplans auch andere Vorhaben als das der Beigeladenen; das Baufenster eigne sich für eine Vielzahl anderer gewerblicher Nutzungen.
58Ein Gebietsgewährleistungsanspruch der Klägerinnen komme nicht in Betracht, da ein solcher Anspruch grundsätzlich nicht gebietsübergreifend gewährt werde. Bei den Festsetzungen MI 1 und MI 2 handele es sich um zwei getrennt voneinander zu betrachtende Baugebiete. Das ergebe sich aus den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 00, der Planurkunde und der Begründung zum Bebauungsplan. Darüber hinaus sei die Vorschrift des § 11 Abs. 3 BauNVO nicht drittschützend. Das müsse dann auch gelten, wenn der Verstoß gegen diese Vorschrift über die Figur des Gebietsgewährleistungsanspruchs vermittelt werden solle.
59Für die Verträglichkeit des geplanten Einzelhandelsvorhabens sprächen die Zahl der Einwohner im Nahbereich, die gute ÖPNV-Anbindung und die gutachterlich nachgewiesene Nahversorgungsfunktion des Marktes unter Einbeziehung der bisherigen Unterversorgung des Einzugsgebiets. Die Verbreitung der Werbeschilder lasse keinen Rückschluss auf den Einzugsbereich des Vorhabens zu, sondern entspreche der üblichen Geschäftspraxis. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass ein gewisser Anteil der Umsätze auch aus dem erweiterten Umfeld generiert werde, dies stehe aber einer Atypik des Marktes im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO nicht entgegen. Tatsächlich sei es seit der Inbetriebnahme des Vorhabens zu keinen Geschäftsaufgaben in zentralen Versorgungsbereichen gekommen.
60Von einem rückwärtigen Ruhebereich auf den Grundstücken der Klägerinnen könne angesichts der bestehenden Vorbelastung durch Straße und Sportplatz keine Rede sein. Bei der Prüfung, ob das Vorhaben durch seinen Lärm rücksichtslos wirke, sei die Möglichkeit der Zwischenwertbildung nach der TA Lärm zu beachten.
61Die Ampelanlage an der Zufahrt zum Vorhaben sei nicht in die Betrachtung einzubeziehen. Diese diene nicht nur der Verkehrsführung, sondern auch der Sicherheit der die Straße querenden Personen und der Andienung der Sporthallen; die Frage der Kostentragung sei dafür unerheblich.
62Einblicke auf die Grundstücke der Klägerinnen seien – soweit überhaupt möglich – hinzunehmen; die Klägerinnen könnten sich davor durch das Anbringen von Vorhängen schützen.
63Die von den Klägerinnen behauptete Gesamthöhe des Sichtschutzzaunes treffe nicht zu. Die von ihnen ausgemachten Höhenunterschiede beruhten auf Ablesefehlern. Dem Zaun komme ohnehin keine gebäudegleiche Wirkung zu. Im Übrigen dürften sich die Klägerinnen nicht auf einen Abstandsflächenverstoß berufen, da sich auf ihrem eigenen Grundstück entlang der Grundstücksgrenze zum Vorhaben auf einer Länge von 21 Metern eine eingeschossige Bebauung befinde.
64Die Baugenehmigung sei nicht unbestimmt. Die zulässige Spezifikation der Art der baulichen Nutzung in einer Baugenehmigung sei regelmäßig nicht davon abhängig, dass für sie eine Legaldefinition existiere.
65Der Berichterstatter hat die Örtlichkeit am 23. Oktober 2020 in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses des Ortstermins wird auf das Protokoll vom 23. Oktober 2020 und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
66Entscheidungsgründe:
67Die Klage hat Erfolg.
68Sie ist zulässig. Insbesondere fehlt es hinsichtlich der Anfechtung der Teilbaugenehmigung vom 28. März 2019 nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis der Klägerinnen. Die Teilbaugenehmigung hat sich durch die Baugenehmigung vom 22. Mai 2019 nicht erledigt, da mit ihr ein positives Gesamturteil des Vorhabens ausgesprochen wird, auf das sie sich bezieht. Ähnlich wie aus einem Vorbescheid können aus einer bestandskräftigen Teilbaugenehmigung dem Nachbarn negative Bindungen auch dann abzuleiten sein, wenn zwar die Baugenehmigung, nicht aber die Teilbaugenehmigung auf die Nachbarklage hin aufgehoben wird.
69Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Oktober 2002 – 7 A 3185/01 –, juris, Rn. 37; Schulte, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte u.a., Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Stand: April 2021, § 76 BauO NRW 2018, Rn. 13, 20.
70Darüber hinaus steht einer Erledigung der Teilbaugenehmigung durch die endgültige Baugenehmigung hier entgegen, dass die Nebenbestimmungen und Hinweise der Teilbaugenehmigung ausweislich der Auflage BGA24 zur Baugenehmigung vom 22. Mai 2019 ihre Gültigkeit behalten, soweit sie nicht erkennbar durch diese Genehmigung überholt sind.
71Auch das Rechtsschutzbedürfnis zur Anfechtung der Baugenehmigung vom 22. Mai 2019 ist nicht durch die Erteilung der Nachtragsbaugenehmigung vom 14. Januar 2021 entfallen. Die Nachtragsbaugenehmigung führt nicht zur Erledigung der ursprünglich erteilten Baugenehmigung, sondern modifiziert diese und bildet mit ihr einen einheitlichen Gegenstand der Anfechtungsklage. Denn sie betrifft kleinere Änderungen – hier im Hinblick auf die Öffnungszeiten des Marktes –, regelt aber kein inhaltlich von dem Genehmigungsgegenstand wesensverschiedenes Vorhaben (aliud).
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16. November 2012 – 2 B 1095/12 –, juris, Rn. 10, und vom 4. Mai 2004 – 10 A 1476/04 –, juris, Rn. 7.
73Die Klage ist auch begründet.
74Die Teilbaugenehmigung der Beklagten vom 28. März 2019, der Bescheid der Beklagten über die Zulassung einer Befreiung vom 28. März 2019, die Baugenehmigung der Beklagten vom 22. Mai 2019 in Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 14. Januar 2021 und der Bescheid der Beklagten über die Zulassung einer Befreiung vom 22. Mai 2019 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
75Im Rahmen einer Baunachbarklage ist das genehmigte Vorhaben ausschließlich darauf zu überprüfen, ob seine Genehmigung den Nachbarkläger in dessen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, also gegen – insbesondere baurechtliche – Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz des Klägers zu dienen bestimmt sind.
76Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 B 1010/13 –, juris, Rn. 9.
77Maßgeblich ist insoweit die Rechtslage nach der zum 1. Januar 2019 in Kraft getretenen Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW 2018). Denn gemäß § 90 Abs. 4 BauO NRW 2018 werden (nur) die bis zum 31. Dezember 2018 vollständigen und ohne erhebliche Mängel eingereichten Bauvorlagen nach der Landesbauordnung in der Fassung vom 1. März 2000 (BauO NRW 2000) beschieden. Vorliegend hat die Beigeladene erst im Jahr 2019 den (überarbeiteten) Bauantrag gestellt. Dass bereits zuvor im Jahr 2018 ein Bauantrag gestellt wurde, der später ungültig gestempelt wurde, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 90 Abs. 4 BauO NRW 2018 nicht maßgeblich. Weder der letztlich beschiedene Antrag noch die dabei berücksichtigten Bauvorlagen lagen bis zum 31. Dezember 2018 vor.
78Die Erteilung der Baugenehmigung vom 22. Mai 2019 in Gestalt der Nachtragsbaugenehmigung vom 14. Januar 2021 verstößt gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts, da der zugrunde liegende Bebauungsplan Nr. 00 – Sportplatz O. Straße – unwirksam ist und sich der vom Vorhaben ausgehende Gewerbelärm unter Geltung des Bebauungsplans Nr. 0 – Am B. – als rücksichtslos erweist.
79Die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens richtet sich nach § 30 Abs. 1 des Baugesetzbuchs (BauGB).
80Der Bebauungsplan Nr. 00 – Sportplatz O. Straße – ist unwirksam.
81Zwar ist der Bebauungsplan Nr. 00 entgegen der Ansicht der Klägerinnen nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Zum einen war der Ausschuss für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Bauen der Beklagten gemäß § 9 Abs. 1 der Zuständigkeitsordnung der Beklagten vom 18. Dezember 2009 für den Offenlegungsbeschluss zuständig. Nach dieser Vorschrift werden dem Ausschuss alle verfahrensleitenden Beschlüsse zur Aufstellung von Bauleitplänen übertragen, soweit sie nicht dem Rat gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 lit. g) der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) vorbehalten sind. § 41 Abs. 1 Satz 2 lit. g) GO NRW weist lediglich abschließende Satzungsbeschlüsse auf der Grundlage des Baugesetzbuchs und des Maßnahmengesetzes zum Baugesetzbuch dem Rat zu. Um einen solchen abschließenden Satzungsbeschluss handelt es sich bei dem Offenlegungsbeschluss nicht. Zum anderen war die Bekanntgabe von Ort und Dauer der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs nicht entgegen § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB unvollständig. Denn im hier einschlägigen beschleunigten Verfahren für die Aufstellung von Bebauungsplänen der Innenentwicklung nach § 13a BauGB ist die von den Klägerinnen als fehlend monierte Angabe, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, entbehrlich, § 13a Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Stattdessen ist gemäß § 13a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB ortsüblich bekannt zu machen, dass der Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren ohne Durchführung einer Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 BauGB aufgestellt werden soll. Diese Bekanntmachung muss nicht zwingend im Zusammenhang mit dem Offenlegungsbeschluss vorgenommen werden, sondern kann bereits mit der Bekanntmachung des Planaufstellungsbeschlusses erfolgen.
82Vgl. Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn u.a., Baugesetzbuch, Stand: Mai 2021, § 13a, Rn. 70.
83Vorliegend enthält die Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses vom 4. Januar 2017 die entsprechenden Hinweise (vgl. Blatt 41 des Aufstellungsvorgangs). Darüber hinaus wäre ein Unterbleiben der Hinweise für die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans unbeachtlich, § 214 Abs. 2a Nr. 2 BauGB.
84Der Bebauungsplan Nr. 00 leidet jedoch an Abwägungsmängeln.
85Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das Abwägungsgebot umfasst als Verfahrensnorm das Gebot zur Ermittlung und Bewertung des Abwägungsmaterials (§ 2 Abs. 3 BauGB) und stellt inhaltlich Anforderungen an den Abwägungsvorgang und an das Abwägungsergebnis. Es ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet.
86Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Juli 2021 – 10 D 35/19.NE –, juris, Rn. 36.
87Diesen Anforderungen wurde bei der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 00 durch die Beklagte nicht entsprochen.
88Fallen die Festsetzungen des Bebauungsplans einerseits und die vom Plangeber eigentlich angestrebten städtebaulichen Verhältnisse andererseits auseinander, führt das zu einem Abwägungsmangel.
89Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. November 2014 – 7 D 35/13.NE –, juris, Rn. 59.
90Die Mischgebietsfestsetzung MI 1 ist nicht mit den angestrebten städtebaulichen Verhältnissen im Plangebiet vereinbar.
91Die Kammer geht davon aus, dass es sich bei den Festsetzungen MI 1 und MI 2 um die Festsetzungen zweier eigenständiger Baugebiete handelt. Dies ergibt sich, wie die Beigeladene selbst zutreffend ausgeführt hat, aus den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen in der Planurkunde. In dieser sind das MI 1 und das MI 2 durch eine „Perlenschnur“ (Ziffer 15.14 der Anlage zur Verordnung über die Ausarbeitung der Bauleitpläne und die Darstellung des Planinhalts (Planzeichenverordnung – PlanZV)) getrennt. Zwar weist die PlanZV diesem Planzeichen mehrere Bedeutungen zu. So kann die Perlenschnur entweder für die Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung, z.B. von Baugebieten, oder für die Abgrenzung des Maßes der Nutzung innerhalb eines Baugebiets (z.B. § 1 Abs. 4, § 16 Abs. 5 der Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung – BauNVO)) stehen. Diese unterschiedlichen Inhalte derselben zeichnerischen Festsetzung haben jedoch nicht vollständig Eingang in die Legende des Bebauungsplans Nr. 00 gefunden. Dort wird dem Planzeichen 15.14 lediglich die „Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung“, also im Fall der Festsetzungen MI 1 und MI 2 zweier getrennt zu betrachtender Baugebiete, zugeschrieben. Eine reine Abgrenzung des Maßes der baulichen Nutzung innerhalb eines einheitlichen Gebiets scheidet daher – trotz der unterschiedlichen Maßfestsetzungen für MI 1 und MI 2 – aus. Dem entspricht der Wortlaut der weiteren textlichen Festsetzungen. So heißt es in Ziffer 1.1 unter Verwendung des Plurals: „Innerhalb der Mischgebiete MI sind nicht zulässig…“. Ferner werden über das Maß der baulichen Nutzung hinaus – und damit außerhalb des Anwendungsbereichs von § 16 Abs. 5 BauNVO – Festsetzungen getroffen, die nur für eines der Mischgebiete gelten (vgl. etwa Ziffern 3.1, 3.2, 4.2, 4.3).
92Dem stehen die Ausführungen der Beklagten in den Aufstellungsvorgängen zum Bebauungsplan, insbesondere in der Planbegründung, nicht entgegen. Zwar können die Aufstellungsvorgänge grundsätzlich zur Auslegung von Bebauungsplänen herangezogen werden. Ist der Inhalt des Bebauungsplans jedoch eindeutig, kommt ein Rückgriff auf die den Norminhalt lediglich erläuternde Begründung nicht in Betracht.
93Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. April 2020 – 2 A 2323/19 –, juris, Rn. 10 f.
94Vorliegend verbleibt angesichts des eindeutigen Inhalts der Festsetzungen im Bebauungsplan Nr. 00 zum Charakter der Mischgebiete MI 1 und MI 2 kein Raum für eine ergänzende Auslegung unter Berücksichtigung der Aufstellungsvorgänge. Im Übrigen ergäbe sich aus diesen auch kein zwingendes gegenteiliges Verständnis. Die dortigen Ausführungen zur Einordnung der Festsetzungen MI 1 und MI 2 sind vielmehr diffus. So könnte die Erläuterung „Mit den getroffenen Festsetzungen für das MI 1 Gebiet und das MI 2 Gebiet ist eine MI-gebietskonforme Entwicklung des Plangebiets möglich“ (Seite 19 der Planbegründung) sowohl für als auch gegen eine Behandlung der Gebiete als zwei separate Baugebiete sprechen. Zwar tritt die Beklagte der Stellungnahme der Handwerkskammer Düsseldorf vom 27. Dezember 2016, welche die Entstehung eines „unechten MI-Gebiets“ ohne Wohnnutzung befürchtete, mit der Erwägung entgegen, die angrenzenden Flächen nördlich des zukünftigen Einzelhandelsstandorts MI 1 würden ebenfalls als MI-Gebiet festgesetzt, dort befänden sich (auch) Wohnnutzungen (Blatt 185 der Aufstellungsvorgänge). Demgegenüber werden aber in der Planbegründung für „das Mischgebiet MI 1“ und „das Mischgebiet MI 2“ getrennte Ausführungen zu den getroffenen Festsetzungen – auch hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung – gemacht.
95Für das demnach eigenständige Mischgebiet MI 1 sind die inhaltlichen Anforderungen an den Mischgebietscharakter losgelöst von den Gegebenheiten im übrigen Plangebiet, insbesondere im Mischgebiet MI 2, zu prüfen.
96Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. November 2014 – 7 D 35/13.NE –, juris.
97Die Eigenart des Mischgebiets als Baugebietstyp (vgl. § 1 Abs. 2 BauNVO) wird gemäß § 6 Abs. 1 BauNVO dadurch gekennzeichnet, dass es sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, dienen soll. Der Verordnungsgeber hat die beiden Hauptnutzungsarten nicht in ein Rangverhältnis zueinander gestellt. Dadurch unterscheidet sich die Umschreibung des Baugebietstyps in § 6 Abs. 1 BauNVO von derjenigen der anderen Baugebiete in den jeweiligen Absätzen 1 der §§ 2 bis 5 und §§ 7 bis 9 BauNVO. Das Mischgebiet ist nach seiner typischen Eigenart also für Wohnen und nichtstörendes Gewerbe gleichermaßen offen. Die Nutzungen des Mischgebiets zum Wohnen und zur Unterbringung nicht wesentlich störender Gewerbebetriebe stehen als gleichwertige Funktionen nebeneinander. Diese Gleichwertigkeit und Gleichgewichtigkeit von Wohnen und das Wohnen nicht störendem Gewerbe sowie deren wechselseitige Verträglichkeit ist kennzeichnend für den Baugebietstyp "Mischgebiet". Dieses gleichwertige Nebeneinander zweier Nutzungsarten setzt zum einen wechselseitige Rücksichtnahme der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse voraus; es bedeutet zum anderen aber auch, dass keine der Nutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen solle. Die zwei Hauptnutzungsarten Wohnen und nicht wesentlich störendes Gewerbe sind ohne abstufenden Zusatz nebeneinandergestellt worden. § 6 Abs. 1 BauNVO bringt dadurch die städtebauliche Gestaltungsabsicht des Verordnungsgebers zum Ausdruck, dass diese beiden Nutzungsarten in den durch Bebauungsplan festgesetzten Mischgebieten auch in ihrer jeweiligen Quantität "gemischt" sein sollen. In dieser sowohl qualitativ als auch quantitativ zu verstehenden Durchmischung von Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe liegt die normativ bestimmte besondere Funktion des Mischgebiets, mit der dieses sich von den anderen Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung unterscheidet; sie bestimmt damit zugleich dessen Eigenart. Für die hiernach zu beachtende auch quantitative Mischung kommt es - wie gleichzeitig durch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bestätigt wird - darauf an, in welchem Verhältnis die dem Wohnen und die gewerblichen Zwecken dienenden Anlagen im Baugebiet nach Anzahl und Umfang zueinander stehen. Dabei ist einerseits nicht erforderlich, dass die beiden Hauptnutzungsarten zu genau oder annähernd gleichen - wie auch immer rechnerisch zu bestimmenden - Anteilen im jeweiligen Gebiet vertreten sind. Auf der anderen Seite wird jedoch die Bandbreite der typischen Eigenart des Mischgebiets, soweit es um die quantitative Seite des Mischungsverhältnisses geht, nicht erst dann verlassen, wenn eine der beiden Hauptnutzungsarten als eigenständige Nutzung im Gebiet völlig verdrängt wird und das Gebiet deshalb in einen anderen Gebietstyp "umkippt" mit der Folge, dass sich die Festsetzung als Mischgebiet letztlich als funktionslos (geworden) darstellen würde. Um ein solches "Umkippen" des Gebietes zu verhindern und seine Eigenart zu wahren, ist es erforderlich und zugleich aber auch ausreichend, dass im jeweiligen Gebiet eine der beiden Hauptnutzungsarten nicht nach Anzahl und/oder Umfang beherrschend und in diesem Sinne "übergewichtig" in Erscheinung tritt. Ob dies der Fall ist oder nicht, lässt sich nicht notwendig, jedenfalls aber nicht ausschließlich, danach beurteilen, mit welchen Prozentsätzen die Grundfläche des jeweiligen Mischgebiets für die eine und die andere Nutzungsart in Anspruch genommen werden soll. Die Störung des gebotenen quantitativen Mischungsverhältnisses und damit zugleich der Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets kann sich aus einem solchen übermäßig großen Anteil einer Nutzungsart an der Grundfläche des Baugebiets, aber auch aus anderen Umständen, z.B. auch aus einem Missverhältnis der Geschoßflächen oder der Zahl der eigenständigen gewerblichen Betriebe im Verhältnis zu den vorhandenen Wohngebäuden, oder auch erst aus mehreren solcher Merkmale zusammengenommen ergeben. Erforderlich ist stets eine Bewertung aller für eine quantitative Beurteilung in Frage kommenden tatsächlichen Umstände im einzelnen Fall.
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 – 4 C 34/86 –, juris, Rn. 18 f.; OVG NRW, Urteil vom 30. Juni 2021 – 7 D 62/19.NE –, juris, Rn. 69.
99Strebt der Plangeber jedoch ein Miteinander von Wohnen und Gewerbe in Wahrheit gar nicht an oder ist eine solche Entwicklung wegen der vorhandenen Bebauung oder aufgrund sonstiger Festsetzungen im Bebauungsplan faktisch nicht zu erreichen, ist die Festsetzung des Mischgebiets städtebaulich nicht gerechtfertigt.
100Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2006 – 10 D 43/03.NE –, juris, Rn. 127.
101So liegt der Fall hier. In Bezug auf das Gebiet MI 1 fallen das Ergebnis des Abwägungsvorgangs – die Festsetzung als Mischgebiet – und die ausweislich der Aufstellungsvorgänge angestrebten städtebaulichen Verhältnisse in unvereinbarer Weise auseinander.
102Zwar mögen die zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 00 in Bezug auf das Gebiet MI 1 den vorstehend darlegten Anforderungen an eine Mischgebietsfestsetzung (noch) genügen. Obwohl einzelne textliche Festsetzungen bereits auf eine ausschließliche Nutzung des dort ausgewiesenen Baufensters für ein Einzelhandelsvorhaben hindeuten (vgl. etwa Ziffer 2.3 – Vordach im Eingangsbereich –; Ziffer 3.2 – Werbetafel bzw. -pylon „im Zufahrtsbereich des Vorhabens“), erscheint es bei unbefangener Betrachtung der Planurkunde zumindest nicht ausgeschlossen, innerhalb des Baufensters sowohl Wohnnutzungen als auch Gewerbe anzusiedeln.
103Demgegenüber ergibt sich aus den Aufstellungsvorgängen eindeutig, dass nach der Vorstellung der Beklagten das Mischgebiet MI 1 ausschließlich gewerblichen Nutzungen, konkret einem Lebensmitteldiscounter, vorbehalten sein soll. So ist „die Errichtung eines Nahversorgers“ zentraler Bestandteil des Bebauungskonzepts der Beklagten (vgl. Seite 17 der Planbegründung). Der Gebäudekörper des Nahversorgers soll am Fuß der nördlich des Geltungsbereichs befindlichen Böschung realisiert werden, mithin im Gebiet MI 1. Die Festsetzungen des Gebiets MI 1 werden in der Folge ausschließlich mit Blick auf die Ansiedlung eines Lebensmittelnahversorgers erläutert (Seite 19 f. der Planbegründung). Faktisch ist damit die Realisierung von Wohnnutzung ergänzend zum Einzelhandelsvorhaben angesichts des einzig vorhandenen, auf den Grundriss eines Lebensmittelmarktes zugeschnittenen Baufensters ausgeschlossen. Zwar heißt es im Rahmen der Erläuterungen zum Gebiet MI 1 in der Planbegründung, eine ergänzende Wohnnutzung, die im Kontext zum städtebaulichen Umfeld stehe, sei möglich. Diese pauschale Einschätzung wird jedoch nicht ansatzweise vertieft; so wurden etwa Belange des Lärmschutzes zwischen einer gewerblichen Nutzung und einer etwaigen Wohnnutzung im selben Baufenster im Rahmen des Abwägungsvorgangs überhaupt nicht berücksichtigt. Sie steht überdies in erheblichem Widerspruch zum Planungskonzept und allen übrigen Belangen, die im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens Berücksichtigung fanden. Exemplarisch sei auf die Abbildungen 2.3.2 bis 2.3.4 des im Rahmen des Bauleitplanverfahrens von der Beklagten eingeholten Schalltechnischen Fachgutachtens der B1. vom 20. September 2017 verwiesen, die den Stand der Gestaltungsplanung der Beklagten – vor der Stellung des Bauantrags durch die Beigeladene – wiedergeben. Diese gewollte Nutzungsstruktur verfehlt die nach obigen Maßstäben erforderlichen Anforderungen an die Durchmischung von Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe, da im Gebiet MI 1 überhaupt keine Wohnnutzung angestrebt wird.
104Offen bleiben kann, ob es sich bei der Festsetzung des Mischgebiets MI 1 entgegen der eigentlich gewollten Nutzungsstruktur um einen Mangel im Abwägungsvorgang,
105so OVG NRW, Urteil vom 27. November 2014 – 7 D 35/13.NE –, juris, Rn. 61,
106oder im Abwägungsergebnis handelt. Denn selbst wenn ein Mangel im Abwägungsvorgang vorliegen sollte, ist dieser vorliegend nach den §§ 214 f. BauGB beachtlich und führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans.
107Gemäß § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB ist ein Mangel im Abwägungsvorgang erheblich, wenn er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen ist. Ein Fehler im Abwägungsvorgang ist offensichtlich, wenn er auf objektiv feststellbaren Umständen beruht und ohne Ausforschung der Mitglieder des Rats über deren Planungsvorstellungen für den Rechtsanwender erkennbar ist. Er ist auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre.
108Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1/11 –, juris, Rn. 16; OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2021 – 2 D 100/19.NE –, juris, Rn. 130.
109Das ist hier der Fall. Die mit der Festsetzung nicht zu vereinbarende gewollte Nutzungsstruktur stellt sich nicht nur als innere Vorstellung oder Motiv der Ratsmitglieder der Beklagten dar, sondern tritt in den Planungsunterlagen offen und unzweideutig zutage. Es besteht zudem die konkrete Möglichkeit, dass das Gebiet der Festsetzung MI 1 ohne den Mangel nicht als Mischgebiet festgesetzt worden wäre. Der Mangel ist auch nicht gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB unbeachtlich geworden, denn die Klägerinnen haben ihn gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 20. November 2018 rechtzeitig geltend gemacht.
110Der Abwägungsmangel erfasst den Bebauungsplan Nr. 00 in seiner Gesamtheit. Die Unwirksamkeit eines Teils einer Satzungsbestimmung hat nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die Rechtsbestimmung auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleibt (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen Teil erlassen worden wäre (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers). An der objektiven Teilbarkeit des Plans fehlt es, wenn eine einzelne unwirksame Festsetzung mit dem gesamten Bebauungsplan in einem untrennbaren Zusammenhang steht. Ein solcher Fall liegt vor, wenn die Nichtigkeit der einzelnen Festsetzung das Planungskonzept in seinem Kerngehalt trifft, so dass nur noch ein Planungstorso übrig bleibt.
111Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Oktober 2019 – 4 B 37/18 –, juris, Rn. 6.
112So liegt der Fall hier. Das Planungskonzept der Beklagten sieht als zentrale Bestandteile die Errichtung eines Nahversorgers sowie einer Sporthalle vor. Mit der Unwirksamkeit der Mischgebietsfestsetzung MI 1, die die Grundlage für die Ansiedlung des Nahversorgers bilden sollte, ist dieses Konzept entfallen.
113Die Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 ist im Übrigen aus denselben Gründen selbst dann zu bejahen, wenn man – entgegen der Auffassung der Kammer – von einem einheitlichen Baugebiet, bestehend aus den Teilbereichen MI 1 und MI 2, ausginge,
114vgl. beispielhaft für einen solchen Fall OVG NRW, Urteil vom 30. Juni 2021 – 7 D 62/19.NE –, juris,
115oder wenn man voneinander unabhängige Mischgebiete annähme, aber bei der Prüfung der Anforderungen an die Durchmischung von Wohnen und Gewerbe gleichwohl das Plangebiet als Ganzes in den Blick nähme, soweit darin Mischgebiete ausgewiesen sind,
116so in Bezug auf einen Bebauungsplan, der ausschließlich Mischgebiete festsetzte: OVG NRW, Urteil vom 18. November 2014 – 2 D 96/13.NE –, juris, Rn. 48.
117Denn auch bei einer gemeinsamen Betrachtung der Gebiete MI 1 und MI 2 ist die Mischgebietsfestsetzung städtebaulich nicht gerechtfertigt, da sie nicht den von der Beklagten in Wahrheit angestrebten Verhältnissen entspricht. Hinsichtlich des Planungskonzepts für das Gebiet MI 1 wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen. In Bezug auf das Gebiet MI 2 ging die Beklagte davon aus, ein dort bereits entgegen der Festsetzungen im zuvor geltenden Bebauungsplan Nr. 0 vorhandenes faktisches Mischgebiet nunmehr auch planerisch festzuschreiben und zugleich – insbesondere durch eine vollständige Ausschöpfung des nach der BauNVO zulässigen Maßes der baulichen Nutzung – weitere das Wohnen nicht störende Gewerbe-, Büro- und andere Dienstleistungsnutzungen zu ermöglichen. Im Ergebnis sah das Planungskonzept damit bei gemeinsamer Betrachtung der Gebiete MI 1 und MI 2 eine Bebauung des Gebiets mit einem gemischt genutzten Gebäude (O. Straße 001/002), einem Einfamilienhaus (O. Straße 005) sowie einem Einzelhandelsvorhaben samt Stellplatzfläche und Zufahrt vor. Selbst wenn man außen vor lässt, dass das im Gebiet MI 2 vorhandene ungenutzte Baufenster im rückwärtigen Bereich des Gebäudes O. Straße 001/002 der Planbegründung zufolge noch zusätzliche gewerbliche Nutzungen ermöglichen soll, besteht in den angestrebten städtebaulichen Verhältnissen des Gesamtgebiets nicht ansatzweise eine ausreichende Durchmischung von Wohnen und Gewerbe. Vielmehr tritt die gewerbliche Nutzung jedenfalls in ihrem Umfang deutlich „übergewichtig“ in Erscheinung. Die als Mischgebiet festgesetzten Teile des Plangebiets werden von den Gewerbenutzungen, zu denen auch die Parkflächen und die Zufahrt für das im Bebauungskonzept vorgesehene Einzelhandelsvorhaben zu zählen sind,
118vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 – 4 C 34/86 –, juris, Rn. 20,
119in erheblicher Weise dominiert. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass die laut Planbegründung vorgesehene Größe des Einzelhandelsvorhabens mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 m² lediglich vorgeschoben erscheint. Aus dem Aufstellungsvorgang samt der in diesem Zusammenhang eingeholten Gutachten wird deutlich, dass die Beklagte von Anfang an die Ansiedlung eines (erheblich) großflächigen Einzelhandelsvorhabens anstrebte (vgl. auch die aus diesem Anlass abgegebene ergänzende Stellungnahme der Handwerkskammer Düsseldorf vom 6. Dezember 2017, Blatt 265 der Aufstellungsvorgänge). So wurden in den von ihr beauftragten Gutachten Verkaufsflächen von 1.400 m² (Verkehrsgutachten V. ) bzw. 1.360 m² (Schalltechnisches Fachgutachten B1. ) zugrunde gelegt. Bei der Veranstaltung im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit am 13. Juli 2017 stellte der Leiter der M. -Immobilienabteilung Rheinland / nördl. Ruhrgebiet die Pläne für die Errichtung eines Marktes mit einer Verkaufsfläche von 1.350 m² vor (vgl. Blatt 150 der Aufstellungsvorgänge). Selbst bei der Ausschreibung einer Teilfläche des (ehemaligen) Sportplatzes für die Errichtung eines Lebensmitteleinzelhandelsbetriebs am 29. November 2016 ging die Beklagte bereits von der Zulässigkeit eines großflächigen Einzelhandelsvorhabens aus (vgl. Blatt 15 ff. des Aufstellungsvorgangs). Das letztlich festgesetzte Baufenster ermöglichte die Errichtung eines Marktes mit einer Geschossfläche von rund 2.000 m². Darüber hinaus sah die Planung im nicht überbaubaren Grundstücksbereich eine Parkfläche mit ca. 100 Stellplätzen (vgl. Seite 21 der Planbegründung) und eine Zufahrtsrampe vor. Demgegenüber erscheint die Wohnnutzung im Einfamilienhaus O. Straße 005 sowie in den Obergeschossen des seinerseits gemischt genutzten Gebäudes O. Straße 001/002 selbst im Fall von dessen Erweiterung zu Wohnzwecken oder im Fall der Errichtung eines (reinen) Wohngebäudes im rückwärtigen Bereich des dort vorgegebenen Baufensters – insoweit abweichend von der Intention des Plangebers laut Planbegründung – qualitativ völlig untergeordnet.
120Vgl. zur Unvereinbarkeit von Gewerbeflächen, die 85 % der Baugebietsfläche ausmachen, mit der Festsetzung als Mischgebiet: BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 – 4 C 34/86 –, juris.
121Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die Festsetzung eines Mischgebiets zum Zwecke der Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandelsbetriebs mit etwa 2.000 m² Geschossfläche (vgl. Beiakte Heft 2, Blatt 21) und über 1.300 m² Verkaufsfläche, wie sie hier bereits in der Planung der Beklagten angelegt ist, überhaupt abwägungsfehlerfrei zum Inhalt eines Bebauungsplans gemacht werden kann oder ob die Widerlegung der Vermutung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO bei Einzelhandelsbetrieben in dieser Größenordnung von vorneherein ausgeschlossen ist,
122vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 15. April 2020 – 2 A 3319/19 –, juris, Rn. 25, wonach ein Abweichen vom Regelfall des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO „allein schon“ wegen einer ganz erheblichen Überschreitung der Schwellenwerte von 1.200 m² Geschossfläche um mehr als 50 % und der Verkaufsfläche von 800 m² um etwa 40 % „mindestens fern“ liegt.
123Es besteht auch kein Anlass, im Rahmen der Prüfung der Mischgebietsanforderungen ausnahmsweise über das Plangebiet hinaus die örtlichen Verhältnisse der angrenzenden Umgebung heranzuziehen. Grundsätzlich handelt es sich bei der örtlichen Situation, in die ein Baugebiet „hineingeplant“ wird und die dessen Eigenart mit charakterisiert, in erster Linie um die örtlichen Verhältnisse, auf die ein Plan in dem Gebiet trifft, für das er gelten soll. Die Anwendung eines das Plangebiet überschreitenden Rahmens zur Bestimmung seiner konkreten örtlichen Eigenart kommt demgegenüber in Betracht, wenn nach der gegebenen örtlichen Situation die Festsetzung eines kleineren Mischgebiets nur der „Abpufferung“ zwischen Gebieten mit einer das Wohnen störenden gewerblichen Nutzung und einer überwiegenden oder reinen Wohnnutzung dienen soll.
124Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1988 – 4 C 34/86 –, juris, Rn. 22.
125Dies ist hier nicht der Fall. Die Gebiete MI 1 und MI 2 sind – bei der hier unterstellten gemeinsamen Betrachtungsweise – kein Puffergebiet zwischen Wohn- und Gewerbebebauung, sondern sollen selbst das fragliche Gewerbe, dessen Wohnverträglichkeit im Streit steht, aufnehmen.
126Ist der Bebauungsplan Nr. 00 demnach auch dann, wenn man alle Mischgebiete im Plangebiet zusammen in den Blick nimmt, abwägungsfehlerhaft zustande gekommen, so ist dieser Mangel – bei unterstellter Einordnung als Mangel im Abwägungsvorgang – aus den bereits dargelegten Gründen beachtlich und führt (erst recht) zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans.
127Infolge der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00 beansprucht der Bebauungsplan Nr. 0 – Am B. –, der bei Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 00 nicht teilweise aufgehoben, sondern lediglich überlagert wurde, in der Fassung der 4. Änderung vom 27. Dezember 2016 wieder Geltung. Auf die von den Klägerinnen ergänzend aufgeworfenen Fragen, ob das Vorhaben mit den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 00 vereinbar ist und ob ihnen insoweit ein Gebietserhaltungsanspruch zusteht, kommt es deswegen nicht an.
128Der Bebauungsplan Nr. 0 setzt für das klägerische Grundstück ein allgemeines Wohngebiet und für den Vorhabenstandort der Beigeladenen eine öffentliche Grünfläche (Sportplatz) gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB fest. Anhaltspunkte für eine Funktionslosigkeit der WA-Festsetzung bestehen aus Sicht der Kammer nicht. Insbesondere steht der Gewerbebetrieb im Erdgeschoss der klägerischen Gebäude, sei es schwerpunktmäßig ein Fliesenlegerbetrieb oder ein Fliesenhandel, der Wirksamkeit der Festsetzung nicht entgegen. Selbst wenn diese einzelne vorhandene Nutzung mit der Festsetzung nicht zu vereinbaren sein sollte, würde dadurch in der tatsächlichen Entwicklung kein Zustand erreicht, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt.
129Vgl. zu den Voraussetzungen für die Annahme einer Funktionslosigkeit von Festsetzungen: OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2019 – 7 A 1419/17 –, juris, Rn. 47.
130Ohne dass es nach dem Vorstehenden noch darauf ankäme, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Betrieb der Klägerinnen zwar nicht gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO genehmigungsfähig sein dürfte, da er – wie der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat – nicht nur der Versorgung des Gebiets dienen dürfte. Er dürfte aber als sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden können und wurde von der Beklagten – wohl auf dieser Grundlage – auch zugelassen. Angesichts der überschaubaren Zahl an Kundenparkplätzen und der von den Klägerinnen geschilderten Lieferbewegungen ist die Einordnung als das Wohnen nicht störender Gewerbebetrieb nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dem steht nicht entgegen, dass der Betrieb bei einem Schwerpunkt im Bereich Fliesenhandel als Einzelhandelsbetrieb einzuordnen wäre. Denn Einzelhandel in Ladenform – einer Unterart des Einzelhandelsbetriebs – kann im allgemeinen Wohngebiet (ausnahmsweise) zugelassen werden, auch wenn der Laden nicht der Versorgung des Gebiets dient.
131Vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/u.a., Baugesetzbuch, Stand: Mai 2021, § 4 BauNVO, Rn. 122, sowie § 6 BauNVO, Rn. 24.
132Ob der Betrieb aufgrund seiner Größe nicht mehr als Einzelhandel in Ladenform angesehen werden könnte, ist aus den der Kammer vorliegenden Unterlagen nicht zu beurteilen, aber aufgrund der erteilten Genehmigung durch die Beklagte eher fernliegend.
133Das Vorhaben der Beigeladenen steht im Widerspruch zur Festsetzung der öffentlichen Grünfläche im Bebauungsplan Nr. 0. Dieser Verstoß betrifft jedoch die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Insbesondere steht ihnen insoweit kein Gebietsgewährleistungsanspruch zu.
134Der Gebietsgewährleistungsanspruch ist darauf gerichtet, dass Grundstückseigentümer durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden sind, sie im Rahmen ihres nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können. Allerdings kann sich ein Nachbar gegen eine gebietsfremde Nutzung unabhängig vom Vorliegen einer konkreten Beeinträchtigung nur dann zur Wehr setzen, wenn beide Grundstücke demselben Baugebiet angehören. Sind die Eigentümer der betroffenen Grundstücke nicht denselben rechtlichen Bindungen unterworfen, weil sie sich nicht innerhalb desselben Baugebiets befinden, können sie auch nicht vom jeweils anderen Eigentümer deren Einhaltung verlangen. Ein gebietsübergreifender Gebietsgewährleistungsanspruch besteht grundsätzlich nicht.
135Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Juni 2020 – 2 A 211/17 –, juris, Rn. 82 ff.
136Die öffentliche Grünfläche im Bebauungsplan Nr. 0 ist – trotz fehlender Abgrenzung in der Planurkunde etwa durch Verwendung des Planzeichens 15.14 – nicht dem allgemeinen Wohngebiet, zu dem das Grundstück der Klägerinnen gehört, zuzurechnen. Denn die Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB ist von der Festsetzung von Baugebieten nach der BauNVO – hier: dem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO – abzugrenzen. Es handelt sich jeweils um selbstständige Festsetzungen, die nicht in Bezug auf die gleiche Fläche mit anderen selbstständigen Festsetzungen verbunden werden können.
137Vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 8. Oktober 2020 – 1 A 868/17 –, juris, Rn. 38 f.; Söfker, in: Ernst/Zinkahn u.a., Baugesetzbuch, 141. EL 2021, § 9, Rn. 124.
138Abweichend davon kann ein gebietsübergreifender Nachbarschutz ausnahmsweise dann gewährt werden, wenn der Satzungsgeber der Festsetzung der öffentlichen Grünfläche eine aus sich heraus nachbarschützende Wirkung objektiv erkennbar im Einzelfall hat beimessen wollen. Entscheidend ist dabei, ob die betreffende Festsetzung zwischen dem den Gebietsgewährleistungsanspruch stellenden Grundstück und dem Vorhabengrundstück, auf das der Abwehranspruch zielt, das notwendige bodenrechtliche Austauschverhältnis herstellt.
139Vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 25. März 2014 – 2 Bs 43/14 –, juris, Rn. 8; vgl. ferner in Bezug auf Festsetzungen nach § 1 Abs. 4 ff. BauNVO: OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 2 A 2082/14 –, juris, Rn. 12., sowie in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauNVO: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 8 S 2441/18 –, juris, Rn. 10.
140Für einen Willen der Beklagten, durch die Festsetzung der öffentlichen Grünfläche im Bebauungsplan Nr. 0 Drittschutz zu vermitteln, ist nichts ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus der Begründung zur dritten Änderung des Bebauungsplans (Blatt 750 des Aufstellungsvorgangs, Beiakte Heft 14), dass die Festsetzung keine Neuplanung darstellt, sondern lediglich das historisch gewachsene Nebeneinander von Wohngebiet und Sportanlage abbildet. Eine Konfliktlage in Bezug auf Lärmstörungen wird nicht erkannt. Damit wird deutlich, dass zwar vom Sportplatz nach Einschätzung des Plangebers keine Störung der Wohnruhe der Nachbarn ausging. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Festsetzung gerade (auch) zum Schutz der Nachbarn vor Lärmimmissionen getroffen wurde. Die öffentliche Grünfläche wurde vielmehr deshalb festgesetzt, weil sie an dieser Stelle schlichtweg schon vorhanden war und kein Anlass bestand, dies zu ändern.
141Mangels eines gebietsübergreifenden Gebietsgewährleistungsanspruchs der Klägerinnen bestimmt sich der Nachbarschutz trotz des Widerspruchs des Vorhabens zu den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 0 (nur) nach dem Gebot der Rücksichtnahme. Zwar ist § 15 Abs. 1 BauNVO nicht unmittelbar anwendbar, wenn – wie hier – ein Vorhaben von den Festsetzungen des Bebauungsplans abweicht. Der Nachbarschutz darf jedoch nicht hinter dem aus § 31 Abs. 2 BauGB zurückbleiben. Danach ist eine Würdigung der Interessen des betroffenen Nachbarn bei der Erteilung einer Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans vorzunehmen. Die Interessenlage des Nachbarn ist identisch, wenn die Baugenehmigungsbehörde von den dem Vorhaben widersprechenden Festsetzungen nicht ausdrücklich befreit hat, sondern ohne Befreiung eine – insoweit deshalb objektiv rechtswidrige – Baugenehmigung erteilt. Sofern eine fehlerhafte Berücksichtigung nachbarlicher Interessen bei Erteilung einer Befreiung zu einer Verletzung von Rechten des Nachbarn führt, gilt dies ebenso, wenn die Baugenehmigung bei gleicher Sachlage entgegen den Festsetzungen des Bebauungsplans ohne die erforderliche Befreiung erteilt wird. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu beachten, dass die Interessen der Beteiligten ein unterschiedliches Gewicht haben, je nachdem, ob es um ein Vorhaben geht, das den Festsetzungen eines Bebauungsplans entspricht, also nur ausnahmsweise über § 15 Abs. 1 BauNVO unzulässig sein kann, oder ob es um ein Vorhaben geht, das von den Festsetzungen abweicht, also nur ausnahmsweise über eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zulässig sein kann. Wer sich auf den Bebauungsplan berufen kann, hat bei der Interessenabwägung grundsätzlich einen gewissen Vorrang.
142Vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989 – 4 C 14/87 –, juris, Rn. 11 ff.
143In Anwendung dessen erweist sich das Vorhaben der Beigeladenen gegenüber den Klägerinnen als rücksichtslos. Der vom Vorhaben ausgehende Gewerbelärm ist ihnen als Anwohnerinnen im benachbarten allgemeinen Wohngebiet unzumutbar.
144Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmemissionen, die von der genehmigten Anlage ausgehen, ist auf die Immissionsrichtwerte der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm) abzustellen. Die TA Lärm dient dem Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche sowie der Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche. Sie gilt für Anlagen, die als genehmigungsbedürftige oder nicht genehmigungsbedürftige Anlagen den Anforderungen des Zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterliegen und die nicht vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommen sind (vgl. Nr. 1 Abs. 1 und 2 der TA Lärm). Das Vorhaben als großflächiger Einzelhandelsbetrieb ist eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage im Sinne des Zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (vgl. §§ 22 ff. BImSchG), der im Katalog der vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausgenommenen Anlagearten nicht aufgeführt ist.
145Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. März 2015 – 5 L 1593/14 –, juris, Rn. 40; vgl. ferner zur Anwendbarkeit der TA Lärm auf nicht genehmigungsbedürftige Anlagen i.S.d. BImSchG und zur Einordnung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben als solche: OVG des Saarlandes, Beschluss vom 21. November 2013 – 2 A 335/13 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 10 S 31.09 –; vgl. ferner OVG NRW, Beschluss vom 16. November 2012 – 2 B 1095/12 – , jeweils juris.
146Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume eröffnet. Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten im Rahmen des Rücksichtnahmegebots.
147Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 4 C 8/11 –, juris, Rn. 18 f.
148Vorliegend überschreitet der vom Vorhaben ausgehende Gewerbelärm an der Südseite des Gebäudes O. Straße 001 den in Nr. 6.1 der TA Lärm vorgeschriebenen Immissionsrichtwert in allgemeinen Wohngebieten von 55 dB(A) tags um 2 dB(A), vgl. Seite 5 der Beurteilung der Geräuschsituation des M. -Marktes auf dem ehemaligen Sportplatz O. Str. in X. bei verlängerten Öffnungszeiten vom 9. Oktober 2020 (Blatt 492 ff. der Genehmigungsvorgänge, Beiakte Heft 5).
149Eine Erhöhung des Immissionsrichtwertes für das allgemeine Wohngebiet der Klägerinnen durch eine Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift können, wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelagen), die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Vorliegend fehlt es bereits an einer Gemengelage im Sinne der Vorschrift, da lediglich ein allgemeines Wohngebiet und eine öffentliche Grünfläche aneinander grenzen. Die Annahme eines gewerblich genutzten Gebiets aufgrund des Vorhandenseins des (objektiv planwidrigen) Lebensmitteldiscounters wäre im Rahmen einer Drittanfechtungsklage, deren Gegenstand die für die Errichtung dieses Discounters erteilte Baugenehmigung ist, in sich widersprüchlich. Selbst wenn man die öffentliche Grünfläche wegen des darauf ursprünglich angesiedelten Sportplatzes als hinsichtlich seiner Geräuschauswirkungen vergleichbar genutztes Gebiet ansehen wollte und als für diese „Gebietskategorie“ geltende Richtwerte die Werte der 18. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Sportanlagenlärmschutzverordnung – 18. BImSchV) ansetzen wollte, würde sich kein den Richtwert für allgemeine Wohngebiete erhöhender Wert bilden lassen, da die Immissionsrichtwerte für Sportanlagen nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 der 18. BImSchV nicht höher als jene nach Nr. 6.1 der TA Lärm sind.
150Eine Erhöhung der Zumutbarkeitsgrenze im Einzelfall aufgrund einer besonderen Vorbelastung kommt angesichts der dargelegten Bindungswirkung der Immissionsrichtwerte der TA Lärm nicht in Betracht. Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Beigeladenen ist nach der TA Lärm nicht von einer relevanten sonstigen Belastung des Gebäudes der Klägerinnen auszugehen.
151Dies gilt zunächst für den – unzweifelhaft vorhandenen – erheblichen Verkehrslärm auf der westlich des Gebäudes verlaufenden O. Straße, der im Schalltechnischen Fachgutachten der B1. vom 20. September 2017, Seite 50, für die Gebäudesüdseite O. Straße 1001 mit 61-62 dB(A) tags (maximaler Pegel) angegeben wird. Dieser führt nach den verbindlichen Vorgaben der TA Lärm nicht dazu, dass der hinzukommende Gewerbelärm nicht mehr rücksichtlos wirken könnte. Denn der Gewerbelärm, zu dem auch der von der Stellplatzanlage ausgehende Lärm gehört, wird in seiner spezifischen Ausprägung, insbesondere seiner Impulshaftigkeit (Türenschlagen, Rollen der Einkaufswagen) nicht durch Verkehrslärm überdeckt. Zwar darf nach Nr. 3.2.1 Abs. 5 Satz 1 der TA Lärm eine Genehmigung wegen einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte nicht versagt werden, wenn infolge ständig vorherrschender Fremdgeräusche (hier: Verkehrslärm) keine zusätzlichen schädlichen Umwelteinwirkungen durch die zu beurteilende Anlage zu befürchten sind. Das ist nach Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn für die Beurteilung der Geräuschimmissionen der Anlage weder Zuschläge gemäß dem Anhang für Ton- und Informationshaltigkeit oder Impulshaftigkeit noch eine Berücksichtigung tieffrequenter Geräusche erforderlich sind. Durch diese Bedingungen soll sichergestellt werden, dass das Anlagengeräusch nicht nur physikalisch, sondern auch nach seinem tatsächlichen Störpotenzial weniger auffällig ist als das Fremdgeräusch.
152Vgl. Beckert/Fabricius, TA Lärm, 2. Auflage 2009, Seite 48.
153Die Voraussetzungen der Nr. 3.2.1 Abs. 5 Satz 2 der TA Lärm sind vorliegend jedoch nicht erfüllt, da für die Beurteilung des Gewerbelärms durch das Vorhaben der Beigeladenen bei der Berechnung des Emissionspegels der Pkw-Stellplätze ein Zuschlag für Impulshaftigkeit in Höhe von 4 dB(A) vorgenommen wurde (vgl. Seite 23 des Fachgutachtens vom 20. September 2017 sowie Seiten 3 und 4 der Beurteilung der Geräuschsituation vom 9. Oktober 2020). Dieser Zuschlag entspricht den Vorgaben der Nr. A.2.5.3 der Anlage zur TA Lärm, wonach, falls Erfahrungswerte von vergleichbaren Anlagen und Anlagenteilen vorliegen, von diesen auszugehen ist. Solche Erfahrungswerte ergeben sich aus der vom Gutachter herangezogenen Parkplatzlärmstudie des Bayerischen Landesamtes für Umwelt aus August 2007 (vgl. Anhang A 4 des Fachgutachtens vom 20. September 2017). Danach ist im Rahmen des in der TA Lärm vorgesehenen Taktmaximalpegelverfahrens (vgl. Nr. 2.9 TA Lärm) im Fall von Parkplätzen an Einkaufsmärkten – ebenso wie bei sonstigen Parkplätzen in der vorliegenden Größenordnung – ein Zuschlag für Impulshaftigkeit KI in Höhe von 4 dB(A) anzusetzen, vgl. Ziffer 7.1.4 der Parkplatzlärmstudie. Anhaltspunkte für eine Fallgestaltung, in der trotz der fehlenden Voraussetzungen für die Annahme ständig vorherrschender Fremdgeräusche nach Satz 2 („insbesondere“) keine schädlichen Umwelteinwirkungen zu erwarten sind, sind nicht ersichtlich, zumal die Richtwertüberschreitung oberhalb der Geringfügigkeitsschwelle von 1 dB(A) gemäß Nr. 3.2.1 Abs. 3 TA Lärm liegt. Darüber hinaus ist auch entgegen Nr. 3.2.1 Abs. 5 Satz 3 TA Lärm nicht sichergestellt, dass die zu beurteilende Anlage im Fall einer späteren Verminderung der Fremdgeräusche (hier: des Verkehrslärms) nicht relevant zu schädlichen Umwelteinwirkungen beiträgt; auch insoweit ist für die Relevanz der Anlagenemissionen auf die hier überschrittene Geringfügigkeitsschwelle von 1 dB(A) abzustellen,
154vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 95. EL 2021, TA Lärm Nr. 3, Rn. 27.
155Auch im Hinblick auf die vormalige Nutzung des Vorhabengrundstücks als Sportplatz ist nicht von einer die Schutzbedürftigkeit der Klägerinnen wesentlich verringernden Lärmbelastung auszugehen. Zum einen führt die Beklagte in der Begründung zur 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. 0 selbst aus, dass von dem Sportplatz in der konkreten Situation keine Störungen der Wohnruhe in den benachbarten Gebieten ausgingen. Zum anderen ist der von Sportanlagen ausgehende Lärm nicht mit Lärm von einem Discounterparkplatz mit rund 100 Stellplätzen zu vergleichen. Letzterer stellt während der Öffnungszeiten des Marktes eine zwar in der Intensität schwankende, aber über den gesamten Tag hinweg dauerhaft emittierende Lärmquelle dar. Demgegenüber konzentrierte sich der Sportplatzlärm auf bestimmte Tageszeiten während des Trainings- und Spielbetriebs. Zudem sind die vom Sportplatz hervorgerufenen menschlichen Lautäußerungen in ihrer Qualität mit dem Lärm von Fahrzeugen und Einkaufswagen nicht vergleichbar.
156Schließlich vermag die Kammer auch keine vorhandene Belastung in Form einer rückwärtigen Tiefgaragenzufahrt auf den Klägergrundstücken zu erkennen. Von der O. Straße führt ein Stichweg nach Osten, über den unter anderem das Gebäude O. Straße 005 erschlossen wird. Von diesem Stichweg zweigt hinter dem Gebäude O. Straße 003 eine (theoretisch) befahrbare Rampe ab, an die sich eine überdachte Fläche anschließt, die nach dem Eindruck im Ortstermin als Lagerfläche genutzt wird. Sämtliche der genannten Wege und Flächen liegen – ungeachtet der Frage, ob bzw. in welcher Frequenz sie überhaupt befahren werden – zu weit vom maßgeblichen Immissionspunkt auf der Südseite des Gebäudes O. Straße 001 entfernt, um in Bezug auf die dort festgestellte Richtwertüberschreitung von Relevanz zu sein. Im Übrigen wäre aus den bereits ausgeführten Gründen auch insoweit nicht von einem ständig vorherrschenden Fremdgeräusch i.S.d. TA Lärm auszugehen.
157Der Einordnung des vom Vorhaben ausgehenden Gewerbelärms als gegenüber den Anwohnern in einem allgemeinen Wohngebiet rücksichtslos entspricht es, dass die Untere Immissionsschutz- und Abfallwirtschaftsbehörde der Beklagten ihre Zustimmung zu dem Vorhaben nur unter der ausdrücklichen und besonders hervorgehobenen Einschränkung erteilt hat, dass das Haus O. Straße 001 weiterhin als Mischgebiet eingestuft wird (vgl. Blatt 515 des Genehmigungsvorgangs der Beklagten, Beiakte Heft 5).
158Ob das Vorhaben darüber hinaus wegen unzumutbarer Einsichtsmöglichkeiten auf die Grundstücke der Klägerinnen oder wegen blendender Kfz-Scheinwerfer rücksichtslos wirkt, muss nicht entschieden werden, wenngleich die Annahme einer Rücksichtslosigkeit unter diesen Aspekten angesichts des vorhandenen Sichtschutzzauns und der gegebenen Selbstschutzmöglichkeiten (in Bezug auf die Einsichtnahme) sowie angesichts der Entfernung des oberen Endes der Parkplatzzufahrt zum Klägergebäude, der Streuung des Scheinwerferlichts sowie des Vorhandenseins zahlreicher weiterer bei Dunkelheit beleuchteter Kfz auf der O. Straße (in Bezug auf die Blendwirkung) eher fern liegen dürfte.
159Wegen des Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot im Hinblick auf den vom Vorhaben ausgehenden Gewerbelärm bedurfte es auch keiner Entscheidung über die darüber hinaus aufgeworfenen Fragen hinsichtlich einzelner Nebenbestimmungen zur Baugenehmigung, des Abstandsflächenrechts und der Bestimmtheit der Baugenehmigung.
160Die Teilbaugenehmigung vom 28. März 2019 ist wegen des mit ihr ausgesprochenen positiven Gesamturteils des Vorhabens, das sich als gegenüber den Klägerinnen rücksichtslos erwiesen hat, ebenfalls rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten.
161Zuletzt sind auch die Befreiungsbescheide vom 28. März 2019 und vom 22. Mai 2019 aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob beide Bescheide nichtig i.S.d. § 44 Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG. NRW.) sind, weil ihnen aufgrund der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. 00, von dessen Festsetzungen sie befreien, keine Regelungswirkung zukommt. Ebenso kann offen bleiben, ob sich eine Nichtigkeit des Befreiungsbescheides vom 22. Mai 2019 auch daraus ergeben kann, dass die vier Stellplätze im Bereich der Festsetzung der Fläche für den Gemeinbedarf (Sport- und Mehrzweckhalle), auf die sich die Befreiung allein beziehen kann, ausweislich des grüngestempelten Lageplans zum Baugenehmigungsantrag (Beiakte Heft 2, Blatt 1 des Planguts) gar nicht zu den 96 genehmigten Stellplätzen gehören dürften. Denn selbst im Fall ihrer Nichtigkeit könnten die genannten Bescheide im Rahmen einer Anfechtungsklage aufgehoben werden, da der mit ihnen verbundene Rechtsschein zu beseitigen ist.
162Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 113, Rn. 4.
163Sollten die Befreiungsbescheide hingegen nicht nichtig sein, liegen jedenfalls die Voraussetzungen einer Aufhebung als rechtswidrige Verwaltungsakte, die die Klägerinnen in ihren Rechten verletzen, vor. Nachbarschutz gegen Befreiungsentscheidungen nach § 31 Abs. 2 BauGB kommt in Betracht, wenn eine fehlerhafte Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans erteilt wurde oder wenn die Behörde bei einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung nicht die gebotene Rücksicht auf die Interessen des Nachbarn genommen hat.
164Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 – 4 B 64/98 –, juris, Rn. 5.
165Letzteres ist hier der Fall. Die Beklagte hat bei der Erteilung der Befreiungen nicht die gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gebotene Rücksicht auf die Interessen der Nachbarn genommen. Mit der Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu der darin vorgesehenen Erhaltungsfläche zum Zwecke der Errichtung einer Bohrpfahlwand hat sie die Realisierung des nachbarrechtswidrigen Vorhabens überhaupt erst ermöglicht. Die Befreiung hinsichtlich der Art der Nutzung für den innerhalb der Gemeinbedarfsfläche liegenden Teil der geplanten Stellplätze wiederum betrifft unmittelbar die Größe der Stellplatzanlage des Discounters, von der der rücksichtslos wirkende Lärm ausgeht.
166Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Es entspricht der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da ihr Klageabweisungsantrag keinen Erfolg hatte.
167Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.
168Rechtsmittelbelehrung:
169Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
170Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.
171Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
172Die Berufung ist nur zuzulassen,
1731. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1742. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1753. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1764. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1775. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
178Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen.
179Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
180Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
181Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
182Beschluss:
184Der Streitwert wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.
185Gründe:
186Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 erfolgt. Von einer Verdopplung des Streitwerts nach Ziffer 1.1.3 des Streitwertkatalogs wurde abgesehen, da die Klägerinnen jeweils Eigentümerinnen zu 1/2 desselben Nachbargrundstücks sind.
187Rechtsmittelbelehrung:
188Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
189Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
190Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
191Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
192Die Beschwerdeschrift soll möglichst dreifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
193War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
194