Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Asylrecht (Afghanistan)
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Nrn. 4 bis 6 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.11.2017 verpflichtet festzustellen, dass bezüglich des Klägers ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsgläubiger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsschuldner zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger, dessen Geburtsdatum auf den 00.00.0000 festgesetzt worden ist, ist afghanischer Staatsangehöriger und Hazara schiitischen Glaubens. Er reiste auf dem Landweg im Juni 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.07.2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Zur Begründung des Asylantrages gab er anlässlich seiner Anhörung am 26.05.2017 im Wesentlichen Folgendes an:Er stamme aus dem Dorf U. / Distrikt C. in der Provinz N. X. . Er habe Probleme mit den Taliban gehabt. Diese hätten schon seinem Vater getötet, weil dieser sich geweigert habe, den Taliban auf deren Verlangen hin Geld zu geben. Auch sein Onkel väterlicherseits sei von den Taliban getötet worden. Zudem sei in seiner Gegend immer Krieg gewesen und er habe nicht in die Schule gehen können. Er sei Hazara und Schiit; diese würden in Afghanistan verfolgt. Nach dem Tod seines Vaters habe er für zwei Jahre im Iran gelebt. Auch dort sei ein normales Leben nicht möglich gewesen. Er habe zwischen 2011 und 2012 Afghanistan verlassen. Im Iran sei er für zwei Jahre gewesen; dann sei er auf dem Landweg über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Ungarn und Österreich in das Bundesgebiet gelangt.
3Mit Bescheid vom 27.11.2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes ab. Zudem stellte es fest, dass keine Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
4Dagegen hat der Kläger am 04.12.2017 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Bundesamt habe seine Angaben nicht ausreichend gewürdigt. Ihm sei der Flüchtlingsstatus zu gewähren. Er habe aus Afghanistan fliehen müssen, weil er fürchten musste, von den Taliban aufgrund seiner fortwährenden Weigerung, sich ihnen anzuschließen, bei nächster Gelegenheit umgebracht zu werden. Er sei mehrfach von den Taliban, insbesondere von dem gleichen Anführer, angesprochen worden. Sein Vater sei wegen seiner Weigerung, sich den Taliban anzuschließen bzw. diese finanziell zu unterstützen, von diesen getötet worden. Wegen seiner Weigerungshaltung drohe ihm eine konkrete Gefahr, was auch die Drohbriefe an seine Familie zeigten. Für ihn gebe es keine innerstaatliche Fluchtalternative; er sei nicht frei, an jeden Ort in Afghanistan zurückzukehren. Er habe mit nur zwölf Jahren seine Heimat verlassen, nachdem kurz zuvor sein Vater getötet worden sei. Angst habe seinen Alltag bestimmt, kriegerische Unruhen und Terror seine Kindheit begleitet. Er habe nicht auf die Straße gedurft, der Besuch einer regulären Schule sei zu gefährlich gewesen. Er habe auf Initiative seiner Mutter ohne eigene Willenserklärung das Land verlassen müssen und sich bis zu seiner Einreise nach Deutschland im Juni 2015 vier Jahre lang weitgehend allein durchschlagen müssen. Eine Kindheit in Angst, der Tod des Vaters, die bald darauf erzwungene Trennung von der Mutter und den Geschwistern, zuletzt das vier Jahre währende Unterwegssein allein auf sich gestellt hätten ihn psychisch erheblich destabilisiert. Es sei ihm auch nicht vorzuhalten, dass er oder seine Familie keinen staatlichen Schutz in Anspruch genommen hätten, da der afghanische Staat nicht in der Lage sei, seine Bürger vor Willkür und Gewalt zu schützen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen beherrschten die Taliban weitgehend Afghanistan. Zudem sei er als schiitischer Hazara nicht frei, sich an jedem Ort niederzulassen, da in der afghanischen Gesellschaft die Ethnien getrennt voneinander lebten; schon die sichere Erreichbarkeit der Siedlungsgebiete der Hazara sei nicht gegeben. Die gravierende Verschlechterung der Sicherheitslage bestehe auch in den größeren Städten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif. Rückkehrer könnten dort ein menschenwürdiges Leben und Überleben nicht finden. Ihm droht bei Abschiebung nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden, da er der willkürlichen Gewalt im Rahmen des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes schutzlos ausgeliefert sei, da er aufgrund der allgemeinen sehr schlechten humanitären Bedingungen rasch in eine ausweglose Lage geriete. Er sei ausweislich der vorgelegten Atteste (Psychologische Einschätzung von Dipl.-Psych. T. N1. vom 08.12.2017, Fachärztliche Stellungnahme zur Vorlage beim Anwalt von Dr. med. D. T1. vom 17.04.2018, Arztbrief des Zentrums für Psycholtraumatologie des Krankenhauses N2. I. , L. , vom 14.06.2018) psychisch destabilisiert und befinde sich in psychotherapeutischer Behandlung, die dauerhaft fortgeführt werden müsse. Auch wegen dieser Erkrankung werde er sich auf dem afghanischen Arbeitsmarkt nicht durchsetzen können. Zudem verfüge er über keine familiären oder sozialen Netzwerke. Sein Vater sei bereits verstorben und seine unverheiratete Mutter könne aufgrund der Rolle der Frau Afghanistan keine Stütze sein. Er sei im Alter von zwölf Jahren geflüchtet und verfüge schon deshalb über keine sozialen Kontakte.Eine Rückkehr nach Afghanistan sei ihm unmöglich. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage, ihm effektiven Schutz gegen die Taliban zu gewährleisten. Zudem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörungen sowie einer schweren Depression (Abschlussbericht Kinder- und Jugendpsychotherapeuten S. M. vom 17.07.2019). In Afghanistan werde er die erforderliche Behandlung nicht erhalten, werde es ihm krankheitsbedingt nicht gelingen, sich seine Existenzgrundlage zu sichern.
5Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
6die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.11.2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Die Beteiligten wurden zur Möglichkeit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen.
11Entscheidungsgründe:
12Das Gericht konnte gemäß § 84 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zur Frage der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.
13Die zulässige Klage ist im aus dem Tenor zu entnehmenden Umfang begründet, im Übrigen ist sie nicht begründet.
14Der Bescheid des Bundesamtes vom 27.11.2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO), soweit die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus abgelehnt worden ist. Soweit abgelehnt worden ist, ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen, ist der angegriffene Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
15Der Kläger hat in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG.
161.Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a)) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (b)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
17Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3 a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Die nach Nr. 2 zu berücksichtigenden Maßnahmen können Menschenrechtsverletzungen sein, aber auch sonstige Diskriminierungen; die einzelnen Eingriffshandlungen müssen für sich allein nicht die Qualität einer Menschenrechtsverletzung aufweisen, in ihrer Gesamtheit aber eine Betroffenheit des Einzelnen bewirken, die der Eingriffsintensität einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Nr. 1 entspricht.
18BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 10 C 23.12 –, juris, Rdnr. 34.
19Dabei muss zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3 b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3 a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
20Die Verfolgung kann dabei gemäß § 3 c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat (oder die vorgenannten Parteien und Organisationen) einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
21Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der voraussetzt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
22BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 – 9 C 50.92 –, juris, Rdnr. 14.
23Dessen ungeachtet ist es Sache des Antragstellers, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen, § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2011/95/EU (im Folgenden: Qualifikationsrichtlinie). Der Antragsteller hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich schlüssigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Hierzu gehört u.a., dass der Antragsteller zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.
24BVerwG, Urteil vom 22.03.1983 – 9 C 68.81 –, juris, Rdnr. 5 und Beschluss vom 26.10.1989 ‑ 9 B 405.89 –, juris, Rdnr. 8 = NVwZ-RR 1990, 379 (380).
25Kann der Antragsteller darlegen, dass er vorverfolgt ausgereist ist, kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zugute. Nach dieser Vorschrift ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder unmittelbar von Verfolgung bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt, beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal einer ernsthaften Schädigung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden – auch seelischen – Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden.
26BVerwG, Urteil vom 17.04.2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rdnr. 21.
27Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
28BVerwG, Urteil vom 17.04.2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rdnr. 23.
29Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach den §§ 3 ff. AsylG nicht. Übergriffe von afghanischen staatlichen Stellen hat der Kläger nicht geltend gemacht. Der Kläger hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass er von nichtstaatlichen Akteuren aus flüchtlingsrelevanten Gründen verfolgt wurde.
30a)Danach liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Es fehlt an der Anknüpfung der geltend gemachten Verfolgung an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale, § 3a Abs. 3 AsylG. Ob eine solche Anknüpfung vorliegt, ist entsprechend der Rechtsprechung zum Asylgrundrecht anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Dem Begriff der (politischen oder sonst flüchtlingsrelevanten) Verfolgung wohnt ein finales Moment inne, weil nur dem auf bestimmte Merkmale einzelner Menschen oder Gruppen zielenden Zugriff asylbegründende bzw. flüchtlingseigenschaftsbegründende Wirkung zukommt.
31Vgl. zusammenfassend zur Rspr. von BVerfG und BVerwG m. w. N. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 ‑ 9 C 74/90 –, BVerwGE 87, 152 (juris-Rn. 10);s. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 19.04.2018 – 9 K 15150/16.A ‑.
32Dem Vorbringen des Klägers
33‑ Schwierigkeiten mit den Taliban, die seinen Vater getötet hätten, da dieser die Taliban nicht finanziell unterstützt habe‑
34ist ein auf flüchtlingsrelevante Merkmale gerichteter Zugriff nicht zu entnehmen, dem insbesondere eine Verfolgung wegen der politischen und religiösen Überzeugung zu entnehmen ist. Die geltend gemachten Schwierigkeiten mit den Taliban zielen nicht auf eine dem Kläger zugeschriebene Gesinnung.
35Eine politische Verfolgung besteht nicht im Falle einer kriminellen Rekrutierung von Personal- oder Finanzressourcen.
36Ähnlich zur Rekrutierung von Personal- und Sachressourcen: VG Düsseldorf, Urteile vom 04.06.2019 ‑ 21 K 107627.A –, vom 03.07.2018 ‑ 21 K 3659/17.A, vom 19.04.2018 ‑ 9 K 15150/16.A –, vom 11.08.2018 – 18 K 14455/16.A ‑, vom 31.08.2017 – 18 K 12620/16.A ‑, vom 24.08.2017 ‑ 18 K 6487/15.A ‑.
37Nach großzügiger Betrachtung mögen die Taliban aus Sicht des Klägers Unterstützung personeller oder finanzieller Art – eingedenk der Tötung seines Vaters – erwartet haben. Insoweit unterscheidet sich vorliegender Fall von der Situation von Personen, die sich offen gegen die Ziele der Taliban gestellt haben und deshalb eine Reaktion der Taliban erfolgt, um eine abweichende politische oder religiöse Überzeugung zu sanktionieren, z.B. durch offene Weigerung, für die Taliban in den Krieg zu ziehen,
38vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 31.01.2018 – 9 K 12139/16.A ‑; VG Greifswald, Urteil vom 31.08.2016 – 3 A 344/16 As HGW ‑
39oder bei Desertion aus einem (Ausbildungs-) Lager einer kämpfenden Einheit der Taliban,
40vgl. VG Magdeburg, Urteil vom 25.01.2013 – 5 A 293/11 MD ‑; VG Sigmaringen, Urteil vom 25.05.2012 – A 2 624/09 ‑
41Davon kann im Falle des Klägers – auch unter Übernahme seines Vorbringens ‑ keine Rede sein. Bei den vom Kläger unterstellten Forderungen der Taliban, die sich ‑ ausweislich seiner Angaben anlässlich der Bundesamtsanhörung ‑ kein einziges Mal an ihn oder seine Mutter gewandt haben
42‑ „Die Taliban hatten keine Gelegenheit mit mir zu sprechen, weil ich geflüchtet bin. (…) Die Taliban haben mit den Frauen nichts zu tun. Sie lassen die Frauen eigentlich in Ruhe. (…) Persönliche Kontakte mit den Taliban hatte ich nicht.“ ‑
43handelt es sich allenfalls um kriminelles Unrecht.
44b)Auch die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara, auf die er sich beruft, begründet für sich genommen keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Kammer vertritt in ständiger Rechtsprechung,
45vgl. dazu nur zuletzt: VG Düsseldorf, Urteil vom 13.03.2020 – 21 K 11101/17.A ‑,
46dazu folgende Auffassung:
47Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen, also einer anlassgeprägten Einzelverfolgung, ergeben, sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich erheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet, also die Gefahr der Gruppenverfolgung besteht. Zur Ermittlung der betroffenen Gruppe ist unter Beachtung der tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Das Eingreifen der Regelvermutung ohne Nachweis individueller konkreter Verfolgungsmaßnahmen setzt hierbei voraus, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise latent oder potentiell, sondern wegen seiner Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt Verfolgung droht. Die Verfolgungshandlungen müssen sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht; dagegen sind nur vereinzelt bleibende, individuelle Übergriffe gegen Gruppenmitglieder nicht geeignet, eine Gruppenverfolgung zu begründen. Erforderlich ist vielmehr eine bestimmte Verfolgungsdichte mit einer großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter, die die Betroffenen gerade in Anknüpfung an flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale treffen. Die Gruppenverfolgung kann dabei nicht nur aus unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung resultieren, sondern auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen. Ob die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung vorliegen ist durch eine wertende Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu ermitteln. Die Verfolgungswahrscheinlichkeit aufgrund einer Gruppenverfolgung ist dabei ausgehend von der (jedenfalls annähend zu bestimmenden) Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe zu ermitteln. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen. Auch für die Gruppenverfolgung gilt, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d. h. wenn auch keine erreich- und zumutbare Möglichkeit internen Schutzes offensteht,
48VGH BW, Urteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, in: juris (Rn. 73 ff.) m.w.N.
49Gemessen an diesen Voraussetzungen liegt eine Gruppenverfolgung der Hazara in Afghanistan nicht vor. Bei den Hazara handelt es sich um eine ethnische Minderheit mongolischen Ursprungs, die etwa 10 % der afghanischen Bevölkerung ausmacht.
50Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Mai 2018, S. 9.
51Ihre Zahl wird auf etwa 3 Millionen geschätzt,
52Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Mai 2018, S. 10,
53wobei die Angehörigen dieser Volksgruppe aufgrund ihrer mongolischen Vorfahren üblicherweise anhand ihres äußeren Erscheinungsbildes identifiziert werden können,
54EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2018, Seite 61.
55Die Hazara gehören im Wesentlichen dem Islam schiitischer Ausprägung und damit einer religiösen Minderheit im überwiegend sunnitisch geprägten Afghanistan an,
56Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Mai 2018, S. 10.
57Die Lage der Hazara, die lange von der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung diskriminiert wurden und an denen unter der Herrschaft der Taliban in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch mehrere Massaker verübt wurden, hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 grundsätzlich verbessert, und zwar sowohl in gesellschaftlicher als auch in ökonomischer Hinsicht,
58EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, Seite 53,
59auch wenn sie in der öffentlichen Verwaltung immer noch unterrepräsentiert sind,
60Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Mai 2018, S. 10.
61Eine staatliche Verfolgung oder Diskriminierung der Hazara in Afghanistan ist nicht ersichtlich,
62EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2018, Seite 61; VGH BW, Urteil vom 17. Januar 2018 – A 11 S 241/17 -, in: juris (Rn. 96 ff.) m.w.N.,
63Auch das Verhältnis zu den Taliban hat sich gebessert, da letztere einen strikt nationalen Ansatz verfolgen, der von dem Gedanken geprägt ist, alle Teile der afghanischen Gesellschaft, zu der auch die Hazara gehören, in ihren Rängen zu repräsentieren,
64EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, Seite 57.
65Teilweise finden sich sogar Hazara, die kämpfende Mitglieder der Taliban sind,
66EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Recruitment by armed groups, September 2016, Seite 19,
67teilweise kämpfen auch ganze Einheiten der Hazara mit den Taliban zusammen,
68EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, Seite 57.
69Hieraus folgt indes nicht, dass es zu keinen Aktionen der Taliban mehr gegen die Hazara kommt, da lokale Kommandeure sich nicht stets an die offizielle Linie halten.
70Auch die gesellschaftliche Diskriminierung der Hazara dauert zwar noch fort, ist jedoch auf dem Rückzug und mittlerweile lokal begrenzt,
71EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, Seite 55.
72Trotz dieser grundsätzlichen Verbesserung der Situation besteht indes weiterhin eine für die Hazara prekäre Sicherheitslage, die jedoch nicht die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte erreicht.
73Insbesondere der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) hat im Jahr 2017 und 2018 Anschläge auf schiitische Einrichtungen verübt, bei denen insbesondere schiitische Hazara zu den Opfern gehörten,
74Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Mai 2018, S. 10.
75Darüber hinaus wird von Fällen berichtet, in denen Hazara bei Überlandfahrten mit Bussen an inoffiziellen „Check-Points“ gezielt aus den Bussen geholt und entführt oder getötet wurden,
76EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2018, Seite 61; EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, Seite 54.
77Diese Vorfälle, durch die Hazara - oft auch als Angehörige der schiitischen Religion - betroffen waren bzw. verletzt oder sogar getötet wurden, sind zahlreich, indes nicht so zahlreich, dass - insbesondere auch im Hinblick auf die Gesamtzahl der in Afghanistan lebenden Hazara - über eine „nur“ latente oder potentielle Gefährdung hinaus ein Grad erreicht wäre, der die Feststellung zuließe, dass grundsätzlich die gesamte Gruppe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Ein- bzw. Angriffen betroffen wäre. Auch kann aus dem Umstand, dass die Opfer der Vorfälle hazarische Volkszugehörige sind, nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass sie ihren Grund immer gerade in der Volks- oder auch in der schiitischen Religionszugehörigkeit der Geschädigten haben,
78VGH BW, Urteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, juris (Rn. 137).
79Dies ist zwar für einzelne Fälle offenkundig, insbesondere im Hinblick auf die gezielt gegen schiitische Einrichtungen durchgeführten Anschläge des ISKP, gerade im Hinblick auf die Entführungen oder Tötungen bei Busreisen kommen oftmals andere Gründe zum Tragen, wie unpolitische örtliche Differenzen, Mitgliedschaft in den afghanischen Streitkräften sowie Mitarbeit in der Regierung bzw. Verwaltung oder einer Nichtregierungsorganisation,
80EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2018, Seite 61; EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Individuals targeted by armed actors in the conflict, Dezember 2017, Seite 54 f.
81Insgesamt liegen damit die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung von Volkszugehörigen der Hazara in Afghanistan nicht vor,
82so auch VGH BW, Urteil vom 17. Januar 2018 - A 11 S 241/17 -, in: juris (Rn. 145) m.w.N. und EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2018, Seite 61, wonach die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara alleine nicht ausreicht, um eine begründete Verfolgungsfurcht zu belegen.
83Dieser Einschätzung muss auch nicht im Hinblick auf die Ausführungen der Gutachterin Friederike Stahlmann revidiert werden. Denn auch wenn in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Anschläge auf Hazara verübt werden,
84vgl. Friederike Stahlmann, Gutachten für das Verwaltungsgericht Wiesbaden ‑ 7 K 1757/16.WI.A -, Seite 334,
85hat sich die Sicherheitslage nicht grundlegend nachteilig verändert. Die abweichende Einschätzung der Gutachterin beruht ersichtlich auf einem anderen Wahrscheinlichkeitsmaßstab als er hier zugrunde zu legen ist. Wie auch anderen Zusammenhängen ist es nach den detailreichen Schilderungen der Gutachterin zwar nicht von der Hand zu weisen, dass der Eintritt eines schädigenden Ereignisses bei realistischer Betrachtungsweise durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Allerdings lassen die Ausführungen der Gutachterin und die vielfältigen Beispiele nicht den Schluss zu, dass jeder (zurückkehrende) Hazara mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Rechtsgutverletzung zu befürchten hätte,
86vgl. wiederum VGH B-W, Urteil vom 11. April 2018 - A 11 S 924/17 -, juris (Rn. 49).
872.Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG.
88a)Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2). Dies setzt eine individuell konkrete Gefahr und ein geplantes vorsätzliches auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln voraus.
89Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38/96 ‑, NVwZ 1997, 1127; OVG NRW, Urteil vom 16.02.1996 - 23 A 5339/94.A ‑, Bl. 6 ff. m. n. N.
90Allerdings benötigt ein Antragsteller nach § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3e AsylG keinen internationalen Schutz, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine tatsächliche Gefahr besteht, dass er einen ernsthaften Schaden erleidet, er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 4 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 3e Abs. 2 AsylG sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung zu berücksichtigen.
91Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 ‑, BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241 und vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 ‑, a.a.O.
92Gemessen daran ist die Annahme subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 AsylG für die Kläger nicht gerechtfertigt.
93Derartige stichhaltige Gründe für die Annahme, dass dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht, hat er nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung v.a. durch die Taliban hat der Kläger weder anlässlich seiner Bundesamtsanhörung noch anlässlich seiner psychotherapeutischen Behandlungen geäußert.
94Die Bundesamtsanhörung ist davon geprägt, dass der Kläger Ängste ausspricht, die seine Mutter und er damals hatten bzw. Vermutungen formuliert, die ihn damals belastet hatten. So trägt er wörtlich vor:
95„Ich hatte in Afghanistan Schwierigkeiten. Ich konnte dort kein Leben führen. Die Gegend aus der ich stamme, dort war immer Krieg. Ich konnte nicht zur Schule gehen. Ich habe Schwierigkeiten gehabt, mich frei zu bewegen. Ich konnte nicht alleine einkaufen gehen. Immer muss mich jemand begleiten.Ich hatte Schwierigkeiten mit den Taliban. Sie haben meinen Vater umgebracht. Nach dem Tod meines Vaters hat meine Mutter mich in den Iran geschickt. Mein Onkel väterlicherseits wurde auch von den Taliban umgebracht. Nach dem Tod meines Vaters, 40 Tage später, hat meine Mutter (mich) in den Iran geschickt.(…) Mein Vater war ein einfacher Landwirt. Die Taliban haben Geld von meinem Vater verlangt. Er wollte denen das Geld nicht geben. Deswegen wurde er von den Taliban umgebracht. Die Taliban verlangen Geld von den Hazara. Wenn sie es den Taliban nicht geben, werden sie umgebracht.(…) Nach dem Tod meines Vaters war ich sehr klein. Ich wurde 40 Tage von meiner Mutter in den Iran geschickt. Die Taliban hatten keine Gelegenheit mit mir zu sprechen, weil ich geflüchtet bin. Die Polizei konnte uns nicht helfen. Die Regierung ist in unserer Gegend nicht zu mächtig. Die Taliban haben mit den Frauen nichts zu tun. Sie lassen die Frauen eigentlich in Ruhe.(…) Persönliche Kontakte mit den Taliban hatte ich nicht. Aber ich hat ständig Angst konnte mich nicht frei bewegen. Wenn ich einkaufen gegangen bin, hatte ich Angst, von den Taliban geschlagen zu werden. Ich konnte auch nicht überall arbeiten, weil ich Angst hatte.“
96Individuell konkrete Gefahren und geplantes vorsätzliches auf ihn gerichtetes Handeln der Taliban schildert er auch nicht anlässlich seiner ärztlich-therapeutischen Gespräche. So referiert der im gerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 29.04.2020 jüngst vorgelegte Abschlussbericht des Kinder- und Jugendpsychotherapeuten S. M. vom 17.07.2019 das dortige Vorbringen des Klägers zu Ereignissen vor dessen Ausreise im Zusammenhang mit den Taliban u.a. wie folgt:
97„Er habe sich nicht frei bewegen und z.B. nur in Begleitung etwas einkaufen können. 2011 oder 2012 sei der Vater laut Aussage des Pat. von den Taliban umgebracht worden, da sich geweigert habe, denen Geld zu geben. Danach habe er auf Wunsch der Mutter alleine in den Iran fliehen müssen.(…) Als Hazara und Schiit habe er in Afghanistan unter ständiger Angst vor den Taliban gelitten. Er konnte keine Schule besuchen und sich nicht frei bewegen. Nach dem Tod des Vaters, wahrscheinlich durch die Taliban, muss der als Jugendlicher auf Wunsch der Mutter alleine in den Iran fliehen. Auch dort hatte er ständig Angst verfolgt, nach Afghanistan abgeschoben oder in den Syrien Krieg geschickt zu werden.“
98b)Die Gewährung subsidiären Schutzes aufgrund einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konfliktes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist nicht zuzuerkennen.
99Ungeachtet der Frage, ob für das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem derartigen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist,
100vgl. zu diesem Begriff ausführlich EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 -, in: juris (Rn. 28f).
101kann das Vorliegen einer solchen individuellen Bedrohung nur ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein.
102OVG NRW, Beschluss vom 10.07.2017 - 13 A 1385/17.A -, in: juris (Rn. 7); OVG NRW, Beschluss vom 20.06.2017 - 13 A 903/17.A -, in: juris (Rn. 10).
103Zur Annahme dessen ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich,
104BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, in: juris (Rn. 19); BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 ‑ 10 C 9/08 ‑, in: juris (Rn. 15), OVG NRW, Urteil vom 26. August 2014 - 13 A 2998/11.A -, in: juris (Rn. 62); OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, in: juris (Rn. 13); EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C-465/07 -, in: juris (Rn. 37, 43),
105wobei bei nicht landesweiten bewaffneten Konflikten auf die Herkunftsregion des jeweiligen Klägers abzustellen ist, in die er typischerweise zurückkehren wird.
106BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, in: juris (Rn. 13).
107Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion muss der Ausländer stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.
108BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9/08 -, in: juris (Rn. 17) unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 17.02.2009 - C 465/07 -, in: juris (Rn. 40).
109Zur Bestimmung des Niveaus der willkürlichen Gewalt ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und andererseits der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, erforderlich.
110OVG NRW, Beschluss vom 14.07.2017 - 13 A 1555/17.A -, in: juris (Rn. 14); BVerwG, Urteil vom 13.02.2014 - 10 C 6/13 -, in: juris (Rn. 24); BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4/09 -, in: juris (Rn. 33).
111Nähert sich das auf dieser Grundlage festgestellte Risiko eines drohenden Schadens der Schwelle einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit, so ist darauf aufbauend eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, zu der etwa die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet gehört.
112vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, in: juris (Rn. 23); BVerwG, Urteil vom 13.02.2014 ‑ 10 C 6/13 ‑, in: juris (Rn. 26); OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 ‑ 13 A 2998/11.A ‑, in: juris (Rn. 74).
113Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit allein aufgrund der Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden jedenfalls bei einem Risiko von 1 : 800 (0,125 %) bzw. 1 : 1.000 (0,1 %) ‑ bezogen auf die Zahl der Opfer von willkürlicher Gewalt eines Jahres - noch weit entfernt.
114BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, in: juris (Rn. 22); BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 ‑ 10 C 11/10 -, in: juris (Rn. 20); VGH B-W, Urteil vom 5. Dezember 2017 ‑ A 11 S 1144/17 -, in: juris (Rn. 216).
115Vermag der Schutzsuchende zu belegen, dass er aufgrund individueller gefahrerhöhender Umstände spezifisch betroffen ist, so sind an den erforderlichen Grad willkürlicher Gewalt geringe Anforderungen zu stellen.
116EuGH, Urteil vom 30.01.2014 - C-285/12 -, in: juris (Rn. 31); EuGH, Urteil vom 17.02.2009 ‑ C‑465/07 ‑, in: juris (Rn. 39); VGH B-W, Urteil vom 05.12.2017 - A 11 S 1144/17 -, in: juris (Rn. 209).
117Individuell gefahrerhöhende Umstände in diesem Sinne sind in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z. B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit ‑ ausgesetzt ist.
118BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, in: juris (Rn. 18); BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 ‑ 10 C 4/09 -, in: juris (Rn. 33); vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 26.08.2014 ‑ 13 A 2998/11.A -, in: juris (Rn. 50).
119Gemessen daran ist die Annahme subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für die Kläger nicht gerechtfertigt.
120Es kann dahinstehen, ob für die Provinz N. X. , aus der die Kläger stammen, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG anzunehmen ist. Die allgemeine Sicherheitslage in der Provinz N. X. ist jedenfalls nicht so schlecht, dass die Kläger dort notwendigerweise einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
121Die allgemeine Sicherheitslage in der Region N. X. ist jedenfalls nicht so schlecht, dass der Kläger dort notwendigerweise einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.
122Die Provinz N. X. liegt im Zentrum Afghanistans und hat Schätzungen zufolge 637.634 Einwohner.
123EASO, Afghanistan Security Situation. Country of Origin Information Report, Stand: Juni 2019, S. 275.
124Die Anzahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 ist um 18 % im Vergleich zu den Zahlen des Jahres 2018 zurückgegangen. Im Jahr 2019 kam es in der Provinz N. X. zu 184 zivilen Opfern, von denen 108 getötet und 76 verletzt wurden.
125UNAMA, Afghanistan, Protection Of Civilians In Armed Conflict 2019, Februar 2020, S. 94 https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2019_-_22_february.pdf
126Gleichwohl liegt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, allein aufgrund der Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, in der Provinz (noch) nicht vor. Bei einer Zugrundelegung von 184 zivilen Opfern im Jahr 2019 und einer Gesamtbevölkerung von 637.634 Menschen liegt das Risiko, Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden, bei 0,029% (1 : 3.465).
127Der Berücksichtigung einer möglichen Dunkelziffer bedarf es nicht, da diese jedenfalls für Anschläge, die zu einer Vielzahl von Opfern geführt haben, gering sein dürfte.
128Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 142 ff.); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 120 ff.), jeweils m.w.N.
129Liegt das festgestellte Risiko mithin noch weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfernt, so bedarf es hier keiner weiteren, wertenden Gesamtbetrachtung.
130Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, in: juris (Rn. 22) wonach es auch bei einem Risiko von 1:800 aufgrund der weiten Entfernung von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit keiner wertenden Gesamtbetrachtung bedarf; BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 11/10 -, in: juris (Rn. 20).
131Dem Kläger droht die Gefahr einer Schädigung aber auch in Kabul nicht mit hinreichender Intensität. Es kann dahinstehen, ob etwa für die Provinz Kabul ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG anzunehmen ist. Die in Kabul als möglichem Zufluchtsort anzutreffende Situation ist jedenfalls trotz der insgesamt angespannten Sicherheitslage nicht so einzuschätzen, dass jeder Zivilist, der dort lebt, sich einer konkreten, massiven Bedrohung für Leib und Leben durch militante Gewalt gegenübersähe.
132Dort hat sich die Sicherheitslage trotz der zunehmenden Anzahl von Anschlägen nicht derart verschärft, dass jede Zivilperson, unabhängig von besonderen gefahrerhöhenden Umständen, allein aufgrund ihrer Anwesenheit im betroffenen Gebiet konkret und individuell gefährdet ist, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. In der Stadt Kabul leben nach einer konservativen Schätzung 3.500.000 Menschen.
133EASO, Afghanistan Security Situation, Stand: Dezember 2017, S. 69.
134Im Jahr 2019 kam es in der Stadt Kabul zu 1.563 zivilen Opfern, von denen 261 getötet und 1.302 verletzt wurden.
135UNAMA, Afghanistan, Protection Of Civilians In Armed Conflict 2019, Februar 2020, S. 93 f., https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_annual_report_2019_-_22_february.pdf
136Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, allein aufgrund der Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, liegt in der Stadt Kabul gleichwohl (noch) nicht vor. Bei 1.563 zivilen Opfern im Jahr 2019 und einer Gesamtbevölkerung von 3.500.000 Menschen liegt das Risiko, Opfer von willkürlicher Gewalt zu werden, bei 0,045% (1:2.239) und damit noch deutlich von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfernt.
137Liegt das festgestellte Risiko - selbst bei Berücksichtigung einer Dunkelziffer - noch weit von dieser Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, so bedarf es hier keiner weiteren, wertenden Gesamtbetrachtung,
138vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris (Rn. 22); BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 ‑ 10 C 11/10 -, juris Rn. 20.
139Im Ergebnis ergibt sich auch nichts anderes aus den Erkenntnissen zu den Vorjahreszahlen. Danach gilt,
140OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 – 13 A 3741/18.A ‑, juris,
141folgendes:
142Auch für den Abschiebungszielort Kabul ist die Gefahrenschwelle in quantitativer Hinsicht nicht erreicht. Allerdings verzeichnete UNAMA für die Provinz Kabul im Jahr 2018 die landesweit höchste Zahl ziviler Opfer (1.866, davon 596 Tote und 1.270 Verletzte) und im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der Opferzahlen um 2%. Der ganz überwiegende Teil der zivilen Opfer (1.686, davon 554 Tote und 1.132 Verletzte) ging auf Selbstmord- und komplexe Anschläge in der Stadt Kabul zurück, die weiterhin einer erheblichen Anschlagsdichte ausgesetzt ist. Von landesweit 65 Selbstmordattentaten und komplexen Anschlägen ereigneten sich dort 28. Die in Kabul verübten Angriffe richteten sich hauptsächlich gegen Zivilisten, einschließlich der zivilen Regierungsverwaltung, religiöse Stätten, Bildungseinrichtungen und Orte, die mit den Wahlen im Oktober in Verbindung standen.
143vgl. UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2018, Februar 2019, S. 2, 23. 68.
144Diese Entwicklung setzt sich fort. Auch im ersten Quartal 2019 verzeichnete UNAMA in Kabul die landesweit größte Zahl ziviler Opfer. So werden bisher etwa folgende Vorfälle berichtet: Am 14. Januar 2019 tötete eine Autobombe im Osten der Stadt sechs Zivilisten und verletzte 140. Bei einem Mörserangriff des IS im westlichen Teil Kabuls starben am 7. März 2019 elf Zivilisten, 140 wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich in der Nähe einer Zeremonie zur Ehrung eines bekannten, von den Taliban ermordeten Hazara- und Schiitenführers. Bei mehreren Explosionen, die sich am 21. März 2019 während der Feierlichkeiten zum persischen Neujahrsfest in der Nähe eines schiitischen Schreins ereigneten und die ebenfalls dem IS zugerechnet werden, starben mindestens sechs Menschen, 23 wurden verletzt. Am 20. April 2019 griffen Unbekannte das Ministerium für Kommunikation an, wobei mindestens sieben Zivilisten getötet und drei verletzt wurden. Über 2.000 Mitarbeiter, die sich in dem Gebäude befanden, konnten in Sicherheit gebracht werden. Auf das Angebot eines Waffenstillstands während des Fastenmonats Ramadan gingen die Taliban nicht ein. Am 8. Mai 2019 griffen sie den Sitz der Nichtregierungsorganisation „Counterpart International“ an, wobei drei Zivilisten verletzt und 20 getötet wurden. Für den 11. und 12. Mai 2019 wird jeweils eine Bombenexplosion berichtet. Während bei der ersten niemand zu Schaden kam, wurde bei dem zweiten Anschlag eine Person verletzt und ein Polizeifahrzeug zerstört. Bei einem Bombenanschlag vor dem Freitagsgebet am 24. Mai 2019 auf eine Moschee im Osten Kabuls wurden drei Menschen getötet, darunter der Imam. Am 30. Mai 2019 wurden durch ein Selbstmordattentat, für das der IS die Verantwortung übernommen hat, sechs Personen getötet und 16 weitere verletzt. Einen Tag darauf wurden bei einem Anschlag in der Nähe der Pädagogischen Hochschule mindestens sieben Zivilisten verletzt oder getötet. Im gleichen Zeitraum konnte ein weiterer Anschlag im 12. Polizeidistrikt der Stadt verhindert werden.
145Vgl. BAMF, Briefing Notes, vom 3. Juni 2019, S. 1, vom 27. Mai 2019, S. 1, vom 13. Mai 2019, S. 1, vom 29. April 2019, S. 1, vom 25. März 2019, S. 1, und vom 18. März 2019, S. 1; UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, vom 24. April 2019, S. 2, 3 f.; ACCORD, Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul, vom 25. März 2019, S. 25 f.
146Den Opferzahlen stehen bei ebenfalls konservativer Schätzung rund 4 Millionen Einwohner der Stadt Kabul gegenüber.
147Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 31. Mai 2018, S. 19; außerdem EASO, Key socio-economic indicators, focus on Kabul City, Mazar-e-Sharif and Herat City, April 2019, S. 12 (zwischen 3,5 und 5,5 Millionen); Islamische Republik Afghanistan, Central Statistics Organization (4,8 Millionen Einwohner für die Jahre 2018/2019), abrufbar unter http://cso.gov.af/en/page/demography-and-socile-statistics/demograph-statistics/3897111; weit höher dagegen etwa von Amnesty International angeführte Schätzungen von zwischen 7 und 8 Millionen, Amnesty International, Auskunft vom 5. Februar 2018 an das VG Wiesbaden, S. 55.
148Damit ergibt sich ausgehend von der für die Stadt Kabul im Jahr 2018 ermittelten Zahl ziviler Opfer von Selbstmord- und komplexen Anschlägen (1.686) eine Gefährdungswahrscheinlichkeit von rund 1:2.370 (0,042%). Legt man die für alle Anschlagsarten lediglich für die gesamte Provinz Kabul mitgeteilte Opferzahl von 1.866 im Jahr 2018 zugrunde, liegt die Gefährdungswahrscheinlichkeit bei etwa 1:2.150 (0,047%). Damit ist eine Situation extremer allgemeiner Gewalt, in der eine abgeschobene Person bereits allein aufgrund ihrer Anwesenheit in Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gefährdet wäre, i. S. d. Art. 3 EMRK in quantitativer Hinsicht nicht erreicht.
149Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im oben genannten Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nach seinem Vorbringen nicht in einem rechtlich relevanten Maße. Der Kläger gehört keiner Berufsgruppe an, wie z.B. der Ärzte oder Journalisten, die in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von sicherheitsrelevanten Vorfällen zu werden. Er erfüllt auch sonst kein persönliches Merkmal, das ihn in erhöhtem Maße der Gefahr, Opfer von Anschlägen zu werden, aussetzen würde.
150S. OVG NRW, Beschluss vom 09.03.2017 – 13 A 2575/16.A. –, juris Rn. 17.
151Danach ist ‑ im Hinblick auf den subsidiären Schutz ‑ an der bisherigen, oben zusammengefassten Einschätzung festzuhalten, wie sie schon Ausdruck gefunden hat in der bisherigen Rechtsprechung des OVG NRW;
152vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.01.2018 - 13 A 3299/17.A -, juris Rn. 15, Beschluss vom 09.03.2017 ‑ 13 A 2575/16.A -, juris, Rn. 16, unter Bezugnahme auf BayVGH, Beschluss vom 25.01.2017 - 13a ZB 16.30374 -, juris,; VG Lüneburg, Urteil vom 06.02.2017 - 3 A 140/16 -, juris, Rn. 28 ff. Siehe auch OVG NRW, Urteil vom 03.03.2016 ‑ 13 A 1828/09.A -, juris, Rdn. 73 (das Ausführungen nicht nur zur Versorgungs- sondern auch zur Sicherheitslage enthält) sowie Beschluss vom 20.07.2015 - 13 A 1531/15.A -, juris. Siehe dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 09.01.2017 ‑ 13 A 1801/16.A -; vgl. ferner unter Berücksichtigung der Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes: OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 01.09. 2017 - 8 A 11005/17 ‑, juris.
1533.Der Kläger hat in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG.
154Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Betracht kommt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
155Bei der Beantwortung der Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK droht, ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurückzugreifen.
156Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 – 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 40).
157Nach der Rechtsprechung des EGMR ist Art. 3 EMRK die Verpflichtung zu entnehmen, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Hierbei sind die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeine Lage im Abschiebungszielstaat als auch die persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen.
158Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 – 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 41) m. w. N.
159Wegen des absoluten Charakters des garantierten Rechts ist Art. 3 EMRK nicht nur auf eine von staatlichen Behörden ausgehende Gefahr anwendbar, sondern auch dann, wenn die Gefahr von Personen oder Gruppen herrührt, die keine staatlichen Organisationen sind. Allerdings muss gezeigt werden, dass die Gefahr real ist und die Behörden des Empfangsstaates nicht in der Lage sind, der Bedrohung durch Gewährung angemessenen Schutzes vorzubeugen.
160OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 49); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 48); Nds. OVG, Urteil vom 29. Januar 2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 41), jeweils m. w. N.
161Bei der Beurteilung der Frage, ob Art. 3 EMRK Abschiebung entgegensteht, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und besonders zu prüfen, ob Art. 3 EMRK widersprechende Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.
162OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 47); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 46).
163Erforderlich ist hierbei, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass der Betroffene im Zielstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Gefahr läuft („real risk“), eine Art. 3 EMRK widersprechenden unmenschlichen oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu sein.
164OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 45); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 42); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 43), jeweils m.w.N.
165Eine erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht dem Kläger aufgrund der humanitären Verhältnisse in Afghanistan und insbesondere in der Stadt Kabul.
166Schlechte humanitäre Verhältnisse können nur in ganz besonderen Ausnahmefällen eine erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen.
167OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 99); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 60); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 45) m. w. N.
168Grundsätzlich dient die Europäische Menschenrechtskonvention vorrangig dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte. Die sozio-ökonomischen und humanitären Bedingungen im Abschiebungszielstaat haben keinen notwendigen oder ausschlaggebenden Einfluss darauf, ob der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, dort einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
169OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 100); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 61); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 46), jeweils m.w.N.
170Lediglich wenn die schlechten humanitären Bedingungen nicht nur oder nicht überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkten und indirekten Aktionen der Konfliktparteien beruhen, ist maßgeblich zu berücksichtigen, ob der von der Abschiebung Bedrohte bei seiner Rückkehr die Fähigkeit besitzt, seine elementaren Bedürfnisse nach Nahrung, Hygiene sowie Unterkunft zu befriedigen und ob eine besondere Verletzlichkeit für Misshandlungen und Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit besteht.
171OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 102 ff.); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 63 ff.); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 48), jeweils m. w. N.
172Fehlt es an einer Verantwortlichkeit der Konfliktparteien, ist ein strengerer Maßstab anzulegen. Denn in den Fällen, in denen die schlechten humanitären Bedingungen ganz oder in erster Linie auf Armut oder auf fehlende staatliche Mittel, um mit auf natürlichen Umständen beruhenden Gegebenheiten umzugehen, zurückzuführen sind, liegt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur in krassen Ausnahmefällen vor, nämlich wenn ganz außerordentliche individuelle Gründe hinzutreten und humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen.
173OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 106); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 54 f.); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 50).
174Solche außergewöhnlichen individuellen Umstände können auch solche sein, die der von der Abschiebung Bedrohte mit Personen teilt, die das gleiche Merkmal tragen oder die sich in einer wesentlich vergleichbaren Lage befinden. In einem solchen Fall ist eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausnahmsweise etwa dann zu bejahen, wenn die Abschiebung zwar nicht unmittelbar zum Tod des Betroffenen, jedoch zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
175OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 108); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 69), jeweils m.w.N.
176Bezogen auf Afghanistan ist der strengere Maßstab anzulegen,
177OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 110); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 71); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 49), jeweils m.w.N.
178da die dortigen humanitären Verhältnisse nicht einem Akteur zugeordnet werden können, sondern das Resultat einer Vielzahl von Faktoren sind, zu denen die allgemeine wirtschaftliche Lage, Umweltbedingungen wie Klima und Naturkatastrophen sowie die Sicherheitslage gehören.
179OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 95 f.); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 54 f.); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 44), jeweils m.w.N.
180Hierfür ist zwar nicht die in den Fällen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche Extremgefahr zu fordern, allerdings ist auch hier in Bezug auf die humanitären Verhältnisse ein drastisches Gefahrenniveau erforderlich, da nur dann ein ganz außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem humanitäre Gründe zwingend gegen die Ausweisung sprechen.
181OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3930/18.A -, in: nrwe (Rn. 113); OVG NRW, Urteil vom 18.06.2019 - 13 A 3741/18.A -, in: nrwe (Rn. 74); Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 ‑ 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 51).
182Hierbei ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden. Es muss eine hinreichend reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen ohne hinreichende Tatsachengrundlage gegründete tatsächliche Gefahr bestehen. Diese tatsächliche Gefahr darf nicht nur hypothetisch, sondern muss hinreichend sicher sein, wobei der Einschätzung ein gewisser Grad an Mutmaßung im Hinblick auf den präventiven Charakter des Art. 3 EMRK immanent ist.
183Nds. OVG, Urteil vom 29.01.2019 – 9 LB 93/18 -, in: juris (Rn. 52), jeweils m. w. N.
184Gemessen an diesem Maßstab liegt in Anbetracht der individuellen Situation des Klägers in Afghanistan und insbesondere in Kabul eine extreme Gefahrenlage vor, bei der sich die gegen eine Ausweisung sprechenden Gründe als zwingend erweisen würden.
185Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte hat sich bislang aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan grundsätzlich nicht ergeben, dass ein alleinstehender, arbeitsfähiger, männlicher Rückkehrer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten wird, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen lässt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Versorgungslage in Afghanistan schlecht ist, jedoch im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen ist, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen wird oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten sind. Der Betroffene sei selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren.
186OVG NRW, Urteile vom 18.06.2019 – 13 A 3930/18.A -, www.nrwe.de, vom 20.02.2017 – 13 A 347/17.A (n. v.), vom 03.03.2016 – 13 A 1828/09.A –, juris Rn. 73; Beschluss vom 24.03.2016 – 13 A 2588/15.A –, S. 4 des Beschlussabdrucks (n.v.); BayVGH, Urteil vom 12.02.2015 ‑ 13a B 14.30309 –, juris Rn. 17; Beschlüsse vom 15.06.2016 – 13a ZB 16.30083 –, juris Rn. 7 und vom 30.09.2015 ‑ 13a ZB 15.30063 –, juris Rn. 6; SächsOVG, Beschluss vom 21.10.2015 – 1 A 144/15.A –, juris; NdsOVG, Urteil vom 20.07.2015 – 9 LB 320/14 –, juris. Siehe auch VG Düsseldorf, Urteil vom 05.01.2017 – 18 K 2043/17.A –, juris Rn. 68.
187Auch nach dem jüngsten Bericht des European Asylum Support Office (EASO) vom Juni 2019 sind zumindest die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif für junge, gesunde, alleinstehenden und arbeitsfähige Männer mögliche interne Fluchtalternativen, auch wenn sie dort kein soziales oder familiäres Netzwerk haben, welches sie auffangen könnte.
188EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 137.
189Nach der Einschätzung des EASO drohen zwar auch in diesen Städten harte Lebensumstände, jedoch können junge, gesunde und arbeitsfähige Männer, die nicht auch noch für andere Personen sorgen müssen und bei denen auch keine sonstigen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen, ihre Grundbedürfnisse an Unterkunft, Kleidung und Hygiene in diesen Städten decken.
190Hierbei kann nach vorgenannter Rechtsprechung dahinstehen, ob der Einschätzung des UNHCR in seinem Bericht vom 30.08.2018, wonach Kabul grundsätzlich keine inländische Fluchtalternative sein soll,
191UNHCR, Eligibility guidelines for assessing the international protection needs of asylum seekers from Afghanistan, 30.08.2018, S. 114,
192zutrifft, denn zum einen ist der anzulegende Maßstab bei der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AsylG ein anderer als im Hinblick auf den internen Schutz nach § 3e AsylG,
193VGH Bad.-Württ., Urteile vom 12.10.2018 – A 11 S 316/17 -, juris Rn. 183, und vom 03.11.2017‑ A 11 S 1704/17 -, juris Rn. 180,
194und zum anderen besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich in Herat oder Mazar-e Sharif niederzulassen.
195Auf dieser bisherigen Basis wäre es dem Kläger möglicherweise gelungen, in einer dieser Städte zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums führen zu können auch auf der Grundlage der allgemein äußerst prekären wirtschaftlichen Situation.
196Die Kammer ist auch bislang von einer prekären wirtschaftlichen Lage in Afghanistan bleibt ausgegangen. Im Jahr 2018 belegte Afghanistan lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Indexes.
197Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 27.
198Gemessen an seinem Bruttoinlandsprodukt war Afghanistan im Jahr 1960 das sechstärmste Land der Welt und konnte seinen Rang bis zum Jahr 2016 nur um sechs Plätze verbessern.
199EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 23.
200Das Wirtschaftswachstum bewegt sich im unteren einstelligen Bereich und betrug im Jahr 2017 etwa 2,7 %. Im Jahr 2018 war infolge der Dürre ein Rückgang auf 1,5 % zu verzeichnen, wobei in diesem Jahr jedoch ein erneuter Anstieg auf 2,5 % erwartet wird, da es ergiebigere Niederschläge gegeben hat, welche dem Agrarsektor zu Gute gekommen sind.
201Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 27.
202Für das Jahr 2021 wurde – vor Ausbruch der allgemeinen Pandemielage (SARS-CoV-2) ‑ mit einem Wirtschaftswachstum von 3,6 % gerechnet.
203EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 24.
204Dem steht indes ein rapides Bevölkerungswachstum sowie die Verbesserung der Lebenserwartung gegenüber, was es dem afghanischen Staat – neben der Sicherheitslage – nahezu unmöglich macht, alle Grundbedürfnisse der gesamten Bevölkerung angemessen zu befriedigen.
205Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 27.
206Die Grundversorgung ist für Rückkehrer in besonderem Maße eine Herausforderung. Insgesamt sind in Afghanistan 6,3 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Besondere Probleme bezüglich Unterkunft, Nahrung, sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung bestehen vor allem in den westlichen Provinzen sowie in Kunduz, Ghazni, Laghman und Kunar.
207Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 28.
208Die Nahrungsmittelsicherheit hat sich seit dem Jahr 2011 kontinuierlich verschlechtert. Während damals noch 30,1 % der afghanischen Bevölkerung unter moderater bis sehr schwerer Nahrungsmittelunsicherheit gelitten haben, stieg diese Zahl bis zum Jahr 2017 auf 44,6 %. In der Winterpflanzsaison 2017/2018 kam es in Afghanistan zu einer langen Dürrperiode, die mehr als zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen hat und zu Gesundheitsproblemen und Einkommensreduzierungen um die Hälfte geführt hat.
209EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 132.
210Demgegenüber kam es in der ersten Jahreshälfte 2019 zu erheblichen Überschwemmungen im Süden, Westen und Norden des Landes, was ebenfalls mit wirtschaftlichen Problemen und Ernteausfällen einherging.
211Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 28.
212Etwa 27 % der im Jahr 2017 nach Afghanistan Zurückgekehrten mussten ihre Nahrungsaufnahme einschränken. Insbesondere waren weibliche Rückkehrer und solche in den Städten betroffen. Rückkehrer, die dorthin gingen, wo sie familiäre Unterstützung erlangen konnten, waren hiervon weniger betroffen,
213EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 37.
214Kabul ist nicht die Stadt mit der größten Nahrungsmittelunsicherheit, allerdings ist die Stadt darauf angewiesen, einen Großteil ihrer Lebensmittel aus dem Umland einzuführen und Schwankungen dieses Versorgungsflusses können zur Verknappung einzelner Lebensmittel führen. Der afghanische Staat hat nicht die Möglichkeit, große Mengen Getreide einzulagern und hat es bisher auch nicht geschafft, vulnerable Haushalte durch Höchstpreisverordnungen oder ein Lebensmittelmarkensystem zu schützen.
215EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 37.
216Die Versorgungslage mit Lebensmitteln wird für Kabul als angespannt angesehen. Dies bedeutet, dass auch mit humanitärer Hilfe ein Fünftel der Haushalte zwar ausreichend Nahrungsmittel hatten, im Gegenzug allerdings nicht mehr genug Geld für die Befriedigung anderer Grundbedürfnisse.
217EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 132.
218Insgesamt hängt der Zugang zu Nahrungsmitteln von den finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen ab.
219EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 132.
220Der Zugang zu sauberem Wasser und zu Sanitäranlagen hat sich erheblich verbessert, wobei der Zugang hierzu in den Städten besser ist als auf dem Land. Trotz dieser Verbesserungen bleibt der Zugang zu Trinkwasser ein Problem in Afghanistan. Gerade in Kabul haben nur 32 % der Bevölkerung Zugang zu fließendem Wasser und nur 10 % der Einwohner haben Zugang zu fließendem Trinkwasser. Jene, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Bewohner sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oftmals weit von ihrer Unterkunft entfernt liegen. Darüber hinaus ist die Hälfte der Brunnen und Zapfstellen durch Abwässer verschmutzt, die in den Fluss Kabul eingeleitet werden. Etwa 50 % der Afghanen hat Zugang zu Sanitäranlagen.
221EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 133.
222Obwohl der Großteil der afghanischen Bevölkerung noch auf dem Land lebt, hat Afghanistan eine der weltweit höchsten jährlichen Stadtbevölkerungswachstumsraten. Schätzungen schwanken zwischen 3,4 und 4,4 % jährlich. Diese hohe Wachstumsrate beruht neben dem natürlichen Bevölkerungswachstum auch auf einer hohen Anzahl von Binnenflüchtlingen und Rückkehrern.
223EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 53.
224Der Großteil der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums, worunter 86 % der städtischen Häuser in Afghanistan zu subsumieren sind.
225EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 132; EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 53..
226Etwa 70 % der Bevölkerung Kabuls lebt in illegalen Siedlungen, also Bereichen, in denen Gebäude auf Land errichtet wurden, welches den Bauherren nicht gehörte und / oder bei denen die Gebäude nicht den Bauvorschriften entsprechen. Diese illegalen Siedlungen bieten wichtige und preiswerte Unterkunft für den Großteil der Stadtbevölkerung. Die Bevölkerungsdichte ist dort bis zu doppelt so hoch wie in anderen Teilen der Stadt. Zwar haben diese illegalen Siedlungen dazu geführt, dass eine große Obdachlosenkrise ausblieb, das unkontrollierte Wachstum hat jedoch auch bestehende Probleme, wie das Fehlen der Kanalisation und die unzureichende Müllentsorgung, verschärft.
227EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 56.
228Eine andere Unterbringungsalternative sind Teehäuser, die zwischen 30 und 100 Afghani pro Nacht kosten und als vorübergehende Unterkunft von Reisenden, Tagelöhnern, Straßenverkäufern, jungen Leuten, alleinstehenden Männern und anderen Personen ohne dauerhafte Unterkunft in der Gegend genutzt werden.
229EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 133.
230Das afghanische Gesundheitssystem hat sich seit dem Jahr 2001 erheblich verbessert. So ist unter anderem die Anzahl funktionierender Gesundheitseinrichtungen von 496 im Jahr 2002 auf über 2.800 im Jahr 2018 gestiegen. Trotz dieser Verbesserungen steht das afghanische Gesundheitssystem jedoch weiterhin vor Herausforderungen, wie der zerstörten Infrastruktur, fehlendem Fachpersonal, unterfinanzierten Einrichtungen, fehlender Sicherheit und tiefgreifender Armut. Im Jahr 2017 bestanden in 53 % der im Rahmen einer Studie untersuchten Gesundheitseinrichtungen strukturelle und Instandhaltungsprobleme und in 45 % der Einrichtungen wurden schlechte hygienische Bedingungen vorgefunden. Auch fehlte in 20 % der Einrichtungen ein Anschluss an das Stromversorgungsnetz. Darüber hinaus wird das Gesundheitssystem durch die inländischen Fluchtbewegungen und die vielen Rückkehrer zusätzlich belastet. Viele örtliche Einrichtungen sind nicht in der Lage, die zusätzliche Belastung zu stemmen und den zusätzlichen Hilfebedarf zu bewältigen.
231EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 25.
232Der Großteil der afghanischen Bevölkerung hat Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung, auch wenn es gerade in ländlichen Bereichen noch Versorgungslücken gibt. 93 % der Bevölkerung wohnt in einem Radius von zwei Stunden von einer öffentlichen Praxis, 82,4 % leben weniger als zwei Stunden von einem Bezirks- oder Provinzkrankenhaus entfernt und 94,8 % wohnten in einer Entfernung von weniger als zwei Stunden zu einer Apotheke. Nach den Angaben des afghanischen Gesundheitsministeriums wohnten 60 % der Bevölkerung weniger als eine Gehstunde entfernt von der nächsten Praxis.
233EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 45.
234Nach der afghanischen Verfassung soll die medizinische Behandlung kostenlos sein. Dies ist jedoch selbst in vielen öffentlichen Gesundheitseinrichtungen nicht der Fall. Auch dort müssen viele Patienten für Medikamente, Arzthonorare, Laboruntersuchungen und Krankenhausaufenthalte bezahlen. Die hierdurch entstehenden hohen Kosten sind der Grund dafür, dass viele Menschen nicht zum Arzt gehen oder nach einem Arztbesuch Schulden machen müssen. Die hohen Kosten gerade auch für Medikamente führen dazu, dass selbst Personen, die Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben, die dort verschriebenen Therapien nicht einhalten können, weil die Medikationskosten zu hoch sind.
235EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 46 f.
236Die Behandlung in einem afghanischen Krankenhaus ist oftmals nur darstellbar, wenn der Patient durch Verwandte oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt wird.
237Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 30.
238Die afghanische Bevölkerung hegt ein großes Misstrauen gegen das staatliche finanzierte Gesundheitssystem. Die Qualität der Kliniken variiert stark und es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen.
239Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 30.
240Die „guten“ Krankenhäuser in Kabul können die erhöhte Nachfrage nicht bedienen, sodass viele Afghanen auf private Kliniken ausweichen, in denen noch höhere Kosten anfallen, oder ins benachbarte Ausland fahren, um schwerwiegende Erkrankungen behandeln zu lassen.
241EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 47.
242Gerade in Kabul ist der Zugang zur medizinischen Versorgung leichter als in anderen Städten. Dort gibt es 47 Gesundheitseinrichtungen. Eine spezielle Traumaversorgung wird zudem von der italienischen Nichtregierungsorganisation Emergency bereitgestellt. Die kostenfreie Behandlung psychischer Erkrankungen wird durch zwei öffentliche Gesundheitseinrichtungen gewährleistet, auch wenn für die Medikamente gegebenenfalls gesondert bezahlt werden muss und auch informelle Gebühren erhoben werden können. Daneben gibt es kostenpflichtige Angebote für die psychiatrische Behandlung durch privater Anbieter und Kliniken. Ebenfalls wird psychische Unterstützung durch eine ausländische Nichtregierungsorganisation bereitgestellt.
243EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 51.
244Der afghanische Arbeitsmarkt ist im Wesentlichen durch die Landwirtschaft dominiert und besteht darüber hinaus aus einem großen Anteil von Selbständigen oder Personen, die im Familienbetrieb arbeiten. Etwa 54% der afghanischen Bevölkerung befinden sich im arbeitsfähigen Alter. Aufgrund der vielen jungen Afghanen, 25 % sind zwischen 15 und 30 Jahren alt, streben Jahr für Jahr immer mehr Personen auf den Arbeitsmarkt, die Beschäftigungsmöglichkeiten können jedoch aufgrund unzureichender wirtschaftlicher Entwicklung und schlechter Sicherheitslage nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Etwa 23,9 % der afghanischen Bevölkerung sind arbeitslos, was heißt, dass sie keine Arbeit haben oder suchen oder weniger als 8 Stunden pro Woche arbeiten. Gerade bei den Personen unter 25 und über 50 Jahren ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch. So beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 31 %. Die Arbeitslosenquote unterliegt auch saisonalen Schwankungen und liegt im Frühjahr und Sommer bei etwa 20%, während sie im Winter auf bis zu 32,5 % ansteigen kann.
245EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 27.
246Etwa 80% der Arbeitsstellen sind als unsicher zu qualifizieren und werden als selbständige Tätigkeit, Tagelöhner oder unbezahlte Arbeit ausgeübt. Weder Bildung noch Arbeit sind zudem eine Garantie gegen Armut.
247EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 28.
248Die Stadt Kabul ist der Dreh- und Angelpunkt für Handel und Arbeit in Afghanistan. Sie besitzt eine wirtschaftlich aktive Bevölkerung, die in Berufen im Bereich des Handels, der Dienstleistungen und der Grundversorgung tätig ist. In der Stadt gibt es eine große Zahl von Festanstellungen, während Selbständigkeit weniger häufig ist, als in den ländlichen Bereichen. Insgesamt sind auch die Löhne in Kabul höher als in anderen Landesteilen, insbesondere für Personen, die für ausländische Organisationen arbeiten.
249EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 28.
250Für Rückkehrer aus dem Ausland ist das Finden einer Verdienstmöglichkeit eine große Herausforderung. Die Rückkehrer stellen neben den Binnenflüchtlingen eine zusätzliche Arbeitsmarktkonkurrenz für die einheimische Bevölkerung dar. Dies kann zu Konflikten zwischen diesen Gruppen führen. In den Jahren 2016 und 2017 waren ungelernte Hilfstätigkeiten die Haupteinkommensquelle für Rückkehrer und im Jahr 2017 beschrieben mehr als 24 % der Rückkehrer das Finden einer Verdienstmöglichkeit als überwältigende Herausforderung.
251EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 29 f.
252Eine besondere Rolle beim Finden einer Verdienstmöglichkeit spielt das Bestehen eines sozialen Netzwerks. Dies kann zum einen die Großfamilie sein, jedoch auch Netzwerke aufgrund eines gemeinsamen Hintergrunds, gemeinsamer Arbeit oder gleichen Bildungsstands können eine Rolle spielen. So wird berichtet, dass Siedlungen in Kabul oftmals aus Personen bestehen, die einen gemeinsamen räumlichen oder ethnischen Hintergrund haben und die sich ausschließlich aufeinander verlassen, um Unterkunft und Verdienstmöglichkeiten zu finden.
253EASO, Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 134.
254In Kabul können Rückkehrer grundsätzlich nur als Tagelöhner arbeiten und die meisten von ihnen können nicht jeden Tag eine Verdienstmöglichkeit finden, sodass ihr Einkommen unsicher ist. Die meisten offiziellen Rückkehrer erhalten etwas finanzielle Unterstützung vom UNHCR.
255EASO, Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019, S. 31.
256Unter anderem Deutschland arbeitet eng mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Afghanistan zusammen, insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul mit bis zu zweiwöchiger Unterbringung und Begleitung der Reintegration einschließlich der Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder der Gewährung eines Anstoßkredits.
257Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand Juli 2019, S. 30.“
258Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse, bestehen für den Kläger Anhaltspunkte, die nach dem strengen Maßstab des Art. 3 EMRK für eine extreme Gefahrenlage sprechen, bei der sich die humanitären Gründe gegen eine Abschiebung als zwingend erweisen. Die Existenz in Afghanistan und insbesondere in Kabul ist für den Kläger am Maßstab des Art. 3 EMRK gemessen nicht hinreichend gesichert.
259Bei dem Kläger handelt es sich um einen mittlerweile volljährigen jungen Mann, der nach eigenen Angaben im Jahre 2011 / 2012 – also mit ungefähr 12 oder 13 Jahren ‑ auf Geheiß seiner Mutter seine Heimat in Richtung Iran verlassen hat. Eine vertiefte Schulbildung hat er in seiner Heimat nicht genossen; lediglich 2 Jahre Koranschule hat der Kläger erwähnt. Eine formalisierte Ausbildung hat er nicht durchlaufen; berufliche Erfahrung hat der Kläger lediglich als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft und als Schäfer gesammelt. Nachhaltige berufliche und eigenständige soziale Erfahrungen in Afghanistan hat der Kläger nicht sammeln können. Ein soziales und / oder familiäres Netzwerk zur engeren oder weiteren Verwandtschaft besteht nicht (mehr); der Vater ist tot, der Verbleib von Mutter und Geschwistern ist dem Kläger unbekannt. Ein Onkel ist nach seinen Angaben wie sein Vater vor Jahren von den Taliban getötet worden. Der Kläger hat damit keine persönlichen Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Hinzukommen seine attestierten psychischen Probleme (posttraumatische Belastungsstörung; schwere depressive Episode), die mit suizidalen Gedanken verbunden sind und zu Antriebslosigkeit geführt haben. In den vorgelegten Arzt- / Therapeutenbriefen wird auf starke Kopfschmerzen, Sehstörungen, Albträume, In-sich-gekehrt-sein, Ein- und Durchschlafstörungen sowie Abwesenheitszustände und starke Vergesslichkeit und Merkfähigkeit im Alltag hingewiesen. Dissoziative Abwesenheitszustände werden ausdrücklich erwähnt. Schon auf dieser Grundlage hätte es der Kläger sicherlich schwer, im Überlebenskampf täglich erneut eine Beschäftigung als Tagelöhner zu finden – unterstellt, die Unterkunftssituation wäre geklärt. Auch auf der Basis der Übergangslösungen, die UNHCR und IOM anbieten, wäre die Sicherung des Obdachs für den Kläger derzeit im Rahmen der allgemeinen Pandemielage (SARS-CoV-2) kaum zu bewerkstelligen.
260Nach den der Kammer vorliegenden – im Internet allgemein zugänglichen ‑ Erkenntnissen im Rahmen der allgemeinen Pandemielage wird erwartet, dass in Afghanistan die Todesfälle im Laufe des Mai 2020 rasch zunehmen, wenn die Übertragung durch die Gemeinschaft eskaliert und schwerwiegende Folgen und Auswirkungen auf die afghanische Wirtschaft und das Wohlergehen der Menschen haben. Kabul ist jetzt der am stärksten betroffene Teil des Landes gefolgt von Herat.Eine Reihe von Provinzen hat Maßnahmen ergriffen, um die Exposition der Bewohner gegenüber COVID-19 zu begrenzen. Diese „measured lockdowns“ im ganzen Land haben zur Schließung von Abschnitten jeder Stadt und / oder zu Bewegungseinschränkungen geführt. Diese beinhalten eine Begrenzung der Anzahl miteinander reisender Personen und die Auferlegung von Ausgangssperren. Berichte zeigen, dass trotz Zusicherungen der Regierung die Durchführung von Programmen der NGO und den Vereinten Nationen nicht einzuschränken, sich die neu eingeführten Sperrungsmaßnahmen weiterhin auf die Mobilität von Angehöriger der NGO und der Vereinten Nationen auswirken. Humanitäre Organisationen reagieren weiterhin aktiv darauf, die afghanische Regierung bezüglich des Krisenmanagements im ganzen Land zu drängen, einen nationalen Ansatz in diesen Fragen zu verfolgen, so dass Einzelverhandlungen in Einzelfällen nicht erforderlich werden.Hilfsorganisationen sind besorgt über die Auswirkungen der erweiterten Sperrmaßnahmen auf die besonders anfälligen Gruppen, insbesondere Familien, die auf tägliche Arbeit angewiesen sind und keine alternativen Einkommensquellen haben. Humanitäre Organisationen stellen einen Anstieg der Schutzrisiken fest, da gefährdete Haushalte auf negative Bewältigungsmechanismen zurückgreifen, um den Grundbedarf an Lebensmitteln zu decken. Wegen der Angst der Öffentlichkeit vor COVID-19 sind Humanitäre Organisationen auch besorgt über eine mögliche Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen, von denen vermutet wird, sie seien Träger von COVID-19, insbesondere diejenigen, die kürzlich aus den Nachbarländern zurückgekehrt sind.Humanitäre Organisationen sollen zusätzliche Maßnahmen ergreifen, um Einzelpersonen und Familien vor Ausgrenzung und Missbrauch zu schützen.Zeitgleich zu den Umsetzungen der Aktivitäten zur Minderung der Verbreitung von COVID-19 reagieren die Humanitären Organisationen weiterhin auf andere laufende und aufkommende humanitäre Bedürfnisse. Konflikte und Naturkatastrophen im ganzen Land vertreiben weiterhin Tausende von Familien. Bereits bestehende Schwachstellen verschärfen die potenzielle Anfälligkeit für die Exposition gegenüber und Übertragung von COVID-19.
261UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), Afghanistan: COVID-19 Multi-Sectoral Response. Operational Situation Report, 29 April 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/covid_sitrep2_final.pdf
262In dem neuesten einschlägigen Bericht,
263UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), Afghanistan. Brief: COVID-19 No. 41 (3 May 2020), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/daily_brief_covid-19_03_may_2020.pdf,
264heißt es:
265Die „measured lockdowns“ zielten darauf ab, die Exposition der Bewohner gegenüber COVID-19 zu begrenzen und im ganzen Land fortzusetzen, führten zu dem Ergebnis zu Schließungen von Abschnitten jeder Stadt und / oder zu Bewegungseinschränkungen. Am 2. Mai hat die afghanische Regierung ihre landesweite Sperrung bis zum 24. Mai erweitert, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Humanitäres Personal hat die Erlaubnis erhalten, seine Aufgaben auch während der Zeit der Bewegungseinschränkungen fortzusetzen. Die NGO berichten jedoch über zeitliche Verzögerungen und Komplikationen. Humanitäre Organisationen fordern die Regierung weiter nachdrücklich auf, in diesen Fragen einen nationalen Ansatz zu verfolgen, damit keine Einzelverhandlungen von Fall zu Fall erforderlich sind. Die Schließung von Regierungsinstitutionen aufgrund von Bewegungseinschränkungen schafft neue Herausforderungen für humanitäre Organisationen, ihre Arbeit zu koordinieren. Am 2. Mai kündigte die afghanische Regierung die Aussetzung aller kommerziellen Inlandsflüge bis zum Ende des Ramadan (24. Mai). Die Vereinten Nationen, Humanitarian Air Service (UNHAS), hat die Luftbrücke zwischen Kabul und Doha aufgenommen. Flüge nach Doha sind nur für Transitpassagiere zugelassen.
266Dem Ziel der „measured lockdowns“ dienen nicht nur die allgemeinen Ausgangssperren in einer Reihe von Provinzen, u.a. Kabul und Herat, sondern auch die Schließung von Sportanlagen, Hochzeitshallen, Gebetsstätten und öffentlichen Versammlungsplätzen sowie von Geschäften mit Ausnahme von Apotheken und Drogerien. Die afghanische Polizei erklärte, härter gegen Verstöße vorgehen zu wollen. Der Busverkehr in Kabul wurde eingestellt. Busse mit mehr als vier Passagieren dürfen nicht in die Stadt fahren. Inlandsflüge finden teilweise weiterhin statt.
267Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes, 06.04.2020, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw15-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4;zur Ausgangssperre: UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA), Updates, https:// reliefweb.int/updates?search=%28primary_country.iso3%3A%22afg%22%29%20AND%20ocha_product%3A%22Flash%20update%22%20AND%20source%3A%22UN%20Office%20for%20the%20Coordination%20of%20Humanitarian%20Affairs%22“
268Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse spricht – auf absehbare Zeit ‑ mehr dagegen als dafür, dass es dem Kläger gelingen könnte, in Kabul oder einem anderen Ort in Afghanistan sein Überleben zu sichern. Es ist schon fraglich, ob es dem Kläger gelingen kann, für sich beständig eine Tätigkeit als Tagelöhner zu sichern. Mit einer materiellen und immateriellen Hilfe seitens der Großfamilien wird der Kläger nicht rechnen können. Weder in seiner Heimatprovinz noch in Kabul oder anderen großen Orten Afghanistans verfügt der Kläger über ein tragfähiges soziales oder familiäres Netzwerk. Über Vermögen, Haus oder Grund verfügt der Kläger nicht. Sein Vater ist nach seinen Angaben verstorben; über den Verbleib seiner Mutter und der Geschwister weiß er nichts.
269Zur Vermeidung humanitärer Verelendung treten auf der Grundlage der EMRK aber an die Stelle staatlicher Unterstützung oder der individuellen Fähigkeit eines Betroffenen, für seinen existentiellen Unterhalt zu sorgen, ersetzend Formen familiärer Solidarität ein, um den Mängeln des Sozialsystems zu begegnen. Danach ist die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, wenn eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
270EuGH, Urteil vom 19.03.2019 – C-163/17 (Jawo) -, juris.
271In derartigen Fällen einer völlig unzureichenden Versorgungslage im Herkunftsland und der hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, in der es auf die besondere Unterstützung des sozialen bzw. familiären Umfeldes zur Ermöglichung der Integration ankommt, ist in wenigen besonders gelagerten Einzelfällen eine mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehende extreme Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit anzunehmen, welche die allgemeine Gefahr zu einem Abschiebungsverbot verdichtet.
272Vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 25.03.2020 – W 10 K 19.50254 -, juris, und Urteil vom 21.02.2020 – W 10 K 19.32048 -, juris; VG Magdeburg, Urteil vom 03.06.2019 – 8 A 107/18 ‑, juris.
273Derzeit ist nicht absehbar, ob im Bereich der NGO und Humanitären Organisationen, Rückkehrern in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft in Afghanistan bei der Integration in die afghanische Gesellschaft beizustehen, die durch die Pandemielage ausgelösten Schwierigkeiten hinreichend und nachhaltig beseitigt werden können. Ein Verweis der Rückkehrer ohne tragfähiges familiäres oder soziales Netzwerk auf die vor der Pandemielage regelmäßig erreichbaren Hilfsprogramme z.B. der IOM und des UNHCR erscheint insoweit unzumutbar, als die Rückkehrer nicht im Einzelfall über besondere finanzielle, technische oder intellektuelle Möglichkeiten der Hilfe oder Fähigkeiten im z.B. beruflichen Bereich verfügen. Bei der vertieften Betrachtung der humanitären Gefahren spielt dabei die Ansteckung mit dem Virus und gegebenenfalls eine mögliche Erkrankung eher eine untergeordnete Rolle, da nicht zwangsläufig und im Einzelfall mit gesundheitlich unterschiedlichen Folgen verbunden, sondern vielmehr die Frage der sozialen Ausgrenzung von Rückkehrern und die fehlende Möglichkeit, in notwendig kurzer Zeit Obdach und Arbeit zu finden. Im Hinblick auf die in den Großstädten, v.a. Kabul als etwaigem Rückkehrort, überwiegend beengten Unterbringungsverhältnisse bestehen kaum Chancen auf Selbst- und Fremdschutz durch „social distancing“. Insoweit wird darauf hingewiesen,
274Friederike Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener (27.03.2020), S. 1 f. https://www.ecoi.net/en/file/local/2027210/Stellungnahme+Corona-Risiken+Afghanistan+27.03.2020.pdf,
275dass dies für eine Vielzahl von Rückkehrern ‑ jedenfalls denjenigen ohne „Familienanschluss“ ‑ dazu führen dürfte, aus allgemeiner Angst der Bevölkerung vor Ansteckung einen sozialen Ausschluss zu erleben und damit weder Obdach, noch Arbeit oder soziale Unterstützung zu erhalten. Ein Fehlen dieser Erfordernisse ist jedoch auch ohne eine akute Erkrankung lebensbedrohlich, erst recht bei Erkrankung. Der Verweis auf eine Unterbringung in sog. Teehäuser erscheint auf absehbare Zeit aber kaum mehr möglich. Es wird davon berichtet,
276Friederike Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener (27.03.2020), S. 3, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027210/Stellungnahme+Corona-Risiken+Afghanistan+27.03.2020.pdf,
277dass im Zuge der „measured lockdowns“ die Teehäusern sukzessive geschlossen wurden, womit Betroffene auch bei externer (finanzieller) Unterstützung von Obdachlosigkeit betroffen sein werden. Die Unterstützungshilfen anbietenden NGO scheinen – aufgrund Schließung von örtlichen Büros ‑ auch nicht mehr ohne weiteres kurzfristig Hilfe anbieten zu können.
278Hinzukommen die sich verstärkenden allgemeinen Schwierigkeiten bei der Sicherstellung des Unterhalts. Im Zuge der Corona-Krise sollen sich bereits Ende März 2020 die Lebensmittelpreise dramatisch erhöht haben, insbesondere für Grundnahrungsmittel. Für Kabul wird z.B. von einer Erhöhung bei Mehl um 92% und bei Tomaten um 80% berichtet; wer ohnehin schon am Rande des Existenzminimums lebt, wird angesichts dieser Preissteigerungen absehbar in lebensbedrohliche Not stürzen.
279Friederike Stahlmann, Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankung an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener (27.03.2020), S. 3, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027210/Stellungnahme+Corona-Risiken+Afghanistan+27.03.2020.pdf,
280Letztlich entspricht die Feststellung eines Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK auch der derzeit bestehenden tatsächlichen Situation. Zwar hat kein Bundesland eine Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan gem. § 60a Abs. 1 AufenthG im Erlasswege angeordnet. Bekanntlich wurde aber die Durchführung von Sammelrückführungen nach Afghanistan auf Bitten der afghanischen Regierung vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie bis auf weiteres vorübergehend ausgesetzt.
2814.Ob darüber hinaus – im Hinblick auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers ‑ auch die Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung, da es sich bei dem national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen handelt,
282BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 – 10 C 14/10 -, in: juris (Rn. 17); BayVGH, Urteil vom 21.11.2014 ‑ 13a B 14.30285 -, in: juris (Rn. 14).
2835.Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens: § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO; § 83b AsylG.
284Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
285Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit: § 30 RVG.
286Rechtsmittelbelehrung:
287Gegen diesen Gerichtsbescheid kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung die Zulassung der Berufung (1) oder mündliche Verhandlung (2) beantragt werden. Wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt.
288(1) Über den Antrag auf Zulassung der Berufung entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
2891. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2902. der Gerichtsbescheid von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
2913. ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
292Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich zu stellen. Er muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen.
293Der Antrag kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingereicht werden.
294In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
295Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
296Die Antragsschrift soll möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
297(2) Anstelle des Antrags auf Zulassung der Berufung kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
298Der Antrag ist schriftlich, als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) zu stellen.
299Der Antrag soll möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.