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Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Antragsteller bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren 24 K 2701/17 nicht abzuschieben und ihm für diesen Zeitraum eine Duldung zu erteilen, die ihm die Aufnahme der Berufsausbildung als Bäcker bei der Firma C. GmbH ermöglicht.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
2Der Antrag,
3den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht abzuschieben und ihm für diesen Zeitraum eine Duldung zu erteilen, die ihm die Aufnahme der Berufsausbildung als Bäcker bei der C. GmbH ermöglicht,
4hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
5Nach § 123 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Das setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (Anordnungsanspruch), und die besondere Eilbedürftigkeit im Sinne einer Unzumutbarkeit bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund), glaubhaft gemacht hat.
6Diese Voraussetzungen liegen vor.
7Der Anordnungsgrund für den begehrten Abschiebungsschutz ergibt sich daraus, dass der Antragsgegner den Antragsteller nunmehr nach Aktenlage zur Abschiebung angemeldet hat. Die Entscheidung über die Erteilung der begehrten Ausbildungsduldung ist ebenfalls dringlich. Denn davon hängt es ab, ob der Antragsteller seinen Pflichten aus dem bereits zustande gekommenen Ausbildungsvertrag – die Ausbildung sollte danach bereits am 1. Februar 2017 beginnen, der Ausbildungsplatz wird derzeit für ihn freigehalten - nachkommen kann.
8Die getroffene Regelung führt nicht zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache. Zwar wird eine Hauptsacheentscheidung durch sie teilweise vorweggenommen. Dies ist aber im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise möglich, weil andernfalls Fakten geschaffen würden, die im Hauptsacheverfahren für den Antragsteller zu schwerwiegenden und unumkehrbaren Rechtsnachteilen führen würden. Verlöre dieser nämlich seinen Ausbildungsplatz, hätte dies zur Folge, dass zugleich sein auf § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG beruhender Duldungsanspruch entfiele. Insofern ist die getroffene Anordnung erforderlich, um – entsprechend dem Rechtsschutzziel des § 123 Abs. 1 VwGO – den Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen zu halten.
9Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch gerichtet darauf, dass seine Abschiebung in den Kosovo vorläufig unterbleibt und ihm bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine Duldung, die ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die Ausbildung bei der Firma C. GmbH ermöglicht, erteilt wird, glaubhaft gemacht. Dieser Anspruch folgt aus § 60a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG in der ab dem 6. August 2016 geltenden Fassung. Danach ist eine zur Aussetzung der Abschiebung führende Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Abs. 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. Nach der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung sind diese tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Der Antragsteller strebt eine Ausbildung zum Bäcker und damit zu einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf an. Hierbei handelt es sich um eine qualifizierte Berufsausbildung. Denn die Ausbildungsdauer übersteigt zwei Jahre (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 der Beschäftigungsverordnung - BeschV -). Er hat durch Vorlage des am 9. Januar 2017 mit der Firma C. GmbH geschlossenen Ausbildungsvertrages, der am 6. Februar 2017 durch die Handwerkskammer E. in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen worden ist, glaubhaft gemacht, dass er diese Ausbildung "aufnimmt". Durch die ausdrückliche Differenzierung zwischen "aufnimmt" und "aufgenommen hat" im Wortlaut des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Ausbildungsduldung bereits vor Aufnahme der Ausbildung erteilt werden kann, sofern klar ist, dass der Ausländer die Ausbildung in absehbarer Zeit aufnehmen wird. Vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 11 S 1991/16 -, juris, Rn. 14f. So liegt es hier. Das Ausbildungsverhältnis beginnt laut Vertrag am 1. Februar 2017. Dem Beginn des Ausbildungsverhältnisses steht bislang die fehlende Beschäftigungserlaubnis entgegen. Der Ausbildungsbetrieb hat dem Antragsteller jedoch versichert, ihn weiterhin ausbilden zu wollen. Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 6 AufenthG, insbesondere des hier allein in Betracht zu ziehenden § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG liegen nicht vor, denn der Antragsteller hat seinen Asylantrag am 2. Januar 2015 und damit vor dem 31. August 2015 gestellt. Dem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Ausbildungsduldung steht schließlich nicht entgegen, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Maßgeblich ist dabei die Sachlage im Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung unter Mitteilung des Ausbildungsverhältnisses. Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 11 S 1991/16 -, juris, Rn. 19. Im vorliegenden Fall ist dies spätestens der 6. Februar 2017, weil an diesem Tag die Vorlage des Ausbildungsvertrags erfolgte versehen mit dem Eintragungsvermerk der Handwerkskammer. Weder am 6. Februar 2017 noch in dem davor liegenden Zeitraum standen konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG bevor. Dies ist der Fall, wenn Abschiebungen bereits konkret vorbereitet werden, z.B. wenn ein Pass(ersatz)papier beantragt worden ist, oder die Abschiebungen terminiert sind oder ein Verfahren zur Dublin-Überstellung läuft. In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung absehbar ist, soll daher der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden. Vgl. BT-Drs. 18/9090, S. 25f. Der Begriff der „Maßnahme“ zielt damit auf behördliche Anordnungen ab. Ebenso VG Arnsberg, Beschluss vom 29. September 2016 - 3 L 1490/16 -, juris, Rn, 12; in diesem Sinne auch Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 21. Dezember 2016, Ziffer 7. Daran fehlt es hier. Der Antragsgegner ist bis zum 6. Februar 2017 nicht tätig geworden, um die Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers selbst in die Hand zu nehmen. Vielmehr wurde dem Antragsteller bei einer Vorsprache am 8. August 2016, nachdem er vollziehbar ausreisepflichtig geworden war, die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise und eine Frist zur Vorlage der Laissez Passers und des Flugtickets eingeräumt. Auch nachdem diese Frist verstrichen war, wurde der Antragsgegner nicht tätig vor dem Hintergrund, dass ein Termin für eine Rückkehrberatung bei der Caritas für den Antragsteller erst Monate später erhältlich war. Auch bei einer weiteren Vorsprache des Antragstellers beim Antragsgegner am 30. Januar 2017 – nachdem dieser bereits eine Kopie des Ausbildungsvertrags vorgelegt hatte - räumte der Antragsgegner dem Antragsteller nochmals zur Vorlage der Passersatzpapiere und der Ausreisetickets eine Frist ein. Eine andere Beurteilung ist hier entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht aufgrund rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Antragstellers geboten. Zwar gilt auch im öffentlichen Recht grundsätzlich der Grundsatz, dass die Geltendmachung von Rechten und die Ausnutzung von Rechtspositionen oder Rechtslagen als rechtsmissbräuchlich und infolgedessen unzulässig anzusehen ist, wenn sie dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht. Individueller Rechtsmissbrauch liegt dabei vor, wenn die an sich zulässige Ausübung des Rechtes einer Partei im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände gegen Treu und Glauben verstößt. Zu den wichtigsten Anwendungsgebieten des Grundsatzes von Treu und Glauben auf die unzulässige Rechtsausübung gehören die Fallgruppen, in denen die Rechtsausübung in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang mit einem früheren unredlichen Verhalten steht. Der Beschränkung der Rechtsausübung liegt in diesen Fallgruppen der Gedanke zugrunde, dass der Rechtsinhaber nicht aus eigenem unredlichen Verhalten rechtliche Vorteile ziehen soll. Voraussetzung ist, dass eine Partei in gesetzes-, sitten- oder vertragswidriger Weise das Recht erworben bzw. die günstige Rechtslage geschaffen hat. Das unredliche Verhalten muss für den Rechtserwerb kausal gewesen sein; dem Gläubiger müssen also Vorteile entstanden sein, die er bei redlichem Verhalten nicht erhalten hätte. Wer treuwidrig verhindert, dass ein Recht der Gegenseite oder eine für sie günstige Rechtslage entsteht, muss sich unter Umständen so behandeln lassen, als sei das Recht oder die Rechtslage entstanden. Vgl. Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, 9. Auflage 2017, § 242 BGB, Rn. 21ff. Es fehlt im vorliegenden Fall jedenfalls ein unredliches Verhalten des Antragstellers. Die Bekundung des Antragstellers, freiwillig ausreisen zu wollen, nachdem er vollziehbar ausreisepflichtig geworden war, stellt sich nach Aktenlage nicht als unredlich dar. Das Gericht vermag im vorliegenden Fall die Einschätzung des Antragsgegners, dass der Antragsteller von vornherein eine freiwillige Ausreise nicht beabsichtigt habe, nicht nachzuvollziehen. Gute Gründe dafür, die freiwillige Ausreise einer Abschiebung vorzuziehen, ergeben sich bereits dann, wenn – wie auch hier – eine Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG für den Fall der Abschiebung besteht. Zudem muss der vorliegende Einzelfall in den zeitlichen Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG am 6. August 2016 gebracht werden. Die Regelung der Ausbildungsduldung ist erst wenige Tage nach Entstehen der vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers und nur zwei Tage vor der Vorsprache des Antragstellers beim Antragsgegner am 8. August 2016 in Kraft getreten. Angesichts dessen vermag das Gericht nicht zu unterstellen, dass der Antragsteller bereits bei Bekundung der Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise am 8. August 2016 die neue Regelung kannte und geplant hatte, innerhalb der ihm nur aufgrund seiner erklärten Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gesetzten Fristen eine entsprechende Ausbildungsstelle zu suchen. Soweit der Antragsgegner darauf verweist, dass der Antragsteller auch noch im Rahmen einer Vorsprache am 30. Januar 2017 erklärt habe, freiwillig ausreisen zu wollen, ist dem bereits entgegen zu halten, dass der Antragsteller die Anhörungsniederschrift nicht unterschrieben hat. Zudem ergibt sich aus dem ersten Satz der Anhörungsniederschrift, dass der Antragsgegner sich darüber im Klaren war, dass der Antragsteller eine Duldung zu Ausbildungszwecken begehrte. Soweit der Antragsgegner daran zweifelt, dass der Antragsteller die Ausbildung tatsächlich beginnen und ernsthaft betreiben wird, bleibt es ihm unbenommen, dies zu überprüfen. § 60a Abs. 2 Satz 9 AufenthG bestimmt für den Fall, dass die Ausbildung nicht mehr betrieben oder abgebrochen wird, ausdrücklich, dass die nach Satz 4 erteilte Duldung erlischt. § 60a Abs. 2 Satz 7 AufenthG verpflichtet den Ausbildungsbetrieb, unverzüglich der Ausländerbehörde Mitteilung zu machen, wenn die Ausbildung nicht betrieben oder abgebrochen wird. Nachdem somit ein Anspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG glaubhaft gemacht ist, ist hinsichtlich der nach §§ 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV erforderlichen Beschäftigungserlaubnis in Übereinstimmung mit dem Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 21. Dezember 2016 (Ziffer 1) von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen, so dass auch insoweit die teilweise Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise zulässig ist. Zur Frage der Zulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz bei Ermessensentscheidungen vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. März 2015 – 18 B 1347/14 -. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. |